Bundesgerichtshof Beschluss, 08. März 2012 - VII ZB 99/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht hat wegen einer titulierten Forderung der Gläubigerin über 1.088,67 € einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Schuldnerin erlassen. Gepfändet und zur Einziehung überwiesen werden "wegen der angeblichen Ansprüche der Schuldnerin alle
1) Guthaben sämtlicher Konten,
2) gegenwärtige oder zukünftige Saldi sämtlicher Konten,
3) Ansprüche auf Auszahlung des Tagesguthabens sämtlicher Konten,
4) Anspruch auf Überziehung des Kontos, sog. Dispositionskredit, sofern von der Schuldnerin in Anspruch genommen (vgl. BGH, IX ZR 34/00) und alle
5) Ansprüche auf Gutschriften der Neuzugänge sämtlicher Konten."
- 2
- Den Antrag, "die Kontoauszüge seit der Zustellung der Pfändung, sowie des Zeitpunkts ab drei Monate vor der Pfändung (vgl. BGH vom 20.12.2006 - VII ZB 58/06 in NJW 2007, 606) an die Gläubigerin herauszugeben" hat das Amtsgericht zurückgewiesen, indem es diese Passage gestrichen hat. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
- 3
- Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihr Begehren weiter.
II.
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- Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat nur insoweit Erfolg, als die Herausgabe der Kontoauszüge seit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses abgelehnt worden ist. Im Übrigen ist sie unbegründet.
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- 1. Das Landgericht ist der Auffassung, die Gläubigerin könne nicht gemäß § 836 Abs. 3 ZPO die Herausgabe der Kontoauszüge verlangen. Die Vorschrift sei zwar weit auszulegen, jedoch liefe die Vorlage sämtlicher Auszüge auf eine unzulässige Ausforschungspfändung hinaus. Einen derart weiterreichenden Einblick müsse die Schuldnerin nicht dulden. Ausreichenden Schutz biete bei der Kontenpfändung die Drittschuldnererklärung.
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- 2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung überwiegend nicht stand.
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- a) Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Amtsgericht und das Landgericht es abgelehnt haben, die Herausgabe der Kontoauszüge seit Zustellung der Pfändung anzuordnen. Soweit die Rechtsbeschwerde die Herausgabe für den Zeitraum ab drei Monaten vor der Pfändung begehrt, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.
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- Der Senat hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Beschlüssen vom 9. Februar 2012 (VII ZB 49/10, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und VII ZB 54/10) entschieden, dass auf Antrag des Gläubigers die Pflicht zur Herausgabe sämtlicher Kontoauszüge in dem Pfändungs- und Über- weisungsbeschluss aufgenommen werden muss, wenn der Gläubiger Ansprüche des Schuldners gegen ein Kreditinstitut gepfändet hat, die sowohl auf Auszahlung der positiven Salden gerichtet sind als auch auf Auszahlung des dem Schuldner eingeräumten Kredits. So liegt es hier.
- 9
- Nach den Beschlüssen vom 9. Februar 2012, auf die hinsichtlich der Begründung Bezug genommen wird, sind die Urkunden zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, also seiner Zustellung an den Drittschuldner, erfasst. Eine etwaige Verletzung des Rechts des Schuldners auf Geheimhaltung oder informationelle Selbstbestimmung durch Preisgabe der in den Kontoauszügen enthaltenen Information muss der Schuldner im Wege der Erinnerung geltend machen (BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - VII ZB 49/10 und VII ZB 54/10 aaO). Weil die Schuldnerin im vorliegenden Fall keinen Vortrag gehalten hat, aus dem sich Hinweise auf ein Geheimhaltungsinteresse oder eine Einschränkung der Herausgabepflicht wegen ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ergeben, war - wie beantragt - die Herausgabe der Kontoauszüge seit Zustellung der Pfändung anzuordnen.
- 10
- b) Der Antrag auf Herausgabe von Kontoauszügen für die Zeit von drei Monaten vor der Pfändung ist unbegründet. Ein Interesse des Gläubigers daran ist anders als bei Lohnabrechnungen, die vor der Pfändung erteilt worden sind (dazu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2006 - VII ZB 58/06, NJW 2007, 606), nicht erkennbar. Ein durch § 836 Abs. 3 ZPO geschütztes Interesse, Kontobewegungen für diese Zeit in Erfahrung zu bringen, besteht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Kenntnisse darüber können nicht die Durchsetzung des gepfändeten Anspruchs erleichtern.
III.
- 11
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
AG Berlin-Neukölln, Entscheidung vom 21.01.2010 - 34 M 6196/09 -
LG Berlin, Entscheidung vom 30.03.2010 - 51 T 134/10 -
Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Überweisung ersetzt die förmlichen Erklärungen des Schuldners, von denen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Berechtigung zur Einziehung der Forderung abhängig ist.
(2) Der Überweisungsbeschluss gilt, auch wenn er mit Unrecht erlassen ist, zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber so lange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt.
(3) Der Schuldner ist verpflichtet, dem Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen und ihm die über die Forderung vorhandenen Urkunden herauszugeben. Erteilt der Schuldner die Auskunft nicht, so ist er auf Antrag des Gläubigers verpflichtet, sie zu Protokoll zu geben und seine Angaben an Eides statt zu versichern. Der gemäß § 802e zuständige Gerichtsvollzieher lädt den Schuldner zur Abgabe der Auskunft und eidesstattlichen Versicherung. Die Vorschriften des § 802f Abs. 4 und der §§ 802g bis 802i, 802j Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. Die Herausgabe der Urkunden kann von dem Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung erwirkt werden.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)