Bundesgerichtshof Urteil, 06. Aug. 2014 - 1 StR 63/14

bei uns veröffentlicht am06.08.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 3 / 1 4
vom
6. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. August 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 27. September 2013 wird verworfen.
Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin freigesprochen. Die Revision der Nebenklägerin , die mit der Sachrüge und Verfahrensbeanstandungen begründet wird, bleibt erfolglos.

I.

2
1. Dem Angeklagten liegt gemäß der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage zur Last, am 31. Oktober 2012 zwischen 22.30 Uhr und 23.00 Uhr in der Küche des gemeinsam bewohnten Anwesens in A. seine damalige Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, durch einen mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten wuchtigen Stich mit einem spitzen Steak- messer (Filetiermesser) in den Bauchbereich lebensgefährlich verletzt zu haben ; zudem habe er der Nebenklägerin weitere Verletzungen mit dem Messer zugefügt, als diese um Hilfe rufend nach draußen gegangen sei.
3
2. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
4
Der Angeklagte und die Nebenklägerin kennen sich seit 1997 und unterhielten seitdem intime Beziehungen. Während ihrer Beziehung wurde der Angeklagte mehrmals unter Alkoholeinfluss ohne Anlass gegenüber der Nebenklägerin gewalttätig, zuletzt im Jahr 2006. Beim letzten Vorfall schlug der Angeklagte die Nebenklägerin mit der Faust ins Gesicht und schlug so auf sie ein, dass sie zu Boden ging. Anschließend trat er mit seinen beschuhten Füßen auf sie ein, so dass sie am nächsten Tag ins Krankenhaus gebracht werden musste , wo ein Rippenbruch festgestellt wurde. Im Rahmen einer dieser Auseinandersetzungen hatte die Nebenklägerin nach einem Schlag durch den Angeklagten in einem Lokal ein Bierglas zerschlagen und versucht, sich mit einer Scherbe die Pulsadern aufzutrennen, um auf sich aufmerksam zu machen. Dies führte zu einer einwöchigen psychiatrischen Behandlung der Nebenklägerin.
5
Nachdem der 22 Jahre ältere Ehemann der Nebenklägerin, der von der Beziehung seiner Ehefrau mit dem Angeklagten wusste und sie duldete, im Jahr 2010 verstorben war, beabsichtigten der Angeklagte und die Nebenklägerin , im Jahr 2013 zusammenzuziehen. Weil sich die finanzielle Situation des Angeklagten deutlich verschlechterte, musste er seine Wohnung aufgeben und zog schon im September 2012 bei der Nebenklägerin ein.
6
Am 31. Oktober 2012 tranken beide – gemäß einer länger donnerstags geübten Gewohnheit – gemeinsam ab 18.00 Uhr in einer Gaststätte. Mit dem Taxi ging es nach dem Konsum erheblicher Mengen Alkohol gegen 22.00 Uhr nach Hause, wo Nachbarn das angetrunkene Paar dabei beobachteten, wie es alkoholbedingt Schwierigkeiten beim Gehen und beim Öffnen der Tür hatte. Die Nebenklägerin ging in die Küche und begann dort, für eine Linsensuppe Kartoffeln zu schneiden. Der Angeklagte legte seine Lederjacke ab und entkleidete sich bis auf T-Shirt und Unterhose.
7
Im Rahmen eines von der Kammer nicht weiter aufklärbaren Geschehensablaufs erlitt die Nebenklägerin neben mehreren Schnittwunden an der linken Hand und am Unterarm eine kleine blutende Verletzung am rechten Zeigefinger sowie eine tiefe und lebensgefährliche Stichverletzung im Oberbauch, durch die sowohl die Magenvorderwand wie auch die Magenhinterwand durchstoßen und die Bauchspeicheldrüse verletzt wurde. Der Angeklagte erlitt eine 10 cm lange Schnittverletzung an der linken Innenhand als auch eine weitere parallele Hautdurchtrennung. Zu diesem Zeitpunkt wirkte auf den Angeklagten eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,82 Promille ein. Die der Nebenklägerin entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,62 Promille auf.
8
Kurz nach 23.00 Uhr befanden sich der Angeklagte und die Nebenklägerin vor der Haustür des Wohnanwesens. Auf dem Boden lag ein verbogenes Steakmesser (Filetiermesser). Die blutende Nebenklägerin saß auf der Gartenbank und rief um Hilfe. Der erheblich alkoholisierte und an der Hand blutende Angeklagte versuchte, sie dazu zu bewegen, mit ihm in das Haus zurückzugehen , was sie aber wiederholt ablehnte. Als ein durch die Hilferufe aufmerksam gewordener Nachbar herbeikam, zeigte die Nebenklägerin ihm den Bauchstich und sagte: „Der Arsch hat mir zweimal das Messer in den Bauch gesteckt“ (bzw. „gerammt“). Auch gegenüber einem weiteren Nachbarn erklärte die Ne- benklägerin, dass der Angeklagte sie gestochen habe; dieser kommentierte dies mit den Worten „Ja, ich, ganz bestimmt, ich war ja immer alles!“ gegenüber einem Zeugen, der ihn ins Wohnhaus zurückbrachte, äußerte der Angeklagte: „So weit kann einen eine Frau bringen!“. Zu den eintreffenden Rettungssanitätern sagte die Nebenklägerin „Der gehört doch weggesperrt, der Vollidiot!“ und „Der ist voll auf mich losgegangen“. Zudem erklärte sie, dass sie mit dem An- geklagten nach einem Schoppen nach Hause gekommen sei, sie alles gemacht habe und er sie niedergestochen habe. Als dem Angeklagten am nächsten Tag der Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts eröffnet wurde, erklärte er bezo- gen auf die Nebenklägerin „Ist die bekloppt oder was?“ und erläuterte, dass er einen Stich in die linke Hand bekommen habe, er aber nicht wisse, was passiert sei. In einem im Mai 2013 verfassten Brief schrieb der Angeklagte bezüg- lich der Nebenklägerin: „Wäre die Prozessgegnerin meinem Wunsche am 31.10.2012 um 20.00 h gefolgt, wäre die peinliche Auseinandersetzung zwischen uns wahrscheinlich nicht erfolgt.“
9
3. Zur Beweiswürdigung des Landgerichts:
10
