Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08

ECLI:ECLI:DE:LARBGSH:2008:0311.2SA11.08.0A
bei uns veröffentlicht am11.03.2008

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 7.11.2007 - 4 Ca 1176 c/07 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger ist 1967 geboren, ledig und einer Person zum Unterhalt verpflichtet. Bei der Beklagten war er seit dem 01.09.1998 als technischer Angestellter in der Haustechnik zu einem Bruttomonatsgehalt von 3.600 EUR einschließlich Sonderzahlungen, Überstundenentgelt und Zuschlägen sowie Zuschüssen beschäftigt.

3

Am 12.04.2006 fand eine Abteilungsbesprechung der Abteilung Haustechnik statt, auf der der Kläger kritisiert wurde. Unmittelbar im Anschluss daran meldete er sich arbeitsunfähig krank. Ab dem 27.09.2006 trat der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme an und teilte am 09.11.2006 mit, dass er arbeitsunfähig aus der Rehabilitationsklinik entlassen worden sei und die Maßnahme nicht den erhofften Erfolg gehabt habe. Am 03.05.2007 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger, seiner Verlobten, dem Betriebsratsvorsitzenden B. und der Personalleiterin S. statt, dessen Inhalt im Einzelnen strittig ist. Frau S. übergab dem Kläger Unterlagen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement und bat den Kläger, sich bis zum 09.05.2007 zu melden. Nachdem der Kläger nicht reagierte, teilte die Beklagte ihm unter dem 22.05.2007 mit, sie gehe davon aus, dass er ein betriebliches Eingliederungsmanagement ablehne. Mit Schreiben vom 18.06.2007 (Bl. 7 d.A.) unterrichtete sie den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung und kündigte mit Schreiben vom 27.06.2007 (Bl. 4 d.A.), zugegangen am selben Tag, das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2007. Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 06.06.2007 erhobenen Klage gewehrt.

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozialwidrig und der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Er trägt vor, er sei durch eine gut dreieinhalb Jahre andauernde Mobbingsituation sowohl im engeren Kollegen- und Vorgesetztenkreis, als auch im weiteren Umfeld des Arbeitsbereichs in seiner körperlichen und seelischen Gesundheit derartig beeinträchtigt, dass eine intensive und lang anhaltende Behandlung erforderlich sei. Eine negative Gesundheitsprognose habe nicht bestanden, da seine behandelnden Ärzte und Therapeuten zuversichtlich seien, dass seine Gesundheit in absehbarer und für die Beklagte zumutbarer Zeit wieder hergestellt werden könnte. Er habe im Gespräch vom 03.05.2007 die betriebliche Mobbingsituation angesprochen. Da Frau S. es abgelehnt habe, sich über diesen Punkt weiter zu unterhalten, sei deutlich geworden, dass die Beklagte an einer Wiedereingliederung nicht interessiert gewesen sei. Die Betriebsratsanhörung sei nicht korrekt erfolgt, da der Sachverhalt dem Betriebsrat nicht vollständig und richtig mitgeteilt worden sei.

5

Der Kläger hat beantragt,

6

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2007 nicht beendet wird;

7

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als technischer Angestellter/Haustechnik weiterzubeschäftigen.

8

Die Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Die Beklagte ist der Behauptung des Klägers, seine Erkrankung sei auf eine Mobbingsituation zurückzuführen, entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe gegenüber Frau S. in einem Telefonat vom 24.04.2006 erklärt, seine Erkrankung sei allein auf Knieprobleme zurückzuführen. Sie, die Beklagte, habe zahlreiche erfolglose Versuche unternommen, mit dem Kläger über seinen Gesundheitszustand und mögliche Zeithorizonte, innerhalb derer er die Arbeit wieder aufnehmen könnte, zu sprechen. Der Kläger habe zu verstehen gegeben, dass er nicht bereit sei, Gespräche mit seinem Vorgesetzten oder der Personalleitung zu führen. In dem Gespräch vom 03.05.2007 habe der Kläger letztlich erklärt, sich nicht vorstellen zu können, auf seinen alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Im Zeitpunkt der Kündigung sei die Wiederherstellung des Klägers völlig ungewiss gewesen. Die lang andauernde Erkrankung führe zu einer erheblichen Belastung des Betriebes. Die drei Kollegen des Klägers im Bereich der Grundversorgung müssten regelmäßig Überstunden in erheblichem Umfang ableisten. Eine befristete Einstellung einer Ersatzkraft sei angesichts des Fachkräftemangels und einer Einarbeitungszeit von mindestens sechs Monaten nicht möglich.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 07.11.2007 abgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen. Gegen dieses am 13.12.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.01.2008 mit Fax- und am 10.01.2008 im Original beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese am 06.02.2008 mit Fax- und am 08.02.2008 im Original begründet.

