Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Einer heimtückischen Tötung kann die feindselige Willensrichtung
grundsätzlich nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen
Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einerobjektiv
nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit
dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung
nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch
wegen Mordes zu erfolgen. Anschließend ist zu prüfen, ob aufgrund
ganz besonderer schuldmindernder Gesichtspunkte in
Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats
für Strafsachen (BGHSt 30, 105) ausnahmsweise eine Berücksichtigung
des besonderen Tatmotivs auf der Rechtsfolgenseite
geboten ist.
BGH, Urteil vom 19. Juni 2019 – 5 StR 128/19
LG Dresden –
ECLI:DE:BGH:2019:190619U5STR128.19.0
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 128/19
vom 19. Juni 2019 in der Strafsache gegen

wegen Totschlags

ECLI:DE:BGH:2019:190619U5STR128.19.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt E.
als Vertreter der Nebenkläger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 20. Dezember 2018 aufgehoben; die Feststellungen bleiben bestehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke richtet und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts tötete der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 17. Juni 2018 seine schlafende Ehefrau, indem er ihr mit einem schweren Hammer neun wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzte. Hierzu kam es wie folgt:
3
Der psychisch gesunde Angeklagte lebte seit 1991 mit seinem späteren Opfer in deren Wohnung zusammen, beide heirateten 2015. Weil er als selbständiger LKW-Unternehmer Schulden von über 70.000 Euro angehäuft hatte, befand er sich von 2004 bis 2011 in Privatinsolvenz. Ab März 2017 war der zuvor als LKW-Fahrer tätige Angeklagte bei einem Taxiunternehmen in Dresden beschäftigt.
4
Seit seinem 15. Lebensjahr spielte der Angeklagte an Automaten, wodurch er teilweise viel Geld verlor. Weil auch seine Ehefrau die letzten zwei bis drei Jahre gemeinsam mit ihm spielte, verschlechterten sich die finanziellen Verhältnisse der beiden, obwohl sie über ein auskömmliches Einkommen verfügten.
5
Die finanzielle Situation spitzte sich im Frühjahr 2018 zu. Im Januar 2018 und seit April 2018 erfolgten keine Mietzahlungen mehr, so dass Mitte Juni schon rund vier Monatsmieten von ca. 2.000 Euro offen waren. Bis März 2018 wurden die Stromkosten nur sporadisch, seitdem nicht mehr bezahlt. Die Sperrung des Stromanschlusses wurde zum Montag, den 18. Juni 2018, angekündigt. Weitere Mahnungen gingen von verschiedenen Versicherungen, der Telekom , dem ADAC und weiteren Unternehmen ein.
6
Der Angeklagte behielt seit Frühjahr 2018 wiederholt seine Bareinnahmen als Taxifahrer ein, anstatt sie ordnungsgemäß an seinen Arbeitgeber abzuführen. Zunächst vereinbarte sein Arbeitgeber noch mit ihm, diese unterschlagene Summe als Vorschuss auf zukünftige Lohnzahlungen zu verwenden. Als die Geschäftsführung aber Hinweise auf seine Spielsucht bekam, forderte sie ihn am 11. Juni 2018 auf, seine Einnahmen statt am 18. Juni 2018 schon am 12. Juni 2018 abzurechnen. Der Angeklagte reagierte darauf nicht und erschien auch nicht zu einem am 15. Juni 2018 (Freitag) anberaumten Mitarbeitergespräch. An diesem Tag wurde ihm das Taxi weggenommen, es fehlten über 1.500 Euro. Ihm wurde fristlos gekündigt. Er wurde aufgefordert, den Fehlbetrag binnen dreier Tage zu erstatten; zudem wurde eine Anzeige angekündigt. Er fürchtete, keine Anstellung als Taxifahrer mehr finden zu können.
7
Seine später getötete Ehefrau wusste zwar um die allgemeine und sich auch in den letzten Monaten verschlechternde finanzielle Situation der Eheleute , hatte aber keine genauen Kenntnisse von der finanziellen Lage. Am 12. oder 13. Juni 2018 äußerte sie noch gegenüber einer Freundin, „es ist nichts mehr da“, wusste aber nichts von den Mietrückständen und der angekündigten Stromsperrung. Von den Unterschlagungen zum Nachteil seines Arbeitgebers und der deshalb erfolgten Kündigung hatte ihr der Angeklagte nichts erzählt.
8
Der Angeklagte glaubte, seine Ehefrau von allen diesen existenzbedrohenden Tatsachen verschonen zu müssen. Er nahm an, sie würde es nicht ver- kraften, insoweit mit der „harten Realität“ konfrontiert zu werden. Mit maßgeb- lich hierfür war, dass seine über 16 Jahre ältere und nun schon fast 78 Jahre alte Ehefrau unter erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen litt. Sie hatte einige Zeit zuvor eine Hirnblutung erlitten, von deren Folgen sie sich nicht erholt hatte, so dass ihr der Pflegegrad 2 zuerkannt worden war. Sie litt unter Ein- schränkungen ihrer Gehfähigkeit und wurde von ihrer Umwelt oft als deprimiert und niedergeschlagen wahrgenommen. Sie nahm Psychopharmaka. Wegen einer Blasenschwäche war sie inkontinent. Aufgrund der sich verschlechternden Mobilität und ihrer psychischen Niedergedrücktheit verließ sie nur selten die Wohnung und hatte die Außenkontakte auf ein Minimum eingeschränkt.
9
Nachdem der Angeklagte am Samstag (16. Juni 2018) keine Anstalten gemacht hatte, seine Ehefrau in die von ihm als hoffnungslos empfundene Situation einzuweihen, begann er in der Nacht von Samstag auf Sonntag deswegen darüber nachzudenken, zunächst sie und dann sich selbst zu töten. Zu keinem Zeitpunkt hatte er mit ihr darüber gesprochen, ob man gemeinsam aus dem Leben scheiden wolle. Im Laufe der Nacht trank der Angeklagte etwa eine halbe Flasche Whiskey, ohne dass ihn dies merklich beeinträchtigte. Nachdem er andere Möglichkeiten wie eine Vergiftung verworfen hatte, nahm er schließlich einen Hammer mit einem Kopfgewicht von 1 kg, ging zu seiner im Ehebett schlafenden Ehefrau und versetzte ihr neun wuchtige und auch für sich genommen tödliche Schläge gegen den Kopf, was zu erheblichen Kopfverletzungen , binnen kürzester Zeit zur Bewusstlosigkeit und schließlich innerhalb von etwa fünf Minuten zum Tod durch Ersticken führte. Hierbei war ihm klar, dass sie sich in dem Bewusstsein schlafen gelegt hatte, dass ihr keinerlei Gefahr drohe. Bei seiner Tat nutzte er bewusst den Umstand aus, dass sich seine schlafende Ehefrau weder eines Angriffs versah noch aufgrund des Schlafes zu irgendeiner Gegenwehr fähig gewesen wäre.
10
Einziges Tatmotiv des Angeklagten war – nach den Feststellungen des Schwurgerichts –, seiner Ehefrau durch die Tötung ein Leben im finanziellen Ruin zu ersparen, insbesondere die für wahrscheinlich gehaltene Wohnungskündigung und die Sperrung des Stromanschlusses bei Wegfall seiner Einkünfte ohne Aussicht, eine neue Stellung zu erhalten. Zu alledem war für den Angeklagten auch bestimmend, dass seine fast 78-jährige Ehefrau nach der Hirnblutung an nicht unerheblichen physischen Einschränkungen, insbesondere einer deutlich verminderten Beweglichkeit litt, sie zudem erkennbar an Lebenslust verloren hatte und oftmals deprimiert und niedergeschlagen war. Er wollte ihr einen von ihm befürchteten völligen psychischen Zusammenbruch durch die Offenbarung der Wahrheit ersparen, indem er sie tötete. Andere – naheliegende – Möglichkeiten wie die Stellung eines erneuten Insolvenzantrages, den Gang zur Schuldnerberatung, verbunden mit einer weitgehenden Offenbarung der finanziellen Verhältnisse gegenüber seiner Ehefrau, erwog er nicht ernsthaft. Nicht feststellen konnte das Schwurgericht, dass den Angeklagten bei der Tötung seiner Ehefrau andere, und seien es auch nur untergeordnete, ihn selbst betreffende Beweggründe motiviert hätten.
11
Nach der Tat nahm der Angeklagte einige Blutdrucksenkungsmittel ein, um sich selbst zu töten. Er verspürte jedoch keinerlei Wirkung. Am nächsten Tag erwarb er freiverkäufliche Schlafmittel und nahm diese vollständig ein, was ebenfalls wirkungslos blieb. Nachdem am darauffolgenden Dienstag der Strom abgestellt worden war, rief der Angeklagte die Polizei an und erklärte, seine Ehefrau erschlagen zu haben, die in der Wohnung liege. Er habe sie getötet, weil man sich „in unendlich viel Schulden gespielt“ und er keine andere Lösung gefunden habe. Ein Treffen mit der Polizei lehnte er ab. Er wurde am nächsten Tag in unmittelbarer Nähe der Ehewohnung festgenommen.
12
2. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke als nicht verwirklicht angesehen. Der Angeklagte habe zwar seine Ehefrau unter bewusster Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit erschlagen. Es fehle aber an der feindseligen Willensrichtung des Vorgehens, weil er im Glauben getötet habe, zum Besten seines Opfers zu handeln.

II.


13
Die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke hält – wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision zutreffend beanstandet – rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Schwurgericht einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat.
14
1. Die Motive für eine ansonsten heimtückische Tötung können, von Ausnahmefällen abgesehen, regelmäßig nicht auf der Tatbestandsseite, sondern lediglich bei der Prüfung der sogenannten Rechtsfolgenlösung berücksichtigt werden.
15
a) Der Große Senat für Strafsachen hat – im Anschluss an die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187) und mit Bindungswirkung für alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs – entschieden, dass bei einer Tötung in heimtückischer Begehungsweise auch beim Vorliegen außergewöhnlicher mildernder Umstände stets ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen hat und allenfalls eine Strafrahmenverschiebung in entsprechender Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, BGHSt 30, 105). Das Mordmerkmal der Heimtücke erschöpfe sich in einer besonders gefährlichen Begehungsweise, nämlich der vorsätzlichen Lebensvernichtung auf heimtückische Weise. Während dies auf der Ebene des Tatbestandes keine Differenzierungen zulasse, könnten sich erhebliche Unterschiede bei der Schuld ergeben wie etwa bei affektiver Antriebslage, besonderen Beweggründen oder der Belastung des Täters durch Provokation und Konflikt (aaO, S. 117). Aus dem Vorliegen und der konkreten Beschaffenheit sol- cher Schuldmomente könnten die „Grenzfälle“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwachsen, in denen die Frage der Verhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitstrafe Berechtigung gewänne.
16
b) Zu dem Merkmal der „feindseligen Willensrichtung“ hat der Große Se- nat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die bis dahin geltende Rechtsprechung unter diesem Gesichtspunkt zwar gelegentlich Beweggründe des Täters berücksichtigt und eine heimtückische Begehungsweise verneint habe, wenn er „zum Besten“ des Opfers zu handeln glaubte (aaO, S. 119). Diesen Ansatz hat der Große Senat für Strafsachen aber ausdrücklich nicht weitergeführt , sondern sich anstelle einer Restriktion auf der Tatbestandsebene für eine Ergänzung auf der Rechtsfolgenseite entschieden. Danach ist bei „außerge- wöhnlichen Umständen, auf Grund welcher die Verhängung lebenslanger Frei- heitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint“, im Wege richterlicher Rechtsfort- bildung § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechend anzuwenden (aaO, S. 120, sogenannte Rechtsfolgenlösung). Als Gründe hierfür hat der Große Senat insbesondere ausgeführt, diese Vorgehensweise enge den Tatbestand der Heimtücke nicht weiter ein und stelle die Bestimmtheit und Gleichmäßigkeit der ihn betreffenden Rechtsanwendung nicht in Frage, weil allein gesetzliche Merkmale darüber entschieden, welche Tötungshandlung als Totschlag und welche als Mord anzusehen sei (aaO, S. 119 f.). Zudem werde eine unangemessene Anwendung von § 213 StGB in solchen Fällen vermieden (aaO, S. 120).
17

c) Die frühere Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur tatbestandlichen Einschränkung des Merkmals der Heimtücke in Fällen, in denen der Täter glaubt, zum Besten seines Opfers zu handeln (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 1956 – GSSt 1/56, BGHSt 9, 385; vgl. auch Beschluss vom 2. Dezember 1957 – GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143), sieht der entscheidende Senat damit als weitgehend überholt an. Denn außergewöhnliche Umstände im oben genannten Sinne hat der Große Senat in seiner späteren Entscheidung gerade in besonderen Motiven für die Tötung erblickt, namentlich bei durch notstandsähnliche , ausweglos erscheinende Situationen motivierte, in großer Verzweiflung , aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“ aufgrund einer schweren Provokation begangenen Taten (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981, aaO, S. 119). Auch eine Tötung zum vermeintlich „Besten“ des Opfers zeichnet sich allein durch ein solches besonderes Motiv aus (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, Stand 1. Mai 2019, § 211 Rn. 55 f.) und kann auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats auf der Tatbestandsebene grundsätzlich nicht zur Einschränkung des Mordmerkmals der Heimtücke führen.
18
2. Der Bundesgerichtshof hat deshalb in der Folgezeit – ohne die Voraussetzung eines Handelns in feindseliger Willensrichtung allerdings ausdrücklich aufzugeben oder einzuschränken – einen schon tatbestandlichen Ausschluss der Heimtücke aufgrund einer besonderen Motivation des Täters nur in Ausnahmefällen bejaht.
19
a) Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegen, wenn die Tötung in einer Situation geschieht, in der das Opfer zu einer autonomen Willensbildung selbst nicht in der Lage ist und der Täter zu seinem vermeintlich Besten zu handeln glaubt (unmündige Kinder: BGH, Urteil vom 7. Juni 1989 – 2 StR 217/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 10; vgl. auch Urteil vom 10. März2006 – 2StR 561/05, NStZ 2006, 338; Todkranke oder Sterbende: BGH, Urteil vom 8. Mai 1991 – 3 StR 467/90, BGHSt 37, 376, 377; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. April 2008 – 5 StR 525/07, StV 2009, 524 m. Anm. Neumann; Urteile vom 15. November 1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301, 305; vom 31. Juli 1996 – 1 StR 247/96, NStZ-RR 1997, 42; vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93). Mitleid kann die Annahme eines Heimtückemordes dabei allerdings nur ausschließen, wenn es sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung ableitet, die der Vermeidung schwersten Leidens den Vorrang gibt (BGH, Urteile vom 8. Mai 1991 – 3 StR 467/90, aaO, 377 f.; Urteil vom 31. Juli 1996 – 1 StR 247/96, aaO; vgl. zum anzulegenden strengen Maßstab auch Kutzer, NStZ 1994, 110, 111).
20
b) Ferner kann ein Ausnahmefall beim sogenannten erweiterten Suizid (vgl. hierzu näher Mielke, NStZ 1996, 477; Witteck, JA 2009, 292) gegeben sein. Von einem solchen ist allerdings nur auszugehen, wenn der Täter – anders als hier – in Willensübereinstimmung mit dem Opfer aus dem Leben scheiden will und es entsprechend dem gemeinsamen Tatplan übernimmt, dieses und sich selbst zu töten (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1994 – 1 StR 626/94, NStZ 1995, 230 mwN; Beschluss vom 9. Mai 2001 – 2 StR 123/01, StV 2001, 666; abweichend Winckler/Foerster, NStZ 1996, 32). An einer feindlichen Willensrichtung fehlt es in diesen Fällen gerade wegen des autonomen Wunsches des Opfers, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden.
21
c) Hingegen hat der Bundesgerichtshof eine „feindselige Willensrichtung“ dann angenommen, wenn der Täter zwar zum vermeintlich Besten seines Opfers zu handeln glaubt, dieses aber zuvor seinen gegenteiligen Willen bekundet hat (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 – 1 StR 574/99, NStZ-RR 2000,

327).



22
3. Nichts anderes als im letztgenannten Fall gilt, wenn der Täter annimmt , zum Besten seines Opfers zu handeln, aber bewusst davon absieht, sein Opfer zu fragen, obwohl dieses zu einer autonomen Willensentscheidung in der Lage war und leicht hätte sagen können, ob es auch wirklich aus dem Leben scheiden möchte (vgl. zum Ausschluss einer mutmaßlichen Einwilligung in solchen Fällen näher Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., § 18 Rn. 10 ff. mwN).
23
a) Eine ungewollte Tötung stellt grundsätzlich einen feindseligen Angriff auf das Lebensrecht des Opfers dar (vgl. Eser/Sternberg-Lieben in Schönke /Schröder, 30. Aufl., § 211 Rn. 25b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 201 mwN; aaO Rn. 55).
24
Das menschliche Leben – auch ein leidensbehaftetes – ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig; das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2019 – VI ZR 13/18, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Weil jeder Mensch, insbesondere aus religiösen und weltanschaulichen Gründen, höchst unterschiedliche Vorstellungen vom Wert des Weiterlebens in schwierigen oder möglicherweise ausweglosen Situationen hat, darf sich kein Dritter anmaßen, hierüber bestimmen zu wollen , ohne den Betreffenden – soweit möglich – zuvor gefragt zu haben. Wird dies bewusst unterlassen, ist es unangebracht, das Motiv einer ungewollten Tötung zum vermeintlich Besten des Opfers besonders zu privilegieren und ein solches „einseitiges Absprechen des Lebensrechts“ (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 – 2 StR 123/01, aaO) von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke auszuschließen, ohne dass dies durch die Formulierung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erfordert wäre (vgl. auch Roxin, NStZ 1992, 35; Schneider, aaO Rn. 201; Eschelbach, aaO). Maßt sich der Täter an, selbst darüber zu bestimmen, was für sein Opfer das Beste ist, obwohl sich dieses unschwer selbst einen – gegebenenfalls entgegenstehenden – Willen bilden und diesen äußern könnte, ist ein solches Motiv regelmäßig nicht geeignet, einer unter bewusster Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit begangenen Tö- tungshandlung das „Tückische“ zu nehmen (kritisch zur Privilegierung derartiger Fälle auch Neumann/Saliger in NK-StGB, 5. Aufl., § 211 Rn. 73; Geilen, JR 1980, 309, 312; Langer, JR 1993, 133; Mitsch, JuS 1996, 213, 214).
25
Ersichtlich deshalb wird eine heimtückische Ausführung der Tötung auch in anderen Zusammenhängen nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter aus menschlich begreiflichen Beweggründen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1952 – 1 StR 296/52, BGHSt 3, 183, 186: Rat- und Ausweglosigkeit sowie wirtschaftliche Erwägungen); die Verwirklichung eines derartigen objektiven Tatbestandsmerkmals wird auch sonst nicht davon abhängig gemacht, ob der Täter zum vermeintlich Besten des zu autonomer Entscheidung fähigen Rechtsgutsträgers oder aus anderen Motiven handelt.
26
b) Hierfür spricht auch, dass es nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für eine mögliche Einschränkung des Merkmals der Heimtücke mangels feindseliger Willensrichtung nicht lediglich auf das tatsächliche Vorhandensein eines altruistischen Motivs ankommt, sondern auch normative Erwägungen eine Rolle spielen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1991 – 3 StR 467/90, aaO). Gerade bei Tötungshandlungen aus vermeintlichem Mitleid hat der Bundesgerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, dass sich darin auch Feindseligkeit gegenüber dem Lebensrecht offenbaren kann (vgl. für schwerkranke Opfer BGH, aaO; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, aaO), etwa weil es darum geht, die eigenen Vorstellungen über Würde und Wert des Lebens eines anderen Menschen durchzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2008 – 5 StR 525/07; aaO, vgl. ferner Neumann/Saliger aaO.
27
Der Senat sieht keinen Grund, bei der Tötung eigener Kinder oder Ehegatten durch einen zu deren Schutz berufenen Garanten andere Maßstäbe gelten zu lassen, als sie der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Mitleids -tötung Schwerkranker entwickelt hat (vgl. auch Laufhütte u.a. in LK-StGB, 12. Aufl., § 211 Rn. 122; ähnlich Roxin, NStZ 1992, 35, 36; vgl. auch Schneider, aaO Rn. 201 ff. mwN). Ist das Opfer zu einer autonomen Entscheidung auf absehbare Zeit nicht in der Lage, ist neben der subjektiven Zielsetzung des Täters für einen Ausschluss der feindlichen Willensrichtung deshalb objektiv erforderlich , dass die Tat nach einer anerkennenswerten und nachvollziehbaren Wer- tung im „wohlverstandenen Interesse“ des Opfers lag (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1991 – 3 StR 467/90, aaO, 377 f.). Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob der Täter aufgrund Vorverschuldens selbst ganz wesentlich für die aus seiner Sicht ausweglose Situation verantwortlich war (vgl. Schneider, aaO Rn.

198).


28
c) Einer heimtückischen Tötung kann die feindselige Willensrichtung deshalb grundsätzlich nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen. Anschließend ist zu prüfen, ob aufgrund ganz besonderer schuldmindernder Gesichtspunkte in Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 30, 105) ausnahmsweise eine Berücksichtigung des besonderen Tatmotivs auf der Rechtsfolgenseite geboten ist.
29
4. Nach diesen Maßstäben und den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Schwurgerichts liegt nahe, dass der Angeklagte seine Ehefrau in feindseliger Willensrichtung und damit heimtückisch getötet hat. Trotz ihrer körperlichen und seelischen Gebrechen war die Getötete nach den Feststellungen des Landgerichts nicht derart beeinträchtigt, dass sie zu einer autonomen Willensbildung und -äußerung nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Dass die Tötung – auch in dieser besonders brutalen Form – mit ihrer Einwilligung geschehen wäre, ist ebenfalls nicht festgestellt.
30
5. Von einer Entscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO sieht der Senat ab, um dem zur Entscheidung berufenen Schwurgericht eine umfassende neue Prüfung unter Berücksichtigung der darlegten Grundsätze zu ermöglichen.
31
6. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Insoweit bleibt die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos.
32
7. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (vgl. § 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils nicht ergeben.
Mutzbauer König Berger
Mosbacher Köhler

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
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2.
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3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

5 StR 525/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. April 2008 beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2007 wird nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen , dass die Angeklagte wegen Mordes in drei Fällen sowie wegen Totschlags in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafe jeweils fünf Jahre) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt ist.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in fünf Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, von weiteren fünf Mordvorwürfen hat es sie aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Eine besondere Schwere der Schuld, §§ 57a, 57b StGB, hat es nicht festgestellt. Gegen das Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der sie die Verurteilung in einem von ihr bestrittenen Fall, die Annahme der Mordmerkmale sowie die Strafzumessung beanstandet. Das Rechtsmittel hat nur den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die Angeklagte begann im Alter von 15 Jahren die von ihr gewünschte Ausbildung zur Krankenschwester. Nachdem sie bereits über 30 Jahre in diesem Beruf gearbeitet hatte, war sie ab 1994 auf der kardiologischen In- tensivstation eines Berliner Universitätskrankenhauses tätig. Ihre Arbeit bedeutete ihr viel, sie war vor allem nach der Trennung von ihrem Ehemann im Jahre 1999, mit dem sie über 25 Jahre verheiratet gewesen war, ein erheblich stabilisierender Faktor für ihre Lebensgestaltung.
4
Auf der kardiologischen Intensivstation galt die Angeklagte auch aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung als kompetent, sie wurde entsprechend respektiert. Im persönlichen Kontakt mit Pflegekräften oder Ärzten war sie jedoch introvertiert, wirkte zum Teil verschroben und fiel durch situationsunangemessenes Verhalten wie beständiges Pfeifen auf. Sie galt deswegen als Außenseiterin.
5
Bei morgendlichen Besprechungen der Pflegekräfte wurde die Aufteilung der meist schwerkranken Patienten organisiert. Dabei bemühte sich die Angeklagte besonders darum, für die Betreuung schwerstkranker Patienten eingeteilt zu werden, den damit verbundenen erhöhten pflegerischen Aufwand und die emotionale Belastung scheute sie nicht. Die zwanghaft perfektionistische und eigensinnige Angeklagte wollte sich eine Überforderung nicht eingestehen und lehnte Entlastungsvorschläge ab. Mechanismen, die der körperlich und emotional sehr starken Belastung der Pflegekräfte durch den dauernden Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Patienten angemessen Rechnung getragen hätten, wie regelmäßige Besprechungen in ihrem Arbeitsbereich, Supervision oder psychologische Unterstützung, gab es im Krankenhaus nicht.
6
Dies kam dem Streben der Angeklagten nach Unabhängigkeit zwar entgegen, förderte aber ihre Neigung zur Selbstbezogenheit und zu überhöhten Selbstwertideen. Aufgrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung war es ihr „nur schwer möglich, ... zwischen eigenen Stimmungen und der Gefühlssituation ihrer Patienten zu differenzieren“. Vielmehr übertrug sie ihre eigene Angst vor Schwäche und Hilflosigkeit auf die zu betreuenden Patienten. In den Jahren 2001, 2004 und 2005 schlug sie vereinzelt gegenüber Ärz- ten vor, die Behandlung von sterbenden Patienten einzustellen. Dies wurde weitgehend ignoriert und mit ihr nicht weiter besprochen. Einige Kollegen beobachteten gelegentliches „ruppiges“ Verhalten gegenüber Patienten.
7
Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur fühlte sie sich bei fünf moribunden Patienten, deren Dasein sie als nicht mehr lebenswert betrachtete, berufen , für sie die Entscheidung zu treffen, ihr Leben zu beenden. Hierzu spritzte sie den Patienten in Kenntnis der aufgrund der Vorerkrankungen tödlichen Wirkungen blutdrucksenkende Medikamente, zumeist Nipruss mit dem Wirkstoff Nitroprussidnatrium. Durch den starken Blutdruckabfall trat bei jedem der fünf Patienten der Tod früher ein, als dies ohne das Eingreifen der Angeklagten geschehen wäre. Dabei war sie weder von den Patienten noch von deren Angehörigen um Sterbehilfe gebeten worden.
8
Im Einzelnen kam es zu folgenden Tötungen:
9
a) Am 28. Juni 2005 kam der 66 Jahre alte Patient S. auf die Station, weil er reanimiert werden musste. Während sich zwei Ärzte in der Reanimationsphase um eine Erhöhung des Blutdrucks bemühten, spritzte die Angeklagte Herrn S. das kontraindizierte Medikament Nipruss. Dies führte zu einem schnelleren Eintritt des Todes.
10
b) Am 16. August 2006 betreute die Angeklagte den 77 Jahre alten Patienten A. . Ihm wurde nur noch Morphium gegeben, damit er möglichst schmerzfrei sterben konnte. Er schrie seit einigen Stunden laut, ob vor Schmerzen, blieb unklar. Die Angeklagte äußerte einer anderen Krankenschwester gegenüber: „Man sollte das mal beenden.“ Sie spritzte ihm unbemerkt zunächst das stark sedierende Medikament Dormicum. Dadurch sank zwar der Blutdruck zunächst, stabilisierte sich dann aber wieder. Deswegen injizierte sie ihm Nipruss, unmittelbar danach verstarb der Patient.
11
c) Die 48 Jahre alte Frau St. aus Wolfenbüttel hatte sich zur Behandlung ihrer schweren Herzerkrankung in die Berliner Universitätsklinik begeben. Es stellte sich aber heraus, dass eine Therapie nicht möglich war, sie sollte nur noch palliativ behandelt werden. Deswegen wollte Frau St. nach Wolfenbüttel verlegt werden, um dort zu sterben. Ihr Ehemann hatte die Rückverlegung für den 20. September 2006 organisiert. Am Tag davor war Frau St. weder ansprechbar noch orientiert. Die Angeklagte überredete den Ehemann der Patientin, an diesem Tag später als geplant nach Hause zu fahren. Als er bei seiner Ehefrau am Bett saß, spritzte die Angeklagte ihr das kontraindizierte Medikament Nipruss. Das durch den Blutdruckabfall ausgelöste akustische Signal blockierte die Angeklagte. Frau St. verstarb alsbald.
12
d) Der 52 Jahre alte Patient W. lag seit mehreren Wochen im Koma und musste beatmet werden. Zu zahlreichen schweren Grunderkrankungen hatte er durch eine längere Unterversorgung mit Sauerstoff einen unumkehrbaren Hirnschaden erlitten. Immer wieder kam es bei ihm zu Blutdruckeinbrüchen , welche Reanimationsbemühungen erforderten. Auch am 26. September 2006 musste Herr W. durch kreislaufbeschleunigende Medikamente reanimiert werden. Während sich die Ärztin am Bett des Patienten hierum bemühte, spritzte die Angeklagte – von der Ärztin unbemerkt – das kontraindizierte Medikament Nipruss. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich, weitere Reanimationsmaßnahmen unterließ die Ärztin im Hinblick auf die schlechte Prognose. Der Patient verstarb.
13
e) Am 2. Oktober 2006 lag der 62 Jahre alte Patient M. im Endstadium einer Lungenkrebserkrankung auf der Station. Seit einigen Tagen war er desorientiert und litt unter starker Luftnot. Da er zuvor verfügt hatte , dass er keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünsche, war man zur Erleichterung des Sterbevorgangs nur noch um Schmerzlinderung bemüht. Die Angeklagte spritzte ihm das Medikament Dormicum, wie von ihr vorhergesehen , kam es zu einem Blutdruckabfall, der Patient verstarb.
14
sachverständig Die beratene Strafkammer ist davon ausgegangen, dass die Angeklagte an einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, zwanghaften und schizotypen Zügen (ICD-10 F 60.8) leide. Diese Störung sei aber im Hinblick auf die soziale Situation der Angeklagten nicht so ausgeprägt , dass sie bei den Taten zu einer relevanten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit führe.
15
2. Das Schwurgericht hat sich von der Täterschaft der Angeklagten in allen fünf Fällen auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung überzeugt. Das gilt auch für den Fall des Patienten S. , den die Angeklagte anders als die übrigen Fälle, nicht eingestanden hat.
16
Zwar konnte aufgrund der Ergebnisse der nach der Exhumierung vorgenommenen Obduktion der Leiche wegen der weit fortgeschrittenen Fäulnis keine eindeutige Todesursache mehr festgestellt werden; ein nur krankheitsbedingter Todeseintritt war allein auf dieser Grundlage nicht auszuschließen. Seine Überzeugung vom Eingreifen der Angeklagten durch die Gabe des Medikaments Nipruss und den dadurch hervorgerufenen Tod hat die Schwurgerichtskammer aber auf eine umfassende Gesamtwürdigung weiterer tragfähiger Indizien gestützt. Maßgeblich war hierbei, dass in der Schädelkapsel der Leiche eine um ein Vielfaches erhöhte Konzentration von Cyanid nachgewiesen worden ist, welche auf eine Nitroprussidnatriumgabe kurz vor Todeseintritt zurückzuführen war. Aufgrund sorgfältiger Ermittlungen hat die Strafkammer die Verabreichung dieses Wirkstoffs durch andere behandelnde Personen ausgeschlossen. Gleiches gilt für andere Wirkstoffe, die im Körper zum Freisetzen von Cyanid führen, da diese auf der Station nicht vorhanden waren (UA S. 28).
17
Vor dem Hintergrund der vergleichbaren Vorgehensweise bei den anderen Tötungshandlungen, vor allem der Tötung des Patienten W. , und dem Umstand, dass die Angeklagte zum Todeszeitpunkt Dienst hatte, ist der Schluss auf die Injektion von Nipruss durch die Angeklagte und auf den durch die kontraindizierte Wirkung dieses Medikaments beschleunigten Todeseintritt möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGHSt 36, 1, 14).
18
Die 3. Feststellungen tragen die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke bei der Tötung der Patienten S. , W. und St. . Die Bewertung, die Angeklagte habe bei jeder Tötung aus niedrigen Beweggründen gehandelt, hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
a) Das Mordmerkmal der Heimtücke hat die Schwurgerichtskammer bei drei Tötungshandlungen entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei bejaht.
20
aa) Zu Recht hat das Landgericht für die Frage der Heimtücke nicht auf die Arg- und Wehrlosigkeit der getöteten Patienten, sondern auf die mit keinem Angriff auf das Leben der Patienten rechnenden schutzbereiten Dritten abgestellt. Nicht nur der Patient W. , der sich bereits seit geraumer Zeit im Koma befand, sondern auch der zu reanimierende Patient S. und die nicht orientierte und unansprechbare Patientin St. waren aufgrund ihres Zustands zu keinerlei Argwohn und Gegenwehr fähig.
21
Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder es deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (BGHSt 8, 216, 219; BGH NStZ 2006, 338, 339 f.). Voraussetzung ist jedoch, dass die Person den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe und eine überschaubare Anzahl der ihrem Schutz anvertrauten Menschen erforderlich sind (BGH NStZ 2008, 93).
22
Der bb) Ehemann der Patientin St. war in diesem Sinne ein schutzbereiter Dritter. Er kümmerte sich um seine Frau, offen geführte Angrif- fe auf ihr Leben hätte er bemerkt, er wäre diesen entgegengetreten. Er konnte jedoch den Angriff auf das Leben seiner Frau nicht abwehren, da er wegen seines Vertrauens auf Hilfe nicht mit einem Angriff durch die Angeklagte rechnete. Dass die Angeklagte den tödlichen Angriff, den sie durch Abschalten des akustischen Warnsignals weiter verschleierte, auch in Abwesenheit des Ehemannes hätte durchführen können, ändert nichts daran, dass sie zur konkreten Tatbegehung die Arglosigkeit und die daraus resultierende Wehrlosigkeit des Ehemannes ausgenutzt hat.
23
cc) Zutreffend hat das Landgericht die die Reanimation bei den Patienten S. und W. durchführenden Ärzte als schutzbereite Dritte angesehen. Aufgrund der unmittelbaren räumlichen Nähe und der Konzentration auf den Patienten in der Reanimationsphase wären sie zum wirksamen Schutz in der Lage gewesen. Tatsächlich konnten sie aber dem tödlichen Übergriff nicht begegnen, da sie mit keinen Angriffen durch die Angeklagte auf das Leben ihrer Patienten rechneten. Eine positive Vorstellung der Ärzte von Angriffen der Angeklagten auf die Patienten liegt trotz ihrer vereinzelten Vorschläge zum Behandlungsabbruch bei sterbenden Patienten fern. Die Angeklagte wusste vielmehr, dass die Ärzte ihr gegenüber arglos waren, und nutzte dies für ihr Vorgehen aus.
24
dd) Eine die Heimtücke prägende Haltung kann allerdings dann entfallen , wenn der Täter aus Mitleid handelt, um einem Todkranken schwerstes Leid zu ersparen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 14; BGH NStZ 2008, 93). Die Angeklagte handelte nach den Feststellungen aber nicht aus individuellem Mitleid mit den schwerkranken Patienten, vielmehr wollte sie ihre Vorstellung über Würde und Wert des Lebens eines sterbenden Menschen durchsetzen. Ein Ausnahmefall, in dem die Heimtücke aus besonderen subjektiven Gründen zu verneinen wäre – üblicherweise als Fehlen einer feindlichen Willensrichtung bezeichnet (vgl. hierzu Schneider in MüKo, StGB § 211 Rdn. 144 ff.) – liegt mithin nicht vor.
25
b) Dagegen hält die Wertung der Schwurgerichtskammer, die Angeklagte habe in allen Fällen aus niedrigen Beweggründen gehandelt, auch einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. BGH NStZ 2006, 284, 285; NStZ-RR 2006, 340) nicht stand.
26
Ein Tötungsbeweggrund ist niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf Grund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 23 und 39).
27
solche Eine Gesamtwürdigung stellt die Schwurgerichtskammer jedoch nicht an. Ihre Bewertung beruht auf der pauschalen Gleichsetzung der „Anmaßung, Gott gleich über Leben und Tod“ entscheiden zu wollen, mit einem Handeln aus niedrigen Beweggründen. Dieser Umstand begründet aber für sich genommen kein über § 212 StGB hinausgehendes Unwerturteil (vgl. hierzu Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 17).
28
Dieses lässt sich auch den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen. Danach hat die Angeklagte zwar durch die Taten ihren Opfern den Lebenswert aberkannt. Ihr Handeln war aber nicht davon motiviert, dass sie dieses fremde Leben ohne weiteren Anlass grundsätzlich als minderwertig betrachtete (vgl. hierzu BGHSt 47, 128, 132), sondern wurde ausgelöst durch den bereits durch den nahenden Tod gezeichneten Zustand der Opfer. Die Motivation der Angeklagten beruhte – auch vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung als Intensivkrankenschwester – auf der Überzeugung, dass Leben in einem derart desolaten moribunden Zustand, in dem sich die betreffenden Patienten befanden, nicht mehr lebenswert sei. Als Folge ihrer Selbstüberhöhung fühlte sie sich berufen, die von ihr als richtig erachtete Lebensbeendigung durch Tötung herbeizuführen. Dies wurde zudem be- günstigt durch den „unverschuldeten Anteil ihrer Persönlichkeitsstruktur“, was das Landgericht bei der Verneinung der besonderen Schuldschwere, nicht aber bei der Bewertung ihres Handlungsmotivs berücksichtigt hat. Solches Handeln ist zwar als Totschlag und in den Fällen S. , St. und W. sogar als Heimtückemord zu bewerten, aber nicht darüber hinausgehend als besonders verachtenswert und als nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehend anzusehen.
29
Die von der Schwurgerichtskammer daneben spekulativ angestellte Erwägung („mag“), die Angeklagte könne auch durch eine „egoistische Suche nach intensiven Erlebnissen“ sowie aufgrund ihres zwanghaften Perfektionismus dazu bewogen worden sein, „die Entscheidung über Leben und Tod zu dem von ihr als passend angesehenen Zeitpunkt an sich zu reißen“ muss bei der Bewertung unbeachtet bleiben, da dies nicht sicher festgestellt werden konnte.
30
3. Der Schuldspruch wegen der Tötung der Patienten S. , W. und St. wird von der unzutreffenden Annahme der niedrigen Beweggründe nicht berührt, da das Mordmerkmal der Heimtücke vorliegt. Die Umstände, die die Bewertung der Motive der Angeklagten als niedrig hindern , haben aber andererseits nicht annähernd das Gewicht außergewöhnlicher Schuldminderungsgründe, die im Rahmen der Rechtsfolgenlösung (BGHSt 30, 105) ausnahmsweise eine Strafrahmenverschiebung ermöglichen.
31
Bei der Tötung der Patienten A. und M. hat die Angeklagte auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen kein Mordmerkmal verwirklicht. Der Senat schließt aus, dass ergänzende, ein Mordmerkmal tragende Feststellungen noch getroffen werden können. Er stellt deswegen den Schuldspruch entsprechend um. Damit entfällt die lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe in zwei Fällen, der Senat erkennt stattdessen – auch um dieses Verfahren sofort abzuschließen und im Hinblick auf die verbleibende lebenslange Freiheitsstrafe – auf die niedrigste Strafe aus dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB.
Basdorf Gerhardt Raum Brause Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 123/01
vom
9. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Mai 2001 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 23. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Tatrichter hat - worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift abstellt - das Mordmerkmal Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei bejaht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte, dem die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit zugebilligt wurden, seiner schlafenden Frau in Tötungsabsicht mit einer gußeisernen Bratpfanne auf den Kopf geschlagen und sie, als der Griff der Pfanne abbrach, mit beiden Händen erwürgt. Der Angeklagte, der die finanzielle Situation der Familie als aussichtslos empfand, seiner stark alkoholkranken Frau hiervon aber nichts mitgeteilt hatte,
war entschlossen, sich selbst umzubringen. Zugleich hatte er sich entschieden, auch seine Frau zu töten. Denn er schämte sich vor ihr und hatte große Angst, ihr die wahren Umstände zu offenbaren. Er war zudem der Meinung, daß seine Frau es in dieser desolaten finanziellen Situation nicht ohne ihn schaffen würde und ihr Obdachlosigkeit und Verwahrlosung drohten. Nach der Tötung seiner Frau unternahm der Angeklagte verschiedene Selbsttötungsversuche, die aber alle scheiterten. Ohne Rechtsfehler ist der Tatrichter davon ausgegangen, daß der Angeklagte bei der Tötung bewußt die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau ausgenutzt hat. Die vom Landgericht für die - allerdings naheliegende - Bejahung der erforderlichen feindlichen Willensrichtung gegebene Begründung ist aber rechtlich nicht fehlerfrei. Zum einen ist die Feststellung zu einem der Tatmotive nicht nachvollziehbar. Zum anderen liegt ein Verstoß gegen den Zweifelssatz vor. Der Tatrichter läßt zunächst die Frage offen, ob die Befürchtung des Angeklagten, "seine Ehefrau komme ohne ihn nicht zurecht, ihr drohe Obdachlosigkeit und Verwahrlosung bereits objektiv nicht nachvollziehbar ist und ob hier insoweit allein auf die subjektive Sichtweise des Angeklagten abzustellen ist." Das Landgericht führt dann aus: "Denn jedenfalls kann schon nicht festgestellt werden, daß das 'pseudoaltruistische' Motiv, der Ehefrau ein Leben in Obdachlosigkeit und Verwahrlosung zu ersparen, bei der Tötung im Vordergrund stand. Wie bereits ausgeführt, lag der Tat vielmehr ein Motivbündel zugrunde , das auch eigensüchtige Beweggründe enthielt. Denn nach der eigenen Einlassung des Angeklagten war ein weiteres wichtiges Tatmotiv, daß er sich vor seiner Ehefrau schämte und große Angst vor ihrer Reaktion hatte, wenn er
ihr die Kündigung und deren Hintergründe sowie die aktuelle finanzielle Situation offenbaren würde. Er rechnete damit, daß seine Frau ihm Vorwürfe machen würde, zumal er ihr in der Vergangenheit immer Vorhaltungen wegen ihrer Alkoholkrankheit gemacht hatte. In den Fällen, in denen der Tat ein ganzes Motivbündel zugrundeliegt, wobei nicht feststeht, welches Motiv im Vordergrund stand, muß nicht zugunsten des Täters angenommen werden, daß das 'pseudoaltruistische' Moment leitend war. Das Fehlen sicherer Erkenntnisse über die Beweggründe des Angeklagten steht der Annahme einer feindseligen Willensrichtung nicht entgegen (vgl. BGH MDR 1974, 366; NJW 1978, 709)." Diese Überlegungen des Tatrichters sind schon deshalb nicht tragfähig, weil das "weitere wichtige Tatmotiv" einer unangenehmen Offenbarung der Ehefrau gegenüber kein Motiv für die Tötung auch der Ehefrau sein konnte. Denn bereits durch den beabsichtigten Selbstmord hätte der Angeklagte sich etwaige Vorwürfe erspart. Seine Annahme, er müsse hierzu - vorab - auch seine Ehefrau töten, ist ohne nähere Darlegung nicht nachvollziehbar. Es ist auch ein Verstoß gegen den Zweifelssatz gegeben. Richtig ist zwar, daß der Zweifelssatz nicht bedeutet, daß das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muß, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr. vgl. hierzu Kleinknecht /Meyer-Goßner StPO § 261 Rdn. 26). Sind aber mehrere Tatmotive ausdrücklich als gegeben festgestellt, gebietet es - nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten - der Zweifelssatz, das für den Angeklagten günstigste als leitend anzusehen. Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß auf diesen rechtlich bedenklichen Feststellungen und Erwägungen die Annahme des Mordmerkmales Heimtücke beruht. Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Der Senat kann weiter nicht ausschließen, daß ein neuer Tatrichter aufgrund rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen und Überlegungen erneut zu einem Schuldspruch wegen Heimtückemordes gelangt. Es ist nämlich nicht ohne weiteres ersichtlich, daß der Angeklagte begründet meinte, zum Besten des Opfers zu handeln. Ein Fall des erweiterten Selbstmordes (vgl. BGH NJW 1978, 709) scheidet aus, weil der Angeklagte und seine Frau nicht übereinstimmend handelten. Vielmehr hat der Angeklagte einseitig seiner Frau das Lebensrecht abgesprochen. Der Senat ist daher nicht dem Antrag des Generalbundesanwalts auf Schuldspruchänderung in Totschlag gefolgt, sondern hat die Sache insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Der neue Tatrichter wird auch zu beachten haben, daß eine strafschärfende Wertung des Umstandes, daß der Angeklagte nach dem Scheitern des ersten Angriffs mit der Pfanne sofort hartnäckig nachgesetzt hat, besorgen läßt, daß dem Angeklagten rechtsfehlerhaft (§ 46 Abs. 3 StGB) die Tatvollendung als solche zur Last gelegt wurde (vgl. auch BGHR StGB § 46 Abs. 3 Vollendung 1). Jähnke Bode Rothfuß Fischer Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 13/18
Verkündet am:
2. April 2019
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut
erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu.
Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben
- als Schaden anzusehen. Aus dem durch lebenserhaltende
Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher
ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht herleiten.

b) Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang
mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche
Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden
krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere
dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen
des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.
BGH, Urteil vom 2. April 2019 - VI ZR 13/18 - OLG München
LG München I
ECLI:DE:BGH:2019:020419UVIZR13.18.0

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 2019 durch die Richterin von Pentz als Vorsitzende, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Roloff und Müller und den Richter Dr. Allgayer
für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Dezember 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und wie folgt neu gefasst : Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18. Januar 2017 wird zurückgewiesen. II. Die Revision des Klägers wird als unzulässig verworfen. Die Anschlussrevision des Klägers wird zurückgewiesen. III. Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger macht als Alleinerbe seines am 19. Oktober 2011 verstorbenen Vaters (im Folgenden: Patient) gegen den Beklagten Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit der künstlichen Ernährung des Patienten in den Jahren 2010 und 2011 geltend. Er ist der Auffassung, der Beklagte hafte für die durch die künstliche Ernährung bedingte sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten.
2
Der 1929 geborene Patient stand wegen eines dementiellen Syndroms von September 1997 bis zu seinem Tod unter Betreuung eines Rechtsanwalts, die sowohl die Gesundheitsfürsorge als auch die Personensorge umfasste. Seit 2006 lebte der Patient in einem Pflegeheim. Während eines stationären Krankenhausaufenthalts wurde ihm im September 2006 wegen Mangelernährung und Austrocknung des Körpers mit Einwilligung des Betreuers eine PEG-Sonde angelegt, durch welche er bis zu seinem Tod künstlich ernährt wurde. Der Beklagte , ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, betreute seit dem Frühjahr 2007 den Patienten hausärztlich.
3
Der Patient hatte weder eine Patientenverfügung errichtet noch ließ sich sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen.
4
Bereits im Jahr 2003 war die Demenz weit fortgeschritten und es wurde eine mutistische Störung diagnostiziert, auf Grund derer seit jedenfalls 2008 eine Kommunikation gänzlich unmöglich war. Seit 2003 war der Patient wegen Kontrakturen nicht mehr zur selbständigen Fortbewegung fähig. Im Juni 2008 wurden zudem eine spastische Tetraparese und ein Nackenrigor diagnostiziert. Ab November 2008 wurden dem Patienten regelmäßig Schmerzmittel auf Opioidbasis verschrieben.
5
Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 19. Oktober 2011 hatte der Patient regelmäßig Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrende Druckgeschwüre (Dekubiti). Viermal wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Ende Mai bis Mitte Juni 2011 befand sich der Patient in stationärer Behandlung wegen einer Gallenblasenentzündung mit zwei Abszessen; von einer Operation wurde in Anbetracht des schlechten Allgemeinzustandes des Patienten abgesehen. Am 8. Oktober 2011 erfolgte eine stationäre Aufnahme aufgrund einer Aspirationspneumonie. Auf eine intensivmedizinische Behandlung wurde verzichtet. Am 19. Oktober 2011 verstarb der Patient im Krankenhaus.
6
Der Kläger behauptet, die Sondenernährung sei spätestens ab Anfang 2010 weder medizinisch indiziert noch durch einen feststellbaren Patientenwillen gerechtfertigt gewesen; vielmehr habe sie ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten ohne Aussicht auf Besserung des gesundheitlichen Zustands geführt. Der Beklagte sei daher verpflichtet gewesen, das Therapieziel dahingehend zu ändern, das Sterben des Patienten unter palliativmedizinischer Betreuung durch Beendigung der Sondenernährung zuzulassen. Zudem macht der Kläger geltend, der Beklagte habe den Betreuer nicht hinreichend darüber aufgeklärt, dass für die künstliche Ernährung keine medizinische Indikation (mehr) bestanden habe. Durch die Fortführung der Sondenernährung und das Fortdauernlassen der Schmerzen und Leiden seien der Körper und das Persönlichkeitsrecht des Patienten verletzt worden. Deshalb stehe dem Kläger aus ererbtem Recht ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Zudem habe er einen Anspruch auf Ersatz der im streitgegenständlichen Zeitraum entstandenen Behandlungs- und Pflegeaufwendungen in Höhe von 52.952 €, die ohne die Behandlung nicht entstanden wären, da der Patient dann nicht mehr gelebt hätte.
7
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht diesem ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen und die Abweisung der weitergehenden Klage bestä- tigt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Der Kläger wendet sich mit seiner (Anschluss-)Revision gegen die Abweisung der Klage auf Ersatz des materiellen Schadens.

Entscheidungsgründe:

I.

8
Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2018, 723 veröffentlicht ist, hat dem Kläger das Schmerzensgeld aus ererbtem Recht des Patienten zugesprochen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es, soweit im Revisionsverfahren noch erheblich, ausgeführt, der Beklagte sei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gehalten gewesen, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern, was er unterlassen habe. Die aus dieser Pflichtverletzung möglicherweise resultierende Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen Schaden dar. Die für die Verneinung eines kindlichen Schadensersatzanspruchs wegen "wrongful life" maßgeblichen Erwägungen im Urteil des Bundesgerichtshofs zum sogenannten "Röteln-Fall" (Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240) kämen in der vorliegenden Fallkonstellation nicht zum Tragen. Es gehe nicht darum, das Leben eines schwerkranken Patienten als "unwert" zu qualifizieren, sondern um die Frage, ob die Fortsetzung der Sondenernährung oder nicht eher das Zulassen des Sterbens seinem Wohl besser diene. Es verbleibe allerdings das grundsätzliche Problem, ob das (Weiter-) Leben, wenn auch unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Leiden, gegenüber dem Tod bzw. der Nichtexistenz einen Schaden im Rechtssinn darstellen könne. Dies sei im vorliegenden Fall zu bejahen. Wenn nach Beweislastregeln im Rahmen der Kausalität zu unterstellen sei, dass der Be- treuer den Patienten hätte sterben lassen, weil der Tod für ihn eine Erlösung gewesen wäre, müsse dies auch schadensrechtlich so gesehen werden. Es würde zudem einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn man einerseits die Beibehaltung einer Magensonde als fortdauernden einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität ansehe und andererseits diesem Sachverhalt eine schadensbegründende Qualität von vornherein abspräche.
9
Bereits die Verletzung des Integritätsinteresses des Patienten, dem ohne wirksame Einwilligung über einen längeren Zeitraum mittels einer Magensonde Nahrung verabreicht worden sei, rechtfertige für sich betrachtet ein Schmerzensgeld. Erschwerend komme hinzu, dass der Patient über einen Zeitraum von 21 Monaten bis zum Eintritt seines Todes massive gesundheitliche Beeinträchtigungen habe durchleiden müssen. Der Beklagte sei zwar nicht für den schlechten Gesundheitszustand des Patienten verantwortlich, wohl aber dafür, dass der Patient in diesem Zustand weitergelebt habe und habe leben müssen.
10
Ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens bestehe demgegenüber nicht. Der Kläger habe eine Minderung des Vermögens seines Vaters infolge der Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt. Zwar habe sich nach dem Vortrag des Klägers das Barvermögen des Patienten im streitgegenständlichen Zeitraum vermindert. Der Patient sei jedoch auch Eigentümer eines Hausgrundstücks in München gewesen, von dem der Beklagte behauptet habe, dass es erheblich an Wert gewonnen habe. Vor diesem Hintergrund habe es dem Kläger oblegen, konkret vorzutragen, weshalb die ererbte Immobilie im genannten Zeitraum an der allgemeinen Wertentwicklung nicht teilgenommen haben solle.

II.