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung lediglich Angaben zur Vorgeschichte gemacht, nicht aber zum Tattag. Gegenüber dem Ermittlungsrichter hatte er die Geschehnisse am Tattag einschließlich der Taxifahrt geschildert und gemeint, alles sei in Ordnung gewesen, er könne sich auch nicht vorstellen , dass man anschließend einen heftigen Streit gehabt habe. Er wisse auch nicht, wie es zu seinen Verletzungen gekommen sei; seine Erinnerung setze erst wieder im Krankenhaus ein.
11
Die Nebenklägerin hat bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung zwei Tage nach der Tat die Geschehnisse bis zur Zubereitung der Linsensuppe mit allen Einzelheiten berichtet und erklärt, anschließend habe sie einen „Faden- riss“. Sie wisse nur noch, dass sie schnell aus dem Haus habe heraus wollen, da sie einen Stich oder eine Verletzung gemerkt habe. Draußen habe sie mit ihrer linken Hand etwas abgewehrt, weil sie gemerkt habe, dass der Angeklagte noch weiter habe zustechen wollen.
12
Bei weiteren polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin konkretere Angaben gemacht. Gegenüber Zeugen konnte die Nebenklägerin das Geschehen zunächst ebenfalls nur bruchstückhaft berichten. Weil sie sich an den Vorfall nicht habe erinnern können, der ihr keine Ruhe gelassen habe, habe sie – so eine Zeugin – immer wieder Gedächtnislücken zu füllen versucht, etwa anhand der Fotos vom Tatort, die ihr eine Bekannte und die Polizei vorgelegt hätten. Auch in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin angegeben, dass sie zunächst keine Erinnerung an die zu den Verletzungen führenden Vorgänge gehabt habe; weil sie sich aber täglich Gedanken gemacht und eine Zeugin ihr bereits früh Fotos vom Tatort mitgebracht habe, seien dann Kleinigkeiten wieder ins Gedächtnis zurückgekommen. Die Kammer hat nicht ausschließen können, dass die Erweiterungen der ursprünglichen Aussage der Nebenklägerin suggestiv beeinflusst und deshalb unzuverlässig seien; die Nebenklägerin habe – so die Kammer – immer wieder Erinnerungslücken durch Schlussfolgerungen anhand anderweitiger Informationen und eine aus Sicht der Nebenklägerin logische Rekonstruktion des Tatablaufs geschlossen.
13
An dem Filetiermesser wurde beim Abrieb von Blutspuren an verschiedenen Stellen DNA des Angeklagten und der Nebenklägerin gefunden. An dem Pullover der Nebenklägerin befand sich im Lendenbereich ein ca. 1,5 cm langer Defekt, der allerdings keine Blutanhaftungen aufwies.
14
Als Sachverständigen hat das Landgericht u.a. einen Rechtsmediziner gehört. Nach seinen Ausführungen, denen sich die Kammer angeschlossen hat, wurden die Verletzungen bei der Nebenklägerin und beim Angeklagten wahrscheinlich durch das später verbogen aufgefundene Steakmesser (Filetiermesser ) verursacht. Das Verletzungsbild beim Angeklagten spräche auf den ersten Blick für Abwehrverletzungen, wie sie etwa entstehen, wenn man zur Abwehr eines Angriffs in ein Messer greift. Der lebensgefährliche Bauchstich bei der Nebenklägerin müsse durch ein schwungvolles Zustechen verursacht worden sein; die weiteren Verletzungen der Nebenklägerin seien mit ihrer Schilderung, sie habe mit dem linken Arm Messerangriffe des Angeklagten abzuwehren versucht, in Einklang zu bringen. Der Sachverständige konnte keine Angaben dazu machen, wer die jeweiligen Verletzungen verursacht hat. Nach Angaben eines als Zeugen gehörten Kriminalbeamten spricht nach kriminalistischer Erfahrung gegen eine Selbstverletzung der Nebenklägerin mittels Bauchstichs das Fehlen sog. Zauderstiche (vorheriger Stichversuche) und das Durchtrennen der Kleidung.
15
Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass der Angeklagte der Nebenklägerin den lebensgefährlichen Bauchstich zugefügt hat. Nach Ansicht der Kammer gibt es kein belastbares Indiz für ein Durchstoßen der Kleidung mit dem Messer, weil an dem einzigen Stoffdefekt Blutanhaftungen fehlen, die beim Durchstoßen des Pullovers und dem Zufügen eines derartigen Bauchstichs regelmäßig zu erwarten seien. Zudem sei die Nebenklägerin deutlich enthemmt gewesen und habe sich schon früher selbst verletzt, so dass nicht auszuschließen sei, dass sie sich selbst das Messer in den Bauch gestoßen habe. Die weiteren Verletzungen der Nebenklägerin könnten auch dadurch entstanden sein, dass sich der Angeklagte in Notwehr gegen einen Angriff der Zeugin gewehrt habe, weil insbesondere die Spurenlage bezüglich des in der Küche aufgefundenen „großen Messers“ darauf hindeute, dass die Nebenklä- gerin dies in der Hand hatte. Gegen die Angaben der Nebenklägerin zum Tatgeschehen spreche auch, dass sie den durch die Hilferufe herbeigeilten Zeu- gen gesagt habe, der Angeklagte habe sie zweimal in den Bauch gestochen, obwohl sie nur einen Bauchstich erlitten habe.
16
Der Angeklagte habe die Tat zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich eingeräumt. Zwar spräche die unmittelbar nach dem Geschehen getätigte Äußerung „Soweit kann einen eine Frau bringen“ für ein Einräumen der Täterschaft, zwingend sei dies aber nicht, auch weil der Angeklagte zuvor gesagt hatte „Ja, ganz bestimmt, ich war ja immer alles“. Auch die spätere Äußerung zu der Nebenklägerin in dem Brief vom Mai 2013 sei kein Indiz zu Lasten des Angeklagten. Die früheren Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin könnten zwar als belastendes Indiz gewertet werden, allerdings reiche dieser Umstand für sich genommen nicht aus, um die Kammer bei ansonsten unaufgeklärtem Geschehensablauf von einem rechtswidrigen Angriff des Angeklagten auf die Nebenklägerin zu überzeugen.
17
Auch in der „Zusammenschau sämtlicher Beweismittel“ sei die Kammer nicht in der Lage, das eigentliche Tatgeschehen zu rekonstruieren; sie könne weder ausschließen, dass die Nebenklägerin den Angeklagten angegriffen und dieser sich nur gewehrt habe, noch dass sie sich selbst den Stich in den Bauch versetzt habe.

