Bundesgerichtshof Urteil, 16. Okt. 2006 - II ZR 7/05

published on 16/10/2006 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 16. Okt. 2006 - II ZR 7/05
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Previous court decisions
Landgericht Essen, 18 O 27/03, 09/12/2003
Oberlandesgericht Hamm, 8 U 42/04, 29/11/2004

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
II ZR 7/05 URTEIL
Verkündet am:
16. Oktober 2006
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In dem Rechtsstreit um die Erfüllung einer Versorgungszusage, den die Witwe
eines Vorstandsmitglieds gegen die Gesellschaft führt, wird diese nicht durch
ihren Vorstand, sondern ausschließlich durch ihren Aufsichtsrat vertreten.
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2006 - II ZR 7/05 - OLG Hamm
LG Essen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 16. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein und
Caliebe

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. November 2004 aufgehoben und das Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 9. Dezember 2003 teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist die Witwe des früheren Vorstandsmitglieds H. der K. AG, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Der Ehemann der Klägerin hatte nach § 11 Abs. 1 seines Dienstvertrages einen Anspruch auf Ruhegehalt in Höhe von 50 % des zuletzt bezogenen Jahresgehalts; nach § 14 des Vertrages steht der Klägerin eine Witwen- rente in Höhe von 60 % des zuletzt gezahlten Ruhegehalts zu. Nach dem Tod des Ehemannes im Januar 2001 zahlte die Beklagte zunächst die vertraglich vereinbarte Witwenrente, stellte die Zahlungen jedoch im Juli 2002 ein und widerrief mehrfach - erstmals im Januar 2003 - die Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher Notlage.
2
Die Klägerin hat gegen die Beklagte "gesetzlich vertreten durch den Vorstand" Klage auf Zahlung rückständiger und zukünftiger Witwenrente erhoben. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt unter Aufhebung bzw. teilweiser Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen zur Abweisung der Klage als unzulässig.
4
1. Die Beklagte ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 547 Nr. 4 ZPO). Vertreter der Beklagten war gemäß § 112 AktG ihr Aufsichtsrat. Dies gilt auch für den hier vorliegenden Fall eines Prozesses der Gesellschaft mit der Witwe eines früheren Vorstandsmitglieds um Ansprüche aus einer Versorgungszusage bzw. um die Zulässigkeit ihres Widerrufs.
5
a) Gesetzlicher Zweck des § 112 AktG ist es, eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen, welche von sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und sachdienliche Gesellschaftsbelange wahrt. Im Interesse der Rechtssicherheit ist dabei auf eine typisierende Betrachtung abzustellen (st. Rspr. des Senats: BGHZ 130, 108, 111 f.; Urt. v. 22. April 1991 - II ZR 151/90, ZIP 1991, 796, 797; zuletzt Urt. v. 29. November 2004 - II ZR 364/02, ZIP 2005, 348, 349 jew. m.w.Nachw.). Dieser Zweck erfordert, wie der Senat in den angeführten Entscheidungen wiederholt ausgesprochen hat, eine Anwendung des § 112 AktG nicht nur auf Rechtsstreitigkeiten mit noch im Amt befindlichen Vorstandsmitgliedern , sondern auch auf Prozesse, die mit Vorstandsmitgliedern einer Rechtsvorgängerin der jetzigen Gesellschaft oder mit ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern geführt werden.
6
b) Die - abstrakte - Gefahr einer Interessenkollision, die die Anwendung des § 112 AktG erfordert, ist gleichermaßen in einem Fall wie dem vorliegenden gegeben, in dem die Witwe des Vorstandsmitglieds Rentenansprüche geltend macht, die nicht anders als die Ruhegehaltsansprüche des verstorbenen Ehemannes auf dessen früherer Vorstandstätigkeit beruhen (ebenso Hüffer, AktG 7. Aufl. § 112 Rdn. 2; Semler in MünchKommAktG, 2. Aufl. § 112 Rdn. 32 m.w.Nachw.). Darüber hinaus gewährleistet die Einbeziehung von Ansprüchen, die von Angehörigen des Vorstandsmitglieds geltend gemacht werden und die aus dem Vorstandsverhältnis hergeleitet werden, in die alleinige Vertretungszuständigkeit des Aufsichtsrats, dass über alle aus dem Anstellungsverhältnis resultierenden Ansprüche einheitlich durch den Aufsichtsrat entschieden wird (so zutreffend Semler aaO; ebenfalls auf den Kontinuitätsgedanken abstellend BGHZ 103, 212, 218).
7
2. Der Vertretungsmangel, der auch ohne die Rüge der Beklagten in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten ist (Sen.Urt. v. 5. März 1990 - II ZR 86/89, WM 1990, 630, 631; v. 28. April 1997 - II ZR 282/95, ZIP 1997, 1108, 1109), ist nicht geheilt worden (vgl. Sen.Urt. v. 8. September 1997 - II ZR 55/96, WM 1998, 308, 309). Der Aufsichtsrat der Beklagten hat die Prozessführung des Vorstands nicht genehmigt.
8
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf das nach Erhebung der Klage verfasste Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 9. Dezember 2002, in dem sie gebeten worden ist, sich "direkt an den Vorstand zu wenden, da dieses ausschließlich vom Vorstand entschieden werden kann". Ihm ist schon seinem Inhalt nach nicht zu entnehmen, dass der Aufsichtsrat die - im Übrigen zu diesem Zeitpunkt gerade erst und ohne inhaltliche Stellungnahme aufgenommene - Prozessführung durch den Vorstand genehmigen wollte. Erst recht kann ihm nicht entnommen werden, dass dieser Erklärung ein Beschluss des Aufsichtsrats als Gesamtorgan (§ 108 Abs. 1 AktG) zugrunde gelegen hat. Darauf, dass eine Bevollmächtigung des Vorstands durch den Aufsichtsrat durchgreifenden Bedenken begegnete (Semler in MünchKommAktG 2. Aufl. § 112 Rdn. 66; vgl. Hüffer, AktG 7. Aufl. § 112 Rdn. 4 f.), kommt es danach nicht an.
9
3. Das Verbot der reformatio in peius steht der Abweisung der Klage als unzulässig in dritter Instanz nicht entgegen (Sen.Urt. v. 5. März 1990 aaO).

Goette Kurzwelly Kraemer
Gehrlein Caliebe
Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 09.12.2003 - 18 O 27/03 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 29.11.2004 - 8 U 42/04 -
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Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,1.wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;2.wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Ges

Vorstandsmitgliedern gegenüber vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. § 78 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.
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Annotations

Vorstandsmitgliedern gegenüber vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. § 78 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

Vorstandsmitgliedern gegenüber vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. § 78 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluß.

(2) Die Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats kann, soweit sie nicht gesetzlich geregelt ist, durch die Satzung bestimmt werden. Ist sie weder gesetzlich noch durch die Satzung geregelt, so ist der Aufsichtsrat nur beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung insgesamt zu bestehen hat, an der Beschlußfassung teilnimmt. In jedem Fall müssen mindestens drei Mitglieder an der Beschlußfassung teilnehmen. Der Beschlußfähigkeit steht nicht entgegen, daß dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl angehören, auch wenn das für seine Zusammensetzung maßgebende zahlenmäßige Verhältnis nicht gewahrt ist.

(3) Abwesende Aufsichtsratsmitglieder können dadurch an der Beschlußfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse teilnehmen, daß sie schriftliche Stimmabgaben überreichen lassen. Die schriftlichen Stimmabgaben können durch andere Aufsichtsratsmitglieder überreicht werden. Sie können auch durch Personen, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, übergeben werden, wenn diese nach § 109 Abs. 3 zur Teilnahme an der Sitzung berechtigt sind.

(4) Schriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sind vorbehaltlich einer näheren Regelung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats nur zulässig, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht.