Landgericht Köln Urteil, 22. März 2016 - 21 O 226/15


Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Parteien schlossen am 29.07.2007 einen Darlehensvertrag über eine Darlehenssumme in Höhe von 103.000,00 € (Blatt 5 ff. der Akte).
3Der Darlehensvertrag enthielt eine Widerrufsbelehrung, in der es unter anderem hieß:
4„Widerrufsrecht
5Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.“
6Zuvor hatte die Klägerin bei der Beklagten einen Bausparvertrag geschlossen. Auf Antrag der Klägerin vom 01.08.2007 (Anlage B 1) bildete die Beklagte aus diesem Bausparvertrag einen Restbausparvertrag in Höhe von 6.000,00 €, der gleichzeitig auf eine Bausparsumme von 103.000,00 € erhöht wurde. Für den Abschluss des Bausparvertrages bzw. für dessen Erhöhung berechnete sie gemäß § 1 Abs. 2 der dem Vertrag zugrunde gelegten Allgemeinen Bausparbedingungen (ABB) eine Abschlussgebühr in Höhe von 1 % der Bausparsumme, mithin 860,00 € (vgl. Anlage B 1). Der Betrag wurde 2007 eingezogen.
7Im Jahre 2014 beabsichtigte die Klägerin, die finanzierte Immobilie zu veräußern. Auf ihre Anfrage berechnete die Beklagte mit Schreiben vom 25.02.2014 ein Aufhebungsentgelt in Höhe von 16.732,10 €. Die Klägerin zahlte diesen Betrag im April 2014 und löste das Darlehen ab. Im Anschluss gab die Beklagte die gestellten Sicherheiten frei.
8Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 10.12.2014 ließ die Klägerin den Widerruf des streitgegenständlichen Darlehensvertrages erklären und das gezahlte Aufhebungsentgelt und die Bearbeitungsgebühr für die Erhöhung der Bausparsumme zurückfordern, was die Beklagte ablehnte.
9Die Klägerin meint, die streitgegenständliche Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft, weil sie die Formulierung „frühestens“ enthalte, die den Darlehensnehmer über den Fristbeginn im Unklaren lasse. Mit dem Widerruf des Darlehensvertrages falle die Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vereinnahmte Bearbeitungsgebühr weg. Dass zwischen Darlehensrückabwicklung und –widerruf acht Monate Zeit vergangen seien, könne der Beklagten nicht zum Vorteil gereichen. Die Klägerin behauptet, sie sei aufgrund des Verkaufs darauf angewiesen gewesen, dass die Beklagte die vorzeitige Rückzahlung billige. Wenn sich die Abwicklung des Kaufvertrages verzögert hätte oder sie gar gescheitert wäre, hätte sich die Klägerin Schadenersatzansprüchen der Käufer ausgesetzt gesehen. Zudem sei die Klägerin bei Vornahme der von ihr geleisteten Zahlungen davon ausgegangen, zur Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet gewesen zu sein.
10Die Klägerin behauptet ferner, sie habe aufgrund ihres Umzuges nach Verkauf der finanzierten Immobilie zunächst ihre Angelegenheiten ordnen müssen. Nachdem sie in der Presse von der Kritik der Gerichte an den praktizierten Vorfälligkeitsentschädigungen erfahren habe, habe sie ihre Bevollmächtigten gebeten, ihren Fall einmal zu überprüfen. Nachdem sie umzugsbedingt die entsprechenden Vertragsunterlagen nicht habe finden können, hätten ihre Bevollmächtigten mit Schreiben vom 10.11.2014 selbige bei der Beklagten anfordern müssten.
11Die Klägerin beantragt,
12die Beklagte zu verurteilen, an sie 17.592,10 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2015 zu zahlen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie ist der Auffassung, die Klägerin könne die Vorfälligkeitsentschädigung und die Bearbeitungsgebühr – die im Übrigen AGB-rechtlich zulässig sei – bereits deshalb nicht mehr zurückfordern, weil die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung getroffen und sich damit über die Beendigung des Darlehensvertrages geeinigt hätten. Jedenfalls aber sei die verwendete Widerrufsbelehrung wirksam, weil sie der Musterwiderrufserklärung gemäß Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV a.F. entspreche. Schließlich sei die Ausübung des Widerrufsrechts missbräuchlich. Etwaige Rückzahlungsansprüche der Klägerin seien aufgrund der erfolgten Darlehensablösung verwirkt.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche auf Rückzahlung der Klageforderung zu, insbesondere nicht aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
19I.
20Ob die von der Beklagten erteilte Widerrufsbelehrung fehlerhaft war oder diese sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterwiderrufsbelehrung in Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses gültigen Fassung berufen kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn ein etwaig noch bestehendes Widerrufsrecht wäre jedenfalls verwirkt.
211.
22Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (Zeitmoment), der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment), und die verspätete Geltendmachung daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Die erforderliche Zeitdauer, die seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts verstrichen sein muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 242 Rn 93 m. w. N.). Zu berücksichtigen sind vor allem die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des von dem Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. Ein Verhalten des Berechtigten, das einem konkludenten Verzicht nahekommt, mindert die erforderliche Zeitdauer. Die Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten wird wesentlich bestimmt durch den Umfang seiner Vertrauenssituation und seinen Informationsstand (ständige Rspr., so auch OLG Köln, Urteil vom 25.01.2012, Aktenzeichen 13 U 30/11).
232.
24Nach diesen Vorgaben sieht die Kammer das Zeitmoment in Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin mehr als 7 Jahre hat verstreichen lassen, bevor sie mit Schreiben vom 10.12.2004 den Widerruf des Darlehensvertrages erklären ließ, als erfüllt an. Insbesondere kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Klägerin von dem trotz Fristablauf tatsächlich – d.h. aus rechtlichen Gründen – fortbestehenden Widerrufsrecht Kenntnis hatte (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 242, Rn. 94). Das ist jedenfalls dann unbedenklich, wenn es – wie hier – nicht um eine (vollständig) fehlende, sondern nur um eine nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung geht (OLG Köln, a.a.O.).
253.
26Angesichts der vollständigen, beiderseitigen Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag ist die Kammer der Auffassung, dass auch das Umstandsmoment erfüllt ist.
27a)
28Denn die Klägerin hat ohne jeden Vorbehalt bereits am im April 2014 das streitgegenständliche Darlehen vollständig abgelöst und die von der Beklagten geforderte Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt. Ein solches Verhalten konnte die Beklagte bei verständiger Würdigung nur so verstehen, dass die Klägerin ihr Widerrufsrecht nicht mehr geltend machen werde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Darlehensnehmer nach vorbehaltloser Rückabwicklung eines Darlehensvertrages erst acht Monate später den Widerruf erklärt. Selbst zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Darlehensnehmer den Widerruf – trotz und nach zuvor erfolgter vorbehaltloser Ablösung des Darlehens – innerhalb einer „Bedenkzeit“ weiterhin erklären könnte, ohne sich den Einwand der Verwirkung entgegenhalten lassen zu müssen, wäre eine solche Bedenkzeit jedenfalls nach mehr als acht Monaten längst abgelaufen.
29b)
30An dieser Beurteilung ändert es nichts, dass die Klägerin das Darlehen ablöste, weil sie ihre Immobilie verkaufen wollte und daher auf die Freigabe der Sicherheiten angewiesen war. Zum einen trägt sie schon nicht substantiiert vor, dass die Beklagte überhaupt vom beabsichtigten Immobilienverkauf wusste; hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten ist aber – wie dargestellt – maßgeblich auf dessen Vertrauenssituation und Informationsstand abzustellen. Zum anderen hat die Klägerin – wie ebenfalls dargestellt – die Vorfälligkeitsentschädigung vorbehaltlos gezahlt; hätte sie sich in einer Zwangssituation gesehen und das Vertrauen der Beklagten auf das Behaltendürfen der geleisteten Zahlung beseitigen wollen, hätte es nahegelegen, dass sie diese Zahlung unter Vorbehalt leistet.
31c)
32Der Vortrag der Klägerin, sie habe nach dem Umzug zunächst ihre Angelegenheiten ordnen müssen und ihre Bevollmächtigten hätten bereits am 10.11.2014 die Vertragsunterlagen bei der Beklagten angefordert, ist unerheblich. Wieso die Beklagte von dem Erfordernis für die Klägerin, ihre Angelegenheiten ordnen zu müssen, hätte wissen können und inwieweit dieser Umstand Einfluss auf den bei ihr geschaffenen Vertrauenstatbestand haben sollte, ist nicht ersichtlich. Soweit die klägerischen Bevollmächtigten bereits am 10.11.2014 Unterlagen zum Darlehensvertrag angefordert haben, ist ebenfalls zweifelhaft, ob dies überhaupt geeinigt wäre, das auf Beklagtenseite geschaffene Vertrauen zu beseitigen. Dies kann aber dahin stehen, da die Beklagte jedenfalls auch bereits am 10.11.2014 nach den dargestellten Grundsätzen darauf vertrauen durfte, dass die Klägerin den Darlehensvertrag nicht mehr widerrufen werde.
33II.
34Die Klägerin kann die Bearbeitungsgebühr für die Erhöhung des Bausparvertrages auch nicht deshalb zurückfordern, weil diese AGB-rechtlich unzulässig ist. Denn nach der grundlegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 07.12.2010, Aktenzeichen XI ZR 3/10) halten Bearbeitungsgebühren bei Bausparverträgen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.
35III.
36Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen den §§ 91, 709 Satz 1 und 2 ZPO.
37IV.
38Der Streitwert beträgt 17.592,10 €.

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(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
(2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.