II.

18
Die zulässige Revision der Nebenklägerin ist unbegründet.
19
1. Die Verfahrensbeanstandungen hinsichtlich des Zeugen H. sind, worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 14. April 2014 zutreffend hingewiesen hat, nicht in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt und deshalb unzulässig.
20
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler auf.
21
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind.
22
Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110 f. mwN).
23
Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglich- keit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. Senat aaO S. 111 mwN). Deshalb muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden (Senat, Urteil vom 18. März 2009 – 1 StR 549/08).
24
b) Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil gerecht. Die vom Landgericht vorgenommene „Zusammenschau sämtlicher Beweismittel“ genügt noch den oben dargelegten revisionsrechtlichen Anforderungen an eine umfassende Gesamtwürdigung sämtlicher Indizien. Auch revisionsrechtlich beachtliche Erörterungsmängel bestehen nicht. Raum Graf Jäger Mosbacher Fischer

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 114/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
die Nebenklägerin persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.

I.


2
1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
3
In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
4
Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
5
In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
6
Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
7
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
8
Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.

II.


9
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
11
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).

12
2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
13
a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
14
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
15
aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
16
bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
17
b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
18
c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
19
d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
20
e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
21
Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
22
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
Nack Wahl Elf Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 549/08
vom
18. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18. März 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklage,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 2. Mai 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 21. Februar 2007 gegen 18.00 Uhr und dem 22. Februar 2007 gegen 15.00 Uhr seinen Onkel K. H. aus Habgier und heimtückisch erdrosselt zu haben.
2
Gegen diesen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der wegen Diebstahls und Betrugs vorbestrafte arbeitslose Angeklagte, der seit seiner Jugend Kampf- und Ausdauersportarten betreibt, befand sich seit Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Im Februar 2007 lebte er mit seiner Frau, die sich von ihm trennen wollte, und seinem kleinen Sohn in einem Motel in Straubing. An regelmäßigen Einkünften hatten sie nur das Erziehungs- und Kindergeld, das für die Deckung ihrer Lebenshaltungskosten - der Angeklagte hatte neben dem Motelzimmer auch einen Mietwagen (einen schwarzen Audi A3) zu zahlen - nicht ausreichte. In dieser Zeit hatte der Angeklagte engen Kontakt zu seinem in Bogen wohnenden Onkel, dem 48 Jahre alt gewordenen K. H. , dem späteren Opfer der Tat. Er besuchte ihn zu Hause, fuhr ihn zum Einkaufen und ging gelegentlich mit ihm aus. Außerdem stellte er den Kontakt zu einem Gebrauchtwagenhändler her, der K. H. s Auto, das durch einen Unfall beschädigt worden und nicht mehr fahrtauglich war, kaufen wollte. Am Nachmittag des 21. Februar 2007 war der Angeklagte bei seinem Onkel in Bogen zu Besuch. Gegen 17.00 Uhr holte der Gebrauchtwagenhändler das Auto bei K. H. ab und zahlte diesem 2.700,-- Euro in bar, davon 2.500,-- Euro in fünf 500-Euro-Scheinen. Das letzte Lebenszeichen, das zweifelsfrei K. H. zugeordnet werden konnte, war eine SMS mit persönlichem Inhalt, die dieser um 18.50 Uhr an die Lebensgefährtin seines Bruders verschickte.
5
Am späten Nachmittag des folgenden Tages, dem 22. Februar 2007, zahlte der Angeklagte einen Teil seiner Schulden zurück. So überbrachte er dem Zeugen M. einen Umschlag, in dem sich ein 500-Euro-Schein und ein 100-Euro-Schein befanden. Das Geld hatte er sich von diesem mit dem Versprechen geliehen, es umgehend wieder zurück zu zahlen. An dieses Versprechen hatte er sich jedoch nicht gehalten und der Zeuge M. hatte ihn zuletzt massiv zur Rückzahlung des Darlehens gedrängt. Gegen 16.30 Uhr zahlte er mit weiteren zwei 500-Euro-Scheinen zudem einen Teil seiner MotelRechnung , nachdem er auch hier bereits mehrfach zur Zahlung aufgefordert worden war. Am 23. Februar 2007 zahlte er noch 500,-- Euro auf seinem Konto bei der Postbank ein.
6
An diesem Tag fiel erstmals auch das Verschwinden von K. H. auf. Sein Bruder, der Zeuge F. H. , und dessen Lebensgefährtin, die Zeugin E. W. , konnten ihn nicht mehr erreichen. Sein Mobiltelefon war ausgeschaltet und auch zuhause konnte er nicht mehr angetroffen werden. Im Rahmen ihrer Suche befragten F. H. und E. W. auch den Angeklagten nach dem Verbleib von K. H. . Dieser gab dabei an, dass er nicht wisse, wo dieser sei. Am 25. Februar 2007 fand eine Aussprache zwischen diesen Personen auf dem „Bogenberg“ statt, in deren Verlauf der Angeklagte von F. H. und E. W. erneut zu dem Verbleib von K. H. befragt wurde. Dabei gab der Angeklagte unter anderem an, dass er am späten Vormittag des 22. Februar 2007 bei K. H. zu Besuch gewesen sei und ihn zum Einkaufen gefahren habe. Als er den Onkel danach verlassen habe , sei dieser noch am Leben gewesen.