12

Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe bei der Feststellung einer negativen Prognose nicht berücksichtigt, dass es für einen medizinischen Laien nicht möglich sei, konkrete Angaben zum Krankheitsverlauf und der Wiederherstellung seiner Gesundheit zu machen. Er habe daher Beweis durch die Benennung seiner behandelnden Ärzte und Therapeuten angeboten und sei bereits zuvor - wie nun erfolgt - bereit gewesen, diese von ihrer ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Zudem sei er im Zeitpunkt der Kündigung erst 14 Monate erkrankt gewesen. Eine negative Prognose könne aber erst bei dem Erreichen einer zweijährigen Arbeitsunfähigkeit angenommen werden. Der Kläger behauptet, die Überstunden seiner Kollegen seien auf andere Ursachen als seiner Erkrankung zurückzuführen. Auch habe das Gericht die vorgetragene Mobbingsituation falsch bewertet. Der Kläger habe sich gerade in Behandlung begeben, um solchen Situationen im Betrieb der Beklagten in Zukunft Stand halten zu können.

13

Der Kläger beantragt,

14

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 07.11.2007 - 4 Ca 1176c/07 - abzuändern und im Weiteren festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2007 nicht beendet wird, und im Falle des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als technischer Angestellter/Haustechnik weiter zu beschäftigen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

18

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie frist- und formgemäß eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. b, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO. In der Sache hat sie jedoch nicht Erfolg.

20

Die Kündigung ist nicht sozialwidrig, § 1 KSchG. Die Beklagte war vielmehr berechtigt, das Arbeitsverhältnis wegen der lang andauernden Erkrankung des Klägers aus personenbedingten Gründen fristgerecht zu kündigen. Demgemäß hat das Arbeitsgericht zu Recht die Klage abgewiesen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

21

Dem Arbeitsgericht ist zuzustimmen, dass der Vortrag des Klägers sowohl zur Erschütterung der von der Beklagten angestellten negativen Gesundheitsprognose als auch zur behaupteten Mobbingsituation völlig unzureichend ist. Die Angriffe der Berufung können ein anderes Ergebnis nicht rechtfertigen.

22

Lediglich ergänzend und auf den Sachvortrag der Parteien in der Berufungsinstanz eingehend, wird auf Folgendes hingewiesen:

23

Das Arbeitsgericht ist zutreffend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sozialen Rechtfertigung von Kündigungen ausgegangen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden. Danach ist eine dreistufige Prüfung vorzunehmen. Die Kündigung ist im Falle lang anhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe -(st. Rspr. des BAG, z.B. Urteil v. 19.04.2007 - 2 AZR 239/06 - NZA 2007, 1041 m. w. N. ). Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (BAG Urteil v. 12.04.2002 - 2 AZR 148/01, BAGE 101, 39).

24

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ergibt sich vorliegend, dass die Kündigung des Klägers aufgrund lang anhaltender Krankheit aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

25

Die unstreitig im Zeitpunkt der Kündigung bereits 14 Monate andauernde Arbeitsunfähigkeit indiziert eine negative Gesundheitsprognose. Entgegen der Ansicht des Klägers ist dabei nicht erforderlich, dass die Arbeitsunfähigkeit bereits 24 Monate bestand, sondern dass in den nächsten 24 Monaten, abgestellt auf den Zeitpunkt der Kündigung, mit einer anderen Prognose, mithin der Besserung des Gesundheitszustandes, nicht gerechnet werden kann (BAG Urteil v. 12.04.2002 - 2 AZR 148/01 - a.a.O.).

