Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 162/18
vom
16. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:160818U4STR162.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. August 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung –, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2017 wird
a) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung schuldig ist,
b) mit den Feststellungen aufgehoben im Strafausspruch und im Ausspruch über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen“ zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, dass ein Jahr der verhängten Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft – diese zu Ungunsten des Angeklagten – mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen erweisen sich dieses Rechtsmittel sowie die Revision des Angeklagten als unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trennte sich der Angeklagte von seiner Lebensgefährtin B. , mit der er zwei damals 1¾ Jahre und sieben Monate alte Kinder hat. Er zog aus der bis dahin gemeinsam genutzten Wohnung im ersten Obergeschoss des zweigeschossigen, in Trockenbauweise mit Fachwerk ausgeführten sanierten Altbaus aus und wohnte fortan in der darüber liegenden Dachgeschosswohnung. Insgesamt beherbergte das Wohnhaus sechs Mietparteien. Innerhalb einer Woche nach der Trennung kam es bis zum 28. Mai 2017 dort zu acht Polizeieinsätzen, weil sich der Angeklagte gegenüber seiner ehemaligen Lebensgefährtin aggressiv verhielt, insbesondere wiederholt im alkoholisierten Zustand ihre Wohnungstür eintrat und sie zumindest einmal auch tätlich angriff. B. hatte Angst vor weiteren tätlichen Angriffen; sie verließ ihre Wohnung, die wegen der beschädigten Woh- nungstür nicht sicher von außen zu verschließen war, nur selten. Am 22. Mai 2017 äußerte der Angeklagte gegenüber einem Zeugen, „er raste aus, wenn er die Kinder, die er über alles liebe, nicht haben könne; dann dürfe sie keiner haben und er bringe sie alle – B. und die gemeinsamen Kinder – um“ (UA 9). Nach einer bereits nach wenigen Tagen abgebrochenen Entgif- tungsbehandlung äußerte der Angeklagte am 6. Juni 2017 zu einem Bekann- ten, er werde „Stress machen“, weil Frau B. ihm noch immer die Kinder vorenthalte. Auch bei der im Anschluss an die Trennung „rege“ geführten Kommunikation über WhatsApp kam es immer wieder zu Drohungen, aber auch zu zahlreichen, vom Angeklagten ausgehenden Versöhnungsversuchen.
3
Angesichts des ungeklärten Umgangs mit seinen Kindern war der Angeklagte verzweifelt. Am Morgen des 7. Juni 2017 trank er zunächst zwei Flaschen Bier in seiner Wohnung und anschließend ab 10.00 Uhr nochmals zwei Flaschen Bier sowie zwei kleine Fläschchen Pfefferminzlikör im benachbarten Kiosk. Sein Profilbild bei WhatsApp hatte er geändert. Dort war nunmehr eine schwarze Pistole in einer hellen Wolke vor schwarzem Hintergrund zu sehen sowie darunter der rote Schriftzug „BÖSE GEDANKEN“. Hiermit verlieh er seinen Überlegungen, B. und die beiden Kinder töten zu wollen, Ausdruck. Auch im Kiosk äußerte der Angeklagte seinen Unmut über Frau B. . Beim Verlassen des Kiosks nahm der Angeklagte zwei Flaschen Bier und eine kleine Flasche Pfefferminzlikör mit. Er zeigte keinerlei alkoholbedingte Ausfallerscheinungen und fühlte sich allenfalls angetrunken. Er begab sich auf direktem Weg zu seinem von außen nur mit einem entsprechenden Haustürschlüssel zugänglichen Wohnhaus. In der ehemals gemeinsamen Wohnung hatte B. die beiden Kinder noch vor 11.00 Uhr zum Mittagsschlaf in die Wohnstube gelegt. Gewöhnlich tat sie dies frühestens gegen 12.00 Uhr; sie selbst blieb wach. Zwischen 10.45 Uhr und 10.59 Uhr betrat der Angeklagte das Haus, wobei die mitgeführten Flaschen klirrten. Der mit maximal 2,38 Promille im Blut alkoholisierte Angeklagte trat wuchtig gegen die Wohnungstür der B. und lief die Treppen bis zu seiner Wohnung im Dachgeschoss hinauf und bis zu ihrer Wohnung im 1. Obergeschoss wieder hinunter. Dabei stellte der Angeklagte mehrere Kisten mit Kleidung vor deren Wohnungstür ab.
4
Dort legte der Angeklagte – möglicherweise unter Zuhilfenahme eines Brandbeschleunigers – einen Brand. Dabei nahm er aus Verzweiflung über seine Situation, vor allem im Hinblick auf den wiederholt verwehrten Umgang mit den beiden Kindern, die Tötung der drei in der Wohnung befindlichen Personen zumindest billigend in Kauf und rechnete mit der Ausbreitung des Feuers auf das Wohnhaus und angrenzende Häuser. Er hatte sich im Vorfeld der Tat nicht darum bemüht, in Erfahrung zu bringen, wo sich die anderen Bewohner des Hauses aufhielten. Dass jene sich zur Tatzeit sämtlich außer Haus befanden, wusste er nicht.
5
Nach der Brandlegung verließ der Angeklagte das Haus. B. hörte „nur Minuten nach Wahrnehmung der Aktivitäten des Angeklagtenvor ihrer Wohnungstür“ den Feuermelder im Flur ihrer Wohnung. Daraufhin be- merkte sie dichten schwarzen Rauch, welcher durch die notdürftig verschlossene Wohnungstür in ihre Wohnung zog. Um 10.59 Uhr setzte sie den ersten Notruf ab. Um 11.00 Uhr drang bereits dicker Qualm aus dem Bereich des Hintereingangs des Hauses. Das Betreten des Wohnhauses war wegen des sich schnell ausbreitenden Feuers nicht mehr möglich. So stand die Holztreppe, auch im Bereich des Erdgeschosses, vollständig in Flammen. Innerhalb von höchstens sechs Minuten nach dem Bemerken des Brandes durch einen Nachbarn und noch vor 11.02 Uhr schlugen Flammen aus der Hauseingangstür. B. ließ zunächst ihre beiden Kinder aus einem der Wohnzimmer- fenster hinab in eine von Helfern ausgebreitete Decke fallen, bevor sie selbst sprang. Über eine Feuerleiter oder einen weiteren Ausgang verfügte ihre Wohnung nicht; das war auch dem Angeklagten bekannt.
6
Die Feuerwehr traf umgehend ein; sie konnte das Gebäude wegen der bereits immensen Branderscheinungen aus Sicherheitsgründen nicht betreten. Das Feuer griff auch auf das Nebengebäude in der M. Straße über, in welchem sich weitere Wohnungen befanden. Dieses Wohnhaus, welches einen gemeinsamen Dachgiebel mit dem Haus in der M. Straße hatte, musste sofort gekühlt werden. B. und ihre beiden Kinder wurden mit Verdacht auf Rauchgasintoxikation in eine Klinik gebracht.
7
Der etwa eine Stunde andauernde Brand hinterließ die größten Schäden im ersten Obergeschoss und im Dachgeschoss des Hauses. Der Dachstuhl wurde ebenso wie die Treppe im oberen Bereich nahezu vollständig zerstört. Das Haus musste abgerissen werden. Alle Mietparteien verloren nahezu ihren gesamten Hausrat. Am Nachbargebäude entstanden Brandschäden und Schäden durch das eingesetzte Löschwasser. Insgesamt belief sich der Sachscha- den auf „deutlich über 400.000 Euro“.
8
2. Das Landgericht hat den Angeklagten nach sachverständiger Beratung für voll schuldfähig gehalten und ihn wegen versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung verurteilt. Hingegen habe der Angeklagte nicht aus niedrigen Beweggründen oder heimtückisch gehandelt. Auch sei der Qualifikationstatbestand der besonders schweren Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt, weil noch keine konkrete Lebensgefahr für die Bewohner bestanden habe.

II.


9
Revision der Staatsanwaltschaft
10
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat insoweit Erfolg, als das Landgericht den Angeklagten nicht auch wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB verurteilt hat.
11
a) Allerdings ist diese Straftat nicht vollendet. Nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB wird wegen besonders schwerer Brandstiftung bestraft, wer in den Fällen des § 306a StGB (schwere Brandstiftung) einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
12
aa) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Wann eine solche Gefahr gegeben ist, entzieht sich exakter wissenschaftlicher Umschreibung (BGH, Beschluss vom 15. Februar 1963 – 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271, 272). Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 25. Oktober 1984 – 4 StR 567/84, NStZ 1985, 263 mit Anm. Geppert und vom 15. September 1998 – 1 StR 290/98, NStZ 1999, 32, 33; Wolff in LK-StGB, 12. Aufl., § 306a Rn. 29, § 306b Rn. 14 f.; Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vorbem. §§ 306 ff. Rn. 5 f.). Allein der Umstand , dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befin- den, genügt noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr (BGH, Urteil vom 11. Januar 2017 – 5 StR 409/16, NStZ 2017, 281, 282). Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete noch in Sicherheit bringen konnte. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass „das noch einmal gut gegangen sei“ (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 4 StR 401/13, NStZ 2014, 85, 86).
13
bb) Eine solche „hochgradige Existenzkrise“ (vgl. zu § 315c StGB BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NZV 1995, 325 mwN; OLG Koblenz, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 2 OLG 6 Ss 138/17, juris) lässt sich den auch insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht hinreichend entnehmen. B. ist durch das Anschlagen des Feuermelders frühzeitig auf den Brand aufmerksam geworden. Sie und ihre Kinder konnten das Haus durch das Wohnzimmerfenster im 1. Obergeschoss verlassen. Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, dass der durch die Wohnungstür eindringende „dichte schwarze Rauch“ bereits das Wohnzimmer erreicht hatte. Vielmehr war die Wohnstube im Zeitpunkt der Rettung „vom Brandgeschehen noch nicht unmittelbar betroffen“ (UA 32). Das Urteil belegt auch in seinem Gesamtzusammenhang keine hinreichend abgrenzbaren Gefahren durch den Sprung der drei Geschädigten in die von Helfern ausgebreitete Decke. Zwar lag der Brandherd vor der Außentür der Wohnung, so dass den Insassen bei einer Fortentwicklung der Flammen in der Wohnung der Fluchtweg abgeschnitten gewesen wäre. Doch kam es darauf wegen der von einem Zeugen organisierten Rettung nicht an.
14
b) Nach den Feststellungen liegt aber ein Versuch der besonders schweren Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB vor. Der Angeklagte rechne- te damit, dass Frau B. und die beiden gemeinsamen Kinder sich in der Wohnung im ersten Obergeschoss befinden und darin zu Tode kommen könnten. Den Eintritt der Todesgefahr nahm er billigend in Kauf; dies liegt – wie die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg zu Recht ausgeführt hat – angesichts des rechtsfehlerfrei festgestellten bedingten Tötungsvorsatzes auf der Hand. Ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB scheidet angesichts des offensichtlichen Fehlschlags von vornherein aus. Der Senat hat den Schuldspruch daher entsprechend ergänzt (§ 354 Abs. 1 StPO analog); weiter gehende Feststellungen, die eine konkrete Gefahr belegen könnten, sind auch in einer neuen Hauptverhandlung nicht zu erwarten. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Ein vollendetes Verbrechen nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB lag zudem bereits der Anklage zugrunde.
15
In Tateinheit mit dem Versuch der besonders schweren Brandstiftung steht die vollendete schwere Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 4 StR 401/13, NStZ 2014, 85, 86); die insoweit gegebene gleichartige Tateinheit (Fischer, StGB, 65. Aufl., § 306a Rn. 15) hat der Senat nicht in den Tenor aufgenommen (§ 260 Abs. 4 Satz 5 StPO). Hingegen hat er im Schuldspruch außerdem klarstellend zum Ausdruck gebracht, dass sich die vom Landgericht ausgesprochene gleichartige Tateinheit „in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen“ allein auf den versuch- ten Mord bezieht.
16
2. Die Schuldspruchänderung entzieht der verhängten Freiheitsstrafe die Grundlage; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer höheren Bestrafung des Angeklagten gelangt wäre, wenn es die Verwirklichung des versuchten Verbrechens nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB bei der Strafzumessung berücksichtigt hätte.
17
Der Maßregelausspruch ist von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen ; er kann bestehen bleiben. Jedoch entzieht die Aufhebung des Strafausspruchs der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe die Grundlage.
18
3. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird bei der erneuten Strafzumessung zu berücksichtigen haben, dass die Feststellungen zum Schuldspruch eine vom Tatplan des Angeklagten umfasste heimtückische Tötung (neben einer solchen mit gemeingefährlichen Mitteln) nahelegen.
19
Zwar kommt ein Heimtückemord mit Bezug auf die beiden gemeinsamen Kinder angesichts des Alters der Tatopfer nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 – 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339). Anders verhält es sich jedoch mit B. .
20
Das Landgericht hat die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke mit folgender Begründung verneint: „Es fehlt bereits am Merkmal der Arglosigkeit , denn nach den Geschehnissen innerhalb der Zeit nach der Trennung vom Angeklagten lebte die Zeugin B. in der ständigen Angst vor neuerlichen tätlichen Angriffen des Angeklagten nicht nur gegen ihre Wohnungstür, sondern auch gegen ihre Person. Es war auch zuvor zu Handgreiflichkeiten des Angeklagten ihr gegenüber gekommen. Weitere Tätlichkeiten dieser Art befürchtete die Zeugin B. insbesondere, solange ihre Wohnungstür nicht wieder so hergerichtet war, dass sie sicher von außen verschlossen werden konnte“ (UA 34).
21
Damit ist das Landgericht zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist danach, dass der Täter das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15; vom 15. September 2011 – 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35 und vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15, NStZ-RR 2016, 43, 44 mwN). Die Verneinung bereits der Arglosigkeit von B. lässt jedoch eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts durch das Schwurgericht vermissen, welches den Indizwert einer Reihe von zu Ungunsten des Angeklagten sprechender Umstände nicht in seine Erwägungen einbezogen hat:
22
Das Schwurgericht hat sich nicht näher damit auseinandergesetzt,dass B. die beiden gemeinsamen Kinder schlafen gelegt hatte. Sie ging also ersichtlich – auch als schutzbereite Person – nicht davon aus, dass ein Anschlag des Angeklagten auf das Leben der Kinder und auf ihr eigenes unmittelbar bevorstand. Zwar mag der Angeklagte der Annahme gewesen sein, dass die Kinder – dem ihm bekannten früher üblichen Tagesablauf entsprechend – erst gegen 12.00 Uhr/12.30 Uhr zu Bett gelegt werden. Er wusste jedoch , dass seine frühere Lebensgefährtin mit den beiden gemeinsamen Kin- dern sich in der durch die in die Zarge gestellte beschädigte Tür nur notdürftig geschützten Wohnung aufhielt.
23
Soweit das Landgericht auf die zuvor bereits eskalierend verlaufenen Auseinandersetzungen seit der Trennung abgestellt hat, ist dies nach dem für die Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke anzulegenden rechtlichen Maßstab kein entscheidender Gesichtspunkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atomsphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen, da es darauf ankommt, ob das Opfer gerade im Tatzeitpunkt weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem (nur) gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten (erheblichen) Angriff gerechnet hat (vgl. BGH, Urteile vom 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963; vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368 f.; vom 23. August 2000 – 3 StR 234/00, NStZ-RR 2001, 14; vom 22. Januar 2004 – 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234; vom 15. Februar 2007 – 4 StR 467/06, NStZ-RR 2007, 174 f. [Ls]; vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450 f.; vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338; vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; vom 11. November 2015 – 5 StR 259/15, NStZ-RR 2016, 72, 73; vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ 2018, 97, 98; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 StR 517/10, juris). Die Feststellungen ergeben keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeklagte sei bei der Brandlegung davon ausgegangen, B. rechne – gerade jetzt – mit einem Angriff auf ihr Leben. Dafür, dass die im Vorfeld der Tat gegenüber dritten Personen ausgesprochenen Drohungen Frau B. zur Kenntnis gelangt waren, fehlt jeder Anhalt. Das Landgericht wird daher die oben genannten weiteren Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke auf der Grundlage der bindenden Feststellungen zum Schuldspruch zu prüfen haben; ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen dürfen, sind zulässig.

