Finanzgericht München Urteil, 27. Dez. 2017 - 1 K 2510/14

published on 27.12.2017 00:00
Finanzgericht München Urteil, 27. Dez. 2017 - 1 K 2510/14
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Tenor

1. In Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2009 vom 10. Dezember 2010, für 2010 vom 15. Juni 2012 und für 2012 vom 12. Mai 2014 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. August 2014 werden unter Anwendung der Öffnungsklausel gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG 22,11% der Versorgungsleistungen des Klägers aus der Bayer. Ärzteversorgung der Ertragsanteilsbesteuerung unterworfen und die Einkommensteuer 2009, 2010 und 2012 entsprechend festgesetzt. Die Berechnung der Einkommensteuern wird dem Finanzamt auferlegt.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen bis zur Einschränkung des Antrags in der mündlichen Verhandlung die Kläger zu 60% und das Finanzamt zu 40%, im Übrigen das Finanzamt.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt. 4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Gründe

I.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten.

Der Kläger bezog in den Streitjahren 2009, 2010, 2012 (Streitjahre) u.a. Einkünfte aus Versorgungsleistungen aus der bayerischen Ärzteversorgung (Versorgungsleistungen).

Der Kläger leistete ab 1970 Beiträge zur Bayer. Ärzteversorgung; während seiner Auslandstätigkeit leistete er Beiträge als freiwilliges Mitglied. Insgesamt zahlte der Kläger ausweislich des Schreibens der Bayer. Ärzteversorgung Beiträge für die Jahre 1985, 1987, 1995, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001 und 2003 jeweils über dem Höchstbeitrag zur Angestelltenversicherung. Davon zahlte er allein im Jahr 2003 einen Betrag von €. Laut den Überweisungsträgern vom waren hiervon freiwillige Mehrzahlungen in Höhe von insgesamt € für das Kalenderjahr 2002 bestimmt.

Mit Schreiben vom September 2012 teilte die Bayer. Ärzteversorgung dem Kläger auf seinen Antrag hin mit, dass für die Anwendung der sog. Öffnungsklausel die erforderlichen 10 Jahre nicht erfüllt seien, da er vor dem 1. Januar 2005 nur in 9 Jahren Einzahlungen oberhalb des Angestelltenversicherungshöchstbeitrages geleistet habe. Das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFHvom 19. Januar 2010 X R 53/08 (BFH/NV 2010, 986) sei auf die Bayer. Ärzteversorgung nicht übertragbar. Rentenrechtlich würden bei der Bayer. Ärzteversorgung Beitragszahlungen nach dem Jahr ihrer Einzahlung verrentet und nicht nach dem Jahr, für das sie möglicherweise bestimmt gewesen seien.

Anders als vom Kläger beantragt, wandte das beklagte Finanzamt die sog. Öffnungsklausel nicht an und besteuerte die Versorgungsleistungen des Klägers mit einem steuerpflichtigen Anteil von 50% nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG).

Das Finanzamt wies den hiergegen erhobenen Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzungen der sog. Öffnungsklausel nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG erfüllt seien. Der Kläger habe die Beiträge zu den Versorgungsleistungen nahezu ausschließlich aus eigenen Mitteln bezahlt. Er habe diese Beiträge in den Beitragsjahren auch nur in den engen Grenzen der damaligen Höchstbeträge steuerlich absetzen können und damit größtenteils aus versteuertem Einkommen bezahlt. Der Kläger habe neun Jahre Beiträge oberhalb des Betrags des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung eingezahlt. Streitig sei allein, ob der Kläger im Jahre 2003 rentenrechtlich eine Nachzahlung für 2002 habe leisten können.

II.

Die Klage ist begründet.

Im Streitfall ist die Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 Einkommensteuergesetz in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) anzuwenden. Damit sind die Renten, soweit sie auf Beiträgen des Klägers oberhalb des allgemeinen Höchstbeitrags nach § 27 der Bayer. Ärzteversorgung der Jahre 1985, 1987, 1995, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001, 2002 und 2003 gezahlt worden sind, mit dem Ertragsanteil nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG zu versteuern.

1. Gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG sind u.a. Leibrenten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen mit dem Besteuerungsanteil von 50% zu besteuern, wenn die Rente im Jahr 2005 oder in früheren Jahren begonnen hat. Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG kann aber auf Antrag für Leibrenten und andere Leistungen, soweit diese auf bis zum 31. Dezember 2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden, der (niedrigere) Ertragsanteil, wie er sich aus der Tabelle zu Satz 4 dieser Vorschrift ergibt, angesetzt werden.

Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass der Betrag des Höchstbeitrages mindestens zehn Jahre überschritten wurde (vgl. auch BFH-Urteil vom 17. November 2015 X R 40/13, BFH/NV 2016, 388). Dabei kommt es nicht allein darauf an, in welchem Jahr, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge geleistet worden sind (vgl. auch BFH in BFH/NV 2010, 986).

Aus dem Wortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG folgt (nur), dass von der sog. Öffnungsklausel die Rentenzahlungen betroffen sind, die darauf beruhen, dass Rentenbeitragszahlungen oberhalb des jeweiligen Höchstbeitrages geleistet worden sind. Der Vorschrift ist keine Aussage darüber zu entnehmen, wann die Zahlungen oberhalb des Höchstbeitrags erfolgt sein müssen; die einzige zeitliche Begrenzung ist der 31. Dezember 2004, bis zu dem sich Zahlungen für die Öffnungsklausel qualifizieren konnten.

Sinn und Zweck der sog. Öffnungsklausel ist allein die Vermeidung einer möglichen verfassungswidrigen Doppelbesteuerung, die sich daraus ergeben kann, dass ein Steuerpflichtiger eine Altersrente als Einnahme versteuern muss, obwohl er die von ihm getragenen Beiträge, aufgrund derer er die Rente erhält, gerade wegen der Höhe nicht oder nicht vollständig als Sonderausgabe abziehen konnte (vgl. auch BFH in BFH/NV 2010, 986). So wurde aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 28. April 2004 die sog. Öffnungsklausel in das Alterseinkünftegesetz aufgenommen, weil nach Auffassung des Finanzausschusses eine unzutreffende, doppelte Besteuerung dann auftreten kann, wenn der Zeitraum, in dem die Beiträge oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze geleistet worden sind, mehr als zehn Jahre betragen (Bundestagsdrucksache 15/3004,S. 20). Dabei ist es nicht sachgerecht, lediglich auf das Jahr der Zahlung der Beiträge abzustellen. Denn es geht hier nicht darum, in welchem Jahr die Vorsorgeaufwendungen einkommensteuermindernd geltend gemacht werden können, sondern um die Vermeidung einer möglichen verfassungswidrigen Doppelbelastung (vgl. auch BFH in BFH/NV 2010, 986). Nachzahlungen, die rentenrechtlich möglich sind, sind auch im Rahmen der Öffnungsklausel zu berücksichtigen. Rentenrechtlich möglich ist entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung in dem BMF-Schreiben vom 19. August 2013 (BStBl 2013 I 1087, Rz. 240) nicht gleichzusetzen mit „rentenrechtlich wirksam“, d.h. ab wann die Einzahlung tatsächlich rentenerhöhend wirkt. Dafür findet sich in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 3 EStG keine gesetzliche Grundlage. Die einzige zeitliche Begrenzung ist der 31. Dezember 2004, bis zu dem sich Zahlungen für die Öffnungsklausel qualifizieren konnten (vgl. auch BFH in BFH/NV 2010, 986)

Unstreitig hatte der Kläger zur Erhöhung seiner Rentenanwartschaften die Möglichkeit, Nachzahlungen für ein Kalenderjahr bis zum Ablauf des Folgejahres zu leisten (§ 27 Abs. 3 der derzeit geltenden Fassung der Satzung der Bayer. Ärzteversorgung sowie die Erläuterungen in den Bescheiden vom und Oktober 2003). Damit sind diese Nachzahlungen, soweit sie für ein abgelaufenes Jahr möglich waren, zur Berechnung des Höchstbeitrages im Rahmen der Öffnungsklausel zu berücksichtigen.

2. Der Kläger hat einen Nachweis, dass seine Beiträge mindestens 10 Jahre den Höchstbeitrag zu seiner Rentenversicherung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG überschritten haben, entgegen der Auffassung des Finanzamtes auch erbracht.

Unstreitig hat er neun Jahre Rentenbeiträge oberhalb des Höchstbeitrages gezahlt.

Zudem ist auch der in 2003 für 2002 gezahlte Beitrag mit in die Berechnung der erforderlichen 10 Jahre einzubeziehen.

Nach den Satzungsvorschriften der Bayer. Ärzteversorgung hatte der Kläger die Möglichkeit zur Erhöhung der Versorgungsanwartschaften freiwillige Mehrzahlungen zu leisten, die wie Pflichtbeiträge verrentet werden. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Beitragsbescheid vom Oktober 2003, einem Merkblatt über Hinweise und Erläuterungen zum Erhebungsbogen für das Jahr 2002 sowie aus § 27 Abs. 3 der Satzung der Bayer. Ärzteversorgung. Der Beitragsbescheid vom Oktober 2003 ist zwar offensichtlich hinsichtlich der Zahlungen für 2003 mit Bescheid vom Oktober korrigiert worden. Die Festsetzung der freiwilligen Mehrzahlung für 2002 in Höhe von € wurde nicht geändert, sondern nochmals bestätigt. Dies deckt sich auch im Wesentlichen mit der Zweckbestimmung auf den Überweisungsträgern vom und September 2003. Diese Mehrzahlungen sind entsprechend dem Merkblatt aus dem Jahr 2002 auch bis zum Ablauf des Jahres 2003 auf einem Konto der Bayer. Ärzteversorgung eingegangen.

Entgegen dem Finanzamt ist diese freiwillige Mehrzahlung eine mögliche rentenrechtliche Nachzahlung, die zur Anwendung der Öffnungsklausel führt. Denn entscheidend ist nicht, wann die Zahlung sich tatsächlich rentenrechtlich auswirkt. Hieran ändert auch der vom Finanzamt vorgetragene § 38 Abs. 2 der Bayer. Ärzteversorgung nichts. Denn wie oben ausgeführt, betrifft diese Regelung die tatsächliche Erhöhung der Rente aufgrund einer Nachzahlung. Für die Anwendung der sog. Öffnungsklausel und der Bestimmung der erforderlichen 10 Jahre allerdings kommt es hierauf nicht an, da allein entscheidend ist, dass Mehrzahlungen rentenrechtlich möglich sind. Denn Sinn und Zweck dieser Öffnungsklausel ist nicht die Besteuerung dieser Nachzahlung, sondern einer möglichen Doppelbelastung von Versorgungsleistungen in außergewöhnlichen Fällen zu begegnen. So wurde aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 28. April 2004 die sog. Öffnungsklausel in das Alterseinkünftegesetz aufgenommen, weil nach Auffassung des Finanzausschusses eine unzutreffende, doppelte Besteuerung dann auftreten kann, wenn der Zeitraum, in dem Beiträge oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze geleistet worden sind, mehr als zehn Jahre beträgt (Bundestagsdrucksache 15/3004, S. 20). Damit folgt aus der Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG, dass es nicht nur darauf ankommt, in welchem Jahr die Beiträge gezahlt, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge gezahlt werden. Der Vorschrift ist keine Aussage darüber zu entnehmen, in welchen Jahren vor 2005 diese Zahlungen oberhalb des Höchstbeitrages erfolgt sein müssen.

3. Die Möglichkeit, rechtsmissbräuchlich in den Geltungsbereich der Öffnungsklausel zu gelangen, eröffnet diese Auslegung „rentenrechtlich möglich“ nicht. Denn zum einen werden nur Zahlungen vor 2005 berücksichtigt. Zum anderen sind zumindest nach der Satzung der Bayer. Ärzteversorgung freiwillige Mehrzahlungen lediglich für ein abgelaufenes Kalenderjahr möglich.

4. Dem Nachweis seiner Zahlungen jenseits des Höchstbeitrages über 10 Jahre steht die Bescheinigung der Bayer. Ärzteversorgung, die ausführt, dass Beitragszahlungen nach § 38 Abs. 2 der Bayer. Ärzteversorgung rentenrechtlich erst nach dem Jahr ihrer Einzahlung und nicht nach dem Jahr, für das sie bestimmt waren, verrentet werden, nicht entgegen. Denn diese Bescheinigung betrifft letztlich die Frage der Rentenhöhe; sie hat keine Bedeutung für die Besteuerung der Renten.

5. Im Hinblick auf die ursprünglichen Anträge der Kläger ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 136 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung.

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(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili
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published on 17.11.2015 00:00

Tenor 1. Das Rubrum des Urteils des Finanzgerichts München, Außensenate Augsburg, vom 17. September 2013  6 K 2191/11 wird in der Weise berichtigt, dass als Kläger anstelle des verstorbenen E desse
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Annotations

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.