Landgericht Kiel Urteil, 30. März 2007 - 8 O 59/06

ECLI:ECLI:DE:LGKIEL:2007:0330.8O59.06.0A
30.03.2007

Tenor

Das Versäumnisurteil vom 16.11.2006 wird aufrechterhalten.

Der Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf wegen der Überlassung der Röntgenbilder zur Einsichtnahme nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € und wegen der Kosten nur in Höhe des 1,1-fachen des jeweils zu vollstreckenden Betrages fortgesetzt werden.

Tatbestand

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Die Klägerin wurde im September 2005 wegen einer Fraktur des linken Unterarms in der A. Klinik in H. ihrer Meinung nach fehlerhaft behandelt. Sie beabsichtigt deswegen, gegen die A. Klinik Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die Klägerin war nach ihrem Klinikaufenthalt in der Zeit vom 26.09.2005 bis zum 05.01.2006 bei dem Beklagten, der Chirurg ist, in ambulanter Behandlung. Aus Anlass dieser Behandlung fertigte der Beklagte Röntgenbilder. Die Behandlung durch den Beklagten ist mittlerweile abgeschlossen. Die Klägerin ließ den Beklagten über ihre Prozessbevollmächtigte unter Beifügung einer beglaubigten Abschrift einer Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zur Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen durch das Zurverfügungstellen von Fotokopien mit Schreiben vom 12.07.2006 auffordern. Dieser Aufforderung kam der Beklagte nach, allerdings ohne die von ihm gefertigten Röntgenbilder der Klägerin zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 19.07.2006, 02.08.2006 und 23.08.2006 ließ die Klägerin den Beklagten zur Einsichtnahme in die Original-Röntgenbilder zu Händen der Bevollmächtigten der Klägerin auffordern. Dieser Aufforderung kam der Beklagte nicht nach. Vielmehr teilte eine Arzthelferin des Beklagten am 15.08.2006 der Prozessbevollmächtigten der Klägerin telefonisch mit, dass die Röntgenbilder nur auf gerichtliche Aufforderung herausgegeben würden. Auf ein weiteres Schreiben der Bevollmächtigten der Klägerin vom 27.09.2006, in welchem diese eine Frist zur Vorlage der kompletten Röntgenbilder zur Einsichtnahme bis zum 10.10.2006 setzte, reagierte der Beklagte in der Weise, dass er mitteilte, dass er Kopien der Röntgenunterlagen fertigen würde; die Kosten hierfür betrügen nach seiner Kenntnis 100,00 € pro Bild. Der Beklagte bat um entsprechende Kostenübernahmeverpflichtungserklärung. Streitig ist, ob diese Nachricht der Bevollmächtigten der Klägerin bereits am 10.10.2006 per Fax übermittelt wurde (so behauptet der Beklagte) oder ob diese Nachricht erst auf dem Postwege am 16.10.2006 einging (so die Behauptung der Klägerin).

2

Mit der am 17.10.2006 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sämtliche im Rahmen der Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 26.09.2005 bis zum 05.01.2006 gefertigten Röntgenaufnahme im Original zwecks Einsichtnahme zu überlassen, soweit diese objektive physische Befunde über Behandlungsmaßnahmen betreffen,

4

hilfsweise

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den Beklagten zu verurteilen, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sämtliche im Rahmen der Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 26.09.2005 bis zum 05.01.2006 gefertigten Röntgenaufnahme gegen Erstattung der Fotokopiekosten in Kopie zur Verfügung zu stellen, soweit diese objektive physische Befunde über Behandlungsmaßnahmen betreffen.

6

Auf die Klage wurde mit Verfügung vom 18.10.2006 das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Diese Verfügung wurde dem Beklagten am 20.10.2006 zugestellt. Eine Verteidigungsanzeige hat der Beklagte nicht abgegeben, worauf die Kammer unter dem 16.11.2006 antragsgemäß entsprechend dem Hauptantrag der Klägerin ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren erließ. Gegen dieses dem Beklagten am 15.11.2006 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte am 21.11.2006 Einspruch eingelegt.

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Die Klägerin beantragt,

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das Versäumnisurteil vom 16.11.2006 aufrechtzuerhalten,

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Der Beklagte beantragt,

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das Versäumnisurteil vom 16.11.2006 aufzuheben und den Hauptantrag der Klägerin abzuweisen.

