Landgericht Bonn Urteil, 16. Okt. 2014 - 18 O 103/14
Tenor
Die Klage wird wegen des Klageantrags zu Ziffer 2. abgewiesen.
1
Tatbestand
2Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1) als Fahrerin des von dem Beklagten zu 2) gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkws vom Typ W $$$ auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.
3Am 30.07.2011 kam es gegen 03:50 Uhr auf der M-Straße L 11 zwischen T und B zu einem Verkehrsunfall, bei welchem der Sohn des Klägers, Herr C, geb. am ##.##.####, tödlich verunglückte.
4Die Beklagte zu 1) befuhr aus Richtung T kommend die L 11 als Fahrerin des Pkw W $$$, amtliches Kennzeichen $$-&& ###. Im Bereich der Abzweigung zur L 499 erfasste sie den Sohn des Klägers als Fußgänger mit ihrem Fahrzeug. Dieser erlitt durch den Aufprall schwerste Verletzungen, an welchen er noch an der Unfallstelle verstarb. Der genaue Unfallhergang ist streitig.
5In der Folgezeit zahlte der Kläger einen Betrag in Höhe von 21.219,76 € für Leistungen bezüglich der Beerdigung seines Sohnes. Für eine (eigene) stationäre Rehabilitationsmaßnahme wandte der Kläger 2.229 € auf. Die Beklagte zu 3) zahlte auf den materiellen Schaden insgesamt einen Betrag von 5.000 €.
6Der Kläger begehrt mit der Klage weiteren Ersatz der ihm entstandenen Kosten sowie ein angemessenes Schmerzensgeld.
7Der Kläger behauptet, dass sich bei ihm infolge des Unfalltodes seines Sohnes sowohl erhebliche seelische als auch damit einhergehende körperliche Beeinträchtigungen eingestellt hätten. So befand er sich vom 01.02. – 29.02.2012 in einer stationären Rehabilitationsbehandlung.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn
10- 11
1. 18.448,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem [jeweiligen] Basiszinssatz seit dem 18.12.2012 zu zahlen,
- 12
2. ein angemessenes Schmerzensgeld aus dem erlittenen Schockschaden zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 5.000 €,
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3. 961,28 € vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem [jeweiligen] Basiszinssatz seit dem 18.12.2012 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
15die Klage abzuweisen.
16Sie behaupten,
17vor der Beklagten zu 1) habe sich ein weiterer Pkw befunden, der an der Abzweigung zur M-Straße nach rechts abgebogen sei. Daher habe sich die Beklagte zu 1) entschlossen, unter teilweiser Ausnutzung der Gegenfahrbahn an dem abbiegenden Pkw vorbeizufahren. Der Sohn des Klägers habe die Straße von rechts nach links überqueren wollen und habe sich zum Zeitpunkt der Kollision mittig auf der Fahrbahn befunden.
18Ergänzend wird wegen des Parteivorbringens auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
19Entscheidungsgründe
20Die Klage ist zulässig, aber bezüglich des geltend gemachten Schmerzensgelds (Klageantrag zu Ziffer 2.) unbegründet.
21I. Der Erlass eines Teilurteils nach § 301 I ZPO ist zulässig, da die geltend gemachten Ansprüche zum einen rechtlich teilbar sind und zum anderen ein Anspruch auf Ersatz eines Schmerzensgelds bereits dem Grunde nach nicht entstanden ist und daher der weitere Gang des Verfahrens – die Klärung der Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten – keinen Einfluss mehr auf das Ergebnis der Beurteilung dieses Anspruchs haben kann.
22II. Ein Anspruch auf Ersatz eines angemessenes Schmerzensgelds steht dem Kläger weder aus § 18 I StVG (iVm § 115 VVG) noch aus § 7 I StVG (iVm § 115 VVG) noch aus § 823 I BGB gegen die Beklagten zu.
23Denn diese Anspruchsgrundlagen gewähren grundsätzlich nur einen Ersatz desjenigen Schadens, der auf einer unmittelbaren eigenen Verletzung durch den Schädiger beruht. Vorliegend geht es aber um eine Gesundheitsschädigung des Klägers aufgrund der Nachricht von der Verletzung bzw. Tötung eines Dritten, nämlich seines Sohnes. Derartige mittelbare Schädigungen werden nur in den Ausnahmefällen der §§ 844 und 845 BGB erfasst (BGH NJW 1989, 2317).
