Bundesgerichtshof Urteil, 23. Mai 2007 - 5 StR 97/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit dieser Angeklagte wegen Beihilfe zur versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II.1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das genannte Urteil wird verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung sowie wegen versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte hat die Verurteilung wegen versuchten Diebstahls zu der Einsatzstrafe von einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe hingenommen, die in Rechtskraft erwachsen ist. Er hat seine Revision auf die Verurteilung wegen des weiteren Schuldspruchs beschränkt. Das Rechtsmittel hat – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – vollen Erfolg. Die Staatsanwaltschaft greift mit ihrer Revision lediglich den Rechtsfolgenausspruch insoweit an, als das Landgericht dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zugebilligt hat. Ihr vom Generalbundesanwalt vertretenes Rechtsmittel bleibt erfolglos.
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- 1. Das Landgericht hat neben dem Sachverhalt, der zur Verurteilung wegen versuchten Diebstahls geführt hat, im Wesentlichen Folgendes festgestellt :
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- Der Angeklagte E. wurde 1999, u. a. wegen schweren Raubes und Vergewaltigung, zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er voll verbüßt hat, ferner 2004 und 2005 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis je zu einer Geldstrafe.
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- Der Angeklagte besuchte am Abend des 16. April 2005 mit den wie er aus der früheren Sowjetunion stammenden Mitangeklagten B. , Le. und P. und dem später geschädigten Br. eine Diskothek. Dort nahmen die jungen Männer in beträchtlichem Umfang alkoholische Getränke und Ecstasytabletten zu sich. Mit bei einer Tankstelle besorgten weiteren alkoholischen Getränken begaben sie sich in die Ein-Zimmer-Wohnung des Le. , um weiter zu „feiern“ (UA S. 11). Der Angeklagte P. erhielt gegen 6.00 Uhr einen Anruf von seiner Freundin, die ihm mitteilte, Br. hätte sie „angemacht“. P. schrie Br. deshalb an, machte ihm Vorwürfe und packte ihn am Kragen. Br. riss sich los und versetzte P. eine Ohrfeige. Dieser schlug auf Br. mit der Faust ein. Br. bat den Angeklagten um Hilfe. Dieses Ansinnen lehnte der Angeklagte mit den Worten ab, Br. solle ihn in Ruhe lassen, und legte sich in das Bett des Le. . P. drückte Br. mit einem Ladekabel über dessen Hals gegen die Wand, schlug ihm ins Gesicht, drohte mit Schlägen, verlangte die Zahlung von 20.000 Euro, ersatzweise die Übergabe eines hochwertigen Pkw, widrigenfalls das Kfz demoliert und die Mitglieder der Familie des Br. umgebracht würden. P. und B. veranlassten Le. , den Br. zu bewachen, und verließen die Wohnung. Br. bat den Angeklagten abermals um Hilfe. Der Angeklagte äußerte indes erneut, man solle ihn in Ruhe lassen. Nach geraumer Zeit führte Le. den Geschädigten Br. in eine andere Wohnung im Nachbarhaus, wo P. und B. ihre Drohung wiederholten.
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- 2. Der Generalbundesanwalt und die Verteidigung verneinen auf der Grundlage dieser Feststellungen übereinstimmend und zutreffend eine Beihilfestrafbarkeit des Angeklagten.
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- Soweit das Landgericht einen Beihilfevorsatz in den die Hilfeersuchen des Br. zurückweisenden Äußerungen des Angeklagten erkannt hat, weil es dem Angeklagten bewusst gewesen sei, dass er damit die andauernden Übergriffe fördern würde, fehlt es vor dem Hintergrund der als Beweisgrundlage lediglich zur Verfügung stehenden inhaltsarmen Pauschalgeständnisse aller Angeklagter an einer ausreichenden Tatsachengrundlage für diese Schlussfolgerung (vgl. BGH StV 2002, 235; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 27 Rdn. 7).
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- Eine Strafbarkeit wegen einer Beihilfe durch Unterlassen scheidet ohnehin aus. Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die – vom Landgericht nicht näher festgestellte – übergeordnete Position des Angeklagten in der unstrukturierten Zufallsgemeinschaft von Trinkgenossen den Angeklagten nicht zum Überwachungsgaranten gemacht hat. Ferner durfte der Angeklagte nicht nur deshalb als Beschützergarant angesehen werden, weil der Angeklagte das Opfer Br. schon aus seiner Schulzeit gekannt hatte (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 13 Rdn. 19 f.). Schließlich ist für das Vorliegen von ingerenzbegründenden Umständen nichts festgestellt.
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- Dem Senat ist es im Blick auf § 265 Abs. 1 StPO verwehrt, selbst auf eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung durchzuentscheiden.
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- 3. Der Revision der Staatsanwaltschaft bleibt der Erfolg versagt. Das Landgericht hat den ihm innerhalb des § 56 StGB gegebenen weiten Beurteilungsspielraum nicht überschritten (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung
4).
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- Die Erwägung des Landgerichts, „es ist jedenfalls zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass sich der Angeklagte unter dem Eindruck einer nicht unerheblichen Bewährungsstrafe und einer sechs Monate dauernden Untersuchungshaft im Erwachsenenvollzug auch ohne Einwirkung des Strafvollzuges künftig straffrei führen wird …“ (UA S. 49), beruht nicht auf einer unzulässigen Anwendung des Zweifelssatzes, sondern ist Ausdruck vertretbarer tatrichterlicher Überzeugung. Diese ist ausreichend tatsächlich belegt, was sich ohne weiteres aus den nachfolgend dargelegten persönlichen Umständen ergibt. Bei der Prüfung der Kriminalitätsprognose hat das Landgericht die verbüßte Jugendstrafe des Angeklagten bedacht, ihr aber ohne Rechtsfehler wegen der lange zurück liegenden Taten keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 202). Die beiden Verurteilungen zu Geldstrafen wegen Verkehrsdelikten hat das Land- gericht noch vertretbar ersichtlich nicht als Ausdruck einer fortwirkenden rechtsfeindlichen Gesinnung des Angeklagten gewertet.
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- Die mit der Prognoseentscheidung zusammenhängenden, für die Aussetzungsentscheidung angeführten konkreten Umstände (UA S. 49 f.) durften – wie es das Landgericht getan hat – in der rechtlich gebotenen Gesamtschau als besondere im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB gewertet werden (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 1).
Annotations
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.