III.


24
Revision des Angeklagten
25
Die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung durch das Landgericht Magdeburg ist unbegründet; die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Seine Revisionsangriffe erschöpfen sich vielmehr im Wesentlichen in einer eigenen Beweiswürdigung; hiermit kann er im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Insbesondere hat sich das Schwurgericht hinsichtlich des angenom- menen „schlagartige(n)Übergang(s) des Schadfeuers hin zur Vollbrandphase“ (UA 18) keineswegs nur auf Vermutungen gestützt.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

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(1) Wer durch eine Brandstiftung nach § 306 oder § 306a eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter in den Fällen des § 306a

1.
einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt,
2.
in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder
3.
das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Wer durch eine Brandstiftung nach § 306 oder § 306a eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter in den Fällen des § 306a

1.
einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt,
2.
in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder
3.
das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Wer durch eine Brandstiftung nach § 306 oder § 306a eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter in den Fällen des § 306a

1.
einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt,
2.
in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder
3.
das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 409/16
vom
11. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110117U5STR409.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 4. Mai 2016 wird verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten. - Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung (Fall 1 der Anklage) und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit versuchter Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel und mit Sachbeschädigung (Fall 2 der Anklage) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es (auf Grundlage der Verurteilung im Fall 2 der Anklage) dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen , seinen Führerschein eingezogen, eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass der Angeklagte im Fall 1 der Anklage nur wegen schwerer Brandstiftung verurteilt worden ist. Sie erstrebt mit ihrer insoweit beschränkten, zuungunsten des Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung und wegen tateinheitlich begangenen versuchten Mordes. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.


1. Das Landgericht hat zu Fall 1 der Anklage folgende Feststellungen ge2 troffen:
3
Aufgrund des Verlustes seines Arbeitsplatzes Ende Juli 2015 und vergeblicher Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle verlor der Angeklagte allmählich sein Selbstwertgefühl und seine Lebensenergie. Er zog sich zurück und geriet in einen Zustand sich steigernder Depressivität, den er mit Alkoholkonsum zu bewältigen suchte. Bei sich verschlechternder Stimmungslage und „damit verbundener eingeschränkter psychosozialer Funktionsfähigkeit“ wuchs in ihm die Idee, sich zu töten und zuvor seinen persönlichen Lebensraum zu vernichten. Er stellte sich vor, seine Wohnung mit seinen persönlichen Gegenständen „abzufackeln“, wie er bereits im Jahr 2005 nach einer Auseinandersetzung mit seinem damaligen Arbeitgeber einen „Haufen persönlicher Dinge“ in seiner damaligen Betriebsunterkunft in Brand gesetzt hatte; zu einem Strafverfahren war es seinerzeit nicht gekommen.
4
In Umsetzung seines Plans erwarb der Angeklagte 20 Liter Benzin, die er in einem Kanister im Kofferraum seines Pkw‘s lagerte. Im weiteren Tagesverlauf trank er in seiner Wohnung größere Mengen Alkohol und schlief ein. Als er am Abend erwachte, begann er erneut, über eine Sinnlosigkeit des Lebens zu grübeln. Er entschloss sich, seinen Plan zur Inbrandsetzung seiner im Erdgeschoss eines zweigeschossigen Wohnhauses gelegenen Wohnung und zur anschließenden Selbsttötung zu realisieren. Zu diesem Zeitpunkt und auch später bei der Tatbegehung, war er aufgrund seiner psychischen Verfassung und der sie verstärkenden Wirkung des Alkohols (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,07 ‰) in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
5
Er holte den Benzinkanister. Weil er aus der Nachbarwohnung im Erdgeschoss die Geräusche eines laufenden Fernsehgeräts hörte, wartete er das Abschalten des Geräts ab. Er wollte sicher sein, dass sein Nachbar eingeschlafen war, weil er fürchtete, dass es bei einem zu schnellen Herbeirufen der Feuerwehr durch diesen nicht mehr zum vollständigen Ausbrennen seiner Wohnung kommen werde. Dagegen machte er sich keine Gedanken darüber, dass als Folge seiner Brandlegung der Hausnachbar oder Erdgeschossbewohner des unmittelbar („Wand-an-Wand“) angrenzenden Nachbarhauses körperlich zu Schaden oder gar zu Tode kommen könnte.
6
Er stapelte Kleidungsstücke und sonstigen brennbaren Inhalt seiner Schränke auf einer Couch und kippte den Inhalt des Benzinkanisters darüber aus. Gegen 2:30 Uhr zündete er die benzingetränkte Couch an und verließ das Haus. Wie von ihm erwartet brannte seine Wohnung samt Inventar aus. Über das Treppenhaus verbreitete sich das Feuer in das obere Dachgeschoss und setzte den Dachstuhl in Brand. Von dort griff es auf den Dachstuhl des zweigeschossigen Nachbarhauses über, bevor die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle bringen und löschen konnte.
Die Dachgeschosswohnungen beider Häuser waren zur Tatzeit nicht
7
bewohnt. Aufgrund der mit der Brandausbreitung verbundenen Geräusche wurden sowohl der noch wach im Bett liegende Wohnungsnachbar als auch eine im Erdgeschoss des Nachbarhauses schlafende Anwohnerin aufgeschreckt, die dort mit ihrer betagten und schwerbehinderten Mutter wohnte. Deswegen konnten alle Bewohner der beiden Häuser ihre Wohnungen, teilweise über einen weiteren zur Hofseite gelegenen Ausgang, rechtzeitig verlassen und sich in Sicherheit bringen.
8
Der Angeklagte fuhr nach der Brandlegung in seinem Pkw umher. Nachdem er sich vom Erfolg der Inbrandsetzung seiner Wohnung überzeugt hatte, wollte er nunmehr seinem Leben ein Ende setzen. Hierzu wollte er – was den Gegenstand der in Rechtskraft erwachsenen Verurteilung im Fall 2 der Anklage bildet – einen Frontalzusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug herbeiführen. Als er ein ihm mit eingeschaltetem Sondersignal entgegenkommendes Polizeifahrzeug bemerkte, steuerte er seinen Pkw auf die Gegenfahrbahn. Die Kollision konnte jedoch durch eine geistesgegenwärtige Reaktion des Polizeibeamten gerade noch verhindert werden.
9
2. Die Schwurgerichtskammer hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen angenommen, der Angeklagte habe sich zur Tatzeit in einer durch zunehmende Angst, Depression, Anspannung und Gekränktheit gekennzeichneten besonderen psychischen Lage befunden. Diese habe zu einer kognitiv-emotionalen Einengung geführt und in Verbindung mit der enthemmenden Wirkung des Alkohols einen Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet.
10
Sie hat das Verhalten des Angeklagten als schwere Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der Tatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB sei nicht erfüllt, weil keine konkrete Gefahr für das Leben eines anderen Menschen bestanden habe.
Eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 22, 23 StGB
11
hat das Landgericht verneint, weil nicht sicher feststellbar gewesen sei, dass der Angeklagte in dem Bewusstsein gehandelt habe, Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung oder des Todes zu bringen. Zwar müsse ein Täter, der unter Verwendung einer großen Menge Brandbeschleuniger seine in einem Mehrfamilienhaus liegende Wohnung in Brand setze, „unter normalen Umständen“ davon ausgehen, dass das Feuer auf andere Teile des Hauses übergreife und dort wohnende Menschen in Todesgefahr bringe. Dieser „Erfahrungssatz“ sei hier aber ausnahmsweise nicht gültig. Denn der Angeklagte habe nach dem plausiblen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen angesichts der massiven gedanklichen Einengung, Ich-Bezogenheit und Emotionalität , in die ihn die depressive Grundstimmung verbunden mit dem Selbsttötungsentschluss gebracht habe, das Schicksal seiner Nachbarn aus seinen Überlegungen möglicherweise vollständig ausgeblendet. Dies habe eine Bestätigung im Verhalten bei der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gefunden , als er sich nach einem Hinweis des Vernehmungsbeamten auf mögliche Folgen seiner Brandlegung für Nachbarn völlig überrascht gezeigt habe.

II.


Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt keinen Rechtsfehler auf.
12
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tötungsvorsatz hält ein13 gedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401; vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64) sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung
14
des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR558/11, BGHSt 57, 183, 186, und vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 mwN). Allerdings können im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist. Ein mögliches Fehlen des Wissenselements hat der Bundesgerichtshof gerade auch in Fällen anerkannt, in denen der Täter seine lebensgefährlichen Handlungen, mit denen er Dritte tötete oder in Todesgefahr brachte, in (prä-) suizidaler Situation ohne feindselige Gesinnung gegenüber den Gefährdeten vorgenommen hat (vgl. BGH, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 53, und vom 12. Juni 2008 – 4 StR 78/08, NStZ-RR 2008, 309, 310; Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1).
15
b) Zwar hat die Schwurgerichtskammer die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, insgesamt nur relativ knapp erörtert. Sie hat in ihre Betrachtung jedoch die wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und insbesondere die Gefährlichkeit der Tathandlung nicht aus den Augen verloren. Auch die Revision zeigt mit ihrer Wiederholung der Feststellungen, die sie lediglich einer eigenen Wertung unterzieht, keinen Aspekt auf, den das Landgericht übersehen haben könnte.
16
Soweit die Beschwerdeführerin einen Widerspruch darin zu erkennen meint, dass das Landgericht hinsichtlich des unmittelbar nachfolgenden Tatgeschehens im Fall 2 der Anklage trotz derselben psychischen Verfassung des Angeklagten einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen habe, ist dies in der Beweiswürdigung nachvollziehbar begründet worden. Danach war es zwangsläufige Folge des Suizidplans des Angeklagten, dass wegen der Einheitlichkeit des Kollisionsvorgangs auch die Insassen des entgegenkommenden Fahrzeugs zu Tode kommen konnten (sogenanntes Mitbewusstsein, vgl. etwa LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 137 f. mwN). Entgegen der Auffassung der Revision ging daher nicht „unzweifelhaft“ von beiden Handlungen „gleichermaßen“ massives Gefährdungspotential aus. Zudem hat das Landgericht in seine Beweiswürdigung auch die Äußerungen des Angeklagten unmittelbar nach seiner Festnahme einbezogen. Ihnen ist zu entnehmen, dass er – anders als bezüglich möglicher Folgen der Brandlegung – die vom beabsichtigten Frontalzusammenstoß ausgehende Fremdgefährdung erkannt und hingenommen hatte (UA S. 21). Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
17
2. Die Schwurgerichtskammer hat den Angeklagten zu Recht auch nicht wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt.
18
a) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Hierzu muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben. Die Sicherheit einer bestimmten Person muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträg- lichen Prognose zu beurteilen ist – so stark beeinträchtigt worden sein, dass der Eintritt der Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhing. Allein der Umstand , dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden , genügt dabei noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr in diesem Sinne (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 4 StR 401/13, BGHR StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1 Todesgefahr, konkrete 1, mwN).
19
b) Auf Grundlage der von der Schwurgerichtskammer getroffenen Feststellungen war noch keine konkrete Todesgefahr eingetreten, als die Bewohner der Nachbarwohnung bzw. des Nachbarhauses wegen der Geräuschentwicklung auf den Brand aufmerksam wurden. So verblieb dem unmittelbaren Nachbarn Zeit, seine Wohnung zu verlassen, um die Geräuschquelle herauszufinden und vom Hausflur aus den Brand festzustellen. Anschließend vermochte er die Feuerwehr zu verständigen, bevor er das Haus verließ. Die ebenerdigen Fluchtwege aus seiner Wohnung und der Erdgeschosswohnung des Nachbarhauses , auf denen sich sämtliche gefährdeten Hausbewohner eigenständig in Sicherheit bringen konnten, waren durch den Brand noch nicht beeinträchtigt. Die Revision verkennt mit ihren Ausführungen zu einer „unmittelbaren Notsitua- tion für die im Haus verbliebenen Bewohner“, dass die Feststellungen zum Ausmaß des Feuers und der Brandschäden nicht die Gefahrenlage in dem Zeitpunkt beschreiben, in dem die Nachbarn die Häuser verließen. Vielmehr betreffen sie die spätere Entwicklung des Brandes und dessen Folgen.
20
Soweit die Beschwerdeführerin eine Lückenhaftigkeit der Feststellungen bemängelt im Hinblick auf die Bauweise des Hauses und in Bezug auf die Frage , wie stark sich dort Rauch entwickelt und der Brand in der Wohnung des Angeklagten sich ausgebreitet hatte, als der Nachbar den Hausflur betrat, ist eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden.
Mutzbauer Dölp König Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 401/13
vom
23. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. Mai 2013 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung und mit schwerer Brandstiftung sowie der Brandstiftung in vier Fällen schuldig ist. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und wegen Brandstiftung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und neun Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs im Fall II. 5 der Urteilsgründe, im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen zu Fall II. 5 der Urteilsgründe verließ der Angeklagte am 24. Oktober 2012 gegen 23.00 Uhr angetrunken und in aggressiver Stimmung seinen Arbeitsplatz in einem Getränkezelt auf der H. - Kirmes in P. und begab sich zu Fuß über den hell erleuchteten M. zu der Jugendherberge, in der er übernachtete. Er entschloss sich, ein in einem speziell für Wohnmobile gekennzeichneten Bereich des Parkplatzes abgestelltes Wohnmobil anzuzünden, um seine Aggressionen abzubauen, wobei er damit rechnete, dass in dem Wohnmobil Menschen schliefen, die durch Rauchgase oder Flammen zu Tode kommen könnten. Er hielt mindestens 30 Sekunden lang eine offene Feuerquelle an eine Stelle im Bereich des hinteren rechten Radkastens nahe der links oberhalb gelegenen Schlafkabine, bis die Kunststoffverkleidung des Radkastens in Brand geriet und selbständig weiterbrannte. Im Schlafbereich des Wohnmobils schliefen zu dieser Zeit der Besitzer des Wohnmobils, H. und seine Lebensgefährtin L. . Aufgrund der Rauchentwicklung und des penetranten Geruchs erwachte H. gegen 1.30 Uhr. Weil sich der unangenehme Geruch intensivierte, stand er auf und öffnete die Eingangstür, um dessen Ursache zu ergründen. Dabei stellte er fest, dass die Außenverkleidung des Wohnmobils brannte und die Flammen schon bis zum Dach schlugen. H. weckte seine Lebensgefährtin; beiden gelang es, mit einer Decke und Wasser aus dem Kühlschrank die Flammen nach etwa fünf Minuten zu ersticken. Ohne das Löschen des Feuers wäre es in einer viertel bis einer halben Stunde zu einem Vollbrand des Wohnmobils gekommen.
3
2. Die Feststellungen belegen die Vollendung einer besonders schweren Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht.
4
a) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Wann eine solche Gefahr gegeben ist, entzieht sich exakter wissenschaftlicher Umschreibung (BGH, Beschluss vom 15. Februar 1963 – 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271, 272). Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 25. Oktober 1984 – 4 StR 567/84, NStZ 1985, 263 mit Anm. Geppert und vom 15. September 1998 – 1 StR 290/98, NStZ 1999, 32, 33; Wolff in LK-StGB, 12. Aufl., § 306a Rn. 29; Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., Vorbem. §§ 306 ff. Rn. 5/6). Allein der Umstand, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete noch in Sicherheit bringen konnte. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass "das noch einmal gut gegangen sei".
5
b) Dass das in Brand setzen des Wohnmobils bereits zu einer konkreten Gefahr in diesem Sinne geführt hat, lässt sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht hinreichend entnehmen. Der Geschädigte H. ist durch den Brandgeruch frühzeitig erwacht. Beide Geschädigten konnten den Brand der Außenverkleidung mit 1,5 Liter Wasser und einer Decke innerhalb von fünf Minuten löschen. Zu einem Vollbrand des Wohnmobils wäre es erst nach einer viertel bis einer halben Stunde gekommen. Zwar lag der Brandherd zwischen der Schlafkabine und der Außentür des Wohnmobils, so dass den Insassen bei einer Fortentwicklung der Flammen der Fluchtweg abgeschnitten gewesen wäre, doch hat das Landgericht zum Zeitpunkt des zu erwartenden Wegfalls der Fluchtmöglichkeit keine näheren Feststellungen getroffen. Solche sind auch nicht in einer neuen Hauptverhandlung zu erwarten. Angesichts dieser Umstände bestand zwar eine abstrakte, aber noch keine konkrete Todesgefahr für die Geschädigten.
6
c) Nach den Feststellungen liegt aber ein Versuch der besonders schweren Brandstiftung vor. Der Angeklagte rechnete damit, dass in dem Wohnmobil Menschen schliefen, die durch die sich entwickelnden Rauchgase und Flammen zu Tode kommen könnten. Den Eintritt der Todesgefahr hatte er billigend in Kauf genommen. In Tateinheit mit dem Versuch der besonders schweren Brandstiftung steht die vollendete schwere Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000 – 1 StR 438/00, NJW 2001, 765, 766; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 78/08, NStZ-RR 2008, 309; vgl. auch BGH, Beschluss vom 31. August 2004 – 1 StR 347/04, NStZ-RR 2004, 367 zum Konkurrenzverhältnis von §§ 306c und 306a; Wolff, aaO, § 306b Rn. 34).
7
Der Senat hat den Schuldspruch aus verfahrensökonomischen Gründen selbst geändert. Er hat außerdem im Schuldspruch zum Ausdruck gebracht, dass sich der – rechtsfehlerfrei festgestellte – versuchte Mord gegen zwei Tatopfer gerichtet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 26).
8
d) Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter bei zutreffendem Schuldspruch auf eine mildere Strafe erkannt hätte. Die Strafkammer hat die Strafe im Fall II. 5 der Urteilsgründe dem doppelt gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB entnommen, der hinsichtlich der Strafuntergrenze derjenigen des doppelt gemilderten Strafrahmens des § 306b Abs. 2 StGB entspricht. Der von der Strafkammer berücksichtigte Strafschärfungsgrund der tateinheitlichen Verwirklichung von zwei Straftatbeständen liegt auch nach der Schuldspruchänderung vor.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
RiBGH Dr. Quentin ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Beifügung der Unterschrift gehindert. Mutzbauer Sost-Scheible

(1) Wer im Straßenverkehr

1.
ein Fahrzeug führt, obwohl er
a)
infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder
b)
infolge geistiger oder körperlicher Mängel
nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder
2.
grob verkehrswidrig und rücksichtslos
a)
die Vorfahrt nicht beachtet,
b)
falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,
c)
an Fußgängerüberwegen falsch fährt,
d)
an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,
e)
an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,
f)
auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder
g)
haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
die Gefahr fahrlässig verursacht oder
2.
fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer durch eine Brandstiftung nach § 306 oder § 306a eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter in den Fällen des § 306a

1.
einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt,
2.
in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder
3.
das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Wer durch eine Brandstiftung nach § 306 oder § 306a eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter in den Fällen des § 306a

1.
einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt,
2.
in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder
3.
das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 401/13
vom
23. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. Mai 2013 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung und mit schwerer Brandstiftung sowie der Brandstiftung in vier Fällen schuldig ist. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und wegen Brandstiftung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und neun Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs im Fall II. 5 der Urteilsgründe, im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen zu Fall II. 5 der Urteilsgründe verließ der Angeklagte am 24. Oktober 2012 gegen 23.00 Uhr angetrunken und in aggressiver Stimmung seinen Arbeitsplatz in einem Getränkezelt auf der H. - Kirmes in P. und begab sich zu Fuß über den hell erleuchteten M. zu der Jugendherberge, in der er übernachtete. Er entschloss sich, ein in einem speziell für Wohnmobile gekennzeichneten Bereich des Parkplatzes abgestelltes Wohnmobil anzuzünden, um seine Aggressionen abzubauen, wobei er damit rechnete, dass in dem Wohnmobil Menschen schliefen, die durch Rauchgase oder Flammen zu Tode kommen könnten. Er hielt mindestens 30 Sekunden lang eine offene Feuerquelle an eine Stelle im Bereich des hinteren rechten Radkastens nahe der links oberhalb gelegenen Schlafkabine, bis die Kunststoffverkleidung des Radkastens in Brand geriet und selbständig weiterbrannte. Im Schlafbereich des Wohnmobils schliefen zu dieser Zeit der Besitzer des Wohnmobils, H. und seine Lebensgefährtin L. . Aufgrund der Rauchentwicklung und des penetranten Geruchs erwachte H. gegen 1.30 Uhr. Weil sich der unangenehme Geruch intensivierte, stand er auf und öffnete die Eingangstür, um dessen Ursache zu ergründen. Dabei stellte er fest, dass die Außenverkleidung des Wohnmobils brannte und die Flammen schon bis zum Dach schlugen. H. weckte seine Lebensgefährtin; beiden gelang es, mit einer Decke und Wasser aus dem Kühlschrank die Flammen nach etwa fünf Minuten zu ersticken. Ohne das Löschen des Feuers wäre es in einer viertel bis einer halben Stunde zu einem Vollbrand des Wohnmobils gekommen.
3
2. Die Feststellungen belegen die Vollendung einer besonders schweren Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht.
4
a) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Wann eine solche Gefahr gegeben ist, entzieht sich exakter wissenschaftlicher Umschreibung (BGH, Beschluss vom 15. Februar 1963 – 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271, 272). Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 25. Oktober 1984 – 4 StR 567/84, NStZ 1985, 263 mit Anm. Geppert und vom 15. September 1998 – 1 StR 290/98, NStZ 1999, 32, 33; Wolff in LK-StGB, 12. Aufl., § 306a Rn. 29; Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., Vorbem. §§ 306 ff. Rn. 5/6). Allein der Umstand, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete noch in Sicherheit bringen konnte. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass "das noch einmal gut gegangen sei".
5
b) Dass das in Brand setzen des Wohnmobils bereits zu einer konkreten Gefahr in diesem Sinne geführt hat, lässt sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht hinreichend entnehmen. Der Geschädigte H. ist durch den Brandgeruch frühzeitig erwacht. Beide Geschädigten konnten den Brand der Außenverkleidung mit 1,5 Liter Wasser und einer Decke innerhalb von fünf Minuten löschen. Zu einem Vollbrand des Wohnmobils wäre es erst nach einer viertel bis einer halben Stunde gekommen. Zwar lag der Brandherd zwischen der Schlafkabine und der Außentür des Wohnmobils, so dass den Insassen bei einer Fortentwicklung der Flammen der Fluchtweg abgeschnitten gewesen wäre, doch hat das Landgericht zum Zeitpunkt des zu erwartenden Wegfalls der Fluchtmöglichkeit keine näheren Feststellungen getroffen. Solche sind auch nicht in einer neuen Hauptverhandlung zu erwarten. Angesichts dieser Umstände bestand zwar eine abstrakte, aber noch keine konkrete Todesgefahr für die Geschädigten.
6
c) Nach den Feststellungen liegt aber ein Versuch der besonders schweren Brandstiftung vor. Der Angeklagte rechnete damit, dass in dem Wohnmobil Menschen schliefen, die durch die sich entwickelnden Rauchgase und Flammen zu Tode kommen könnten. Den Eintritt der Todesgefahr hatte er billigend in Kauf genommen. In Tateinheit mit dem Versuch der besonders schweren Brandstiftung steht die vollendete schwere Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000 – 1 StR 438/00, NJW 2001, 765, 766; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 78/08, NStZ-RR 2008, 309; vgl. auch BGH, Beschluss vom 31. August 2004 – 1 StR 347/04, NStZ-RR 2004, 367 zum Konkurrenzverhältnis von §§ 306c und 306a; Wolff, aaO, § 306b Rn. 34).
7
Der Senat hat den Schuldspruch aus verfahrensökonomischen Gründen selbst geändert. Er hat außerdem im Schuldspruch zum Ausdruck gebracht, dass sich der – rechtsfehlerfrei festgestellte – versuchte Mord gegen zwei Tatopfer gerichtet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 26).
8
d) Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter bei zutreffendem Schuldspruch auf eine mildere Strafe erkannt hätte. Die Strafkammer hat die Strafe im Fall II. 5 der Urteilsgründe dem doppelt gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB entnommen, der hinsichtlich der Strafuntergrenze derjenigen des doppelt gemilderten Strafrahmens des § 306b Abs. 2 StGB entspricht. Der von der Strafkammer berücksichtigte Strafschärfungsgrund der tateinheitlichen Verwirklichung von zwei Straftatbeständen liegt auch nach der Schuldspruchänderung vor.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
RiBGH Dr. Quentin ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Beifügung der Unterschrift gehindert. Mutzbauer Sost-Scheible

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

(1) Wer durch eine Brandstiftung nach § 306 oder § 306a eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter in den Fällen des § 306a

