Bundesgerichtshof Urteil, 10. Apr. 2014 - X ZR 74/11

bei uns veröffentlicht am10.04.2014
vorgehend
Bundespatentgericht, 1 Ni 11/09, 01.02.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 7 4 / 1 1 Verkündet am:
10. April 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. April 2014 durch die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Dr. Bacher
und Hoffmann sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1. Februar 2011 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: Das europäische Patent 1 023 236 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 die nachfolgende Fassung erhält, auf die sich die übrigen Patentansprüche rückbeziehen: 1. An elevator system (10) having a car (12) and a counterweight (16) disposed within a hoistway (23) defined by hoistway walls (30), the elevator system including: a rope (20) engaged with the car (12) and the counterweight (16) so as to suspend the car and the counterweight in a 2:1 roping arrangement with underslung car, the rope including a plurality of load-carrying members (53) arranged side by side, wherein the loadcarrying members (52) are formed from steel wires, the steel wires having a diameter of 0.25 mm or less, a sheath (54), wherein the sheath (54) is formed from a non-metallic material, and a single machine (22) including a traction sheave (36) and a motor (32), the machine (22) being arranged within the hoistway (23) in such a way that the axial dimension of the motor (32) including the traction sheave (36) extends horizontally and alongside the hoistway wall (30) adjacent to the counterweight (16), the motor having a rotor (44) and a stator (42) wherein the rotor (44) is spaced radially inward of the stator (42) and wherein the motor includes a radial air gap (50) between the rotor (44) and the stator (42), the traction sheave (36) being directly connected with the rotor (44) for concurrent rotation, the traction sheave (36) being engaged with the rope (20) to drive the rope through traction between the rope and the traction sheave, and thereby drive the car (12) through the hoistway (23), wherein the rotor (44) is formed in part from permanent magnets (48), and wherein the rope (20) has a width w, a thickness t measured in the bending direction, and an aspect ratio, defined as the ratio of width w relative to thickness t, greater than one, such that the rope (20) is thinner and the traction sheave (36) is smaller in diameter compared to the situation where a round rope having the same cross section as the rope (20) engages a traction sheave. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 023 236 (Streitpatents), das am 19. Februar 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität dreier amerikanischer Voranmeldungen vom 26. Februar, 9. Oktober bzw. 22. Dezember 1998 international angemeldet worden ist. Es umfasst in der im Beschwerdeverfahren erhaltenen Fassung 7 Ansprüche, deren erster in der Verfahrenssprache lautet: "An elevator system having a car and a counterweight (16) disposed within a hoistway (23) defined by hoistway walls (30), the elevator system including: a rope (20) engaged with the car (12) and the counterweight (16) so as to suspend the car and counterweight , the rope including one or more load-carrying members (52), wherein the load-carrying members (52) are formed from steel wires having a diameter of 0.25 mm or less, and a sheath (54), wherein the sheath is formed from a non-metallic material; and a machine (22) arranged within the hoistway and includinga traction sheave (36) and a motor (44) and a stator (42), wherein the rotor (44) is spaced radially inward of the stator (42), and further including an air gap (50) between the rotor (44) and stator (42), the traction sheave (36) being directly connected with the rotor (44) for concurrent rotation and engaged with the rope (20) to drive the rope through traction between the rope and traction sheave, and thereby drive the car (12) through the hoistway (23), wherein the rotor (44) is formed in part from permanent magnets (48); wherein the rope (20) has a width w, a thickness t measured in the bending direction, and an aspect ratio, defined as the ratio of width w relative to thickness t, greater than one."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus; auch sei der Schutzbereich des Streitpatents erweitert worden.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent, das die Beklagte in beschränkter Fassung verteidigt hat, für nichtig erklärt.
4
Mit ihrer Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verteidigt die Beklagte das Streitpatent beschränkt in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung.
5
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. K. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


6
I. Das Streitpatent betrifft ein Aufzugsystem.
7
1. Ein solches System umfasst, wie in der Beschreibung des Streitpatents erläutert wird, typischerweise eine Kabine und ein Gegengewicht, die in einem Aufzugschacht angeordnet sind, eine Mehrzahl von Seilen, die die Kabine und das Gegengewicht miteinander verbinden, und eine in einem Maschinenraum über dem Aufzugschacht angeordnete Maschine mit einer Treibscheibe , die mit den Seilen zusammenwirkt. Im Stand der Technik habe es einem neuen Trend in der Aufzugindustrie entsprochen, den Maschinenraum einzusparen und alle Aufzugkomponenten im Aufzugschacht anzuordnen.
8
Die bisherigen Lösungen im Stand der Technik hätten jedoch den Nachteil , dass die Motoren nur geringe Traglasten mit niedrigen Geschwindigkeiten verfahren konnten oder zu groß ausfielen, um vollständig im Aufzugschacht untergebracht zu werden.
9
Vor diesem Hintergrund liegt dem Gegenstand des Streitpatents das Problem zugrunde, Aufzugsysteme zu entwickeln, die den verfügbaren Platz effektiv nutzen und die Last- und Geschwindigkeitsanforderungen über einen breiten Anwendungsbereich erfüllen (Streitpatent, Sp. 2 Abs. 9).
10
2. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 in der von der Beklagten zuletzt verteidigten Fassung (im Folgenden nur: Patentanspruch 1) ein Aufzugsystem vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (kursiv die erstmals in der Berufungsinstanz hinzugefügten Ergänzungen, in eckigen Klammern die Merkmalsbezeichnungen des Patentgerichts): Aufzugsystem (10), 1. das in einem durch Schachtwände (30) gebildeten Aufzugschacht (23) angeordnet ist [M1], mit 2. einer Kabine (12) [M1], 3. einem Seil (20) [M2], das aufweist 3.1 mehrere nebeneinander angeordnete lasttragende Elemente (52) [M3], 3.1.1 die aus Stahldrähten gebildet sind [M3], 3.1.2 mit einem Durchmesser von 0,25 mm oder weniger [M4], 3.2 eine Breite w, eine in der Biegerichtung gemessene Dicke t und ein Seitenverhältnis, das als Verhältnis der Breite w relativ zu der Dicke t definiert ist, größer als 1 [M12], 3.3 eine Ummantelung (54) aus einem nicht-metallischen Material [M5], und das 3.4 dünner ist, als im Falle eines mit einer Treibscheibe zusammenwirkenden runden Seils mit gleichem Querschnitt , [M12] 4. einer einzigen Maschine (22) [M6] mit 4.1 einem Motor, der einen Rotor (44) und einen Stator (42) aufweist, [M7] wobei 4.1.1 der Rotor (44) von dem Stator (42) radial nach innen beabstandet ist und der Motor einen radialen Luftspalt (50) zwischen dem Rotor (44) und dem Stator (42) aufweist, [M8] und 4.1.2 der Rotor (44) teilweise aus Permanentmagneten (48) gebildet ist, [M11] sowie 4.2 einer Treibscheibe (36) [M6], die 4.2.1 für eine gleichlaufende Rotation direkt mit dem Rotor (44) verbunden ist [M9], 4.2.2 mit dem Seil (20) zusammenwirkt, um es durch Traktion zwischen Seil und Treibscheibe anzutreiben und so die Kabine (12) im Aufzugschacht (23) zu verfahren [M10], und 4.2.3 im Durchmesser kleiner ist als im Falle eines mit einer Treibscheibe zusammenwirkenden runden Seils mit gleichem Querschnitt [M12], 5. einem Gegengewicht (16) [M1].
6. Die Maschine (22) ist im Aufzugschacht (23) derart angeordnet , dass sich die axiale Richtung des Motors (32) und der Treibscheibe (36) 6.1 horizontal und 6.2 entlang der dem Gegengewicht (16) benachbarten Schachtwand (30) erstreckt [M6]. 7. Das Seil (20) wirkt mit der Kabine (12) und dem Gegengewicht (16) derart zusammen, dass die Kabine und das Gegengewicht in einer 2:1 Seilanordnung mit unterschlungener Kabine aufgehängt sind [M2].
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3. Dazu sind folgende Erläuterungen angezeigt:
12
a) Unter einer direkten Verbindung zwischen der Treibscheibe und dem Rotor des Motors gemäß M 9 ist aus fachlicher Sicht, wie die Diskussion mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, zu verstehen, dass zwischen diesen Bauteilen kein Getriebe vorgesehen ist, sowie, dass die Treibscheibe linear auf der Welle sitzt und nicht umgelenkt wird. Beides wird, wie der Sachverständige bestätigt hat, durch die Umschreibung als "gearless" erfasst, die sich bereits in K3 findet (Beschreibung S. 8 Z. 21 f., Anspruch 13).
13
b) Die Anordnung der Maschine entlang der dem Gegengewicht benachbarten Schachtwand gemäß M 6 bedeutet, dass die Maschine axial horizontal und parallel zu der Schachtwand ausgerichtet ist, der das - aus Platzgründen regelmäßig möglichst flach gehaltene - Gegengewicht (vgl. insoweit auch die Prinzipskizze auf S. 13 der Berufungserwiderung) mit seiner breiten Seite gegenüberliegt, um nach oben und unten verfahren zu werden. Auch wenn das Gegengewicht als dreidimensionaler Körper durchaus noch zu zwei weiteren Schachtwänden benachbart liegt, ist diese Wand, von der Patentanspruch 1 dementsprechend auch im Singular spricht, aus fachlicher Sicht eindeutig als die zu identifizieren, die M6 als die dem Gegengewicht gegenüberliegende bezeichnet, zumal dies auch aus den Darstellungen in Figuren 1 und 2 hervorgeht. Dass die entsprechende Schachtwand dort aufgebrochen gezeigt ist, erklärt sich durch das Bedürfnis, die Sicht auf die dahinter liegenden Teile des Aufzugsystems frei zu geben und ändert nichts daran, dass der Fachmann diese Wand nicht nur als solche unmittelbar und eindeutig als die in Merkmal M6 gemeinte erkennt, sondern auch ihren Verlauf fluchtend mit der ebenfalls gezeigten Bodenplatte, mit der die Wand ersichtlich bündig abschließen soll.
14
Unerheblich ist im Übrigen, dass sich im Stand der Technik Lösungen finden, bei denen die Zuordnung zu der "dem Gegengewicht benachbarten Schachtwand" unter Umständen deshalb nicht oder nicht ohne Weiteres getroffen werden kann, weil etwa ein oder gar mehrere zylindrisch geformte Gegengewichte etwa mittig gegenüber einer oder zwei Aufzugswänden aufgehängt sind, wie bei dem in K54 gezeigten modularen Aufzug. Dem Patentinhaber kann nicht vorgeschrieben werden, wie der Gegenstand festzulegen ist, den er unter Schutz gestellt haben möchte, sondern er kann die Gewährung des Patents grundsätzlich in jeder Ausgestaltung verlangen, die der gegebenen technischen Lehre entspricht und patentfähig ist (BGH, Urteil vom 27. Februar 2007 - X ZR 38/06, BGHZ 171, 167 Rn. 21 mwN - Pipettensystem). Dass Gegengewichte gegebenenfalls auch in einer Weise ausgestaltet werden können, die einer eindeutigen Zuordnung i. S. von Merkmal 6 entgegenstehen, ändert nichts daran, dass die i. S. des Streitpatents dem Gegengewicht benachbarte Wand identifiziert werden kann, weil insoweit ausreicht, dass sich aus ihr mittelbar die Anforderungen an die beanspruchte Gestaltung der Gegengewichte ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2011 - X ZR 12/10, Mitt. 2012, 344 Rn. 28 - Antriebseinheit für Trommelwaschmaschine).
15
II. Das Patentgericht hat seine Annahme, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der von ihm zu beurteilenden verteidigten Fassung nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, im Wesentlichen wie folgt begründet:
16
Ausgehend von dem Aufsatz "Getriebeloser Direktantrieb für Aufzüge ohne Triebwerksraum" in der Zeitschrift Lift-Report, Heft 5/98 Seite 44 (Anl. K35), sei dem Fachmann, einem Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Aufzuganlagen , der mit einem auf elektrische Antriebsmaschinen spezialisierten DiplomIngenieur der Fachrichtung Elektrotechnik zusammenarbeite, ein Aufzugsystem mit einer Kabine, einem Gegengewicht und einem axial horizontal angeordneten Motor bekannt gewesen, mit dessen Rotor eine Treibscheibe direkt verbunden sei. Während das Streitpatent einen Innenläufer beanspruche, zeige K35 einen Außenläufermotor, allerdings auch mit einem radialen Luftspalt und am Rotor befestigten Permanentmagneten. Die gezeigte Seilführung entspreche Merkmal M10. Die hierfür verwendeten lasttragenden Elemente wiesen jedoch keine Ummantelung auf. Vielmehr würden vier Seile mit einem Durchmesser von 8 mm oder drei Seile mit einem Durchmesser von 10 mm verwendet.
17
Dem Fachmann sei überdies bereits in der britischen Patentanmeldung 2 162 283 (Anl. K31) die Verwendung von jeweils mehreren von einer Ummantelung umgebenen Stahlseilen vorgeschlagen worden, wobei lediglich der Durchmesser der verseilten Stahldrähte (M4) nicht angegeben sei.
18
Die japanische Patentanmeldung Hei 7-171100 (Anl. K16) befasse sich mit dem Aufbau derartiger Flachseile, bei denen die zusammengefassten Seile selbst aus Stahldrähten gebildet würden. Auch diese Entgegenhaltung sehe - wie K31 - die Vorteile solcher Seile in dem Schutz vor Abnützung und der möglichen Verringerung des Treibscheibendurchmessers zur Ausbildung kom- pakter Antriebseinheiten. K16 beschreibe die verwendeten Stränge als jeweils aus Strahldrähten mit 0,3 mm Durchmesser gebildet, wobei dieser Durchmesser auch kleiner sein könne. Mithin lehre K16 die Ausbildung eines Flachseils mit einem Durchmesser entsprechend M3 und M4.
19
Es habe für den Fachmann auf der Hand gelegen, die in K31 und K16 gezeigten Lösungen auf ein Aufzugsystem entsprechend K35 zu übertragen und die dort gezeigten Rundseile durch ein Flachseil zu ersetzen.
20
Auch die Auswahl des Motors als Innen- statt als Außenläufer erfolge in Anpassung an den praktischen Bedarfsfall. Diese beiden äquivalenten Motorbauformen seien dem Wissen des Fachmanns zuzurechnen, denn das Verständnis des in K35 angeführten Fachbegriffs "Außenläufer" setze die Kenntnis hierdurch bedingter Unterscheidungsmerkmale voraus. Der Austausch eines Außenläufers gegen einen Innenläufer gehöre zum handwerklichen Können des Fachmanns, zu dem er durch den praktischen Bedarfsfall veranlasst gewesen sei. Damit könne bei gleichen Bauabmessungen eine andere Drehmoment -/Drehzahlcharakteristik bereitgestellt werden, die vom Treibscheibendurchmesser abhänge.
21
Die Kombination dieser Eigenschaften aus den Merkmalsgruppen "Seil" und "Maschine" habe für den Fachmann auch insgesamt als eine Optimierung eines Aufzugsystems nahegelegen.
22
III. Soweit das Streitpatent nicht mehr verteidigt wird, verbleibt es ohne Weiteres bei der vom Patentgericht ausgesprochenen Nichtigerklärung. Im Übrigen hat das Rechtsmittel Erfolg.
23
1. Die Verteidigung des Streitpatents mit der aus dem Tenor ersichtlichen beschränkten Fassung von Patentanspruch 1 ist zulässig. Sein Gegen- stand geht nicht über den Inhalt der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (internationale Patentanmeldung 99/43590, Anl. K3) hinaus (Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ).
24
a) Merkmal M3 ist nicht dadurch unzulässig erweitert, dass die lasttragenden Elemente als "nebeneinander angeordnet" vorgesehen sind.
25
Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Das dafür geltende Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt , dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wonach bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, GRUR 2014, 542 - Kommunikati- onskanal, zur Veröff. in BGHZ vorgesehen; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum).
26
Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen , aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; aus jüngerer Zeit BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum; BGH, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 f. - UVunempfindliche Druckplatte). Das gilt entsprechend in Bezug auf das Merkmal M3. Die darin aufgenommene Beschränkung auf "nebeneinander angeordnete" lasttragende Elemente (52) im Seil ist von der Offenbarung der Erfindung in K3 gedeckt. Dort sind die einzusetzenden Seile generell als flexible Flachseile (flexible flat ropes) charakterisiert (S. 5 Z. 21 ff. übergreifend) und in der Zusammenschau mit Figur 3 in einer Weise beschrieben, die die Umschreibung "nebeneinander angeordnet" abdeckt. Soweit die Klägerin dem die schematische Zeichnung eines zumindest im Wesentlichen runden Seilquerschnitts mit nebeneinander -übereinanderliegenden Elementen entgegenhält, ist dies schon deshalb nicht zielführend, weil nicht erkennbar ist, inwieweit darin aus fachmännischer Sicht die Darstellung eines Merkmal M3 entsprechenden (Flach-)Seils zu sehen sein soll.
27
b) Das Streitpatent ist auch nicht im Merkmal M6 unzulässig erweitert.
28
Die Anweisung, den Motor "entlang" der dem Gegengewicht benachbarten Schachtwand" anzuordnen, impliziert bereits vom Wortsinn ("entlang"), der mit dem fachmännischen Verständnis übereinstimmt, dass der Motor parallel zu dieser Wand ausgerichtet ist (oben I 3 b).
29
Die Figuren 1 und 2 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbaren entgegen den Behauptungen der Klägerin nicht nur einen Motor, sondern, in schematisierter Form entsprechend Figur 3, die mittig aus dem Motor nach vorn heraustretende Achse, auf der - durch den im Vergleich mit der Achse größeren Durchmesser gut zu erkennen - die Treibscheibe sitzt, über die Seile laufen.
30
Die Anordnung der Maschine "im Aufzugsschacht" stellt im Kontext des gesamten Merkmals M6 gegenüber den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen keine unzulässige Erweiterung dar. Es ist in K3 erklärtes Anliegen der Erfindung , ein Aufzugsystem zu präsentieren, dessen Maschine nicht in einem separaten Maschinenraum untergebracht werden muss, sondern dafür mit dem im Aufzugschacht verfügbaren Raum auskommt. In K3 wird das unter anderem auf Seite 2 ab Zeile 23 mit den Erläuterungen: "The combination of … result in a very compact machine that can be fit within the space constraints of a hoistway …" zum Ausdruck gebracht. Diese generelle Anordnung im Schacht nimmt Merkmal M6 - wie im Übrigen bereits der erteilte Anspruch 1 - auf. In Anbetracht dieser umfassenden Offenbarung war die Beklagte nach allgemeinen Grundsätzen (oben III 1 a) nicht gezwungen, sich mit Blick auf das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1 und den in K3 entworfenen Anspruch 15 auf einen speziellen Anbringungsort für die Maschine zu beschränken.
31
2. Der Schutzbereich von Patentanspruch 1 ist im Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt nicht im Merkmal M9 im Sinne von Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ erweitert worden.
32
In den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ist im Zusammenhang mit der Maschine erläutert, dass die Treibscheibe am Ende der Welle 34 angeordnet ist (K3 S. 5). Diese Erläuterungen beziehen sich auf das in Figur 1 darge- stellte Ausführungsbeispiel, wobei die Maschine in Figur 3 näher gezeigt wird (K3 S. 5 Z. 12). Merkmal M9 legt demgegenüber ausschließlich die Antriebsart (linear, ohne Getriebe, vgl. oben I 3 a) fest, ohne sich aus fachmännischer Sicht zugleich dazu zu verhalten, wo die Treibscheibe in axialer Richtung auf der Welle positioniert ist. Es besteht dementsprechend kein Raum dafür, diesen Aspekt, zu dem Patentanspruch 1 schweigt, und von dem die Klägerin auch nicht aufzeigt, dass er in der erteilten Fassung konkret beansprucht und im Einspruchsbeschwerdeverfahren wieder gestrichen worden wäre, in das Merkmal hineinzulesen, um anschließend daraus eine Schutzbereichserweiterung herzuleiten. Es ist im Übrigen von der Klägerin auch sonst nicht nachvollziehbar belegt und auch nicht ersichtlich, inwieweit das Merkmal M9 in der erteilten Fassung des Streitpatents aus fachmännischer Sicht ausschließlich anderen Gegenständen zuzuordnen war, als denjenigen, die das Streitpatent in der im Einspruchsbeschwerdeverfahren erhaltenen Fassung umfasst, und hieraus eine Schutzbereichserweiterung hergeleitet werden könnte. Soweit die Klägerin dem Streitpatent in seiner erteilten Fassung zwei Schutzbereiche beilegt, und zwar einerseits denjenigen gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 mit den dazu gehörigen abhängigen Ansprüchen, und andererseits den unabhängigen Anspruch 8 mit den darauf bezogen abhängigen Ansprüchen, geht diese Aufteilung an der Zielrichtung der Beschränkung des Streitpatents im Beschwerdeverfahren vorbei und findet auch in den Ansprüchen selbst keinen Rückhalt.
33
3. Die Fassung des Anspruchs 1 gemäß dem zuletzt gestellten Hauptantrag der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist M12 in seinen die Seildicke und den Treibscheibendurchmesser betreffenden Merkmalselementen nicht unklar oder unbestimmt (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 13. November 2013 - X ZR 79/12; dazu nachstehend).
34
4. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist patentfähig.
35
a) Für den Zeitrang ist die in Anspruch genommene Priorität der USamerikanischen Patentanmeldung 09/169415 vom 9. Oktober 1998 (Anl. K7) maßgeblich, die, wovon auch die Klägerin ausgeht, mit K3 übereinstimmt. Nach dem vorstehend Ausgeführten kann die Priorität dieser Voranmeldung deshalb in Anspruch genommen werden.
36
b) Der Senat vermag hinsichtlich des Gegenstands von Patentanspruch 1, der unstreitig neu ist, nicht die Wertung zu treffen, dass er dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
37
aa) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents entspricht - abgesehen von den detaillierteren Festlegungen zur Beschaffenheit des Motors hier (vgl. Merkmale M6 bis M8, M11) - im Wesentlichen dem Gegenstand des von der Beklagten am gleichen Tag angemeldeten europäischen Patents 1 056 675, das ebenfalls ein Traktionsantriebs-Aufzugsystem betrifft und das der Senat mit Urteil vom 13. November 2013 (X ZR 79/12) in beschränkter Fassung als patentfähig angesehen hat. Das Seil, das die Kabine (Fahrkorb) dort ebenfalls unterschlingt, wird ebenfalls in einer 2:1-Aufhängung geführt und dort als Aufzugseilsatz aus mindestens einem Flachseil oder Flachgurt bezeichnet. Der Motor hat, wie in M6, einen kleineren Durchmesser, als es eine herkömmliche, mit einem herkömmlichen Rundseil zusammenwirkende Antriebsscheibe erlauben würde. Dem europäischen Patent 1 056 675 sind im Parallelverfahren unter anderem die europäische Patentanmeldung 688 735 (hier: K12, dort K11), die japanische Offenlegungsschriften Hei-7-117957 (hier: K15, dort K25) und Hei-9-21084 (hier: K16, dort K15) und der Prospekt von ContiTech für die Hannover-Messe 1998 "Hubgurte für Aufzüge" (hier: K22, dort K16) entgegengehalten worden.
38
Für die Bejahung der Patentfähigkeit dort war ausschlaggebend, dass die Kombination aller Merkmale, auch wenn jedes für sich gesehen in einer Entgegenhaltung offenbart sein mag, für den Fachmann nicht nahegelegt war, weil es sich nicht um eine bloße Aneinanderreihung (Aggregation) handelt, sondern alle Merkmale in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, eine besonders raumsparende Anordnung des Traktionsscheibenaufzugs im Aufzugschacht zu ermöglichen. Die erfindungsgemäße Ausgestaltung mit der Verwendung eines Flachseils, einer 2:1-Seilführung und einem unterschlungenen Fahrkorb dient einem einheitlichen Ziel und erreicht eine einheitliche Wirkung. Eine Anregung, zur Erzielung dieser Wirkung nicht nur einzelne Elemente, sondern die gesamte Anlage einschließlich der Möglichkeiten der Seilführung in den Blick zu nehmen und die Kräfte- und Platzverhältnisse, die die erfindungsgemäße Kombination von Komponenten und Maßnahmen ermögliche, zu berechnen und zu prüfen, ergab sich aus dem Stand der Technik nicht (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - X ZR 79/12 Rn. 31 ff.).
39
bb) Diese Erwägungen gelten für den Gegenstand des Streitpatents in gleicher Weise. Zusätzliche Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, ergeben sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht.
40
Die Klägerin hat zwar Bedenken dagegen erhoben, die beiden Schutzrechte als gleichgelagert anzusehen. Sie hat sich dafür aber in erster Linie auf die Abweichungen in den die Maschine betreffenden Merkmalen bezogen. Die Frage, ob darin eine patentfähige Ausgestaltung zu sehen sein könnte oder nicht, wäre indes nur dann relevant, wenn der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht schon wegen seiner übrigen, Patentanspruch 1 im Parallelverfahren entsprechenden Merkmale patentfähig wäre. Letzteres ist indes der Fall, weil die erfindungsgemäße Ausgestaltung die gleiche einheitliche, raumsparen- de Wirkung ermöglicht, die im Parallelverfahren für die Bejahung der Patentfähigkeit ausschlaggebend war.
41
Hinzu kommt, dass der Fachmann sich bei den im Stand der Technik offenbarten Ausgestaltungen für die 2:1-Seilanordnung eines Rundseils bediente, das ihm ohne weiteres erlaubte, die hierfür erforderlichen mindestens vier Seilbahnen im Aufzugsschacht in der horizontalen Ebene versetzt zueinander anzuordnen , weil ein Rundseil ohne weiteres in verschiedene Richtungen gebogen werden kann. Ein Flachseil lässt sich hingegen nur um die beiden flachen Seiten gut biegen, weshalb dessen Seilführung im Aufzugschacht in der Regel nur in einer vertikalen Ebene erfolgt. Diese Seilanordnung führt grundsätzlich, wie der Sachverständige bestätigt hat, zu einem zusätzlichen Raumbedarf, was einer kompakten Raumanordnung entgegensteht. Dass dieser Nachteil wegen des geringeren Treibscheibendurchmessers, der mit einem Flachseil benötigt wird, letzten Endes kompensiert wird, macht die Erfindung des Streitpatents auch aus. Keine der Entgegenhaltungen nimmt insoweit das Aufzugsystem als Ganzes in den Blick und zeigt auf, dass ein Flachseil trotz der Einschränkungen für die Seilführung im Schacht sich gleichwohl für eine 2:1-Seilanordnung eignet und sich hieraus raumsparende Aufzugsysteme realisieren lassen. Die Kombination , für ein raumsparendes Aufzugsystem eine unterschlungene 2:1Seilanordnung mit einem Flachseil zu realisieren, hat deshalb für den Fachmann nicht nahegelegen.
42
Dass K12, K15 und K16 für sich eine abweichende Beurteilung geböten, hat die mündliche Verhandlung nicht ergeben. Danach könnte die Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 nur verneint werden, wenn K35 seinen Gegenstand nahelegte. Auch das ist indes nicht der Fall. Diese Entgegenhaltung zeigt - wie K12 - zwar eine 2:1-Seilführung und einen unterschlungenen Fahrkorb, löst das Problem, die Aufzugmaschine möglichst platzsparend anzuordnen, jedoch wie K12 dadurch, dass die Achse der Traktionsaufzugmaschine senkrecht zu der dem Gegengewicht benachbarten Schachtwand und damit die Treibscheibe parallel zu dieser Wand angeordnet ist. Die weiteren Entgegenhaltungen belegen vom Senat ohnehin zu Gunsten der Klägerin zugrunde gelegte technische Gegebenheiten oder liegen vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 weiter ab.
43
5. Aus der Rechtsbeständigkeit von Patentanspruch 1 in der zuletzt verteidigten Fassung folgt zugleich die Rechtsbeständigkeit der sich hierauf beziehenden Unteransprüche.
44
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 92 Abs. 1 ZPO.
Gröning Grabinski Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 01.02.2011 - 1 Ni 11/09 (EU) -

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Bundesgerichtshof Urteil, 30. Aug. 2011 - X ZR 12/10

bei uns veröffentlicht am 30.08.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 12/10 Verkündet am: 30. August 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerichts

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Feb. 2014 - X ZR 107/12

bei uns veröffentlicht am 11.02.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 107/12 Verkündet am: 11. Februar 2014 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Feb. 2007 - X ZR 38/06

bei uns veröffentlicht am 27.02.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 38/06 Verkündet am: 27. Februar 2007 Potsch Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Pipettensys

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Nov. 2013 - X ZR 79/12

bei uns veröffentlicht am 13.11.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 79/12 Verkündet am: 13. November 2013 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerich

Referenzen

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Die Revision kann daher auch nicht mit der Rüge durchdringen, der Patentanspruch hätte "richtigerweise" auf eine Handpipette anstatt auf ein System aus Pipette und Spritze gerichtet werden müssen. Dem Patentanmelder kann in dieser Hinsicht nicht vorgeschrieben werden, wie er den Patentanspruch zu formulieren hat. Er kann vielmehr die Erteilung des Patents grundsätzlich in jeder Ausgestaltung verlangen, die der gegebenen technischen Lehre entspricht und patentfähig ist (BGHZ 166, 347, 349 f. - Mikroprozessor). Nachdem sich die Erfindung mit dem Problem befasst, die Mechanik des Ankuppelns der Spritze an die Pipette und des Abkuppelns der Spritze von der Pipette zu verbessern, ist es ohne weiteres möglich und nicht rechtsmißbräuchlich, die Spritze in die Definition des patentierten Gegenstandes einzubeziehen.
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b) Patentanspruch 1 wird durch Hinzufügung von Merkmal 2.6.4 nicht deshalb unklar (Art. 84 EPÜ), weil nicht zugleich (unmittelbar) die Ausgestaltung der Kontur der Tonnenrückwand festgelegt ist. Dem Patentinhaber kann nicht vorgeschrieben werden, wie er den Gegenstand festzulegen hat, der unter Schutz gestellt werden soll, sondern er kann die Gewährung des Patents grundsätzlich in jeder Ausgestaltung verlangen, die der gegebenen technischen Lehre entspricht und patentfähig ist (BGH, Urteil vom 27. Februar 2007 - X ZR 38/06, BGHZ 171, 167 Rn. 21 mwN - Pipettensystem). Dass Tonnenböden möglicherweise Konturen gegeben werden können, die für die vom Streitpatent vorausgesetzten Anforderungen (vgl. oben I 3 c bb aE) ungeeignet sind, ändert an der hinreichenden Klarheit dieser Lehre nichts. Es genügt, dass sich aus der Anweisung, mittels der (nahezu) identischen Form von Stütze und Tonnenbodenkontur die Konzentrizität des Stators zu sichern, mittelbar die Anforderungen an eine geeignete Tonnenbodenkontur ergeben (oben zu I 3 c bb).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 107/12 Verkündet am:
11. Februar 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Kommunikationskanal
EPÜ Art. 88
Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich
die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen
technischen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung
umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre
in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung
als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.
BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. KoberDehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Mai 2012 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutsch1 land erteilten europäischen Patents 1 062 743 (Streitpatents). Das Streitpatent, das am 24. Dezember 1999 angemeldet worden ist, nimmt die Priorität von vier britischen Patentanmeldungen in Anspruch und umfasst sechs Ansprüche. Die nebengeordneten Ansprüche 1 und 4, auf die die weiteren Ansprüche zurückbezogen sind, lauten in der Verfahrenssprache wie folgt: 1. A radio station for use in a radio communication system having a communication channel between the radio station and a further station, the channel comprising an uplink and a downlink control channel for transmission of control information, and a data channel for the transmission of data, wherein closed loop power control means are provided for adjusting the power of the control and data channels, characterized by means for delaying the initial transmission of the data channel until after the initial transmission of the control channels during which delay the closed loop power control means is operable to adjust the control channel power. 4. A method of operating a radio station in a radio communication system having a communication channel between the radio station and a further station, the channel comprising an uplink and a downlink control channel for transmission of control information, and a data channel for the transmission of data, the method comprising adjusting the power of the control and data channels by means of closes loop power control and characterized by delaying the initial transmission of the data channel until after the initial transmission of the control channels during which delay the closed loop power control is operable to adjust the control channel power. Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt angegriffen und geltend gemacht,
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der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit siebzehn Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.
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Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent wie in erster Instanz verteidigt, wobei sie die Hilfsanträge I bis IV in geänderter Fassung und nur weiter hilfsweise in der erstinstanzlichen Fassung weiter verfolgt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Streitpatent betrifft ein Funkkommunikationssystem mit primären und
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sekundären Stationen sowie eine Methode zum Betrieb eines solchen Systems. 1. In der Beschreibung wird eingangs ausgeführt, dass es zwei grundlegen6 de Arten von Kommunikation zwischen einer Basisstation und einer Mobilstation in einem Funkkommunikationssystem gibt. Dabei handele es sich einmal um Benutzerverkehr , etwa Sprach- oder Paketdaten, zum anderen um Steuerinformationen, die erforderlich sind, um verschiedene Parameter des Übertragungskanals einzustellen und zu überwachen, wodurch Basisstation und Mobilstation in die Lage versetzt werden , den Benutzerverkehr abzuwickeln. Das Streitpatent geht dabei von Funkkommunikationssystemen aus, in denen eine der Funktionen der Steuerinformation darin besteht, eine Leistungsregelung zu ermöglichen. Eine Regelung der Leistung ist in beide Richtungen erforderlich. Die Regelung der Leistung der Mobilstation soll sicherstellen , dass die Basisstation die Signale verschiedener Mobilstationen auf etwa dem gleichen Leistungspegel empfängt. Die Regelung der Leistung der Basisstation ist erforderlich, damit die Mobilstation die Daten mit geringer Fehlerquote erhält, zugleich aber Interferenzen mit anderen Funkzellen oder Funksystemen gering gehalten werden. Das Streitpatent legt insoweit einen Stand der Technik zugrunde, bei dem in einem Zweiwege-Funkkommunikationssystem die Leistungsregelung in einem geschlossenen Regelkreis erfolgt, bei dem die Mobilstation erforderliche Änderungen der Übertragungsleistung der Basisstation bestimmt und dieser signalisiert und umgekehrt.
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Ein Nachteil dieser Technik besteht nach den Angaben der Streitpatentschrift darin, dass beim Start der Übertragung oder nach einer Unterbrechung die Leistungsregelung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, während der es zu Störungen der Datenübertragung kommen kann. Ist die Leistung zu niedrig, kommen die Daten beschädigt an, ist sie zu hoch, werden unerwünschte Interferenzen hervorgerufen. Das technische Problem besteht mithin darin, die dargestellten Schwierigkei8 ten zu beheben. 2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Anspruch 1 eine
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Vorrichtung vor, die folgende Merkmale aufweist (Gliederung des Patentgerichts in Klammern) 1. einen Kanal zur Kommunikation zwischen der Funkstation und einer weiteren Station (1a), umfassend 1.1 einen Uplink- und einen Downlink-Steuerkanal zur Übertragung von Steuerinformationen (1b) und 1.2 einen Datenkanal zur Übertragung von Daten (1c); 2. Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung im Datenkanal bis nach dem Beginn der Übertragung in den Steuerkanälen (1e) und 3. Mittel zur Leistungsregelung mit einem geschlossenen Regelkreis (closed loop power control means, 1d), die 3.1 die Leistung der Steuer- und Datenkanäle anpassen (1d) und 3.2 während der Verzögerung die Steuerkanalleistung anpassen können (is operable to adjust the control channel power, 1f).
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3. Zur Bedeutung der Merkmale ist zu bemerken: Die Vorrichtung wird in einem Funkkommunikationssystem verwendet, das ei11 nen Kommunikationskanal zwischen einer Funkstation und einer weiteren Station aufweist. Dieser Kommunikationskanal umfasst zwei Steuerkanäle und (mindestens) einen Datenkanal. Der Steuerkanal dient zur Übertragung von Steuerinformationen. Dabei handelt es sich nach dem Sprachgebrauch des Streitpatents um Signale, die benötigt werden, um die Parameter des Übertragungskanals einzustellen und zu überwachen, die die Datenübermittlung per Funk ermöglichen. Zu diesen Steuerinformationen zählen insbesondere Signale zur Leistungsregelung. Über den Datenkanal wird lediglich gesagt, dass er der Übertragung von Daten dient. Der Beschreibung ist zu entnehmen, dass damit jedenfalls auch Nutzerdaten, etwa Sprach-, Textoder Bilddaten gemeint sind. Nähere Angaben über die Gestaltung der Kanäle enthält das Streitpatent
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nicht. Unter einem Kanal im Bereich der Funkkommunikation ist aus fachlicher Sicht ein Weg zur Übertragung von Signalen von einer Funkstation an eine andere zu verstehen. Verschiedene Kanäle müssen danach nicht notwendig physikalisch abgegrenzt werden, etwa in der Weise, dass sie verschiedene Frequenzen in Anspruch nehmen. Die Trennung kann auch auf andere Weise erfolgen, etwa durch Zuweisung unterschiedlicher Zeitschlitze auf einer bestimmten Frequenz, durch unterschiedliche Gestaltung der übermittelten Daten mittels spezifischer Angaben in einem Header, durch die Verwendung eines für das jeweilige Teilnehmergerät spezifischen Spreizcodes oder dergleichen mehr, sofern gewährleistet wird, dass der jeweilige Empfänger die übermittelten Daten von anderen, auf einem anderen Übertragungsweg übermittelten Daten unterscheiden kann. Die vorgesehenen Mittel zur Leistungsregelung arbeiten in einem geschlosse13 nen Regelkreis (Merkmal 3), d.h. dass auf der Grundlage des übertragenen Leistungssignals eine Rückkoppelung von der empfangenden Funkstation an die sendende Funkstation erfolgt, die Informationen darüber liefert, ob eine Änderung der Leistung erforderlich ist. Sie dienen der Regelung der Leistung sowohl der Steuerkanäle als auch des Datenkanals (Merkmal 3.1). Dabei ist für den Beginn der Übertragung vorgesehen, dass die Übertragung im Datenkanal verzögert erfolgt, also zunächst nur über die Steuerkanäle Daten (Steuerinformationen) übertragen werden (Merkmal 2). Die durch diese Verzögerung gewonnene Zeitspanne wird genutzt, um die Leistung des Steuerkanals zu regeln (Merkmal 3.2). Der Anspruch trifft unmittelbar keine Aussage darüber, ob und auf welche Weise sich die Regelung der Leistung des Steuerkanals auf die Leistung des Datenkanals auswirkt. Der Umstand, dass das Streitpatent darauf zielt, die Probleme zu lösen, die sich aus einer unzureichenden Regelung hinsichtlich der Qualität der Übertragung von Daten ergeben, spricht jedoch dafür, dass die in Merkmal 3.2 beschriebene Leistungsregelung - auf eine im Streitpatent nicht näher beschriebene Weise - auch für die Übertragungsleistung des Datenkanals genutzt wird. Denn anderenfalls wäre die Übertragung der für den Nutzer im Vordergrund stehenden Daten weiterhin gefährdet. Dem entspricht es, dass in Absatz 18 der Streitpatentschrift ausgeführt wird, der mit der Übermittlung zusätzlicher Steuerinformationen verbundene Aufwand werde dadurch ausgeglichen, dass die Nutzerdaten, die über den Datenkanal an die Basisstation übertragen werden, in besserer Qualität empfangen werden.
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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung sei nicht patentfähig. Das Streitpatent könne lediglich die Priorität der britischenPatentanmeldung
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9 922 575 (NK6) vom 24. September 1999 in Anspruch nehmen, nicht jedoch diejenige aus den britischen Patentanmeldungen 9 900 910, 9 911 622 und 9 915 569 (NK3 bis NK5). Diese enthielten für den Fachmann explizite Aussagen dahin, dass es sich bei dem Kommunikationskanal um einen Frequenzteilungs-DuplexKommunikationskanal handele und über die Steuerkanäle Leistungssteuerungs- und Bitrateninformationen übertragen würden. In dem erteilten Patentanspruch 1 werde demgegenüber allgemein ein Kommunikationskanal beansprucht, bei dem nicht näher spezifizierte Steuerinformationen über die Steuerkanäle übertragen werden. Daher handele es sich bei dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht um dieselbe Erfindung wie diejenige, die NK3 bis NK5 zu entnehmen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien die Beiträge "CPCH Physical
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Layer Procedures" und "Firm Handover over CPCH" des Unternehmens Golden Bridge Technology (NK15 und NK16) bereits vor dem Prioritätszeitpunkt, im Rahmen einer Konferenz, die von 1. bis 4. Juni 1999 in Südkorea den Mitgliedern der 3GPP- Gremien und damit einem Querschnitt der bedeutendsten Unternehmen auf dem Gebiet der Mobilfunktechnologie ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung bekannt geworden. NK15 nehme alle Merkmale des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung vorweg.
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Das Streitpatent habe auch in der Fassung der Hilfsanträge keinen Bestand. III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Auf19 fassung des Patentgerichts, die Beklagte könne die Priorität der britischen Anmeldung 9 900 910 (NK3) nicht in Anspruch nehmen, trifft nicht zu. 1. Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann das Prioritätsrecht einer
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vorangegangenen Anmeldung nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen.
a) Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt,
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wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 388 - Luftverteiler; Urteil vom 30. Januar 2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597, 599 - Betonstraßenfertiger). Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln (EPA GBK, Beschluss vom 31. Mai 2001 - G2/98, GRUR Int. 2002, 80; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit ). Dabei ist die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.
b) Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der
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Neuheitsprüfung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen "unmittelbar und eindeutig" (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910, Rn. 62 - Fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 14. August 2012 - X ZR 3/10, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 - UV-unempfindliche Druckplatte) als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung ; Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 Rn. 22, 24 - Formteil). Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin). Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit).
c) Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss
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dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen , also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprüchen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands. aa) Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wo24 nach bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; aus jüngerer Zeit BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum; BGH, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 f. - UV-unempfindliche Druckplatte). bb) Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Ge25 genstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.
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2. Danach kann die Beklagte die Priorität der NK3 in Anspruch nehmen.
a) Die Beschreibung des Prioritätsdokuments NK3 erwähnt zunächst ganz
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allgemein, dass die Erfindung ein Funkkommunikationssystem betreffe und im Folgenden zwar unter Bezugnahme auf das aufkommende UMTS-System beschrieben sei, es sich aber verstehe, dass sie gleichermaßen für andere Mobilfunksysteme geeignet sei. Im folgenden Absatz werden in gleicher Allgemeinheit der Nutzerdatenverkehr (user traffic) und die Übermittlung von Steuerinformationen (control informa- tion) erörtert. Zu dieser erläutert der dritte Absatz, dass eine Funktion der Steuerinformationen bei vielen Kommunikationssystemen darin bestehe, eine Leistungssteuerung (in einem geschlossenen Regelkreis) zu ermöglichen. Sodann wird ausgeführt, welche Bedeutung der Leistungssteuerung in Mobilfunksystemen sowohl für die Basisstation als auch für die Mobilstationen zukommt. Als Beispiel eines kombinierten zeit- und frequenzgesteuerten Mehrfachzu28 griffssystems mit einer Leistungssteuerung ("An example of a combined time and frequency division access system employing power control") nennt die Beschreibung das GSM-System, und fügt unter Verweis auf eine US-Patentschrift an, in ähnlicher Weise sei eine Leistungssteuerung für ein Codemultiplexsystem mit Frequenzspreizung (spread spectrum Code Division Multiple Access [CDMA]) beschrieben. Die Beschreibung des Nachteils der bekannten Lösungen und der hieraus ab29 geleiteten Aufgabe ist - wie im Streitpatent - ganz allgemein dahin formuliert, dass die Regelkreise einige Zeit benötigten, die Leistungsstärke hinreichend präzise einzuregeln.
b) Die erste erfindungsgemäße Lösung soll nach der Anspruch 1 der Anmel30 dung wiedergebenden Beschreibung darin bestehen, dass bei einem Funkkommunikationssystem mit einer Primär- und einer Vielzahl von Sekundärstationen mit einem Frequenzduplexkanal (frequency division duplex communication channel) zwischen Primär- und Sekundärstation, der einen Uplink- und einen Downlink-Steuerkanal zur Übertragung von Leistungssteuerungs- und Bitrateninformationen sowie einen Datenkanal zur Übertragung von Datenpaketen umfasse, und mit Leistungssteuerungsmitteln zur schrittweisen Veränderung der Leistung der Steuer- und Datenkanäle anspruchsgemäß die Größe der Schritte variiert werden könne. Die zweite beanspruchte Lösung soll - in Übereinstimmung mit Anspruch 5 der Anmeldung - darin bestehen, dass bei einem (mit Ausnahme der entfallenen Leistungssteuerungsmittel zur schrittweisen Veränderung der Leistung der Steuer- und Datenkanäle) wortgleich beschriebenen System die Primär- und Sekundärstationen Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung auf dem Datenkanal gegenüber der Übertragung auf den Steuerkanälen aufweisen. Unter Bezugnahme auf Figur 1 wird sodann ein Ausführungsbeispiel be31 schrieben, von dem es heißt, es umfasse ein Funkkommunikationssystem, das in einem Frequenzduplexmodus arbeiten könne. Figur 2 zeigt schematisch ein herkömmliches Modell zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung, wie es, so die Beschreibung, eine UMTS-Ausführungsform nutze. Anhand dieses Modells wird wiederum das Problem der Verzögerung bei der Leistungsadaption beschrieben, dessen Lösung durch einen verzögerten Beginn der Übertragung auf dem Datenkanal anhand der Figur 3 erläutert wird. Unter Rückgriff auf Figur 4 wird die zweite Lösung einer variablen Schrittgröße bei der Leistungsadaption erklärt. Abschließend heißt es, Ausführungsformen der Erfindung seien unter Verwendung von Frequenzspreizungsverfahren beschrieben worden, wie sie etwa in UMTS-Ausführungsformen eingesetzt würden; es verstehe sich jedoch, dass die Erfindung nicht auf den Einsatz in CDMA-Systemen beschränkt sei.
c) Weder die Problembeschreibung noch die unter Bezugnahme auf die Fi32 guren näher erläuterten Ausführungsbeispiele weisen damit einen konkreten Bezug zu der Ausgestaltung des Kommunikationskanals als Frequenzteilungs-Duplex-Kanal oder zu dem Umstand auf, dass auf dem Steuerkanal auch Bitrateninformationen übertragen werden. Die Bitrateninformation wird überhaupt nur bei der Wiedergabe des Wortlauts der angemeldeten Ansprüche erwähnt. Auf den Frequenzduplex kommt zwar, wie ausgeführt, die Beschreibung der Ausführungsbeispiele zurück; ein Zusammenhang mit den beanspruchten Lösungen des geschilderten technischen Problems, den Schwierigkeiten einer rechtzeitigen Leistungsadaption durch eine Variation der Anpassungsschritte oder durch eine Verzögerung des Beginns der Übertragung auf dem Datenkanal zu begegnen, wird jedoch nicht hergestellt. Weder ist irgendein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sich das Problem der Leistungssteuerung nur oder doch zumindest in einer besonderen Ausprägung bei einem Funkkommunikationssystem mit einem Frequenzteilungs-Duplex-Kommunikationskanal stelle, noch gibt es Hinweise darauf, dass die Wahl eines solchen Kanals in irgendeiner Weise zur Lösung dieses Problems beiträgt. Entsprechendes gilt für die Ausgestaltung des Steuerkanals in der Weise, dass er auch der Übertragung von Bitrateninformationen dient.
d) Danach ist für den Fachmann, der sich die Frage vorlegt, welche techni33 sche Lehre zur Lösung des geschilderten technischen Problems er dem Prioritätsdokument entnehmen kann, ohne weiteres ersichtlich, dass bereits in der NK3 die allgemeine technische Lehre offenbart wird, bei einem Funkkommunikationssystem mit Uplink- und Downlink-Steuerkanal zur Übertragung von Steuerinformationen die an sich bekannten Mittel zur Leistungsregelung mit einem geschlossenen Regelkreis vorteilhafterweise so zu nutzen, dass Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung im Datenkanal bis nach Beginn der Übertragung in den Steuerkanälen vorgesehen werden, damit während dieser Verzögerung die Steuerkanalleistung angepasst werden kann. Zugleich liegt damit für ihn auf der Hand, dass diese allgemeine Lehre lediglich beispielhaft anhand einer üblichen Ausgestaltung eines solchen Funkkommunikationssystems erläutert wird, bei dem der Kommunikationskanal als Frequenzteilungs-Duplex-Kanal ausgebildet ist und der Steuerkanal auch der Übertragung von Bitrateninformationen dient.
e) Dieser Beurteilung stehen die Feststellungen des Patentgerichts nicht
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entgegen, das lediglich ausführt, das Prioritätsdokument enthalte "explizite Aussagen bezüglich der Ausgestaltung des Kommunikationskanals", und der Fachmann werde den übrigen Inhalt der Beschreibung hierauf beziehen. Aus seinen Feststellungen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Ausgestaltung des Kommunikationskanals als Frequenzteilungs-Duplex-Kanal oder die Wahl eines Steuerkanals, in dem auch Bitrateninformationen übertragen werden können, zu der Lösung des in NK3 behandelten technischen Problems der Leistungssteuerung etwas beitragen, geschweige denn, dass sie hierfür erforderlich wären.
f) Das Streitpatent nimmt deshalb, entgegen der Auffassung des Patentge35 richts, die Priorität der NK3 vom 16. Januar 1999 zu Recht in Anspruch. Danach haben die Entgegenhaltungen NK9, NK11, NK15, NK16, NK19 und NK21, die nach dem Vorbringen der Klägerin erst im Frühjahr 1999 veröffentlicht worden sind, bei der Beurteilung der Patentfähigkeit außer Betracht zu bleiben. Die Entscheidung des Patentgerichts, das der Klage mit der Begründung stattgegeben hat, der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 4 sei durch NK15 und NK16 vorweggenommen, kann mithin keinen Bestand haben. IV. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
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im Ergebnis zutreffend. 1. Die amerikanische Patentschrift 5 841 768 (NK7) nimmt den Gegenstand
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von Patentanspruch 1 weder vorweg noch legt sie ihn nahe. Zwar befasst sich NK7 mit der Regelung der Übertragungsleistung in einem
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Funkkommunikationssystem beim Aufbau einer Verbindung. In der dort behandelten frühen Phase des Verbindungsaufbaus erfolgt dies jedoch nicht mit Mitteln zur Leistungsregelung in einem geschlossenen Regelkreis. Wie der Beschreibung zu entnehmen ist (Sp. 6, Z. 56 ff.) werden solche Mittel erst zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt, nämlich erst dann, wenn das in NK7 vorgeschlagene Verfahren bereits beendet ist. Die NK7, die die auch vom Streitpatent als bekannt vorausgesetzten und den Ausgangspunkt der erfindungsgemäßen Lösung bildenden Leistungssteuerungsmittel unter Bezugnahme auf die in der Streitpatentschrift ebenfalls erörterte US-Patentschrift 5 056 109 als Mittel der Leistungsadaption erwähnt, aber als wenig geeignet ablehnt (Sp. 2,. Z. 42 bis 62), schlägt statt dessen eine andere Lösung vor. Sie setzt in einem frühen Stadium des Verbindungsaufbaus ein, in dem eine Leistungsregelungsschleife noch nicht eingerichtet worden ist (Sp. 2, Z. 27 bis 30) und ein Kommunikationskanal noch nicht besteht, sondern erst aufgebaut wird (Abstract, Z. 2, Sp. 3, Z. 8, Sp. 4, Z. 56, Sp. 5, Z. 45 bis 48 und Z. 60; Sp. 8, Z. 60 sowie Figur 11B). Demgegenüber befasst sich das Streitpatent mit einem Stadium des (Wieder -)Aufbaus einer Verbindung, in dem bereits ein Kommunikationskanal eingerichtet worden ist. Der Umstand, dass auch schon in dem früheren Stadium des Verbindungsaufbaus , das Gegenstand der NK7 ist, Signale zwischen der Mobilstation und der Basisstation ausgetauscht werden (request und acknowledgment), lässt nicht den Schluss zu, dass schon ein Kommunikationskanal bzw. ein Steuerkanal eingerichtet worden ist. Die entsprechenden Signale werden vielmehr auf einem gemeinsam genutzten Kanal (random access channel - RACH) übertragen. NK7 ist demgemäß nicht zu entnehmen, dass dort Mittel vorgesehen sind, die
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eine Verzögerung des Beginns der Übertragung im Datenkanal zu einem Zeitpunkt bewirken, in dem bereits Steuerkanäle eingerichtet sind, auf denen die Übertragung schon aufgenommen wird (Merkmal 2). Die Entgegenhaltung befasst sich auch nicht mit Mitteln zur Regelung der Übertragungsleistung gerade in diesem Zeitraum nach Einrichtung der Steuerkanäle, aber vor Beginn der Übertragung im Datenkanal (Merkmal 3.2) und kann hierzu auch keine Anregung geben. 2. Auf die "Specifications of Air-Interface for 3G Mobile System" in der Versi40 on 0.5 (NK13), die im ersten Rechtszug eingeführt worden war, ist die Klägerin nicht mehr zurückgekommen, nachdem die Beklagte vorgetragen hatte, sie sei nicht veröffentlicht worden.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 23.05.2012 - 5 Ni 22/10 (EP) -
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b) Nach Hilfsantrag I weist der Antriebsmotor eine Antriebsscheibe auf und ist derart angeordnet, dass er sich mit der Antriebsscheibe mit seiner Axial- richtung entlang der Seitenwand des Aufzugschachts erstreckt. Die Antriebsscheibe hat einen kleineren Durchmesser als eine herkömmliche mit dem Rundseil in Eingriff befindliche Antriebsscheibe. Das mindestens eine Flachseil oder der eine Flachgurt ist dünn im Vergleich zu einem herkömmlichen Rundseil und besteht aus einer Urethan- oder Gummiummantelung mit Stahlverstärkung. Es weist ein erstes und ein zweites Ende auf, die an einem oberen Bereich des Aufzugschachts fest angebracht sind. Das Flachseil läuft vom ersten Ende nach unten, wird um die Gegengewichtsscheibe herumgeschlungen, läuft nach oben, wird um die Antriebsscheibe herumgeschlungen, läuft nach unten und über die Aufzugsscheibe unterseitig des Aufzugkorbs hindurch und zum zweiten Ende nach oben.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.