26

Hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung sowie die ihm bekannten Krankheitsursachen darlegt. Dabei kann der Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit eine gewisse Indizwirkung zukommen. Wenn der Arbeitnehmer konkret, gegebenenfalls unter Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht, dartut, dass mit einer früheren Genesung zu rechnen ist, obliegt nunmehr dem Arbeitgeber der Beweis für die Berechtigung der negativen Prognose (BAG Urteil v. 12.04.2002 - 2 AZR 148/01 - a.a.O.).

27

Die Beklagte hat ihrer Darlegungslast dadurch genügt, dass sie die Krankheitsdauer und die weiteren ihr bekannten Umstände vortrug. Der Kläger hat dagegen keine konkreten Anhaltspunkte für eine zu erwartende Besserung seines Gesundheitszustandes vorgetragen, die an der negativen Prognose zweifeln lassen. Der Kläger hat lediglich unter Hinweis auf seine behandelnden Ärzte und Therapeuten angeführt, dass diese „in absehbarer und zumutbarer Zeit“ von einer Besserung ausgingen. Er hätte jedoch darlegen müssen, weshalb zukünftig trotz vorliegender Arbeitsunfähigkeit mit einer Besserung seines Gesundheitszustandes zu rechnen sei. Auch bei einem medizinischen Laien gelten diese Anforderungen an die Darlegungslast. Es reicht nicht aus, nur die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Kläger hätte vielmehr zusätzlich mindestens im Einzelnen konkret vortragen müssen, weshalb der jeweilige Arzt die gesundheitliche Entwicklung konkret positiv beurteilt hat (LAG Schleswig-Holstein Urteil v. 03.11.2005 - 3 Sa 320/05 - NZA-RR 2006, 129). Das ist hier nicht geschehen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, von welcher Diagnose die Ärzte ausgegangen sind, welche Behandlungen erfolgten und aufgrund welcher neuen Kausalverläufe trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit nunmehr die künftige Entwicklung positiv zu beurteilen ist. Erst nach derartigen konkreten Anhaltspunkten wäre seinem nachzugehen und Beweis zu erheben gewesen.

28

Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ist aufgrund der krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit des Klägers zu bejahen. Der Einwand des Klägers, die Überstunden seiner Kollegen seien auf andere betriebliche Gründe zurückzuführen, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. In Fällen lang andauernder Arbeitsunfähigkeit liegt die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bereits darin, dass das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung auf unbestimmte Zeit gestört ist (BAG Urteil v. 21.05.1992 - 2 AZR 399/91 - NZA 1993, 491).

29

Auch die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die vom Kläger behauptete Mobbingsituation nicht berücksichtigt. Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, auf welche Weise er in den vergangenen Jahren an und im Umfeld seines Arbeitsplatzes gemobbt worden ist. Der Kläger hat sich in seinem Vortrag lediglich darauf beschränkt, er sei in der Abteilungsbesprechung vom 12.04.2006 „massiv mit unberechtigten Vorwürfen überzogen und massiv unter Druck gesetzt“ worden. Weder hat er Wortlaut oder Inhalt der Kritik wiedergegeben noch weitere Vorfälle dargelegt, die auf eine dreieinhalbjährige Mobbingsituation schließen lassen. Selbst auf den gerichtlichen Hinweis des Berufungsgerichts hin hat er seinen Vortrag nicht präzisiert.

30

Der Kläger hat gemäß § 97 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

31

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08

Referenzen - Gesetze

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08 zitiert 6 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 03. Nov. 2005 - 3 Sa 320/05

bei uns veröffentlicht am 03.11.2005

Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.4.05 - 4 Ca 2242 b/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 11. März 2008 - 2 Sa 11/08.

Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 10. Juli 2014 - 8 sa 399/14

bei uns veröffentlicht am 10.07.2014

Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 24.10.2013 – 4 Ca 1954/12 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen. 1T a t b e s t a n d 2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit ein

Referenzen

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.4.05 - 4 Ca 2242 b/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen.

2

Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 30 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat 2 Kinder. Seit dem 09.08.1993 ist sie bei der Beklagten tätig. Zuletzt war sie als Angestellte im Bereich 100%-Kontrolle von OP-Nadeln eingesetzt. Die Klägerin erhielt rund 2.026,00 € brutto monatlich. Für die Dauer von rund 4 Jahren befand sie sich in Elternzeit.

