Bundesgerichtshof Urteil, 05. Sept. 2017 - X ZR 112/15

bei uns veröffentlicht am05.09.2017
vorgehend
Bundespatentgericht, 2 Ni 43/13, 09.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 112/15 Verkündet am:
5. September 2017
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2017:050917UXZR112.15.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 9. Juli 2015 wird auf Kosten der Klägerin und ihrer Streithelferin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist Inhaberin des am 19. Dezember 2001 - unter Inan1 spruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 5. Juli 2001 - angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 274 288 (Streitpatents). Die Klägerin und ihre Streithelferin, welche die Klägerin mit - von der Be2 klagten als streitpatentverletzend angesehenen - Mobiltelefonen beliefert hat, haben geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart , dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zudem sei der Gegenstand des Streitpatents weder neu und noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätig-
keit. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und in der Fassung von acht Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es über
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die Fassung des erstinstanzlichen Hilfsantrags 1 hinausgeht. Danach haben die Patentansprüche 1 und 2 folgenden Wortlaut (wobei die jeweils gegenüber der erteilten Anspruchsfassung hinzugetretenen Merkmale unterstrichen sind): "1. Leiterbahnstrukturen auf einem nichtleitenden Trägermaterial aus thermoplastischem oder duroplastischem Kunststoff, die aus Schwermetallkeimen und einer nachfolgend auf diese aufgebrachten Metallisierung bestehen, wobei die Schwermetallkeime mittels eIektromagnetischer Strahlung eines Lasers durch Aufbrechen von feinstverteilt in dem Trägermaterial enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen entstanden sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Schwermetallkeime aus elementarem Metall bestehen und dass die nichtleitenden Metallverbindungen von thermisch hochstabilen , in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständigen und nicht löslichen anorganischen Metallverbindungen gebildet sind, die in den Bereichen im Umfeld der Leiterbahnstrukturen unverändert auf dem Trägermaterial verblieben sind. 2. Verfahren zur Herstellung der Leiterbahnstrukturen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine thermisch hochstabile , in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständige und nicht lösliche anorganische Metallverbindung in das Trägermaterial aus thermoplastischem oder duroplastischem Kunststoff eingemischt wird, dass das Trägermaterial zu Bauteilen verarbeitet oder auf Bauteile als Beschichtung aufgetragen wird und dass im Bereich der zu erzeugenden Leiterbahnstrukturen mittels einer elektromagnetischen Strahlung eines Lasers Schwermetallkeime bestehend aus elementarem Schwermetall freigesetzt und diese Bereiche dann chemisch reduktiv metallisiert werden."
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Die weiteren Patentansprüche 3 bis 13 sind auf Patentanspruch 2 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen. Mit der Berufung verfolgen die Klägerin und ihre Streithelferin das Ziel
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einer uneingeschränkten Nichtigerklärung des Streitpatents weiter. Demgegenüber verteidigt die Beklagte das Streitpatent in der Fassung des angegriffenen Urteils sowie mit den bereits erstinstanzlich gestellten Hilfsanträgen in neuer Reihenfolge.

Entscheidungsgründe:


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Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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I. Das Streitpatent betrifft Leiterbahnstrukturen auf einem elektrisch nichtleitenden Trägermaterial und Verfahren zu deren Herstellung.
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1. In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, dass Verfahren bekannt seien, bei denen zur Herstellung feiner, festhaftender Leiterbahnstrukturen in ein nichtleitendes Trägermaterial nichtleitende Metallchelatkomplexe eingebracht und von diesen mittels Laserstrahlung strukturiert Metallisierungskeime abgespalten würden, um nachfolgend in den bestrahlten Teilflächen eine chemisch reduktive Metallisierung zu initiieren (Abs. 2). An derartigen Verfahren sei vorteilhaft, dass die Werkzeugkosten niedrig gehalten, das Verfahren verkürzt und auch mittelgroße Stückzahlen wirtschaftlich hergestellt werden könnten (Abs. 3). Es bestehe aber auch der Nachteil, dass die thermische Stabilität der Metallchelatkomplexe bei den Verarbeitungstemperaturen moderner Hochtemperatur -Kunststoffe, vor allem auch im Hinblick auf die zukünftige bleifreie Löttechnik , nicht gewährleistet werden könne. Zudem müssten die Metallchelatkomplexe in vergleichsweise hoher Dosierung zugesetzt werden, um bei Laseraktivierung eine hinreichend dichte Bekeimung für eine schnelle Metallisierung zu erhalten, was häufig wichtige Gebrauchseigenschaften des Trägermaterials wie die Bruchdehnung und die Schlagzähigkeit beeinträchtige (Abs. 4). Die alternativ im Stand der Technik erwogene Passivierung der durch Laserstrahlung freizusetzenden Metallisierungskeime durch Verkapselung sei wegen der Größe der Partikel im Kunststoffträgermaterial noch problematischer als die Bekeimung mit laserspaltbaren Metallchelatkomplexen (Abs. 5).
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2. Vor diesem Hintergrund liegt der Erfindung das Problem zugrunde, einfach und sicher herstellbare Leiterbahnstrukturen auf nichtleitendem Trägermaterial sowie ein entsprechendes Herstellungsverfahren zur Verfügung zu stellen.
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3. Dies soll nach Patentanspruch 1 - in der beschränkten Fassung des angefochtenen Urteils - durch folgende Merkmalskombination erreicht werden (Merkmalsgruppe 3 übereinstimmend mit dem Patentgericht): 1. Auf einem nichtleitenden Trägermaterial sind Leiterbahnstrukturen aufgebracht. 2. Das Trägermaterial 2.1 besteht aus thermoplastischem oder duroplastischem Kunststoff und 2.2 enthält feinstverteilte Metallverbindungen. 3. Die Metallverbindungen sind 3.1 nichtleitend, 3.2 thermisch hochstabil, 3.3 in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständig und nicht löslich, 3.4 anorganisch und 3.5 durch elektromagnetische Strahlung eines Lasers aufbrechbar.
4. In den Bereichen im Umfeld der Leiterbahnen sind die Metallverbindungen unverändert auf dem Trägermaterial verblieben. 5. Die Leiterbahnstrukturen bestehen aus 5.1 Schwermetallkeimen 5.1.1 aus elementarem Metall, 5.1.2 die dadurch entstanden sind, dass die Metallverbindungen mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers aufgebrochen worden sind, und 5.2 einer nachfolgend auf diese aufgebrachten Metallisierung.
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4. Gegenstand des Patentanspruchs 1 sind Leiterbahnstrukturen auf einem nichtleitenden Trägermaterial; der Träger, auf dem sich die Leiterbahnstrukturen befinden, gehört folglich zu dem geschützten Gegenstand.
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a) Das Trägermaterial aus thermo- oder duroplastischem Kunststoff enthält feinstverteilt (Schwer-)Metallverbindungen (Merkmal 2.2), vorzugsweise Metalloxide und insbesondere Spinelle (Abs. 11). Diese Metallverbindungen befinden sich in unterschiedlichen Zuständen: Außerhalb der Leiterbahnstrukturen sind sie unverändert als solche vorhanden (Merkmal 4). Innerhalb der Leiterbahnstrukturen sind sie mittels elektromagnetischer Laserstrahlung aufgebrochen worden, so dass Schwermetallkeime aus elementarem Metall entstanden sind (Merkmal 5.1), auf die (nach dem Ausführungsbeispiel in einem handelsüblichen chemisch reduktiven Verkupferungsbad) die Leiterbahnen durch eine Metallisierung aufgebracht worden sind (Merkmal 5.2). Ob und inwieweit sich aus den Verfahrensmerkmalen 5.1 und 5.2 räumlich-körperliche oder funktionelle Eigenschaften des geschützten Erzeugnisses (sog. "product-byprocess" ) ergeben, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 19. Juni 2001 - X ZR 159/98, GRUR 2001, 1129, 1133 f. - zipfelfreies Stahlband; Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 81/13, GRUR 2015, 361 Rn. 9 - Kochgefäß) eine Frage der Auslegung des Patentanspruchs, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen mit heranzuziehen sind.
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b) Die Beschreibung hebt zum einen hervor, dass die thermisch hochstabilen , in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständigen und nicht löslichen anorganischen Schwermetallverbindungen (Merkmale 3.2 bis 3.4) auch unter Einwirkung der Löttemperaturen und in den Metallisierungsbädern stabil und nicht etwa elektrisch leitend werden; sie können deshalb auf dem gesamten Trägermaterial verteilt werden und dort verbleiben (Abs. 8, 15). Zudem wird ein vergleichsweise geringer Anteil keimbildender Zusätze im Trägermaterial angestrebt (Abs. 6). Damit soll in Abgrenzung zu einem bekannten Verfahren, bei dem Metallchelatkomplexe in vergleichsweise hoher Dosierung zugesetzt werden müssen, um bei Laseraktivierung eine hinreichend dichte Bekeimung für eine schnelle Metallisierung zu erhalten, ein hoher Komplexanteil vermieden werden, weil dadurch häufig wichtige Gebrauchseigenschaften des Trägermaterials, wie beispielsweise Bruchdehnung und Schlagzähigkeit , beeinträchtigt werden (Abs. 4).
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Dagegen erfolgt im Bereich der Leiterbahnen mittels der Laserstrahlung gleichzeitig ein "Aufbrechen" der Metallverbindungen unter Freisetzung von Schwermetallkeimen aus elementarem Material und ein Abtrag des Kunststoffs unter Ausbildung einer haftvermittelnden Oberfläche, wodurch eine hervorragende Haftfestigkeit der abgeschiedenen metallischen Leiterbahnen erzielt werden soll (Abs. 9, 16). Bei der Beschreibung des Ausführungsbeispiels heißt es, dass mittels eines diodengepumpten Nd:YAG-Lasers ein geringfügiger Abtrag erzeugt werde, der mit einer strukturierten Bekeimung verbunden sei (Abs. 22).
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c) Die Laserbestrahlung hat somit eine unterschiedliche Struktur der im Trägermaterial verteilten Schwermetalle innerhalb und außerhalb der Leiterbahnstrukturen zur Folge. Während außerhalb derselben die Metalloxidkörner unverändert erhalten sind, sind sie innerhalb derselben zu Metallkeimen aufge- brochen worden, auf die sodann im Reduktionsbad eine Metallisierung aufgebracht worden ist, wodurch als Endprodukt die Leiterbahnstrukturen auf dem nichtleitenden Trägermaterial entstehen. Durch den Abtrag von Trägermaterial und das explosionsartige Aufbrechen der (Schwer-)Metallverbindungen entsteht - jeweils infolge der elektromagnetischen Bestrahlung nach Merkmal 5.1.2 - eine Oberfläche mit unregelmäßigen Konturen, die haftvermittelnd wirkt und damit zur Haftfestigkeit der abgeschiedenen metallischen Leiterbahnstrukturen auf dem Trägermaterial des hergestellten Erzeugnisses beiträgt (Abs. 9).
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Zudem dürfen die als keimbildende Zusätze dienenden Metallverbindungen im Trägermaterial nicht mit einem derart hohen Anteil im Trägermaterial enthalten sein, dass sich in den bestrahlten Bereichen die Leiterbahnstrukturen bereits aufgrund der Laserbehandlung bilden und die nachfolgend vorgesehene Metallisierung nicht mehr erforderlich wäre. Denn Sinn und Zweck der gemäß Merkmal 5.2 nach der Laserbestrahlung auf die freigelegten Schwermetallkeime aufzubringenden Metallisierung ist es, die Zugabe von Metallverbindungen in derart hoher Dosierung zu vermeiden, weil damit eine Beeinträchtigung wichtiger Gebrauchseigenschaften des Trägermaterials, wie Bruchfestigkeit und Schlagzähigkeit einhergeht (Abs. 4 und 6). Daraus folgt als eine mit dem Merkmal 5.2 erfindungsgemäß angestrebte und erforderliche räumlich-körperliche Eigenschaft des anspruchsgemäßen Erzeugnisses, dass in dem Trägermaterial , auf dem sich die Leiterbahnstrukturen befinden, Metallverbindungen nicht in einer derart hohen Dosierung feinstverteilt enthalten sein dürfen, dass die erwünschten Leiterbahnstrukturen bereits allein aufgrund der in Merkmal 5.2 vorgesehenen Laserbehandlung entstehen können.
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II. Das Patentgericht hat, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse , zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen folgendes ausgeführt :
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Das Streitpatent offenbare die Erfindung so ausführlich, dass ein Fachmann - ein berufserfahrener Entwicklungsingenieur mit Hochschulabschluss in der Mikrosystemtechnik und Grundkenntnissen in der Chemie sowie vertieften Kenntnissen auf den Gebieten der Verfahrenstechnik und Werkstoffkunde, der mit der Entwicklung von Verfahren zur Metallisierung von Kunststoffoberflächen betraut sei - sie ausführen könne. In der Streitpatentschrift sei beschrieben, dass die Laserstrahlung beispielsweise Metalloxid zu Metall reduziere und dieses dann als Metallkeim wirke. Dabei sei als bevorzugte Metallverbindung ein kupferhaltiges Spinell genannt, für das der Fachmann durch einfache Versuche die nötige Laserintensität bestimmen könne. Zudem werde der Hinweis gegeben , dem Trägermaterial einen organischen, thermisch stabilen Metallchelatkomplex beizufügen und enthielten die in der Streitpatentschrift aufgeführten Druckschriften Hinweise auf weitere Zusatzstoffe oder Reinigungsschritte zur Entfernung von durch die Laserbestrahlung hervorgerufener Verschmutzung (Laserdebris). Der Fachmann sei hiernach aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage, die Eignung der für die Ausführbarkeit erforderlichen Materialien und Parameter unschwer durch Versuche festzustellen.
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Der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des ersten Hilfsantrags sei neu und werde dem Fachmann auch nicht nahegelegt.
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Das gelte für die europäische Patentschrift 693 138 (D1), die sich mit dem Problem befasse, Verfahren zur Bildung einer Metallschicht mit gutem Haftvermögen und scharfer Begrenzung auf der gesamten Oberfläche eines Kunststoffkörpers zu verbessern. Als Lösung werde ein Verfahren vorgeschlagen , bei dem ein Kunststoffkörper, in dem Körner eines Metalloxids dispergiert seien, erst mit einer stark fokussierten Laserbestrahlung hoher Energiedichte bestrahlt und dann in ein autokatalytisches Metallisierungsbad eingetaucht werde , woraufhin sich das in dem Bad enthaltene Metall selektiv auf den zuvor bestrahlten Bereichen ablagere. In der D1 werde dies damit erklärt, dass die Laserbestrahlung in den bestrahlten Bereichen zum einen zu einem Oberflächenabtrag von 0,2 µm führe und zum anderen auf der Oberfläche der Oxidkörner eine erhöhte Konzentration von Defekten zur Folge habe, die durch das Aufbre- chen interatomarer Verbindungen hervorgerufen werde. Da die Metallisierung allein durch das Vorhandensein der durch die Bestrahlung hervorgerufenen Oberflächendefekte eingeleitet werde, sei das üblicherweise vor dem Metallisierungsbad notwendige Eintauchen des Werkstückes in eine Palladiumlösung nicht mehr erforderlich.
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Die D1 offenbare damit Metallstrukturen auf einem nichtleitenden Trägermaterial aus thermoplastischem Kunststoff, die aus Metallkeimen (nämlich Oberflächendefekten auf den Oxidkörnern) und einer nachfolgend auf diese aufgebrachten Metallisierung bestünden. Dabei seien die Metallkeime, die aus dem Oxid eines Schwermetalls (Antimon und Eisen) bestünden, mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers durch Aufbrechen von feinstverteilt in dem Trägermaterial enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen (gewisser interatomarer Verbindungen) entstanden. Die nichtleitenden Metallverbindungen seien zudem thermisch hochstabil, in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständig und nicht löslich sowie anorganisch und verblieben in den Bereichen im Umfeld der Leiterbahnstrukturen unverändert auf dem Trägermaterial. Der D1 sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die durch das Aufbrechen der Metallverbindungen mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers entstandenen Metallkeime aus elementarem Metall bestünden. Denn die D1 lehre, die Laserparameter und Metalloxide so zu wählen, dass den Metalloxiden durch die Laserbestrahlung zwar Defekte beigebracht, diese aber gerade nicht in elementares Material aufgebrochen würden und daher weiterhin als Metalloxide vorlägen. Es sei für die Lehre der D1 von grundsätzlicher Bedeutung , dass die Oxidkörner auch nach der Laserbestrahlung weiterhin vorhanden seien, damit diese die Verankerung (d.h. den Adsorptionsvorgang) der anschließend aufzubringenden Metallschicht auf dem Kunststoff-Trägermaterial bewirken könnten. In diesem Zusammenhang werde ausdrücklich auf eine kovalente oder ionische Bindung zwischen den Oxidkörnern und der anschließend aufgebrachten Metallschicht verwiesen, aber nicht auf eine metallische Bindung, wie sie zu erwarten wäre, würden die Metalloxide in elementares Material aufgebrochen.
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Die erfindungsgemäße Lehre sei dem Fachmann aber auch nicht durch die US-amerikanische Patentschrift 4 159 414 (D2) offenbart oder nahegelegt worden. Dieser seien zwar Leiterbahnstrukturen zu entnehmen, die weitgehend der Lehre des Patentanspruchs 1 entsprächen. Nicht offenbart werde aber, eine zusätzliche Metallisierung auf die durch die Laserbestrahlung aufgebrochenen Metallverbindungen aufzubringen, so dass die durch die Laserbestrahlung generierten Metallpartikel auch keine Metallkeime im Sinne des Streitpatents seien. Im Gegensatz zur Lehre des Streitpatents, dem u.a. die Aufgabe zugrunde liege, den Anteil keimbildender Zusätze gering zu halten, erfordere es die D2, den Anteil der aufzuspaltenden Metallverbindungen sehr hoch, nämlich im Bereich von 60 bis 90 %, einzustellen und damit eine nachträgliche Metallisierung der durch die Metallpartikel vorgegebenen Strukturen entbehrlich zu machen. Dadurch solle ermöglicht werden, dass auch auf unebenen, dreidimensional strukturierten Substraten Leiterbahnen aufgebracht werden können, wobei der Nachteil in Kauf genommen werde, dass keine gleichzeitige Metallisierung der gesamten Leiterbahnstruktur erfolge.
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Die Erfindung werde auch nicht durch den Beitrag von Naundorf und Wißbrock (A fundamentally new mechanism for additive metallization of polymeric substrates in ultra fine line technology illustrated for 3D-MIDs, Galvano- technik Nr. 9 Band 91 (2000), 2449 ff.; D3) offenbart oder nahegelegt. Aus der D3 gingen zwar Leiterbahnstrukturen hervor, welche die Merkmale des Patentanspruchs 1 erfüllten. Das gelte aber nicht für Merkmal 3.4, da die in der D3 offenbarten Metallverbindungen organisch und nicht anorganisch seien. Aus der D3 ergebe sich auch in Kenntnis der D1 und der D2 kein Anlass, die organischen Metallverbindungen durch Metalloxide zu ersetzen.
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III. Das Urteil des Patentgerichts hält den Angriffen der Berufung im Ergebnis stand.
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1. Die Erfindung wird durch das Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann, der vom Patentgericht zutreffend und von der Berufung nicht angegriffen bestimmt worden ist, sie ausführen kann.
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a) Die die Bejahung der Ausführbarkeit tragenden Feststellungen des Patentgerichts werden von der Berufung nicht in einer Weise angegriffen, die konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit ergäbe (§ 117 Satz 1 PatG iVm § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Nach der Rechtsprechung des Senats trägt der Nichtigkeitskläger die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 Rn. 31 - Polymerisierbare Zementmischung). Das wird auch von der Berufung nicht in Frage gestellt. Sie macht jedoch geltend, dass sich die Darlegungs- und Beweislast im Streitfall umgekehrt habe, weil die Beklagte das Streitpatent gegenüber der erteilten Fassung nur noch beschränkt auf aus elementarem Metall bestehende Schwermetallkeime verteidige. Dem kann nicht beigetreten werden. Die Berufung zeigt nicht auf, weshalb es dem Fachmann im Hinblick auf diese Beschränkung nicht ohne unzumutbaren Aufwand möglich sein sollte, die Erfindung auszuführen (vgl. dazu auch allgemein: Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren , 5. Aufl. Rn. 278), zumal auch das dem Fachmann im Streitpatent an die Hand gegebene Ausführungsbeispiel aus elementarem Metall bestehende Schwermetallkeime betrifft, wenn dort beschrieben wird, dass mit der Bestrahlung kupferhaltiges Spinell enthaltenden Trägermaterials mit einem diodengepumpten ND:YAG-Laser eine strukturierte Bekeimung verbunden ist (Abs. 22).
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b) Auch dem Verweis der Berufung auf den von der Beklagten im Verfahren vor dem Patentgericht als Anlage B14 vorgelegten Analysebericht, in welchem davon die Rede sei, dass bei Proben einer mit einem Kupfer-ChromSpinell versetzten Kunststoffoberfläche, die zuvor mit einem Laser bestrahlt und dann unter Schutzgas verpackt versandt worden waren, "der Nachweis des Cu(0)" darauf hindeute, dass "innerhalb des vom Laser beeinflussten Volumens metallisches Kupfer entstanden" sei, "welches oberflächennah durch eine dünne Oxidschichtbildung durch Sauerstoffanlagerung abgesättigt" worden sei (B14, S. 3), ist nicht zu entnehmen, dass die Erfindung aufgrund der Angaben in der Streitpatentschrift nicht ausgeführt werden kann. Da dem Fachmann bekannt war, dass das durch die Laserbehandlung freigelegte elementare Metall unter Umgebungsatmosphäre tendenziell wieder reoxidieren wird, wird er die chemisch reduktive Metallisierung möglichst bald nach der Laserbehandlung durchführen, so wie es sich als Handlungsanweisung auch in der Beschreibung des Ausführungsbeispiels andeutet (vgl. Abs. 22: "… Nach kurzer Behandlung in einem demineralisiertes Wasser enthaltenden Ultraschall-Reinigungsbad …").Auch bei einer zügigen Verfahrensführung wird eine Reoxidierung in geringem Maße zwar nicht auszuschließen sein, wie auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird. Die Berufung zeigt aber nicht auf, dass die Reoxidierung auch bei einer solchen Handhabung zwangsläufig bereits derart fortgeschritten ist, dass sich die erfindungsgemäß angestrebten Leiterbahnstrukturen nicht mehr auf dem Trägermaterial bilden können.
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2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils ist neu.
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a) Die D1 macht es sich zur Aufgabe, ein Verfahren zur Herstellung einer Metallschicht zu entwickeln, die an der Oberfläche eines zuvor hergestellten Kunststoffbauteils haftet (D1, S. 1, Z. 6 ff.). Als Lösung wird vorgeschlagen, ein Verbundkunststoffteil, das ein Polymer und Körner eines oder mehrerer Oxide (D1, S. 4, Z. 13 ff.: beispielsweise Oxide von Antimon und Eisen, insbesondere in einer Volumenkonzentration von mehr als 1% und einer Größe von nicht mehr als 50 µm) enthält, mit dem Lichtstrahl eines Excimer-Lasers zu bestrahlen (D1, Patentanspruch 1; im Einzelnen: D1, S. 4, Z. 18 ff.; erster Verfahrensschritt ), das bestrahlte Teil ohne vorheriges Aufbringen von Palladium in ein autokatalytisches Bad einzutauchen (D1, Patentanspruch 1; im Einzelnen: D1, S. 5, Z. 18 ff.; zweiter Verfahrensschritt), wobei sich das in dem Bad enthaltene Metall selektiv auf den zuvor mit dem Laserstrahl bestrahlten Bereichen ablagert (D1, S. 5, Z. 22 ff.), und den metallisierten Kunststoff mit Wärme zu behandeln , um ein Eindiffundieren des niedergeschlagenen Metalls in den Kunststoff zu erreichen (D1, Patentanspruch 1; dritter Verfahrensschritt). Da die offenbarten Metallverbindungen (Oxidkörner von Antimon und Eisen) überdies, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, aus dem Oxid von Schwermetallen bestehen und thermisch hochstabil, in wässrigem sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständig und nicht löslich sowie anorganisch sind, sind zumindest die Merkmale 1 bis 4 des Patentanspruchs 1 offenbart.
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Im Gegensatz zu Merkmal 5.1.2 lehrt die D1 jedoch nicht, die im Trägermaterial verteilten Schwermetalloxidkörner (Schwermetallverbindungen) mittels elektromagnetischer Laserbestrahlung in elementares Metall aufzubrechen, sondern sieht lediglich vor, durch die Laserbestrahlung bei den Schwermetalloxidkörnern "eine erhöhte Konzentration von Defekten, entstanden durch Aufbrechen gewisser interatomarer Verbindungen" zu erzeugen (D1, S. 5, Abs. 2 b). Wie das Patentgericht festgestellt hat, sind die Oxidkörner also nach der Laserbehandlung weiterhin vorhanden. Die diesen beigebrachten Defekte dienen zur "interstitiellen (das heißt durch kovalente oder ionische Bindungskraft bedingte) Fixierung von Metallionen des autokatalytischen Bades", in welches der Verbundstoff nach dem in der D1 offenbarten Verfahren anschließend einzutauchen ist (D1, S. 6, Abs. 3).
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Die Berufung legt nicht schlüssig dar, dass bei der in der D1 vorgeschlagenen Verwendung eines Excimer-Lasers als Laserquelle mit einer Wellenlän ge zwischen 170 und 360 nm, dessen Energiedichte in der Weise gewählt werden soll, dass eine erhöhte Konzentration von Strukturfehlern an der Oberfläche der Oxidkörner entsteht, die sich in der Oberfläche des Verbundkunststoffs befinden, damit diese Fehler die Metallisierung dieses Stoffs durch Eintauchen in das Elektrolytbad ermöglichen (D1, Patentanspruch 2, vgl. auch S. 4 f.), Metalloxidkörner in einem praktisch relevanten Umfang zu elementarem Material aufgebrochen werden. In dem von ihr insoweit herangezogenen Lehrbuch von Völklein/Zetterer (Praxiswissen Mikrosystemtechnik, Grundlagen, Technologien, Anwendungen, 2. Aufl. 2006, S. 124; VR2, vorletzte Seite) wird lediglich allgemein ausgeführt, dass die von Excimer-Lasern emittierten Photonen Energien in Bereich einiger eV erzeugt werden könnten, was die Möglichkeit zur Lösung chemischer Bindungen biete. Dass dies auch bei der in der D1 gelehrten Anwendung zur Erzeugung von Strukturfehlern in der Oberfläche der Oxidkörner der Fall ist, folgt daraus nicht. Auch dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten L. (NK13, S. 8) lässt sich dies nicht entnehmen.
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In der D1 wird zwar weiterhin vorgeschlagen, Oberflächenbereiche mit hoher Energiedichte zu bestrahlen (D1, S. 7, Z. 8 ff., 26 ff.). Zudem wird ausgeführt , dass oberhalb einer gewissen Energiedichte durch Fokussieren des Strahls auf eine bestimmte Fläche (typischerweise 0,5 J/cm2) die Wirkung der Bestrahlung gegenüber einer Bestrahlung mit einer geringeren Energiedichte (zwischen 0,05 und 0,2 J/cm2, vgl. D1, S. 4, Z. 18 ff.) eine Doppelte sein könne (D1, S. 4, Z. 31 ff. Übergang zu Seite 5). Zugleich wird aber auch darauf hingewiesen , dass der Wert von der Beschaffenheit und der Konzentration der Oxidkörner in dem Verbundmaterial abhänge (D1, aaO). Entsprechend hat das Patentgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Fachmann in der D1 eine solche Laserintensität (0,5 J/cm2) konkret nur für Antimontrioxid (Sb2O3) genannt wird (D1, S. 8 ff., Beispiele) und daher nicht darauf geschlossen werden kann, dass er diese Laserintensität unabhängig von der Art des Metalloxids auch bei Kupferoxid verwenden wird, wenn er die Lehre der D1 nacharbeitet. Vielmehr wird er dazu angeleitet, die Energiedichte auf einen Wert einzustellen, von dem anzunehmen ist, dass damit bei dem jeweiligen Metalloxid der von der D1 angestrebte Effekt einer erhöhten Konzentration von Strukturfehlern in der Oberfläche der Oxidkörner erreichen werden kann (vgl. D1, Patentanspruch 2).
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Vor dem Hintergrund, dass es der D1 auf das Beibringen von Defekten auf der Oberfläche der Oxidkörner ankommt und der diese nacharbeitende Fachmann versuchen wird, die dafür erheblichen Parameter (insbesondere Energiedichte, Wellenlänge und Pulsphasen des Laserstrahls, Absorptionsneigung des jeweiligen Metalloxids) entsprechend einzustellen, ergibt sich daher nicht, dass eine Nacharbeitung des in der D1 offenbarten Verfahrens durch den Fachmann die Laser-Bestrahlung zwangsläufig auch zu einem Aufbrechen der Metallverbindungen führen wird.
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An dieser Beurteilung ändert auch das vom Oberlandesgericht Karlsruhe in dem Patentverletzungsverfahren 6 U 118/14 eingeholte Gutachten K. nichts, wonach sich hochschmelzende Kupferoxide bei eine Laserbestrahlung mit einer Wellenlänge von 1.024 nm und Energiedichten von 0,5 bis 5 J/cm2 in ihre atomaren Bestandteile zerlegen sollen (BK9, unter 2.1 und 2.2). Denn auch diese Erläuterungen rechtfertigen nicht die Annahme, dass der Fachmann, der den Oxidkörnern in Ausübung der Lehre der D1 Oberflächendefekte beibringen wollte, den Laser bei Verwendung eines Kupferspinells entsprechend den im Gutachten K. genannten Werten eingestellt und dadurch eine Aufspaltung der Oxidkörner bewirkt hätte. Dafür ergeben sich aus der D1 keine Anhaltspunkte.
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Sind die Oxidkörner also nach dem in der D1 gelehrten Verfahren zur Positiv-Metallisierung eines Verbundkunststoffteils bei der Bestrahlung zwar an der Oberfläche beschädigt worden, aber als solche auch im fertigen Produkt noch vorhanden, haben sich an der darunterliegenden Oberfläche des Trägermaterials keine unregelmäßigen Konturen derart bilden können, wie sie bei einem Aufbrechen der Oxidkörner entsprechend Merkmal 5.1.2 als räumlichkörperliche Eigenschaft entstanden wären und erfindungsgemäß zur Verbesse- rung der Haftfestigkeit der abgeschiedenen metallischen Leiterbahnstrukturen auf dem Trägermaterial des hergestellten Erzeugnisses erreicht werden sollen. Entsprechend fehlt es an einer Verwirklichung jedenfalls dieses Merkmals bei Leiterbahnstrukturen, die nach dem in der D1 offenbarten Verfahren auf einem nichtleitenden Trägermaterial erzeugt worden sind, weshalb die Lehre aus Patentanspruch 1 aus dieser Entgegenhaltung nicht vorbekannt ist.
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b) Die D2 offenbart Leiterbahnstrukturen auf einem nichtleitenden Trägermaterial aus einem thermo- oder duroplastischen Kunststoff (D2, Sp. 3, Z. 4 f.: "… polyethylene" "… or an epoxy resin."), die aus Schwermetallpartikeln bestehen (D2, Sp. 3, Z. 8 ff.: "… The metal compounds may be any of the types which decompose upon heating to an elemental metal state, …Metal oxides appear to be among the most preferable compounds. Typical metal compounds which may be utilized are Cu2O, CuO, TbO, NiO, CuCl2 or SnO, for example. …"). Die Schwermetallpartikel sind mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers durch Aufbrechen von feinstverteilt in dem Trägermaterial enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen entstanden (D2, Sp. 3, Z. 29 ff.: "… that the laser impinges on the substrate and raises the temperature of the substrate surface sufficiently high to cause the metal compound filler therein to decompose so that it is reduced to its elemental metal state."). In den Bereichen im Umfeld der Leiterbahnstrukturen sind die Metallverbindungen unverändert auf dem Trägermaterial verblieben (D2, Sp. 2, Z. 24 ff.: "The surface is then subjected to heat at the locations which form a desired conductive path 11 thereon."). Die nichtleitenden Metallverbindungen sind von thermisch hochstabiler, in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständiger und nicht löslicher Beschaffenheit (D2, Sp. 2, Z. 14 f., etwa Cu2O, CuO; vgl. Streitpatentschrift , Abs. 12, 18 und 22; Unteranspruch 9).
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Wie das Patentgericht ausgeführt hat, lehrt die D2, den Anteil der aufzuspaltenden Metallverbindungen von vornherein so hoch - typischerweise im Bereich von 60 bis 90 % - einzustellen, dass sich die Leiterbahnstrukturen bereits nach der Laserbestrahlung bilden und damit eine nachträgliche Metallisierung nicht mehr erforderlich ist (vgl. D2, Sp. 1, Z. 66 ff.; Patentansprüche 1 und 12). Entsprechend enthält das Trägermaterial des nach der Lehre der D2 hergestellten Produktes außerhalb der Leiterbahnstrukturen einen entsprechend hohen Komplexanteil, den die erfindungsgemäße Lehre im Hinblick auf die damit verbundenen Beeinträchtigungen wichtiger Gebrauchseigenschaften des Trägermaterials , wie Bruchdehnung und Schlagzähigkeit, vermeiden möchte (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 4 und 6) und zu diesem Zweck eine der Laserbestrahlung der lediglich als Keime dienenden, zu elementarem Metall aufgebrochenen Metallverbindungen nachfolgende Metallisierung vorsieht. Als räumlich-körperliche Eigenschaft ergibt sich daraus die Maßgabe, dass in dem erfindungsgemäßen Produkt Metallverbindungen nicht in einer derart hohen Dosierung feinstverteilt enthalten sein dürfen, dass die erwünschten Leiterbahnstrukturen bereits allein aufgrund der in Merkmal 5.2 vorgesehen Laserbehandlung entstehen können. Daran fehlt es bei dem in der D2 offenbarten Trägermaterial, in dem der Anteil der aufzuspaltenden Metallverbindungen typischerweise in einem Bereich von 60 bis 90 % liegen soll.
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c) In dem weiterhin von der Klägerin entgegengehaltenen Beitrag von Naundorf und Wißbrock (A fundamentally new mechanism for additive me- tallization of polymeric substrates in ultra fine line technology illustrated for 3DMIDs , Galvanotechnik 2000, 2449 ff.; D3) fehlt es an einer Offenbarung des Merkmals 3.4, da die in der Arbeit offenbarten Metallverbindungen organisch sind (D3, unter 3, Abs. 1 und 2).
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d) Die erfindungsgemäße Lehre war auch nicht aus der europäischen Patentschrift 311 274 (E11) bekannt. In der E11 ist als Trägermaterial für die Leiterbahnstrukturen Glas bzw. Glaskeramik vorgesehen und damit nicht ein thermo- oder duroplastischer Kunststoff. Daran ändert auch eine vor der Laserbehandlung auf das Glas aufgebrachte dünne Kunststoffschicht nichts, da diese - wie das Patentgericht festgestellt hat - durch den Laser im bestrahlten Bereich zerstört wird, um als Reduktionsmittel für die Metalloxide zu dienen (vgl. E11, S. 3, Z. 42 ff., 46 ff.)
40
3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist dem Fachmann auch nicht durch den Stand der Technik nahegelegt worden.
41
a) Entgegen der Ansicht der Berufung gab es für den Fachmann ausgehend von dem Offenbarungsgehalt der D1 keine Veranlassung, Schwermetallkeime dadurch entstehen zu lassen, dass die in dem Trägermaterial feinstverteilt enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers aufgebrochen werden. Die K1 lehrt den Fachmann die Laserbestrahlung so einzustellen, dass neben der Abtragung von Kunststoff an der Oberfläche des Trägermaterials "nach Maßgabe der Wahl der inkorporierten kornförmigen Substanz auf der Oberfläche der Körner, die in größerer Zahl in der Oberfläche des Verbundstoffs (…) liegen, eine erhöhte Konzentration von Defekten … durch Aufbrechen interatomarer Verbindungen unter den kombinierten Einflüssen der Elektronenanregungen aufgrund der Absorption von Photonen durch das Material" herbeizuführen (D1, S. 5, Z. 4 ff.). Wie auch das Patentgericht ausgeführt hat, zielt die K1 also gerade nicht darauf ab, die Metalloxide aufzubrechen, sondern es geht ihr allein darum, die Elektronen im Metalloxid anzuregen und polarisierte Defekte auf der Oxidkörneroberfläche zu erzeugen, die zur Verbesserung der Adsorption der nachfolgend aufzubringenden Metallschicht auf dem Kunststoff-Trägermaterial dienen sollen (vgl. D1, S. 6, Z. 11 ff.). Entsprechend wird in der D1 auf die "interstitielle (das heißt durch kovalente oder ionische Bindungskraft) erzeugte Fixierung von Metallionen des autokatalytischen Bades auf den Defekten der auf dieser rauen Oberfläche befindlichen anorganischen Körner" hingewiesen, die "selektiv und stark" sei (D1, S. 6, Z. 13 ff.). Daran ändert auch der Hinweis in der D1 nichts, dass sich die Dauer der Inkubationszeit (bei der nachfolgenden Metallisierung) verringere, wenn man die Energiedichte des in dem ersten Schritt eingesetzten Laserstrahls steigere (D1, S. 6, Z. 4 ff.; S. 7, Z. 26 ff.). Denn der Fachmann wird dies im Kontext der D1 nicht dahin verstehen, dass die Energiedichte auch so hoch sein kann, dass den Metallkörnern durch die Laserbestrahlung nicht nur Defekte an der Oberfläche beigebracht werden, sondern die Metallverbindungen aufgebrochen werden. Vielmehr wird er darin einen Hinweis auf die Möglichkeit sehen, die Intensität der Laserbestrahlung innerhalb einer bestimmten Bandbreite im Hinblick auf das Beibringen von Defekten variieren zu können, wie dies etwa in Patentanspruch 2 der D1 für einen Excimer-Laser mit einer Wellenlänge zwischen 170 und 360 nm offenbart ist. Nichts anderes gilt unter dem Gesichtspunkt der einzustellenden Energiedichte.
42
b) Eine Anregung, Schwermetallkeime dadurch entstehen zu lassen, dass die in dem Trägermaterial feinstverteilt enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers aufgebrochen werden, ergab sich für den Fachmann auch nicht, wenn er - neben der D1 - die D2 in seine Überlegungen zur Entwicklung einfach und sicher herstellbarer Leiterbahnstrukturen auf nichtleitendem Trägermaterial einbezog.
43
Die D2 sieht zwar ausdrücklich ein Aufbrechen der in einem Trägermaterial verteilten Metallverbindungen durch Laserbestrahlung vor (D2, Sp. 2, Z. 26 ff.; Sp. 4, Z. 13 ff.). Dabei geht die Entgegenhaltung jedoch von einem besonders hohen Anteil aufzubrechender Metallverbindungen in der Kunststoffmatrix aus. Genannt wird insoweit ein Bereich von etwa 60 bis etwa 90 % bzw. etwa 75 % Volumen (D2, Sp. 2, Z. 17 ff.; Sp. 4, Z. 55 ff.). Durch einen derart hohen Anteil von Metallverbindungen im Trägermaterial soll es möglich werden , die Leiterbahnstrukturen unmittelbar durch das Aufbrechen der Metallverbindungen mittels Laserbestrahlung herzustellen, ohne dass also noch ein nachfolgender Metallisierungsschritt erforderlich wird (vgl. D2, Sp. 4, Z. 13 ff.).
44
Damit unterscheidet sich das in der D2 offenbarte Verfahren grundlegend von dem in der D1 gelehrten Ansatz, wonach eine Volumenkonzentration der in dem Trägermaterial verteilten Metallverbindungen von mehr als 1 % (D1, S. 4, Z. 15); 4 % (D1, S. 9, Z. 5) oder in einem Bereich zwischen 0,2 und 30 % (D1, Patentanspruch 9) vorgeschlagen wird und der vor allem in einem ersten Verfahrensschritt lediglich das Beibringen von Defekten in der Oberfläche der Metallkörner und in einem nachfolgenden zweiten Verfahrensschritt das Aufbringen einer Metallisierungsschicht durch Eintauchen in ein autokatalytisches Bad vorsieht, wobei die Metallionen des autokatalytischen Bades auf den Defekten durch kovalente oder ionische Bindung fixiert werden. Eine Anregung, beide Verfahren dergestalt zu kombinieren, dass sich dem in der D2 offenbarten Verfahren des Aufbrechens der Metallverbindungen, die in der D2 offenbarte Metallisierung anschließt, lässt sich keiner der beiden Entgegenhaltungen entnehmen und ergibt sich auch nicht aus dem allgemeinen Wissen und Können des Fachmanns.
45
c) Wie vom Patentgericht ausgeführt, ist in der D3 zwar beschrieben, dass auf Schwermetallkeime, die mittels elektromagnetischer Strahlung eines Lasers durch Aufbrechen von feinstverteilt in dem Trägermaterial enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen entstanden sind, eine Metallisierung aufgebracht wird. Ein solches Verfahren ist aber ausschließlich für metallorganische Übergangskomplexe ("metalorganic compounds") offenbart, wobei eine Vielzahl von Möglichkeiten erwähnt werden, wie vorzugsweise solche, die auf Palladium (Pd2+)- oder auf Kupfer (Cu2+)-Basis aufgebaut seien, aber auch synergistische Systeme mit verschiedenen Übergangsmetallen, wobei polyfunktionelle Chelatbildner mit mehreren Ligandenatomen wie N, O, S, P allein oder zusammen mit ionisierenden Gruppen von Hydroxyl- oder Carboxylgruppen eine besonders hohe Stabilität besitzen könnten (D3, unter 3). An keiner Stelle wird jedoch die Möglichkeit angedeutet, anorganische Metallverbindungen zu verwenden. Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, hatte der Fachmann daher auch in Kenntnis der D1 und der D2 keine Veranlassung, die organischen Metallverbindungen der D3 durch anorganische Metalloxide zu ersetzen.
46
Daran ändert auch der Hinweis in der D3 nichts, dass es bekannt sei, "eine weitere Modifizierung der Polymermatrix" mit geeigneten meistens anorganischen Füllstoffen durchzuführen, die resistent gegenüber der Laserstrahlung seien (D3, unter 2, Abs. 2). Denn damit sind nicht die (im vorhergehenden Absatz erwähnten) nichtleitenden Metallverbindungen gemeint, die durch die Laserbehandlung freigesetzt werden und an denen im nächsten Prozessschritt der additive Aufbau der Kupfer- oder Nickelstrukturen beginnt (D3, unter 2, Abs. 1). Vielmehr soll "parallel zur Keimerzeugung" durch die anorganischen Füllstoffe eine (weitere) Verbesserung der Haftfestigkeit durch gegenüber der Laserbestrahlung "resistente" anorganische Füllstoffe bewirkt werden (vgl. auch D3 unter 4 Abs. 3, 2. Alternative). Ein Anlass für den Fachmann darüber nachzudenken , die in der D3 für die Keimerzeugung ausschließlich erwähnten organischen Metallverbindungen durch anorganische ganz oder teilweise zu ersetzen , ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen technischen Funktionen nicht.
47
Schließlich führt auch das Vorbringen der Berufung, es sei für den Fachmann selbstverständlich gewesen, dass Kunststoffe, wie sie für das Verfahren nach der D3 vorgesehen seien, (nahezu) immer auch anorganische, nichtleitende Metallverbindungen als Additive enthielten und das im Streitpatent genannte Spinell Kupferchromoxid gehöre zu den gängigsten Pigmentiermitteln, zu keiner anderen Beurteilung. Denn wie auch von der Berufung nicht in Abrede gestellt worden ist, liegt der Anteil des den Kunststoffen zur Pigmentierung beigefügten kupferhaltigen Spinells bei maximal 1 % des Trägermaterials, was für eine Keimbildung zur Bildung von Leiterbahnstrukturen deutlich zu wenig ist.
48
d) Gleiches gilt für die deutsche Offenlegungsschrift 197 31 346 (E9), die ebenfalls Leiterbahnstrukturen offenbart, die durch Aufbrechen "organischer nichtleitender Schwermetallkomplexe" in einem nichtleitenden Trägermaterial und anschließender Metallisierung entstanden sind.
49
e) Ging der Fachmann bei seinen Überlegungen, einfach und sicher herstellbare Leiterbahnstrukturen auf nichtleitendem Trägermaterial zu entwi- ckeln, von der E11 aus, gab ihm diese keinen Anlass, Glas oder Glaskeramik - wie dort allein als Trägermaterial offenbart - durch einen thermoplastischen oder duroplastischen Kunststoff zu ersetzen. Dies gilt erst Recht, wenn berücksichtigt wird, dass in der E11 eine dünne Kunststoffschicht auf der Glasoberfläche zwar vorgeschlagen wird, deren Funktion aber nicht darin liegt, die Metallverbindungen als Trägermaterial aufzunehmen, sondern darin, als Reduktionsmittel für die Metalloxide eingesetzt zu werden (vgl. E11, S. 3, Z. 42 ff.). Werden hingegen die D1, die D2 oder die D3 als Ausgangspunkt der Überlegungen des Fachmanns genommen, gab es für diesen aus der E11 ebenfalls keine Anregung , Änderungen vorzunehmen, da sich diese allein auf Glas oder Glaskeramik bezieht.
50
f) Die weiteren von der Klägerin und ihrer Streithelferin vorgelegten Entgegenhaltungen liegen noch weiter ab von der Lehre des Streitpatents, so dass insoweit auf die Ausführungen des Patentgerichts verwiesen werden kann.
51
4. Aus den genannten Gründen ist der Gegenstand des Patentanspruchs 2 - und sind infolgedessen auch die auf diesen rückbezogenen weiteren Patentansprüche - ebenfalls patentfähig.
52
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 2, 100 Abs. 1 ZPO. Die Streithelferin der Klägerin gilt als deren Streitgenossin (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II; Urteil vom 11. August 2015 - X ZR 83/13 Rn. 38).
Meier-Beck Gröning Grabinski
Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.07.2015 - 2 Ni 43/13 (EP) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts


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Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 117


Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle de

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Tenor Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 08.07.2014 (Az. 2 O 67/13) wird gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 Euro vorläufig eingestellt. Gründe   I. 1 Mit dem angefochtenen Urteil hat da

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 159/98 Verkündet am:
19. Juni 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
"zipfelfreies Stahlband"
Wird das geschützte Erzeugnis im Patentanspruch durch das Verfahren seiner
Herstellung gekennzeichnet, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln
, ob und inwieweit sich aus dem angegebenen Herstellungsweg durch
diesen bedingte Merkmale des daraus erhaltenen Erzeugnisses ergeben, die
das Erzeugnis als anspruchsgemäß qualifizieren.
BGH, Urt. v. 19. Juni 2001 - X ZR 159/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter
Dr. Melullis, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 3. März 1998 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert : Das deutsche Patent 38 03 064 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß die Patentansprüche folgende Fassung erhalten: 1. Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten: 0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, vorzugsweise 0,03-0,048 % Kohlenstoff , 0,01 bis 0,40 % Silizium, 0,10 bis 0,80 % Mangan, 0,005 bis 0,08 % Phosphor, 0,005 bis 0,02 % Schwefel, max. 0,009 % Stickstoff, 0,015 bis 0,08 % Aluminium, 0,01 bis 0,04 % Titan, max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer, Vanadium, Nickel, Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei der Titangehalt auf mindestens dem Vierfachen des Stickstoffgehalts eingestellt wird, bei dem eine Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau eingestellt wird, indem die Bramme auf oberhalb 1120 ° C erwärmt und zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar -Punktes ausgewalzt und das

3

Band bei 520 ± 100 ° C gehaspelt, anschließend kaltgewalzt und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund unterhalb A ge-

1

glüht wird, wobei die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (Epsilon) erfolgt:
ca. 0,01 % Titan: Epsilon 20 bis 60 %, vorzugsweise 30 bis 50 %,
ca. 0,02 % Titan: Epsilon 10 bis 15 % oder Epsilon 40 bis 85 %, vorzugsweise 50 bis 80 %,

ca. 0,03 % Titan: Epsilon 5 bis 25 %, vorzugsweise 10 bis 20 %, oder Epsilon 50 bis 85 %, vorzugsweise 60 bis 80 %,
ca. 0,04 % Titan: Epsilon 15 bis 25 %, vorzugsweise 20 %, oder Epsilon 55 bis 80 %, vorzugsweise 60 bis 70 %.
2. Verfahren nach Anspruch 1, bei dem nach dem rekristallisierenden Glühen mit einem Umformgrad von ca. 1 % dressiert wird.
3. Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl in der gegebenen Zusammensetzung und hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1 oder 2 mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von ca. 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 %.
4. Verwendung eines gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 hergestellten Bleches oder Bandes für das zipfelarme Tiefziehen, vorzugsweise von rotationssymmetrischen Teilen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu ¾ der Klägerin und zu ¼ der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 29. Januar 1988 angemeldeten deutschen Patents 38 03 064 (Streitpatents), das ein Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit aus Stahl sowie ein zum Tiefziehen geeignetes kaltgewalztes Blech oder Band aus Stahl und dessen Verwendung betrifft.
In einem Einspruchsverfahren, an dem auch die Klägerin beteiligt gewesen ist, hat das Bundespatentgericht das Streitpatent beschränkt aufrechterhalten (Beschl. v. 26.07.1994, 13 W (pat) 103/92). Wegen des Wortlauts der Ansprüche in der aufrechterhaltenen Fassung wird auf die geänderte Patentschrift (C-2-Schrift) Bezug genommen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, da er nicht neu sei und nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht hat sie das Streitpatent nur noch beschränkt verteidigt. Danach sollten die Patentansprüche wie folgt lauten:
1. Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten:
0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, vorzugsweise 0,03-0,048 % Kohlenstoff , 0,01 bis 0,40 % Silizium, 0,10 bis 0,80 % Mangan, 0,005 bis 0,08 % Phosphor, 0,005 bis 0,02 % Schwefel, max. 0,009 % Stickstoff, 0,015 bis 0,08 % Aluminium, 0,01 bis 0,04 % Titan, max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer, Vanadium, Nickel, Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen,
wobei der Titangehalt auf mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts eingestellt wird,
bei dem eine Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau eingestellt wird, indem die Bramme auf oberhalb 1120 ° C erwärmt und zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar -Punktes ausgewalzt und das

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Band bei 520 ± 100 ° C gehaspelt, anschließend kaltgewalzt und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund unterhalb A ge-

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glüht wird, wobei die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (e) erfolgt: ca. 0,01 % Titan: e 20 bis 60 %, vorzugsweise 30 bis 50 %, ca. 0,02 % Titan: e 10 bis 15 % oder e 40 bis 85 %, vorzugswei- se 50 bis 80 %,
ca. 0,03 % Titan: e 5 bis 25 %, vorzugsweise 10 bis 20 %, oder e 50 bis 85 %, vorzugsweise 60 bis 80 %, ca. 0,04 % Titan: e 15 bis 25 %, vorzugsweise 20 %, oder e 55 bis 80 %, vorzugsweise 60 bis 70 %.
2. Verfahren nach Anspruch 1, bei dem nach dem rekristallisierenden Glühen mit einem Umformgrad von ca. 1 % dressiert wird.
3. Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl in der gegebenen Zusammensetzung und hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1 oder 2 mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von ca. 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 %.
4. Verwendung eines gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 hergestellten Bleches oder Bandes für das zipfelarme Tiefziehen, vorzugsweise von rotationssymmetrischen Teilen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent unter Klageabweisung im übrigen dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß die Patentansprüche die verteidigte Fassung erhalten haben; sein Urteil ist in BPatGE 40, 104 veröffentlicht.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen. Für den Fall, daß das Streitpatent mit den ihm durch das angefochtene Urteil gegebenen Ansprüchen keinen Bestand haben sollte, verteidigt sie das Streitpatent hilfsweise mit diesem Anspruchssatz mit der Maßgabe, daß die Einstellung des Titangehalts in Anspruch 1 mit mindestens dem Vierfachen (statt 3,5fachen) des Stickstoffgehalts angegeben wird.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. rer. nat. G. G. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten des Prof. Dr.-Ing. habil. L. M. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Mit den in erster Instanz verteidigten Ansprüchen ist das Streitpatent nicht patentfähig. Der Senat hat jedoch nicht die Überzeugung gewonnen, daß das Streitpatent auch mit den hilfsweise verteidigten Ansprüchen nicht patentfähig und daher insgesamt für nichtig zu erklären ist (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4, 21 Abs. 1 Nr. 1, 22 Abs. 1 PatG).
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Stahlbleches oder -bandes mit guter Umformbarkeit sowie ein zum Tiefziehen geeignetes kaltgewalztes Stahlblech oder -band und dessen Verwendung.
Hinsichtlich der allgemeinen Grundlagen der in Streit stehenden Erfindung ist nach den Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen und dem unstreitigen Vorbringen der Parteien zunächst von Folgendem auszugehen:
Mit der plastischen Verformung von Kristallen ist je nach Art der Verformung eine charakteristische Ä nderung der Kristallorientierung verbunden. Durch die Ä nderung der Orientierungen beim Walzen wird eine ursprünglich regellose Orientierungsverteilung in eine nicht-regellose, für Material und Umformvorgang typische Verteilung überführt, so daß einige Orientierungen besonders häufig, andere Orientierungen dagegen seltener vorkommen. Die Häufigkeitsverteilung von Orientierungen wird auch als Textur bezeichnet; sie ändert sich durch Rekristallisation in charakteristischer Weise.
Die Ausbildung einer nichtregellosen Textur hat Konsequenzen für die mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs, insbesondere bei der Blechumformung. Unterwürfe man einen einzelnen Kristalliten aus einem vielkristallinen Werkstoff in unterschiedlichen Richtungen einer Zugbelastung, so wären die entsprechenden Spannungs-Dehnungs-Diagramme verschieden; in manchen Richtungen erscheint der Kristallit weicher, in anderen härter. Liegt deshalb in einem Vielkristall eine ausgeprägte Textur vor, so verformt sich das Material nicht in allen Richtungen einheitlich (Anisotropie). Ausgeprägte Texturen bringen Schwierigkeiten für die Blechumformung mit sich.

Die Auswirkungen der Textur auf die Blechumformung lassen sich durch die Bestimmung des r-Wertes und des Dr-Wertes abschätzen. Bei der Blechumformung ist ein möglichst leichter Materialfluß parallel zur Blechoberfläche und ein möglichst erschwerter Materialfluß senkrecht zur Blechoberfläche , also in Blechdicke, wünschenswert. Auskunft darüber gibt der r-Wert, für den nach einer Zugverformung parallel zur Blechrichtung die Dehnung in den dazu senkrechten Richtungen, also parallel zur Blechdicke und parallel zur Blechoberfläche (senkrecht zur Blechdicke), gemessen wird. Ein großer r-Wert ist für die Blechumformung von Vorteil, weil ein erschwertes Fließen in Blechdicke eine schnelle Dickenabnahme beim Umformen verhindert, was der Gefahr einer Rißeinleitung entgegenwirkt. Zur Bestimmung des r-Wertes wird üblicherweise aus dem Blech eine Probe so herausgeschnitten, daß die Zugrichtung senkrecht zur Walzrichtung liegt. Da eine einzelne Richtung in der Blechebene keinen Aufschluß darüber geben kann, wie der r-Wert unter einem anderen Winkel zur Walzrichtung aussehen würde, wird zur Bestimmung der Schwankung des r-Wertes in der Blechebene (planaren Anisotropie) der Dr- Wert bestimmt, indem man Zugproben parallel und senkrecht zur Walzrichtung und unter einem Winkel von 45° dazu ausschneidet, die jeweiligen r-Werte bestimmt und nach der Formel Dr = (r - 2r + r )/2 berechnet. 0 45 90
Eine planare Anisotropie, derzufolge bei der Blechumformung das Material nicht in allen Richtungen des Bleches gleich gut fließt, schlägt sich in einer Unebenheit der Ränder nieder und führt bei rotationssymmetrischen Ausgangsblechen zur Bildung von Zipfeln. Diese Zipfel sind zum einen nachteilig, weil sie in einem nachfolgenden Arbeitsgang entfernt werden müssen, wodurch
auch Material verlorengeht, zum anderen, weil sie zu einer uneinheitlichen Blechdicke des hergestellten Bauteils führen.
Wie die Streitpatentschrift erläutert, wird daher zum Tiefziehen von rotationssymmetrischen Stahlteilen möglichst texturfreies kaltgewalztes Band oder Blech eingesetzt, damit ein quasi-isotropes Umformen möglich und das gezogene Teil möglichst zipfelfrei ist.
In der Zeitschrift "Blech, Rohre, Profile" 9/1977, S. 341 ff. (Anl. P 3) wird von Singer die Ursache für die Zipfelbildung beschrieben und ein Maß für die relative Zipfelhöhe Z sowie die ebene Anisotropie Dr definiert, für die jeweils Ergebnisse mit dem Wert Null (zipfelfreies Material) ideal wären. Für die in der Vorveröffentlichung erwähnten Stähle lasse sich jedoch, so die Streitpatentschrift weiter, zipfelfreies Material nur durch (mit einer zweimaligen Gefügeumwandlung verbundenes) Normalglühen des kaltgewalzten Bandes in einer Durchlaufglühe bei etwa 1000 ° C erreichen, wobei im Endzustand eine Korngröße ASTM 8 (Korngrößenklasse der American Society for Testing of Materials ) bei einer relativen Zipfelhöhe von 0,3 bis 0,4 % und Dr ca. ± 0,1 erzielt werde. Für nicht normalisierend geglühtes Band sei nur ein zipfelarmer Zustand durch Kompromisse bei der Verfahrensführung erreichbar, wobei die Walzendtemperaturen bei ca. 750 ° C und die Kaltwalzgrade entweder unter 25 % oder über 80 % liegen sollten; auch solle mit für die Zipfeligkeit als ungünstig bezeichneten Rekristallisationstemperaturen von über 600 ° C gearbeitet werden.
Hieraus und aus den Angaben der Patentschrift zur Aufgabe der Erfindung ergibt sich das technische Problem, ein Stahlblech und ein Verfahren zu
seiner Herstellung vorzuschlagen, das zumindest weitgehend zipfelfrei und auch im übrigen tiefziehgeeignet ist und kostengünstig unter Verzicht auf Normalglühen produziert werden kann.
Die in den verteidigten Ansprüchen 1 und 3 angegebenen erfindungsgemäßen Lösungen lassen sich wie folgt gliedern:
Anspruch 1: Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit
1. aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten :
1.1 0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, 1.2 0,01 bis 0,40 % Silizium, 1.3 0,10 bis 0,80 % Mangan, 1.4 0,005 bis 0,08 % Phosphor, 1.5 0,005 bis 0,02 % Schwefel, 1.6 max. 0,009 % Stickstoff, 1.7 0,015 bis 0,08 % Aluminium, 1.8 0,01 bis 0,04 % Titan, 1.9 max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer , Vanadium, Nickel, 1.10 Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen,
1.11 wobei der Titangehalt auf mindestens dem 3,5-fachen des Stickstoffgehalts eingestellt wird,

2. bei dem eine Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau eingestellt wird,
2.1 indem die Bramme auf oberhalb 1120 ° C erwärmt,
2.2 zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar -Punktes ausgewalzt,

3


2.3 das Band bei 520 ± 100 ° C gehaspelt,
2.4 anschließend kaltgewalzt,
2.4.1 wobei die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (e) erfolgt: ca. 0,01 % Titan: e 20 - 60 % ca. 0,02 % Titan: e 10 - 15 oder 40 - 85 %, ca. 0,03 % Titan: e 5 - 25 oder 50 - 85 %, ca. 0,04 % Titan: e 15 - 25 oder 55 - 80 %,
2.5 und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund geglüht wird,
2.5.1 unterhalb der Temperatur A (721 ° C).

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Anspruch 3: Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl
A. mit der Zusammensetzung
A.1 0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, A.2 0,01 bis 0,40 % Silizium, A.3 0,10 bis 0,80 % Mangan, A.4 0,005 bis 0,08 % Phosphor, A.5 0,005 bis 0,02 % Schwefel, A.6 max. 0,009 % Stickstoff, A.7 0,015 bis 0,08 % Aluminium, A.8 0,01 bis 0,04 % Titan, A.9 max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer , Vanadium, Nickel, A.10 Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen,
A.11 wobei der Titangehalt auf mindestens dem 3,5-fachen des Stickstoffgehalts eingestellt ist,
B. mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von ca. 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 % und
C. hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1.
Die Erfindung wird von der Streitpatentschrift dahin erläutert, daß bei Anwendung der erfindungsgemäßen Brammen-, Glüh-, Walz- und Haspeltemperaturen (Merkmale 2.1 bis 2.3) für den genannten Stahl (Merkmal 1) ein rekristallisierendes Glühen eines Bundes im Haubenofen (Merkmal 2.5) ausrei-
che, um dem Stahlband hervorragende Tiefzieheigenschaften, insbesondere eine extreme Zipfelarmut, zu geben. Die üblicherweise beim Stand der Technik für den Stahl St 4 Nz oder RSt 14 durch Normalisieren erreichten Werte der Korngröße von bestenfalls ASTM 8 könnten durch rekristallisierendes Glühen unterschritten werden, wobei zusätzlich durch die vom Titangehalt abhängige Wahl entsprechender Kaltwalzgrade (Merkmal 2.4.1) eine niedrige Streckgrenze (R , definiert als der Spannungswert, bei dem nach Entlastung eine Deh- p0.2 nung von 0,2 % verbleibt) beibehalten werden könne. Das ist im Sinne von - für eine leichte und hohe Verformbarkeit vorteilhaften - relativ niedrigen Werten zu verstehen, denn nach Darstellung der Streitpatentschrift hat sich überraschend gezeigt, daß den "zipfelfreien" Umformgraden jeweils ein bestimmtes Zugfestigkeits - und Streckgrenzenniveau zugeordnet werden konnte und die größte Zipfeligkeit bei der niedrigsten Streckgrenze/Zugfestigkeit festzustellen war (Merkmal 2). Ursachen für die günstigen Eigenschaften des erzeugten Blechs sieht die Streitpatentschrift ferner in der frühzeitigen Bildung von Titannitrid (Merkmale 1.8 und 1.11), die verhindere, daß während des rekristallisierenden Glühens ein nachfolgend noch näher erläutertes "pancake-Gefüge" durch Aluminiumnitrid -Ausscheidungen entstehen könne, sowie in durch die Wahl niedriger Haspeltemperaturen überraschend erzielten Warmbandqualitäten, die nach dem Kaltwalzen ein zipfelfreies Material gewährleisteten und eine zusätzliche Kornverfeinerung ermöglichten.
II. Anspruch 1 des Streitpatents in der von der Beklagten verteidigten Fassung des angefochtenen Urteils ist neu.
1. Als von der Streitpatentschrift angesprochenen Fachmann hat das Bundespatentgericht zutreffend einen mit der Herstellung und Entwicklung von
tiefziehfähigem Kaltband befaßten Diplomingenieur mit Hochschulausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung angesehen. Der gerichtliche Sachverständige hat dies dahin ergänzt, daß es sich in der Regel nicht um einen Physiker oder Metallkundler, sondern einen diplomierten (oder auch promovierten) Ingenieur mit eisenhüttenkundlicher Hochschulausbildung handele.
2. Der auf dem Symposium "Warmband für Kaltwalzer" gehaltene Vortrag "Kaltband mit globularem Gefüge" von Bleck/Hübner (Anl. 5 = D 1) nimmt die Lehre des Streitpatents trotz weitgehender Übereinstimmung nicht vollständig vorweg. Es wird dort beschrieben, daß aufgrund der Vorteile der Stranggußtechnik weltweit vermehrt eingesetzte Aluminium-beruhigte Stähle bei der normalen Warmband-Temperaturführung am haubengeglühten Kaltband ein gestrecktes, verhältnismäßig grobes Korn bildeten (sog. pancake-Gefüge). Dieses Gefüge und die damit verbundene Textur seien, obwohl an sich für hohe Umformansprüche sehr vorteilhaft, wegen der Ausbildung einer aufgerauhten Oberfläche ("Orangenhaut") dann unerwünscht, wenn wie z.B. bei Batteriehülsen eine dekorative Oberfläche gefordert sei. Die Autoren schildern die Entwicklung neuer, Al-beruhigter Stähle, die auf der Erkenntnis beruhe, daß sich ein pancake-Gefüge nur bilde, wenn bei der Rekristallisation des kaltgewalzten Stahls feine Aluminiumnitride ausgeschieden würden, die zu einer Gefügeanisotropie und zu einer Texturbeeinflussung führten. Daraus ergebe sich die Aufgabe, die zur Alterungsbeständigkeit notwendige Stickstoffabbindung einem anderen Legierungspartner als Aluminium zu überlassen. Die NAffinität der untersuchten Nitridbildner Bor, Aluminium, Titan nehme in dieser Reihenfolge zu (B/N = 0,77; Al/N = 1,93; Ti/N = 3,42). Sowohl mit stöch. stöch. stöch. einer Ti- als auch mit einer B-Legierung könne die pancake-Bildung im Kaltband unterdrückt werden. Neben für eine Umformung günstigen mechanischen
Eigenschaften des Warmbandes sei der Vorteil der neu entwickelten Stähle in ihrem feinen globularen Gefüge zu sehen. Die Korngröße des Kaltbandes sei dabei stark vom Kaltwalzgrad abhängig; eine Korngröße ³ 9 werde ab einem Kaltwalzgrad von ca. 50 % erzielt. Das feine Gefüge führe allerdings insbesondere beim Ti-legierten Stahl zu einem höheren Streckgrenzenniveau.
Die Zusammensetzung des untersuchten Stahls St 14 (Ti) entspricht derjenigen in Merkmal 1 des Streitpatents. Zwar ist sie in der Druckschrift selbst nicht angegeben; der Fachmann konnte sie jedoch z.B. in der vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute herausgegebenen Stahl-Eisen-Liste 1981, in der die in der Bundesrepublik Deutschland hergestellten Stahlsorten mit ihrem Kurznamen und ihrer chemischen Zusammensetzung angegeben sind (Anl. 12 S. 30), nachsehen und liest sie insofern mit, wenn der untersuchte Stahl mit dem Kürzel St 14 bezeichnet wird.
Die Einhaltung des Merkmals 1.11 folgt aus dem Zusammenhang der Vorveröffentlichung. Zwar ist zu Vergleichszwecken ein unterstöchiometrisch legierter Ti-Stahl untersucht worden, von dem auf S. 7 gesagt wird, daß es bei ihm nach einer Teilrekristallisation zu einer Verzögerung bei der Rekristallisation infolge AlN-Ausscheidung komme. Eine solche Rekristallisationsverzögerung wird der Fachmann jedoch wegen der dadurch nötigen längeren Glühzeit ohne weiteres als nachteilig ansehen. Wenn der Vortrag mit dem Satz schließt, es bleibe festzuhalten, daß im Vergleich zum klassischen Kaltband mit keiner Rekristallisationsverzögerung bei den neu entwickelten Stählen zu rechnen sei, ergibt sich, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, hieraus für den Fachmann, daß die unterstöchiometrische Legierung des Ti-Stahls nur zur Verdeutlichung der Zu-
sammenhänge erfolgt ist, tatsächlich jedoch vermieden werden soll. Auch den Hinweis der Schrift auf die höhere Streckgrenze des titanlegierten Stahls wird der Fachmann nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht dahin verstehen , daß sich deswegen ein unterstöchiometrisches Titan-StickstoffVerhältnis empfehle.
Zwischen einer stöchiometrischen Einwaage und dem im Streitpatent angegebenen Verhältnis von Ti/N ³ 3,5 kann, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, gleichfalls kein sachlicher Unterschied gesehen werden, da der Fachmann zur Sicherstellung einer vollständigen Abbindung stets geringfügig überdosieren wird.
Eine Stoßofentemperatur von 1250 ° C (und damit eine Erwärmung der Bramme auf oberhalb 1120 ° C, Merkmal 2.1) wird auf S. 3 als üblich bezeichnet. Aufgrund dieser von dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigten Üblichkeit würde der Fachmann einen Hinweis erwarten, wenn diese Temperatur bei der Herstellung der geschilderten Stähle trotz ihrer ausdrücklichen Erwähnung nicht angewandt werden soll. Der Fachmann wird eine solche Temperatur daher als nach der Druckschrift auch für das geschilderte Verfahren sinnvoll und angebracht ansehen.
Die Walzendtemperatur (Merkmal 2.2) ist nicht explizit angegeben. Die Klägerin hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, daß es den Normalfall darstellt , das Warmwalzen bei einer Temperatur oberhalb Ar , bei der austeniti-

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sches (g) in ferritisches (a) Gefüge übergeht, zu beenden. Daher bedurfte dies für den Fachmann als selbstverständlich keiner besonderen Erwähnung; auch das hat der Sachverständige bestätigt.

Nach dem Haspeln wird das Band kaltgewalzt (Merkmal 2.4) und entsprechend Merkmal 2.5 nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund geglüht (S. 1).
Daß die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit den in Merkmal 2.4.1 angegebenen Umformgraden erfolgen solle, sagt die Schrift in dieser Form zwar nicht. Sie erwähnt und stellt in Bild 6 jedoch Kaltwalzgrade von ³ 50, insbesondere einen Kaltwalzgrad von 60 % dar, den Merkmal 2.4.1 des Streitpatents für sämtliche angegebenen Titangehalte zuläßt.
Nicht vorgegeben sind hingegen eine Haspeltemperatur von 520 ± 100 ° C (Merkmal 2.3), die Ausführung des rekristallisierenden Glühens bei einer Temperatur unterhalb A (721 ° C) (Merkmal 2.5.1) und die Einstellung

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von Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau.
3. Die von der Klägerin gleichfalls als neuheitsschädlich angesehene japanische Offenlegungsschrift Sho 59-67321 (Anl. 11/11 a = D 6) nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls nicht vorweg.
Versuchsbrammen der Stähle mit der in Tabelle 1 angegebenen, Merkmal 1 entsprechenden Zusammensetzung wurden allerdings zu Vergleichszwecken teils auf 1200 ° C, teils auf eine niedrigere Temperatur von 1060 ° C erwärmt. Obwohl die Schrift die höhere, Merkmal 2.1 entsprechende Erwärmung verwirft, ist sie gleichwohl beschrieben und damit dem Fachmann offenbart. Die Brammen wurden bei einer Fertigtemperatur von 850 - 900 ° C warm-
gewalzt (Merkmal 2.2), bei unterschiedlichen, bevorzugt zwischen 300 und 540 ° C liegenden Temperaturen gehaspelt (Merkmal 2.3), anschließend mit einem Kaltwalzgrad von 75 % bei ca. 0,03 % Titan kaltgewalzt (Merkmale 2.4 und 2.4.1) und geglüht.
Die Glühung erfolgte jedoch nicht im Bund, sondern im Durchlauf bei einer Temperatur von 820 ° C (entgegen Merkmalen 2.5 und 2.5.1).
4. Die übrigen von den Parteien diskutierten Schriften liegen weiter ab vom Gegenstand des Streitpatents und sind ebensowenig neuheitsschädlich. Das hat der Sachverständige bestätigt, und auch die Klägerin macht nichts Gegenteiliges mehr geltend. Sie bedürfen daher an dieser Stelle keiner Erörterung.
III. Die technische Lehre des verteidigten Anspruchs 1 war dem Fachmann jedoch durch den Stand der Technik nahegelegt. Es bedurfte keiner erfinderischen Tätigkeit, um von der Entgegenhaltung D 1 zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents zu gelangen.
Der Fachmann mußte hierzu nur bei der Nacharbeitung des in der Druckschrift beschriebenen titanlegierten Stahls eine Haspeltemperatur im Bereich von 520 ± 100 ° C (Merkmal 2.3) wählen und das rekristallisierende Glühen bei einer Temperatur unterhalb des Punktes A (721 ° C) ausführen (Merk-

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mal 2.5.1). Beides bot sich ihm nach seinem allgemeinen Fachwissen und seiner praktischen Erfahrung an.
1. Zur Haspeltemperatur heißt es in der Entgegenhaltung, die Aluminiumnitridbildung setze erst im Coil ein bzw. werde bei Haspeltemperaturen < 600 ° C sogar vollständig unterdrückt (S. 3 unten). Wie die Beklagte zu Recht vorbringt und der Sachverständige bestätigt hat, ist dem allerdings nicht die Anweisung an den Fachmann zu entnehmen, das Band bei einer unter 600 ° C liegenden Temperatur zu haspeln. Denn der Satz steht im Zusammenhang mit der Erörterung der Ausscheidungstemperatur der untersuchten Nitridbildner B, Al und Ti: bei der üblichen Stoßofentemperatur von 1250 ° C gingen alle Bornitride in Lösung, während die Titannitride noch weitestgehend ausgeschieden seien; in der Warmbandstraße finde dann die BN-Bildung bereits im Austenit in einem weiten Temperaturbereich statt, während die AlN-Ausscheidung auf ein engeres Temperaturintervall zwischen 650 und 850 ° C beschränkt sei und bevorzugt erst im Ferrit erfolge. Es werden insoweit nur, wie der Sachverständige ausgeführt hat, die metallkundlichen Grundlagen der beschriebenen Stahlherstellung referiert. Bei einer stöchiometrischen Titanlegierung besteht wegen der TiN-Ausscheidung tatsächlich keine Notwendigkeit, eine Aluminiumnitridbildung im Coil zu unterdrücken.
Andererseits entnimmt der Fachmann der Druckschrift in diesem Zusammenhang entgegen dem Vorbringen der Beklagten auch nicht den Hinweis, das Warmband bei einer höheren Temperatur zu haspeln, um ein weicheres Warmband zu produzieren, auf das bei der anschließenden Kaltverformung ein geringerer Druck aufgebracht werden muß und das ein Kaltband mit niedrigerer Streckgrenze ergibt. Denn nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen können hohe Haspeltemperaturen zwar für einen gewünschten weichen Stahl gewählt werden, der Fachmann wird bei einem kaltzuwalzenden
Band jedoch das Gefüge als die entscheidende Größe ansehen und deswegen eine hohe Haspeltemperatur als bloße Möglichkeit betrachten.
Die Haspeltemperatur wird vom Fachmann, wie der Sachverständige weiter dargelegt hat, typischerweise experimentell bzw. anhand von Erfahrungswerten bestimmt. Gegen eine hohe Temperatur kann dabei die sich hieraus ergebende Kornvergrößerung sprechen. Der im Streitpatent angegebene Bereich liegt nach den Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen dessen , was der Fachmann üblicherweise in Betracht ziehen und erproben wird. Eine Bestätigung findet dies etwa in der Abhandlung "Strain hardening of highstrength steels" (Anl. 7 = D 3), in der die Haspeltemperatur mit 580 ° C angegeben wird, ebenso wie in der japanischen Offenlegungsschrift Sho 59-67321 (Anl. 11/11 a = D 6), die Haspeltemperaturen von 300 bis 540 ° C erwähnt, die sie einer "hohen Haspeltemperatur" von 650 ° C oder darüber gegenüberstellt (S. 2 - 5 der Übersetzung).
2. Das rekristallisierende Glühen bei einer Temperatur unterhalb des Punktes A , bei dem das ferritische Gefüge in das austenitische übergeht, aus-

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zuführen, lag für den Fachmann gleichfalls nahe. Denn er wählte, wie der Sachverständige erläutert hat, die Glühtemperatur so, daß er einerseits eine vollständige Rekristallisation erreichte, andererseits negative Effekte wie ein unerwünschtes Kornwachstum möglichst vermied. Wegen der Texturschädlichkeit der Gefügeumwandlung glühte er daher im allgemeinen unterhalb des Übergangs zum Austenit. Die Druckschrift D 1 gab dem Fachmann keinen Hinweis , daß bei der Herstellung des beschriebenen titanlegierten Stahls etwas anderes sinnvoll sein könne.
3. Damit legte die Schrift dem Fachmann in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen und seiner praktischen Erfahrung die Gesamtkombination der Merkmale des verteidigten Anspruchs 1 nahe. Daß Zipfelfreiheit oder Zipfelarmut bei hohem Streckgrenzenniveau (Merkmal 2) nicht erwähnt sind, ist dabei unerheblich. Denn sie sollen sich nach dem Streitpatent durch die Einhaltung der in den Merkmalen 2.1 bis 2.5.1 ergebenden Parameter bei der Herstellung eines Stahlbandes mit der Zusammensetzung nach Merkmal 1 ergeben und sind daher ebenso notwendige Folge des nahegelegten Herstellungsverfahrens.
IV. Dagegen hat der Senat nicht die Überzeugung gewonnen, daß es keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um vom Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrages der Beklagten zu gelangen.
1. Von der mit dem Hauptantrag verteidigten Anspruchsfassung unterscheidet sich diese dadurch, daß nach Merkmal 1.11' der Titangehalt auf mindestens das Vierfache des Stickstoffgehalts eingestellt wird. Gegen eine solche Anspruchsfassung, die eine Beschränkung gegenüber der Mindestangabe in der primär verteidigten Anspruchsfassung darstellt und den ursprungsoffenbarten Ausführungsbeispielen des Streitpatents entspricht, die den Titangehalt gleichfalls mit mindestens dem Vierfachen des Stickstoffgehalts angeben, bestehen keine Bedenken.
Mit dieser Anspruchsfassung ist ein Verfahren bezeichnet, bei dem der Titangehalt ausgeprägt überstöchiometrisch eingestellt wird, so daß sich durch die Bildung von Titankarbid die Streckgrenze erhöht und der Stahl härter wird.

2. Der Vortrag Bleck/Hübner (D 1) konnte dem Fachmann das so umschriebene Herstellungsverfahren nicht nahelegen.
Zwar hat der Sachverständige das Vorbringen der Klägerin bestätigt, daß der Fachmann, dem es um eine zuverlässige Bindung des Stickstoffs zu tun ist, in der Praxis etwas überstöchiometrisch einwiegen möge. Auch wenn unter diesem Gesichtspunkt mit der Klägerin eine Überdosierung um 10 bis 15 % in Betracht gezogen wird, ergibt sich hieraus jedoch lediglich ein Titangehalt, der das 3,76- bis 3,93fache des Stickstoffgehalts beträgt. Der beanspruchte Gehalt liegt darüber.
Der Fachmann entnimmt der Druckschrift D 1 zwar, wie ausgeführt, daß eine unterstöchiometrische Einstellung des Titangehalts wegen der hierdurch verursachten Verzögerung der Rekristallisation nicht sinnvoll ist. Andererseits fehlt jedoch jede Anregung, Titan gezielt und ausgeprägt überstöchiometrisch in einem Maße einzuwiegen, welches deutlich über das hinausgeht, was zur sicheren Vermeidung eines unterstöchiometrischen Verhältnisses angemessen ist. Nach dem Inhalt der Druckschrift erscheint dies dem Fachmann vielmehr, wie der Sachverständige bestätigt hat, nachteilig, da er die Titanlegierung zwar benötigt, um die gewollte Unterdrückung der pancake-Bildung zu erreichen, dies jedoch nach der Entgegenhaltung D 1 nur um den Preis erreicht wird, daß die Streckgrenzen des beschriebenen Stahl St 14 (Ti), wie auf S. 6 angegeben, insgesamt auf einem an sich unerwünscht höheren Niveau liegen. Aufgrund des feineren Korns seien, so heißt es dort, höhere Dressiergrade zur Beseitigung der Streckgrenzendehnung und zum Erreichen des Streckgrenzenminimums notwendig; für das in Bild 9 gezeigte Beispiel bedeute das konkret, daß
beim Einsatz von St 14 (Ti) anstelle von St 14 der Dressiergrad von 0,5 auf 1,5 % habe angehoben werden müssen und daß im ausdressierten Zustand mit einem um 40 Newton/mm2 höheren Streckgrenzenniveau gerechnet werden müsse. Das entspricht der vom Sachverständigen bestätigten Lehrmeinung zum Prioritätszeitpunkt, für tiefziehgeeignete Bleche eine niedrige Streckgrenze anzustreben, und muß den Fachmann von einer ausgeprägten überstöchiometrischen Titaneinwaage abhalten, von der eine noch höhere Streckgrenze zu erwarten ist.
Aufgrund dessen wird der Fachmann eine solche überstöchiometrische Einwaage auch nicht deshalb erwägen, weil sonst im Stand der Technik höhere Titangehalte erwähnt werden, wie etwa in der Abhandlung "Verbesserung der Eigenschaften von Warmbreitband aus weichem unlegiertem Stahl" in Stahl und Eisen 106 (1986) S. 122 ff. (Anl. 10 = D 5), wo gesagt wird, bei Ti-haltigem Stahl werde das Ti/N-Verhältnis im Bereich zwischen 2 und 4 angestrebt. Denn das ändert nichts daran, daß aus diesem - ohnehin sehr ungenauen - Bereich dem Fachmann bei der Herstellung des titanlegierten Stahls, zum dem ihn die Druckschrift D 1 anregt, nur ein stöchiometrisches Titan-Stickstoff-Verhältnis brauchbar erscheinen wird und er deshalb ein Verhältnis 2:1 ebenso verwerfen wird wie ein Verhältnis gleich oder größer 4:1.
3. Auch im übrigen kann nicht festgestellt werden, daß das Verfahren nach Anspruch 1 in der hilfsweise verteidigten Fassung durch den Stand der Technik nahegelegt worden ist.

a) In einem weiteren Vortrag von Bleck/Hübner mit dem Titel "Kaltband mit besonderen Tiefzieheigenschaften" (Anl. 5 c) wird geschildert, daß es bei
der üblichen Herstellweise von Tiefziehblechen zur Ausbildung einer planaren Anisotropie komme, die beim Tiefziehen zur Zipfelbildung führen könne. Durch geeignete Maßnahmen sei es möglich, die planare Anisotropie zu minimieren und sogar vollständig zu unterdrücken. Dazu gehöre zunächst der Kaltwalzgrad. Kaltwalzgrade über 70 % könnten die planare Anisotropie verringern, seien aber nicht in allen Fällen technisch machbar. Auch bei Kaltwalzgraden von etwa 30 bis 40 % sei der r-Wert nahezu richtungsunabhängig, nachteilig seien jedoch ein geringes r-Wert-Niveau und das sich beim rekristallisierenden Glühen einstellende grobe Gefüge. Sondermaßnahmen wie geänderte Temperaturführung beim Warmbandwalzen, Warmbandglühen oder ein Legieren mit stickstoffaffinen Elementen könnten die Differenzen in der r-Wert-Charakteristik deutlich verkleinern. In diesem Zusammenhang wird ein Bor-legierter Stahl als günstige Alternative zu einem vakuumentkohlten Sonderstahl mit überstöchiometrisch zulegiertem Titan (IF-Stahl) zur Herstellung von gut umformbarem Kaltband mit geringer planarer Anisotropie empfohlen.
Die Aussagen über einen Bor-legierten Stahl lassen sich jedoch, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, nicht ohne weiteres auf einen Titan -legierten Stahl übertragen. Gegen eine solche Übertragung spricht auch, daß der Vortrag selbst zwar auch einen Titan-legierten Stahl erwähnt, jedoch nur als vakuumentkohlten Sondertiefziehstahl und gerade nicht als Alternative zu einem Bor-legierten Stahl im Zusammenhang mit der Vermeidung planarer Anisotropie und daraus sich ergebender Zipfelbildung. Im übrigen fehlen auch hier Hinweise auf eine überstöchiometrische Boreinwaage; vielmehr wird eingangs des Textes (S. 2) darauf hingewiesen, daß die chemische Zusammensetzung des Stahls so zu wählen sei, daß die festigkeitssteigernden Elemente möglichst minimiert würden.


b) Der Schlußbericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften "Recristallisation des tôles d'aciers extra-doux durcies" (D 9) gelangt zu dem Ergebnis, daß die endgültigen Eigenschaften der untersuchten Stähle von den Bedingungen des Warmwalzens, insbesondere von der Temperatur am Ende des Walzens und der Abkühlgeschwindigkeit vor der Haspelung, abhängig seien , während die Haspeltemperatur demgegenüber wenig Einfluß habe (Schlußfolgerung 9.2, S. 9 = S. 13 Übersetzung). Zwar ist, worauf die Klägerin verweist, dem Rapport auch zu entnehmen, daß der untersuchte Stahl Ti-2 mit einem Ti/N-Verhältnis von 49:1 nach einem Haspeln bei einer Temperatur von 500 ° C einen Dr-Wert von 0,02 aufwies (Tab. XIII - (1), also nahezu Isotropie zeigte. Der Stahl Ti-2 entspricht jedoch weder hinsichtlich des (geringeren) Aluminium- noch hinsichtlich des (höheren) Titangehalts den Vorgaben des Streitpatents (Merkmale 1.7 und 1.8). Zudem zeigt Tab. XIV dem Fachmann, daß mit dem Stahl Ti-1, dessen Titangehalt mit 0,12 % noch deutlich höher liegt (Tab. I), mit Haspeln bei hoher Temperatur und Haubenglühen bei 800 ° C mit einem Dr-Wert von Null eine Anisotropie vollständig vermieden wird. Die Empfehlung des Rapports geht dahin, eine Ti- oder Nb-Zugabe von 0,5 bis 0,7 % mit der sorgfältigen Auswahl der Bedingungen für das Warmwalzen und das Kaltwalzen mit einem Verformungsgrad um 70 % und einem geeigneten Durchlaufglühzyklus zu kombinieren, um Bleche mit hoher Festigkeit bei einem günstigen Anisotropiekoeffizienten zu erhalten (9.4). Eine in Richtung auf die Lehre des Streitpatents weisende Anregung ist nicht erkennbar, und auch die Klägerin ist auf die Entgegenhaltung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr zurückgekommen.

c) In der japanischen Offenlegungsschrift (D 6) werden zwei Stahlzusammensetzungen mit deutlich überstöchiometrischem Titananteil (16:1 bzw. 11:1) untersucht. Da die Schrift die erfindungsgemäße Stoßofentemperatur ausdrücklich verwirft, entnimmt ihr der Fachmann jedoch, wie die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, keine zum dem Verfahren nach dem Streitpatent führende Anregung.
V. Auch für Anspruch 3 des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags der Beklagten lassen sich die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung nicht feststellen.
1. Anspruch 3 ist ein auf ein zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band gerichteter Sachanspruch. Sein Gegenstand ist durch drei Merkmale gekennzeichnet : zum ersten durch die "gegebene Zusammensetzung", d.h. die Stahlanalyse nach Merkmal A, zum zweiten durch die Ferritkorngröße nach Merkmal B und zum dritten durch das Verfahren nach Anspruch 1 oder 2 (Merkmal C). Während die beiden ersten Merkmale physikalische Eigenschaften der Sache selbst bezeichnen, umschreibt Merkmal C diese mittelbar durch das Verfahren zu ihrer Herstellung.
Aus der Eigenschaft eines Sachanspruchs folgt, daß es für den Rechtsbestand des Anspruchs 3 nicht auf die Patentfähigkeit des Verfahrens, sondern nur auf die Patentfähigkeit des beanspruchten Stahlblechs oder Stahlbands ankommt (Sen., BGHZ 122, 144, 154/155 - tetraploide Kamille). Damit wird das Verfahren jedoch nicht bedeutungslos. Vielmehr gehören zu den Sachmerkmalen der hierdurch bezeichnete beanspruchte Gegenstand und s eine erfindungsgemäßen körperlichen oder funktionalen Eigenschaften, die sich aus der Anwendung
des Verfahrens bei seiner Herstellung ergeben. Welche das sind, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln. Maßgebend ist dabei - wie stets - wie der angesprochene Fachmann die Angaben zum Herstellungsweg versteht und welche Schlußfolgerungen er hieraus für die erfindungsgemäße Beschaffenheit der auf diesem Wege herstellbaren Sache zieht.
Im Streitfall wird das beanspruchte Stahlblech oder -band nicht allein durch die Stahlanalyse und die Korngröße definiert. In diesem Fall wäre die Angabe des Herstellungsverfahrens überflüssig, die jedoch gerade dazu bestimmt ist, das Verfahrenserzeugnis selbst weiter zu kennzeichnen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Bezugnahme auf das Verfahren nach Anspruch 1 aber auch nicht lediglich dahin verstanden werden, daß das Blech oder Band beim Tiefziehen Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut und ein hohes Streckgrenzenniveau aufweist. Schon nach der Problemstellung (vgl. S. 2 Z. 44 - 46 und S. 2 Z. 67 - S. 3 Z. 3) geht es dem Streitpatent um ein kostengünstig herstellbares tiefziehgeeignetes Stahlblech oder -band. Nach der Streitpatentschrift beeinflussen die verschiedenen Maßnahmen zur Verfahrensführung , die in ihrer Kombination in Anspruch 1 unter Schutz gestellt sind, wechselseitig die (physikalische) Beschaffenheit des Blechs oder Bands. Die Zipfelfreiheit oder zumindest -armut ist zum einen vom Kaltwalzgrad abhängig, der wiederum in Abhängigkeit vom Titangehalt zu wählen ist. Zum anderen spielen die Temperaturen der verschiedenen Umformschritte eine Rolle, namentlich die Haspeltemperatur und die Glühtemperatur. Aus dem Zusammenwirken dieser jeweils erfindungsgemäß eingestellten Parameter ergibt sich (jeweils ) ein bestimmtes Gefüge des kaltgewalzten Stahlblechs, das bei einem erhöhten, aber immer noch relativ niedrigen Streckgrenzenniveau als zumindest zipfelarm qualifiziert werden kann. Da dieses Gefüge mit räumlich-
körperlichen Merkmalen nicht zuverlässig charakterisiert werden kann, charakterisiert Anspruch 3 des Streitpatents es mittelbar durch die Angabe des Herstellungsweges. Zipfelarmut bei hohem Streckgrenzenniveau reicht hingegen auch gemeinsam mit der Stahlanalyse und der Ferritkorngröße zur Kennzeichnung des erfindungsgemäßen Erzeugnisses nicht aus. Denn annähernde Zipfelfreiheit bei einer Korngröße ASTM 8 war nach der Streitpatentschrift auch im Stand der Technik - wenn auch mit den damit verbundenen Nachteilen - etwa durch Normalglühen erreichbar (S. 2 Z. 18-20). Ein "hohes" Streckgrenzenniveau im Sinne des Streitpatents läßt sich sinnvoll überhaupt nur relativ in bezug auf einen bestimmten Kaltwalzgrad einer bestimmten Legierung verstehen. Denn wie die Streitpatentschrift auf S. 2 Z. 58-60 bemerkt und Figur 11 der Streitpatentschrift zeigt, liegt das erfindungsgemäß zugelassene Streckgrenzenniveau in einem breiten Bereich zwischen 175 und 450 Newton/mm2 und ist insbesondere bei geringerem Titananteil nur insofern hoch, als die geringere Zipfeligkeit bei höheren Streckgrenzen festzustellen war (S. 3 Z. 57-59). Selbst das gilt im übrigen nicht ausnahmslos, wie Fig. 11 zeigt, wo z.B. bei Legierung A bei e > 60 % die Streckgrenze außerhalb des erfindungsgemäßen Bereichs höher liegt als bei e £ 60 % innerhalb des erfindungsgemäßen Bereichs. Anspruch 3 des Streitpatents kennzeichnet den erfindungsgemäßen Stahl hiernach - auch - dadurch, daß er unter Beachtung der Verfahrensmerkmale 2 bis 2.5.1 hergestellt worden ist.
2. Daraus ergibt sich, daß der druckschriftliche Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 3 ebensowenig vorwegnimmt oder nahelegt wie das Verfahren nach Anspruch 1. Denn um das wie vorstehend gekennzeichnete Stahlblech oder -band in die Hand zu bekommen (Sen., BGHZ 103, 150,
156/157 - Fluoran), mußte der Fachmann den Herstellungsweg nach Anspruch 1 kennen und anwenden.
3. Das erfindungsgemäße Band wird aber auch durch die von der Klägerin geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung nicht vorweggenommen. Dabei kann mit dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen werden, daß die Klägerin nach einem Anspruch 1 entsprechenden Verfahren (in der Alternative 0,018 % Titan, einem Ti/N-Verhältnis von 4:1 und einem Kaltwalzgrad von 61,4 - 63,5 %) Stahlband hergestellt hat, das zipfelarm war und eine Ferritkorngröße feiner als ASTM 9 aufgewiesen hat. Ein Band nach Anspruch 3 ist damit der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden (§ 3 Abs. 1 PatG).
Ob das entsprechend der Auffassung des Bundespatentgerichts schon deshalb gilt, weil nicht feststeht, daß entsprechende Coils vor dem Anmeldetag des Streitpatents an Kunden ausgeliefert worden sind, bedarf keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob der weiteren Annahme des Bundespatentgerichts gefolgt werden könnte, es wäre zwar für Fachleute ohne weiteres möglich gewesen, den gelieferten Stahl innerhalb etwa einer Woche ohne unzumutbaren Aufwand zu analysieren, dies habe jedoch zu fern gelegen und sei deshalb als rein theoretische Möglichkeit außer Betracht zu lassen, da es sich nur um ca. 0,03 % der Jahresproduktion der Klägerin gehandelt habe, die als handelsübliche Stahlqualitäten ST 12 bis 14 ausgeliefert worden seien und deren Analyse allenfalls infolge eines reinen Zufalls erfolgt wäre. Das gleiche gilt für die Erwägung der Beklagten, der Fachmann habe jedenfalls keinen Anlaß gehabt, das Kaltband auf Zipfelfreiheit zu untersuchen, da hierfür bei der gelieferten Qualität in der maßgeblichen DIN 1623 keine Werte festgelegt gewesen seien. Denn eine mit zumutbarem Aufwand durchgeführte Analyse des
gelieferten Bandes hätte dem Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 3 des Streitpatents nicht zugänglich gemacht.
Durch die Analyse hätte er nämlich nur die Zusammensetzung nach Anspruch 1, die bestehende Zipfelfreiheit oder -armut sowie die Streckgrenze feststellen können. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß er dem kaltgewalzten Erzeugnis die Einzelheiten der Verfahrensführung nach der Merkmalsgruppe 2 des Anspruchs 1 und die sich erst daraus ergebenden Eigenschaften hätte entnehmen können. Ohne Kenntnis des Verfahrens hätte er auch ein dem Verfahren entsprechendes Produkt nicht herstellen können, und eine neuheitsschädliche Vorwegnahme des Produkts ist schon aus diesem Grunde zu verneinen (Sen., BGHZ 103, 150 - Fluoran; Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz , 9. Aufl., § 3 PatG Rdn. 51, 52; Busse, Patentgesetz, 5. Aufl., § 3 Rdn. 116, 117; Rogge, GRUR 1996, 931, 933 mit Fn. 13). Das Bundespatentgericht hat in diesem Zusammenhang allerdings als zwischen den Parteien unstreitig behandelt, daß die Klägerin ihren Kunden auf Anfrage über die Verfahrensschritte , soweit sie nicht ohnehin zum Wissen des Fachmanns gehörten oder sich aus der Beschaffenheit des Stahls ergaben, Auskunft gegeben hätte. Daß die Klägerin hierzu bereit gewesen wäre, bestreitet die Beklagte jedenfalls in der Berufungsinstanz. Auf diese Bereitschaft kommt es jedoch nicht an. Eine Benutzungshandlung ist offenkundig, wenn sie die nicht zu entfernte Möglichkeit eröffnet, daß beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige, ausreichende Kenntnis von der Erfindung erhalten (Sen.Beschl. v. 05.03.1996 - X ZB 13/92, GRUR 1996, 747, 752 - Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem ). Maßgeblich ist deshalb nicht, ob die Klägerin bereit gewesen wäre, die fehlenden Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern ob sie diese Möglichkeit tatsächlich eröffnet hat. Insofern gilt für die Offenba-
rung der Verfahrensführung nichts anderes als für die Offenbarung der Stahlzusammensetzung. Daß sie tatsächlich einen Kunden entsprechend unterrichtet oder auch nur allgemein ihre Bereitschaft dazu erklärt hat, wird von der Klägerin jedoch nicht behauptet, und dafür bestehen auch keine Anhaltspunkte.
VI. Die mit der Nichtigkeitsklage ebenfalls angegriffenen Patentansprüche 2 und 4 haben weitere Ausgestaltungen der Lehre der Patentansprüche 1 und 3 in ihrer hilfsweise verteidigten Fassung zum Gegenstand, sind auf diese rückbezogen und werden daher durch deren Patentfähigkeit ebenfalls getragen.
VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 110 Abs. 3 Satz 2 PatG in der nach Art. 29 2. PatGÄ ndG weiter anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rogge Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 8 1 / 1 3 Verkündet am:
13. Januar 2015
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Kochgefäß
EPÜ Art. 69; PatG § 14; IntPatÜbkG Art. II § 3 i.d.F vom 20. Dezember 1991

a) Zur Prüfung der Gleichwirkung ist es erforderlich, den Patentanspruch darauf
zu untersuchen, welche der Wirkungen, die mit seinen Merkmalen erzielt
werden können, zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe erfindungsgemäß
zusammenkommen müssen. Die Gesamtheit dieser Wirkungen repräsentiert
die patentgemäße Lösung; ihre weitere Unterteilung in "erfindungswesentliche"
und "zusätzliche" Wirkungen ist verfehlt.

b) Auf den Gutglaubensschutz nach Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG aF kann sich
auch derjenige berufen, dem die fehlerhafte Übersetzung der Patentschrift
nicht bekannt war, der jedoch in Kenntnis derselben zu dem Schluss hätte
kommen dürfen, dass durch das Patent ein von dem tatsächlich unter Schutz
gestellten abweichender Gegenstand geschützt ist.
BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 81/13 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter
Gröning, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das am 23. Mai 2013 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin war Inhaberin des am 4. Oktober 1991 angemeldeten, mit Wir1 kung für Deutschland erteilten und inzwischen wegen Ablaufs der Schutzdauer erloschenen europäischen Patents 481 303, das Kochgefäße mit einem kapselförmigen Boden mit einem seitlich profilierten Band betrifft (Klagepatent). Der einzige Anspruch des Klagepatents lautet in der Verfahrenssprache: "A cooking pan (10) with a capsular base (18), characterised in that the lateral wall (26) of the protection covering (22) of said capsular base (18) is shaped with raised portions (28, 30) and/or depressions (32, 34) obtained by providing corresponding recesses and/or projections in the relative region of the die of the mould used to produce said capsular base (18)."
2
Die Klägerin hat die Beklagten wegen des Vertriebs bestimmter Topfmodelle in Deutschland mit der Behauptung, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent, auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsrechtszug haben die Parteien nach dem Ablauf der Schutzfrist den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat ein Gutachten eingeholt und sodann die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten, soweit der Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, den Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


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Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. I. Das Klagepatent betrifft Kochgefäße, die aus Metall mit niedrigem Wärme4 leitvermögen, beispielsweise aus rostfreiem Stahl (Edelstahl), hergestellt werden. Eine bessere Verteilung der Wärme auf den Inhalt des Topfes wird bei solchen Kochgefäßen dadurch erreicht, dass auf der Unterseite des Topfes eine gut wärmeleitende Schicht, etwa aus Aluminium, aufgebracht wird. Um diese gut wärmeleitende Schicht zu schützen, wird sie mit einer weiteren Metallschicht umhüllt, die eine größere Beständigkeit gegen Oxidation, Korrosion und Zerkratzen aufweist und typischerweise aus Edelstahl besteht. Im Stand der Technik war es nach der Beschreibung des Klagepatents bekannt, die gut wärmeleitende Schicht nicht nur an der Unterseite zu schützen, sondern die Schutzschicht auch seitlich hochzuziehen, so dass sie den seitlichen Rand der gut wärmeleitenden Schicht schützt. Das Ergebnis ist ein Kochgefäß, bei dem die Schicht aus Metall mit gutem Wärmeleitvermögen vollkommen eingeschlossen ist von Metall mit niedrigerem Wärmeleitvermögen und größerer Beständigkeit gegen Oxidation, Korrosion und Zerkratzen. Ein solches Kochgefäß ist im Klagepatent als "capsular base pan" bezeichnet (Sp. 1, Z. 23 ff.). Ein Kochgefäß dieser Art, bei dem eine gute Verbindung der einzelnen
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Schichten des Bodens erzielt wird, kann nach der Beschreibung durch das im europäischen Patent 209 745 und im italienischen Patent 1 209 648 geschilderte Verfahren hergestellt werden. Dabei wird an der Unterseite des Topfbodens in der Mitte eine konkave Verformung gebildet. Wird ein solchermaßen hergestellter Topf erwärmt , dehnen sich die Schichten des Topfbodens und insbesondere die gut wärmeleitende Schicht aus. Das führt nach der Darstellung in der Beschreibung des Klagepatents tendenziell zu einer konvexen Verformung des Topfbodens, die unter idealen Bedingungen, nämlich bei gleichmäßiger Erwärmung des Topfbodens, durch die erwähnte konkave Verformung kompensiert wird. Diese idealen Bedingungen liegen jedoch nicht immer vor, insbesondere dann nicht, wenn das Kochgefäß nicht mittig auf der Wärmequelle steht. In einer solchen Situation kann es bei Erhitzen des Kochgefäßes zu peripheren Deformationen kommen, die durch die konkave Wölbung im Boden nicht kompensiert werden. Ist der Boden nicht völlig eben, bringt dies den Nachteil mit sich, dass er nicht vollständig auf der Wärmequelle aufliegt und die Weiterleitung der Wärme an das Kochgefäß und seinen Inhalt beeinträchtigt wird. Das technische Problem besteht mithin darin, ein Kochgefäß mit einem kap6 selförmigen Boden dahin weiter zu entwickeln, dass periphere Deformationen verhindert werden. Erfindungsgemäß soll das durch ein Kochgefäß mit den Merkmalen des Pa7 tentanspruchs erreicht werden, die sich wie folgt gliedern lassen: 1. Kochgefäß mit kapselförmigem Boden; 2. die Seitenwand der Schutzabdeckung des kapselförmigen Bodens ist mit erhöhten Bereichen und/oder Vertiefungen geformt; 3. die erhöhten Bereiche und/oder Vertiefungen werden dadurch erhalten , dass im zugehörigen Bereich der Matrize des zur Herstellung des kapselförmigen Bodens verwendeten Presswerkzeugs entsprechende Ausnehmungen und/oder Vorsprünge vorgesehen sind.
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In der zunächst eingereichten deutschen Übersetzung der Patentschrift war der Begriff "mould" in Anspruch und Beschreibung als "Gusswerkzeug" übersetzt worden. Eine berichtigte Übersetzung der Patentschrift ist von der Klägerin erst im Verlauf des Verfahrens vor dem Landgericht beim Patentamt eingereicht worden. Mit dem Klagepatent ist der Klägerin Schutz für ein Erzeugnis gewährt wor9 den, das auch durch das Verfahren zu seiner Herstellung beschrieben wird. Nach Merkmal 3 werden die erhöhten Bereiche oder Vertiefungen der Seitenwand dadurch erhalten, dass das zur Herstellung des kapselförmigen Bodens verwendete Presswerkzeug entsprechende Ausnehmungen oder Vertiefungen im zugehörigen Bereich der Matrize aufweist. Diese Formulierung des Anspruchs als product-by-processAnspruch dient allein der Kennzeichnung des patentgemäßen Erzeugnisses und bringt keine Beschränkung auf Erzeugnisse zum Ausdruck, die tatsächlich mittels der in Merkmal 3 geschilderten Vorgehensweise hergestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 1993 - X ZB 13/90, BGHZ 122, 144, 155 - Tetraploide Kamille; BGH, Urteil vom 8. Juni 2010 - X ZR 71/08, Juris Rn. 23). Auch aus der gebotenen Auslegung des Patentanspruchs unter Berücksichtigung der Beschreibung des Klagepatents (BGH, Urteil vom 19. Juni 2001 - X ZR 159/98, GRUR 2001, 1129, 1133 - Zipfelfreies Stahlband) ergeben sich keine Hinweise auf eine Beschränkung des geschützten Gegenstands durch den zu seiner Kennzeichnung herangezogenen Verfahrensweg. Soweit in der Beschreibung unter Verweis auf die europäische Patentanmeldung 209 745 und das italienische Patent 1 209 648 geschildert wird, dass die dort beschriebene Vorgehensweise, bei der die verschiedenen Bestandteile der Bodenkonstruktion in bestimmter Weise erhitzt und durch stoßartigen, zunächst zentral aufgebrachten Druck verbunden werden, zu einer besonders guten Verbindung der verschiedenen Schichten untereinander führe (Sp. 1, Z. 40 ff.), hat dies keinen Eingang in den Patentanspruch gefunden, der lediglich verlangt, dass die erhöhten Bereiche oder Vertiefungen mittels korrespondierender Ausnehmungen oder Vorsprünge der Matrize eines Presswerkzeugs hergestellt werden können.
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II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beklagten könnten sich nicht mit Erfolg darauf berufen, das Klagepatent
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habe nach Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜbkG in der bis zum 1. Mai 2008 geltenden Fassung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wegen der fehlerhaften Übersetzung von vornherein keine Wirkung entfaltet. Eine inhaltlich unrichtige oder unvollständige Übersetzung stehe einer fehlenden Übersetzung nicht gleich. Zutreffend habe das Landgericht eine wortsinngemäße Verletzung verneint.
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Bei den angegriffenen Ausführungsformen fehle es an einem kapselförmigen Boden. Darunter sei nach dem Klagepatent ein Boden zu verstehen, bei dem die Schicht mit hoher Wärmeleitfähigkeit vollständig eingekapselt sei. Dies erfordere, dass die Edelstahlschicht die Schicht mit hoher Wärmeleitfähigkeit nicht nur an der Topfunterseite vollständig abdecke, sondern auch seitlich bis zum Topfboden hochgezogen sei. Bei den von der Beklagten vertriebenen Töpfen sei die gut wärmeleitende Schicht nicht vollständig eingekapselt. Daher sei das gut wärmeleitende Material nicht gegen jegliche Korrosion, Oxidation oder mechanische Beschädigung geschützt. Die angegriffenen Ausführungsformen machten vom Klagepatent aber äquiva13 lent Gebrauch. Die erforderliche Gleichwirkung liege vor. Die Behauptung der Beklagten , das Problem, mit dem sich das Klagepatent befasse - die Verhinderung peripherer Deformationen, die zu Unebenheiten des Topfbodens führten - könne bei den angegriffenen Töpfen nicht auftreten, weil dort die Schicht hoher Wärmeleitfähigkeit nicht vollständig eingekapselt sei, treffe nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht zu. An der Gleichwirkung fehle es auch nicht deshalb, weil die angegriffenen Töpfe keinen kapselförmigen Boden aufwiesen. Die vollständige Einkapselung der gut wärmeleitenden Schicht diene dazu, eine Oxidation, Korrosion oder mechanische Beschädigung dieser Schicht vollständig zu verhindern. Auf die- sen Vorteil des kapselförmigen Bodens komme es aber hier nicht an. Nachdem das Problem, dem sich das Streitpatent widme - die Verhinderung einer Deformation des Topfbodens beim Erwärmen - auch bei Töpfen mit unvollständiger Verkapselung auftreten könne, seien aus dem Erfordernis eines kapselförmigen Bodens keine Mindestanforderungen an den Schutz der gut wärmeleitenden Schicht abzuleiten, denn insoweit handele es sich um eine zusätzliche Wirkung neben der mit dem Merkmal beabsichtigten erfindungswesentlichen Wirkung der Erhöhung der Steifigkeit von Deformationen im peripheren Bereich. Eine andere Beurteilung sei auch in Bezug auf den Einsatz einer Kupferschicht in der Mitte des Topfbodens bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht veranlasst. Der Fachmann habe die abgewandelte Ausführungsform ohne erfinderisches Bemühen auffinden können. Für ihn sei erkennbar gewesen, dass ein Boden, bei dem auf eine vollständige Kapselung verzichtet werde , nicht nur einfacher herzustellen sei, sondern auch dieselben Vorteile in Bezug auf die Versteifung und die dadurch bedingten Auswirkungen auf das Verformungsverhalten biete. Die abgewandelte Ausführungsform sei auch gleichwertig. Sie knüpfe an den Sinngehalt der Lehre des Klagepatents an, weil sie sich ebenso wie diese die Auswirkungen der randseitigen Versteifung auf das Verformungsverhalten bei Erwärmung des Kochgefäßes zunutze mache. Auch mit dem Verweis auf den Gutglaubensschutz nach Art. II § 3 Abs. 5 Int14 PatÜbkG müssten die Beklagten erfolglos bleiben. Auf diese Norm könne sich nur berufen, wer die Erfindung im Vertrauen auf die Richtigkeit der fehlerhaften Übersetzung in Benutzung genommen habe. Voraussetzung hierfür sei, dass der Betreffende die fehlerhafte Übersetzung gekannt habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne sich derjenige, der, wie die Beklagten von sich behaupteten, das Klagepatent nicht gekannt habe, nicht auf guten Glauben berufen.
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III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
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1. Das Berufungsgericht hat eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents zu Recht verneint. Ein Kochgefäß mit kapselförmigem Boden im Sinne des Merkmals 1 liegt nach dem zutreffenden Verständnis des Klagepatents durch das Berufungsgericht nur vor, wenn die im Bereich des Bodens des Kochgefäßes angebrachte Schicht aus Metall mit gutem Wärmeleitvermögen vollständig von einer Schicht aus Metall mit niedrigerem Wärmeleitvermögen, aber größerer Beständigkeit gegen Oxidation, Korrosion und Zerkratzen, etwa Edelstahl, eingeschlossen ist. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Definition eines Kochgefäßes mit kapselförmigem Boden, die die Beschreibung als "patenteigenes Lexikon" mit der Darstellung der insoweit vorbekannten und durch Merkmal 2 weiterentwickelten Ausgestaltung enthält. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen die Edelstahlschicht an den Seitenflächen nicht bis zur Oberkante des Topfbodens hochgezogen und daher die Schicht aus gut wärmeleitendem Aluminium an ihrem seitlichen Rand nur teilweise von einer Edelstahlschicht geschützt ist. Außerdem ist im Zentrum des Bodens eine Kupferronde eingesetzt. 2. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine äquivalente Verletzung
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des Klagepatents bejaht hat, ist, wie die Revision zu Recht geltend macht, nicht tragfähig.
a) Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in
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dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten , aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Artikels 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (vgl. u.a. Senat, Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 154 - Schneidmesser I; Urteil vom 17. April 2007 - X ZR 1/05, GRUR 2007, 959, 961 - Pumpeinrichtung). Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag, und damit an dem Gebot des Art. 1 des Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2010, GRUR 2011, 313 Rn. 35 - Crimpwerkzeug IV).
b) Für die Frage der Gleichwirkung ist entscheidend, welche einzelnen Wir19 kungen die patentgemäßen Merkmale - für sich und insgesamt - zur Lösung der dem Patentanspruch zugrundeliegenden Aufgabe bereitstellen und ob diese Wirkungen bei der angegriffenen Ausführungsform durch andere Mittel erzielt werden. Danach ist es erforderlich, den Patentanspruch darauf zu untersuchen, welche der Wirkungen , die mit seinen Merkmalen erzielt werden können, zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe patentgemäß zusammenkommen müssen. Diese Gesamtheit repräsentiert die patentierte Lösung und stellt deshalb die für den anzustellenden Vergleich maßgebliche Wirkung dar (BGH, Urteil vom 28. Juni 2000 - X ZR 128/98, GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 113/11, GRUR 2012, 1122 Rn. 19 - Palettenbehälter III). Nur so ist gewährleistet, dass trotz Abwandlung bei einem oder mehreren Merkmalen lediglich solche Ausgestaltungen vom Schutzbereich des Patentanspruchs umfasst werden, bei denen der mit der geschützten Erfindung verfolgte Sinn beibehalten ist. Als gleichwirkend kann eine Ausführungsform nur dann angesehen werden, wenn sie nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt , die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll (BGH, GRUR 2012, 1122 Rn. 26 - Palettenbehälter III).
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c) Die Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu stehen mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang. aa) Die in Merkmal 2 beschriebene Ausgestaltung der Seitenwand der
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Schutzabdeckung mit erhöhten Bereichen und/oder Vertiefungen bewirkt die Ausbildung von Rippen, die den Umfangstreifen der Schutzschicht versteifen, auf diese Weise peripheren Verformungen des Bodens des Kochgefäßes, wie sie etwa durch ungleiche Erwärmung entstehen können, entgegenwirken und damit einen guten Kontakt zwischen Gefäßboden und Wärmequelle sicherstellen. Wird das Kochgefäß gemäß Merkmal 1 mit einem kapselförmigen Boden versehen, zielt dies darauf, die gut wärmeleitenden Bestandteile der Bodenkonstruktion gegen Oxidation, Korrosion oder mechanische Beschädigung, etwa ein Zerkratzen, dadurch zu schützen, dass sie vollständig von einer Schicht aus Metall - etwa Edelstahl - umgeben werden, die eine größere Beständigkeit gegen solche Einwirkungen aufweist. Gleichwirkung kommt mithin nur in Betracht, wenn beide Wirkungen bei den angegriffenen Ausführungsformen erzielt werden. bb) Das Berufungsgericht hat zwar festgestellt, dass die Wirkungen, die mit
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den Versteifungen in der Seitenwand der Schutzabdeckung gemäß Merkmal 2 erzielt werden sollen, nach dem Ergebnis des hierzu eingeholten Sachverständigengutachtens bei den angegriffenen Kochgefäßen gleichfalls erreicht werden. In Bezug auf die Wirkungen, die mit dem kapselförmigen Boden erzielt werden sollen, hat es demgegenüber ausgeführt, dem Merkmal 1 könnten keine Mindestanforderungen an die Schutzwirkung vor Oxidation, Korrosion und mechanische Beschädigung entnommen werden. Insoweit handele es sich um eine zusätzliche Wirkung neben der mit den Merkmalen 2 und 3 verfolgten, erfindungswesentlichen Wirkung der Erhöhung der Steifigkeit des Topfbodens. Diese Ausführungen stimmen mit der dargestellten Rechtsprechung des Se23 nats nicht überein. Sie berücksichtigen nicht, dass eine Gleichwirkung nur angenommen werden kann, wenn sämtliche erfindungsgemäßen Wirkungen erzielt wer- den. Das Berufungsgericht hat vielmehr rechtsfehlerhaft zwischen erfindungswesentlichen und zusätzlichen Wirkungen unterschieden und angenommen, es komme nicht darauf an, ob die angegriffene Ausführungsform auch letztere erziele. Dies wird auch dadurch belegt, dass das Berufungsgericht sich zustimmend auf die Ausführungen des Landgerichts bezogen hat, das die Kapselung der gut wärmeleitenden Schicht als für die Lehre des Patents bedeutungslosen Zweck bezeichnet hat. Mit der gegebenen Begründung kann das Berufungsurteil daher keinen Bestand haben.
d) Eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache scheidet aus,
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weil Feststellungen dazu fehlen, ob die erfindungsgemäßen Wirkungen durch die angegriffenen Ausführungsformen in einem praktisch noch erheblichen Maße erreicht werden. Eine Ausführungsform, die anstelle eines im Patentanspruch genannten
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Merkmals eine abweichende Gestaltung aufweist, fällt nicht nur dann in den Schutzbereich eines Patents, wenn sie die erfindungsgemäßen Wirkungen ohne jede Einschränkung erreicht. Für eine Gleichwirkung kann es genügen, dass eine nach dem Patentanspruch erforderliche Wirkung durch abgewandelte Mittel nur in eingeschränktem Umfang erzielt wird. Unter dem Gesichtspunkt angemessener Belohnung des Erfinders kann die Einbeziehung in den Schutzbereich eines Patents bereits dann sachgerecht sein, wenn die erfindungsgemäßen Wirkungen im Wesentlichen , also in einem praktisch noch erheblichen Maße, erzielt werden. Hierfür kommt es auf die patentgemäße Wirkung und eine sich hieran orientierende Gewichtung der bei den angegriffenen Ausführungsformen festgestellten Defizite an (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 914 - Spannschraube; BGH, GRUR 2005, 1005, 1006 - Bratgeschirr; BGH, GRUR 2012, 1122 Rn. 27 - Palettenbehälter

III).

Bei den angegriffenen Ausführungsformen wird die mit Merkmal 1 verfolgte
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Wirkung jedenfalls nur in eingeschränktem Umfang erreicht. Die gut wärmeleitende Aluminiumschicht wird an ihrem seitlichen Rand nur teilweise von einer Schutz- schicht aus Edelstahl abgedeckt. Zudem weist die Schutzschicht im Zentrum der Topfbodenunterseite eine runde Einlage aus Kupfer auf und damit aus einem Material , das im Verhältnis zu Edelstahl weich und gut wärmeleitend ist. Für die Frage, ob die durch die nicht vollständige Verkapselung der gut wärmeleitenden Bestandteile der Bodenkonstruktion erzielte Wirkung noch als patentgemäß angesehen werden kann, wird es insbesondere darauf ankommen, welche praktische Bedeutung dem Schutz der einzelnen Bereiche des Topfbodens vor Korrosion, Oxidation und mechanischer Beschädigung zukommt und welche Beeinträchtigungen aus Sicht des Fachmanns hinsichtlich der Funktion und des Erscheinungsbilds bei bestimmungsgemäßer Nutzung der Kochgefäße zu erwarten sind, wenn in eine aus Edelstahl bestehende Schutzschicht im Zentrum der Topfbodenunterseite eine Kupferronde eingesetzt ist und der obere Teil des Seitenrandes der Aluminiumschicht freiliegt und insoweit kein vollständiger Schutz gegen die genannten Einwirkungen gewährleistet ist. Feststellungen hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang nicht getroffen. IV. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben; es
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ist aufzuheben. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 1. Sollte sich im wiedereröffneten Berufungsverfahren ergeben, dass eine
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Gleichwirkung im oben erläuterten Sinne vorliegt, wird das Berufungsgericht auf dieser Grundlage zu prüfen haben, ob die weiteren Voraussetzungen für eine äquivalente Verletzung vorliegen. 2. Für den Fall, dass das Berufungsgericht wiederum zu dem Ergebnis
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kommen sollte, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent mit gleichwertigen Mitteln verletzen, wird das Berufungsgericht erneut der Frage nachzugehen haben, ob sich die Beklagten auf den Gutglaubensschutz nach Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung berufen können.
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a) Zutreffend hat das Berufungsgericht zugrunde gelegt, dass das Übersetzungserfordernis nach Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜbkG aF für das Klagepatent maßgeblich ist. Zwar ist der bisherige Art. II § 3 IntPatÜbkG aufgehoben worden. Die Norm findet aber auf europäische Patente, die vor dem 1. Mai 2008 veröffentlicht worden sind, weiterhin in der Fassung Anwendung, die im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Patents gegolten hat (Art. XI § 4 IntPatÜbkG). Nachdem der Hinweis auf die Erteilung des Streitpatents am 3. Mai 1995 veröffentlicht worden ist, ist hier die bis zum 31. Dezember 2001 geltende Fassung von Art. II § 3 IntPatÜbkG maßgeblich. Danach hatte der Anmelder oder Inhaber eines in fremder Verfahrenssprache
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erteilten europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt werden sollte, binnen drei Monaten ab Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents eine deutsche Übersetzung der Patentschrift einzureichen; anderenfalls galten die Wirkungen des europäischen Patents für das Inland als von Anfang an nicht eingetreten (Art. II § 3 Abs. 1 und 2 IntPatÜbkG aF). Nach Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG aF darf im Falle einer fehlerhaften Übersetzung einer europäischen Patentschrift derjenige, der im Inland in gutem Glauben die Erfindung in Benutzung genommen oder wirkliche und ernsthafte Veranstaltungen zur Benutzung der Erfindung getroffen hat, nach Veröffentlichung der berichtigten Übersetzung die Benutzung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten unentgeltlich fortsetzen, wenn die Benutzung keine Verletzung des Patents in der fehlerhaften Übersetzung der Patentschrift darstellen würde.
b) Die unter dem Aktenzeichen 691 09 436 T2 ursprünglich eingereichte
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Übersetzung des Klagepatents war fehlerhaft, insbesondere war angegeben, dass die erhöhten Bereiche und Vertiefungen "durch Vorsehen entsprechender Vertiefun- gen und/oder Vorsprünge im zugehörigen Bereich des (…) verwendeten Gußwerk- zeugs" erhalten werden. Erst in einer berichtigten Übersetzung, die die Klägerin auf einen Hinweis des Landgerichts beim Patentamt eingereicht hat (691 09 436 T4), wurde die entsprechende Wendung in der Verfahrenssprache ("obtained by providing corresponding recesses and/or projections in the relative region of the die of the mould used to produce said capsular base") zutreffend ins Deutsche übersetzt. Zwar ist dort davon die Rede, dass die erhöhten Bereiche und/oder Vertiefungen in der Seitenwand der Schutzabdeckung "durch Vorsehen entsprechender Ausnehmungen und/oder Vorsprünge im zugehörigen Bereich der Matrize des (…) Prellwerkzeugs erhalten wurde", doch ist, wovon beide Parteien stillschweigend ausgehen, aus fachlicher Sicht ohne weiteres erkennbar, dass es sich insoweit um ein Schreibversehen handelt und tatsächlich ein Presswerkzeug gemeint ist. Bei den angegriffenen Ausführungsformen werden die Rippen an der seitli33 chen Wandung der Edelstahlschicht nicht durch Einsatz eines Gusswerkzeugs, sondern durch Verwendung eines Presswerkzeugs hergestellt.
c) Zutreffend hat das Berufungsgericht ferner ausgeführt, dass die Fehler in
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der zunächst eingereichten Übersetzung nicht dazu führten, dass die Wirkungen des Klagepatents für die Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten gelten. Inhaltliche Abweichungen zwischen Patentschrift und Übersetzung haben auf Bestand und Schutzbereich des europäischen Patents im Inland keinen Einfluss (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - Xa ZR 74/09, GRUR 2010, 708 Rn. 12, 16 - Nabenschaltung II).
d) Das Berufungsgericht hat den Standpunkt eingenommen, die Berufung
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der Beklagten auf Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG müsse schon deshalb erfolglos bleiben , weil die Beklagten nach ihrem eigenen Vorbringen die fehlerhafte Übersetzung der Klagepatentschrift nicht gekannt haben. Dies trifft nicht zu. aa) Zu der rechtsähnlichen Regelung in § 43 Abs. 4 PatG aF, der Vorgänger36 vorschrift zu § 123 Abs. 5 PatG, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der dort normierte Schutz des guten Glaubens nicht auf denjenigen beschränkt ist, der bewusst die Nutzung eines beispielsweise wegen unterbliebener Zahlung der gesetzlichen Gebühren erloschenen Patents aufgenommen hat, sondern auch dem unbewussten Benutzer zugutekommt (BGH, Urteil vom 27. Mai 1952 - I ZR 138/51, BGHZ 6, 172, 176 - Wäschepresse; ebenso schon RG, GRUR 1926, 475, 477 zum Weiterbenutzungsrecht nach § 6 der Bekanntmachung betreffend die Begründung, Erhaltung oder Wiederherstellung von gewerblichen Schutzrechten der Angehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika vom 6. Juli 1921 [RGBl. 1921, S. 844]). Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung ausgeführt, § 43 Abs. 4 PatG aF enthalte einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch außerhalb seines unmittelbaren Anwendungsbereichs Anwendung finde. Daraus ist zutreffend der Schluss gezogen worden, dass grundsätzlich auch derjenige den Gutglaubensschutz nach Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG aF genießt, der die ihm günstige, unrichtige Fassung der Übersetzung nicht gekannt hat (Rogge, GRUR 1993, 283, 284 f.; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl. 2014 Rn. 1774; OLG Düsseldorf, Urteil vom 24. Juni 2011 - 2 U 62/04, Juris Rn. 185; aA Rauh, GRUR Int. 2011, 667, 671). bb) Auf den Gutglaubensschutz nach Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG aF kann
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sich mithin auch derjenige berufen, der, wäre ihm die fehlerhafte Übersetzung bekannt gewesen, zu dem Schluss hätte kommen dürfen, dass der Anspruch des betreffenden Patents auf einen vom dem tatsächlich geschützten abweichenden Gegenstand gerichtet ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Ein guter Glaube wird etwa dann zu verneinen sein, wenn der angesprochene Fachmann, sofern er die Übersetzung läse, deren Fehlerhaftigkeit ohne weiteres erkennen würde und - gegebenenfalls unter Heranziehung der Übersetzung der Beschreibung - in der Lage wäre, den Inhalt des Patents zutreffend zu bestimmen (vgl. OLG Düsseldorf, aaO, Juris Rn. 181 ff.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. April 2003 - 2 U 6/02 Rn. 77 f., in Juris; Rauh, GRUR Int. 2011, 667, 672). Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt bei der Klägerin (vgl. BGHZ 6, 172, 177 - Wäschepresse). Eine Berufung auf guten Glauben wäre den Beklagten danach verwehrt, wenn ihnen aufgrund ihrer Fachkenntnis bei Lektüre der zunächst eingereichten Übersetzung ohne weiteres hätte klar sein müssen, dass die erfindungsgemäße Ausbildung der Seitenwand des Bodens nicht durch ein Gusswerkzeug be- werkstelligt werden könnte, so dass sie zu dem Schluss hätten kommen müssen, dass die Übersetzung fehlerhaft war.
e) Sollte danach ein Gutglaubensschutz in Betracht kommen, wird das Beru38 fungsgericht auch zu prüfen haben, ob eine Berufung der Beklagten auf ein Weiterbenutzungsrecht daran scheitert, dass die angegriffenen Ausführungsformen auch in der fehlerhaften Übersetzung eine Verletzung des Klagepatents darstellen würden. Da sich, wie ausgeführt, aus Merkmal 3 keine weiteren Anforderungen an die Ausgestaltung der erhöhten Bereiche oder Vertiefungen der Seitenwand der Schutzabdeckung des kapselförmigen Bodens ergeben, wird die Verletzung eines gedachten, der fehlerhaften Übersetzung entsprechenden Patentanspruchs nur dann verneint werden können, wenn sich derartige, von den angegriffenen Ausführungsformen nicht erfüllte Anforderungen aus Sicht des Fachmanns ergäben, sollten die erhöhten Bereiche oder Vertiefungen der Seitenwand der Schutzabdeckung erfindungsgemäß mittels eines Gusswerkzeugs erhältlich sein.
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Feststellungen hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht getroffen. Dies wird gegebenenfalls nachzuholen sein.
Meier-Beck Gröning Bacher
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 04.02.2010 - 7 O 7110/08 -
OLG München, Entscheidung vom 23.05.2013 - 6 U 2752/10 (2) -

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

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Der Argumentation der Klägerin kann nicht beigetreten werden. Eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung ist gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (Sen.Urt. v. 14.10.1979 - X ZR 3/76, GRUR 1980, 166, 168 - Doppelachsaggregat ). Es ist also nicht erforderlich, dass bereits der Patentanspruch alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthält. Vielmehr genügt es, wenn der Fachmann die insoweit notwendigen Einzelangaben der allgemeinen Beschreibung oder den Ausführungsbeispielen entnehmen kann (Sen.Beschl. v. 16.6.1998 - X ZB 3/92, GRUR 1998, 899, 900 - Alpinski; Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II). Nach mittels Einspruchs nicht mehr anfechtbarer Erteilung des Patents ist von einer in diesem Sinne ausreichenden Offenbarung so lange auszugehen, bis das Gegenteil nachgewiesen ist. Im Nichtigkeitsprozess führt das zur Beweislast des Klägers dafür, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens und ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen (Busse/Keukenschrijver, aaO, § 83 PatG Rdn. 32, § 34 PatG Rdn. 301; Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., 2008, § 34 PatG Rdn. 374).

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 08.07.2014 (Az. 2 O 67/13) wird gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 Euro vorläufig eingestellt.

Gründe

 
I.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Beklagten wegen Verletzung des EP 1 274 288 B1 (nachstehend: Klagepatent) auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf aus den Vertriebswegen und Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse sowie Erstattung vorgerichtlicher Kosten verurteilt und die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt. Es hat eine Verletzung sowohl des Vorrichtungsanspruchs 1 als auch des Verfahrensanspruchs 2 (Art. 64 Abs. 2 EPÜ) durch die von den Beklagten vertriebene Ausführungsform „X“ bejaht, und zwar im Hinblick auf die im Kunststoffgehäuse angeordnete Antenne dieses Mobiltelefons. Eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Entscheidung über die von der Beklagten zu 1 gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhobene Nichtigkeitsklage (Anlage B 4) sei nicht veranlasst.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, haben die Beklagten Berufung eingelegt, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage anstreben. Die Klägerin betreibt derzeit die Zwangsvollstreckung aus der vorläufig vollstreckbaren Verurteilung zur Rechnungslegung.
Die Beklagten sind der Auffassung, das angefochtene Urteil leide an greifbaren Rechtsfehlern prozessualer und materiell-rechtlicher Art, die eine Einstellung der Zwangsvollstreckung unabhängig von der Art und Schwere der von der Vollstreckung ausgehenden Nachteile geböten. Sie beantragen,
die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 08.07.2014, Az. 2 O 67/13, - erforderlichenfalls gegen Sicherheitsleistung der Beklagten, die in das Ermessen des Senats gestellt wird - vorläufig einzustellen.
Die Klägerin hält die Verurteilung für rechtsfehlerfrei. Sie beantragt,
den Antrag der Beklagten nach §§ 707, 719 ZPO vom 01.09.2014 zurückzuweisen.
Auf die gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat in der Sache Erfolg.
1. Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung scheidet im Streitfall aus. Sie setzt nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 S. 2 ZPO voraus, dass der Schuldner glaubhaft macht, dass er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Dafür ist nichts vorgetragen.
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2. Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung allenfalls in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann. Zu dieser allgemeinen Erwägung tritt im Bereich des Patentrechts noch die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (vgl. BGH, GRUR 2000, 862 - Spannvorrichtung; OLG Düsseldorf GRUR 2000, 862; Senat InstGE 11, 124 - UMTS-Standard I; InstGE 13, 256 - UMTS-Standard II).
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Es ist anerkannt, dass die Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht kommt, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht (OLG Düsseldorf a.a.O. juris-Rn. 2 m.w.N.).
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Die im Verfahren nach §§ 707, 719 ZPO vorzunehmende summarische Prüfung, ob das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird, muss sich zumindest im Regelfall auf diejenigen tatsächlichen Feststellungen und diejenigen rechtlichen Erwägungen beschränken, die für die erstinstanzliche Entscheidung tragend sind. Die Einstellungsentscheidung darf und kann nicht die abschließende, aufgrund umfassenden rechtlichen Gehörs und mündlicher Verhandlung zu treffende Entscheidung im Berufungsrechtszug vorwegnehmen. Wenn sich also die Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen, auf denen die erstinstanzliche Entscheidung beruht, als nicht tragfähig darstellen, spricht dies im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung für eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Wenn und weil das angefochtene Urteil mit seinen tragenden Feststellungen und Rechtsausführungen voraussichtlich keinen Bestand haben wird, ist dem obsiegenden Kläger regelmäßig zuzumuten, die Vollstreckung bis zur Entscheidung im Berufungsrechtszug zurückzustellen, ohne dass geprüft wird, ob die Verurteilung mit anderen Feststellungen oder aufgrund eines abweichenden rechtlichen Ansatzes bestätigt werden könnte. Denn der Grundsatz, dass eine Einstellung nur dann geboten ist, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei summarischer Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird, beruht darauf, dass sich das Vordergericht bereits im Einzelnen mit dem Sachverhalt befasst und über die sich stellenden Fragen entschieden hat (OLG Düsseldorf a.a.O. juris-Rn. 3). Alternative Begründungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, auf die die angefochtene Entscheidung nicht gestützt worden ist, können nicht das Vertrauen genießen, das die vorläufige Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils und damit den grundsätzlichen Vorrang der Interessen des obsiegenden Klägers rechtfertigt. Ob Ausnahmen dann möglich sind, wenn eine alternative Begründung klar auf der Hand liegt, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
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3. Die Verurteilung der Beklagten nach Anspruch 1 des Klagepatents wird bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Bestand haben, weil bei Zugrundelegung der Schutzbereichsbestimmung, die der Verurteilung zugrundeliegt, durchgreifende Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Anspruchs 1 bestehen.
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a) Das Klagepatent betrifft Leiterbahnstrukturen auf einem elektrisch nicht leitenden Trägermaterial und ein Verfahren zu deren Herstellung.
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Im Stand der Technik waren ausweislich der Beschreibung Verfahren bekannt, bei denen zur Herstellung feiner, festhaftender Leiterbahnstrukturen in ein nicht leitendes Trägermaterial nicht leitende Metallchelatkomplexe eingebracht und von diesen mittels Laserstrahlung strukturiert Metallisierungskeime abgespalten werden, die in den bestrahlten Teilflächen eine nachfolgende chemisch reduktive Metallisierung initiieren. Derartige Verfahren wiesen den Vorteil verminderter Werkzeugkosten sowie einer geringeren Anzahl der erforderlichen Prozessschritte auf. Nachteilig seien die im Grenzbereich liegende thermische Stabilität der Metallchelatkomplexe bei der Verarbeitung moderner Hochtemperatur-Kunststoffe sowie der Umstand, dass die Metallchelatkomplexe in vergleichsweise hoher Dosierung zugesetzt werden müssten, um bei Laseraktivierung eine hinreichend dichte Bekeimung für eine schnelle Metallisierung zu erhalten; der hohe Komplexanteil beeinträchtige häufig wichtige Gebrauchseigenschaften des Trägermaterials. Ein weiterer Verfahrensansatz, bei dem durch Laserbestrahlung freizusetzende Metallisierungskeime nicht chemisch eingebunden, sondern physikalisch durch Verkapselung von Metallpartikeln passiviert würden, verursache wegen der größeren verkapselten Partikel größere Probleme.
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Vor diesem Hintergrund wird die Aufgabe formuliert, einfach und sicher herzustellende Leiterbahnstrukturen auf Schaltungsträgern zur Verfügung zu stellen, die einen vergleichsweise geringen Anteil keimbildender Zusätze enthalten und zudem auch bei Löttemperaturen stabil seien, und ferner ein einfaches und sicheres Verfahren zur Herstellung von derartigen Leiterbahnstrukturen zu schaffen. Zur Lösung wird in Anspruch 1 folgende Vorrichtung vorgeschlagen:
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„Leiterbahnstrukturen auf einem nichtleitenden Trägermaterial, die aus Metallkeimen und einer nachfolgend auf diese aufgebrachten Metallisierung bestehen, wobei die Metallkeime durch Aufbrechen von feinstverteilt im Trägermaterial enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen entstanden sind, dadurch gekennzeichnet, dass die nichtleitenden Metallverbindungen von thermisch hochstabilen, in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständigen und nicht löslichen anorganischen Metallverbindungen gebildet sind, die den Bereichen im Umfeld der Leiterbahnstrukturen unverändert auf dem Trägermaterial verblieben sind.“
18 
Die Leiterbahnstrukturen sollen also nicht separat auf das Trägermaterial aufgebracht, sondern durch physikalisch-chemische Behandlung des Trägermaterials aus diesem selbst heraus gebildet werden. Kern der Erfindung ist, wie sich auch aus der Beschreibung ergibt, die Verwendung von nichtleitenden, nichtlöslichen anorganischen Metallverbindungen (vorzugsweise Metalloxiden), die hochgradig beständig gegenüber hohen Temperaturen, Säuren und Basen und die im Trägermaterial feinst verteilt sind. Diese Metallverbindungspartikel sollen - ebenso wie die im Stand der Technik bekannten Metallchelatkomplexe - zunächst (vorzugsweise durch Laserbestrahlung) aufgebrochen werden, so dass sich durch Reduktion Metallkeime bilden. An diesen Metallkeimen kann sich dann im zweiten Schritt in einem (ebenfalls aus dem Stand der Technik bekannten) sauren oder alkalischen Metallisierungsbad das Metall-Kristallgitter ausbilden, aus dem schließlich die vollständige Leiterbahnstruktur besteht. In den Bereichen, in denen keine Leiterbahn entstehen soll, können die Metallverbindungspartikel unverändert im Trägermaterial verbleiben.
19 
b) Der Patentanspruch beschreibt die geschützten, auf einem nichtleitenden Trägermaterial angeordneten Leiterbahnstrukturen im Oberbegriff teilweise unter Rückgriff auf das zu ihrer Herstellung eingesetzte Verfahren: Die Leiterbahnstrukturen bestehen aus Metallkeimen und einer nachfolgend auf diese aufgebrachten Metallisierung; die Metallkeime sind durch Aufbrechen von feinstverteilt im Trägermaterial enthaltenen nichtleitenden Metallverbindungen entstanden.
20 
Das Landgericht hat diese sog. product-by-process-Merkmale dahin verstanden, dass sie - ganz generell, jedenfalls aber beim Klagepatent - lediglich der mittelbaren Umschreibung der geschützten Vorrichtung in ihrer räumlich-körperlichen Gestalt dienen und keine Beschränkung auf Vorrichtungen enthalten, die tatsächlich nach dem geschilderten Verfahren (Aufbrechen der feinstverteilt im Trägermaterial enthaltenen Metallverbindungspartikel) hergestellt worden sind. Dieser Ansatz steht im Einklang mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, wie sie das Landgericht zutreffend zitiert. In konsequenter Durchführung dieses Verständnisses wird das product-by-process-Merkmal „die Metallkeime sind durch Aufbrechen von … Metallverbindungen entstanden“ im Merkmal 3.5 der vom Landgericht zugrundegelegten Merkmalsgliederung als Eigenschaft der im Trägermaterial enthaltenen Metallverbindungen („Die Metallverbindungen sind … aufbrechbar mit der Folge der Entstehung von Metallkeimen“) umgesetzt. Dass jegliche anorganische Metallverbindung im Trägermaterial in dieser Weise aufbrechbar sei, stehe diesem Verständnis nicht entgegen (vgl. LGU S. 21).
21 
Weiter hat das Landgericht aber angenommen, es ergebe sich als Konsequenz aus dem dargestellten Ansatz, dass die Metallkeime und die auf diese aufgebrachte Metallisierungsschicht an der fertigen Leiterbahnstruktur nicht zu unterscheiden seien, weil sich die Leiterbahn als ein in seinen Schichten nicht unterscheidbarer homogener Metallblock ausbilde. Dementsprechend wird das weitere product-by-process-Merkmal, wonach die Metallisierung „nachfolgend auf [die Metallkeime] aufgebracht“ werden müsse, in der Merkmalsgliederung des Landgerichts nicht erwähnt (LGU S. 14 f.). Nach seiner nicht näher ausgeführten Auffassung würde es sogar an einer Patentverletzung fehlen, wenn die Metallkeime und die Metallisierung als zwei räumlich-körperlich voneinander unterscheidbare Metallschichten nachweisbar seien (LGU S. 21). Damit fehlt nach Ansicht des Landgerichts der im Oberbegriff des Anspruchs 1 sowie in den Merkmalen 1.1 und 1.2 der Gliederung des Landgerichts erwähnten Unterscheidung von Metallkeimen und nachfolgend aufgebrachter Metallisierung jede feststellbare Auswirkung auf die räumlich-körperliche Gestalt des Endprodukts. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Entstehung der Leiterbahnstruktur aus Metallkeimen, die durch Aufbrechen der anorganischen Metallverbindung erzeugt wurden, und nachfolgend aufgebrachter Metallisierung somit an der geschützten Vorrichtung nicht festzustellen.
22 
Im Zusammenwirken dieser Auslegungsschritte erhält Anspruch 1 - wie das Landgericht selbst erkennt (LGU S. 21 unten) - einen sehr weiten Schutzumfang: Jede homogen aufgebaute Leiterbahnstruktur, die auf einem nichtleitenden Trägermaterial ausgebildet ist, welches nichtleitende anorganische, zu Metallkeimen aufbrechbare Metallverbindungen mit den im Kennzeichen beschriebenen Eigenschaften enthält, fällt unter den Vorrichtungsanspruch.
23 
c) Ob die dargestellte Auslegung des Anspruchs 1 zutreffend ist, wird im anhängigen Berufungsverfahren zu prüfen sein. Auch wenn bei Zugrundelegung des Ansatzes des Landgerichts derzeit nicht leicht zu erkennen ist, welche konkreten Sacheigenschaften bei diesem Verständnis durch die in den product-by-process-Merkmalen genannten Verfahrensschritte beschrieben werden, kann jedenfalls im vorliegenden Verfahrensstadium keinesfalls mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass die Schutzbereichsbestimmung des Landgerichts unzutreffend ist, zumal sie sich jedenfalls im Ausgangspunkt auf die im Patentrecht überwiegende Ansicht stützen kann. Sie ist daher für die weitere Prüfung zugrundezulegen; es ist - wie ausgeführt - nicht Aufgabe des Verfahrens nach §§ 707, 719 ZPO zu prüfen, ob die Verurteilung auch bei einem anderen Verständnis des Anspruchs 1 Bestand hätte.
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d) Nicht zu teilen vermag der Senat aber die Auffassung des Landgerichts, dass Anspruch 1 auch bei Zugrundelegung dieses weiten Schutzbereichs voraussichtlich rechtsbeständig ist.
25 
Die als Anlage D 1 zur Nichtigkeitsklage (B 4) vorgelegte Übersetzung des EP 0 693 138 B1, das gegenüber dem Klagepatent zum Stand der Technik gehört, betrifft ein Verfahren zur Metallisierung von Kunststoffen. Die Entgegenhaltung befasst sich mit dem Problem, wie die Bildung einer Metallschicht mit starkem Haftvermögen und scharfer Begrenzung auf der gesamten Kunststoff-Oberfläche verbessert werden kann. Nach eingehender Diskussion des seinerzeitigen Standes der Technik wird als Hauptziel der Erfindung die Schaffung einer neuen, sehr einfachen und eleganten Lösung angegeben, die wirksam dazu dient, eine dicke Metallschicht zu bilden, die gutes Haftvermögen und scharfe geometrische Begrenzungen auf Kunststoffen spezieller Zusammensetzung aufweist.
26 
Dazu wird vorgeschlagen, in die Masse des aus einem bekannten Polymer bestehenden Kunststoffs in bestimmter Konzentration eine anorganische Substanz einzubringen, die im Kunststoff dispergiert ist und durch Körner eines Oxids von nicht mehr als 50 Mikrometer Größe gebildet ist. Im ersten Verfahrensschritt wird die Oberfläche des so zusammengesetzten Kunststoffs mit dem Lichtstrahl eines Lasers von <= 350 Nanometer Wellenlänge bestrahlt, was zu einer gewissen Oberflächenabtragung des Kunststoffs, aber auch zu Defekten, entstanden durch das Aufbrechen gewisser interatomarer Verbindungen an der Oberfläche der Oxidkörner führt. Im zweiten Verfahrensschritt wird der Verbundstoff in ein autokatalytisches Bad eingetaucht, welches Metallionen enthält. „Das im Bad enthaltene Metall lagert sich dann selektiv ab auf den zuvor mit dem Laserstrahl bestrahlten Bereichen, die die durch die Bestrahlung hervorgerufenen polarisierten Defekte enthalten“ (S. 5). Im dritten Schritt erfolgt eine Wärmebehandlung des metallisierten Kunststoffteils in der Weise, dass ein Eindiffundieren des niedergeschlagenen Metalls in den Kunststoff erreicht wird. Als vorteilhaft werden eine stark verbesserte Haftung des Metalls auf dem Kunststoff (S. 6) und eine präzise Begrenzung der metallisierten Zonen (S. 7) genannt.
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In D 1 werden auch Ergebnisse dieses Metallisierungsverfahrens offenbart. So soll etwa ausweislich des „Beispiels 4“ (S. 9 f.) auf einem Kunststoff-Werkstück, auf welchem der Laser einen kreisförmigen Weg mit einem Durchmesser von 2 cm beschreibt, eine kreisförmige Kupferbahn mit einem Durchmesser von 2 cm, einer Dicke von 5 Mikrometern und einer Breite von 0,4 mm gebildet werden.
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Nach der im vorliegenden Verfahrensstadium allein möglichen summarischen Prüfung spricht aus Sicht des Senats alles für die Annahme, dass solche Produkte des beschriebenen Herstellungsverfahrens eine homogen aufgebaute Leiterbahnstruktur aufweisen, die auf einem nichtleitenden Trägermaterial ausgebildet ist, welches nichtleitende anorganische, zu Metallkeimen aufbrechbare Metallverbindungen mit den im Kennzeichen beschriebenen Eigenschaften enthält. Die in D 1 beschriebenen, im Kunststoffmaterial in geringer Korngröße (<= 50 µm) enthaltenen Metalloxide entsprechen denjenigen, die in der Klagepatentschrift genannt werden. Wenn diese zu Metallkeimen aufbrechbar sind, dann sind es auch die in der Entgegenhaltung genannten Oxide; Entsprechendes gilt für die Beständigkeit gegenüber hohen Temperaturen, Säuren und Basen. Dass die Metallisierung nach dem in D 1 beschriebenen Verfahren nicht an Metallkeimen, sondern an Oberflächendefekten der Metalloxide ansetzt, ist für den Vorrichtungsanspruch 1 in der vom Landgericht zugrundegelegten Auslegung ohne Bedeutung. Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Verfahren gemäß D 1 keine homogene Leiterbahn entsteht, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Das Landgericht hat seine Auffassung, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits gleichwohl nicht geboten ist, mit der Erwägung begründet, D 1 offenbare nicht die vom Klagepatent gelehrten feingliedrigen Leiterbahnstrukturen, sondern nur großflächige Beschichtungen. Dem kann aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Zum einen kann der Klagepatentschrift nicht entnommen werden, dass sie auf „feingliedrige“ Leiterbahnstrukturen beschränkt sei oder dass durch die Erfindung gerade die Feinheit der Leiterbahnstrukturen gegenüber dem Stand der Technik verbessert worden wäre; im Klagepatent wird als Vorteil der Verwendung anorganischer Metallverbindungen deren hohe Beständigkeit gegenüber hohen Temperaturen, Säuren und Basen sowie die Haftfestigkeit der gebildeten Leiterbahnen genannt. Zum anderen lehrt D 1 entgegen der Darstellung des Landgerichts nicht nur großflächige Beschichtungen. Die dargestellten Beispiele zeigen, dass die Herstellung von Leiterbahnstrukturen ermöglicht wird, die mit einer Breite von 0,4 mm durchaus als „feingliedrig“ zu bezeichnen sind. Und wenn solche Strukturen - wofür wie ausgeführt keine Grundlage im Klagepatent besteht - nicht als hinreichend „feingliedrig“ anzusehen wären, würde die vom Landgericht gewürdigte Ausführungsform „X“ nicht unter das Klagepatent fallen, denn die als patentverletzende beanstandeten Antennenbauteile weisen unstreitig folgende Gestaltung auf, bei der die hell dargestellte Antenne erkennbar Breiten im Millimeterbereich besitzt:
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(Grafik zu Anonymisierungszwecken entfernt)
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Dass D 1 nicht den Begriff „Leiterbahn(-struktur)“ verwendet und den Bezug der beanspruchten Lehre zur Elektronik nur beiläufig erwähnt (S. 1 Z. 10 ff.; S. 3 Z. 26 ff.), hindert entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Annahme, dass D 1 Leiterbahnstrukturen nach Anspruch 1 des Klagepatents in der Auslegung des Landgerichts offenbart. Das Klagepatent setzt den Begriff der Leiterbahnstruktur als bekannt voraus und knüpft an ihn an keiner Stelle irgendwelche Konkretisierungen für die geschützte technische Lehre. Mit dem Begriff der Leiterbahnstruktur wird somit lediglich klargestellt, dass die gelehrten metallisierten Strukturen zur elektrischen Verbindung, also zur Übertragung von Strom, in beliebigen elektrischen oder elektronischen Anwendungen geeignet sein müssen. Nach D 1 sollen, wie dargelegt, u.a. schmale Kupferbahnen auf einem Kunststoff-Trägermaterial erzeugt werden. Dass solche schmalen Kupferbahnen auf einem elektrisch nichtleitenden Träger als Leiterbahnen im genannten Sinne verwendet werden können, ist eine platte, selbst dem technischen Laien vertraute Selbstverständlichkeit.
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Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass bei Zugrundelegung der Auslegung des Landgerichts Anspruch 1 keinen Bestand gegenüber dem Stand der Technik nach Anlage D 1 haben wird. Die von der Beklagten zu 1 erhobene Nichtigkeitsklage ist, wie sich aus Anlage BK 4 ergibt, mittlerweile auch auf diesen Aspekt gestützt worden. Wenn das Bundespatentgericht von der gleichen weiten Schutzbereichsbestimmung ausgeht wie das Landgericht, ist eine Vernichtung oder Einschränkung des Anspruchs 1 nach Auffassung des Senats hochwahrscheinlich. In einer solchen Situation kann die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung angeordnet werden (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl., Rn. 2343 unter Verweis auf OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2010, Az. I-2 U 19/10). Ob die angegriffenen Ausführungsformen im Falle einer Aufrechterhaltung des Anspruchs 1 mit engerem Schutzbereich patentverletzend wären, kann im vorliegenden Verfahrensstadium naturgemäß nicht geprüft werden.
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4. Anspruch 2 des Klagepatents schützt folgendes Verfahren:
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„Verfahren zur Herstellung der Leiterbahnstrukturen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine thermisch hochstabile, in wässrigen sauren oder alkalischen Metallisierungsbädern beständige und nicht lösliche anorganische Metallverbindung in das Trägermaterial eingemischt wird, dass das Trägermaterial zu Bauteilen verarbeitet oder auf Bauteile als Beschichtung aufgetragen wird und dass im Bereich der zu erzeugenden Leiterbahnstrukturen mittels einer elektromagnetischen Strahlung Schwermetallkeime freigesetzt und diese Bereiche dann chemisch reduktiv metallisiert werden.“
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a) Geschützt ist damit das Verfahren zur Herstellung des im Anspruch 1 geschützten Gegenstands (Leiterbahnstrukturen), das vorstehend bereits erläutert wurde. Mit den „Schwermetallkeimen“, die durch elektromagnetische Bestrahlung freigesetzt werden sollen, ist nach übereinstimmendem Sachvortrag der Parteien und dem angefochtenen Urteil nichts anderes gemeint als mit den „Metallkeimen“ im Anspruch 1, nämlich (durch Aufbrechen infolge der Bestrahlung freigesetzte) Partikel elementaren Metalls, an denen die im letzten Verfahrensschritt genannte Metallisierung ansetzt. Anhaltspunkte für eine patentrechtliche Fehlbeurteilung bestehen insoweit nicht.
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b) Die Klägerin greift die streitgegenständlichen Mobiltelefone wegen der im Kunststoffgehäuse angeordneten Antenne als unmittelbare Verfahrenserzeugnisse im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 3 PatG an. Dass es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen um unmittelbare Erzeugnisse des geschützten Verfahrens handelt, hat nach den allgemeinen Regeln die Klägerin darzulegen und zu beweisen, weil es sich um einen anspruchsbegründenden Umstand handelt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Klägerin wird die Anwendung des geschützten Verfahrens zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsformen nicht gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 3 S. 1 PatG vermutet.
37 
Diese Vorschrift enthält eine Beweislastumkehr für den Fall, dass das Klagepatent ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses schützt und die Verletzungsklage sich gegen ein „gleiches“ Erzeugnis richtet. Ob das Tatbestandsmerkmal des „neuen“ Erzeugnisses mit dem Neuheitsbegriff nach § 3 PatG übereinstimmt, ist nicht abschließend geklärt. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass das Erzeugnis „neuartig“ in dem Sinne sein muss, dass es sich durch eine unterscheidungskräftige Eigenschaft, die auch auf chemischem Gebiet begründet sein kann, von vorbekannten Erzeugnissen abheben muss (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rn. 121; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 139 Rn. 214, je m.w.N.).
38 
Das Landgericht hat unter Berufung auf den Aufsatz von Cepl (Mitt. 2013, 62, 68 f.) die Auffassung vertreten, die Neuheit des Verfahrenserzeugnisses folge schon daraus, dass Anspruch 1 unter Verwendung von product-by-process-Merkmalen erteilt worden sei, welche das nach Anspruch 2 geschützte Herstellungsverfahren beschrieben. Ob diesem Ansatz im Grundsatz gefolgt werden kann, erscheint fraglich, ist aber an dieser Stelle nicht entscheidungserheblich. Wie ausgeführt, unterscheiden sich die von Anspruch 1 geschützten Vorrichtungen bei Zugrundelegung der vom Landgericht befürworteten Auslegung gerade nicht von denjenigen, die aus dem Stand der Technik nach D 1 bekannt sind. Nach diesem Verständnis tragen die product-by-process-Merkmale des Anspruchs 1 gerade nichts dazu bei, dass sich die Erzeugnisse Herstellungsverfahrens von vorbekannten Erzeugnissen unterscheiden. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren nach Anspruch 2 zu einem neuartigen Erzeugnis führt und dass die Antennen der angegriffenen Ausführungsformen diesen neuartigen Erzeugnissen glichen, hat das Landgericht nicht festgestellt. Damit liegen die Voraussetzungen der Beweislastumkehr gem. § 139 Abs. 3 S. 1 PatG nicht vor.
39 
c) Dem Landgericht kann auch nicht darin zugestimmt werden, dass die Anwendung des von Anspruch 2 geschützten Verfahrens als unstreitig zu gelten habe. Der Senat teilt zwar die Auffassung des Landgerichts, dass die Klägerin die Anwendung des Verfahrens mit hinreichender Substantiierung behauptet hat. Entgegen der Ansicht des Landgerichts haben die Beklagten diesen Vortrag für die vom Landgericht gewürdigte Ausführungsform „X“ jedoch bereits im Schriftsatz vom 27.03.2014 und damit vor der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit ebenfalls hinreichender Substanz bestritten.
40 
Die Klägerin hat die Ausführungsform „X“ mit Schriftsatz vom 10.02.2014 (AS I 193 ff.) ins Verfahren eingeführt und auf Untersuchungen hingewiesen, die ihrer Ansicht nach die Anwendung des geschützten Verfahrens nahelegen. Ihre Schlussfolgerung lautet (S. 4 = AS I 196):
41 
„...“
42 
Im Schriftsatz vom 27.03.2014 rügen die Beklagten zunächst die Verspätung des auf die Ausführungsform „X“ bezogenen Vortrags. Dazu heißt es auf S. 5 (= AS I 220) unter Ziffer 3:
43 
„…“
44 
Sodann vertreten die Beklagten unter der Überschrift „III. Zur Nichtverletzung“ zu dem auf die Freisetzung von Schwermetallkeimen (= elementares Metall) bezogenen Vortrag unter Hinweis auf D 1 die Auffassung, dass die von der Klägerin vorgetragenen Umstände die Anwendung gerade des in Anspruch 2 geschützten Herstellungsverfahrens nicht nahelegten. Sie machen u.a. geltend, die Klägerin habe es versäumt,
45 
„die Laserspezifikationen und Betriebsparameter ihrer Versuche anzugeben, sodass sich das von ihr hier angeblich nachgewiesene Ergebnis schon überhaupt nicht nachstellen bzw. verifizieren lässt. Die erzielten Ergebnisse werden insoweit vollumfänglich mit Nichtwissen bestritten. Aber selbst, soweit die Richtigkeit der von der Klägerin beschriebenen Ergebnisse unterstellt würde, wären die Ergebnisse nicht geeignet von der Wahrheit der damit zu beweisenden Haupttatsache zu überzeugen. …“ (…)
46 
In Bezug auf die Ausführungsform „X“ tragen die Beklagten sodann vor:
47 
„…“ (...)
48 
Das Landgericht deutet diesen Vortrag dahin, dass die Beklagten sich die berichtete Auskunft des Zulieferers Y nicht zu eigen gemacht und die Entstehung elementaren Metalls lediglich mit Nichtwissen bestritten hätten (LGU S. 23 f.). Dem kann nicht beigetreten werden. Mit Nichtwissen bestreiten die Beklagten in den wiedergegebenen Passagen ausschließlich das Ergebnis der von der Klägerin vorgetragenen Versuche, bei denen das Vorhandensein elementaren Metalls festgestellt worden sein soll. Die von den Beklagten unter 2. a) (1) (b) vorgetragene Auskunft des Zulieferers Y bezieht sich demgegenüber auf die Frage, welches Verfahren zur Herstellung der Antennenbauteile bei der Ausführungsform „X“ angewandt worden ist. Trifft die behauptete Auskunft von Y zu, würde es an einer Benutzung des Verfahrensmerkmals „Freisetzung von Schwermetallkeimen durch elektromagnetische Bestrahlung“ fehlen, denn die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Erzeugung polarisierter Defekte an der Oberfläche der Metallverbindungen etwas anderes ist als die Freisetzung elementaren Metalls.
49 
Die vorgetragene Auskunft von Y kann auch nicht mit der Begründung außer Betracht bleiben, die Beklagten hätten sich diese Auskunft nicht zu eigen gemacht. Sie haben allerdings deutlich gemacht, dass sie insoweit nicht eigenes, sondern fremdes Wissen vortragen, welches ihnen mitgeteilt worden sei. Eine solche Klarstellung ist zulässig und kann anwaltlicher Vorsicht geschuldet sein; sie ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Distanzierung vom entsprechenden Sachvortrag in dem Sinne, dass die mitgeteilten Umstände nicht behauptet werden sollen. Insoweit ist schon entsprechend den für die Beweisaufnahme geltenden Grundsätzen im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Partei Umstände, die ihre Rechtsposition zu stützen geeignet sind, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zumindest hilfsweise zu eigen macht (vgl. dazu BGH NJW 2006, 63 juris-Rn. 42; BGH NJW 2010, 1357 juris-Rn. 34 m.w.N.). Im Streitfall ergibt sich aus dem Kontext mit Deutlichkeit, dass die Beklagten das genannte Verfahrensmerkmal (unbedingt) bestreiten. Die Mitteilung der Auskunft von Y zum angewandten Herstellungsverfahren, die in die Argumentation zur nach Auffassung der Beklagten fehlenden Aussagekraft der von der Klägerin vorgetragenen Indizien eingebettet ist, dient ersichtlich dazu, das Bestreiten des Verfahrensmerkmals zu substantiieren. Einer ausdrücklichen Klarstellung, dass sich die Beklagten die Auskunft von Y zu eigen machen, bedurfte es zumindest in diesem Kontext nicht.
50 
Damit konnte die Feststellung des Landgerichts, dass das von Anspruch 2 geschützte Verfahren zur Herstellung der Antennenbauteile der Ausführungsform „X“ angewandt worden sei, nicht mit der Begründung getroffen werden, die Beklagten hätten die Verfahrensanwendung nicht erheblich bestritten; auf die Frage, ob im Verhältnis der Klägerin zu einem Zulieferer ein Bestreiten mit Nichtwissen zulässig wäre, kommt es hier nicht an. Auch eine Anwendung von § 139 Abs. 3 PatG scheidet bei Zugrundelegung der Schutzbereichsbestimmung des Landgerichts aus. Beides hält der Senat für hinreichend gesichert, um eine ausnahmsweise Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 719, 707 ZPO zu rechtfertigen. Ob die Feststellung, dass die angegriffenen Ausführungsformen unmittelbare Verfahrenserzeugnisse sind, sich - wie die Klägerin meint - aufgrund anderer, vom Landgericht nicht gewürdigter Umstände treffen lässt, ist im vorliegenden Verfahrensstadium, wie ausgeführt, nicht zu prüfen.
51 
5. Der Senat hat bei der Interessenabwägung berücksichtigt, dass die Klägerin derzeit nur die titulierte Rechnungslegung vollstreckt und dass die Beklagten nicht geltend machen, von der Rechnungslegung im vorliegenden Verfahrensstadium in besonderer, über typische Vollstreckungsnachteile hinausgehender Weise betroffen zu sein. Auf der anderen Seite ist aber zu sehen, dass Termin zur Verhandlung über die Nichtigkeitsklage bereits auf den 09.07.2015 bestimmt ist (Anlage Ast 5); mit einer Terminierung des vorliegenden Berufungsverfahrens kann bei normalem Verlauf ebenfalls im kommenden Jahr gerechnet werden. Dass die Vollstreckung der Rechnungslegung für die Klägerin, die durch die festgesetzte Sicherheitsleistung zusätzlich abgesichert wird, innerhalb dieses Zeitrahmens wesentlich erschwert würde, ist nicht ersichtlich.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkün
in der Patentnichtigkeitssache
X ZR 226/02
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Sammelhefter II

a) Wird von mehreren, ein Ausführungsbeispiel der Erfindung beschreibenden
Merkmalen nur eines in den Patentanspruch aufgenommen, das die mit
dem Ausführungsbeispiel erzielte technische Wirkung angibt, liegt darin
auch dann keine unzulässige Erweiterung, wenn ein anderer Weg zur Erzielung
derselben Wirkung nicht offenbart ist.

b) Wer dem Patentnichtigkeitsverfahren auf Seiten des Klägers beitritt, gilt als
Streitgenosse des Klägers (Abweichung vom Sen.Urt. v. 30.9.1997
- X ZR 85/94, GRUR 1998, 382, 387 - Schere).
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. MeierBeck
und Gröning

für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 25. Juni 2002 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 4/5 der Klägerin und ihrer Streithelferin und zu 1/5 der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. Mai 1986 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Schweizer Anmeldung vom 4. Juni 1985 angemeldeten und im Laufe des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erlosche- nen deutschen Patents 36 16 566 (Streitpatents). Das Streitpatent ist mit sechs Patentansprüchen erteilt worden, von denen Patentanspruch 1 lautet: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage zu einem Heftapparat wirksamen Mitnehmern versehen ist, d a d u r c h g e k e n n - z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere Sammelstrecke mit Mitnehmern (6) vorhanden,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede der Sammelstrecken mit einem Druckbogen , wobei bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden und
c) der Heftapparat (9) wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet ist und je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) aufweist."
2
Im Einspruchsbeschwerdeverfahren hat Patentanspruch 1 durch Beschluss des Bundespatentgerichts vom 19. September 1994 (11 W (pat) 45/92) folgende Fassung erhalten: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) die sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, und die Sammelstrecken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen."
3
Mit der Nichtigkeitsklage hat die Klägerin, die rechtskräftig wegen Verletzung des Streitpatents verurteilt ist, dieses im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 und 6 angegriffen. Sie macht geltend, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus und der Schutzbereich dieses Patentanspruchs sei gegenüber der erteilten Fassung des Patents erweitert. Ferner ergebe sich der Gegenstand des Streitpatents in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent unter Abweisung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält, auf welche die Patentansprüche 2, 3 und 6 rückbezogen sind: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbo- gen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, wobei bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden, und die Sammelstrecken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen,
d) es sind Mittel (3, 4, 10) vorhanden, um die Druckbogen unabhängig von der Angriffsrichtung der Schwerkraft in hinreichender Anlage mit der sattelförmigen Auflage zu halten."
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin und ihrer im Berufungsverfahren beigetretenen, gleichfalls wegen Verletzung des Streitpatents verurteilten Streithelferin, mit welcher diese den Antrag weiterverfolgen, das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 und 6 für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat sich der Berufung mit dem Antrag angeschlossen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Fassung des Patentanspruchs 1 wie folgt lautet: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, und die Sammelstre- cken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen."
6
Hilfsweise soll Patentanspruch 1 die folgende Fassung erhalten: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, und die Sammelstrecken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen,
d) es sind Mittel (3, 4, 10) vorhanden, um die Druckbogen unabhängig von der Angriffsrichtung der Schwerkraft in hinreichender Anlage mit der sattelförmigen Auflage zu halten."
7
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr.-Ing. B. K. , Fakultät Maschinenbau der Universität D. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten vorgelegt, das Professor Dr.-Ing. K. D. F. , Universität W. , in ihrem Auftrag erstellt hat.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässigen Rechtsmittel der Parteien haben keinen Erfolg. Das Bundespatentgericht hat zu Recht der - auch nach Erlöschen des Streitpatents zulässigen (vgl. Sen.Urt. v. 15.11.2005 - X ZR 17/02, GRUR 2006, 316 - Koksofentür ) - Nichtigkeitsklage teilweise entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen.
9
I. Das Streitpatent betrifft einen Sammelhefter, mit dem bedruckte und gefaltete Bogen (Druckbogen) gesammelt und anschließend in derselben Maschine zur Herstellung von mehrseitigen Druckprodukten wie Zeitschriften, Broschüren oder dergleichen geheftet werden. Dabei werden die einzelnen Druckbogen von innen nach außen übereinandergelegt und dann im Falzbereich geheftet. Ein derartiger Sammelhefter besteht aus den Komponenten Anlegestation , Sammelstrecke und Heftapparat. Die Anzahl der Anlegestationen entspricht der Anzahl der Druckbogen des fertigen Druckproduktes. Jede Anlegestation liefert an die Sammelstrecke einen bestimmten Druckbogen, indem die erste Anlegestation den innersten Druckbogen des fertigen Druckproduktes liefert, die zweite Anlegestation den - von innen nach außen betrachtet - nächstfolgenden Druckbogen und so fort. Die Sammelstrecke nimmt die von den Anlegestationen auf ihrer sattelförmigen Auflage rittlings abgelegten Druckbogen auf. Mit Hilfe von Mitnehmern werden die Druckbogen längs ihrer Auflage von Anlegestation zu Anlegestation seitlich vorgeschoben und gelangen schließlich zum Heftapparat, in dem sie zu fertigen Druckprodukten zusammengefügt werden.
10
Ein Sammelhefter dieser Art ist, wie die Streitpatentschrift erläutert, aus der Schweizer Patentschrift 519 993 (E 9) bekannt. Sein Nachteil ist die geringe Arbeitsgeschwindigkeit.
11
Der Erfindung liegt das technische Problem zugrunde, einen Sammelhefter bereitzustellen, welcher bei gleichermaßen präziser Verarbeitung der gefalteten Einzelbögen wie bei der bekannten Maschine ein Mehrfaches der Produktionsgeschwindigkeit zulässt (Sp. 3 Z. 65 - Sp. 4 Z. 2 der Streitpatentschrift).
12
Dieses Problem wird nach Patentanspruch 1 des Streitpatents in der geltenden Fassung durch folgende Merkmalskombination gelöst: (1) Der Sammelhefter weist Anlegestationen (7, 8, 19) auf, die im Maschinentakt angetrieben und an Sammelstrecken angeordnet sind. (2) Es sind wenigstens zwei parallele Sammelstrecken vorhanden. (3) Die Anlegestationen dienen der Beschickung der einander folgenden Sammelstrecken mit einem Druckbogen.
(4)
Die Sammelstrecken sind (4.1) gleich aufgebaut, (4.2) symmetrisch zu einer Achse (1) angeordnet und (4.3) drehen um die Achse (1).
(5)
Jede Sammelstrecke weist auf: (5.1) eine sattelförmige Auflage (3) für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen, (5.2) längs der Auflage wirksame Mitnehmer (6), welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat (9) transportieren. (6) Mit jedem Maschinentakt (6.1) beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) die sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen und (6.2) drehen sich die Sammelstrecken um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter.
(8)
Der Heftapparat (9) (8.1) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und (8.2) weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf.
(9)
Im Wirkbereich des Heftapparates (9) (9.1) stehen die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken still und (9.2) folgen die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf.
13
Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Streitpatentschrift zeigt ein Ausführungsbeispiel.
14
Der mit Merkmal 9.2 beanspruchte Gleichlauf zwischen den Heftköpfen des Heftapparats und den Sammelstrecken (mit den darauf abgelegten, relativ zur Sammelstrecke stillstehenden Druckbogen) wird dadurch erzielt, dass der Heftkopf, der die Druckbogen auf der zugeordneten Sammelstrecke heftet, seinerseits bewegt wird und während eines Bewegungsweges (im Ausführungsbeispiel während des Weges, den der pendelnde Heftapparat in Drehrichtung des Sammelhefters zurücklegt) der Sammelstrecke in gleicher Richtung und in gleichem Radialabstand folgt. Hierdurch wird erreicht, dass für die Heftung mehr Zeit zur Verfügung steht (Sp. 4 Z. 4-9), nämlich derjenige Zeitraum, in dem sich die Sammeltrommel um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiterdreht.
15
II. Die Anschlussberufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Bundespatentgericht angenommen, dass das Streitpatent mit dem vorstehend gegliederten Patentanspruch 1 keinen Bestand haben kann, weil hierdurch der Schutzbereich des Streitpatents erweitert worden ist (§ 22 Abs. 1 2. Alt. PatG).
16
Ein erteiltes Patent hat einen Schutzbereich, der gemäß § 14 PatG durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt wird, zu deren Auslegung Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen sind. Jedenfalls dann, wenn das Patent im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren derart geändert wird, dass sein Schutzbereich nunmehr über dasjenige hinausgeht, was zuvor vom Schutzbereich umfasst war, liegt der Nichtigkeitsgrund des § 22 Abs. 1 2. Alt. PatG vor.
17
Soweit das Bundespatentgericht eine solche Schutzbereichserweiterung darin gesehen hat, dass infolge der Ersetzung der Wörter "nacheinander jede" durch den bestimmten Artikel "die" in Merkmal 6.1 des Patentanspruchs 1 auch Sammelhefter umfasst sein könnten, bei denen nicht nacheinander jede sattelförmige Auflage beschickt werde, die Reihenfolge der Beschickung der Sam- melstrecken vielmehr beliebig sei und auch Lücken in der Beschickung möglich seien, greift die Anschlussberufung das erstinstanzliche Urteil nicht an.
18
Dem Bundespatentgericht ist aber auch darin beizutreten, dass die Weglassung des im erteilten Patentanspruch 1 enthaltenen Halbsatzes "wobei bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden" in Merkmal 6.1 des Patentanspruchs 1 in der geltenden Fassung zu einer Schutzbereichserweiterung führt.
19
Das Bundespatentgericht hat dies damit begründet, dass vom Schutzbereich des geltenden Anspruchs auch Sammelhefter umfasst sein könnten, die nicht mit der offenen Seite voran gegen, sondern beispielsweise von der Seite her auf die Sammelstrecke gefördert würden, wie es aus der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung 95 603 (E 1) bekannt sei. Auch könnten Sammelhefter umfasst sein, die nicht während des Beschickens, sondern bereits vorher aufgespreizt würden, wie dies aus der deutschen Offenlegungsschrift 31 17 419 (E 8) bekannt sei. Merkmal 6.1 der erteilten Fassung sei jedoch unter Berücksichtigung der Beschreibung (insbesondere Sp. 3 Z. 47-57 der C2Schrift ) so auszulegen, dass nur Sammelhefter vom Schutzbereich umfasst seien, die mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und erst während der Beschickung aufgespreizt würden.
20
Dagegen wendet die Anschlussberufung ohne Erfolg ein, das erteilte Streitpatent unterscheide lediglich zwischen dem Sammeln der Druckbogen von außen nach innen in V-förmigen Taschen (deutsche Auslegeschrift 1 224 329 [E 10] und Schweizer Patentschrift 584 153 [E 11]) und dem erfindungsgemäßen Sammeln von innen nach außen auf sattelförmigen Auflagen, wobei letzteres durch Merkmal 5.1 zum Ausdruck gebracht werde und die zusätzliche Angabe in Merkmal 6.1 nichts anderes besage als das, was Merkmal 5.1 ohnehin schon zum Ausdruck bringe, da eine Ablage "rittlings" nur erfolgen könne, wenn die Druckbogen zuvor aufgespreizt und mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert würden.
21
Denn die Beschreibung des Streitpatents in seiner erteilten Fassung erläutert die Vorrichtung nach der E 1 dahin, dass diese einen endlos umlaufenden , zur Aufnahme der Druckbogen bestimmten Förderer aufweise, entlang welchem eine Anzahl von Zuförderern für die Druckbogen angeordnet seien. Hierbei würden die Produkte mit quer zur Förderrichtung liegendem Falz an den Zuförderern vorbeigeführt. Die Schenkel der Druckbogen hingen hierbei frei nach unten. Diese bekannte Vorrichtung lasse konstruktiv offen, wie dabei die frei herabhängenden Schenkel der Druckbogen bei hohen Geschwindigkeiten stabil gehalten und wie der Heftvorgang an den fertig zusammengetragenen Produkten ausgeführt werden solle (Sp. 1 Z. 44-57).
22
Von dieser bekannten Lösung, bei der bereits eine Sammelstrecke mit sattelförmigen Auflagen für die vereinzelten Druckbogen vorhanden ist, hebt sich die erfindungsgemäße Lösung nach dem erteilten Patentanspruch 1 durch die weitere Angabe ab, dass die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert werden und (hierbei, um eine zuverlässige Auflage zu gewährleisten, nicht frei herabhängen, sondern) aufgespreizt werden. Diese Anforderung ist im geltenden Patentanspruch 1 nicht mehr enthalten, nach dem die Zuführung in beliebiger Weise und aus beliebiger Richtung erfolgen kann.
23
Der geltende Patentanspruch ist damit auf eine Teilkombination der durch den erteilten Patentanspruch geschützten technischen Lehre gerichtet. Damit ist der Schutzbereich erweitert, denn eine solche Teilkombination war durch das erteilte Patent nicht geschützt (vgl. Sen.Urt. v. 31.5.2007 - X ZR 172/04, WRP 2007, 1231 - Zerfallszeitmessgerät [für BGHZ vorgesehen ]).
24
Da auch der Hilfsantrag der Anschlussberufung das Merkmal nicht enthält , nach dem bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden, kann Patentanspruch 1 auch in der Fassung dieses Antrags keinen Bestand haben.
25
III. Auch die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Patentanspruch 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils ist gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen nicht unzulässig erweitert, und der Gegenstand dieses Anspruchs ist patentfähig.
26
1. In dieser Fassung lässt sich Patentanspruch 1 wie folgt gliedern: (1) Der Sammelhefter weist Anlegestationen (7, 8, 19) auf, die im Maschinentakt angetrieben und an Sammelstrecken angeordnet sind. (2) Es sind wenigstens zwei parallele Sammelstrecken vorhanden. (3) Die Anlegestationen dienen der Beschickung der einander folgenden Sammelstrecken mit einem Druckbogen.
(4)
Die Sammelstrecken sind (4.1) gleich aufgebaut, (4.2) symmetrisch zu einer Achse (1) angeordnet und (4.3) drehen um die Achse (1).
(5)
Jede Sammelstrecke weist auf: (5.1) eine sattelförmige Auflage (3) für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen, (5.2) längs der Auflage wirksame Mitnehmer (6), welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat (9) transportieren. (6) Mit jedem Maschinentakt (6.1) beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, wobei die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden, und (6.2) drehen sich die Sammelstrecken um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter. (7) Es sind Mittel (3, 4, 10) vorhanden, um die Druckbogen unabhängig von der Angriffsrichtung der Schwerkraft in hinreichender Anlage mit der sattelförmigen Auflage (3) zu halten.
(8)
Der Heftapparat (9) (8.1) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und (8.2) weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf.
(9)
Im Wirkbereich des Heftapparates (9) (9.1) stehen die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken still und (9.2) folgen die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf.
27
2. Dieser Patentanspruch enthält keine unzulässige Erweiterung. Das Bundespatentgericht hat zutreffend angenommen, dass eine unzulässige Erweiterung insbesondere nicht darin liegt, dass Merkmal 9.2 lediglich vorschreibt , dass die Heftköpfe beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen, hingegen nicht vorgibt, dass der Heftapparat hierzu konzentrisch zur Achse (1) der Welle (2) gelagert sein und eine Pendelbewegung ausführen muss.
28
Merkmal 9.2 ist als solches, wie auch die Klägerin nicht bezweifelt, ursprungsoffenbart. Denn die Patentanmeldung beschreibt ein durch die mit der oben wiedergegebenen Zeichnung identischen Figur 1 illustriertes Ausführungsbeispiel , bei dem der Heftapparat (9) einen um die Achse (1) schwenkbar gelagerten Bügel (11) aufweist, an dem zwei Heftkopfpaare (12, 13) angeordnet sind. Der Bügel (11) führt eine Hin- und Her-Schwenkbewegung aus und folgt dabei während eines Bewegungsweges den Auflagen (3) mit gleicher Geschwindigkeit. Die sich mitbewegenden Heftkopfpaare (12, 13) führen jeweils während des Gleichlaufs mit den Auflagen (3) simultan eine Heftoperation aus, mit der die aufeinanderliegenden Druckbogen von zwei Sammelstrecken zusammengeheftet werden (S. 9, letzter Abs. - S. 10, 2. Abs. der Offenlegungsschrift = Sp. 4 Z. 3-26 der C2-Schrift = Sp. 4 Z. 63 - Sp. 5 Z. 18 der C3-Schrift). Im Wirkbereich des Heftapparates folgen somit die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf.
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Die Patentinhaberin war auch nicht gehindert, dieses Merkmal in den Patentanspruch aufzunehmen, ohne gleichzeitig weitere Einzelheiten des Ausführungsbeispiels mit zu übernehmen.
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Änderungen der Patentansprüche dürfen freilich weder zu einer Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung noch dazu führen, dass an die Stelle der angemeldeten Erfindung eine andere gesetzt wird (BGHZ 66, 17, 29 - Alkylendiamine I; BGHZ 110, 123, 125 - Spleißkammer). Der Patentanspruch darf mithin nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, von dem aus fachmännischer Sicht aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht zu erkennen ist, dass er von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein sollte (Sen.Urt. v. 21.9.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn; Sen.Beschl. v. 20.6.2000 - X ZB 5/99, GRUR 2000, 1015, 1016 - Verglasungsdichtung; v. 5.10.2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; Sen.Urt. v. 5.7.2005, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II). Der Anmelder oder Patentinhaber , der nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, ist dabei nicht genötigt, sämtliche Merkmale ei- nes Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen (Sen.Urt. v. 15.11.2005 - X ZR 17/02, GRUR 2006, 316, 319 - Koksofentür). Die Aufnahme eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist zulässig , wenn dadurch die zunächst weiter gefasste Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war (BGHZ 111, 21, 25 - Crackkatalysator I; Sen.Beschl. v. 30.10.1990 - X ZB 18/88, GRUR 1991, 307, 308 - Bodenwalze; Sen.Urt. v. 7.12.1999 - X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 592 - Inkrustierungsinhibitoren). Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt ; in dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorschriften gemacht werden (BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; Sen.Beschl. v. 14.9.2004 - X ZB 25/02 - Fußbodenbelag).
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Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Patentinhaber nach Belieben einzelne Elemente eines Ausführungsbeispiels im Patentanspruch kombinieren dürfte. Die Kombination muss vielmehr in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die aus der Sicht des Fachmanns den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung zu entnehmen ist; andernfalls wird etwas beansprucht, von dem aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennbar ist, dass es von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein soll, und das daher gegenüber der angemeldeten Erfindung ein aliud darstellt (Sen.Beschl. v. 23.1.1990 - X ZB 9/89, GRUR 1990, 432, 434 - Spleißkammer [insoweit nicht in BGHZ]; Sen.Beschl. v. 11.9.2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung).
Diesen Anforderungen genügt die Kombination des Merkmals 9.2 mit
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den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs 1. Denn in Patentanspruch 2 der Anmeldung war ganz allgemein ein Sammelhefter mit parallelen Sammelstrecken angegeben, bei dem der Heftapparat wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken zugeordnet ist und je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf aufweist. Aus der Sicht des Fachmanns, als den der Senat - auf der Grundlage der durch die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen bestätigten Feststellungen des Bundespatentgerichts zum üblichen Ausbildungs- und Kenntnisstand der mit der Entwicklung von Sammelheftern befassten Fachleute - einen Maschinenbauingenieur mit praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Konstruktion papierverarbeitender Maschinen ansieht, war erkennbar, dass der beschriebene Gleichlauf der Heftköpfe eines wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordneten Heftapparats mit den Sammelstrecken beim Heftvorgang geeignet ist, dem in der Patentanmeldung beschriebenen Nachteil des Standes der Technik, dass für den Heftvorgang nur ein Bruchteil eines Maschinentaktes zur Verfügung stand, entgegenzuwirken und damit das Ziel zu fördern, eine Vorrichtung zu schaffen, die bei gleich präziser Verarbeitung wie bei einer konventionellen Maschine ein Mehrfaches der Produktionsgeschwindigkeit erlaubt.
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Dem gegenüber ist unerheblich, dass die ursprünglichen Unterlagen mit dem konzentrisch gelagerten, pendelnden Bügel des Heftapparats nur eine Möglichkeit beschreiben, wie ein solcher Gleichlauf während eines Bewegungsweges erreicht werden kann. Denn ein solches Ausführungsbeispiel, mit dem der Anmelder der Anforderung genügt, die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG), nötigt nicht dazu, den Gegenstand des Patentanspruchs hierauf zu beschränken.
Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich eine unzulässige Er34 weiterung auch nicht daraus, dass in der C3-Schrift die Vorrichtung nach der deutschen Patentschrift 33 43 466 (E 2) dahin beschrieben wird, mittels eines Pendelantriebs werde eine derartige Hin- und Herbewegung der Heftköpfe herbeigeführt , dass sie bei ihrer Einwirkung auf zwei aufeinanderfolgende, zu heftende Druckbogen "im Gleichlauf mit deren Bewegungsgeschwindigkeit" bewegt würden (Sp. 3 Z. 19-30). Denn damit ist lediglich zutreffend beschrieben, dass in der Einwirkungsphase in Laufrichtung der Druckbogen keine Relativbewegung zwischen Heftköpfen und Druckbogen stattfindet. Nichts anderes ist, bezogen auf Heftköpfe und Sammelstrecken, mit dem Begriff des "Gleichlaufs" in der Anmeldung des Streitpatents und in Merkmal 9.2 zum Ausdruck gebracht.
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3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils ist auch patentfähig.
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Dieser Gegenstand ist, wie auch von der Klägerin und ihrer Streithelferin nicht in Zweifel gezogen wird, neu. Verhandlung und Beweisaufnahme haben ebenso wenig tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Stand der Technik dem Fachmann den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nahegelegt hat.
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a) Die deutsche Auslegeschrift 1 114 779 (E 6) beschreibt eine Maschine zum Heften von Bogenlagen, bei der die Druckbogen auf sattelförmigen Auflagen (2) gesammelt werden, die an umlaufenden Zugorganen angeordnet sind. Mittels Verteil- und Anlegevorrichtungen (104) werden die Druckbogen auf den Auflagen abgelegt und zu einer Heftvorrichtung (105) weitertransportiert. Die Heftköpfe werden von auf einer Welle aufgekeilten Nocken gesteuert, die das Anbringen der Heftklammern während des Verschiebens der auf den Auflagen ruhenden Broschüren gestatten. Das entspricht den Merkmalen 1 bis 4.1, 5.1, 9.1 und 9.2. Hingegen fehlen die Mitnehmer wie auch alle Merkmale, die mindestens zwei parallele, um eine Achse drehend angeordnete Sammelstrecken voraussetzen.
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Es ist auch nicht erkennbar, was dem Fachmann Veranlassung geben sollte, die Vorrichtung derart umzugestalten, dass die gezeigte Sammelstrecke durch mindestens zwei parallele, um eine Achse drehend angeordnete Sammelstrecken ersetzt wird. Insbesondere ergibt sich hierfür nichts aus der von der Klägerin mehrfach zitierten Annahme im Urteil des Senats vom 26. Mai 1998 (X ZR 20/96, Bausch, BGH 1994-1998, 509), dem Fachmann sei bekannt, dass ein endlos umlaufendes Element bei einem Sammelförderer nicht nur ein Ketten- oder Riemengetriebe sein könne, sondern auch eine Trommel. Die Aussage des Senats bezieht sich auf die Erfassung des Wortsinns des Begriffs "endlos umlaufender Sammelförderer" im Patentanspruch des damaligen Streitpatents. Ihr lässt sich nichts dafür entnehmen, ob und inwieweit der Fachmann bei einem konkreten Sammelförderer Veranlassung sieht, ein umlaufendes Ketten- oder Riemengetriebe durch eine Trommel oder dergleichen zu ersetzen. Diese Frage kann stets nur aus dem Zusammenhang einer konkreten vorbekannten Lösung beantwortet werden. Selbst wenn aber der Fachmann Veranlassung sähe, die Auflagen auf einer Trommel anzuordnen, gelangte er damit nicht zum Gegenstand des Streitpatents.
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b) Dies folgt auch nicht aus der zusätzlichen Heranziehung der deutschen Offenlegungsschrift 31 08 551 (E 3). Dort wird beschrieben, dass mehrlagige Druckprodukte dadurch gebildet werden können, dass eine Anzahl von zickzackförmig gefalteten Bahnen aufeinander ausgerichtet übereinandergelegt wird. Jede Bahn wird durch einzelne Blätter gebildet, die an den quer zur Bahnlängsrichtung verlaufenden Faltstellen miteinander verbunden sind. Zum Abstützen der aufeinander zu legenden Bahnen dient eine Trommel, welche an ihrem Umfang radial abstehende Stützstege (47) aufweist, auf denen zunächst die erste Bahn aufgelegt wird. Die spiralförmig auf der Trommel geführte erste Bahn gelangt sodann zum Eingabeabschnitt der nachfolgenden Bahn, in welchem diese über die erste Bahn gelegt wird. Die beiden Bahnen werden schraubenlinienförmig gegebenenfalls zu weiteren Eingabeabschnitten und sodann zu einem Endbereich der Trommel geführt, in dem ein Heftapparat (62) vorgesehen ist, in dessen Wirkbereich sich die Blätter(bahnen) auf einer Kreisbahn bewegen.
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Diese Vorrichtung setzt voraus, dass die Blätter der am Ende des Bearbeitungsvorgangs stehenden Druckprodukte als zickzackförmig gefaltete Bahnen zugeführt werden, was die deutsche Offenlegungsschrift als besonders vorteilhaft ansieht, weil die gegenseitige Lage der Blätter einer Bahn immer definiert sei (S. 6 Z. 4-10 der Beschreibung). Die Trommel dieser Vorrichtung ist daher jedenfalls nicht ohne weiteres mit einer Vorrichtung nach der E 6 kombinierbar , und Verhandlung und Beweisaufnahme haben keine Anhaltspunkte dafür hervortreten lassen, dass der Fachmann zu dem Versuch einer solchen Kombination Veranlassung sehen sollte. Insbesondere ergibt sich hierfür nichts aus einem für sich naheliegenden Bestreben des Fachmanns, die Arbeitsgeschwindigkeit der Vorrichtung zu erhöhen, denn auch bei der Trommel nach der E 3 werden die Stützstege wie die sattelförmigen Auflagen nach der E 6 konsekutiv mit den aufeinanderfolgenden Blätterbahnen beschickt.
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Auch der Hinweis der Berufung darauf, dass in Anspruch 4 der E 3 ein Verfahren beansprucht sei, bei dem die übereinander liegenden Bahnen an allen oder einzelnen Faltstellen durchgetrennt werden, führt nicht weiter. Zwar ist in jenem Anspruch nicht angegeben, in welcher Verfahrensphase die Bahnen durch Trennung zu Blättern oder Druckbogen vereinzelt werden sollen. Für die Frage, welche Anregungen eine Schrift dem Fachmann bot, kommt es indessen nicht darauf an, wie weit ihr Gegenstand oder Schutzbereich reicht. Maßgeblich ist allein, welche technischen Erkenntnisse und Möglichkeiten dem Fachmann offenbart werden. Insoweit beschreibt die Offenlegungsschrift jedoch - ihrer Zielrichtung entsprechend - ausschließlich die Sammlung übereinander liegender Bahnen, nicht vereinzelter Druckbogen. Erst das am Entnahmeabschnitt (51) der Trommel - gegebenenfalls nach Heften (S. 15 Z. 23-26) - von einem Transporteur (59) übernommene, aus den übereinander liegenden Bahnen bestehende "Gebilde (61)" wird einer Stapelbildevorrichtung (63) zugeführt und sodann von einer Trennvorrichtung (68) durchtrennt (S. 15 Z. 10 - S. 16 Z. 22).
Auch die - ohnehin nicht näher ausgeführte - Bemerkung auf S. 17 Z. 5-7, es "wäre unter Umständen jedoch auch denkbar", die fertigen Druckprodukte vor dem Stapeln einzeln voneinander zu trennen, bezieht sich auf "die einzelnen zusammenhängenden, das Gebilde (61) bildenden fertigen Druckprodukte" und ändert daher nichts daran, dass nach dem Gesamtinhalt der Schrift eine Vereinzelung erst nach dem Sammeln in Betracht gezogen wird.
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c) Es kommt hinzu, dass weder die E 3 noch die E 6 eine Anregung dafür geben, vereinzelte Druckbogen mittels längs der Auflage wirksamer Mitnehmer einem Heftapparat zuzuführen, der wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet ist (Merkmal 8.1). Um derartiges gleichwohl zu realisieren, müsste der Fachmann zunächst zu der Erkenntnis gelangen, dass es zweckmäßig sei, zusätzlich zu dem aus der E 6 bekannten Heftkopf einen weiteren, gemeinsam mit dem ersten hin- und herpendelnden Heftkopf vorzusehen. Eine Anregung hierfür mag sich zwar in der bereits erwähnten deutschen Patentschrift 33 43 466 (E 2) finden. Bei dem dort beschriebenen Heftvorgang bewegen sich die Druckprodukte jedoch ebenso wenig wie bei der Heftvorrichtung nach der E 6 auf einer Kreisbahn. Für eine Zuordnung des Heftapparats zu wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken, die symmetrisch zu einer Achse und um diese drehend angeordnet sind, und die hierfür erforderlichen konstruktiven Maßnahmen fehlt jedes Vorbild.
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d) Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften kommen dem Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts nicht näher. Ergänzend wird hierzu auf die Ausführungen zu IV 3 des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die tatsächlichen Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG können hiernach nicht festgestellt werden.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 2, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streithelferin gilt als Streitgenossin der Klägerin. Nach- dem der Senat für die Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren das Erfordernis aufgegeben hat, dass zwischen dem Nichtigkeitskläger oder dem Patentinhaber eine Rechtsbeziehung bestehen muss, die durch die im Nichtigkeitsverfahren ergehende Entscheidung beeinflusst werden kann, und es genügen lässt, dass der Nebenintervenient durch das Streitpatent in seiner geschäftlichen Tätigkeit als Wettbewerber beeinträchtigt werden kann (BGHZ 166, 18 - Carvedilol I), besteht kein Grund mehr, die Rechtskraftwirkung eines klageabweisenden Urteils gegenüber dem Streithelfer anders zu beurteilen als gegenüber dem Nichtigkeitskläger. Auch erscheint die Kostenfolge des § 101 Abs. 2 ZPO für diesen Fall sachgerechter als diejenige des § 101 Abs. 1 ZPO. Entsprechend § 69 ZPO gilt der Streithelfer daher als Streitgenosse des Nichtigkeitsklägers (offengelassen im Senatsurteil vom 22.12.1964 - Ia ZR 237/63, GRUR 1965, 297 - Nebenintervention). An der im Urteil vom 30. September 1997 (X ZR 85/94, GRUR 1998, 382, 387 - Schere) vertretenen gegenteiligen Auffassung hält der Senat nicht fest.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.06.2002 - 2 Ni 15/01 -
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 2, 100 Abs. 1 ZPO. Die Streithelferinnen des Klägers gelten als dessen Streitgenossen (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II). Meier-Beck Grabinski Bacher Hoffmann Deichfuß