Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Okt. 2003 - VI ZB 19/03

published on 14.10.2003 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Okt. 2003 - VI ZB 19/03
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 19/03
vom
14. Oktober 2003
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge
und Stöhr

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. März 2003 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 27.316,38 EUR.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Ersatz weiteren materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 27. September 2002 zugestellt worden. Am 29. Oktober 2002 hat die Klägerin Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Büroleiterin H. ihres Prozeßbevollmächtigten habe auf der Urteilsausfertigung zutreffend den 28. Oktober 2002 als letzten Tag der Berufungsfrist notiert, im zentralen Fristenkalender den Fristablauf jedoch versehentlich auf dem Kalenderblatt des Folgetages eingetragen. Darüber hinaus habe sie eine Vorfrist für den 21. Oktober 2002 vermerkt. An diesem Tag habe Rechtsanwalt Dr. W. nach Vorlage der Akten fest-
gestellt, daß die Berufungsfrist auf der Urteilsausfertigung korrekt berechnet worden sei. Weil noch keine Weisung zur Berufungseinlegung vorgelegen habe , habe er die Wiedervorlage der Handakten zum Ablauf der Berufungsfrist veranlaßt. Bei Wiedervorlage der Akten am 29. Oktober 2002 sei der fehlerhafte Eintrag im Fristenkalender bemerkt worden. Die Büroleiterin H. sei eine sorgfältig ausgewählte und bewährte Mitarbeiterin mit langjähriger Erfahrung, die mit den ihr übertragenen Aufgaben hinreichend vertraut sei. Die Kanzlei habe ein zertifiziertes Qualitätsmanagement aufgebaut. Bei den regelmäßig stattfindenden Audits und Stichproben habe sich bisher nie ein Anhaltspunkt dafür ergeben , daß die Rechtsanwaltsfachangestellte H. nicht ausreichend mit dem Erkennen und Notieren von Fristen vertraut sei. Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, die sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen grundsätzlicher Bedeutung für zulässig erachtet (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 und 1 ZPO).

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. 1. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, die Versäumung der Berufungsfrist beruhe auf einem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten, denn es sei nicht dargelegt, ob in der Kanzlei die Führung des zentralen Fristenkalenders gesichert sei und regelmäßig überwacht
werde. Diese Erwägung des Berufungsgerichts führt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde.
a) Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dieser Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nur erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, daß die angefochtene Entscheidung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, von einer gleichrangigen Entscheidung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder von der Entscheidung eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht. Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz der Vergleichsentscheidung abweicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. September 2002 - VI ZB 26/02 - r + s 2003, 86 und vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437, jeweils m.w.N.). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Zwar kann die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch auf materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Fehler gestützt werden. Voraussetzung dafür ist aber, daß der betreffende Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt (BT-Drucks. 14/4722 S. 104, 116). So ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn vermieden werden soll, daß schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im ganzen hat (BGH, Beschluß vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - NJW 2002, 2473, 2474). Diese Voraussetzungen sind beispielsweise dann gegeben, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Praxis eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berücksichtigt,
der Rechtsfehler also "symptomatische“ Bedeutung hat (vgl. BGH, Beschluß vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - aaO), nicht aber schon dann, wenn in einem Einzelfall möglicherweise eine Fehlentscheidung getroffen worden ist, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist (BGHSt 24, 15, 22). Anders verhält es sich nur dann, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu besorgen ist, daß dem Rechtsfehler ohne eine Korrektur durch das Rechtsbeschwerdegericht ein Nachahmungseffekt zukommen könnte, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung insgesamt zu erschüttern, und deswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung erfordert (vgl. BGH, Beschluß vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - aaO m.w.N.). Dafür ist hier entgegen der Meinung der Klägerin nichts ersichtlich. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur mangelnden Darlegung der erforderlichen Überwachung des Büropersonals lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Aus Rechtsgründen ist auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht trotz des Hinweises der Klägerin auf die zertifizierte Büroorganisation näheren Vortrag dazu vermißt hat, auf welche Weise und mit welchem Ergebnis die gebotenen regelmäßigen Kontrollen vorgenommen worden sind.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt dieser Frage auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. Senatsbeschluß vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02 aaO m.w.N.). Welche Anforderungen an die Darlegung zu stellen sind, wenn ein Wiedereinsetzungsantrag auf ein der Partei nicht zuzurechnendes Verschulden des Büropersonals ihres Anwalts gestützt wird, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinlänglich geklärt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 1999 - XII ZB 158/99
-VersR 2000, 1563; vom 21. November 2000 - VIII ZB 11/00 - BGH-Report 2001, 141 und vom 19. Dezember 2000 - VIII ZB 35/00 - NJW-RR 2001, 782; v. Pentz, NJW 2003, 858, 860 f. m.w.N.) und bedarf im Streitfall keiner weiteren Vertiefung. Dasselbe gilt für die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Wiedereinsetzungsverfahren eine Ergänzung des Vortrags in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluß vom 21. Februar 2002 - IX ZA 10/01 - NJW 2002, 2180, 2181; v. Pentz, aaO m.w.N.). 2. Soweit das Berufungsgericht die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs des weiteren auch darauf gestützt hat, Rechtsanwalt Dr. W. habe keine ausreichende Vorsorge für eine Wiedervorlage der Handakte am letzten Tag der Berufungsfrist getroffen, ist die Rechtsbeschwerde schon deshalb nicht zulässig, weil insoweit eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage nicht gegeben ist (vgl. BGHZ 151, 221; vgl. auch BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 101/02 - NJW 2003, 831). Da nämlich die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags jedenfalls durch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Überwachung der Büroorganisation getragen wird, ist nicht darüber zu befinden, ob auch der zusätzlichen Erwägung des Berufungsgerichts zu folgen wäre.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
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Annotations

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)