11
Die Revision des Beklagten ist begründet.
12
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Es ist zweifelhaft, kann aber dahinstehen, ob mit der Begründung des Berufungsgerichts eine Verpflichtung des Beklagten zur Selbstbestimmungsaufklärung und eine Verletzung dieser Pflicht angenommen werden können. Ebenfalls kann offenbleiben, ob das hier zu beurteilende Verhalten des Beklagten, wie vom Kläger geltend gemacht, als behandlungsfehlerhaft zu qualifizieren ist. Keiner Entscheidung bedarf ferner die Frage, ob etwaige Pflichtverletzungen des Beklagten zu einer Gesundheitsverletzung beim Patienten geführt haben, die dem Beklagten zuzurechnen ist. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden (§ 253 Abs. 2 BGB).
13
a) Für die Bestimmung eines Schadens bedarf es eines Vergleichs der bestehenden Gesamtlage mit der Lage, die ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Ein etwaiger Nachteil, der sich bei diesem Vergleich ergibt, ist nur dann ein Schaden, wenn die Rechtsordnung ihn als solchen anerkennt (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240, 253, juris Rn. 44; MünchKommBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 17 mwN).
14
b) Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Die Option eines Weiterlebens ohne oder mit weniger Leiden gab es nicht. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehafte- tes Weiterleben - als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
15
aa) Im sogenannten Rötelnfall, in welchem die Gefahr der Schädigung des Ungeborenen durch eine Rötelnerkrankung der Schwangeren von dem die Schwangere beratenden Arzt nicht erkannt worden war mit der Folge, dass ein (erlaubter) Schwangerschaftsabbruch unterblieb und das Kind schwerstgeschädigt zur Welt kam, hat der Senat eigene Ansprüche des Kindes auf Schadensersatz verneint. Es entziehe sich einer allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen (wrongful life) gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden oder aber eine immer noch günstigere Lage darstelle (Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 241, 253, juris Rn. 44). Ein rechtlich relevantes Urteil über den Lebenswert fremden Lebens sei aus gutem Grund nicht erlaubt (aaO S. 252, juris Rn. 41). Der Mensch habe grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen , wie es von der Natur gestaltet sei. Es bestehe kein Anspruch des Kindes auf Nichtexistenz (aaO S. 254, juris Rn. 48). Eine rechtliche Regelung der Verantwortung für weitgehend schicksalhafte und naturbedingte Verläufe sei nicht mehr sinnvoll und tragbar (aaO S. 255, juris Rn. 50).
16
Dem Urteil des Zweitens Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 (Schwangerschaftsabbruch II) zufolge kommt eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in Betracht. Es bestehe die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten (BVerfGE 88, 203, 296, juris Rn. 269). Der Senat hat in seiner Reaktion auf dieses Urteil erneut betont, dass es sich auch nach seiner Auffassung verbietet, die Existenz des Kindes als Schaden anzusehen (Senatsurteil vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128, 139, juris Rn. 35).
17
Während zu der vom Senat grundsätzlich bejahten Frage, ob sich der Unterhaltsaufwand der Eltern für das geborene Kind - anders als die Existenz des Kindes - als Schaden begreifen lasse, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88, 203, 296, juris Rn. 269 einerseits, BVerfGE 96, 375, 399 ff., juris Rn. 66 ff. andererseits) und in der Literatur (ablehnend z.B. Picker, AcP 195, 483 ff.; Weber, ZfL 2004, 74, 78 ff.) unterschiedliche Meinungen vertreten werden, ist die Ansicht des Senats zur Verneinung eines eigenen Anspruchs des Kindes auf Schadensersatz überwiegend auf Zustimmung gestoßen (Aretz, JZ 1984, 719 ff.; Fischer, JuS 1984, 434, 438 f.; Picker, AcP 195, 483, 501; Winter, JZ 2002, 330, 332 ff.; Zimmermann, ZfL 2018, 106 f.; a.A. Deutsch, JZ 1983, 451 f.; Merkel, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 74, 2000, 173, 183 ff.).
18
bb) Dem Berufungsgericht ist darin Recht zu geben, dass nicht alle Erwägungen des Senatsurteils zum sogenannten Rötelnfall auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar sind, wie dies in dem Senatsurteil bereits angedeutet wurde (BGHZ 86, 241, 252, juris Rn. 41). Ging es damals um ein leidensbehaftetes Leben, dessen Beginn nicht durch einen Schwangerschaftsabbruch verhindert wurde, geht es vorliegend um ein leidensbehaftetes Weiterleben , das nicht durch einen Behandlungsabbruch beendet wurde. Die Fallkonstellationen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass dem Menschen im Gegensatz zum Nasciturus grundsätzlich das Recht zuerkannt wird, selbstbestimmt über eine ärztliche Behandlung, so auch den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme, zu entscheiden. Dieser Unterschied führt allerdings nicht dazu, dass in dem leidensbehafteten Weiterleben ein Schaden gesehen werden kann.
19
(1) Die zunehmende Abhängigkeit des Sterbeprozesses von den medizinischen Möglichkeiten lässt den Tod längst nicht mehr nur als schicksalhaftes Ereignis erscheinen, sondern als Ergebnis einer von Menschen getroffenen Entscheidung (BT-Drucksache 16/8442, S. 7). Aus dem verfassungsrechtlich abgesicherten Gebot, den Menschen nicht als Objekt, sondern als Subjekt ärztlicher Behandlung zu begreifen, ergibt sich, dass der Patient in jeder Lebensphase , auch am Lebensende, das Recht hat, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286, sogenanntes Patientenverfügungsgesetz) wurde die Bedeutung des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts bei ärztlichen Maßnahmen von Patienten, die inzwischen einwilligungsunfähig geworden sind, in allen Lebensphasen und unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung (§ 1901a Abs. 3 BGB) gestärkt. Danach bleibt auch nach Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit der tatsächlich geäußerte oder mutmaßliche Wille des Patienten für die Entscheidung über die Vornahme oder das Unterlassen ärztlicher Maßnahmen maßgeblich. Geht der Wille dahin, lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen und so das Sterben zu ermöglichen, so folgt daraus ein Abwehranspruch gegen lebensverlängernde Maßnahmen. Hinter dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten tritt dann die Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurück, selbst wenn ohne den Behandlungsabbruch noch eine Heilungs- oder Lebensperspektive bestanden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2014 - XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226 Rn. 22; BVerwGE 158, 142 Rn. 33; MüllerTerpitz in Isensee/Kirchhoff, HdbStR VII, 3. Aufl., § 147 Rn. 100; Huber, GesR 2017, 613, 617 f.; Zimmermann, ZfL 2018, 104, 108).
20
(2) Dennoch ist auch in einem solchen Fall das Weiterleben mit der damit zwangsläufig verbundenen Fortdauer der krankheitsbedingten Leiden nicht als Schaden anzusehen (im Ergebnis ebenso: Ludyga, NZFam 2017, 595 ff.; Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010, S. 161 f.). Auch wenn der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden. Dem steht nicht entgegen, dass das Betreuungsgericht gemäß § 1904 Abs. 2 und 3 BGB die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine lebenserhaltende Maßnahme zu genehmigen hat, wenn das Unterbleiben oder der Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahme dem Willen des Betreuten entspricht. Auch wenn damit dem Willen des Betreuten Geltung verschafft und so eine Beendigung seines Lebens ermöglicht wird, verbietet es sich aus den genannten Gründen, das Weiterleben für den Fall, dass ein Behandlungsabbruch unterbleiben sollte, als Schaden zu werten. Abgesehen davon entzieht es sich menschlicher Erkenntnisfähigkeit, ob ein leidensbehaftetes Leben gegenüber dem Tod ein Nachteil ist.
21
Das dem Leben anhaftende krankheitsbedingte Leiden, das durch lebenserhaltende Maßnahmen verlängert wird, kann schon deshalb nicht für sich genommen als Schaden angesehen werden, weil es sich nicht - wie etwa die Unterhaltspflicht der Eltern - vom Leben trennen lässt (Zimmermann, ZfL 2018, 104, 107).
22
2. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
23
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten zu. Es kann offenbleiben, ob ein solcher Anspruch auf eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten gestützt werden könnte, wenn lebenserhaltende Maßnahmen gegen dessen Willen aufrechterhalten würden (vgl. hierzu nur Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010, S. 161 ff.; Ludyga, NZFam 2017, 595, 598; Prütting, ZfL 2018, 94, 99 ff.; Zimmermann, ZfL 2018, 104, 108 f.). Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Dass die Sondenernährung gegen den Willen des Patienten erfolgte, was vom Kläger zu beweisen wäre, vermochte das Berufungsgericht nicht festzustellen.

III.

24
Die Revision des Klägers ist unzulässig, weil das Berufungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe die Revision nur zugunsten des Beklagten, nicht jedoch zugunsten des Klägers zugelassen hat.
25
Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils. Dieser ist aber im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt (vgl. nur Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 9 mwN). Eine Beschränkung der Zulassung der Revision ist danach auch auf eine von beiden Prozessparteien statthaft, zu deren Nachteil das Berufungsgericht die von ihm für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage entschieden hat. Die Zulassung wirkt in diesem Fall nicht zugunsten der Partei, zu deren Gunsten die Rechtsfrage entschieden ist und die das Urteil aus einem völlig anderen Grund angreift (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 - VI ZR 225/10, ZUM 2012, 35 Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2016 - IX ZR 158/15, WM 2016, 1463 Rn. 45; vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 6; jeweils mwN).
26
So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil der Rechtsstreit die Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, "ob das Weiterleben eines Patienten, der bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes früher verstorben wäre, einen ersatzfähigen Schaden in der Person des Patienten darstellen kann." Die Revisionszulassung konnte zwar nicht auf diese unselbständige Rechtsfrage beschränkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai

2012

- XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 7 mwN). Das Berufungsgericht hat damit aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur dem Beklagten die Gelegenheit zur Überprüfung seiner Entscheidung geben wollte, ob der zuerkannte Schmerzensgeldanspruch besteht. Die für klärungsbedürftig erachtete Rechtsfrage kann sich zwar auch für das Bestehen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des materiellen Schadens stellen. Den diesbezüglichen Anspruch hat das Berufungsgericht aber ausschließlich mit der davon unabhängigen und selbständig tragenden Begründung verneint, dass der Kläger eine Minderung des Vermögens seines Vaters infolge der Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt habe. Diese von dem Kläger mit der Revision angegriffene Beurteilung hat das Berufungsgericht ebenso wie die Ausführungen zu den ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten nicht zur Überprüfung gestellt. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich vielmehr, dass es insoweit von aus seiner Sicht unumstrittenen und nicht klärungsbedürftigen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Aufgrund einer Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt sich somit der eindeutige Wille des Berufungsgerichts, die Revision nur hinsichtlich des zugesprochenen Teils der Klage zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 7).

IV.

27
Die zulässige Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens nicht zustehe, hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
28
Auch insoweit kann offenbleiben, ob der Beklagte ihm obliegende Aufklärungs - oder Behandlungspflichten verletzt hat. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Schutzzweckzusammenhang zwischen einer etwaigen Pflichtverletzung und dem geltend gemachten materiellen Schaden.
29
1. Während es Art. 1 Abs. 1 GG verbietet, das Dasein eines Menschen als solches als Schaden anzusehen, ist es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen , die wirtschaftlichen Belastungen, die mit der Existenz des Menschen verbunden sind, unter bestimmten Umständen als materiellen Schaden zu begreifen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die durch die planwidrige Geburt eines Kindes ausgelöste wirtschaftliche Belastung der Eltern mit dem Unterhaltsaufwand einen ersatzpflichtigen Schaden darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128; vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95, NJW 1997, 1638, 1640, juris Rn. 16; vom 18. Juni 2002 - VI ZR 136/01, BGHZ 151, 133, 145, juris Rn. 28). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung für die Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines Kindes als mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar erachtet (BVerfGE 96, 375). Ob es verfassungsrechtlich unbedenklich wäre, Schadensersatz für wirtschaftliche Belastungen zuzusprechen, die mit dem eigenen Dasein verbunden sind, kann dahinstehen (für die Ersatzfähigkeit dieses Schadens Prütting, ZfL 2018, 94, 102). Denn vorliegend fehlt es schon an der allgemeinen haftungsrechtlichen Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs zwischen der möglicherweise verletzten Norm und dem materiellen Schaden.
30
2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Folgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (vgl. nur Senatsurteil vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN). So hängt die Schadensersatzpflicht unter anderem davon ab, dass die Norm oder vertragliche Pflicht den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezweckt; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm oder Vertragspflicht fallen. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. nur Senatsurteile vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17, NJW 2018, 3215 Rn. 13; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN).
31
Dementsprechend hat der Senat den Eltern eines (ursprünglich) nicht gewollten Kindes Schadensersatz gegen den Arzt für die Unterhaltsbelastungen nur dann und nur insoweit zugesprochen, als die durch den Beratungs- oder Behandlungsvertrag - in rechtlich zulässiger Weise - übernommenen Pflichten dem Schutz vor diesen Belastungen dienten (vgl. nur Senatsurteile vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128, 138 f., 146, juris Rn. 32 f., 46; vom 15. Februar 2000 - VI ZR 135/99, BGHZ 143, 389, 395, juris Rn. 12; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 203/02, NJW 2003, 3411, juris Rn. 5).
32
3. Die hier etwa verletzten Pflichten waren nach ihrem Zweck nicht darauf gerichtet, den Patienten vor wirtschaftlichen Belastungen, die mit seinem - wenn auch leidensbehafteten - Weiterleben verbunden waren, zu schützen.
33
Eine etwaige Verpflichtung eines Arztes, den Betreuer eines einwilligungsunfähigen Patienten darüber aufzuklären, dass ein Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen in Betracht gezogen werden könnte, dient allein dem vom Betreuer wahrzunehmenden Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Die Pflicht, die medizinische Indikation für lebenserhaltende Maßnahmen nicht fehlerhaft zu bejahen, hat den Zweck, zu verhindern, dass der Sterbeprozess unnötig belastet wird. Zweck der genannten Pflichten ist es hingegen bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen die Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten. Damit sind die vom Kläger geltend gemachten finanziellen Belastungen nicht ersatzfähig.
v. Pentz Offenloch Roloff
Müller Allgayer
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 18.01.2017 - 9 O 5246/14 -
OLG München, Entscheidung vom 21.12.2017 - 1 U 454/17 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 123/01
vom
9. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Mai 2001 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 23. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Tatrichter hat - worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift abstellt - das Mordmerkmal Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei bejaht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte, dem die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit zugebilligt wurden, seiner schlafenden Frau in Tötungsabsicht mit einer gußeisernen Bratpfanne auf den Kopf geschlagen und sie, als der Griff der Pfanne abbrach, mit beiden Händen erwürgt. Der Angeklagte, der die finanzielle Situation der Familie als aussichtslos empfand, seiner stark alkoholkranken Frau hiervon aber nichts mitgeteilt hatte,
war entschlossen, sich selbst umzubringen. Zugleich hatte er sich entschieden, auch seine Frau zu töten. Denn er schämte sich vor ihr und hatte große Angst, ihr die wahren Umstände zu offenbaren. Er war zudem der Meinung, daß seine Frau es in dieser desolaten finanziellen Situation nicht ohne ihn schaffen würde und ihr Obdachlosigkeit und Verwahrlosung drohten. Nach der Tötung seiner Frau unternahm der Angeklagte verschiedene Selbsttötungsversuche, die aber alle scheiterten. Ohne Rechtsfehler ist der Tatrichter davon ausgegangen, daß der Angeklagte bei der Tötung bewußt die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau ausgenutzt hat. Die vom Landgericht für die - allerdings naheliegende - Bejahung der erforderlichen feindlichen Willensrichtung gegebene Begründung ist aber rechtlich nicht fehlerfrei. Zum einen ist die Feststellung zu einem der Tatmotive nicht nachvollziehbar. Zum anderen liegt ein Verstoß gegen den Zweifelssatz vor. Der Tatrichter läßt zunächst die Frage offen, ob die Befürchtung des Angeklagten, "seine Ehefrau komme ohne ihn nicht zurecht, ihr drohe Obdachlosigkeit und Verwahrlosung bereits objektiv nicht nachvollziehbar ist und ob hier insoweit allein auf die subjektive Sichtweise des Angeklagten abzustellen ist." Das Landgericht führt dann aus: "Denn jedenfalls kann schon nicht festgestellt werden, daß das 'pseudoaltruistische' Motiv, der Ehefrau ein Leben in Obdachlosigkeit und Verwahrlosung zu ersparen, bei der Tötung im Vordergrund stand. Wie bereits ausgeführt, lag der Tat vielmehr ein Motivbündel zugrunde , das auch eigensüchtige Beweggründe enthielt. Denn nach der eigenen Einlassung des Angeklagten war ein weiteres wichtiges Tatmotiv, daß er sich vor seiner Ehefrau schämte und große Angst vor ihrer Reaktion hatte, wenn er
ihr die Kündigung und deren Hintergründe sowie die aktuelle finanzielle Situation offenbaren würde. Er rechnete damit, daß seine Frau ihm Vorwürfe machen würde, zumal er ihr in der Vergangenheit immer Vorhaltungen wegen ihrer Alkoholkrankheit gemacht hatte. In den Fällen, in denen der Tat ein ganzes Motivbündel zugrundeliegt, wobei nicht feststeht, welches Motiv im Vordergrund stand, muß nicht zugunsten des Täters angenommen werden, daß das 'pseudoaltruistische' Moment leitend war. Das Fehlen sicherer Erkenntnisse über die Beweggründe des Angeklagten steht der Annahme einer feindseligen Willensrichtung nicht entgegen (vgl. BGH MDR 1974, 366; NJW 1978, 709)." Diese Überlegungen des Tatrichters sind schon deshalb nicht tragfähig, weil das "weitere wichtige Tatmotiv" einer unangenehmen Offenbarung der Ehefrau gegenüber kein Motiv für die Tötung auch der Ehefrau sein konnte. Denn bereits durch den beabsichtigten Selbstmord hätte der Angeklagte sich etwaige Vorwürfe erspart. Seine Annahme, er müsse hierzu - vorab - auch seine Ehefrau töten, ist ohne nähere Darlegung nicht nachvollziehbar. Es ist auch ein Verstoß gegen den Zweifelssatz gegeben. Richtig ist zwar, daß der Zweifelssatz nicht bedeutet, daß das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muß, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr. vgl. hierzu Kleinknecht /Meyer-Goßner StPO § 261 Rdn. 26). Sind aber mehrere Tatmotive ausdrücklich als gegeben festgestellt, gebietet es - nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten - der Zweifelssatz, das für den Angeklagten günstigste als leitend anzusehen. Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß auf diesen rechtlich bedenklichen Feststellungen und Erwägungen die Annahme des Mordmerkmales Heimtücke beruht. Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Der Senat kann weiter nicht ausschließen, daß ein neuer Tatrichter aufgrund rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen und Überlegungen erneut zu einem Schuldspruch wegen Heimtückemordes gelangt. Es ist nämlich nicht ohne weiteres ersichtlich, daß der Angeklagte begründet meinte, zum Besten des Opfers zu handeln. Ein Fall des erweiterten Selbstmordes (vgl. BGH NJW 1978, 709) scheidet aus, weil der Angeklagte und seine Frau nicht übereinstimmend handelten. Vielmehr hat der Angeklagte einseitig seiner Frau das Lebensrecht abgesprochen. Der Senat ist daher nicht dem Antrag des Generalbundesanwalts auf Schuldspruchänderung in Totschlag gefolgt, sondern hat die Sache insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Der neue Tatrichter wird auch zu beachten haben, daß eine strafschärfende Wertung des Umstandes, daß der Angeklagte nach dem Scheitern des ersten Angriffs mit der Pfanne sofort hartnäckig nachgesetzt hat, besorgen läßt, daß dem Angeklagten rechtsfehlerhaft (§ 46 Abs. 3 StGB) die Tatvollendung als solche zur Last gelegt wurde (vgl. auch BGHR StGB § 46 Abs. 3 Vollendung 1). Jähnke Bode Rothfuß Fischer Elf
5 StR 525/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. April 2008 beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2007 wird nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen , dass die Angeklagte wegen Mordes in drei Fällen sowie wegen Totschlags in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafe jeweils fünf Jahre) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt ist.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in fünf Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, von weiteren fünf Mordvorwürfen hat es sie aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Eine besondere Schwere der Schuld, §§ 57a, 57b StGB, hat es nicht festgestellt. Gegen das Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der sie die Verurteilung in einem von ihr bestrittenen Fall, die Annahme der Mordmerkmale sowie die Strafzumessung beanstandet. Das Rechtsmittel hat nur den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die Angeklagte begann im Alter von 15 Jahren die von ihr gewünschte Ausbildung zur Krankenschwester. Nachdem sie bereits über 30 Jahre in diesem Beruf gearbeitet hatte, war sie ab 1994 auf der kardiologischen In- tensivstation eines Berliner Universitätskrankenhauses tätig. Ihre Arbeit bedeutete ihr viel, sie war vor allem nach der Trennung von ihrem Ehemann im Jahre 1999, mit dem sie über 25 Jahre verheiratet gewesen war, ein erheblich stabilisierender Faktor für ihre Lebensgestaltung.
4
Auf der kardiologischen Intensivstation galt die Angeklagte auch aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung als kompetent, sie wurde entsprechend respektiert. Im persönlichen Kontakt mit Pflegekräften oder Ärzten war sie jedoch introvertiert, wirkte zum Teil verschroben und fiel durch situationsunangemessenes Verhalten wie beständiges Pfeifen auf. Sie galt deswegen als Außenseiterin.
5
Bei morgendlichen Besprechungen der Pflegekräfte wurde die Aufteilung der meist schwerkranken Patienten organisiert. Dabei bemühte sich die Angeklagte besonders darum, für die Betreuung schwerstkranker Patienten eingeteilt zu werden, den damit verbundenen erhöhten pflegerischen Aufwand und die emotionale Belastung scheute sie nicht. Die zwanghaft perfektionistische und eigensinnige Angeklagte wollte sich eine Überforderung nicht eingestehen und lehnte Entlastungsvorschläge ab. Mechanismen, die der körperlich und emotional sehr starken Belastung der Pflegekräfte durch den dauernden Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Patienten angemessen Rechnung getragen hätten, wie regelmäßige Besprechungen in ihrem Arbeitsbereich, Supervision oder psychologische Unterstützung, gab es im Krankenhaus nicht.
6
Dies kam dem Streben der Angeklagten nach Unabhängigkeit zwar entgegen, förderte aber ihre Neigung zur Selbstbezogenheit und zu überhöhten Selbstwertideen. Aufgrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung war es ihr „nur schwer möglich, ... zwischen eigenen Stimmungen und der Gefühlssituation ihrer Patienten zu differenzieren“. Vielmehr übertrug sie ihre eigene Angst vor Schwäche und Hilflosigkeit auf die zu betreuenden Patienten. In den Jahren 2001, 2004 und 2005 schlug sie vereinzelt gegenüber Ärz- ten vor, die Behandlung von sterbenden Patienten einzustellen. Dies wurde weitgehend ignoriert und mit ihr nicht weiter besprochen. Einige Kollegen beobachteten gelegentliches „ruppiges“ Verhalten gegenüber Patienten.
7
Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur fühlte sie sich bei fünf moribunden Patienten, deren Dasein sie als nicht mehr lebenswert betrachtete, berufen , für sie die Entscheidung zu treffen, ihr Leben zu beenden. Hierzu spritzte sie den Patienten in Kenntnis der aufgrund der Vorerkrankungen tödlichen Wirkungen blutdrucksenkende Medikamente, zumeist Nipruss mit dem Wirkstoff Nitroprussidnatrium. Durch den starken Blutdruckabfall trat bei jedem der fünf Patienten der Tod früher ein, als dies ohne das Eingreifen der Angeklagten geschehen wäre. Dabei war sie weder von den Patienten noch von deren Angehörigen um Sterbehilfe gebeten worden.
8
Im Einzelnen kam es zu folgenden Tötungen:
9
a) Am 28. Juni 2005 kam der 66 Jahre alte Patient S. auf die Station, weil er reanimiert werden musste. Während sich zwei Ärzte in der Reanimationsphase um eine Erhöhung des Blutdrucks bemühten, spritzte die Angeklagte Herrn S. das kontraindizierte Medikament Nipruss. Dies führte zu einem schnelleren Eintritt des Todes.
10
b) Am 16. August 2006 betreute die Angeklagte den 77 Jahre alten Patienten A. . Ihm wurde nur noch Morphium gegeben, damit er möglichst schmerzfrei sterben konnte. Er schrie seit einigen Stunden laut, ob vor Schmerzen, blieb unklar. Die Angeklagte äußerte einer anderen Krankenschwester gegenüber: „Man sollte das mal beenden.“ Sie spritzte ihm unbemerkt zunächst das stark sedierende Medikament Dormicum. Dadurch sank zwar der Blutdruck zunächst, stabilisierte sich dann aber wieder. Deswegen injizierte sie ihm Nipruss, unmittelbar danach verstarb der Patient.
11
c) Die 48 Jahre alte Frau St. aus Wolfenbüttel hatte sich zur Behandlung ihrer schweren Herzerkrankung in die Berliner Universitätsklinik begeben. Es stellte sich aber heraus, dass eine Therapie nicht möglich war, sie sollte nur noch palliativ behandelt werden. Deswegen wollte Frau St. nach Wolfenbüttel verlegt werden, um dort zu sterben. Ihr Ehemann hatte die Rückverlegung für den 20. September 2006 organisiert. Am Tag davor war Frau St. weder ansprechbar noch orientiert. Die Angeklagte überredete den Ehemann der Patientin, an diesem Tag später als geplant nach Hause zu fahren. Als er bei seiner Ehefrau am Bett saß, spritzte die Angeklagte ihr das kontraindizierte Medikament Nipruss. Das durch den Blutdruckabfall ausgelöste akustische Signal blockierte die Angeklagte. Frau St. verstarb alsbald.
12
d) Der 52 Jahre alte Patient W. lag seit mehreren Wochen im Koma und musste beatmet werden. Zu zahlreichen schweren Grunderkrankungen hatte er durch eine längere Unterversorgung mit Sauerstoff einen unumkehrbaren Hirnschaden erlitten. Immer wieder kam es bei ihm zu Blutdruckeinbrüchen , welche Reanimationsbemühungen erforderten. Auch am 26. September 2006 musste Herr W. durch kreislaufbeschleunigende Medikamente reanimiert werden. Während sich die Ärztin am Bett des Patienten hierum bemühte, spritzte die Angeklagte – von der Ärztin unbemerkt – das kontraindizierte Medikament Nipruss. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich, weitere Reanimationsmaßnahmen unterließ die Ärztin im Hinblick auf die schlechte Prognose. Der Patient verstarb.
13
e) Am 2. Oktober 2006 lag der 62 Jahre alte Patient M. im Endstadium einer Lungenkrebserkrankung auf der Station. Seit einigen Tagen war er desorientiert und litt unter starker Luftnot. Da er zuvor verfügt hatte , dass er keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünsche, war man zur Erleichterung des Sterbevorgangs nur noch um Schmerzlinderung bemüht. Die Angeklagte spritzte ihm das Medikament Dormicum, wie von ihr vorhergesehen , kam es zu einem Blutdruckabfall, der Patient verstarb.
14
sachverständig Die beratene Strafkammer ist davon ausgegangen, dass die Angeklagte an einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, zwanghaften und schizotypen Zügen (ICD-10 F 60.8) leide. Diese Störung sei aber im Hinblick auf die soziale Situation der Angeklagten nicht so ausgeprägt , dass sie bei den Taten zu einer relevanten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit führe.
15
2. Das Schwurgericht hat sich von der Täterschaft der Angeklagten in allen fünf Fällen auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung überzeugt. Das gilt auch für den Fall des Patienten S. , den die Angeklagte anders als die übrigen Fälle, nicht eingestanden hat.
16
Zwar konnte aufgrund der Ergebnisse der nach der Exhumierung vorgenommenen Obduktion der Leiche wegen der weit fortgeschrittenen Fäulnis keine eindeutige Todesursache mehr festgestellt werden; ein nur krankheitsbedingter Todeseintritt war allein auf dieser Grundlage nicht auszuschließen. Seine Überzeugung vom Eingreifen der Angeklagten durch die Gabe des Medikaments Nipruss und den dadurch hervorgerufenen Tod hat die Schwurgerichtskammer aber auf eine umfassende Gesamtwürdigung weiterer tragfähiger Indizien gestützt. Maßgeblich war hierbei, dass in der Schädelkapsel der Leiche eine um ein Vielfaches erhöhte Konzentration von Cyanid nachgewiesen worden ist, welche auf eine Nitroprussidnatriumgabe kurz vor Todeseintritt zurückzuführen war. Aufgrund sorgfältiger Ermittlungen hat die Strafkammer die Verabreichung dieses Wirkstoffs durch andere behandelnde Personen ausgeschlossen. Gleiches gilt für andere Wirkstoffe, die im Körper zum Freisetzen von Cyanid führen, da diese auf der Station nicht vorhanden waren (UA S. 28).
17
Vor dem Hintergrund der vergleichbaren Vorgehensweise bei den anderen Tötungshandlungen, vor allem der Tötung des Patienten W. , und dem Umstand, dass die Angeklagte zum Todeszeitpunkt Dienst hatte, ist der Schluss auf die Injektion von Nipruss durch die Angeklagte und auf den durch die kontraindizierte Wirkung dieses Medikaments beschleunigten Todeseintritt möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGHSt 36, 1, 14).
18
Die 3. Feststellungen tragen die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke bei der Tötung der Patienten S. , W. und St. . Die Bewertung, die Angeklagte habe bei jeder Tötung aus niedrigen Beweggründen gehandelt, hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
a) Das Mordmerkmal der Heimtücke hat die Schwurgerichtskammer bei drei Tötungshandlungen entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei bejaht.
20
aa) Zu Recht hat das Landgericht für die Frage der Heimtücke nicht auf die Arg- und Wehrlosigkeit der getöteten Patienten, sondern auf die mit keinem Angriff auf das Leben der Patienten rechnenden schutzbereiten Dritten abgestellt. Nicht nur der Patient W. , der sich bereits seit geraumer Zeit im Koma befand, sondern auch der zu reanimierende Patient S. und die nicht orientierte und unansprechbare Patientin St. waren aufgrund ihres Zustands zu keinerlei Argwohn und Gegenwehr fähig.
21
Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder es deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (BGHSt 8, 216, 219; BGH NStZ 2006, 338, 339 f.). Voraussetzung ist jedoch, dass die Person den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe und eine überschaubare Anzahl der ihrem Schutz anvertrauten Menschen erforderlich sind (BGH NStZ 2008, 93).
22
Der bb) Ehemann der Patientin St. war in diesem Sinne ein schutzbereiter Dritter. Er kümmerte sich um seine Frau, offen geführte Angrif- fe auf ihr Leben hätte er bemerkt, er wäre diesen entgegengetreten. Er konnte jedoch den Angriff auf das Leben seiner Frau nicht abwehren, da er wegen seines Vertrauens auf Hilfe nicht mit einem Angriff durch die Angeklagte rechnete. Dass die Angeklagte den tödlichen Angriff, den sie durch Abschalten des akustischen Warnsignals weiter verschleierte, auch in Abwesenheit des Ehemannes hätte durchführen können, ändert nichts daran, dass sie zur konkreten Tatbegehung die Arglosigkeit und die daraus resultierende Wehrlosigkeit des Ehemannes ausgenutzt hat.
23
cc) Zutreffend hat das Landgericht die die Reanimation bei den Patienten S. und W. durchführenden Ärzte als schutzbereite Dritte angesehen. Aufgrund der unmittelbaren räumlichen Nähe und der Konzentration auf den Patienten in der Reanimationsphase wären sie zum wirksamen Schutz in der Lage gewesen. Tatsächlich konnten sie aber dem tödlichen Übergriff nicht begegnen, da sie mit keinen Angriffen durch die Angeklagte auf das Leben ihrer Patienten rechneten. Eine positive Vorstellung der Ärzte von Angriffen der Angeklagten auf die Patienten liegt trotz ihrer vereinzelten Vorschläge zum Behandlungsabbruch bei sterbenden Patienten fern. Die Angeklagte wusste vielmehr, dass die Ärzte ihr gegenüber arglos waren, und nutzte dies für ihr Vorgehen aus.
24
dd) Eine die Heimtücke prägende Haltung kann allerdings dann entfallen , wenn der Täter aus Mitleid handelt, um einem Todkranken schwerstes Leid zu ersparen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 14; BGH NStZ 2008, 93). Die Angeklagte handelte nach den Feststellungen aber nicht aus individuellem Mitleid mit den schwerkranken Patienten, vielmehr wollte sie ihre Vorstellung über Würde und Wert des Lebens eines sterbenden Menschen durchsetzen. Ein Ausnahmefall, in dem die Heimtücke aus besonderen subjektiven Gründen zu verneinen wäre – üblicherweise als Fehlen einer feindlichen Willensrichtung bezeichnet (vgl. hierzu Schneider in MüKo, StGB § 211 Rdn. 144 ff.) – liegt mithin nicht vor.
25
b) Dagegen hält die Wertung der Schwurgerichtskammer, die Angeklagte habe in allen Fällen aus niedrigen Beweggründen gehandelt, auch einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. BGH NStZ 2006, 284, 285; NStZ-RR 2006, 340) nicht stand.
26
Ein Tötungsbeweggrund ist niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf Grund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 23 und 39).
27
solche Eine Gesamtwürdigung stellt die Schwurgerichtskammer jedoch nicht an. Ihre Bewertung beruht auf der pauschalen Gleichsetzung der „Anmaßung, Gott gleich über Leben und Tod“ entscheiden zu wollen, mit einem Handeln aus niedrigen Beweggründen. Dieser Umstand begründet aber für sich genommen kein über § 212 StGB hinausgehendes Unwerturteil (vgl. hierzu Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 17).
28
Dieses lässt sich auch den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen. Danach hat die Angeklagte zwar durch die Taten ihren Opfern den Lebenswert aberkannt. Ihr Handeln war aber nicht davon motiviert, dass sie dieses fremde Leben ohne weiteren Anlass grundsätzlich als minderwertig betrachtete (vgl. hierzu BGHSt 47, 128, 132), sondern wurde ausgelöst durch den bereits durch den nahenden Tod gezeichneten Zustand der Opfer. Die Motivation der Angeklagten beruhte – auch vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung als Intensivkrankenschwester – auf der Überzeugung, dass Leben in einem derart desolaten moribunden Zustand, in dem sich die betreffenden Patienten befanden, nicht mehr lebenswert sei. Als Folge ihrer Selbstüberhöhung fühlte sie sich berufen, die von ihr als richtig erachtete Lebensbeendigung durch Tötung herbeizuführen. Dies wurde zudem be- günstigt durch den „unverschuldeten Anteil ihrer Persönlichkeitsstruktur“, was das Landgericht bei der Verneinung der besonderen Schuldschwere, nicht aber bei der Bewertung ihres Handlungsmotivs berücksichtigt hat. Solches Handeln ist zwar als Totschlag und in den Fällen S. , St. und W. sogar als Heimtückemord zu bewerten, aber nicht darüber hinausgehend als besonders verachtenswert und als nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehend anzusehen.
29
Die von der Schwurgerichtskammer daneben spekulativ angestellte Erwägung („mag“), die Angeklagte könne auch durch eine „egoistische Suche nach intensiven Erlebnissen“ sowie aufgrund ihres zwanghaften Perfektionismus dazu bewogen worden sein, „die Entscheidung über Leben und Tod zu dem von ihr als passend angesehenen Zeitpunkt an sich zu reißen“ muss bei der Bewertung unbeachtet bleiben, da dies nicht sicher festgestellt werden konnte.
30
3. Der Schuldspruch wegen der Tötung der Patienten S. , W. und St. wird von der unzutreffenden Annahme der niedrigen Beweggründe nicht berührt, da das Mordmerkmal der Heimtücke vorliegt. Die Umstände, die die Bewertung der Motive der Angeklagten als niedrig hindern , haben aber andererseits nicht annähernd das Gewicht außergewöhnlicher Schuldminderungsgründe, die im Rahmen der Rechtsfolgenlösung (BGHSt 30, 105) ausnahmsweise eine Strafrahmenverschiebung ermöglichen.
31
Bei der Tötung der Patienten A. und M. hat die Angeklagte auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen kein Mordmerkmal verwirklicht. Der Senat schließt aus, dass ergänzende, ein Mordmerkmal tragende Feststellungen noch getroffen werden können. Er stellt deswegen den Schuldspruch entsprechend um. Damit entfällt die lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe in zwei Fällen, der Senat erkennt stattdessen – auch um dieses Verfahren sofort abzuschließen und im Hinblick auf die verbleibende lebenslange Freiheitsstrafe – auf die niedrigste Strafe aus dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB.
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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.