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Der Beklagte meint, er sei zur Herausgabe der Röntgenbilder nicht verpflichtet, da er deren Eigentümer sei und die Röntgenverordnung außerdem die Aufbewahrung der Röntgenaufnahmen gebiete. Bei dem von der Klägerin verfolgten Anspruch handele es sich in Wahrheit nicht um das Begehren von Einsichtnahme, sondern um einen Antrag auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen auf Dauer.

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Den mit der Klage geltend gemachten Hilfsantrag hat der Beklagte unter Protest gegen die Kosten in der mündlichen Verhandlung anerkannt.

Entscheidungsgründe

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Das Versäumnisurteil war aufrechtzuerhalten, da der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Einsichtnahme in die Original-Röntgenaufnahmen zu Händen der Bevollmächtigten der Klägerin begründet ist. Der Anspruch ergibt sich als Nebenpflicht zu dem zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvertrag sowie aus entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 811 Abs. 1 S. 2 BGB. Es ist allgemein anerkannt, dass der Patient grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Original-Krankenunter-lagen hat, soweit sie Aufzeichnungen über objektive physische Befunden und Berichte über Behandlungsmaßnahmen betreffen (BGH, NJW 1983, S. 328). Hierzu gehören auch Röntgenaufnahmen, da diese Aufschluss über die erhobenen Befunde geben. Richtig ist zwar auch, dass ein Anspruch auf Herausgabe von Original-Behandlungsunterlagen nicht besteht (vgl. z.B. LG Köln, VersR 1986, S. 775). Hierum geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Der Klagantrag macht deutlich, dass es der Klägerin nur darum geht, die Röntgenbilder zum Zwecke der Einsichtnahme und damit nur vorübergehend zu erhalten, während ein Herausgabeanspruch darauf gerichtet wäre, die Röntgenbilder dauerhaft zu Besitz zu erhalten. Dem steht nicht entgegen, dass der Klagantrag keine Befristung der Dauer der Einsichtnahme enthält. Gerade dann, wenn wie regelmäßig bei sachgerechter Vorbereitung von Arzthaftungsprozessen Röntgenunterlagen durch fachkundige Ärzte ausgewertet und verglichen werden müssen, liegt es in der Natur der Sache, dass nicht von vornherein gesagt werden kann, wie lange diese Auswertung dauern wird, sodass der Klägerin nicht abverlangt werden kann, den Klagantrag von vornherein zeitlich zu beschränken. Es ist jedenfalls durch das Vorbringen der Klägerin klargestellt, dass sie die Röntgenbilder nur so lange zur Einsicht haben will, bis diese notwendige Auswertung durch eine fachkundige Person (etwa Privatsachverständiger, Gutachter der Krankenkasse oder Gutachter in einem eventuellen Schlichtungsverfahren) erfolgt ist.

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Unabhängig von der weiteren bestehenden Möglichkeit, Kopien der Röntgenbilder gegen Kostenerstattung zu erhalten, besteht also auch ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Original-Röntgenbilder. Es kann somit nur um die Frage gehen, ob die Einsichtnahme in die Röntgenbilder in der Arztpraxis erfolgen muss oder aber entsprechend § 811 Abs. 1 S. 2 BGB der Patient die Einsichtnahme an anderem Ort verlangen kann.

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Dieser Einsichtnahme an einem Ort außerhalb der Arztpraxis stehen weder das Eigentumsrecht des Arztes an den Röntgenaufnahmen noch die Bestimmungen der Röntgenverordnung entgegen. Das Eigentumsrecht des Arztes wird durch die vorübergehende Einsichtnahme nicht tangiert, ebenso wenig sein Anspruch auf Rückgabe der Bilder nach erfolgter Einsichtnahme zur Auswertung derselben. Auch § 28 Abs. 3 der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlung (Röntgenverordnung) vom 30.04.2003 besagt lediglich, dass Röntgenaufnahmen aufzubewahren sind, was es nicht ausschließt, vorübergehend anderen, insbesondere dem Patienten, diese Röntgenbilder zur Einsicht zu überlassen. Es kann auch im Einzelfall erforderlich sein, Röntgenbilder etwa nachbehandelnden Ärzten zur Verfügung zu stellen.

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Dem Interesse des Arztes, die Röntgenbilder nach Einsichtnahme zurückzuerhalten, ist dadurch Genüge getan, dass die Überlassung zur Einsichtnahme an die Rechtsanwältin der Klägerin erfolgt. Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege bieten eine gewisse Zuverlässigkeit dahin, dass sorgsam mit den Röntgenaufnahmen umgegangen und diese nach Gebrauch auch zurückgegeben werden. Zudem würde sich ein Rechtsanwalt auch gegenüber dem Mandanten u. U. schadensersatzpflichtig machen, wenn durch sein Verschulden Röntgenbilder abhanden kämen. Auch die rein theoretische Verlustgefahr ändert an dem Anspruch zur Einsichtnahme durch Überlassung nichts. Es ist der Kammer als Spezialkammer für Arzthaftungssachen bekannt, dass Röntgenbilder zumeist auf dem Postwege versendet werden. Dass es zu Verlusten bei der Versendung auf dem Postwege kommt, dürfte eher selten sein. Die Folgen des Verlustes würden den Patienten, dem ein Beweismittel im Prozess verloren geht, schwerer treffen als den Arzt. Ist der versendende Arzt selbst Anspruchsgegner kann er sich vor Beweisschwierigkeiten schützen, indem er Röntgenbilder per Einschreiben mit Rückschein versendet oder Röntgenbilder nur gegen Erteilung einer Quittung übergibt.

17

Vor allem aber die im Urteil des OLG München (NJW 2001, S. 2806) aufgeführten, im Interesse aller Beteiligten liegenden praktischen Gründe sprechen dafür, eine Einsichtnahme durch Überlassung zu gewähren. Die Bewertung von Röntgenaufnahmen erfordert nicht nur eine besondere Sachkunde, sondern auch einen gewissen zeitlichen Aufwand, insbesondere dann, wenn es darum geht, verschiedene Röntgenbilder miteinander zu vergleichen, gerade dann, wenn es um die Beurteilung wenig offensichtlicher Krankheitsbilder geht. Um dieses zu bewerkstelligen, ist regelmäßig die Benutzung eines Röntgenbildbetrachters erforderlich. Die mit der Begutachtung im Auftrage der Klägerin befasste Person müsste also entweder einen Röntgenbildbetrachter mitbringen oder aber einen solchen in der Praxis des Arztes benutzen. Außerdem müsste der Arzt dem Gutachter eine Räumlichkeit zur Einsichtnahme zur Verfügung stellen, was insbesondere in räumlich beengten Arztpraxen mit Schwierigkeiten und mit Störungen des Praxisbetriebes verbunden sein könnte. Die begutachtende Person wird unter diesen Umständen auch nicht immer die notwendige Ruhe und Konzentration zum Vergleich der Röntgenaufnahmen finden.

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Der Beklagte benötigt die Röntgenaufnahmen nicht aktuell, da unstreitig die Behandlung der Klägerin beendet ist.

19

Die Herausgabe von Röntgenbildern im Original zur Überlassung zur Einsichtnahme entspricht daher dem wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, sodass aus diesen Erwägungen heraus ein wichtiger Grund entsprechend § 811 Abs. 1 S. 2 BGB zu bejahen ist.

20

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.


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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 811 Vorlegungsort, Gefahr und Kosten


(1) Die Vorlegung hat in den Fällen der §§ 809, 810 an dem Orte zu erfolgen, an welchem sich die vorzulegende Sache befindet. Jeder Teil kann die Vorlegung an einem anderen Orte verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. (2) Die Gefahr und die

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(1) Die Vorlegung hat in den Fällen der §§ 809, 810 an dem Orte zu erfolgen, an welchem sich die vorzulegende Sache befindet. Jeder Teil kann die Vorlegung an einem anderen Orte verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.

(2) Die Gefahr und die Kosten hat derjenige zu tragen, welcher die Vorlegung verlangt. Der Besitzer kann die Vorlegung verweigern, bis ihm der andere Teil die Kosten vorschießt und wegen der Gefahr Sicherheit leistet.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.