Bundesgerichtshof Urteil, 29. Juli 2010 - 4 StR 190/10

published on 29/07/2010 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 29. Juli 2010 - 4 StR 190/10
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 190/10
vom
29. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Juli 2010,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. November 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagte im Fall 8 der Anklage (VII. 2. b der Urteilsgründe ) freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und sie vom Vorwurf sieben weiterer Straftaten freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen gerichteten Revision die Verletzung sachlichen Rechts; sie hat das Rechtsmittel , nachdem sie zunächst einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt hatte, auf den Freispruch im Fall 8 der Anklage (VII. 2. b der Urteilsgründe) beschränkt. Das insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten im Fall 8 der Anklage versuchten schweren Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zur Last gelegt:
3
Die Angeklagte habe im Mai 2009 gemeinsam mit ihrem gesondert verfolgten Sohn D. N. die Zeugin M. in Rumänien angeworben. Auch dieser Zeugin habe sie vorgespiegelt, ihr eine Stelle in einem von ihr betriebenen Reinigungsunternehmen zu besorgen, bei der sie 150 € am Tag verdienen könne. Die Zeugin M. habe sich darauf eingelassen und bis zum 23. Juni 2009 in Deutschland bleiben wollen. Sie sei mit der Angeklagten und deren Sohn über Ungarn nach Deutschland gefahren. Auch sie habe nach Passieren der rumänisch/ungarischen Grenze ihren Pass an D. N. abgeben müssen. Die Zeugin M. sei in die Wohnung Z. in E. gebracht worden. Zur Prostitutionsausübung sei es jedoch nicht mehr gekommen, da die Angeklagte inzwischen festgenommen worden sei.
4
2. Die Angeklagte hat sich zu diesem Vorwurf nicht eingelassen. Das Landgericht hat sie aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Den in der Anklage bezeichneten Sachverhalt habe keiner der vernommenen Zeugen bestätigt ; weitere Zeugen, die den Tatvorwurf stützen könnten, seien nicht ersichtlich. Die Zeugin M. habe in der Hauptverhandlung wegen unbekannten Aufenthalts nicht vernommen werden können. Der gesondert verfolgte D. N. habe das angeklagte Tatgeschehen nicht bestätigt; er habe vielmehr bekundet, die Angeklagte und er seien im fraglichen Zeitraum in Rumänien gewesen, hätten aber keine Mädchen aus Rumänien nach Deutschland verbracht.

II.


5
Der Freispruch hat im angefochtenen Umfang keinen Bestand.
6
Die Ausführungen des Landgerichts werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht.
7
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGH, Urteile vom 14. Februar 2008 - 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207 und vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, soweit der Freispruch im Fall 8 der Anklage inmitten steht.
8
Im angefochtenen Urteil fehlen insoweit jegliche Feststellungen zum Tatgeschehen. So bleibt bereits offen, ob die Jugendschutzkammer überhaupt einen Aufenthalt der Zeugin M. in Deutschland für erwiesen hält.
9
Auch die äußerst rudimentäre Angabe der Beweisgründe erlaubt dem Senat nicht die auf Revision gebotene rechtliche Überprüfung des Freispruchs. Das Urteil gibt lediglich in knapper Form Angaben des gesondert verfolgten D. N. zu einem Aufenthalt der Angeklagten "im fraglichen Zeitraum" in Rumänien wieder. Hierbei lässt das Urteil die erforderliche Beweiswürdigung vermissen, die dem Revisionsgericht erst die Prüfung ermöglicht, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist und ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1991 - 4 StR 233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Der Senat kann daher nicht prüfen, ob das Landgericht die im Urteil wiedergegebenen Angaben des gesondert verfolgten Sohnes der Angeklagten mit den zum Anklagevorwurf getroffenen Feststellungen in Beziehung gesetzt und hieraus rechtsfehlerfreie Schlüsse gezogen hat. Die nicht weiter ausgeführte Mitteilung im angefochtenen Urteil, keiner der vernommenen Zeugen, zu denen ausweislich der Urteilsgründe (UA 20) auch für den Fall 8 der Anklage die mit den Ermittlungen befassten Polizeibeamten gehörten, habe den Tatvorwurf bestätigt (UA 23), reicht hierfür nicht aus.
10
Der neue Tatrichter wird darauf hingewiesen, dass die Feststellung, die Angeklagte habe aus ihrer Wohnung Z. in E. heraus gewerbsmäßig Menschenhandel betrieben, nicht von der Aufhebung erfasst ist und dies daher gegebenenfalls bei der Beweiswürdigung angemessen zu berücksichtigen sein wird.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender
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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese
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Annotations

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.