3

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin entwickelte sich wie folgt:

4

1993 und 1994 arbeitete die Klägerin als Raumpflegerin mit 20 Stunden pro Woche. In dieser Zeit verfügte sie über keine wesentlichen Fehlzeiten.

5

1995 war die Klägerin 67 Arbeitstage arbeitsunfähig krank.

6

1996 war sie bis zum Beginn ihres Mutterschutzes im Juli 59 Arbeitstage arbeitsunfähig krank.

7

Von Juli 1996 bis Ende Mai 1998 befand sie sich in Elternzeit.

8

1998 war die Klägerin dann von Juni bis Dezember 12 Arbeitstage arbeitsunfähig krank.

9

Im Jahre 1999 fehlte die Klägerin krankheitsbedingt an 61 Arbeitstagen. Mit Ausnahme von 1x 7 Arbeitstagen und 1x 10 Arbeitstagen handelt es sich jeweils um kurze Fehlzeiten mit einer Dauer von 1 bis 5 Arbeitstagen.

10

Im Jahre 2000 war die Klägerin an 34 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. Mit Ausnahme einer 11 Arbeitstage andauernden Erkrankung fehlte die Klägerin jeweils zwischen 1 und 5 Arbeitstagen.

11

2001 erkrankte die Klägerin an 65 Arbeitstagen. Diese unterteilen sich auf 3 Zeiträume zwischen jeweils 1 1/2 und 3 Wochen sowie weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten von 1 bis 3 Arbeitstagen.

12

2002 bis Februar 2004 befand sich die Klägerin wiederum in Elternzeit.

13

Von April bis Ende September 2004 sind Arbeitsunfähigkeitszeiten von 51 Arbeitstagen festzustellen. Hinzu kommen Fehlzeiten von 8 Arbeitstagen wegen kranker Kinder.

14

Den Fehlzeiten lagen jeweils wechselnde Krankheitsursachen zugrunde, z. B. Kreislaufbeschwerden, starke Kopfschmerzen, Gastroenteritis, Grippe, akute Bronchitis, HWS-Syndrom, eitrige Tonsilitis, Schwindel, Sinusitis, Bronchitis, Virusinfekt, Pollenallergie etc. Die Beklagte zahlte nahezu für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung. Insoweit liefen Kosten in Höhe von rund 21.500,00 € in der Zeit zwischen 1999 bis September 2004 auf. Hinsichtlich der Einzelheiten der krankheitsbedingten Fehlzeiten, der aufgelaufenen Entgeltfortzahlungskosten sowie der den Fehlzeiten zugrunde liegenden Diagnosen wird auf Bl. 10, 14 bis 15 der Akte; Seite 2 bis 8 des erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 24.02.2005 (Bl. 50-57 d. A.) sowie Seite 3 bis 5 des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

15

Am 09.09. und 14.09.2004 führte die Beklagte mit der Klägerin Krankheitsgespräche. Deren Inhalt ist streitig. Im Anschluss daran hörte die Beklagte am 18.10.2004 den Betriebsrat unter ausführlicher Darstellung des Sachverhaltes zum Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung an (Bl. 11-16 d. A.). Der Betriebsrat widersprach am 20.10.2004 der beabsichtigten Kündigung (Bl. 12 d. A.). Der seitens der Beklagten vorgetragene Inhalt der Betriebsratsanhörung ist zweitinstanzlich unstreitig gestellt worden. Die Beklagte übermittelte der Klägerin noch am 20.10.2004 die streitbefangene Kündigung zum 31.12.2004.

16

Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage wies das Arbeitsgericht mit Urteil vom 21.04.2005 ab. Das geschah im Wesentlichen mit der Begründung, die Klägerin habe die sich aus den Fehlzeiten ergebende negative Zukunftsprognose nicht substantiiert erschüttert, vielmehr nur ins Blaue hinein behauptet, dass sie in Zukunft nicht mehr oder nicht mehr im bisherigen Umfang fehlen werde. Angesichts der Entgeltfortzahlungskosten, des jungen Lebensalters und der jahrelangen hohen Ausfallzeiten sei die Kündigung gerechtfertigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.04.2005 Bezug genommen.