1.
einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt,
2.
in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken oder
3.
das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 223/11
vom
15. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Februar 2011 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der Fußballweltmeisterschaft in einem Lokal in Hannover mit dem L.
und dem S. in Streit, wobei er fälschlich bestritt, dass Italien bereits viermal Fußballweltmeister geworden war. Nach einer Rempelei mit L. begab sich der Angeklagte nach Hause, nahm eine mit sechs Patronen geladene Pistole Makarov, Kaliber 9 mm, an sich und kehrte in das Lokal zurück. Dort trat er auf den hinter S. am Tresen sitzenden L. zu. Als dieser aufstehen wollte, nahm der Angeklagte die Waffe aus einer Plastiktüte, hielt sie mit den Worten "Da hast Du Deine vier Sterne" dem völlig überraschten und unvorbereiteten L. an die Stirn und erschoss ihn. Daraufhin wandte sich S. dem Angeklagten zu und bat diesen sinngemäß mit den Worten "nein, nicht", ihn zu verschonen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den S. ebenfalls zu töten, richtete die Waffe auf ihn und gab aus nächster Nähe zwei Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen S. verstarb. Motiv für die Tötung beider Opfer war die Verärgerung des Angeklagten über den Streit betreffend die Anzahl der Fußballweltmeistertitel sowie darüber, nicht Recht gehabt zu haben und in der Auseinandersetzung unterlegen gewesen zu sein. Nach der Tat flüchtete der Angeklagte nach Spanien, stellte sich dort aber der Polizei.
3
Das Landgericht hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L. hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S. hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit bestehenden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; aus diesen hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten gebildet.
4
2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt - auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision - aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
5
a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezüglich der Tötung des S. zutreffend das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 16. Juni 1999 - 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 6. April 2005 - 5 StR 22/05, NStZ-RR 2005, 201, 202; vom 13. Juli 2005 - 2 StR 236/05, NStZ-RR 2005, 309; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 250/05, NStZ-RR 2006, 10). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs "Angriff". Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
6
Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S. zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt , indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; Urteil vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorangegangen heimtückischen Tötung des L. genügt hierfür nicht.
7
b) Die weiteren Einwände der Revision gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts dringen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat insbesondere sorgfältig begründet, warum es bei der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafen die Milderungsmöglichkeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genutzt hat. Es hat seine Entscheidung ohne Rechtsfehler an den Maßstäben ausgerichtet, welche die Rechtsprechung für die Strafmilderung bei mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Kapitaldelikten entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1996 - 2 StR 650/95, NStZ-RR 1996, 161, 162; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98, NStZ-RR 1999, 295; Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18), und die maßgebenden, sich aus den Feststellungen ergebenden Gesichtspunkte in seine Bewertung einbezogen. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Besorgnis, die Strafkammer habe konkrete schulderhöhende Tatumstände aus dem Blick verloren.
8
Soweit die Revision meint, die Strafkammer habe auch das Wissen des Angeklagten von seiner Gefährlichkeit unter Alkoholeinfluss berücksichtigen müssen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den allein maßgebenden Urteilsgründen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte in erheblichem Maße Alkohol zu sich nahm, obwohl er wusste, dass er in trunkenem Zustand dazu neigt, schwere, mit den abgeurteilten Straftaten vergleichbare Straftaten zu begehen. Festgestellt ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H. , denen die Strafkammer folgt, vielmehr lediglich, dass der 43 Jahre alte, bislang unbestrafte Angeklagte sich vor allem bei Themen , die mit Fußball im Zusammenhang stehen, und vorwiegend in alkoholisiertem Zustand "rechthaberisch" zeige. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang im Übrigen zutreffend in die Bewertung eingestellt, dass der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie seiner Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen nicht in der Lage war, die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu vermeiden. Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 349/15
vom
25. November 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:251115U1STR349.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November 2015, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten H. S. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger der Angeklagten M. S. , Rechtsanwältin - in der Verhandlung - und Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten K. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - und Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten G. , die Nebenklägerin A. - persönlich -, Rechtsanwältin - in der Verhandlung - als Vertreterin der Nebenklägerin A. , Justizangestellte - in der Verhandlung -, Justizangestellte - in der Verkündung - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 13. Februar 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten G. und K. wegen Totschlags , versuchter gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte M. S. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung und Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, der Angeklagte H. S. wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung und Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung unter Einbeziehung mehrerer Geldstrafen aus Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Dagegen wenden sich die zu Lasten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden. Mit der Sachrüge beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verneinung der Mordmerkmale Heimtücke und Habgier durch das Landgericht, ebenso des Mordmerkmals „zur Verdeckung einer Straftat“, und erstrebt eine Verurteilung der Angeklagten G. und K. wegen Mordes sowie wegen Raubes mit Todesfolge, hinsichtlich der Angeklagten S. wegen Beteiligung hieran. Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die Angeklagten H. S. und M. S. hatten 1992 geheiratet, lebten jedoch seit 2007 getrennt und hatten sich 2013 wieder einander angenähert. Spätestens im November 2013 fassten sie den Entschluss, dass der Geschädigte R. mit dem die Angeklagte M. S. spätestens im April 2013 eine Beziehung eingegangen und im Mai 2013 bei ihm eingezogen war, eine „Abreibung“ erhalten sollte, weil er der Angeklagten nicht mehr die vereinbarten finanziellen Mittel für die Miete einer Gaststätte überließ. Durch die „Abreibung“ sollte der Geschädigte zugleich derart verletzt werden, dass er für einige Tage nicht mehr in der Lage sein würde, die Mieten bei den Prostituierten des von ihm geführten Bordellbetriebs einzukassieren, sodass dies an seiner Stelle die Angeklagte M. S. übernehmen und sie damit Klarheit über die Höhe der monatlichen Einnahmen des Geschädigten erhalten könnte. Nach zahlreichen Gesprächen konnten die beiden die Angeklagten G. und K. , jeweils Mitglieder eines Motorradclubs, zu der Ausführung der geplanten „Abreibung“ überreden, wobei vereinbart wurde, dass K. und G. den Geschädigten abends vor dem Bordellbetrieb überfallen sollten, wenn dieser die Mieten von den Prostituierten kassieren würde, wie er es regelmäßig mittwochs machte. Nachdem dieser Überfall gescheitert war, weil ein Pizzaauslieferer hinzukam, als der Geschädigte das Bordell verließ und der Geschädigte unbehelligt wegfahren konnte, fassten die vier Angeklagten nun den neuen Plan, den Geschädigten in seinem Anwesen im Schlaf zu überraschen und zu verletzen. Um sicherzustellen, dass er sich zu Hause aufhielt, rief die Angeklagte M. S. den Geschädigten auf der Festnetznummer an und empfahl ihm, gegen seine Erkältung das Medikament Wick MediNait zu nehmen und sich schlafen zu legen. Anschließend übergab sie den Hausschlüssel an die Angeklagten G. und K. . Mit diesem Schlüssel schlossen diese die Haustür auf, begaben sich in den Flur und versetzten dem Geschädigten, welcher zuvor bereits im Bett gelegen hatte und nun wieder aufgestanden und in den Flur gegangen war, einen Schlag. Nachdem der Geschädigte darauf hin ins Wohnzimmer gegangen war, misshandelten sie ihn dort mit Schlägen in den Kopf- und Gesichtsbereich sowie, nachdem er zu Boden gegangen war, mit Tritten und weiteren Schlägen gegen Kopf und Oberkörper derart, dass er spätestens nach 15 bis 20 Minuten verstarb.
5
Die Angeklagten G. und K. , welche bei ihrem Vorgehen den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahmen, fassten nun den Tatentschluss , das im Geldbeutel des zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Geschädigten befindliche Bargeld in Höhe von rund 550 € mitzunehmen, um dieses für sich zu behalten.
6
2. Die Angeklagte M. S. hat sich dahin eingelassen, dass sie nie gewollt habe, dass der Geschädigte R. zu Tode komme. Sie sei damit einverstanden gewesen, dass man ihm beispielsweise „Verstauchungen“ an Armen und Beinen zufüge, damit er ein paar Tage ausfalle. Es sollte so aussehen wie ein Überfall. Mit den Angeklagten G. und K. sei nie darüber gesprochen worden, dass sie für die Ausführung der Tat Geld bekommen sollten. Während die Angeklagte M. S. eine Tatbeteiligung ihres Ehemannes abstritt, gaben G. und K. an, dass dieser sie mehrfach aufgefordert habe, dem Geschädigten R. eine „Abreibung“ zu verpassen, und er sie zudem mit seiner Äußerung provoziert habe, dass er andernfalls die Hells Angels beauftragen werde; zudem habe er gegenüber G. geäußert, dass dieser „keine Eier in der Hose“ habe.
7
3. Das Landgericht hat hinsichtlich der Angeklagten G. und K. das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen , insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Dabei ist die Kammer davon ausgegangen, dass der bedingte Tötungsvorsatz erst dann gefasst wurde, als G. und K. auf den bereits wehrlos am Boden liegenden R. einschlugen und eintraten. Zuvor habe dieser nach dem ersten Schlag im Flur jedoch noch die Möglichkeit gehabt, im Wohnzimmer durch die Terrassentür nach draußen zu fliehen. Nachdem er diese Möglichkeit nicht genutzt habe, sei er aber nicht mehr arglos gewesen. Die Mordmerkmale Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat lehnte die Strafkammer deshalb ab, weil sie nicht festzustellen vermochte, dass es den Angeklagten K. und G. schon bei den Schlägen um die Erlangung des Geldes ging.

II.


8
Die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Allein ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sein (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13).
10
Nach diesen Maßstäben hält die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
Die Beweiswürdigung zum angenommenen Wechsel vom Körperverletzungs - hin zum Tötungsvorsatz der Angeklagten K. und G. ist lückenhaft , weil sie eine nach der Beweislage und den Umständen des Einzelfalls wesentliche Feststellung, die Annahme, dass der bedingte Tötungsvorsatz erst dann gefasst wurde, als G. und K. auf den bereits wehrlos am Boden liegenden R. einschlugen und eintraten, nicht belegt. Für eine solche Feststellung ergeben sich weder Anhaltspunkte im tatsächlichen Geschehen noch aus den Einlassungen der Angeklagten.
12
Nach den Feststellungen lag der Geschädigte R. , als die Angeklagten mit dem ihnen von der Mitangeklagten M. S. übergebenen Hausschlüssel das Haus betraten, im Bett und rechnete mit keinem Angriff. Zudem hatte er auf Rat der Mitangeklagten M. S. , was die Angeklagten G. und K. wussten und auch ausnutzen wollten, das auch bei bestimmungsgemäßen Gebrauch das Reaktionsvermögen beeinträchtigende und zu Müdigkeit führende Arzneimittel Wick MediNait eingenommen. Als er aus nicht näher festgestellten Gründen aufgestanden und in den Flur gegangen war, erhielt er ohne Vorwarnung einen ersten Schlag durch den Angeklagten K. . Beide Angeklagten haben diesbezüglich ein dynamisches Geschehen geschildert, beginnend mit dem ersten Schlag im dunklen Flur der Wohnung durch K. . Die Schläge hätten sich dann im Wohnbereich fortgesetzt, in den der Geschädigte einige Schritte zurückgewichen war. Dann sei es zu weiteren Schlägen und Tritten gegen Kopf und Oberkörper des inzwischen zu Boden gegangenen Geschädigten gekommen, welche letztlich tödlich waren. Diese Einlassungen zu Grunde gelegt sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Angeklagten nicht schon bei ihren ersten Schlägen gegen das in seiner Reaktion eingeschränkte Opfer dessen Tod als Folge der Schläge und Tritte zumindest billigend in Kauf nahmen.
13
2. Des Weiteren sind die Erwägungen des Schwurgerichts zur Beweiswürdigung auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil es den Sachverhalt nicht widerspruchsfrei gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewusstes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch die Angeklagten K. und G. verneint hat.
14
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGH, Urteile vom 20. Oktober 1993 - 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368 und vom 26. November 1986 - 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3 und vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.
15
Soweit die Angeklagten bereits mit den ersten Schlägen auf das überrumpelte Opfer dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahmen, liegt die Annahme der bewussten Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit nahe. Aus dem Bett kommend und durch das Medikament zumindest teilweise sediert gab es für den überraschten älteren Mann keine ersichtliche Chance, den teilweise erheblich jüngeren und angriffsbereiten Tätern zu entkommen, wie sich nachfolgend auch gezeigt hat. Jedenfalls der Umstand aus Überraschung und der Sedierung auf Seiten des Opfers war den Angeklagten K. und G. bewusst.
16
b) Aber auch unter Zugrundelegung der Feststellungen des Landgerichts sind dessen Erwägungen rechtsfehlerhaft, weil es den festgestellten Sachver- halt nicht widerspruchsfrei gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewusstes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch die AngeklagtenK. und G. verneint hat.
17
Heimtückisch tötet auch, wer sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (BGH, Urteile vom 30. August 2012 - 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338; vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 693 und vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11, Rn. 20; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; Urteile vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503 und vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 3).
18
An diesen Maßstäben gemessen würde die Ablehnung heimtückischer Tatbegehung rechtlicher Nachprüfung auch unter Berücksichtigung der nicht rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts nicht standhalten. Als nach diesen Feststellungen der sich keines Angriffs versehende Geschädigte vom Bett aufgestanden und in den Flur gegangen war, erhielt er ohne Vorwarnung einen ersten Schlag durch den Angeklagten K. . Angesichts dessen erscheinen die weiteren Feststellungen des Landgerichts, der Geschädigte R. hätte danach auf seinem Weg durch den Ess- und Wohnzimmerbereich die etwa neun Meter entfernte Terrassentür öffnen und ins Freie fliehen können, nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hat keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass der Geschädigte in seiner damaligen Verfassung überhaupt in der Lage war, auf der kurzen Strecke ins Wohnzimmer gegenüber den erheblich jüngeren Angeklagten einen solchen Vorsprung zu erlangen, um dann noch rechtzei- tig die Terrassentür nach innen öffnen zu können. Die Strafkammer hat diesbezüglich auch den sich ergebenden Widerspruch zur Einlassung des Angeklagten K. nicht aufgeklärt, wonach der Geschädigte R. nach dem ersten Schlag ein paar Schritte zurück gegangen und dann irgendwo zu Boden gefallen sei (UA S. 42) und an dieser Stelle dann die weiteren Schläge und Tritte erfolgten. Danach wäre ihm schon deswegen eine Flucht gar nicht möglich gewesen. Jedenfalls aber vermochte er sich aufgrund der Kürze der ihm verbleibenden Reaktionszeit den ihm nachsetzenden Angeklagten nicht mehr zu entziehen oder irgendwelche wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese hilflose Situation hielt an, als die Täter den nach weiteren Schlägen bereits am Boden liegenden, weiterhin wehrlosen Geschädigten nunmehr mit Tötungsvorsatz mehrfach gegen Kopf und Oberkörper traten und schlugen, was dann auch zum Tode führte.
19
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zudem auch deshalb lückenhaft und widersprüchlich, weil es allein auf die Einlassung der beiden Angeklagten K. und G. die Feststellung stützte, diese hätten erst nach dem Ende der Tritte und Schläge gegen den nun schwerverletzten und kurz vor seinem Tod stehenden Geschädigten R. spontan den Tatentschluss gefasst, im Schlafzimmer nach dem Geldbeutel des Geschädigten zu suchen und diesem dann rund 550 € entnommen, um dieses Geld für sich zu behalten. Hierbei hat sich das Schwurgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass ausdrücklich der Mittwoch als Zeitpunkt für den Angriff gegen den Geschädigten gewählt wurde, an dem er regelmäßig die Mitarbeiterinnen seines Bordellbetriebs abkassierte und danach über Bargeld verfügte. Außerdem sollte nach den Einlassungen aller Angeklagten ein Überfall vorgetäuscht werden, so dass kein Verdacht auf die Mitangeklagten S. fallen konnte. Um einen solchen Eindruck zu erwecken, war es fast zwingend erforderlich, dass es im Rahmen eines solchen „Überfalls“ zur Wegnahme von Wertgegenständen oder von Geld kommen musste. Auch mit diesem aus den Feststellungen sich ergebenden Widerspruch hat sich das Landgericht nicht befasst. Zudem hat sich die Schwurgerichtskammer auch nicht damit auseinandergesetzt , weshalb die Angeklagten nach dem Ende der Tätlichkeiten gegen den Geschädigten ins Schlafzimmer gingen, nachdem sie schon zuvor geplant hatten , in der Wohnung nach dem vom Geschädigten abends eingezogenen Geld zu suchen.

III.


20
Rechtsfehlerhaft und lückenhaft sind auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung hinsichtlich der Angeklagten H. und M. S. .
21
1. Insbesondere hat die Strafkammer nicht in den Blick genommen, dass nach dem Fehlschlag des Überfalls am Abend im Hof des Bordellbetriebsdie Angeklagten K. und G. von den Mitangeklagten S. dazu gedrängt wurden, in Abweichung von dem bisherigen Tatplan den Geschädigten nachts zu Hause zu überfallen, welcher zu diesem Zeitpunkt bereits schlafen sollte, nachdem er auf Anraten der Mitangeklagten M. S. das auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen beeinträchtigende und zu Müdigkeit führende Arzneimittel Wick MediNait eingenommen hatte. Im Gegensatz zu dem ursprünglich am frühen Abend im Hof des Bordellbetriebs vorgesehenen Angriff stellt sich ein Überfall nachts in einer unbeleuchteten Wohnung auf einen in der Reaktion beeinträchtigten älteren Menschen weitaus risikobehafteter dar, wobei Schläge und Tritte in solch einer Umgebung unberechenbar und kaum dosierbar sind. Insoweit hätte sich die Schwurgerichtskammer damit auseinandersetzen müssen, ob die hierbei dem Geschädigten zugefügten, zum Tode führenden Verletzungen den beiden Anstiftern nicht doch zuzurechnen sind.
22
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird nicht jede strafrechtliche Haftung des Anstifters für den von ihm weder gewollten noch gebilligten Erfolg bei erfolgsqualifizierten Delikten dadurch ausgeschlossen , dass der Angestiftete den Erfolg vorsätzlich herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 3. Juni 1964 - 2 StR 14/64, BGHSt 19, 339, 341). Sofern der zu einer gefährlichen Körperverletzung Angestiftete dem Misshandelten, insoweit über den Vorsatz des Anstifters hinausgehend, mit Tötungsvorsatz eine Verletzung zufügt , die auch zum Tode des Opfers führt, kann der Anstifter wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) schuldig sein (BGH, Urteil vom 1. April 1952 - 1 StR 867/51, BGHSt 2, 223, 226). Er haftet andererseits nur für die Folgen derjenigen Handlungen des Angestifteten, die er in seine Vorstellungen einbezogen hatte. Die von dem Angestifteten dem Opfer mit Tötungsvorsatz zugefügten Körperverletzungen dürfen also - wenn eine Verurteilung nach § 227 StGB in Betracht kommen soll - nicht von anderer Art und Beschaffenheit sein, als der Anstifter wollte und es sich vorstellte (BGH, Urteile vom 1. April 1952 - 1 StR 867/51, BGHSt 2, 223, 226 und vom 20. Mai1986 - 1 StR 224/86, NJW 1987, 77 f.).
23
Dies hat das Landgericht zwar nicht übersehen. Es hat jedoch bei den Feststellungen, dass nach den Vorstellungen der Angeklagten dem Geschädig- ten „maximal Brüche an Armen und Beinen“ zugefügt werden sollten, nicht aber lebensgefährliche oder gar tödliche Verletzungen durch Tritte oder Schläge an Kopf und Oberkörper, nicht berücksichtigt, dass diese Vorstellungen auf dem ursprünglichen Tatplan beruhten und ein Überfall nächtens und in dunkler Wohnung erheblich größere Risiken mit sich brachte und in einem solchen Tat- umfeld tödliche Verletzungen für das Opfer nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.
24
2. Aus den unter II.2. angeführten Gründen erweist sich die Beweiswürdigung auch hinsichtlich der Angeklagten S. bezüglich der Wegnahme des Geldbetrages durch K. und G. als lückenhaft und widersprüchlich. Nachdem der „Überfall“ mit Bedacht an einem Tag durchgeführt werden sollte, an dem üblicherweise der Geschädigte die Mieten in seinem Bordellbetrieb einzog und danach über einen größeren Geldbetrag verfügte, hätte das Landgericht sich damit auseinander setzen müssen, dass die Anstiftungshandlungen der Angeklagten S. gerade auch von dem Bestreben umfasst waren, zumindest für einige Tage die Erträge aus dem Bordellbetrieb durch die Angeklagte M. S. einziehen zu können.
Graf Jäger Cirener Radtke Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 467/06
vom
15. Februar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Februar
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2006 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Kosten der Revisionen des Angeklagten und der Nebenkläger fallen dem jeweiligen Beschwerdeführer zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte , die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt - ebenso wie die Nebenkläger - mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, eine Verurteilung wegen Mordes. Sämtliche Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.

II.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Nach zwei gescheiterten Beziehungen lebte der Angeklagte, der an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden Elementen und narzisstischen Zügen leidet, von 1999 bis zum September 2005 mit Nicole K. , dem späteren Tatopfer, in häuslicher Lebensgemeinschaft, aus der ein gemeinsames Kind hervorging. Auch diese Beziehung war, insbesondere wegen der grundlosen Eifersucht des Angeklagten, spannungs- und streitbeladen und wurde schließlich von Nicole K. beendet. Der Angeklagte konnte sich, wie auch beim Scheitern seiner früheren Beziehungen, mit der Trennung nicht abfinden. Im September 2005 kam es deswegen bei einer von ihm erbetenen Aussprache zwischen ihm und Nicole K. zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf er sie zu Boden warf und ihr ein Messer vor den Körper hielt. Erst als ihr Vater zu Hilfe eilte, ließ er von ihr ab. Bei ihren Abwehrbemühungen erlitt sie eine Schnittverletzung an der Hand. Auch nach diesem Vorfall bemühte sich der Angeklagte weiter um eine Fortsetzung der Beziehung.
4
Am 17. November 2005 wurde der Angeklagte von Arbeitskollegen damit gehänselt, dass Nicole K. "jetzt einen anderen Mann küsse", worauf er antwortete , "dass dies nicht mehr lange der Fall" sein werde. Am Nachmittag begegnete ihm Nicole K. , die auf ihrem Fahrrad durch Schönebeck fuhr. Sie hielt zwar an, lehnte aber eine nochmalige Aussprache über die aus ihrer Sicht endgültig beendete Beziehung ab. Es kam zu einem teilweise lautstark geführten Wortgefecht, wobei der Angeklagte aus Wut so heftig gegen ihr Fahrrad trat, dass sie es nur noch schieben konnte. Den Vorschlag des Angeklagten, sie mit seinem Fahrzeug zu ihrem Fahrtziel zu fahren, lehnte sie ab. Sie hatte Angst, weinte und versuchte, mit ihrem Handy zu telefonieren. Streitend gingen sie etwa fünf Minuten nebeneinander her, wobei sie ihr Fahrrad zwischen ihnen schob. Nunmehr wurde dem Angeklagten bewusst, dass er Nicole K. nicht zurückgewinnen konnte. Aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst, Är- ger und Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung" entschloss er sich, sie zu töten. Er nahm aus seiner Hosentasche ein aufklappbares Taschenmesser mit einer Klingenlänge von neun Zentimetern und versetzte Nicole K. sechs Messerstiche in den Hals- und Brustbereich. Auch durch Rufe einer Zeugin ließ er sich von seinem Tun nicht abbringen. Das Opfer verstarb alsbald an innerem Verbluten. Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw zu Bekannten, von denen er ein Alibi für die Tatzeit erhalten wollte. Danach ging er seinen gewöhnlichen Verrichtungen nach, bis er am Abend festgenommen wurde.

III.


