Bundesgerichtshof Urteil, 19. Okt. 2005 - 2 StR 98/05
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen "Verletzung der Fürsorgepflicht in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in fünf Fällen" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie ein Verfahrenshindernis geltend macht sowie die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt. Die Revision hat keinen Erfolg. I. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Soweit die Revision "allergrößte Zweifel" an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten hegt, fehlt es hierfür an einem hinreichenden Tatsachenvortrag. Wenn das Landgericht in der Hauptverhandlung ersichtlich keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten hatte und solche von der Verteidigung auch nicht geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne Bedenken bejaht werden (vgl. u.a. BGH,Beschl. vom 20. April 2004 - 1 StR 14/04; BGH, Beschl. vom 10. Mai 2001 - 1 StR 120/01; BGH, Beschl. vom 27. April 2001 - 3 StR 502/99; BGH NStZ 1984, 181 jeweils m.w.N.). II. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht schon unzulässig sind, weil sie nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Form oder verspätet (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) erhoben wurden, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere drängte sich die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit nicht auf. III. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos. 1. Die Beurteilung der Konkurrenzen durch den Tatrichter, der möglicherweise der fehlerhaften Auffassung ist, die Verletzung der Fürsorgepflicht verbinde die mehrfachen Misshandlungen von Schutzbefohlenen zu einer Tat, ist rechtlich bedenklich, zumal das Landgericht in drei "Fällen" die Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB für gegeben erachtet. Bedenken bestehen insbesondere auch deshalb, weil teilweise zwischen den Einzelhandlungen deutliche zeitliche Zäsuren (z.B. fünfwöchiger Krankenhausaufenthalt des Kindes) bestanden und weil es teilweise ganz erhebliche Körperverletzungen waren, die auch unter Berücksichtigung, dass das Tatbestandsmerkmal "Quälen" typischerweise mehrere Handlungen voraussetzt (vgl. BGHSt 41, 113 f.), nicht ohne weiteres die Annahme nur einer Tat rechtfertigen. Die Frage kann hier aber offen bleiben, weil der Senat mit Sicherheit ausschließen kann, dass die Angeklagte durch diesen Schuldspruch beschwert ist. Eine Änderun g des Konkurrenzverhältnisses lässt in aller Regel - so auch hier - den Unrechts- und Schuldgehalt unberührt (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschl. vom 1. März 2004 - 2 BvR 2251/03 m.w.N.).
2. Die Verneinung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB durch den Tatrichter weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die Strafkammer ist - sachverständig durch den Facharzt für Psychiatrie Prof. Dr. G. beraten - zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Eingangsmerkmal des § 20 StGB gegeben ist. Sie hat hierbei insbesondere geprüft, ob das "auffallend feindselige Verhalten" gegenüber dem Kleinkind, das dann im Alter von weniger als zwei Jahren gestorben ist, zu einer anderen Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten führt. Im Einklang mit dem Sachverständigen hat die Strafkammer dies verneint und zur Begründung hierfür angeführt: "Auch nach ihren Ausführungen in der Hauptverhandlung und dem durch die Zeugen beschriebenen Verhalten ist sie durchaus in der Lage, die entwicklungstypischen Bedürfnisse und Wünsche eines Kindes zu erfassen; dies ergibt sich im Übrigen bereits aus der Behandlung des älteren SohnesT. und der beiden jüngeren Kinder, die auch jetzt noch in der Familie der Angeklagten leben" (UA S. 28). Dass die Angeklagte die Umstände erkannte und ihr Verhalten steuern konnte, folgt auch daraus, dass sie ständig von anderen Personen auf die Missstände hingewiesen wurde, ihre Misshandlungen vertuschte und Tätigkeiten anderer, die dem Kind helfen wollten, mit Nachdruck verhinderte. Deshalb reichen die Erwägungen des Tatrichters hier zur Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler aus. Weitere Darlegungen drängten sich nicht auf.
3. Auch im Übrigen weist das Urteil im Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Durch die in Anbetracht der vorgenommenen erheblichen Misshandlungen des Kleinkindes milde Strafe ist die Angeklagte jedenfalls nicht beschwert. Bode Rothfuß Fischer Roggenbuck Appl
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat mit Schreiben vom 25. November 2003 - eingegangen beim Landgericht am 28. November 2003 - gebeten, ihm "das Recht zu geben, um Einspruch einzulegen". Er habe angenommen, eine Woche Zeit zu haben, um "Widerspruch" einzulegen. Seine Emotionen seien ihm "über den Kopf gestiegen", so daß er nicht alles verstanden habe. Dieses Schreiben ist als Einlegung der Revision auszulegen. Das Rechtsmittel ist unzulässig. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
"Die Revision ist unzulässig, weil Rechtsanwalt M. als Verteidiger des Angeklagten sowie der Angeklagte selbst ausweislich des beweiskräftigen Protokolls der Hauptverhandlung (§ 274 StPO) im Anschluss an die Verkündung des Urteils auf Rechtsmittel verzichtet haben (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO; Bl. 512 d.A.). Umstände, die Zweifel an der Wirksamkeit des Verzichts begründen könnten, bestehen nicht. Der Angeklagte macht mit seinem Vorbringen, ihm seien die Emotionen über den Kopf gestiegen, so dass er nicht alles verstanden habe (Bl. 541 d.A.), geltend, zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung verhandlungsunfähig gewesen zu sein. Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, in oder außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger Weise zu führen, Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (Pfeiffer in KK 5. Aufl. Einl. Rdn. 26 m.w.N.). Sie wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen; auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an (BGH NStZ 1983, 280; BGH bei Kusch NStZ 1997, 378; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 3, 16). Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorliegt, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen ; der Grundsatz 'in dubio pro reo' gilt hier nicht (BGH a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt schon nach dem Vorbringen des Angeklagten nicht vor, weil allein die Tatsache, dass er zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung emotional aufgewühlt war, nicht in Frage stellt, dass er sich der Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung bewusst war. Auch aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich kein Hinweis darauf, dass Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des
Angeklagten bestanden haben. Er hat während der eintägigen Verhandlung aktiv an der Verhandlung teilgenommen und Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen gemacht (Bl. 505 d.A.). Nach der Erklärung des Vorsitzenden, dass die Kammer für den Fall eines Geständnisses auf keine höhere Gesamtstrafe als zwei Jahre und drei Monate erkennen werde, hat der Verteidiger nach einer Besprechung mit dem Angeklagten erklärt, dass dieser mit der Vorgehensweise einverstanden sei und eine Erklärung für ihn abgegeben (Bl. 506 d.A.). Den Rechtsmittelverzicht hat der Angeklagte nach Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung erklärt. Die Erklärung wurde vorgelesen und genehmigt (Bl. 512 d.A.). Wenn das Landgericht danach keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von der Verteidigung nicht geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne Bedenken bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1984, 181; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16). Ein Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2002, 114 m.w.N.). Infolge des wirksamen Verzichts ist das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 20. November 2003 in Rechtskraft erwachsen. Die dagegen eingelegte Revision ist somit nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen."
Dem tritt der Senat bei. Boetticher Schluckebier Kolz Elf Graf
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Die Revision ist unzulässig, weil Rechtsanwalt U. als Verteidiger des Angeklagten sowie der Angeklagte selbst ausweislich des beweiskräftigen Protokolls der Hauptverhandlung (§ 274 StPO) nach Verkündung des Urteils auf Rechtsmittel verzichtet haben. Umstände, die Zweifel an der Wirksamkeit dieses Verzichts begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Angeklagte bei Abgabe seiner Verzichtserklärung etwa verhandlungsunfähig und damit nicht in der Lage gewesen wäre, die Bedeutung dieser Erklärung zu erkennen. Diese Fähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen; auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an (BGH NStZ 1983, 280; BGH bei Kusch NStZ 1997, 378; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 3, 16). Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorlag, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen; der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt hier nicht (BGH aaO).Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich kein Hinweis darauf , daß Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestanden haben. Er hat aktiv an der Hauptverhandlung teilgenommen, sich namentlich zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geäußert und sich zur Sache eingelassen. Dabei hat er eine Handskizze verfertigt und diese erläutert. Auch im weiteren Verlauf der eintägigen Verhandlung hat er sich weiter geäußert. Den Rechtsmittelverzicht hat er nach Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung und nach Besprechung mit seinem Verteidiger erklärt. Diese Erklärung ist nochmals vorgelesen und ausdrücklich genehmigt worden. Das alles ergibt sich aus dem Sitzungsprotokoll. Wenn das Landgericht danach keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von der Verteidigung nicht geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne Bedenken bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1984, 181; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16).
Der erklärte Rechtsmittelverzicht ist weder widerruflich noch anfechtbar (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 302 Rdn. 21 m.w.Nachw.). Die trotz wirksamen Verzichts eingelegte Revision ist unzulässig und muß verworfen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Schäfer Nack Wahl Boetticher Schluckebier
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die
- 1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht, - 2.
seinem Hausstand angehört, - 3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder - 4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr
- 1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder - 2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.