Europäischer Gerichtshof Urteil, 12. Sept. 2018 - C-304/17

ECLI:ECLI:EU:C:2018:701
bei uns veröffentlicht am12.09.2018

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

12. September 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – Besondere Zuständigkeiten – Art. 5 Nr. 3 – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung oder einer ihr gleichgestellten Handlung – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht – Verbraucher mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, der über Vermittlung einer Bank mit Sitz in diesem Mitgliedstaat von einer Bank mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgegebene Papiere erworben hat – Zuständigkeit für die von diesem Verbraucher erhobene Klage wegen Haftung dieser Bank aus unerlaubter Handlung“

In der Rechtssache C‑304/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 10. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2017, in dem Verfahren

Helga Löber

gegen

Barclays Bank plc

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter C. G. Fernlund, J.‑C. Bonichot, S. Rodin und E. Regan,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Frau Löber, vertreten durch Rechtsanwalt L. Aigner,

der Barclays Bank plc, vertreten durch Rechtsanwalt H. Bielesz,

der griechischen Regierung, vertreten durch G. Papadaki, S. Papaioannou und T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Mai 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Helga Löber und der Barclays Bank plc wegen einer gegen diese Bank gerichteten Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung.

Rechtlicher Rahmen

3

Die Erwägungsgründe 11 und 12 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:

„(11)

Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12)

Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.“

4

Art. 2 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

5

Art. 5 Nrn. 1 und 3 der Verordnung sieht vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.

a)

wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

3.

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

6

Barclays Bank ist eine Bank mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich) und einer Zweigniederlassung in Frankfurt am Main (Deutschland).

7

Sie gab X1 Global EUR Index Zertifikate (im Folgenden: Zertifikate) in Form von Inhaberschuldverschreibungen aus, die institutionelle Investoren zeichneten und danach am Sekundärmarkt u. a. an Verbraucher in Österreich weiterverkauften.

8

Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines deutschen Basisprospekts vom 22. September 2005, der bei der Österreichischen Kontrollbank notifiziert wurde, und eines Konditionenblatts vom 20. Dezember 2005. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief vom 20. Dezember 2005 bis zum 24. Februar 2006. Die Zertifikate wurden am 31. März 2006 emittiert.

9

Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert der Zertifikate richtete sich nach einem Index, der aus einem Portfolio mehrerer Zielfonds gebildet wurde, so dass dieser Wert unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft war. Dieses Portfolio sollte von der X1 Fund Allocation GmbH mit Sitz in Deutschland errichtet und verwaltet werden. Da aber das in die Zertifikate investierte Geld für ein Schneeball-Betrugssystem verwendet worden war, gingen die Gelder weitgehend verloren und die Zertifikate wurden wertlos.

10

Frau Löber mit Wohnsitz in Wien (Österreich) investierte über zwei verschiedene österreichische Banken mit Sitz in Salzburg (Österreich) bzw. in Graz (Österreich) einen Gesamtbetrag von 28648,43 Euro in diese Zertifikate.

11

Als geschädigte Anlegerin reichte Frau Löber beim Handelsgericht Wien (Österreich) gegen Barclays Bank Klage auf Zahlung von 34459,06 Euro, Feststellung der vertraglichen und deliktischen Haftung von Barclays Bank und Rechnungslegung ein. Zur Stützung ihres Vorbringens macht sie insbesondere geltend, dass die Prospektangaben über die Zertifikate mangelhaft gewesen seien.

12

Mit Beschluss vom 18. Juli 2016 erklärte sich das Handelsgericht Wien für unzuständig und wies die Klage u. a. mit der Begründung zurück, dass Frau Löber in Bezug auf den Tatbestand von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht vorgebracht habe, dass sich der fragliche Schaden unmittelbar auf einem ihr zuzuordnenden Bankkonto bei einer Bank in Wien (Österreich) verwirklicht hätte. Frau Löber habe die Zertifikate über Banken mit Sitz in Graz bzw. in Salzburg erworben, daher sei dieser Schaden an diesen Orten und nicht im Zuständigkeitsbereich des Handelsgerichts Wien eingetreten.

13

Frau Löber legte gegen diesen Beschluss Rechtsmittel beim Oberlandesgericht Wien (Österreich) ein, das mit Beschluss vom 6. Dezember 2016 die Entscheidung bestätigte und zu dem Ergebnis kam, dass Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 anzuwenden sei und die österreichischen Gerichte unzuständig seien.

14

Frau Löber legte gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien beim vorlegenden Gericht Revisionsrekurs ein und beantragte, die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien namentlich aufgrund von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 festzustellen.

15

Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist nach Art 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 für außervertragliche Ansprüche wegen Prospekthaftung dann, wenn

der Anleger seine durch den mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung an seinem Wohnsitz getroffen hat

und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto bei einer anderen österreichischen Bank überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde,

a)

jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Anleger seinen Wohnsitz hat,

b)

jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale jener Bank liegt, bei der der Kläger sein Bankkonto hat, von dem er den investierten Betrag auf das Verrechnungskonto überwiesen hat,

c)

jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale der Bank liegt, bei der sich das Verrechnungskonto befindet,

d)

nach Wahl des Klägers eines dieser Gerichte zuständig,

e)

keines dieser Gerichte zuständig?

Zur Vorlagefrage

16

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wie Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 bei der Entscheidung über eine von einem Anleger, der in einem Mitgliedstaat wohnhaft ist und in diesem investiert hat, eingereichte Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung wegen der Mangelhaftigkeit der ein Zertifikat betreffenden Prospektangaben gegen die Bank, die dieses Zertifikat emittiert hat und ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, für die Zwecke der Bestimmung der zuständigen Gerichte eines Mitgliedstaats als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, im Sinne dieser Bestimmung auszulegen ist, wenn der von diesem Anleger geltend gemachte Schaden in einem finanziellen Verlust besteht, der auf einem Bankkonto bei einer Bank mit Sitz im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem er wohnhaft ist, eingetreten ist.

17

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die besondere Zuständigkeitsregel in Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung autonom und eng auszulegen ist (Urteile vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 43, vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 37, und vom 21. April 2016, Austro-Mechana, C‑572/14, EU:C:2016:286, Rn. 29).

18

Die nach Art. 2 dieser Verordnung vorgesehene Zuständigkeit, d. h. die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, stellt die allgemeine Regel dar. Diese Verordnung sieht besondere oder ausschließliche Zuständigkeitsregeln nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend aufgeführte Fälle vor, in denen eine Person vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats – je nach Lage des Falles – verklagt werden kann oder muss (Urteile vom 13. Juli 2006, Reisch Montage, C‑103/05, EU:C:2006:471, Rn. 22, und vom 12. Mai 2011, BVG, C‑144/10, EU:C:2011:300, Rn. 30).

19

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich die Wendung „unerlaubte Handlung oder … Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ auf jede Klage, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll und die nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 anknüpft (Urteile vom 27. September 1988, Kalfelis, 189/87, EU:C:1988:459, Rn. 17 und 18, vom 13. März 2014, Brogsitter, C‑548/12, EU:C:2014:148, Rn. 20, vom 21. April 2016, Austro-Mechana, C‑572/14, EU:C:2016:286, Rn. 32, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 24).

20

Im Einzelnen hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung für eine Klage, mit der der Emittent eines Zertifikats aus Prospekthaftung und wegen Verletzung sonstiger ihm obliegender Informationspflichten in Anspruch genommen wird, gilt, sofern diese Haftung keine Vertragsangelegenheit im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a dieser Verordnung ist (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 57).

21

Was den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens angeht, genügt die Feststellung, dass zum einen das vorlegende Gericht darauf hinweist, dass die Haftung wegen des Prospekts, die vor ihm geltend gemacht wurde, keine Vertragsangelegenheit sei, und zum anderen Frau Löber mit ihrer Klage im Ausgangsverfahren insbesondere die Haftung von Barclays Bank aus unerlaubter Handlung anspricht.

22

In Bezug auf die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ist darauf hinzuweisen, dass sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint ist, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (Urteile vom 10. Juni 2004, Kronhofer, C‑168/02, EU:C:2004:364, Rn. 16, vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 45, vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 38, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 28).

23

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, nicht so weit ausgelegt werden darf, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar sind, der bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort eingetretenen Schaden verursacht hat (Urteile vom 19. September 1995, Marinari, C‑364/93, EU:C:1995:289, Rn. 14, vom 10. Juni 2004, Kronhofer, C‑168/02, EU:C:2004:364, Rn. 19, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 34), und dass sich diese Wendung nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes – als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens – bezieht, weil dem Kläger durch den Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist (Urteile vom 10. Juni 2004, Kronhofer, C‑168/02, EU:C:2004:364, Rn. 21, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 35).

24

Somit rechtfertigt allein die Tatsache, dass den Kläger finanzielle Konsequenzen treffen, nicht die Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte seines Wohnsitzes, wenn sowohl das ursächliche Geschehen als auch die Verwirklichung des Schadenserfolgs im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats anzusiedeln sind (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 49).

25

Dagegen ist eine solche Zuständigkeitszuweisung gerechtfertigt, soweit der Wohnsitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C 375/13, EU:C:2015:37, Rn. 50).

26

Im vorliegenden Fall betrifft der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens die Bestimmung des Orts der Verwirklichung des Schadenserfolgs.

27

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dieser Ort der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 52).

28

Zudem hat der Gerichtshof festgestellt, dass nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 die Gerichte am Wohnsitz des Klägers in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs für eine Klage, mit der der Emittent eines Zertifikats aus Prospekthaftung und wegen Verletzung sonstiger ihm obliegender Informationspflichten in Anspruch genommen wird, insbesondere dann zuständig sind, wenn sich der behauptete Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 57).

29

In seinem Urteil vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding (C‑12/15, EU:C:2016:449), hat der Gerichtshof erläutert, dass sich dieser Befund in einen besonderen Zusammenhang eingefügt hat, der von Umständen geprägt war, die zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beigetragen haben (Urteil vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 37).

30

So hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat (Urteil vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 40).

31

Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass die spezifischen Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens insgesamt zur Zuweisung der Zuständigkeit an die österreichischen Gerichte beitragen.

32

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, hat Frau Löber nämlich ihren Wohnsitz in Österreich, und alle Zahlungen für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Investitionsvorgang sind von österreichischen Bankkonten, d. h. von ihrem persönlichen Bankkonto und den speziell der Durchführung dieses Vorgangs gewidmeten Verrechnungskonten, aus durchgeführt worden.

33

Im Übrigen geht außer dem Umstand, dass Frau Löber im Rahmen dieses Vorgangs nur mit österreichischen Banken zu tun hatte, aus der Vorlageentscheidung auch hervor, dass sie die Zertifikate auf dem österreichischen Sekundärmarkt erworben hat, dass die Angaben, die ihr zu diesen Zertifikaten übermittelt wurden, die Prospektangaben sind, wie sie der Österreichischen Kontrollbank notifiziert wurden, und dass sie die ihr Vermögen endgültig belastende Verpflichtung, die Anlage zu tätigen, auf der Grundlage dieser Angaben in Österreich eingegangen ist.

34

Außerdem steht unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Zuweisung der Zuständigkeit an die österreichischen Gerichte im Einklang mit den in den Erwägungsgründen 11 und 12 der Verordnung Nr. 44/2001 angeführten Zielen der Vorhersehbarkeit der in dieser Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsregeln, der Nähe der durch diese Regeln bezeichneten Gerichte zu dem Rechtsstreit sowie der geordneten Rechtspflege.

35

Den Ort, an dem die Bank, die das Konto der Klägers führt, auf dem sich dieser Schaden unmittelbar verwirklicht hat, ihren Sitz hat, als Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs anzusehen, wird insoweit dem Ziel der Verordnung Nr. 44/2001, den Rechtsschutz der in der Union ansässigen Personen zu stärken, indem dem Kläger eine leichte Identifizierung des Gerichts, das er anrufen kann, und zugleich dem Beklagten eine angemessene Vorhersehbarkeit des Gerichts, vor dem er verklagt werden kann, ermöglicht wird, gerecht, da sich der Emittent eines Zertifikats, der seinen gesetzlichen Pflichten in Bezug auf den Prospekt nicht nachkommt, wenn er beschließt, den Prospekt zu diesem Zertifikat in anderen Mitgliedstaaten notifizieren zu lassen, darauf einstellen muss, dass nicht hinreichend informierte Wirtschaftsteilnehmer, die in diesen Mitgliedstaaten ansässig sind, in dieses Zertifikat investieren und den Schaden erleiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 56).

36

Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der ein Anleger eine Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung gegen eine Bank, die ein Zertifikat ausgegeben hat, in das er investiert hat, wegen des Prospekts zu diesem Zertifikat erhoben hat, die Gerichte des Wohnsitzes dieses Anlegers als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, im Sinne dieser Bestimmung für die Entscheidung über diese Klage zuständig sind, wenn sich der behauptete Schaden, der in einem finanziellen Verlust besteht, unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Anlegers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht hat und die anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen.

Kosten

37

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der ein Anleger eine Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung gegen eine Bank, die ein Zertifikat ausgegeben hat, in das er investiert hat, wegen des Prospekts zu diesem Zertifikat erhoben hat, die Gerichte des Wohnsitzes dieses Anlegers als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, im Sinne dieser Bestimmung für die Entscheidung über diese Klage zuständig sind, wenn sich der behauptete Schaden, der in einem finanziellen Verlust besteht, unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Anlegers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht hat und die anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen.

 

Silva de Lapuerta

Fernlund

Bonichot

Rodin

Regan

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. September 2018.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Die Präsidentin der Ersten Kammer

R. Silva de Lapuerta


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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