5
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
6
Ohne Erfolg wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger dagegen, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt worden ist.
7
a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Schwurgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat.
8
Nach der Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt , wobei auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs abzustellen ist (vgl. BGHSt 32, 382, 384). Ein bloßer, der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363; 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ 2003, 146).
9
Dass Letzteres hier vorgelegen hat, hat das Landgericht unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und des Verlaufs der dem Tatgeschehen unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht auszuschließen vermocht. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen war Nicole K. bei dem Zusammentreffen mit dem Angeklagten bewusst, dass dieser nach wie vor nicht bereit war, die Trennung zu akzeptieren. Sie wusste, dass er etwa zwei Monate zuvor auf ihre Weigerung zur Fortsetzung der Beziehung mit Tätlichkeiten reagiert und ihr sogar ein Messer vor den Körper gehalten hatte. Dass ihre erneute Ablehnung einer von ihm erbetenen Aussprache ihn wiederum in große Wut versetzte, erkannte sie daran, dass er mit einem Fußtritt ihr Fahrrad massiv beschädigte. Es liegt durchaus nahe, dass sie nach dieser Eskalation weitere Wutausbrüche bis hin zu einem schweren Angriff auf ihren Körper befürchtete. Dafür spricht, dass sie Angst vor dem Angeklagten hatte, weinte und nicht bereit war, sich von ihm in seinem Pkw zu ihrem Fahrtziel bringen zu lassen. Demgegenüber folgt aus der Tatsache, dass Nicole K. während der andauernden verbalen Auseinandersetzung nicht versuchte, sich vom Angeklagten zu entfernen, und statt dessen ihn mit Worten zu beschwichtigen suchte, nicht ohne Weiteres die Arglosigkeit des späteren Opfers. Auf die Frage, ob das Opfer gesehen hat, wie der Angeklagte unmittelbar vor dem Zustechen das Messer zog und aufklappte, kommt es nicht an, weil das Opfer zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr arglos war.
10
b) Das Landgericht hat auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint.
11
Es ist zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe Nicole K. aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst, Ärger und Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung" getötet. Es hat nicht feststellen können, welches dieser Motive für die Tötung ausschlaggebend gewesen ist und hat deshalb die Motivation des Angeklagten insgesamt nicht als auf niedrigster Stufe stehend angesehen.
12
Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung stand. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen , wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und besonders verwerflich sind (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2004, 34; 2006, 338, 340 m.w.N.).
13
Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass bei der Tötung auch Wut und Ärger des Angeklagten über das Scheitern der Beziehung eine Rolle gespielt haben. Dass es - trotz der Reaktion des Angeklagten auf die Hänseleien seiner Arbeitskollegen am Vormittag des Tattages - diese Motivation nicht als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet indes keinen rechtlichen Bedenken. Vielmehr ist anhand der Vorgeschichte der Tat belegt, dass gleichbedeutend tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung des Angeklagten über die Trennung und über das Erkennen, dass sich seine Lebensgefährtin endgültig von ihm abgewandt hatte, waren. Hinzu kommt, dass der Angeklagte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufweist, auf Grund derer er sein Selbstwertgefühl einerseits nur über die Beziehung zu einer Partnerin definiert , andererseits aber nicht in der Lage ist, eine längerfristige Beziehung beizubehalten. Vor diesem Hintergrund hält es sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340), dass das Landgericht die für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat.
14
2. Die Revision des Angeklagten
15
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben; insbesondere begegnet auch die Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit keinen rechtlichen Bedenken.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/12
vom
30. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
für die Nebenklägerin G. als Nebenklägervertreter,
Rechtsanwalt
für den Nebenkläger R. als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 25. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , verurteilt worden ist; insofern bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen jedoch aufrechterhalten ;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im verbleibenden Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit zwei Fällen der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Nebenkläger, an eine andere als Schwur- gericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren festgesetzt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und beide Nebenkläger Revision eingelegt. Der Angeklagte hat eine Verfahrens- und die allgemeine Sachrüge erhoben. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes an. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet. Die Revisionen der Nebenkläger haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
2
I. Nach den Feststellungen unterhielt der Angeklagte über mehrere Jahre eine außereheliche Beziehung zu der in A. wohnenden Nebenklägerin G. . Aus der Beziehung sind drei Kinder hervorgegangen. Im Lauf des Jahres 2010 beendete G. die konfliktreich gewordene Beziehung. Der Angeklagte vermochte das Beziehungsende nicht zu akzeptieren und erschien regelmäßig in der Wohnung der Nebenklägerin, weil er sie noch immer als seine Lebensgefährtin ansah und davon ausging, dass sie zu ihm gehöre (UA 7). Nachdem er am 11. Dezember 2010 gegenüber G. tätlich geworden war, wurde er von der herbeigerufenen Polizei der Wohnung verwie- sen und ihm ein Rückkehrverbot auferlegt. Gleich nach der Abfahrt der Polizei suchte er G. wieder auf und drohte, ihr den Kopf abzuschlagen (UA 7). Da G. bei dem Angeklagten einige Zeit zuvor eine Schusswaffe gesehen hatte, bekam sie nun soviel Angst, dass sie sich von ihrem Onkel, dem Zeugen D. , abholen ließ und bei ihm das Wochenende verbrachte (UA 8). Nach den Weihnachtsfeiertagen bezog sie eine eigene Wohnung in B. , die ihr D. vermittelt hatte. Sie lebte noch immer in großer Angst vor dem Angeklagten, der zwar nicht wusste, wo sie wohnte, aber regelmäßig Kontakt zu D. aufnahm, um ihren Wohnort zu erfahren (UA 8).
3
Im Januar 2011 kam es auf Veranlassung des Angeklagten zu einer Sitzung eines sog. Ältesten- oder Familienrates aus Mitgliedern der Familie des Angeklagten und der Familie von G. . Dabei erhob der Angeklagte den Vorwurf, dass D. seine Kinder entführt und ihm die Frau weggenommen habe. G. und die Kinder gehörten zu ihm und hätten zu tun, was er wünsche (UA 10). Nachdem G. vor dem Ältestenrat darauf bestanden hatte, von dem Angeklagten getrennt zu leben, entschied der Ältestenrat , dass D. nicht schuldhaft gehandelt habe und der Angeklagte die Trennung von G. akzeptieren müsse. Der Angeklagte reagierte hierauf mit einer Äußerung, die von der Nebenklägerin G. zutreffend so verstanden wurde, dass er etwas so Schlimmes mit ihr anstellen werde, dass er sich auch „gleich selbst wegmachen könne“ (UA 11).
4
Für G. entwickelte sich nun eine Phase erheblicher Angst. Sie lebte in der Hoffnung, dass der Angeklagte nicht wusste, wo sie wohnte. Tatsächlich war dem Angeklagten lediglich bekannt, dass G. in der Nähe der Wohnung ihres Onkels D. in B. lebte. Er bestreifte daher mit seinem Pkw die Gegend um die Wohnung des D. und hielt Ausschau. Dabei fiel sein Fahrzeug Nachbarn und Angehörigen von G. auf (UA 12). Auch rief der Angeklagte regelmäßig bei D. an und ließ ihn von anderen Leuten in aggressiver Weise nach der Adresse von G. befragen. Dabei gelang es ihm nicht, die genaue Adresse zu erfahren (UA 12). Nachdem G. von den Nachstellungen des Angeklagten erfahren und von ihm eine SMS mit einer Todesdrohung erhalten hatte, rechnete sie stets damit, dass der Angeklagte sie „irgendwann einmal erwischen“ würde. Sie konnte deshalb nicht mehr angstfrei vor die Tür treten und schränkte ihre Lebensführung erheblich ein (UA 12).
5
Im März 2011 kam der Bruder von G. , der Nebenkläger R. , aus Mazedonien nach Deutschland, weil er hier Asyl beantragen wollte. Dazu hielt er sich ab dem 1. April 2011 in der Wohnung von G. in B. auf.
6
Am 2. April 2011 kauften G. und R. gegen 15 Uhr in einem Supermarkt gegenüber der Wohnung von G. für einen Kindergeburtstag ein. Der Angeklagte wartete zu diesem Zeitpunkt in seinem in der Nähe der Einfahrt zum Parkplatz des Supermarktes geparkten Fahrzeug, weil er mit einem Einkauf von G. rechnete. Als G. und R. mit dem beladenen Einkaufswagen den Parkplatz des Supermarktes über die Einfahrt verließen, nahmen sie den Angeklagten nicht wahr. G. war jedoch noch immer in erheblicher und konkreter Sorge, dass der Angeklagte jederzeit unvermittelt auftauchen und sie überfallen könnte. Diese Sorge war auch R. bekannt und wurde von ihm ernst genommen (UA 13). Als der Angeklagte G. und R. erblickte , fuhr er mit voller Beschleunigung los, um einen Zusammenstoß mit beiden oder wenigstens mit dem Einkaufswagen herbeizuführen. Dabei nahm er Verletzungen von G. und R. zumindest billigend in Kauf. Der Zusammenstoß sollte dazu dienen, G. „so außer Gefecht zu setzen“, dass sie sich gegen den anschließend geplanten Angriff mit einer mitgeführten Selbstladepistole nicht mehr wehren oder davonlaufen konnte. Wenige Sekunden vor dem Zusammenstoß bemerkte R. das rasch näher kommende Fahrzeug und erkannte den Angeklagten. Er warnte deshalb sofort seine Schwester. Eine Flucht war jedoch nicht mehr möglich. Der von dem Angeklagten gesteuerte Pkw stieß mit einer Geschwindigkeit von mindestens 35 km/h gegen den Einkaufswagen. G. und R. wurden durch den Zusammenprall mit dem Pkw zu Boden geschleudert, nachdem zunächst einer von beiden auf die Motorhaube des Fahrzeugs aufgeladen worden war (UA 14).
7
Der Angeklagte verließ sogleich sein Fahrzeug und lief mit der entsicherten Pistole auf G. zu, um sie zu töten. Die nur leicht verletzte Nebenklägerin sprang auf und versuchte laut schreiend zu flüchten. Als sich R. dem Angeklagten in den Weg stellte, wurde er von ihm mit der Pistole zu Boden geschlagen. Der Angeklagte lief G. nach, wobei er ihr zu verstehen gab, dass er sie jetzt töten werde. Als der Angeklagte die sich zwischen mehreren Fahrzeugen verbergende G. eingeholt hatte, schlug er ihr von hinten mit der Waffe auf den Kopf und drückte sie zu Boden. Anschließend richtete er die Pistole auf ihre rechte Halsseite und betätigte mit Tötungsabsicht „einer Hinrichtung gleich“ den Abzug (UA 15). Das Projektil drang tief in den Halsraum von G. ein, zerstörte den vierten Halswirbelkörper und blieb schließlich auf der linken Seite hinter der Halsschlagader stecken (UA 16). G. stürzte zu Boden und blieb wimmernd liegen.
8
Als der Angeklagte unmittelbar nach dem Schuss auf G. zu seinem Auto laufen wollte (UA 15), wurde er von dem seiner Schwester zu Hilfe eilenden R. in einen Zweikampf verwickelt, in dessen Verlauf der Angeklagte R. direkt unterhalb des rechten Auges in den Kopf schoss, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, auch ihn zu töten (UA 15). Das Projektil zerstörte das Mittelgesicht und verursachte unter anderem eine Orbitabodenfraktur, eine ausgedehnte und dislozierte Kieferhöhlenfraktur, eine klaffende Jochbeinfraktur sowie ein Netzhautödem. Nachdem R. den Angeklagten losgelassen hatte und dieser nun tatsächlich zu seinem Auto laufen konnte (UA 25), ergriff er mit seinem Auto die Flucht. Hierbei ging es ihm ausschließlich darum, den Tatort – wie von vorneherein geplant – so schnell wie möglich zu verlassen, um einer Festnahme durch die zahlreich vorhandenen Zeugen zu entgehen (UA 16). Er rechnete damit, dass beide Nebenkläger an den erlittenen Schusswunden versterben würden. Dies war ihm wenigstens gleichgültig (UA 17 und 25).
9
II. Zur Revision der Nebenklägerin G.
10
Die Revision der Nebenklägerin G. hat Erfolg, weil die Erwägungen , mit denen das Landgericht einen versuchten Heimtückemord und einen versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
11
1. Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten nicht als heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet, weil die Nebenklägerin infolge der früheren Drohungen und Nachstellungen des Angeklagten jederzeit mit einem Übergriff rechnete. Dies habe dazu geführt, dass sie in der Tatsituation nicht mehr arglos gewesen sei (UA 30). Diese Ausführungen lassen besorgen , dass das Landgericht von einem zu engen Begriff der Heimtücke ausgegangen ist.
12
a) Heimtückisch handelt, wer die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Opfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, Rn. 20; Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 16; Urteil vom 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.). Heimtückisch tötet auch, wer sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (BGH, Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, Rn. 20; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 20; Beschluss vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; Urteil vom 9. Dezember 1986 – 1 StR 596/86, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Lauert der Täter seinem ahnungslosen Opfer auf, um an dieses heranzukommen, kommt es nicht mehr darauf an, ob und wann es die von dem ihm gegenübertretenden Täter ausgehende Gefahr erkennt (BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 – 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264). Eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers hebt seine Arglosigkeit erst dann auf, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (BGH, Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 16; Urteil vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368). Die Rechtsprechung hat daher auch bei Opfern, die aufgrund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, einen Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht gezogen, wenn für sie ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht (vgl.
BGH, Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15; Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450, 451).
13
b) Nach den Feststellungen hatte die Nebenklägerin G. den in seinem Pkw wartenden Angeklagten bis wenige Sekunden vor der Tat nicht bemerkt. Ihre Befürchtung, der Angeklagte werde sie „irgendwann einmal erwischen“ , beruhte auf vorangegangenen, zum Teil mehrere Monate zurückliegen- den Todesdrohungen und dem Wissen um Nachstellungen des Angeklagten im Umfeld ihrer Wohnung. Umstände, die zu einer auf die Tatsituation bezogenen Aktualisierung und Konkretisierung dieser Befürchtung geführt haben, lassen sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache, dass die Nebenklägerin von dem auf ihr Leben gerichteten Angriff getroffen wurde, als sie mit ihrem gefüllten Einkaufswagen das belebte Gelände eines Supermarktes verließ, legt die Annahme nahe, dass sie sich jedenfalls in diesem Moment keines konkreten Angriffs von Seiten des Angeklagten versah und in einer hilflosen Situation überrascht wurde. Nach dem mit Verletzungsvorsatz geführten überraschenden Angriff mit dem Pkw war der Nebenklägerin zwar noch eine kurze Flucht möglich , doch vermochte sie sich aufgrund der Kürze der ihr verbleibenden Reaktionszeit dem mit Tötungsvorsatz nachsetzenden Angeklagten nicht mehr zu entziehen oder wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
14
2. Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, dass der Angeklagte zwar vornehmlich aus Wut über das Verlassenwerden gehandelt habe, doch lasse sich nicht feststellen, dass die Tat aus schlechthin unverständlichen und verachtenswerten Motiven heraus begangen worden sei (UA 30 f.). Diese Ausführungen lassen eine sachlichrechtliche Überprüfung nicht zu und geben Anlass zu der Besorgnis, dass wichtige Umstände der Tat und zur Motivation des Angeklagten nicht berücksichtigt worden sind.
15
a) Aus niedrigen Beweggründen tötet, wer sich maßgeblich von einem oder mehreren Handlungsantrieben leiten lässt, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb verwerflich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1952 – 1 StR 272/52, BGHSt 3, 132; Urteil vom 24. Mai 2012 – 4 StR 62/12, Rn. 17). Ob dies der Fall ist, muss im Einzelfall auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren Faktoren beurteilt werden, die für die Motivbildung von Bedeutung waren (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2012 – 4 StR 62/12, Rn. 17; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 10; Urteil vom 14. Dezember 2000 – 4 StR 375/00, StV 2001, 228, 229). Beruht die Tötung auf Gefühlsregungen wie Wut, Zorn oder Verärgerung, denen jedermann mehr oder weniger stark erliegen kann, kommt es für die Beurteilung auf die zugrunde liegende Gesinnung des Täters an (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011; Urteil vom 14. Oktober 1987 – 3 StR 145/87, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8; MüKo-StGB/Schneider § 211 Rn. 71).
16
b) Das Landgericht hat sich mit der Grundhaltung des Angeklagten, die seiner Wut über das Verlassenwerden zugrunde lag, nicht erkennbar auseinandergesetzt. Auch im Übrigen fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung. Nach den Feststellungen ging der Angeklagte davon aus, dass die Nebenklägerin zu ihm gehöre und – wie auch die gemeinsamen Kinder – zu tun habe, was er wünsche. Ihren Trennungswunsch ignorierte er ebenso, wie ein polizeiliches Rückkehrverbot und die Entscheidung des seinem Kulturkreis angehörenden Ältestenrates, den er zuvor selbst als Autorität angerufen hatte. Der direkte Tötungsvorsatz und die „hinrichtungsgleiche“ Tatausführung deuten darauf hin, dass es dem Angeklagten vornehmlich darum ging, seine Wut in einer Bestrafung der Nebenklägerin abzureagieren. Bei dieser Sachlage hätte erörtert werden müssen, ob die tatauslösende Gefühlsregung des Angeklagten auf einer Grundhaltung beruhte, die durch eine ungehemmte Eigensucht, exklusive Besitzansprüche und eine unduldsame Selbstgerechtigkeit gekennzeichnet ist. Eine solche Grundhaltung steht nach allgemeiner sittlicher Bewertung auf tiefster Stufe (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1952 – 1 StR 272/52, BGHSt 3, 132, 133; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 11).
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III. Zur Revision des Nebenklägers R.
18
1. Die Revision des Nebenklägers R. hat Erfolg, weil das Landgericht bei der Prüfung einer versuchten Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB ein nach den Feststellungen naheliegendes als niedrig zu bewertendes Tatmotiv nicht erörtert hat.
19
a) Ein niedriger Beweggrund kann auch gegeben sein, wenn sich der Täter zur Tötung eines Menschen entschließt, um sich einer berechtigten Festnahme zu entziehen und ungehindert entkommen zu können. Dieser Tatantrieb muss in aller Regel ebenso beurteilt werden, wie die in § 211 Abs. 2 StGB ausdrücklich hervorgehobene Verdeckungsabsicht, weil es dem Täter in beiden Fällen darum geht, sich seiner Verantwortung für begangenes Unrecht unter Inkaufnahme des Todes eines Menschen zu entziehen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1970 – 1 StR 68/70, MDR 1971, 722 bei Dallinger; Urteil vom 14. Oktober 1987 – 3 StR 145/87, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8; vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 319/98, StV 2000, 74, 75; Urteil vom 14. Juli 1988 – 4 StR 210/88, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11; MüKo-StGB/Schneider, § 211 Rn. 78; LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 25).
20
b) Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte nach dem Schuss auf die Nebenklägerin G. durch den Nebenkläger R. daran gehindert, unverzüglich mit seinem Auto zu fliehen. Als er sich aus dieser Lage mit dem Schuss in das Gesicht des Nebenklägers befreit hatte, verließ er – wie von vorneherein geplant – fluchtartig den Tatort. Danach hätte sich das Landgericht mit der Frage befassen müssen, ob sich der Angeklagte den Fluchtweg mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz freigeschossen und deshalb bei der Abgabe des zweiten Schusses aus einem niedrigen Beweggrund gehandelt hat.
21
2. Einen versuchten Heimtückemord hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend verneint. Der Nebenkläger R. war nach den Feststellungen im Zeitpunkt der Schussabgabe auf ihn weder arg- noch wehrlos. Der anfängliche Überraschungseffekt wirkte nicht mehr fort.
22
IV. Zur Revision des Angeklagten
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Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 Satz 1 StPO) geltend macht, bleibt erfolglos. Dabei kann es dahinstehen, ob der von dem Beschwerdeführer behauptete Verfahrensfehler vorliegt, weil ein Beruhenszusammenhang (§ 337 Abs. 1 StPO) ausgeschlossen werden kann. Das Landgericht hat die Angaben des Ersthelfers Gö. , die in dem nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesenen polizeilichen Vermerk vom 2. April 2011 festgehalten worden sind, zur Stützung des Schuld- oder Strafausspruchs nicht herangezogen. Da sich diese Angaben lediglich auf ein Ereignis nach der Tat (Anfertigung von drei Lichtbildern des Pkw des flüchtenden Angeklagten) beziehen, handelte es sich bei Gö. auch nicht um einen „unmittelbaren Tatzeugen“, auf die sich die von dem Beschwerdeführer zur Begründung eines Beruhenszusammenhanges ins Feld geführte allgemeine Formulierung in den Urteilsgründen bezieht. Die Erwägungen , mit denen das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklag- ten verneint hat, haben keinen Bezug zu den von Gö. gefertigten Lichtbildern.
24
Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Jedoch war der Schuldspruch zu berichtigen, weil der Angeklagte durch den von ihm herbeigeführten Zusammenstoß beide Nebenkläger verletzt und sich dadurch der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat. § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1959 – 2 StR 291/59, BGHSt 14, 5, 7). Auch kann ausgeschlossen werden, dass es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, sich anders als geschehen zu verteidigen.
25
V. Die Aufhebung der Verurteilungen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Maßregelanordnung kann dagegen bestehen bleiben, weil sie allein an die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB anknüpft.
26
Soweit das Urteil auf die Revisionen der Nebenkläger aufgehoben worden ist, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben.
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Quentin Reiter
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
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Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR259/15
vom
11. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. November
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt V. ,
Rechtsanwalt B.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin He.
als Vertreterin der Nebenklägerin K. ,
Rechtsanwalt Bö.
als Vertreter des Nebenklägers C. W. ,
Rechtsanwalt N. ,
Rechtsanwalt R.
als Vertreter des Nebenklägers U. W. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers U. W. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29. Dezember 2014 – unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zur Vorgeschichte, zum Mietverhältnis, zum Nachtatgeschehen und zu den Tatfolgen bei der Zeugin Hä. – aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei1 heitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers U. W. haben mit der Sachbeschwerde weitgehend Erfolg.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt: Der Angeklagte ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in Hamburg, in
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dem er zur Tatzeit auch selbst wohnte. Der später Getötete J. W. war Mieter einer im 1. Obergeschoss des Hauses gelegenen Wohnung. Seit einem von Herrn W. nicht akzeptierten Mieterhöhungsverlangen des Angeklagten lebten die beiden in Streit. Dessen Grund lag hauptsächlich in der Persönlichkeit des Angeklagten, die durch zwanghafte, von hoher Kränkbarkeit geprägte impulsiv-aggressive Züge bestimmt ist. Bei Begegnungen mit Herrn W. geriet der Angeklagte oftmals in hochgradige Wut, beschimpfte ihn und forderte ihn zum Auszug auf. Darüber hinaus entwickelte er seit Sommer 2011 ein wahnhaftes Ideengebäude, das sich in einer paranoid gesteigerten Überzeichnung und Umdeutung alltäglicher Situationen auswirkte. Er glaubte sich von Herrn W. verfolgt und mit Hilfe von „Wanzen“ überwacht sowie durch Dritte beschattet. Schließlich sah er ihn als Kopf einer konspirativen Bande an, der ihm nach dem Haus und weiteren Vermögenswerten trachte.
Im Herbst 2012 stellte er – mit einer Axt bewaffnet – Herrn W. wegen
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eingebildeter negativer Äußerungen zur Rede. Dieser konnte flüchten. Jedoch gelang es dem Angeklagten, ihn zu stellen und mit der Faust bewusstlos zu schlagen. Hierfür wurde der Angeklagte unter Strafaussetzung zur Bewährung zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Jedoch entspannte sich die Lage nicht.
Am Morgen des 12. Februar 2014 begab sich Herr W. ins Treppen5 haus, um die Tageszeitung zu holen. Wie stets, wenn er sich dort befand, trug er eine Dose Pfefferspray und ein für einen sofortigen Notruf vorbereitetes Mobiltelefon bei sich. Der Angeklagte hörte Herrn W. und wollte ihn wegen eines kurz zuvor eingegangenen anwaltlichen Schreibens zur Rede stellen. Er
betrat das Treppenhaus und sprach ihn in barschem Ton an. Aufgrund seiner wahnhaften Beziehungsverarbeitung deutete er die – durch das Landgericht nicht festgestellte – Reaktion Herrn W. s als herabsetzend und glaubte sich von ihm als „Wurzelzwerg” bezeichnet. Zornentbrannt versetzte er ihm einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht. Herr W. ging zu Boden und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen. In wahnbedingter Verkennung der Situation meinte der Angeklagte, dass Herr W. ihn grinsend verhöhne. „Dies ließ ihn raptusartig derart in Wut geraten, dass infolge eines aggressiven Impulsdurchbruchs die letzten Schranken brachen und er sich spontan entschloss, dieses ihn vermeintlich angrinsende Gesicht seines ihn verhöhnenden Feindes endgül- tig zu vernichten und den Menschen auszulöschen“ (UA S. 15).
Aus einer Abstellkammer holte er einen Zimmermannshammer und
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schlug damit mehrfach auf das Gesicht und den Kopf seines Opfers ein, um es zu töten. Hierdurch verursachte er schwerste, möglicherweise schon tödliche Verletzungen. Nach wie vor rasend vor Wut stach er anschließend mit einem Messer mehrfach und mit großer Wucht in den Hals- und Brustbereich. Währenddessen rief er „Jetzt reicht es. Es ist genug”.
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen,
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dass der Angeklagte aufgrund eines durch die Wahnstörung verursachten und sein Verhalten intendierenden aggressiven Impulsdurchbruchs im Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB gehandelt habe. Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit habe hingegen nicht vorgelegen. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist nach Auffassung der Schwurgerichtskammer mangels Arglosigkeit des Opfers nicht verwirklicht. Wie die Mitnahme des Pfeffersprays und des Mobiltelefons zeige, habe Herr W. ständig mit erheblichen Angriffen des Angeklagten auf seine körperliche Integrität gerechnet.
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3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Gegen die Schuldfähigkeitsprüfung der Schwurgerichtskammer bestehen durchgreifende Bedenken.

