Landgericht Karlsruhe Urteil, 02. März 2007 - 6 O 242/06

bei uns veröffentlicht am02.03.2007

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 6.126,96 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.06.2004 zu bezahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

 
Das klagende Eisenbahnverkehrsunternehmen verlangt von dem beklagten Eisenbahninfrastrukturunternehmen Schadensersatz aus dem Haftpflichtgesetz wegen der Kollision einer Stadtbahn mit einem Wildschwein.
Am 20.03.2003 kollidierte der klägerische Triebwagen der Linie A, Wagen Nr. 123, auf dem Gleisabschnitt der Beklagten zwischen den Haltepunkten X. und Z. mit einem Wildschwein, das in den Gleisbereich gelaufen war.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass ein unfallbedingter Schaden in Höhe von EUR 18.380,86 entstanden ist.
Die Klägerin lässt sich eine mitwirkende Betriebsgefahr ihrer Stadtbahn in Höhe von EUR 1/3 anrechnen und klagte daher zunächst auf Zahlung von 2/3 des Schadensbetrages (EUR 12.253,91). Nach Klageerhebung zahlte die Beklagte entsprechend der von ihr für rechtmäßig gehaltenen Haftungsquote 1/3 des Schadensbetrages (EUR 6.126,95) nebst Zinsen (AS 33). Insoweit ist von einer übereinstimmenden Teilerledigterklärung auszugehen (AS 43, 47; vgl. auch AS 53).
Die Klägerin beantragte zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 6.126,96 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.06.2004 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
10 
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
I.
11 
Zurecht geht die Klägerin davon aus, dass sie gem. § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1, Abs. 2 Haftpflichtgesetz von der Klägerin insgesamt 2/3 des entstandenen Schadens verlangen kann, also auch das noch nicht befriedigte letzte Drittel.
12 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 158, 130 - 142) findet das Haftpflichtgesetz auch im Verhältnis zwischen einem Eisenbahnverkehrsunternehmen und einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen Anwendung.
13 
Das Auftreten von Wild auf oder neben Gleisen ist nicht als höhere Gewalt im Sinne des § 1 Abs. 2 Haftpflichtgesetz anzusehen (OLG Dresden, Urteil v. 31.05.2006, 12 U 215/05, dortige Seite 5, AH 73).
14 
Dass die Beklagte sich die von ihrer Stadtbahn ausgehende Betriebsgefahr nur zu einem Drittel anrechnen lassen muss, entspricht der Rechtsprechung des OLG Jena (Urteil v. 23.03.2006, Az.: 1 U 1049/05, dortige Seite 7, AH 65) und der Rechtsprechung des OLG Dresden (a. a. O., dortige Seite 7 - 8, AH 77 - 79). Diese Rechtsprechung, die die Blockade der Gleise durch ein Rind bzw. einen Hirsch betraf, ist nach der Ansicht der Kammer auf den vorliegenden Wildschwein-Unfall übertragbar.
15 
Bei der Bemessung der von der Stadtbahn ausgehenden Betriebsgefahr berücksichtigte das Gericht durchaus, dass Schienenbahnen eine hohe Geschwindigkeit aufweisen können, ein Fahren auf Sicht für gewöhnlich nicht möglich ist, dass die bewegten Fahrzeuge eine große Masse aufweisen, dass damit ein langer Bremsweg verbunden ist und dass wegen der Schienengebundenheit ein Ausweichen nicht möglich ist.
16 
Wegen dieser zuletzt genannten Schienengebundenheit ist jedoch die Blockade der Schienen von besonderem Gewicht. Von ihr geht in erster Linie die Gefahrenlage aus.
17 
Soweit das Argument vorgebracht wurde, dass ein Tier für gewöhnlich nur kurze Zeit auf den Gleisen verweile, während ein Stein oder ein Baum längere Zeit dort liege, hat dies keine Auswirkung auf die Bewertung der Gefahrenlage. Abzustellen ist auf den jeweiligen Zeitpunkt des Unfalls. Schutzzweck eines Gefährdungshaftungstatbestandes ist es gerade, zu jedem Zeitpunkt einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Anlagebetreiber eine Gefahrenquelle eröffnet. Zwar mag es sein, dass beim Herannahen des Zuges das Wildschwein sich doch noch vom Gleis fortbewegen kann, während der Stein naturgemäß liegen bleibt. Von einem solchen Ausweichverhalten eines Wildschweins im letzten Moment profitiert die Beklagte jedoch schon dadurch in ausreichendem Umfang, dass sie bei einem solchen folgenlosen Geschehensablauf mangels Unfalls und mangels Schadens überhaupt nicht haften müsste.
18 
Das Gericht sieht keinen Anhaltspunkt dafür, dass die zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Vereinbarungen zu einer Entlastung der Beklagten führen könnten, soweit es die Haftung nach dem Haftpflichtgesetz angeht.
II.
19 
Die Zinsentscheidung ergibt sich unter dem Verzugsgesichtspunkt (vgl. AH 11).
20 
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91, § 91 a ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Gründe

 
10 
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
I.
11 
Zurecht geht die Klägerin davon aus, dass sie gem. § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1, Abs. 2 Haftpflichtgesetz von der Klägerin insgesamt 2/3 des entstandenen Schadens verlangen kann, also auch das noch nicht befriedigte letzte Drittel.
12 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 158, 130 - 142) findet das Haftpflichtgesetz auch im Verhältnis zwischen einem Eisenbahnverkehrsunternehmen und einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen Anwendung.
13 
Das Auftreten von Wild auf oder neben Gleisen ist nicht als höhere Gewalt im Sinne des § 1 Abs. 2 Haftpflichtgesetz anzusehen (OLG Dresden, Urteil v. 31.05.2006, 12 U 215/05, dortige Seite 5, AH 73).
14 
Dass die Beklagte sich die von ihrer Stadtbahn ausgehende Betriebsgefahr nur zu einem Drittel anrechnen lassen muss, entspricht der Rechtsprechung des OLG Jena (Urteil v. 23.03.2006, Az.: 1 U 1049/05, dortige Seite 7, AH 65) und der Rechtsprechung des OLG Dresden (a. a. O., dortige Seite 7 - 8, AH 77 - 79). Diese Rechtsprechung, die die Blockade der Gleise durch ein Rind bzw. einen Hirsch betraf, ist nach der Ansicht der Kammer auf den vorliegenden Wildschwein-Unfall übertragbar.
15 
Bei der Bemessung der von der Stadtbahn ausgehenden Betriebsgefahr berücksichtigte das Gericht durchaus, dass Schienenbahnen eine hohe Geschwindigkeit aufweisen können, ein Fahren auf Sicht für gewöhnlich nicht möglich ist, dass die bewegten Fahrzeuge eine große Masse aufweisen, dass damit ein langer Bremsweg verbunden ist und dass wegen der Schienengebundenheit ein Ausweichen nicht möglich ist.
16 
Wegen dieser zuletzt genannten Schienengebundenheit ist jedoch die Blockade der Schienen von besonderem Gewicht. Von ihr geht in erster Linie die Gefahrenlage aus.
17 
Soweit das Argument vorgebracht wurde, dass ein Tier für gewöhnlich nur kurze Zeit auf den Gleisen verweile, während ein Stein oder ein Baum längere Zeit dort liege, hat dies keine Auswirkung auf die Bewertung der Gefahrenlage. Abzustellen ist auf den jeweiligen Zeitpunkt des Unfalls. Schutzzweck eines Gefährdungshaftungstatbestandes ist es gerade, zu jedem Zeitpunkt einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Anlagebetreiber eine Gefahrenquelle eröffnet. Zwar mag es sein, dass beim Herannahen des Zuges das Wildschwein sich doch noch vom Gleis fortbewegen kann, während der Stein naturgemäß liegen bleibt. Von einem solchen Ausweichverhalten eines Wildschweins im letzten Moment profitiert die Beklagte jedoch schon dadurch in ausreichendem Umfang, dass sie bei einem solchen folgenlosen Geschehensablauf mangels Unfalls und mangels Schadens überhaupt nicht haften müsste.
18 
Das Gericht sieht keinen Anhaltspunkt dafür, dass die zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Vereinbarungen zu einer Entlastung der Beklagten führen könnten, soweit es die Haftung nach dem Haftpflichtgesetz angeht.
II.
19 
Die Zinsentscheidung ergibt sich unter dem Verzugsgesichtspunkt (vgl. AH 11).
20 
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91, § 91 a ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

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Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.