Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2019 - VI ZR 435/18

bei uns veröffentlicht am12.03.2019
vorgehend
Landgericht Baden-Baden, 4 O 157/15, 29.04.2016
Oberlandesgericht Karlsruhe, 7 U 89/16, 24.10.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 435/18
vom
12. März 2019
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung
von Kernvorbringen einer Partei.
BGH, Beschluss vom 12. März 2019 - VI ZR 435/18 - OLG Karlsruhe
LG Baden-Baden
ECLI:DE:BGH:2018:120318BVIZR435.18.0

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2019 durch die Richterin von Pentz als Vorsitzende, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller und den Richter Dr. Klein

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. Oktober 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: 50.000 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle und immaterielle Schäden wegen behaupteter Fehler im Zusammenhang mit der Behandlung einer Ellenbogenverletzung.
2
Der Kläger erlitt eine Ellenbogenluxationsfraktur mit Radiusköpfchenfraktur. Nach einem Aufklärungsgespräch am 18. März 2014 wurde er am 19. März 2014 im Hause der Beklagten operiert. Dabei wurde ein Fixateur externe angebracht und bei dessen Verschraubung der Nervus radialis gequetscht, so dass sich der Kläger einer Notfalloperation am 22. März 2014 in einem anderen Krankenhaus unterziehen musste. Der Kläger leidet unter einer kompletten Radialparese rechts.
3
Der Kläger behauptet, über die mögliche Erforderlichkeit der Anbringung eines Fixateurs externe und die damit verbundenen Risiken sei er nicht aufgeklärt worden. Die Anbringung des Fixateurs sei nicht indiziert gewesen. Auch die postoperative Behandlung sei fehlerhaft gewesen.
4
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde , mit der er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt.

II.

5
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
6
1. Der Kläger rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es auf seinen Vortrag zu den verschiedenen Versionen des Operationsberichts vom 24. März 2014 nicht eingegangen sei.
7
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 88, 366, 375 f. mwN). Die wesentlichen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182, 189). Geht ein Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133, 146; BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 2012 - 1 BvR 1999/09, juris Rn. 13).
8
b) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22. Mai 2018 (GA II 217 ff.) vorgetragen, dass es zwei verschiedene Versionen des Operationsberichts gebe, und hierzu die Anlagen K 15 und K 16 vorgelegt. Eine Version habe der Kläger am 3. April 2014 erhalten , die andere sein Prozessbevollmächtigter am 10. Juni 2014. Er hat dargelegt , dass und inwieweit sich die beiden Versionen voneinander unterscheiden und den Verdacht geäußert, dass der Operationsbericht der jeweiligen Entwicklung angepasst worden sei. Auffällig sei auch, dass der Operationsbericht erst einige Tage nach der Operation erstellt worden sei. Es gebe auch zwei Versionen des Entlassungsbriefes.
9
Nachdem der vom Berufungsgericht beauftragte Sachverständige Dr. T. seine Beurteilung, dass kein Behandlungsfehler vorliege, maßgeblich auf den Operationsbericht der Beklagten gestützt hat, gehört der Vortrag des Klägers, der den Beweiswert des Berichts in Frage stellt, mit zu seinem Kernvorbringen in der Berufungsinstanz. Das angefochtene Urteil befasst sich mit diesem Vorbringen nicht.
10
2. Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat seine Beurteilung, dass die Anbringung des Fixateur externe indiziert gewesen sei, dem Sachverständigen folgend darauf gestützt, dass nach dem Operationsbericht eine intraoperative Luxationstendenz vorgelegen habe. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu den verschiedenen Versionen des Operationsberichts zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.
11
Die neue Verhandlung gibt dem Berufungsgericht im Übrigen Gelegenheit , sich mit dem weiteren Vorbringen der Parteien im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen. von Pentz Offenloch Oehler Müller Klein
Vorinstanzen:
LG Baden-Baden, Entscheidung vom 29.04.2016 - 4 O 157/15 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 24.10.2018 - 7 U 89/16 -

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

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Tenor Örtlich zuständig ist das Landgericht Regensburg. Gründe I. Der im Bezirk des Landgerichts Regensburg wohnhafte Kläger macht mit seiner zu diesem Gericht erhobenen Klage gegen die im Bezirk des Landg

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.