a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit Fol9 gendes ausgeführt:
„DieDiagnose der isolierten Wahnstörung im Sinne eines Beziehungswahns wird im Urteil nicht näher klassifiziert. Die gewählte Formulierung lässt auch offen, welches Eingangskriterium des § 20 StGB erfasst sein soll. Zwar ist die krankhafte seelische Störung ausdrücklich benannt; jedoch ist wegen der sich daran anschließenden Formulierungen unklar, ob die Strafkammer tatsächlich (begründet) von diesem Eingangskriterium ausgeht. Dem Kontext des Urteils lässt sich allenfalls entnehmen, dass eine exogene Psychose als Unterfall der krankhaften seelischen Störung wohl nicht in Betracht kommt, ebenso wenig wie eine akute Intoxikationspsychose. Von Relevanz wäre mithin allenfalls eine endogene Psychose als Unterfall der krankhaften seelischen Störung. Diese könnte aus dem Formenkreis der Schizophrenie stammen, aber auch aus einer bipolaren Störung mit Wahnsymptomen oder affektiven Psychosen resultieren. In- soweit kommt jedoch auch eine ‚andere seelische Abartigkeit‘ im Sinne des § 20 StGB in Betracht, wobei der Beziehungswahn dann allein auf wahnhaftem Erleben und wohl nicht auf der Persönlichkeitsstörung beruhen würde. In einem derartigen Fall wäre jedoch zwingend die Frage nach dem Tatvorsatz und der Unrechtseinsicht zu diskutieren gewesen. Daran fehlt es hier. Das dargelegte Störungsbild, vor allem die Betonung des wahnhaften Erlebens, aber auch die Beschreibung des Zustandsbildes des Angeklagten in der Untersuchungshaft (UA S. 32 ff.) hätten Anlass zu der Erörterung geboten, ob die Diagnose den geistig-seelischen Zustand des Angeklagten hinreichend zutreffend beschreibt. So tritt ein Beziehungs- und Be-
einträchtigungswahn häufig als Begleitsymptom einer anderen psychiatrischen Störung, wie der Schizophrenie oder anderen Formen des paranoiden, wahnhaften Erlebens auf. Hier bleibt allerdings völlig im Dunkeln, ob es sich bei dem diagnostizierten ‚isolierten Beziehungswahn‘ um eine eigenständige (paranoide) Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0) handelt oder um einen Ausschnitt einer paranoiden Psychose (ICD-10 F 22.0) oder einer (paranoiden) Schizophrenie (ICD-10 F 20.0), Diagnosen, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen. Das lässt insgesamt besorgen, dass die Art der Störung und damit auch der Schweregrad und ihr Einfluss auf die Schuldfähigkeit unzutreffend beurteilt worden sind. Gerade wenn krankhafte ‚Wahnsysteme‘ festgestellt sind,steht der Beeinträchtigung oder gar Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ein ‚folgerichtiges‘, ‚zielgerichtetes‘ Verhalten regelmäßig indiziell nicht entgegen, weil die Aufhebung der inneren Sinnstruktur nicht regelmäßiges Kennzeichen wahnhaften Erlebens ist. Insgesamt erfassen diese Störungen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden. Daher ist die bloße Feststellung einer Diagnose ohne weitere nachvollziehbare Darlegungen zur Einordnung der Störung in den Kreis psychischer Störungen mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht aussagekräftig. Besonders deutlich wird dies angesichts der weiteren Beschreibungen des psychischen Zustandsbilds des Angeklagten bei der Tat: Der Angeklagte wollte J. W. in einem ‚durch seine Störung bedingten aggressiven Impulsdurchbruch‘ vernichten , wobei das Tötungsgeschehen ‚raptusartig durch die Wahnstörung ausgelöst‘ war (UA S. 27). In den Feststellungen ist der Angeklagte insoweit als ‚rasend vor wahnhaft bedingter Wut‘ beschrieben (UA S. 15). Angesichts dieser Zustandsbe- schreibungen genügt es nicht, schlicht zu behaupten, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht aufgehoben gewesen (UA S. 16). Die Frage nach der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten wird gar nicht gestellt, geschweige denn erörtert. Das Urteil ist auch insoweit lückenhaft und nicht nachvollziehbar.“
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b) Der Senat tritt dem bei. Allerdings wird der Schwerpunkt der Schuldfähigkeitsprüfung unter anderem wegen Äußerungen des Angeklagten nach der Tat, die auf eine erhaltene Unrechtseinsicht hindeuten, bei der Steuerungsfähigkeit liegen. Die Sache bedarf wegen der rechtsfehlerhaften Erörterung der Schuldfähigkeit auch hinsichtlich des Maßregelausspruchs neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Zuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen liegt nahe.

c) Hingegen sind die im Tenor bezeichneten Feststellungen rechtsfehler11 frei getroffen und können bestehen bleiben. Der nicht revidierende Angeklagte hat von der Möglichkeit, seine Verurteilung und damit auch die Feststellungen anzugreifen, keinen Gebrauch gemacht. Ergänzende Feststellungen sind möglich , sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
4. Für den Fall, dass die neue Hauptverhandlung abermals eine grund12 sätzlich aufrechterhaltene Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben sollte, wird Folgendes zu beachten sein:
Die Revisionsführer weisen zu Recht darauf hin, dass das Landgericht
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seiner Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen; es kommt vielmehr darauf an, ob das Opfer gerade im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben gerechnet hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368 f.; vom 23. August 2000 – 3StR 234/00, NStZ-RR 2001, 14; vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15 f.; vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338). Ferner kann bei einem zunächst in Körperverletzungsabsicht geführten Angriff Arglosigkeit bejaht werden, wenn der ursprüngliche Verletzungswille des Täters so schnell in einen Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bei Beginn der eigentlichen Tötungshandlung noch andauert (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503 mwN).
Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erscheint
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danach eine Arglosigkeit des keine Abwehrverletzungen aufweisenden Opfers nicht ausgeschlossen. Im Blick auf die Wahnstörung des Angeklagten und den durch die Schwurgerichtskammer angenommenen Impulsdurchbruch wäre gegebenenfalls jedoch eingehend zu erörtern, ob der Angeklagte mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat (hierzu LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 45 mwN).
Sander Dölp König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 338/17
vom
15. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:151117U5STR338.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
als Verteidiger, Rechtsanwältin K. , Rechtsanwalt V. als Vertreter der Nebenkläger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. Februar 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit
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unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und drei Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die auf die Sachrüge gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend gemacht wird. Die Rechtsmittel, mit denen eine Verurteilung wegen Mordes statt wegen Totschlags angestrebt wird, haben mit der Sachrüge Erfolg; auf die mit den Revisionen der Nebenkläger erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.

I.


2
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der später getötete S. war ein ehemaliger Freund, der
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geschiedene Ehemann der Halbschwester und der Vater der Nichte des Ange- klagten. Dieser wollte ihn am 5. Juni 2016 zur Rede stellen. Er hatte bei einem Besuch in seinem Elternhaus von einer Auseinandersetzung zwischen S. und seiner Halbschwester im Rahmen eines schon länger andauernden Streits über das Sorge- und Umgangsrecht für deren gemeinsame Tochter erfahren. Bei dieser Auseinandersetzung hatte S. die Halbschwester des Angeklagten in Anwesenheit des Kindes bedroht und körperlich angegriffen. Zwischen dem Angeklagten und S. war es schon in der Vergangenheit zu vielen beiderseits aggressiv und seitens des Angeklagten teilweise auch körperlich geführten Streitigkeiten über den Umgang mit dem Kind gekommen. Obwohl ihm klar war, dass ein Zusammentreffen zu einer erneuten körperlichen Auseinandersetzung führen könnte, wollte der Angeklagte S. aufsuchen und ihn auffordern , seine Nichte und seine Halbschwester künftig in Ruhe zu lassen. Diese hatte indessen ihr Missfallen über eine Einmischung des Angeklagten erklärt. Um einem Konflikt mit ihr zu vermeiden, entschied er sich, sein Vorhaben gegenüber seiner Familie zu verschweigen.
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Vor seiner Begegnung mit S. bewaffnete er sich mit einer mit 15 Patronen geladenen halbautomatischen Pistole. Damit wollte er sich sowohl vor möglichen Überfällen Dritter als auch gegen eventuelle Übergriffe des S. schützen. Als er auf den leicht alkoholisierten S. traf und äußerte, mit ihm reden zu wollen, willigte dieser in eine Aussprache ein. Sie verabredeten sich in der Nähe seiner Wohnung, die S. zuvor noch kurz aufsuchte. Anschließend kehrte er mit einem Fahrrad zum Angeklagten zurück. Zwischen den beiden entwickelte sich ein mit Beschimpfungen geführter Streit, in dem S. nicht nachgab. Der Angeklagte drohte, ihn umzubringen, wenn er sein Verhalten gegenüber der Halbschwester und Nichte nicht ändere. Er zeigte dem neben ihm stehenden S. die im Hosenbund mitgebrachte Pistole und sagte, dass es sich um eine scharfe Waffe handele. S. erkannte, dass ihn der Angeklagte mit der Pistole angreifen und schwer verletzen könnte. Dennoch lenkte er nicht einmal zum Schein ein, sondern tat so, als nehme er die Drohung des Angeklagten nicht ernst. Er wies das Ansinnen des von ihm als „Clown“ bezeichneten Angeklagten zurück und kündigte an, er werde mit des- sen Halbschwester wieder eine Partnerschaft eingehen, was den Angeklagten weiter aufbrachte. Außerdem spielte S. die von ihm als solche erkannte Bedrohung herunter, indem er die Waffe des Angeklagten als Gaspistole bezeichnete.
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Dann suchte er sich der bedrohlichen Situation zu entziehen. Er stieg unvermittelt auf das Fahrrad und fuhr los, wobei er herablassend lachte. Der Angeklagte entschloss sich in diesem Moment, S. zu töten. Er zog die Pistole aus dem Hosenbund, lud sie durch und gab aus etwa fünf bis sieben Metern Entfernung in Tötungsabsicht zehn gezielte Schüsse ab, von denen sechs Oberkörper und Kopf des Opfers trafen und tödliche Verletzungen herbeiführten.
2. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke nicht als erfüllt
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angesehen. S. sei nicht arglos gewesen, da er spätestens mit der Todesdrohung durch den Angeklagten noch vor dessen Tatentschluss die Vorstellung verloren habe, vor einem Angriff des Angeklagten sicher zu sein. Er habe erkannt , dass der bewaffnete und aggressiv gestimmte Angeklagte ihn ernsthaft angreifen und schwer verletzen könne, womit er auch konkret gerechnet habe. Dies folge aus seinen Wahrnehmungen in der betreffenden Situation und aus seinen schon zuvor gewonnen Kenntnissen über den Angeklagten. So habe er aus den bisherigen in vergleichbarer Weise eskalierend verlaufenen Auseinandersetzungen mit dem Angeklagten gewusst, dass dieser besonders aggressiv agiert und zu gewaltsamen Übergriffen geneigt habe, wenn es um das Wohl der Halbschwester oder Nichte gegangen sei (UA S. 18).
Darüber hinaus habe es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang
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gefehlt: Wehrlos sei das unbewaffnete Tatopfer nicht wegen einer etwaigen Arglosigkeit, sondern wegen seiner unterlegenen Verteidigungsmittel gegenüber dem bewaffneten Angeklagten gewesen. Zumindest aber habe es dem Angeklagten an einem Ausnutzungsbewusstsein gefehlt.

II.


Die Revisionsführer beanstanden mit Recht, dass das Landgericht die
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Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke verneint hat und so zu einer Verurteilung (nur) wegen Totschlags gelangt ist.
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1. Das Landgericht ist zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; vom 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963; vom 29. April 2009 – 2 StR 470/08, NStZ 2009, 569). Wesentlich ist danach, dass der Mörder das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (st. Rspr. BGH, Urteile vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15; vom 15. September 2011 – 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35 und vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15, NStZ-RR 2016, 43, 44 mwN).
2. Die Verneinung einer Arg- und Wehrlosigkeit des hinterrücks erschos10 senen Tatopfers lässt jedoch eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts durch die Schwurgerichtskammer vermissen, die den Indizwert einer Reihe von zu Ungunsten des Angeklagten sprechenden Umstände nicht in seine Erwägungen einbezogen hat.
11
a) Die Schwurgerichtskammer hat sich insbesondere nicht näher damit auseinandergesetzt, dass das Opfer im Anschluss an die verbalen Provokationen und noch während der laufenden Auseinandersetzung sein Fahrrad bestieg und – dem Angeklagten den Rücken zuwendend – losfuhr. Die hiermit verbundene Preisgabe von Verteidigungsmöglichkeiten ist ein gewichtiges Indiz für seine erhalten gebliebene Arglosigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692; MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 152). Auch der weitere äußere Geschehensablauf legt für den Zeitpunkt unmittelbar vor Abgabe der Schüsse durch den Angeklagten die Annahme nahe , dass sich das Opfer keines Angriffs mit der Waffe versah. So verwahrte der Angeklagte, als sich S. von ihm abwandte, seine Pistole noch im Hosenbund. Das Streitgespräch und die Todesdrohungen des Angeklagten hatten sich auf ein zukünftiges Verhalten des S. bezogen. Seine Einschätzung der Situation, als er aus der Schlagweite des Angeklagten herausfuhr, hatte S. auch durch sein herablassendes Lachen zu erkennen gegeben.
12
Soweit das Landgericht auf die Kenntnisse des S. von zuvor bereits eskalierend verlaufenen Auseinandersetzungen mit dem Angeklagten abgestellt hat, ist dies nach dem für die Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke anzulegenden rechtlichen Maßstab kein entscheidender Gesichtspunkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen, da es darauf ankommt, ob es gerade im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben gerechnet hat (BGH, Urteile vom 23. August 2000 – 3 StR 234/00, NStZ-RR 2001, 14; vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338 und vom 11. November 2015 – 5 StR 259/15, NStZ-RR 2016, 72, 73 mwN; vgl. allerdings zur Bedeutung von Beziehungsverläufen bei bisheriger Gewaltlosigkeit des Täters BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692, und vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Ohnehin lassen sich die früheren Begegnungen durchaus gegenteilig in Bezug auf die im Moment der Tat bestehende innere Befindlichkeit des Tatopfers ausdeuten. Denn S. hatte sich – nach den Feststellungen einvernehmlich – auf eine Aussprache mit dem Angeklagten eingelassen. Er war in der Vergangenheit lediglich mit Körpereinsatz ausgeführter Gewalttätigkeit ausgesetzt, derer es sich zuletzt 2015 durch eigene Faustschläge zu erwehren gewusst hatte. Bei der einzigen früheren Auseinandersetzung, bei der der Angeklagte dem Opfer 2012 (mit einem Messer ) bewaffnet gegenübergetreten war, war es bei einer Bedrohung geblieben (UA S. 7).

b) Zu kurz greift auch die Erwägung zu einer fehlenden kausalen Ver13 knüpfung von einer Arglosigkeit des Tatopfers mit dessen Wehrlosigkeit. S. hatte sich unmittelbar vor den aus kurzer Distanz abgegebenen Schüssen von dem zuvor neben ihm stehenden Angeklagten abgewandt. Es war ihm deshalb nicht mehr möglich, durch körperliche Abwehr zu versuchen, den Einsatz der kurz danach vom Angeklagten gezogenen Pistole zu verhindern. Diesen Umstand hat das Landgericht nicht erkennbar gewichtet. Zudem ist ihm bei seiner Beurteilung der Verteidigungsmöglichkeiten aus dem Blick geraten, dass der Angeklagte dem ihm den Rücken zuwendenden Opfer die Möglichkeit genommen hatte, ihn verbal etwa durch Einlenken oder Bitten von seinem Tun abzuhalten. Insofern kann für die Frage der Wehrlosigkeit von Bedeutung sein, ob der Angreifer bei Ausführung der Tat dem Opfer von Angesicht zu Angesicht
gegenübersteht oder der Tatbeginn vom Opfer nicht bemerkt wird. Dies gilt in besonderem Maße, wenn Täter und Opfer – wie hier – in einem engen persönlichen Verhältnis zueinander stehen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 1984 – 4 StR 615/84, NStZ 1985, 216, und vom 9. September 2003 – 1 StR 153/03, NStZ-RR 2004, 79, 80; Beschlüsse vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8, und vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30). Dass ein Versuch verbaler Einwirkung auf den Angeklagten von vornherein sinnlos gewesen sein könnte, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen und liegt auch nicht nahe. Denn die Tötungsabsicht des Angeklagten war überhaupt erst aufgrund der verbalen Provokationen und der herablassenden Haltung des Tatopfers entstanden.
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c) Die vom Landgericht – von seinem Ausgangspunkt folgerichtig – nicht näher begründete Annahme eines fehlenden Ausnutzungsbewusstseins belegt das angefochtene Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht. Sie drängte sich nach der hier gegebenen Sachlage auch nicht auf.
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Für ein Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen , sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; vom 24. September 2014 – 2 StR 160/14, NStZ 2015, 214 f.). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter – wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers – auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511, und vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte.
Danach hätte die Schwurgerichtskammer bei dieser vom Tatgericht zu
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bewertenden Tatfrage (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – 5StR 438/12 aaO, und vom 20. August 2014 – 2 StR 605/13, NStZ 2014, 574, 575) beweiswürdigend die zur Frage der Schuldfähigkeit getroffenen Fest- stellungen aufgreifen müssen, dass „zum Tatzeitpunkt bei dem Angeklagten weder eine forensisch relevante Persönlichkeitsstörung noch eine sonstige relevante psychische Störung vorlag“, seine Einsichtsfähigkeit demgemäß vollständig vorhanden war und es bei ihm zu keinem Affekt- oder Impulsdurchbruch kam (UA S. 20 f.).
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3. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen des tateinheitlich begangenen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe.

III.


18
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat unter Bezugnahme auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts darauf hin, dass es bei erneuter Feststellung einer den Feststellungen des angefochtenen Urteils entsprechen- den Motivlage des Angeklagten geboten erscheint, die Voraussetzungen eines niedrigen Beweggrundes im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB zu prüfen.
Das neue Tatgericht wird sich für den Fall einer gleichbleibenden Einlas19 sung des Angeklagten, die den aufgehobenen Feststellungen des angefochtenen Urteils im Wesentlichen zugrunde gelegen hat, eingehender mit ihrer Plausibilität zu befassen und dabei zu beachten haben, dass es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, NJW 1995, 2300; vom 12. Dezember 2001 – 3 StR 303/01, NJW 2002, 1057, 1059; vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14; vom 10. August 2016 – 2 StR 579/15, und vom 25. Oktober 2016 – 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5, 6 mwN). Das Tatgericht darf daher entlastende Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Er muss sich vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52, 71; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325; Urteile vom 28. Januar 2009 – 2 StR 531/08, NStZ 2009, 285; vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14).
Sander Dölp König
Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 517/10
vom
11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München II vom 10. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner
Antragsschrift vom 4. Oktober 2010 bemerkt der Senat:
Soweit das Landgericht neben den Mordmerkmalen der Habgier und des
Ermöglichens einer Straftat auch das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt
angesehen hat, hält dies der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dieser
Rechtsfehler lässt aber im Ergebnis sowohl den Schuldspruch als auch den
Strafausspruch unberührt. Der Angeklagte ist daher hierdurch nicht beschwert.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt
heimtückisch, wer das Opfer unter bewusster Ausnutzung seiner Arg- und
Wehrlosigkeit tötet (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32,
382, 383 mwN). Für die Annahme von Arglosigkeit kommt es auf den Beginn
der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung an. Rechnet das Tatopfer aufgrund
einer vorangegangenen tätlichen Auseinandersetzung mit einem schwe-
ren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit, entfällt
seine Arglosigkeit (BGH, Urteil vom 24. Februar 1999 - 3 StR 520/98,
BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27 mwN).
So liegt der Fall auch hier: Als der Angeklagte damit begann, der Geschädigten
gegen den Kopf zu treten, und dabei nach den Feststellungen des
Landgerichts erstmals mit Tötungsvorsatz handelte, war die Geschädigte nicht
mehr arglos. Den Tritten war ein nicht mit Tötungsvorsatz geführter Angriff auf
ihre körperliche Unversehrtheit vorausgegangen. Der Angeklagte, der die ihm
unbekannte Geschädigte gemeinsam mit dem Mitangeklagten I. auf
ihrem Nachhauseweg ausrauben wollte, hatte ihr einen kräftigen Schlag gegen
die rechte Schläfe versetzt und sie hierdurch zu Boden gebracht. Entgegen den
Erwartungen der beiden Angeklagten gelang es ihnen aber anschließend zunächst
nicht, den Rucksack der Geschädigten zu entreißen. Sie setzte sich
hiergegen heftig zur Wehr und hielt den Rucksack mit beiden Händen an seinen
Riemen fest. Außerdem fragte sie die beiden an ihrem Rucksack zerrenden
Angeklagten, warum sie dies täten, sie habe ihnen doch nichts getan. Erst in
dieser Situation entschloss sich der Angeklagte S. , der Geschädigten mehrere
heftige Tritte in das Gesicht zu versetzen, um auf diese Weise in den Besitz
des Rucksacks zu gelangen, wobei er auch ihren Tod billigend in Kauf
nahm.
Eine Arglosigkeit der Geschädigten als Voraussetzung der Annahme von
Heimtücke lag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor. Sie hatte wegen des vorausgegangenen
Angriffs und der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung
um den Rucksack die ihr drohende Gefahr erkannt, was auch durch
ihre Äußerungen im Rahmen des Tatgeschehens belegt wird. Der Umstand,
dass sie bei dem Schlag gegen die Schläfe noch nicht mit einem Angriff ge-
rechnet hatte, ist insoweit ohne Belang, da der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt
nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt
hatte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1964 - 1 StR 105/64, BGHSt 19,
321, 322).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt hier auch kein Fall vor, bei
dem der Körperverletzungsvorsatz derart schnell in einen Tötungsvorsatz umgeschlagen
ist, dass dem Opfer keine Zeit blieb, dem Angriff irgendwie zu begegnen
(vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04; BGH, Urteil vom
27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 jew. mwN). Zwischen dem ersten
Angriff - dem Schlag gegen die Schläfe - und den mit Tötungsvorsatz ausgeführten
Tritten in das Gesicht der Geschädigten lag eine deutliche zeitliche Zäsur
, nämlich die Auseinandersetzung um den Rucksack. Bei dieser Auseinandersetzung
wurde deutlich, dass die Geschädigte durchaus zur Gegenwehr fähig
war, indem sie trotz des heftigen Zerrens der beiden Angeklagten nicht nur
den Rucksack mit beiden Händen festhielt, sondern auch noch versuchte, an
das Gewissen der beiden Angeklagten zu appellieren, um diese damit zu bewegen
, von der weiteren Tatausführung Abstand zu nehmen.
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes ist durch die fehlerhafte
Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke nicht betroffen, da das Landgericht
rechtsfehlerfrei von dem Vorliegen weiterer Mordmerkmale - Habgier und
Ermöglichen einer Straftat - ausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. August
1995 - 1 StR 393/95, BGHSt 41, 222).
3. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Denn das Landgericht hat das
von ihm angenommene Vorliegen von Heimtücke nicht strafschärfend gewertet.
Es hat lediglich bei der Bemessung der Jugendstrafe allgemein auf das Vorlie-
gen von „mehreren“ Mordmerkmalen abgestellt. Der für die Strafzumessung
bedeutsame Umstand, dass der Angeklagte mehr als nur ein Mordmerkmal
verwirklicht hat, ist im Hinblick auf die vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten
Mordmerkmale der Habgier und des Ermöglichens einer Straftat aber
auch ohne das Mordmerkmal der Heimtücke gegeben. Im Übrigen hat das
Landgericht bei der Bemessung der schuldangemessenen und erzieherisch
gebotenen Jugendstrafe auch gewichtige andere Umstände in den Blick genommen
, nämlich die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für die Geschädigte
und die hartnäckige Verfolgung des Plans durch den Angeklagten, an
jenem Tag einen Raub zu begehen. Der Senat kann daher ausschließen, dass
der Strafausspruch auf der fehlerhaften Annahme von Heimtücke beruht.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander