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I. Der Verurteilte B. wurde durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 03.03.1993 wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 22.07.1993. Wegen des Tatgeschehens wird auf die Darstellung im Urteil zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
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Die Staatsanwaltschaft begründete ihren Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mit drei Vorfällen während des Strafvollzuges:
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1. Am 28.12.1992 versetzte der Verurteilte einem Mitgefangenen einen Faustschlag auf das linke Ohr, weil sie sich um den Stellplatz für den Fernseher in der gemeinsamen Zelle stritten;
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2. am 05.06.1998 versetzte er einem Mitgefangenen einen Faustschlag ins Gesicht, so dass dessen Oberlippe aufplatzte und blutete. Anlass für diese Handlungsweise soll eine Beleidigung durch den Geschädigten gewesen sein;
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3. am 16.09.1999 schlug er im Verlauf einer Auseinandersetzung einem Mitgefangenen eine 50x50 cm große Holztür auf den Kopf, obwohl der Mitgefangene von dem Verurteilten nur verlangt habe, dieser solle ihm offen ins Gesicht sagen, wenn er etwas von ihm wolle.
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Weiterhin habe sich der Verurteilte während des Strafvollzuges einer dringend erforderlichen Sozialtherapie hartnäckig widersetzt.
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Das Strafende ist auf den 27.08.2005 notiert. Mit Antragsschrift vom 19.07.2005 hat die Staatsanwaltschaft Mannheim die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB beantragt. Am 04.08.2005 beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Unterbringungsbefehls gegen den Verurteilten.
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II. Die Strafkammer ist für das Verfahren gem. § 76f GVG sachlich zuständig (Meyer/Goßner, StPO, 48. Aufl., § 275a, Rnr. 19). Nach § 275a Abs. 5 StPO ist der Erlass eines Unterbringungsbefehls zulässig. Die Voraussetzungen hierfür liegen jedoch nicht vor.
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Gem. § 275a Abs. 5 StPO kann ein Unterbringungsbefehl dann ergehen, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Die Kammer hält es nicht für wahrscheinlich, dass eine solche Anordnung erfolgen wird.
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Gem. § 66b Abs. 2 StGB kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden, wenn der Verurteilte wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren verurteilt wurde und weiterhin vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar geworden sind, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen.
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1. Die formelle Voraussetzung liegt ersichtlich vor.
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2. Die Kammer sieht jedoch keine neuen Tatsachen für gegeben, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten hinweisen.
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Die vom Gesetz geforderte Nova muss nach Auffassung der Kammer von solchem Gewicht sein, dass sich schon alleine aus diesen Tatsachen auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten schließen lässt (ebenso Urteil des BGH vom 11.05.05 - 1 StR 37/05 unter I.2. für den Fall des § 66b Abs. 1 StGB).
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a. Dies Auslegung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die ersichtlich eine dreistufige Prüfung erfordert. Neben den formellen Voraussetzungen kommt man zur Gesamtwürdigung der Gefährlichkeit des Verurteilten (dritte Stufe) erst dann, wenn auf der 2. Stufe neue Tatsachen der o.g. Art festgestellt worden sind. An diese 2. Stufe als Eingangsvoraussetzung in die Gesamtwürdigung müssen schon deswegen besondere Anforderungen gestellt werden, weil gem. § 66b Abs. 2 StGB eine Sicherungsverwahrung bei Vorliegen geringerer formeller Voraussetzungen angeordnet werden kann, nämlich bei einem Ersttäter, der nur eine Straftat begangen hat, als dies gem. § 66 StGB im Urteil möglich gewesen wäre. Würden daher an die Feststellung der Voraussetzungen der 2. Stufe als Eingangsvoraussetzung an die Gesamtwürdigung der Gefährlichkeitsprognose nur geringe Anforderungen gestellt, wäre selbst bei solchen Fällen, in denen sich schon aus dem Urteil die Gefährlichkeit des Verurteilten ergäbe, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auch in solchen Fällen möglich, in denen sie im Urteil nicht hätte angeordnet werden können. Mit anderen Worten, die nachträgliche Gesamtwürdigung „alter“ Tatsachen würde die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ermöglichen, die ursprünglich eine Sicherungsverwahrung mangels Vorliegens der formellen Voraussetzungen des zum damaligen Zeitpunkt geltenden § 66 StGB und auch des nunmehr geltenden § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht ermöglicht hätte. Es wäre jedoch mit dem Rückwirkungsverbot nicht vereinbar, alleine oder doch im Wesentlichen aus zum Urteilserlass schon bekannten Umständen nachteilige Maßnahmen gravierender Art anzuordnen, die zum Zeitpunkt des Urteilserlasses nicht zulässig gewesen wären (vgl. das Minderheitenvotum zur Entscheidung des BVerfG vom 10.02.04, NJW 2004, 761).
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b. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebietet die o.g. Auslegung. Wie das OLG Koblenz in seinem Beschluss vom 21.09.2004 nachweist (NStZ 2005, 97) ging es dem Gesetzgeber um solche Täter, deren Gefährlichkeit sich erst im Laufe des Strafvollzuges ergibt (a.a.O. S. 99, rechte Spalte).
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Auch wenn dem OLG Koblenz insoweit nicht gefolgt werden kann, als dieses fordert, die Nova müsse auf eine gegenüber dem Urteil deutlich gesteigerte Gefährlichkeit hindeuten (vgl. insoweit überzeugend OLG Brandenburg, NStZ 2005, 272, 275), so ist dem OLG Koblenz zuzustimmen, dass die Nova selbst auf eine erhöhte Gefährlichkeit des Verurteilten hinweisen muss. Das OLG Brandenburg brauchte sich in seiner Entscheidung vom 06.01.2005 (a.a.O.) zu dieser Frage nicht zu äußern, weil dort der Verurteilte neue Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hatte, die schon für sich genommen eine Gefährlichkeit des Verurteilten begründeten. Wenn das OLG Brandenburg insoweit ausführte, die Tatsachengrundlage müsse sich zum Nachteil des Verurteilten verbreitert haben, wird auf die Gesamtbeurteilung der 3. Stufe abgehoben.
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c. Diese so bestimmten neuen Tatsachen sind vorliegend nicht gegeben.
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Zwar hat der Verurteilte die o.g. Ereignisse während des Vollzugs eingeräumt. Es handelte sich jedoch um größtenteils schon länger zurückliegende einfache Körperverletzungen von geringem Gewicht. Einzig der Vorfall vom 16.09.1999, bei dem der Verurteilte den Mitgefangenen mittels einer Waffe (Holztür) angriff, ist von gesteigerter Bedeutung. Aus der Meldung der Haftanstalt zu diesem Vorfall (Bd. II, 2.Teil, S. 217) wird jedoch deutlich, dass der Geschädigte wegen Aggressivitäten auffiel und nach dem Streit mit dem Verurteilten erneut in eine körperliche Auseinandersetzung mit einem anderen Gefangenen verwickelt war, so dass zugunsten des Verurteilten davon ausgegangen werden musste, dass der Geschädigte den Verurteilten provozierte, wie dieser es auch angab.
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Auch der im Vollstreckungsverfahren tätig gewordene psychiatrische Sachverständige Dr. S. schrieb in seinem Gutachten vom 30.07.2001 hierzu: „Während der Haft zeigten sich zwar keine Hinweise auf hohe psychische Abnormität, wohl aber Momente erhöhter Impulsivität. Immerhin drei Gefangene verletzte der Proband aus reichlich banalem Anlass. Zwar sollte man dies in einer spannungsgeladenen Umgebung wie dem Gefängnis nicht unbedingt überbewerten, doch sieht man an den Vorfällen, dass hinter der stillen, höflichen und korrekten Fassade von Herrn B. nach wie vor aggressive und reizbare Anteile vorhanden sind, die unter entsprechenden Umständen ohne allzu großes späteres Bedauern ausagiert werden.“(Bd. II, 2. Teil, As. 129). Der Sachverständige sieht daher in den Vorfällen auch keine neuen Anhaltspunkte, die für sich genommen auf eine erhöhte Gefährlichkeit des Verurteilten hinwiesen, sondern lediglich einen Hinweis auf fortbestehende aggressive und reizbare Anteile des Verurteilten.
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Die Kammer verkennt nicht, dass es sich bei den geschilderten Vorfällen während des Vollzuges ebenfalls um Gewaltdelikte handelte. Diese spielten sich jedoch vor dem speziellen Hintergrund der Haftsituation ab, also einem spannungsgeladenen und potentiell gewaltbereiten Umfeld, indem es zwar nicht regelmäßig, so doch immer wieder auch zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen kommt. Diese Taten sind mit der Anlasstat nicht zu vergleichen. Schon der im Strafverfahren tätig gewordene psychiatrische Sachverständige kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass bei dem Angeklagten eine Persönlichkeitsartung vorliegt, die eher dem schizoiden Typ entspricht. Neben dem Wunsch, mit anderen Personen in Kontakt zu treten, fänden sich davon abgespalten aggressive und zornige Anteile, die sich insbesondere aus dem Groll gegenüber der Mutter nähren und die sich in alkoholisierten Zustand manifestiert haben in aggressive und vereinzelten sadomasochistischen Fantasien, wie auch in vereinzelten Tierquälereien (Gutachten S. 49-50, Bd. I, As. 236-237). Auf Bl. 58-59 des Gutachtens heißt es weiterhin:“ ...gibt es daneben aggressive und destruktive Anteile, die ebenfalls mit Frauenbildern, vereinzelt der Person der Mutter verknüpft sind und die einerseits den Groll, anderseits die Unsicherheit gegenüber Frauen in aggressiver Weise wenden.“ Weiterhin stellte der Sachverständige fest: „Gerade weil der Tatumfang nicht dadurch erklärbar ist, und von ihm auch nicht so erklärt wird, dass es allein um die sichere Tötung des Opfers ging, sondern dass es in einem langdauernden, schrittweisen Akt um die völlige Zerstörung des Leibes des Opfers und aller ihrer weiblichen Attribute gegangen zu sein scheint, wird deutlich, welch intensiver und zerstörerischer aggressiver Groll gegen Frauen hier, natürlich durch die Alkoholisierung erheblich gefördert, wirksam wurde.“ (Gutachten Bl. 64, Bd.I, As. 251). Dieser Einschätzung schloss sich auch der im Vollstreckungsverfahren tätig gewordene psychiatrische Sachverständige Dr. S. an, der in seinem Gutachten vom 30.07.2001 ausführte: „Anhand der vorliegenden Befunde und aufgrund der Sexualanamnese kann der Unterzeichner ebenso wie sein Vorgänger keine sich verselbständigende Perversion diagnostizieren. Beunruhigend ist gleichwohl, dass sadistische und masochistische Phantasien Herrn B. zeitweise durchaus wichtig waren, Spaß am Quälen bzw. Schlachten von Tieren in der Anamnese von Sexualmördern (auch und gerade von Mehrfachtätern) so selten nicht ist und der Leichenbefund einen tief sitzenden Hass oder Groll gegen Frauen und die ihre Weiblichkeit ausmachenden Attribute erkennen lässt.“ (Gutachten S. 62-63, Bd. II Teil 2, As. 127-128).
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Diese Ausführungen belegen, dass die Ausgangstat ihre Triebfeder in den beschriebenen Persönlichkeitsdefiziten des Verurteilten fand und sich seine Aggressionen in erster Linie gegen Frauen richten. Daher stellte Dr. S. auch weiterhin fest: „Einer Aufarbeitung harrt insbesondere das Frauenbild des Gefangenen, subjektiv nachhaltig geprägt durch negative Erfahrungen unter anderem mit Mutter und Schwester, bzw. die Rolle dieser Wahrnehmung von Frauen bei Zustandekommen der Tat.“ (Gutachten S. 68, Bd. II, 2. Teil, As. 1339) Da sich die während der Haft begangenen Taten gegen Männer richteten und nur kurze Entladungen von angestauter Aggressivität darstellten, können sie mit der lang gezogenen und sich gegen eine Frau gerichteten Ausgangstat nicht verglichen werden. Diesen Taten kommt daher, wie oben bereits ausgeführt, kein Symbolwert zu, belegen vielmehr nur die fortbestehenden und schon früher bekannten aggressiven und reizbaren Anteile des Verurteilten.
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Auch der Umstand, dass der Verurteilte sich weigerte, an einer indizierten Sozialtherapie mitzuwirken kann, weder alleine, noch in der Zusammenschau mit den o.g. Umständen, die erforderliche Nova begründen. Insoweit hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 10.02.2004 zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Verweigerung von Resozialisierungs- und Therapiemaßnahmen lediglich im Rahmen der Gesamtwürdigung als zusätzliche Entscheidungshilfe herangezogen darf (NJW 2004, 750, 758). Auch der BGH hat in seiner o.g. Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Verweigerung einer Therapie zwar zu den neuen Tatsachen gehören kann, aber für sich alleine nicht ausreicht, eine Sicherungsverwahrung zu begründen (a.a.O. unter II. 3.). Wegen der Situationsgebundenheit der o.g. Vorfälle während des Vollzuges und weil diese schon länger zurückliegen, konnte auch die Zusammenschau der genannten Umstände und der Therapieverweigerung die geforderte Nova nicht begründen.
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Da bisher keine Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeitsprognose gem. § 275a Abs. 4 StPO eingeholt wurden, konnten diese - was grundsätzlich möglich wäre - ebenfalls keine neuen Tatsachen begründen. Die Kammer sieht es nach dem o.g. Gutachten des Sachverständigen Dr. S. aber auch als unwahrscheinlich an, dass diese Gutachten neue Gesichtspunkte zu Tage fördern könnten.
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3. Die Kammer verkennt nicht, dass die Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten die Gefahr der Begehung neuer erheblicher Straftaten als nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Diese Gefahrenprognose beruht jedoch ausschließlich auf den schon zum Urteilserlass bekannten Umständen. Da die formellen Voraussetzungen für die ursprüngliche Anordnung der Sicherungsverwahrung weder nach der Rechtslage zum Urteilserlass gegeben waren, noch nach heutiger Rechtslage gegeben sind, kann diese Rechtslage nicht auf dem Umweg über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gleichsam umgangen werden, indem längere Zeit zurückliegende Ereignisse während des Vollzuges von geringerem Gewicht nunmehr die Tür für eine Gesamtwürdigung „alter Tatsachen“ eröffneten, um dergestalt die ursprünglich gem. § 66 StGB nicht zulässige Anordnung der Sicherungsverwahrung nachträglich doch noch zu ermöglichen (vgl. hierzu auch die genannte Entscheidung des BGH, wo Zweifel daran geäußert wurden, ob bei „Altfällen“ die nunmehr unter die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB fallen der Vertrauensschutz die Anordnung der Sicherungsverwahrung verbietet, a.a.O. unter II.6.).
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