Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 5/19
vom
14. August 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:140819U5STR5.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. August 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander als Vorsitzender, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt Z. als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwältin G. als Verteidigerin des Angeklagten N. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 2. Juli 2018 aufgehoben
a) in den Schuldsprüchen betreffend Fall 3 (Ziffer II.4 der Urteilsgründe ) mit den Feststellungen hinsichtlich der Zuordnung des Baseballschlägers zum Angeklagten S. ,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafen sowie
c) betreffend den Angeklagten N. im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor dem Maßregelvollzug.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
2. Die Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat verurteilt:
2
den Angeklagten S. wegen „besonders schweren Raubes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpres- sung in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung“ (Fall 2) sowie wegen Diebstahls (Fall 3) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sieben Monaten,
3
den Angeklagten N. wegen „besonders schweren Raubes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Er- pressung“ (Fall 2), wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Bedro- hung (Fall 1) sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Fall 3) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten N. in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet.
4
Hiergegen richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind hinsichtlich der Schuldsprüche auf Fall 3 (Ziffer II.4 der Urteilsgründe) beschränkt und werden insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten; erstrebt werden Verurteilungen wegen Diebstahls mit Waffen. Während die Revisionen der Angeklagten erfolglos bleiben, erzielen die Revisionen der Staatsanwaltschaft den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg.
5
1. Die Revisionen der Angeklagten sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten N. in einer Entziehungsanstalt nimmt der Senat noch hin.
6
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind wirksam auf die Schuldsprüche betreffend Fall 3 (Ziffer II.4 der Urteilsgründe), die insoweit verhängten Einzelstrafen sowie die Aussprüche über die Gesamtstrafen beschränkt und in diesem Umfang begründet. Soweit sich das Rechtsmittel betreffend den Angeklagten N. nicht gegen den Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor dem Maßregelvollzug richtet, ist eine entsprechende Beschränkung unwirksam, da die Dauer von der Höhe der verhängten (Gesamt-)Freiheitsstrafe abhängig ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB).
7
a) Die Schuldsprüche im Fall 3 nur wegen Diebstahls (Angeklagter S. ) bzw. Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Angeklagter N. ) halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
aa) Hierzu hat das Landgericht festgestellt:
9
In einem Supermarkt entwendeten die Angeklagten in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken zwei Paletten mit Getränkedosen, indem der Angeklagte N. die nahe der Eingangstür gestapelten Paletten an sich nahm, der vor der Tür wartende Angeklagte S. den Öffnungsmechanismus der Tür aktivierte und so dem Angeklagten N. ein Entkommen ermöglichte. Die mit ihrer Beute zu Fuß flüchtenden Angeklagten wurden von einer Mitarbeiterin der Filiale verfolgt. Den Angeklagten gelang es, einen kleinen Teil der Getränkedosen in einen Plastikbeutel umzupacken. Dabei wurden sie von der Zeugin gestört. Sie rannten davon, wobei N. den mit den Dosen gefüllten Plastikbeutel trug. Als er strauchelte, ließ er den Plastikbeutel fallen. Die Zeugin hatte sich ihm unterdessen bis auf zwei Meter genähert. Der Angeklagte N. ergriff eine Getränkedose und warf sie „nicht sonderlich kräftig“ in Richtung der Zeugin, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, sie zu treffen und zu verletzen. Der Zeugin gelang es, dem Wurf auszuweichen. Die gefüllte Getränkedose flog „in Beinhöhe“ in etwa einem halben Meter Abstand an ihr vorbei. Nach der wenig später erfolgten Festnahme der Angeklagten wurde auf deren Fluchtweg ein Baseballschläger aufgefunden.
10
bb) Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei eine räuberische Beutesicherungsabsicht verneint. Zu Unrecht gelangt es im Rahmen der rechtlichen Würdigung aber zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für einen Diebstahl mit Waffen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB nicht vorliegen. Es geht dabei davon aus, dass der Baseballschläger dem Angeklagten S. zuzuordnen ist und er ihn auch – wahrscheinlich im Rucksack des Angeklagten N. , den er während der Tatausführung trug, – bei sich hatte (UA S. 73). Es lasse sich jedoch im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zweifelsfrei nachweisen , dass der Angeklagte S. überhaupt eine Gelegenheit gehabt habe, den Baseballschläger einzusetzen.
11
Für das Beisichführen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB ist indes nicht maßgeblich, ob der Täter in der konkreten Tatsituation eine Gelegenheit zum Einsatz des gefährlichen Werkzeugs hat oder sich dies nach seinem Tatplan vorstellt. Erforderlich und genügend ist vielmehr, dass er das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt des Tatherganges derart bei sich hat, dass er sich seiner jederzeit bedienen kann (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1959 – 5 StR 377/59, BGHSt 13, 259, 260). In subjektiver Hinsicht ist notwendig, dass der Täter den Gegenstand bewusst gebrauchsbereit bei sich führt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2002 – 5 StR 117/02, NStZRR 2003, 12). Dass beides der Fall war, liegt nach den Feststellungen nahe.
12
cc) Allerdings ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, auf deren Grundlage es die Zuordnung des Baseballschlägers zum Angeklagten S. vornimmt , rechtsfehlerhaft. Es stützt sich maßgeblich auf DNA-Spuren des Angeklagten an dem Schläger, ohne den Darlegungsanforderungen zum DNAGutachten durch eine biostatistische Wahrscheinlichkeitsaussage zu genügen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 189 mwN).
13
b) Die Aufhebung der Schuldsprüche im Fall 3 bedingt den Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen sowie die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafen und betreffend den Angeklagten N. des Ausspruchs über die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor dem Maßregelvollzug. Die – mit Ausnahme derjenigen zur Zuordnung des Baseballschlägers – rechtsfehlerfreien Feststellungen können bestehen bleiben und dürfen um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
Sander Schneider König
Berger Mosbacher

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Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2002 - 5 StR 117/02

bei uns veröffentlicht am 27.09.2002

5 StR 117/02 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 27. September 2002 in der Vorlegungssache gegen wegen Diebstahls Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. September 2002 beschlossen: Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig z

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(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

5 StR 117/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. September 2002
in der Vorlegungssache
gegen
wegen Diebstahls
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. September 2002

beschlossen:
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig zu- rückgegeben.
G r ü n d e In der Vorlegungssache geht es um die Frage, ob in § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB der Tatbestand des Beisichführens eines „anderen gefährlichen Werkzeugs“ erfüllt ist, wenn der Täter eines Diebstahls das Tatmittel bei sich trägt, oder ob hinzukommen muß, daß er es zur Bedrohung oder Verletzung von Personen bestimmt hat.

I.


1. Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen zugrunde:
„Am 24. April 2001 hat der Angeklagte in Braunschweig das Kaufhaus der Firma K AG in der Schuhstraße betreten, um dort drei Herrenhosen zu entwenden. Zuvor hatte er erhebliche Mengen von Wodka getrunken. Der Angeklagte steckte in der Firma K AG drei Herrenhosen der Marke ‚Pierre Gardan‘ im Gesamtwert von 469,85 DM in eine extra zu diesem Zwecke mitgeführte Plastiktasche. Die Plastiktasche war zuvor so präpariert worden, daß die Sicherungsetiketten bei Passieren der Sicherungsschranke keinen Alarm auslösten. Ohne die drei Hosen zu bezahlen, verließ der Angeklagte die Geschäftsräume, um die Hosen seines Vorteils wegen zu behal-
ten. Nach Verlassen der Geschäftsräume wurde der Angeklagte von einem Detektiv angesprochen; die Hosen konnten sichergestellt und der Firma K wieder ausgehändigt werden.
Während der Tatausführung trug der Angeklagte in der linken Hosentasche seiner Bekleidung ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm bei sich.
Eine Blutalkoholbestimmung wurde beim Angeklagten nicht vorgenommen.“
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Sprungrevision eingelegt. Im Rahmen der erhobenen Sachrüge wird geltend gemacht, daß nach der durch das Sechste Strafrechtsreformgesetz mit Wirkung vom 1. April 1998 erfolgten Neufassung des § 244 StGB der Begriff des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht nach der Definition ausgelegt werden dürfe, wie sie für § 223a StGB aF gegolten habe. Ein „ordinäres Taschenmesser“ sei kein gefährliches Werkzeug im Sinne der neuen Vorschrift.
Das Oberlandesgericht Braunschweig hält es in Übereinstimmung mit der Revision für erforderlich, das Tatbestandsmerkmal „anderes gefährliches Werkzeug“ einschränkend auszulegen. Wenn unter einem gefährlichen Werkzeug wie bei der gefährlichen Körperverletzung ein Gegenstand zu verstehen wäre, der nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet sei, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, so sei das zu weitgehend. Bei Gegenständen , die konstruktionsbedingt nicht zur Verletzung von Personen bestimmt sind, sondern jederzeit in sozial adäquater Weise bei sich geführt werden können, müsse noch hinzukommen, daß der Täter den Gegenstand generell – von der konkreten Tat losgelöst – zur Bedrohung oder Verletzung von Personen bestimmt habe. Anderenfalls bestünde die Gefahr, auch denjenigen Täter eines einfachen Diebstahls nach § 244 StGB zu bestrafen, der einen
derartigen Gegenstand in sozial adäquater Weise zum normalen Gebrauch ständig bei sich führt und hieran bei der Ausführung eines einfachen Diebstahls gar nicht denke oder sich zumindest der Möglichkeit einer gefährlichen Verwendung gar nicht bewußt sei.
An der beabsichtigten Entscheidung – Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts und Zurückverweisung der Sache – sieht sich das Oberlandesgericht Braunschweig durch ein Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. April 2000 (StV 2001, 17) gehindert. Dessen Leitsatz lautet: „Trägt der Dieb während der Tatausführung ein zusammengeklapptes Taschenmesser in seiner Hosentasche, begeht er einen Diebstahl, bei dem er ein gefährliches Werkzeug bei sich führt“.
Das Oberlandesgericht Braunschweig hat deshalb beschlossen:
„Die Sache wird dem Bundesgerichtshof vorgelegt zur Entscheidung folgender Rechtsfrage: Ist das Tatbestandsmerkmal des ‚anderen gefährlichen Werkzeugs‘ i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB nur als objektiv gefährliches Tatmittel auszulegen, das nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen, oder muß bei Gegenständen, die konstruktionsbedingt nicht zur Verletzung von Personen bestimmt sind, sondern jederzeit in sozial adäquater Weise von Jedermann bei sich geführt werden können (wie z.B. ein Taschenmesser), noch hinzukommen, daß der Täter den Gegenstand generell – von der konkreten Tat losgelöst – zur Bedrohung oder Verletzung von Personen bestimmt hat?“
2. Der Generalbundesanwalt hält die Vorlegungsvoraussetzungen für nicht gegeben. Er hat deswegen beantragt zu beschließen:
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig zurückgegeben.

II.


Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig zurückgegeben ; das vorlegende Oberlandesgericht ist an der beabsichtigten Entscheidung durch den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht gehindert.
Die Vorlegungsfrage, die die Auslegung des Merkmals „ein anderes gefährliches Werkzeug“ im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB betrifft, ist nicht entscheidungserheblich.
Eine Verurteilung des Angeklagten nach dieser Vorschrift könnte – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – nur dann in Betracht kommen, wenn der Angeklagte das Taschenmesser bewußt gebrauchsbereit bei sich hatte (vgl. BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 2; BGH NStZ-RR 1997, 50, 51; StV 2002, 191; BayObLGSt 1999, 46, 48; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 244 Rdn. 6). Nur dann ist das Tatbestandsmerkmal des „Beisichführens“ erfüllt. Das Amtsgericht Braunschweig als insoweit maßgebliches Tatgericht (vgl. BGHSt 31, 314, 315; Hannich in KK 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 35) hat dazu entsprechende Feststellungen nicht getroffen. Der Generalbundesanwalt hat insoweit ausgeführt:
„Ausdrückliche Darlegungen dahingehend, daß der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Tatausführung bewußt war, daß er das Taschenmesser bei sich hatte, enthält das tatrichterliche Urteil nicht. Ein entsprechendes Bewußtsein liegt beim Beisichführen von Messern dieser Art auch nicht auf der Hand (vgl. Senat in NStZ-RR 1997, 50, 51; RG JW 1932, 952, 953; Kindhäuser StV 2001, 18, 19).
Ferner läßt sich diese Lücke im Urteil nicht unter Heranziehung der Gründe insgesamt schließen. Zwar wird im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, daß die Feststellungen auf den Angaben des Angeklagten beru-
hen (vgl. Bl. 55 d. SA); dies belegt aber nur, daß der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung eingeräumt hat, daß das Taschenmesser sich zum Zeitpunkt der Tat in seiner Hosentasche befand. Ob er dies zum Zeitpunkt der Tat zumindest billigend in Kauf genommen hatte, bleibt weiterhin offen ...
Sind die gebotenen Darlegungen aber unzureichend, so fehlt die Grundlage für eine Entscheidung im Vorlegungsverfahren. Die Sache ist dann dem Oberlandesgericht zurückzugeben (vgl. BGHSt 28, 72, 74; 36, 389, 391).
Hält das vorlegende Gericht die tatrichterlichen Feststellungen allerdings in vertretbarer Weise für ausreichend, so hat auch der Bundesgerichtshof diese seiner Prüfung zugrunde zu legen (vgl. KK-Hannich, a.a.O.; BGHSt 22, 385, 386).
Eine solche Konstellation ist hier aber nicht gegeben.
Vielmehr belegt die Begründung des Vorlegungsbeschlusses (S. 6 unten, 7 – Bl. 93, 94 d. SA), daß das Oberlandesgericht Braunschweig die Feststellung eines entsprechenden „Bewußtseins“ des Täters für nicht erforderlich angesehen hat. Es ist damit erkennbar der Meinung, daß eine Strafbarkeit auch ohne das subjektive Merkmal der bewußten Gebrauchsbereitschaft begründet ist. Diese Rechtsansicht ist indes unvertretbar und nicht geeignet, den Senat zu binden.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal des ‚Beisichführens‘ tragen den Schuldspruch nicht. Ein neuer Tatrichter könnte zu dem Ergebnis kommen, dem Angeklagten sei nicht nachzuweisen , daß er das Taschenmesser bewußt gebrauchsbereit bei sich gehabt habe.
Eine solche Würdigung schließt aber die Erfüllung des Tatbestandes des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB aus, ohne daß es noch darauf ankäme, ob das Taschenmesser als ‚gefährliches Werkzeug‘ im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB anzusehen ist. Die Beurteilung der Frage, ob ein Taschenmesser ein gefährliches Tatmittel ist, ist demnach für die Sachbehandlung im übrigen nicht vorgreiflich. Demgemäß kann auch nicht angenommen werden, daß das Oberlandesgericht Braunschweig die von ihm vorgelegte Rechtsfrage im Rahmen eines aufhebenden Beschlusses mitzuentscheiden hätte (vgl. Senat in BGHSt 3, 234, 235; BGH NJW 1961, 1487).“
Dem schließt sich der Senat an.
Harms Raum Brause Schaal Hubert
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung ist in Bezug
auf DNA-Einzelspuren standardisiert, so dass es einer Darstellung
der Anzahl der untersuchten Merkmalssysteme und der
Anzahl der diesbezüglichen Übereinstimmungen nicht mehr
bedarf. Das Tatgericht genügt den Darlegungsanforderungen,
wenn es das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen
Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitteilt, da
diese die beiden übrigen bisherigen Anforderungen widerspiegelt.
BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17
LG Potsdam –
ECLI:DE:BGH:2018:280818B5STR50.17.0
BESCHLUSS 5 StR 50/17 vom 28. August 2018 in der Strafsache gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung

ECLI:DE:BGH:2018:280818B5STR50.17.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. August 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 29. Juli 2016 zu Tat 5 der Urteilsgründe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den revidierenden Angeklagten wegen „besonders schweren Raubes, wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 5 der Urteilsgründe) und wegen schweren Raubes in drei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jah- ren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Soweit es den Angeklagten betraf, hat der Senat das angegriffene Urteil auf die Sachrüge hin mit Beschluss vom 5. April 2017 hinsichtlich Tat 2 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und die Sache insofern zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen; das Verfah- ren betreffend die zur Tat 5 der Urteilsgründe erfolgte Verurteilung hat er abgetrennt und die weitergehende Revision des Angeklagten verworfen. Zum abgetrennten Verfahrensteil hat das Rechtsmittel den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts zu Tat 5 forderte der Ange- klagte in einer „Lotto-Modellbau-Post-Agentur“ unter Vorhalt einer mit Knallkar- tuschen geladenen Schreckschusspistole die Herausgabe von Bargeld. Nachdem die Angestellte ihm den Kasseninhalt – insgesamt 840 Euro – übergeben hatte, wandte sich der Angeklagte zur Flucht. Dabei schoss er aus kurzer Entfernung in Richtung des Kopfes eines Kunden, der den Überfall bemerkt und den Angeklagten durch Zuhalten der Eingangstür an der Flucht zu hindern versucht hatte. Der durch die Schusswirkung der Knallkartusche benommene Zeuge konnte den Angeklagten in der Folge nicht weiter aufhalten. Der Angeklagte flüchtete mit einem Fahrrad, an dessen Lenkergriffen DNA-Material gesichert werden konnte.
3
Das Landgericht ist „aufgrund des Ergebnisses der biologischen Unter- suchungen der am (Flucht-)Fahrrad gesicherten Spuren der Überzeugung, dass der Angeklagte (…) der Täter des Überfalls ist“. Die molekularbiologische Sachverständige habe ausgeführt, dass die am Lenkergriff festgestellte DNAMerkmalskombination mit jener im Vergleichsmaterial des Angeklagten übereinstimme und diese Merkmalskombination in der deutschen Population (bei Nichtverwandten) einmal unter ca. 150 Trilliarden Personen vorkomme. Deshalb könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegan- gen werden, dass es sich bei dem Angeklagten um den Verursacher der DNASpur handele.

II.


4
Der Schuldspruch betreffend die Tat 5 der Urteilsgründe hat keinen Bestand , da die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht belegt sind.
5
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine geladene Schreckschusspistole nur dann dem Waffenbegriff des § 250 StGB, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Waffe der Explosionsdruck aus dem Lauf nach vorn austritt und die Waffe deshalb nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Dies ist bei Schreckschusswaffen nicht selbstverständlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2003 – GSSt 2/02, BGHSt 48, 197, 201; vom 10. Mai 2017 – 4 StR 167/17, jeweils mwN).
6
Entsprechende Feststellungen zur Beschaffenheit der verwendeten Schreckschusspistole enthält das Urteil nicht. Der Senat kann daher nicht prüfen , ob der Angeklagte den vom Landgericht angenommenen Qualifikationstatbestand oder lediglich denjenigen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB verwirklicht hat. Nur insoweit bedarf es neuer tatgerichtlicher Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO).
7
2. Im Übrigen hält das Urteil rechtlicher Prüfung stand. Insbesondere erweist sich die Beweiswürdigung zur Täterschaft des Angeklagten als rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf allein die vom Tatgericht vorgenommene Darstellung der Ergebnisse des molekulargenetischen Gutachtens. Insofern ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht auf die Mitteilung beschränkt hat, dass die an der Tatortspur nachgewiesene DNAMerkmalskombination mit jener beim Angeklagten übereinstimmt und der diesbezügliche Wahrscheinlichkeitsquotient 1:150 Trilliarden beträgt.
8
a) Grundsätzlich hat das Tatgericht in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, dessen wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116 mwN). Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10 Rn. 9 mwN).
9
b) Nach diesen Grundsätzen wurde zwar bereits das in der forensischen Praxis gebräuchliche PCR-Verfahren zur Feststellung von Übereinstimmungen zwischen Spuren- und Vergleichsmaterial von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als derart standardisiert eingestuft, dass es im Urteil nicht näher erläutert werden muss. Anderes galt allerdings für die sich anschließende Berechnung der biostatistischen Wahrscheinlichkeit, da diese als von wertenden Entscheidungen des Sachverständigen abhängig angesehen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – 3 StR 46/12, NStZ 2013, 177, 178). Insoweit wurde – den allgemeinen Darlegungsanforderungen folgend – von den Tatgerichten verlangt, in den Urteilsgründen mitzuteilen, wie viele Systeme un- tersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuch- ten Systemen ergaben und mit welcher „Wahrscheinlichkeit“ die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2016 – 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490; vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15 Rn. 35; vom 9. Februar 2017 – 3 StR 415/16 Rn. 25; Beschlüsse vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 10; vom 1. Dezember 2015 – 4 StR 397/15 Rn. 4; vom 22. Februar 2017 – 5 StR 606/16 Rn. 11; vom 18. Januar 2018 – 4 StR 377/17).
10
c) An den beiden erstgenannten Darlegungsanforderungen hält der Senat für die in der Praxis vorkommenden Regelfälle der DNA-Vergleichsuntersuchungen , die sich auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, nicht fest. Denn nach dem erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik ist die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung in Fällen eindeutiger Einzelspuren soweit vereinheitlicht, dass es einer Darstellung der Anzahl der untersuchten Merkmalssysteme und der Anzahl der Übereinstimmungen in den untersuchten Merkmalssystemen nicht mehr bedarf. Vielmehr genügt die Mitteilung des Gutachtenergebnisses in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form, da diese die beiden übrigen bisherigen Anforderungen widerspiegelt.
11
Der Senat hat insbesondere zu der Frage, ob die molekulargenetische Begutachtung von eindeutigen Einzelspuren in Deutschland in der Weise standardisiert ist, dass unterschiedliche Sachverständige (gegebenenfalls auch un- ter Anwendung verschiedener Methoden) in „Normalfällen“ – in denen als Spu- renleger nicht mehrere miteinander verwandte Personen in Betracht kommen – bei der biostatistischen Bewertung zu gleichwertigen Ergebnissen gelangen, eine gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen S. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln eingeholt. Danach kann nunmehr auch die biostatistische Wahrscheinlichkeitsbewertung im Rahmen von molekulargenetischen Sachverständigengutachten als weithin standardisiert gelten.
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aa) Die biostatistische Bewertung von DNA-Spuren beruht auf der Häufigkeitsschätzung des festgestellten DNA-Profils in der entsprechenden Referenzbevölkerung. Es können dabei zwei für die Ergebnisaussage gleichwertige Ansätze verfolgt werden: Zum einen ist die Benennung der zufälligen Trefferwahrscheinlichkeit üblich, bei der angegeben wird, unter wie vielen beliebigen Personen die beobachtete Merkmalskombination einmal vorgefunden werden kann. Zum anderen kann ein Wahrscheinlichkeitsquotient (Likelihood-Ratio) bezeichnet werden, mit dem zum Ausdruck gebracht wird, wie viel wahrscheinlicher es ist, dass das Spurenmaterial von der Vergleichsperson stammt, als dass es von einer unbekannten, mit der Vergleichsperson nicht verwandten Person herrührt. Bei – wie im vorliegenden Fall – eindeutigen Einzelspuren entspricht der Zahlenwert des Wahrscheinlichkeitsquotienten jenem der zufälligen Trefferwahrscheinlichkeit.
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Maßgeblich für die Häufigkeitseinschätzung in Bezug auf das jeweilige DNA-Profil ist unabhängig von dem gewählten Ansatz einerseits die Anzahl der im (anerkannt standardisierten) PCR-Verfahren ermittelten Übereinstimmungen zwischen Spuren- und Vergleichsmaterial. Andererseits hängt die biostatistische Wahrscheinlichkeitsaussage davon ab, mit welcher Häufigkeit die einzelnen STR-Systeme (und in der Folge die Merkmalskombination) in der Referenzbevölkerung vorkommen. Maßgebliche Grundlage der Häufigkeitsaussa- gen zu den einzelnen Merkmalen sind in populationsgenetischen Studien veröffentlichte Daten.
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bb) Für die stets auf diesen Grundlagen fußende Bewertung der biostatistischen Wahrscheinlichkeit bestehen in der molekulargenetischen Wissenschaft nach der Einschätzung des Sachverständigen, denen der Senat folgt, anerkannte Standards, die zu zuverlässigen und gleichwertigen Ergebnissen führen. Jedenfalls seit der Veröffentlichung der „GemeinsamenEmpfehlungen der Projektgruppe ‚biostatistische DNA-Berechnungen‘ und der Spurenkommis- sion zur biostatistischen Bewertung von DNA-analytischen Befunden“ (Ulbrich et al. NStZ 2017, 135) sind Standards für die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung formuliert, die von Gutachtern lege artis zu beachten sind. Diese betreffen ausdrücklich (auch) die Bewertung von Einzelspuren und insbesondere die Verwendung bestimmter populationsgenetischer Daten und damit die maßgeblichen Grundlagen der gutachterlichen Häufigkeitseinschätzung. In Zusammenschau mit dem Umstand, dass von allen Sachverständigen dieselbe , auf dem sogenannten Hardy-Weinberg-Gesetz beruhende und umfassend wissenschaftlich begründete Berechnungsweise angewandt wird, handelt es sich bei der biostatistischen Bewertung von DNA-Einzelspuren – die aus molekulargenetischer Sicht unstrittig ist und klare und belastbare Aussagen zur Spurenlegereigenschaft ermöglicht – um ein wissenschaftlich anerkanntes und verbindlich eingeführtes Berechnungsverfahren, dessen Anwendung stets zu gleichwertigen Ergebnissen führt.
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cc) Für die Ersetzung einer biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage durch eine bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses in verbalisierter Form gibt es derzeit noch keine einheitliche Skala. Der Sachverständige hat zusammenfassend darauf hingewiesen, dass es in Bezug auf eindeutige Einzelspuren ei- nen Konsens gibt, auf eine zahlenmäßige Aufschlüsselung und Dokumentation bei LR-Werten von mehr als 30 Milliarden zu verzichten und dies mit der Beur- teilung „es besteht kein begründeter Zweifel, dass die Merkmale der Spur von Person A stammen“ zu verbinden.
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d) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – insbesondere die genannte Entscheidung des 3. Strafsenats (BGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – 3 StR 46/12, NStZ 2013, 177) – steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Es liegt keine eine Rechtsfrage betreffende Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG vor. Der Senat hat auf der Grundlage der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Maßstäbe zur Darstellung von Sachverständigengutachten in tatgerichtlichen Urteilen lediglich eine im Tatsächlichen abweichende Bewertung des fortgeschrittenen wissenschaftlichen Stands der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnung im Rahmen molekulargenetischer Sachverständigengutachten vorgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454, 2456).
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3. Anlass für eine Kompensationsentscheidung wegen sogenannter rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung besteht nicht, zumal die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes in drei Fällen zu Einzelfreiheitsstrafen von vier Jahren, fünf Jahren sowie fünf Jahren und sechs Monaten rechtskräftig ist. Die überdurchschnittliche Länge des Revisionsverfahrens hat ihre Ursache neben mehreren Beratungen des Senats vor allem in dem Erfordernis , das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2018 – 2 StR 334/15 Rn. 28 ff.).
Mutzbauer Sander Schneider
Berger Mosbacher