17

Gegen diese der Klägerin am 15.06.2005 zugestellte Entscheidung legte sie am 13.07.2005 Berufung ein, die nach Fristverlängerung fristgemäß am 12.09.2005 begründet wurde. Sie ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Nach ihrer Ansicht reicht ihr unter Beweis gestelltes Vorbringen zu ihren Arbeitsunfähigkeitszeiten aus, um die sich aus der Vergangenheit ergebende negative Zukunftsprognosen nachhaltig zu erschüttern. Das ergebe sich bereits daraus, dass sie die Diagnosen für die Arbeitsunfähigkeitszeiten offen gelegt und unter Beweisantritt sowie Beifügung von Schweigepflichtsentbindungserklärungen mitgeteilt habe, jede einzelne Krankheitsursache sei ausgeheilt. Hieraus ergebe sich, dass keine Wiederholungsgefahr für die Zukunft bestehe. Mithin könne nicht, jedenfalls nicht ohne Sachverständigengutachten von einer negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden. Im Übrigen habe die Beklagte nicht substantiiert zu unzumutbaren betrieblichen Beeinträchtigungen vorgetragen. Die erforderliche Interessenabwägung habe u. a. unter Berücksichtigung ihrer langen Betriebszugehörigkeit zu ihren Gunsten ausgehen müssen.

18

Die Klägerin beantragt,

19

das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.04.2005 - Az 4 Ca 2242 b/04 - zu ändern und

20

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 20.10.2004 nicht aufgelöst ist, sondern unverändert fortbesteht,

21

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Angestellte im Bereich 100%-Kontrolle-OP-Nadeln weiter zu beschäftigen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.04.2005 - Az 4 Ca 2242 b/04 - zurückzuweisen.

24

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher, als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Sie habe unter Berücksichtigung der Fehlzeiten der Klägerin 6 Jahre lang Geduld und Fürsorge gezeigt. Da jedoch während nahezu der gesamten Dauer des Beschäftigungsverhältnisses kein ausgewogener Leistungsaustausch zu verzeichnen sei, sei die Kündigung unter Berücksichtigung der erheblichen Fehlzeiten, einer sich hieraus ergebenden hohen Krankheitsanfälligkeit der Klägerin sowie der hohen Entgeltfortzahlungskosten sozial gerechtfertigt.

25

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

27

Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen und insbesondere darauf abgestellt, dass die Klägerin die sich aus ihren hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten ergebende negative Zukunftsprognose nicht hinreichend erschüttert hat und auch die übrigen Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung vorliegen. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Lediglich ergänzend wird folgendes ausgeführt.

28

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist von folgendem Prüfungsmaßstab auszugehen.

29

a) Zunächst ist - erste Stufe - eine negative Gesundheitsprognose erforderlich; es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gem. § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist (BAG v. 07.11.2002 - 2 AZR 599/01 = AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969, Krankheit).

30

b) Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch erhebliche wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen pro Jahr übersteigende Lohnfortzahlungskosten zu einer derartigen erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen (BAG a.a.O).

31

c) Liegt eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einem 3. Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen, wobei u. a. zu berücksichtigen ist, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Lohnfortzahlungskosten aufzuwenden hatte; ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG a.a.O).

32

Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Das gilt auch für die bei einer krankheitsbedingten Kündigung anzustellende Gesundheitsprognose. Aus über viele Jahre fortlaufend aufgetretenen zahlreichen Erkrankungen lässt sich beispielsweise bei einem noch verhältnismäßig jungen Arbeitnehmer durchaus auf die Gefahr sich ständig wiederholender Erkrankungen schließen (vgl. BAG v. 20.01.2000 - 2 AZR 378/99 - zit. nach Juris).

33

2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ergibt sich vorliegend, dass die Kündigung der Klägerin aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

34

a) Die unstreitigen Fehlzeiten der Klägerin indizieren eine negative Gesundheitsprognose. Allein in den Jahren 1999, 2000, 2001 und 2004 hat die Klägerin wegen häufiger Kurzerkrankungen jährlich zwischen rund 7 und 12 - 13 Wochen krankheitsbedingt gefehlt. Auch wenn zu ihren Gunsten im Jahre 2001 die auf Wehen zurückzuführenden 27 Krankheitstage unberücksichtigt bleiben, verbleiben immer noch 38 Arbeitstage, mithin rund 7,6 Wochen, an denen die Klägerin wegen verschiedenster Krankheitsursachen ihre Arbeitsleistung nicht erbringen konnte. Das Krankheitsbild ist vielfältig und zieht sich von Kreislaufbeschwerden, über starke Kopfschmerzen, eitrige Tonsilitis, HWS-Syndrom, Schwindelanfälle, Grippeinfekte, Gastroenteritis, Bronchitis, Sinusitis, Nierenkolik, hin bis im Jahre 2004 zu psychovegetativer Erschöpfung, Pollenallergie, akutem Virusinfekt, Rückenschmerzen, akuter Bronchitis.

35

Zu Gunsten der Kläger kann unterstellt werden, dass - mit Ausnahme der Pollenallergie - ggf. fast jede dieser einzelnen, zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen individuell ausgeheilt ist. Gleichwohl kann deshalb vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass demzufolge nicht mit weiteren erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen ist. Es kann insoweit nicht nur auf die Einzelerkrankung abgestellt werden. Zur Überzeugung der Kammer ergibt aus den Krankheitsursachen, die den Fehlzeiten der Klägerin zugrunde liegen, eine überdurchschnittlich hohe Krankheitsanfälligkeit. Die Diagnosen weisen ein hohes Maß von wechselnden infektiösen Erkrankungen aus. Ferner ergibt sich ein weiterer Arbeitsunfähigkeitskomplex aus dem Kreislauf- und Belastungsbereich. Insoweit fällt auf, dass die Klägerin regelmäßig wegen Kreislaufproblemen/starken Kopfschmerzen /Schwindel/ Rückenschmerzen gefehlt hat. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass bereits knapp 2 Monate nach Ende der letzten Elternzeit in der Zeit vom 13.04. bis zum 16.05.2004 eine Arbeitsunfähigkeitszeit auftrat, die auf psychovegetativer Erschöpfung beruhte und 24 Arbeitstage erfasste. Die Klägerin war jedoch gerade erst wieder 2 Monate im Betrieb der Beklagten tätig. Hieraus ergibt sich nach Ansicht der Kammer, dass die Klägerin körperlich auf ihre familiäre und berufliche Belastung reagiert und deswegen die vielen Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten. Für die Kammer ergibt sich gerade aus der Gesamtheit des Krankheitsbildes der Klägerin, dass auch in Zukunft mit weiteren überdurchschnittlich zahlreichen Erkrankungen der Klägerin zu rechnen ist.

36

Der Klägerin kann nicht in ihrer Auffassung gefolgt werden, auch bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen dürften für die Feststellung einer negativen Gesundheitsprognose all diejenigen Kurzerkrankungen nicht mehr herangezogen werden, die individuell ausgeheilt sind und nicht in regelmäßigen Abständen wieder aufgetreten seien. Deshalb seien sämtliche Erkrankungen für das Jahr 2000, die Wehen für das Jahr 2001, sowie für das Jahr 2004 der Virusinfekt sowie der Erschöpfungszustand gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Dann verblieben jedoch nur noch geringe Arbeitsunfähigkeitszeiten.

37

So vorzugehen, würde es einem Arbeitgeber in Bezug auf einen krankheitsanfälligen Arbeitnehmer, der immer nur Kurzerkrankungen aufweist, unmöglich machen, eine berechtigte krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen aussprechen zu können, obgleich er gerade insoweit von hohen Entgeltfortzahlungskosten getroffen ist. Das typische für Kurzerkrankungen ist gerade, dass diese naturgemäß ausheilen. Zweifelsfrei sind Diagnosen wie vorliegend die Wehen, oder andere Diagnosen wie z.B. Knochenbrüche, Verrenkungen, bestimmte OPs oder Ähnliches aus dem Fehlzeitenbild herauszurechnen, weil sich aus ihnen an sich keine Wiederholungsgefahr ergibt. Gleichwohl können andere Krankheiten, die zwar hinsichtlich ihrer individuellen Ursache in Bezug auf den einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeitraum ausgeheilt sind, aufgrund ihres Diagnosetyps dahingehend Schlussfolgerungen ermöglichen, dass sie aufgrund einer persönlichen konstitutionellen Schwäche derart gehäuft aufgetreten sind, mithin angesichts unveränderter Lebensumstände auch künftig in ähnlichem Umfang auftreten werden. So liegt es hier. Die Klägerin war u. a. einerseits immer wieder wegen einer Vielzahl von Infekten arbeitsunfähig krank, andererseits wegen Kreislaufbeschwerden, Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel, psychovegetativer Erschöpfung. Um insoweit die auf Infektanfälligkeit und starke Belastung zurückzuführende Erwartung weiterer erheblicher künftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten; eine sich aus besonderer Krankheitsanfälligkeit ergebende negative Gesundheitsprognose zu erschüttern, reichte das Vorbringen der Klägerin, ihre individuellen Einzelerkrankungen seien ausgeheilt, vorliegend nicht aus.

38

Die Klägerin hätte vielmehr dartun müssen, weshalb zukünftig trotz gleich bleibend unverändert hoher Belastung nicht mit weiteren derart hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen ist (vgl. hierzu BAG vom 7.11.2002 - 2 AZR 599/01 - unter I., 2. b) - zitiert nach Juris). Bei einer derartigen Fallkonstellation reicht es nicht aus, nur die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Klägerin hätte vielmehr zusätzlich mindestens im Einzelnen konkret vortragen müssen, dass die Ärzte die gesundheitliche Entwicklung konkret positiv beurteilt haben (vgl. hierzu BAG a.a.O). Das fehlt jedoch vorliegend. Die Klägerin hat nichts dazu vorgetragen, dass und wann ggfs. welcher Arzt insgesamt die künftige Entwicklung ihrer Erkrankungszeiten positiv beurteilt hat. Wie das Arbeitsgericht erstinstanzlich zutreffend festgestellt hat, hat sie lediglich ins Blaue hinein behauptet, künftig werde alles besser. Angesichts der sich ergebenden besonderen Krankheitsanfälligkeit hätte die Klägerin zumindest vortragen müssen, vor welchem tatsächlichen Hintergrund, ggf. aufgrund welcher neuen Kausalverläufe trotz der hohen Krankheitszeiten sie oder ihre Ärzte für die Zukunft von einer positiven Entwicklung ausgehen. Erst dann wäre diesem Vorbringen ggf. nachzugehen und /oder ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen.

39

Mithin liegt eine sich aus den Fehlzeiten der Vergangenheit infolge besonderer Krankheitsanfälligkeit ergebende negative Zukunftsprognose vor. Sie ist von der Klägerin nicht erschüttert worden.

40

b) Auch eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ist zu bejahen. Die Entgeltfortzahlungskosten, die die Beklagte seit 1999 für die Klägerin erbracht hat, sprechen für sich. Die Beklagte hat Jahr für Jahr im Jahre 1999, 2000, 2001 und 2004 Entgeltfortzahlungskosten für mehr als 6 Wochen pro Jahr geleistet.

41

c) Letztendlich ist auch die gebotene Interessenabwägung durch das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht zu Lasten der Klägerin vorgenommen worden. Das Arbeitsverhältnis hat ca. 11 Jahre bestanden. Davon war die Klägerin real 4 Jahre nicht tätig, befand sich vielmehr in Elternzeit. Von den verbleibenden 7 Jahren waren lediglich ca. 1 1/2 Jahre ausgewogen. Seit 1995 ist das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung gestört. Seit diesem Zeitraum fallen hohe Entgeltfortzahlungskosten an. Die Klägerin ist mit 30 Jahren noch unverhältnismäßig jung. Gleichwohl war sie während des aktiven Arbeitsverhältnisses seit 1995 mit Ausnahme des Jahres 1998 Jahr für Jahr jeweils mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig krank. Bei diesem Lebenssachverhalt ist nicht ersichtlich, dass sich die Gefahr sich ständig wiederholender Erkrankungen reduziert. Das gilt erst recht angesichts der Tatsache, dass 2004 eine längere Arbeitsunfähigkeit wegen psychovegetativem Erschöpfungszustand und eine Pollenallergie neu hinzugekommen sind. Vor diesem Hintergrund können auch ihre Unterhaltslasten zu keinem für sie günstigen Ergebnis führen.

42

3. Nach alledem war der Kündigungsschutzantrag unbegründet. Die Klage ist zu Recht abgewiesen worden. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

44

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, sodass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

45

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Im Übrigen wird auf § 72a ArbGG verwiesen.


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.