Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2002 - IX ZR 70/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Alleinerbin ihrer 1988 verstorbenen Mutter E. R. geborene B. . Die Erblasserin lebte seit 1925 als Hausfrau in S. /Elsaß, wo sie auch im Geschäftsbetrieb ihres Ehemannes mithalf. Bei Kriegsausbruch 1939 wurde die Familie nach P. /Dordogne evakuiert. Nach dem Einrücken der deutschen Truppen in das unbesetzte Frankreich mußte
sich die Erblasserin vom November 1942 bis zum Sommer 1944 als rassisch Verfolgte in wechselnden Verstecken verborgen halten.
Die Erblasserin erhielt durch Bescheid vom 16. Mai 1963 eine Kapitalentschädigung und Rente für Schaden an Körper oder Gesundheit auf der Grundlage einer verfolgungsbedingten MdE von 35 %, einer allgemeinen MdE von 60 % und einer Einstufung in den mittleren Dienst zuerkannt. Hiergegen erhob die Erblasserin fristwahrend Klage, mit der sie eine höhere Kapitalentschädigung und Rente auf der Grundlage einer vMdE von 80 % und einer Einstufung in den gehobenen Dienst sowie ein Heilverfahren erstrebte.
Der Rechtsstreit wurde bis in das Jahr 1987 nicht betrieben und nach dem Tod der Erblasserin im Jahre 1988 von der Klägerin fortgesetzt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ihr durch Teilurteil vom 21. Oktober 1999 weitere Kapitalentschädigung und eine Rentennachzahlung auf der Grundlage einer vMdE von 60 % mit einem Hundertsatz von 42,5 zugesprochen und eine weitere Erhöhung der Rente nach einem Hundertsatz von 47,5 ab dem 1. März 1969 wegen Nichterreichung einer allgemeinen MdE von 80 % sowie einen Anspruch auf Heilverfahren aberkannt.
Einen - nach Rechtskraft des Teilurteils gestellten - Zweitverfahrensantrag der Klägerin auf Zubilligung des aberkannten Hundertsatzes sowie Kapital - und Rentenberechnung nach einer vMdE von 70 % lehnte der Beklagte ab, weil das Teilurteil richtig sei und sich die Klägerin nach ihrem Sachantrag in der Berufungsschrift mit einem Rentenbezug auf der Grundlage einer vMdE von 60 % begnügt habe.
Nach Erlaû des Teilurteils hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Juni 2000 eine Kapital- und Rentenbemessung nach einer vMdE von 70 % und einem dementsprechenden Hundertsatz von 47,5 beantragt. Mit dem durch Revision und Beschwerde angefochtenen Schluûurteil hat das Oberlandesgericht der Klägerin Zinsen auf den Rentenanspruch seit dem 6. August 1987 zugesprochen ; die hinsichtlich des Hundertsatzes, der Eingliederung in den gehobenen Dienst und der Zinsen weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Die Beschwerde, mit der die Klägerin die Zulassung der Revision für die Eingliederungsfrage und den weitergehenden Zinsanspruch erstrebt hat, ist ohne Erfolg geblieben.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat dem Sachantrag der Klägerin aus der Berufungsbegründung einen teilweisen Rechtsmittelverzicht entnommen und ihre nachträgliche Antragserhöhung nur noch auf Ermessensfehler des Beklagten (§ 211 BEG) in seiner Ablehnung des insoweit hilfsweise beantragten Zweitverfahrens überprüft. Entgegen dem Eingangssatz seiner Entscheidungsgründe hat das Berufungsgericht mit dieser Auffassung eine teilweise unzulässige Berufung angenommen; denn den Rechtsanspruch der Klägerin nach den §§ 31, 33 BEG hat es aus diesem Grund zu der wiederaufgegriffenen Antragsspitze sachlich nicht mehr beschieden. Das hilfsweise insoweit geltend ge-
machte Abhilfebegehren ist ein anderer Streitgegenstand. Gegen die genannte Verfahrensweise des Berufungsgerichtes wendet sich die Klägerin mit ihrer insoweit nach § 221 BEG unbeschränkt statthaften Revision zu Recht.
II.
Die Klägerin hat gegen das abweisende Urteil des Landgerichts unbeschränkt Berufung eingelegt. Damit war der Rechtsstreit insgesamt in die Berufungsinstanz gelangt und die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils nach § 705 Satz 2 ZPO gehemmt. Die Beschränkung ihres Rentenantrages in der Berufungsbegründung auf eine Bemessung ausgehend von 60 % vMdE hatte Folgen für den Umfang der Berufungsverhandlung (§ 525 ZPO a.F.) und hinderte das Berufungsgericht nach § 308 ZPO daran, der Klägerin mit seinem rechtskräftig gewordenen Teilurteil einen höheren Rentenanspruch zuzuerkennen. Die Antragsbeschränkung verwehrte der Klägerin aber grundsätzlich nicht, ihren Berufungsantrag bis zum Ende der Berufungsverhandlung zu erhöhen , da die fristgerecht vorgetragenen Berufungsgründe die Erhöhung deckten (vgl. BGHZ 88, 360, 363 f; 91, 154, 159; BGH, Urt. v. 6. November 1986 - XI ZR 8/86, BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 Antragserweiterung 1; v. 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 Berufungsantrag 2 - in BGHZ 132, 341 nicht mit abgedruckt; v. 12. November 1997 - XII ZR 39/97, NJW-RR 1998, 572; st. Rechtspr.). Die Berufung wäre im Umfang der nachträglichen Antragserhöhung nur dann unzulässig gewesen, wenn der ursprünglich engere Berufungsantrag nach dem klaren und eindeutigen Willen der Klägerin zugleich einen Rechtsmittelverzicht gegenüber dem im Streitgegenstand weitergehenden Landgerichtsurteil enthalten hätte (BGHZ 88, aaO; BGH, Urt.v. 30. März 1983 - IVb ZR 19/82, NJW 1983, 1561, 1562; Urt. v. 12. November 1997, aaO).
Das Berufungsgericht hat einen teilweisen Rechtsmittelverzicht der Klägerin zu Unrecht bejaht. Das Revisionsgericht ist verpflichtet, die Prozeûerklärungen einer Partei auch in dieser Hinsicht selbständig auszulegen (BGHZ 89, 325, 328; BGH, Urt. v. 18. September 1986 - II ZR 124/85, VersR 1987, 101; v. 6. Mai 1987 - IVb ZR 52/86, NJW 1987, 3264, 3265; v. 22. Mai 1989 - VIII ZR 129/88, NJW-RR 1989, 1276, 1277). Wie der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden hat, enthält die Stellung beschränkter Rechtsmittelanträge im Zweifel keinen Verzicht auf die Anfechtung des Urteils im übrigen; der Rechtsmittelkläger muû sich auch nicht etwa die künftige Erweiterung seiner Rechtsmittelanträge vorbehalten (vgl. BGH, Urt. v. 12. November 1997 - XII ZR 39/97, NJWRR 1998, 572; v. 28. September 2000 - IX ZR 6/99, WM 2000, 2439, 2440, in BGHZ 145, 256 nicht mit abgedruckt).
Die Erwägungen des Berufungsgerichts ergeben nur, daû die Klägerin dort überhaupt einen gegenüber dem erstinstanzlichen Klagebegehren beschränkten Sachantrag hat stellen wollen. Für einen teilweisen Berufungsverzicht der Klägerin zeigt das Berufungsgericht keine Anhaltspunkte auf. Das erstinstanzlich erstattete Sachverständigengutachten Dr. R. , welches eine vMdE der Erblasserin von 70 % annahm, spricht vielmehr dafür, daû die Klägerin nicht ohne erkennbaren Grund sich der Möglichkeit begeben wollte, während des Berufungsrechtszuges auf diesen Forderungsgrund der Gesamtentschädigung zurückzukommen.
III.
Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses über den erhöhten Antrag (Kapitalentschädigung und Rente aufgrund einer vMdE von 70 %) sachlich befinden kann. Im Falle der Ablehnung wird auch der auf § 15 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der 2. DV-BEG gestützte Erhöhungsgrund neu zu prüfen sein, weil hierüber durch das Teilurteil vom 21. Oktober 1999 nicht endgültig entschieden worden ist.Kreft Kirchhof Raebel
Kayser Vézina
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(1) Soweit die Entschädigungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat das Entschädigungsgericht nur zu prüfen, ob die Entschädigungsbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Entsprechendes gilt im Falle des § 183.
(2) Im Falle des § 171 ist das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die oberste Entschädigungsbehörde des Landes ihren Sitz hat.
(3) Im Falle des § 183 ist das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesjustizverwaltung ihren Sitz hat.
(1) Die Rente steht dem Verfolgten im Falle und für die Dauer einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 vom Hundert zu.
(2) War der Verfolgte mindestens ein Jahr in Konzentrationslagerhaft und ist er in seiner Erwerbsfähigkeit um 25 vom Hundert oder mehr gemindert, so wird für den Anspruch auf Rente zu seinen Gunsten vermutet, daß die verfolgungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit 25 vom Hundert beträgt.
(3) Die Rente ist in einem Hundertsatz des Diensteinkommens (Grundgehalt und Wohnungsgeld) eines mit dem Verfolgten nach seiner wirtschaftlichen Stellung vergleichbaren Bundesbeamten einer Besoldungsgruppe mit aufsteigenden Gehältern festzusetzen. Die wirtschaftliche Stellung ist nach dem Durchschnittseinkommen des Verfolgten in den letzten drei Jahren vor dem Beginn der gegen ihn gerichteten Verfolgung zu beurteilen; eine Minderung seines Einkommens durch vorausgegangene Verfolgung bleibt außer Betracht. Neben der wirtschaftlichen Stellung ist auch die soziale Stellung des Verfolgten zu berücksichtigen, wenn dies zu einer günstigeren Einreihung des Verfolgten in eine vergleichbare Beamtengruppe führt.
(4) Bei der Bemessung des Hundertsatzes sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verfolgten, insbesondere seine nachhaltigen Einkünfte einschließlich der Versorgungsbezüge, der Leistungen nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz), der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beträge, die er zu erwerben unterläßt, obwohl ihm der Erwerb zuzumuten ist, sowie der Grad der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit und seine Belastung mit der Sorge für unterhaltsberechtigte Angehörige angemessen zu berücksichtigen.
(5) Bei der Berechnung der Rente ist die jeweilige Höhe des Diensteinkommens vergleichbarer Beamtengruppen im Sinne des Absatzes 3 zugrunde zu legen.
(6) Die Rente beträgt bei einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit
von 25 bis 39 v.H. | mindestens 15 und höchstens 40 v.H. |
von 40 bis 49 v.H. | mindestens 20 und höchstens 45 v.H. |
von 50 bis 59 v.H. | mindestens 25 und höchstens 50 v.H. |
von 60 bis 69 v.H. | mindestens 30 und höchstens 55 v.H. |
von 70 bis 79 v.H. | mindestens 35 und höchstens 60 v.H. |
von 80 und mehr v.H. | mindestens 40 und höchstens 70 v.H. |
des Diensteinkommens, das dem Verfolgten bei der Einreihung in eine vergleichbare Beamtengruppe nach seinem Lebensalter am 1. Mai 1949 zugestanden hätte.
(1) Der Grad der Minderung und der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ist danach zu beurteilen, wie weit der Verfolgte im allgemeinen Erwerbsleben geistig und körperlich leistungsfähig ist. Der vor dem Beginn der Verfolgung ausgeübte Beruf oder eine vor diesem Zeitpunkt bereits begonnene oder nachweisbar angestrebte Berufsausbildung ist zu berücksichtigen.
(2) Stand der Verfolgte vor dem Beginn der Verfolgung wegen seines Alters noch nicht im Erwerbsleben, so sind die Minderung und die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nach dem Grade zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Schädigung an Körper oder Gesundheit ergeben würde.
Die Rechtskraft der Urteile tritt vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels oder des zulässigen Einspruchs bestimmten Frist nicht ein. Der Eintritt der Rechtskraft wird durch rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels oder des Einspruchs gehemmt.
Auf das weitere Verfahren sind die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Abschnitts ergeben. Einer Güteverhandlung bedarf es nicht.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.