24Doch ist anerkannt, dass eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 823 I BGB keine physische Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraussetzt, sondern vielmehr auch psychisch vermittelt werden kann (BGH NJW 1971, 1883; BGH NJW 1984, 1405; BGH NJW 1986, 777; Staudinger-Hager, BGB, 13. Bearbeitung, § 823, Rz. B 31). Nicht jede psychisch vermittelte Beeinträchtigung ist indes ersatzfähig.
25Psychische Beeinträchtigungen beim Tod naher Angehöriger sind daher nur dann als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 I BGB anzusehen, wenn sie pathologisch fassbar sind und deshalb nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit angesehen werden (BGH NJW 1989, 2317). Hierzu muss die seelische Erschütterung, die bei der Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen erlebt wird, zu psychopathologischen Ausfällen von einiger Dauer führen und deutlich über das hinausgehen, was gewöhnlicherweise in einem solchen Fall zu erleiden ist (BGH NJW 1971, 1883; BGH NJW 1884, 1405; BGH NJW 1989, 2317 (2318); kritisch Hager, aaO., Rz. B 34).
26Die von dem Kläger vorgetragenen erheblichen seelischen wie körperlichen Beeinträchtigungen sind die regelmäßige Folge eines solch tragischen Erlebnisses und noch nicht als eine außergewöhnliche Reaktion zu betrachten. Auch das von Herrn Dr. med. X vorgelegte ärztliche Attest, in dem dieser von einer schweren Schockeinwirkung mit reaktiven depressiven Episoden, massiver Erschöpfung, Beschwerden im Bewegungsapparat und Schwindel spricht, aufgrund derer sich der Kläger in eine stationäre Rehabilitation begeben musste, ändert an dieser Bewertung nichts.
27Denn zum einen rechtfertigt selbst eine tiefe depressive Verstimmung nach einem derartigen Schicksalsschlag einen eigenen Schmerzensgeldanspruch nicht (OLG Köln VersR 1989, 519) und zum anderen listet der Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik auch die Behandlung von Erkrankungen auf, die bereits vor dem Unfalltod des Sohne des Klägers bestanden haben. Zwar muss der Schädiger bereits vor der Verletzung bestehende schädliche Anlagen beim Geschädigten grundsätzlich hinnehmen, sodass ein Ersatzanspruch deshalb nicht entfällt, allerdings bestanden beim Kläger hier nicht lediglich schädliche Anlagen, sondern teilweise schon seit Jahren bestehende und behandelte Vorerkrankungen. Die Verschlimmerung einer solchen Vorerkrankung durch eine Schocknachricht rechtfertigt aber grundsätzlich nicht die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes (BGH NJW 1984, 1405). Soweit der Entlassungsbericht von psychovegetativer Erschöpfung und Verspannungen spricht, handelt es sich hierbei wiederum nicht um ungewöhnliche, über das normale Maß der Trauer, des Schmerzes und der körperlichen Belastung durch ein derartig traumatisches Erlebnis hinausgehende Reaktionen und Auswirkungen. Zudem beruhte diese Belastung auch auf dem Tod des Vaters des Klägers im letzten Jahr, also der Kumulation zweier Todesfälle in der Familie in kurzer Zeit.
28Dass der Kläger sich in einer derartigen Lebenssituation in eine Rehabilitationsmaßnahme oder gar eine psychologische Betreuung begab, erscheint angesichts der tragischen Schicksalsschläge nicht ungewöhnlich und spricht nicht per se für eine über das „normale“ Maß der Trauer in einem solchen Fall hinausgehende Reaktion.
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(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen,
- 1.
wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder - 2.
wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder - 3.
wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist.
(2) Der Anspruch nach Absatz 1 unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.
(1) Im Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.
(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war.
(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.
Im Falle der Tötung, der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung hat der Ersatzpflichtige, wenn der Verletzte kraft Gesetzes einem Dritten zur Leistung von Diensten in dessen Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet war, dem Dritten für die entgehenden Dienste durch Entrichtung einer Geldrente Ersatz zu leisten. Die Vorschrift des § 843 Abs. 2 bis 4 findet entsprechende Anwendung.