7
Am 26. Februar 2007 gegen 14.30 Uhr fand eine Feldarbeiterin die Leiche K. H. s zwischen Strohballen auf einem Feld nahe der Bundesstraße B 8 in Straubing Lerchenhaid. An der Vorderseite seines Halses fand sich eine nahezu waagrecht verlaufende Strangfurche. Bei der anschließenden Obduktion wurde zudem an der Vorderseite der Halswirbelsäule eine klaffende Spaltbildung festgestellt. Als Todesursache wurde daraufhin ein zentrales Regulationsversagen infolge Strangulation im Sinne des Drosselns ermittelt, wobei die Einwirkung von hinten mit einer Überstreckung des Kopfes erfolgte. Geldbörse, Handy und Schlüsselbund von K. H. waren ebenso verschwunden wie die 2.700,-- Euro, die er anlässlich des Verkaufs seines Autos erhalten hatte.
8
2. Der gegen den Angeklagten sprechende Tatverdacht beruht auf folgenden Erkenntnissen:
9
a) Der Angeklagte, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, gab am Nachmittag des 22. Februar und am 23. Februar 2007 insgesamt einen Betrag von 2.100,-- Euro aus, wobei er mit vier 500-Euro-Scheinen und einem 100-Euro-Schein zahlte. Einer der von dem Angeklagten verauslagten 500Euro -Scheine konnte von der Polizei sichergestellt werden. Bei einem Vergleich der Seriennummer dieses Scheines mit den Seriennummern von fünf weiteren 500-Euro-Scheinen, die bei dem Bruder des Gebrauchtwagenhändlers sichergestellt werden konnten und die, wie die an K. H. übergebenen und nach dessen Tod verschwundenen Geldscheine, aus einem Autoverkauf in Wuppertal stammten, konnte festgestellt werden, dass alle diese Scheine aus einer Serie stammten, die im Jahr 2004 an die Filiale der Deutschen Bundesbank in Mainz ausgegeben worden waren.
10
b) Zur Herkunft des von ihm am 22. und 23. Februar 2007 verausgabten Geldes bei seiner Beschuldigtenvernehmung befragt, gab der Angeklagte an, dass ein Teil davon von einem spanischen Boxtrainer stamme, den er an dem Wochenende vor dem 2. Februar 2007 in einem Hotel in München getroffen habe und von dem er 2.800,-- Euro in bar erhalten habe. Den anderen Teil des Geldes habe er von seinen Konten in der Schweiz abgehoben. Bei den anschließenden polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Angeklagte im Februar 2007 und davor keine Guthaben auf seinen Konten in der Schweiz hatte. Der spanische Boxtrainer konnte ebenfalls nicht ermittelt werden. Anfragen der Polizei in dem Hotel in München, bei verschiedenen spanischen Boxverbänden und unter der von dem Angeklagten bezeichneten Wohnadresse in Spanien verliefen negativ. Die von dem Angeklagten angegebene E-Mail-Adresse des Trainers war früher einmal existent, aber seit dem 27. Februar 2007 nicht mehr gültig.
11
c) Bei der Auswertung der Telefonverbindungsdaten wurde festgestellt, dass das Handy des Opfers am 22. Februar 2007 um 12.42 Uhr in dem Funkzellenbereich „Straubing Alburg“ eingebucht war, in dem sich auch der Leichenfundort befindet. Kurz zuvor um 12.25 Uhr fand ein Telefongespräch mit dem Handy des Opfers, das sich zu diesem Zeitpunkt in einem Funkzellenbereich im Norden von Straubing befand, und dem Handy des Bruders des Angeklagten statt. Da K. H. kaum Kontakt zu dem Bruder des Angeklagten gehabt hatte, war der Angeklagte, der in seiner Beschuldigtenvernehmung zudem angegeben hatte, um die Mittagszeit des 22. Februar 2007 bei K. H. gewesen zu sein, als potentieller Anrufer in Betracht gekommen, zumal sein eigenes Handy zum Zeitpunkt des Telefonanrufs bei seinem Bruder um 12.25 Uhr kein Gesprächsguthaben mehr aufwies und deshalb bereits um 11.24 Uhr ein Telefonanruf auf dem Handy des Opfers nicht mehr zustande gekommen war.
12
d) Bei der kriminaltechnischen Untersuchung der Opferbekleidung wurde schließlich in der rechten Gesäßtasche der Hose eine DNA-Mischspur festge- stellt, die in sechs Merkmalen mit dem Erbgut des Angeklagten identisch war. An der linken Schulterinnenseite der Jacke des Opfers wurde zudem eine stark ausgeprägte DNA-Spur nachgewiesen, die der Ehefrau des Angeklagten zugeordnet werden konnte.
13
3. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
14
a) Im Rahmen seiner umfangreichen Beweiswürdigung hat es insbesondere dargelegt, dass es nicht feststehe, dass sich der Angeklagte das von ihm am 22. und 23. Februar 2007 verauslagte Geld gewaltsam oder gar durch die Tötung seines Onkels verschafft habe. So könnte es ihm von diesem auch freiwillig überlassen worden sein, beispielsweise im Wege eines Verwandtendarlehens oder durch Betrug. Der Angeklagte sei einschlägig vorbestraft und habe in der Vergangenheit immer wieder Vermögensvorteile durch Versprechungen erlangt, die er glaubhaft vorgetragen, aber letztlich nicht gehalten habe.
15
b) Dass der Angeklagte bei der Polizei behauptete, dass er das Geld nicht von dem Tatopfer erhalten habe, sondern dass dieses teilweise von einem spanischen Boxtrainer, dessen Existenz in der Beweisaufnahme nicht nachgewiesen werden konnte, bzw. von seinen Konten in der Schweiz stammen würde , die jedoch nach den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung im Februar 2007 und davor keine Guthaben aufwiesen, sieht das Landgericht nicht als ein für die Annahme der Schuld des Angeklagten ausreichendes Indiz an. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung zu einer Lüge gegriffen habe, nachdem ihm die Erlangung des von ihm verauslagten Geldes von der Polizei als Mordmotiv vorgehalten worden sei, um sich nicht selbst einem Verdacht auszusetzen.

16
c) Nach den Ausführungen des Landgerichts sei es auch „nicht ausschließbar zutreffend“, dass das Opfer, wie dies der Angeklagte anlässlich einer Aussprache mit F. H. am 25. Februar 2007 behauptet habe, den Anruf am 22. Februar 2007 um 12.25 Uhr auf das Handy des Bruders des Angeklagten noch selbst getätigt habe. Bedingung hierfür sei, dass der Angeklagte - entgegen seinen eigenen Angaben gegenüber F. H. und der Polizei - nicht durchgängig vom Vormittag bis zum Nachmittag des 22. Februar 2007 bei K. H. in Bogen gewesen sein könne. Als Erklärung für die abweichende Einlassung des Angeklagten führt das Landgericht an, dass er damit möglicherweise einen Besuch am Morgen des 22. Februar 2007 bei E. W. habe verschleiern wollen, indem er insbesondere einen Besuch bei dem Tatopfer nur deshalb behauptet habe, „um entstehende Zeitlücken“ zu füllen. Auch wenn anhand der erhobenen Verbindungsdaten feststehe, dass K. H. niemals die Handynummer des Angeklagten benutzt habe, könne nicht ausgeschlossen werden, dass K. H. dennoch über die Rufnummer des Bruders des Angeklagten verfügt habe. Der Angeklagte soll nämlich gegenüber F. H. und E. W. behauptet haben, dass er K. H. einmal mit dem Handy seines Bruders angerufen habe, so dass es bei dieser Gelegenheit - im Fall der Richtigkeit dieser Angaben - zu einer Übertragung der Rufnummer gekommen sein könnte. Eine nähere Aufklärung sei in diesem Punkt aber nicht zu erzielen gewesen, weil K. H. s Handy nicht mehr zur Auswertung zur Verfügung gestanden habe.
17
d) Das Landgericht hat weiterhin ausgeführt, dass es auch keine sonstigen „tragfähigen“ Erkenntnisse für die Täterschaft des Angeklagten gebe. Eine bei der kriminaltechnischen Untersuchung in der rechten Gesäßtasche der Hose des Opfers festgestellte DNA-Mischspur sei zwar in sechs Merkmalen mit dem Erbgut des Angeklagten identisch. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei diese Mischspur aber auch als eine Kombination aus der DNA von bis zu vier Personen oder als eine indirekte Antragung durch das Opfer selbst denkbar. Eine an der linken Schulterinnenseite der Jacke des Opfers stark ausgeprägte DNA-Spur, die der Ehefrau des Angeklagten zugeordnet werden konnte, könnte entweder direkt anlässlich eines Besuchs des Angeklagten und seiner Familie bei K. H. am Faschingssonntag, dem 18. Februar 2007, oder indirekt durch den Angeklagten selbst angetragen worden sein, ohne dass dies aber in Bezug zu der konkreten Tat stehen müsse.
18
e) Das Landgericht hat schließlich dargelegt, dass eine zusammenfassende Würdigung aller Beweise und Indizien zu dem Ergebnis führen würde, dass erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten verbleiben würden, da seine Einlassung im Wesentlichen stimmig sei, ein unmittelbarer Tatnachweis fehle und die vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und „mit real fundierten Argumenten zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar“ seien.

II.


19
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
20
Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; BGH NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 und 33).
21
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
22
1. In der Beweiswürdigung selbst muss der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (BGH NStZ-RR 2003, 369, 370 m.w.N.).
23
Diesen Anforderungen genügt die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Indizien nicht.
24
a) Bereits die in diesem Zusammenhang gewählte Formulierung des Landgerichts, wonach die vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und „mit real fundierten Argumenten zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar“ seien, lässt nicht erkennen, inwieweit das Landgericht die vorhandenen gewichtigen belastenden Indizien tatsächlich im Zusammenhang gewürdigt hat.
25
b) Die Urteilsgründe lassen zudem besorgen, dass das Landgericht die betreffenden Beweisanzeichen nur isoliert bewertet und nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung eingestellt hat. Das Landgericht stellt die - sich in Teilbereichen widersprechenden - Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei bzw. gegenüber F. H. und E. W. nicht im Zusammenhang dar, sondern legt seiner Beweiswürdigung jeweils nur die einzelnen von dem Angeklagten genannten Tatsachen zugrunde und überprüft diese nacheinander auf ihre Glaubhaftigkeit. Die den Angeklagten belastenden Umstände würdigt es dabei nur isoliert im Kontext der jeweiligen Tatsachenbehauptung des Angeklagten und erörtert diese lediglich auf die Frage hin, ob sie dazu geeignet sind, die Angaben des Angeklagten zu widerlegen. Dabei kommt das Landgericht jeweils zu dem Ergebnis, dass auch Deutungen dieser einzelnen Beweisanzeichen möglich sind, die den Angeklagten nicht belasten würden.
26
Diese Vorgehensweise legt die Annahme nahe, dass das Landgericht den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und so den Blick dafür verloren hat, dass auch Indizien, die einzeln nebeneinander stehen, aber jeweils für sich einen Hinweis auf die Täterschaft des Angeklagten enthalten, zwar nicht quantitativ, wovon das Landgericht zutreffend ausgeht, aber doch in ihrer Gesamtheit die Überzeugung des Tatrichters von dessen Schuld begründen können (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 45). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht diese und wei- tere Indizien, die es aufgrund der von ihm in den Raum gestellten Deutungsmöglichkeiten als nicht ausreichend erachtet hat, um die Angaben des Angeklagten in ihren jeweiligen Einzelheiten zu widerlegen, bei der Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt hat, obwohl ihnen im Zusammenhang mit den übrigen belastenden Indizien ein belastender Beweiswert zukommen kann (vgl. BGH, Urt. vom 29. August 2007 - 2 StR 284/07).
27
2. Eine ausführliche Gesamtwürdigung war im vorliegenden Fall auch gerade deshalb erforderlich, weil das Landgericht seine Überzeugung, wonach die Einlassung des Angeklagten „im Wesentlichen stimmig“ sei und die „vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar“ seien, durchgängig auf Deutungsmöglichkeiten stützt, die als eher fern liegend betrachtet werden müssen.
28
a) Der Senat verkennt dabei nicht, dass es die Aufgabe des Tatrichters ist, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten (BGH NStZ 2008, 146, 147). Allein, dass ein bestimmtes Ergebnis dabei nicht fern liegt, schließt nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (BGH, Urt. vom 3. Juni 2008 - 1 StR 59/08 m.w.N.). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss er im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar erwägen, dass er sich dieser besonderen Konstellation bewusst war. Anderenfalls kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat.

29
b) Im vorliegenden Fall ist das Landgericht in seiner Beweiswürdigung mehrfach von Hypothesen ausgegangen, für die es nach der Beweisaufnahme keine oder nur unzureichende Anhaltspunkte gab und die damit eher fern liegend waren.
30
aa) So erörtert die Kammer in Bezug auf die Herkunft der von dem Angeklagten verausgabten 500-Euro-Scheine, dass er diese möglicherweise durch ein Verwandtendarlehen oder - worauf seine Vorstrafen hindeuten könnten - durch einen Betrug von dem Getöteten bekommen haben könnte, obwohl der Angeklagte dies nicht einmal selbst behauptet hat.
31
bb) Das Landgericht hält es zudem auf der Grundlage der Aussage des Zeugen S. , eines Nachbarn des Getöteten, nicht für ausgeschlossen, dass dieser am Vormittag des 22. Februar 2007 von einem unbekannten Audifahrer abgeholt worden sein könnte. Der Zeuge S. hatte nach den Ausführungen des Landgerichts berichtet, dass in der Zeit von 10.15 Uhr bis 10.45 Uhr ein dunkelblauer Audi A3 oder A4 vor dem Wohnhaus des Opfers gestanden habe, in dem ein ihm unbekannter Mann gesessen und im Handschuhfach gekramt habe. Das Fahrzeug sei dann eine zeitlang weg gewesen und habe gegen 12.30 Uhr erneut vor dem Wohnhaus des Getöteten gestanden. Die Schlussfolgerung, die von der Kammer aus dieser Beobachtung gezogen wird, nämlich dass das Opfer noch am 22. Februar 2007 mit einem unbekannten Mann unterwegs gewesen sein könnte, ist vor dem Hintergrund des übrigen Beweisergebnisses ebenfalls als eher fern liegend anzusehen. Der Angeklagte fuhr zu dieser Zeit ein Fahrzeug, wie es von dem Zeugen S. beschrieben wurde, nämlich einen schwarzen Audi A 3, den er erst am 21. Februar 2007 angemietet hatte. Nach den mitgeteilten Telefonverbindungs- daten befand sich sein Handy um 11.01 Uhr zudem in dem Funkzellenbereich, in dem auch das Wohnhaus des Opfers liegt. Diese Feststellungen deuten darauf hin, dass es sich bei dem unbekannten Fahrer um den Angeklagten gehandelt haben könnte, ohne dass diese Möglichkeit von dem Landgericht bei seiner Würdigung in Betracht gezogen wird.
32
cc) Auch in Bezug auf den Telefonanruf von dem Handy des Getöteten auf das Handy des Bruders des Angeklagten ist die Kammer von einer eher fern liegenden Hypothese ausgegangen. So erwägt sie, dass der Getötete diesen Anruf selbst getätigt haben könnte, weil nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte, wie er dies gegenüber den Zeugen H. und W. angegeben haben soll, einmal in der Vergangenheit mit dem Handy seines Bruders bei dem Getöteten angerufen habe, so dass bei dieser Gelegenheit die Telefonnummer übertragen worden sein könnte. Vor dem Hintergrund, dass der Getötete , was nach den erhobenen Telefonverbindungsdaten feststeht, bis zu seinem Tod nicht einmal auf dem Handy des Angeklagten angerufen hatte, obwohl er zu diesem seit Januar 2007 in wesentlich engerem Kontakt stand, als zu dessen Bruder, sind die Erwägungen der Kammer zu der Person des Anrufers damit ebenfalls als fern liegend anzusehen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil nach den Feststellungen der Kammer das Prepaid-Handy des Angeklagten zum Zeitpunkt des fraglichen Telefonanrufs kein Guthaben mehr aufwies und er damit, wie ein gescheiterter Anrufversuch um 11.24 Uhr zeigt, nicht mehr telefonieren konnte. Dies legt letztlich die Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei der Person des Anrufers um den Angeklagten gehandelt haben könnte, der mit dem Handy des Getöteten seinen Bruder anrief und der sich zum Zeitpunkt der letzten Funkzellenaufschaltung des Handys des Opfers somit im Funkzellenbereich des späteren Leichenfundorts aufhielt.
33
dd) Aus den dargelegten Umständen wird somit ersichtlich, dass das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht trotz des Vorliegens gewichtiger Indizien, die eine Täterschaft des Angeklagten nahe legen, von Deutungsmöglichkeiten ausgegangen ist, die aufgrund des Beweisergebnisses als eher fern liegend zu betrachten sind. Bei der Gesamtabwägung hätte es deshalb erkennbar erwägen müssen, dass es sich dieser besonderen Beweissituation bewusst war, und darlegen müssen, dass es sich dennoch nicht in der Lage sah, bestehende Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu überwinden. Da es dies nicht getan hat, ist nicht auszuschließen, dass es überspannte Anforderungen an die eigene Überzeugungsbildung gestellt hat, die sich in rechtsfehlerhafter Weise zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt haben.
34
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zudem lückenhaft. Nach den Feststellungen teilte der Angeklagte am 25. Februar 2007 anlässlich einer Aussprache auf dem „Bogenberg“, bei der auch der Bruder des Angeklagten zugegen war, den Zeugen F. H. und E. W. mit, dass er am späten Vormittag des 22. Februar 2007 bei dem Tatopfer gewesen und mit ihm zum Einkaufen gefahren sei. In derselben Unterredung gab der Angeklagte hiervon abweichend an, dass er sich um die Mittagszeit bei seinem Bruder aufgehalten habe. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch den Anruf, der von dem Handy des Getöteten auf dem Handy seines Bruders eingegangen sei. Sein Bruder habe das Handy an ihn, den Angeklagten weitergereicht, und K. H. habe ihn gefragt, ob er Zeit habe, was er zu diesem Zeitpunkt verneint habe. Erst am Nachmittag habe er den Getöteten dann doch besucht. In diesem Zusammenhang erörtert die Kammer nicht, dass es sich bei diesen Angaben des Angeklagten zu dem Telefonanruf um eine Vorwegverteidigung gehandelt haben könnte, die darauf gerichtet war, einen Tatumstand, der bislang nur ihm bekannt war und von dem er befürchten musste, dass er zu seiner Überführung dienen könnte, schon im Vorfeld zu entkräften. Solches Täterwissen könnte den Schluss auf die Täterschaft begründen, so dass der Tatrichter in Fällen dieser Art gehalten ist, die Umstände des Vorbringens einer möglicherweise falschen Alibibehauptung besonders darzulegen und sich mit diesen im Einzelnen, insbesondere was die Entstehungsgeschichte und den Anlass der konkreten Äußerung angeht, im Einzelnen auseinanderzusetzen (vgl. BGH NStZ 1999, 423, 424). Auch diesen Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht gibt lediglich die Äußerungen des Angeklagten bei der Aussprache am „Bogenberg“ wieder. Was im Verlauf des Gesprächs letztendlich den Anlass dazu gab, dass der Angeklagte nicht nur den Anruf des Getöteten auf dem Handy seines Bruders preisgab, sondern darüber hinaus sich nunmehr auch abweichend von seinen ursprünglichen Angaben dahingehend äußerte, dass er über die Mittagszeit nicht bei dem Getöteten gewesen sei, sondern sich in Gesellschaft seines Bruders befunden habe, bleibt unerörtert. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass sich der Angeklagte aufgrund einer Äußerung F. H. s darüber bewusst wurde, dass bei der Suche nach dem Getöteten auch dessen Handyverbindungsdaten ausgewertet werden könnten und dass sich dabei der Anruf auf dem Handy seines Bruders als auffällig erweisen könnte. Das Landgericht wäre deshalb gehalten gewesen, sich eingehend mit den Einzelheiten des Gesprächsverlaufs auseinanderzusetzen, so dass die Beweiswürdigung in diesem Punkt lückenhaft und damit ebenfalls rechtsfehlerhaft ist.
35
4. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 21. Oktober 2008 Bezug genommen.

III.


36
Die Sache muss somit neu verhandelt und entschieden werden. Einer Entscheidung über die von der Staatsanwaltschaft eingelegte sofortige Beschwerde gegen die im Urteil bewilligte Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft bedurfte es daher nicht mehr.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander