Bundesgerichtshof Urteil, 16. Juni 2005 - 5 StR 140/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die weitergehende Revision dieses Angeklagten wird verworfen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird dieses Urteil ferner zum Nachteil des Angeklagten A im Strafausspruch in den Fällen II.6 bis 9 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe, jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. In sieben Fällen wirkte der Mitangeklagte K als Tatge- nosse mit. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft , mit der geltend gemacht wird, das Landgericht habe in vier Fällen die Spielsucht des Angeklagten zu Unrecht als Grundlage für eine nicht ausgeschlossene erheblich verminderte Schuldfähigkeit und eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt genommen, greift durch. Die unbeschränkt geführte Revision des Angeklagten ist lediglich hinsichtlich des Maßregelausspruchs erfolgreich.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen : Der Angeklagte übersiedelte 1981 im Alter von 16 Jahren aus der Türkei nach Berlin. Er ist mit dem aus der gleichen Gemeinde in der Türkei stammenden MitangeklagtenK seit langem gut befreundet. Mit ihm beging er auch Diebstähle, wegen derer beide 1986 und 1987 zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Der Angeklagte war unter anderem ab 1994 als Unternehmer im Garten- und Landschaftsbau teilweise sehr erfolgreich tätig. Nach einer Verurteilung wegen zehn Wohnungseinbruchdiebstählen im März 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, unterzog sich der Angeklagte mit Erfolg einer Therapie zur Bekämpfung seiner Spielsucht.
Am 28. Oktober 2002 und am 26. Januar 2003 drang der Angeklagte jeweils nach Aufhebeln der Terrassentür in Einfamilienhäuser ein und entwendete Schmuck, Geld und andere Wertgegenstände im Gesamtwert von 4.400 Euro. Der Angeklagte brach ferner – gemeinsam mit K – vom 11. September 2003 bis zu seiner Festnahme am 19.Februar 2004 in sieben weitere Einfamilienhäuser ein und erbeutete Wertgegenstände im Gesamtwert von 41.000 Euro. Zum Jahresende 2003 begann der Angeklagte erneut, in einer sehr exzessiven Weise an Automaten mit Gewinnmöglichkeiten zu spielen. Das Landgericht hat diese Phase der Spielsucht des Angeklagten, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, als schwere andere seeli- sche Abartigkeit gewürdigt und für die 2004 begangenen vier Taten nicht ausschließen können, daß die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei. Die Strafkammer hat in diesen Fällen jeweils den Strafrahmen des § 244 Abs. 1 StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
2. Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet.
a) Der Revisionsangriff, das Hauptverfahren habe mangels wirksamer Zulassung der Anklage nicht durchgeführt werden dürfen, greift nicht durch. Die im Anklagesatz dargestellten Taten beschreiben nach Zeit und Ort bestimmte Einbrüche mit wenigstens der Gattung nach bezeichneten gestohlenen Gegenständen und sind dadurch genügend individualisiert (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 3 und 7).
b) Soweit der Angeklagte rügt, das Landgericht habe Art. 6 Abs. 3 lit. a MRK „bewußt verletzt“, fehlt jeder schlüssige Vortrag, inwieweit der seit 1981 in Deutschland lebende, als Unternehmer zeitweise erfolgreiche Angeklagte dadurch in seiner Verteidigung eingeschränkt gewesen sei, daß die Anklageschrift nur in einer Sprache zur Verfügung stand, die für ihn nicht verständlich gewesen wäre.
c) Die weiteren Verfahrensrügen sind ebenfalls unzulässig, zudem wären sie in der Sache offensichtlich unbegründet.
d) Der Angriff der Revision gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts in den Fällen, die der Angeklagte nicht eingestanden hat, bleibt erfolglos. Das Landgericht stützt in den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf Indizgegenstände, die sich im Besitz des Angeklagten befanden und die er entgegen seiner Einlassung nicht auf dem Flohmarkt gekauft hatte. In den Fällen II.3 bis 7 der Urteilsgründe ist Diebesgut zwar jeweils nur im Besitz des Mitangeklagten K festgestellt worden. Das Landgericht überzeugt sich aber insoweit nach einer Gesamtwürdigung erheblicher belastender Umstände von einer Mittäterschaft des Angeklagten. Es stellt nachvollziehbar auf die festgestellte Tatserie von zwei Einbrechern, die zu den Schuhen der Angeklagten passenden Spuren an den Tatorten, die Indizwirkung der übrigen gemeinsam begangenen Wohnungseinbruchdiebstähle und fehlende Hinweise auf Dritte ab. Diese Umstände rechtfertigen den vom Landgericht gezogenen Schluß auf eine jeweilige Mittäterschaft des Angeklagten (vgl. BGHSt 36, 1, 14; BGH StV 2002, 235). Auch die weitergehende sachlichrechtliche Prüfung des Schuld- und Strafausspruchs läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist entgegen dem umfassenden Wortlaut ihres Antrages auf die Zubilligung nicht ausschließbarer erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit in den Fällen II.6 bis 9 der Urteilsgründe und auf die Anordnung der Maßregel beschränkt. Aus der nur insoweit ausgeführten Sachrüge ergibt sich in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt, daß der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nur diese Beschwerdepunkte erfaßt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3).
Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht die Spielsucht des Angeklagten als Grund für eine nicht auszuschließende verminderte Schuldfähigkeit angesehen hat. Pathologisches Spielen oder Spielsucht stellt für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar (BGH NJW 2005, 230, 231 zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Nur wenn die Spielsucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein (BGH aaO S. 231 f.; BGH NStZ 2005, 281, 282).
Die – nicht gänzlich unplausible – Annahme schwerster Persönlichkeitsveränderungen des Angeklagten findet angesichts der hohen Voraussetzungen für das Vorliegen einer die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Spielsucht im Urteil keine ausreichende Grundlage (vgl. BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 35). Der Angeklagte verübte vor seinem Rückfall zum Jahresende 2003 bereits seit 28. Oktober 2002 wieder Wohnungseinbruchdiebstähle. Das kann dafür sprechen, daß der Angeklagte bereits zur Begehung erheblicher Straftaten neigte, bevor er erneut an Automaten zu spielen begann, und daß bei ihm unabhängig von seiner Spielleidenschaft eine Verfestigung strafrechtlich relevanten Verhaltens eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2004, 31, 32).
Zudem beruht die Annahme des Landgerichts im wesentlichen auf den Angaben des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen und in der Hauptverhandlung. Diese durften aber nicht ohne weiteres ungeprüft hingenommen werden (vgl. BGH NJW 2005, 230, 232). Soweit das Landgericht maßgeblich auf einen Rückfall hinsichtlich einer bis März 2001 akuten und anschließend zunächst erfolgreich therapierten Spielsucht abstellt, waren auch diese Umstände insgesamt nicht ohne weiteres aussagekräftig; sie standen ersichtlich im Zusammenhang mit einer am Tag der Urteilsverkündung rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen zehn Wohnungseinbrüchen.
Damit können die Strafen in den Fällen II.6 bis 9 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. Deren Aufhebung entzieht auch der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Ernstliche Anhaltspunkte dafür, daß in einer neuen Verhandlung über die bisherigen landgerichtlichen Feststellungen hinaus eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bereits für die Fälle II.3 bis 5 der Urteilsgründe festgestellt werden könnte, bestehen nicht.
4. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten kann auch der Maßregelausspruch nicht bestehen bleiben. Einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt steht entgegen, daß diese Maßregel nach dem Wortlaut des § 64 StGB nur dann Anwendung findet, wenn der Täter den Hang hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Die vom Landgericht vorgenommene analoge Anwendung des § 64 StGB auf den Fall der Spielsucht kommt nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2005, 230, 231 m.w.N., mit Anmerkung Schramm JZ 2005, 418, 419 f., und Bottke NStZ 2005, 327). Dies gilt nicht nur, wenn die Analogie (wie im Fall BGH NJW 2005, 230) zur Vermeidung schwerer wiegender Maßregeln im Ergebnis dem Angeklagten zugute kommen soll, sondern erst recht, wenn sie sich – wie im vorliegenden Fall – zu Lasten des Angeklagten auswirken würde (vgl. Schramm aaO S. 420 und Bottke aaO).
5. Der neue Tatrichter wird die Einlassung des Angeklagten zur Spielsucht auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem zwischenzeitlichen Aufenthalt des Angeklagten im Maßregelvollzug kritisch zu prüfen und im Blick auf die dargelegten engen Voraussetzungen für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit mit sachverständiger Hilfe zu be- werten haben. Die auch bei Vorliegen einer Spielsucht mögliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verlangt die positive Feststellung einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH NStZ 2004, 31 m.w.N.).
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(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
einen Diebstahl begeht, bei dem er oder ein anderer Beteiligter - a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
- 2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds stiehlt oder - 3.
einen Diebstahl begeht, bei dem er zur Ausführung der Tat in eine Wohnung einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in der Wohnung verborgen hält.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(4) Betrifft der Wohnungseinbruchdiebstahl nach Absatz 1 Nummer 3 eine dauerhaft genutzte Privatwohnung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.
(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.