Landgericht Siegen Urteil, 06. März 2014 - 5 O 301/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreit trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schadenersatz wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
3Nach einem zur Gerichtsakte gereichten schriftlichen Kaufvertrag erwarb die Klägerin am 29.06.2010 den zum damaligen Zeitpunkt vierjährigen Wallach Amaretto zu einem Preis von 19.500,- €. Im Juli 2010 gab die Klägerin dieses Pferd in den sogenannten Vollberitt in den Reitstall des Beklagten. Ein schriftlicher Vertrag wurde nicht geschlossen. Der Vollberitt beinhaltete jedoch unstreitig den Beritt des Pferdes, dessen Ausbildung, die Ausbildung der Reiterin und die Gewähr einer artgerechten Bewegung wobei auch ausdrücklich die freie Bewegung des Pferdes in der Bewegungshalle vereinbart wurde. Dem entsprechend erhielt der Wallach mit ausdrücklicher Zustimmung der Klägerin auch regelmäßig (mehrmals wöchentlich) in der streitgegenständlichen Halle des Beklagten Freilauf unter Aufsicht. Dieser Freilauf erfolgte nach zunächst unbestrittenem Vortrag des Beklagten stets nach der Ausbildung des Pferdes an der Longe und/oder unter dem Sattel als Ergänzung. Auch die Klägerin ließ ihr Pferd in dieser Halle frei laufen. Des Öfteren sah sie auch zu, wenn das Pferd durch die Angestellten des Beklagten oder eine Praktikantin frei laufen gelassen wurde. Dass es dabei jemals zu Auffälligkeiten gekommen wäre, haben beide Parteien nicht behauptet.
4Die Halle, in welcher der vorbeschriebene Freilauf erfolgte, hat eine Größe von 15 x 35 Metern. Das Hallendach wird durch Stahlträger gestützt. Die Halle verfügt nicht über eine “klassisch“ hohe Reitbande sondern über eine etwa 80 cm hohe umlaufende Barriere (Holzsockel), die zusammenhängend vor den Stahlträgern verläuft. Zwischen den das Dach tragenden TT-Trägern befinden sich in einer Höhe von etwa 1 Meter die jeweiligen TT-Träger verbindende Rundhölzer (vgl. Bl. 26 GA). In den durch den vorgenannten Holzsockel abgetrennten Innenbereich der Halle (Bewegungsbereich) ragen keine Vorsprünge hinein.
5Am 02.12.2010 wurde das Pferd wie schon des Öfteren durch eine Praktikantin des Beklagten in dieser Halle frei laufen gelassen. Dabei kam es dazu, dass das Pferd mit dem Kopf gegen einen der Stahlträger lief. Unstreitig verletzte sich das Pferd dabei. Welche Verletzungen und vor allem, welche Folgen diese Verletzungen hatten und haben, ist zwischen den Parteien streitig.
6Nachdem das Pferd noch vor Ort durch einen herbeigerufenen Tierarzt derart versorgt wurde, dass die Wunde am Kopf zugenäht wurde, beließ die Klägerin das Pferd noch bis April 2012 im Beritt des Beklagten. Am 17.06.2012 verbrachte die Klägerin das Pferd in einen anderen Stall. Die Umstände, die zu diesem Wechsel geführt haben sowie die Frage, ob das Pferd “auffällig“ war, sind streitig.
7Ein vergleichbarer Vorfall hat sich in den 35 Jahren des Bestehens der Halle (Baujahr #####/####) noch nie ereignet obwohl die Halle täglich von durchschnittlich 50 Pferden benutzt wird.
8Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe dadurch, dass die Halle nicht über eine hohe Bande verfüge, eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Hätte die Halle über eine solche verfügt, wäre der Unfall nicht geschehen.
9Durch den Unfall sei das Pferd derart verletzt worden, dass es aufgrund der erlittenen Schädelverletzung heute nicht mehr reitbar sei.
10Die Klägerin beantragt,
11den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 40.396,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Der Beklagten beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er ist der Ansicht, ihm sei keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen.
15Er behauptet, selbst wenn die Halle über eine Bande verfügt hätte, wäre der Unfall aufgrund der Kopfhöhe des Pferdes nicht zu vermeiden gewesen.
16Er bestreitet, dass das Pferd schwerwiegende Verletzungen davon getragen hat. Diesbezüglich trägt er von der Klägerseite nicht bestritten wie folgt vor:
17In der Zeit vom 06.05.2011 bis zum 03.06.2012 habe das Pferd an insgesamt 16 Reitturnieren und dabei an insgesamt 18 Prüfungen teilgenommen. Dabei habe es sich um Prüfungen der Klasse A und L gehandelt. Auch in der Zeit, in welcher das Pferd noch bei ihm im Beritt gewesen sei, habe dieses keinerlei Verhaltensauffälligkeiten gezeigt.
18Die Behauptung, die Klägerin sei Eigentümerin des Pferdes, bestreitet der Beklagte mit Nichtwissen. Letztlich bestreitet der Beklagte den geltend gemachten Schaden hinsichtlich dessen Kausalität und Höhe. Unter anderem trägt er vor, dass die Klägerin Ersatz von Behandlungskosten begehre, die nicht im Zusammenhang mit durch den Unfall verursachten Schäden stünden.
19Beide Parteien haben mit nicht nachgelassenen Schriftsätzen weiter zur Sache vorgetragen. Die Klägerin bestreitet nunmehr erstmals, dass der Freilauf nach der Arbeit an der Longe erfolgt sei. Des Weiteren beruft sie sich nunmehr erstmals auf eine vertragliche Pflichtverletzung und vertritt die Ansicht, das wertvolle Pferd habe einer Praktikantin nicht anvertraut werden dürfen. Wegen der Einzelheiten wird auf den bzw. die diesbezüglichen Schriftsätze Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Die zulässige Klage ist nicht begründet. Eine Ersatzpflicht des Beklagten besteht aus Sicht der Kammer schon dem Grunde nach nicht.
22Dem Beklagten ist keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen. Aus diesem Grund besteht weder ein Anspruch aus § 823 BGB noch ein vertraglicher Anspruch. Letzter ist mangels Vortrags zu dem Inhalt des mündlich abgeschlossenen Vertrages schon nicht schlüssig dargelegt. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da die maßgeblichen Gesichtspunkte hinsichtlich des Pflichtenumfangs dieselben sind (vgl. OLG Hamm Urteil v. 05.12.2011, Az.: 13 U 34/11).
23Grundsätzlich ist und war der Beklagte als Betreiber der Reitanlage sicherungspflichtig, da er mit dem Betrieb den Verkehr in der streitgegenständlichen Reithalle eröffnet hat. Denn derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei erfordert die Verkehrssicherungspflicht regelmäßig den Schutz vor Gefahren, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer nicht vorhersehbar und für ihn nicht ohne weiteres erkennbar sind (vgl. OLG Hamm a.a.O.).
24Nach Ansicht der Kammer kann dem Beklagten ein objektiver Pflichtverstoß aus der Tatsache, dass die streitgegenständliche Freilaufhalle keine höhere Bande aufweist, nicht vorgeworfen werden. Entscheidend ist dabei nach Ansicht der Kammer, dass die Klägerin die Halle kannte. Sie kannte die baulichen Verhältnisse und wusste, dass ihr Pferd in dieser Halle regelmäßig Freilauf hatte. Diesem Freilauf hatte sie ausdrücklich zugestimmt und nahm ihn auch selber vor. Dass die Klägerin derart fachunkundig war, dass ihr damit einhergehende Gefahren nicht erkennbar waren, ist schon nicht vorgetragen. Einem fachkundigen Nutzer einer Halle ist bekannt, dass es gerade beim Freilauf zu Unfällen kommen kann. So können Pferde auch über hohe Banden springen, sie springen in Spiegel und laufen gegen Wände. Dies alles ist der entscheidenden Kammer aus eigener Anschauung bekannt. Wer sein Pferd in einer Halle mit einem deutlich sichtbaren Risiko wie einem offenen Spiegel, einer fehlenden Bande oder z.B. fehlenden Vorhängen über den Banden bzw. Türen laufen lässt, nimmt ein entsprechendes Risiko sehenden Auges in Kauf. Mit den vorerwähnten baulichen Gegebenheiten geht ein für eine im Umgang mit Pferden erfahrene Person vorhersehbares und durchaus übliches Risiko einher. Nicht anders ordnet die Kammer im Ergebnis den hiesigen Vorfall ein. Dass das Pferd über die Holzbarriere gesprungen ist, ist nicht behauptet worden. Die Kammer muss aufgrund des Vortrags der Parteien vielmehr davon ausgehen, dass das Pferd mit dem Kopf gegen den Stahlträger gestoßen ist, obwohl es sich innerhalb des durch den Sockel abgetrennten inneren Bewegungsbereichs der Halle befunden hat. Zwar dürfte es sich angesichts der unbestrittenen Tatsache, dass sich ein vergleichbarer Vorfall in dieser ausdrücklich als Freilaufhalle bezeichneten Halle in 35 Jahren weder beim Freilauf noch beim Freispringen ereignet hat, nicht um eine sich aufdrängende Gefahr gehandelt haben. Erkennbar war diese jedoch für fachkundige Nutzer durchaus.
25Dass zusätzliche, der Praktikantin oder dem Beklagten vorwerfbare Umstände an diesem Tag hinzugekommen sind, die den Vorwurf eines schuldhaften Verhaltens rechtfertigen würden ist nicht vorgetragen worden. So hat die Klägerin schon nicht behauptet, dass das Pferd an diesem Tag z.B. besonders unruhig gewesen ist oder aber, dass es durch die Praktikantin “gescheucht“ wurde. Soweit die Klägerin mit nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12.02.2014 erstmals behauptet, das Pferd sei an dem Unfalltag zuvor nicht ablongiert worden und damit den bis dahin unstreitigen Vortrag des Beklagten, das Pferd sei stets vor dem Freilauf longiert oder geritten worden, bestreitet, ist dieser Vortrag verspätet und damit unbeachtlich. Ebenso verspätet ist der Vortrag der Klägerin, nach welcher der Umstand, dass der Freilauf unter der Aufsicht “nur“ einer Praktikantin des Beklagten erfolgt sei, eine Vertragspflichtverletzung darstelle. Dies zumal zuvor unstreitig war, dass die Klägerin bei entsprechenden Handlungen, die sich bereits mehrfach vor dem Unfalltag ereignet haben, teilweise zugegen war.
26Nach alledem kommt es auf die streitige Frage, welche Verletzungen das Pferd erlitten hat und auf die ebenfalls streitige Höhe des entstandenen Schadens, nicht mehr an.
27Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708, 711 ZPO.
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.