Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2018 - V ZB 83/18

bei uns veröffentlicht am25.10.2018
vorgehend
Amtsgericht Rheine, 42 XIV 81/18 B, 15.05.2018
Landgericht Münster, 5 T 316/18, 01.06.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 83/18
vom
25. Oktober 2018
in der Abschiebungshaftsache
ECLI:DE:BGH:2018:251018BVZB83.18.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Rheine vom 15. Mai 2018 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 1. Juni 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Steinfurt auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:


I.


1
Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2008 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der im Jahr 2010 abgelehnt wurde. Ein Wiederaufnahmeantrag blieb erfolglos. Eine für den 10. Januar 2018 geplante Abschiebung scheiterte, weil der Betroffene nicht angetroffen wurde.
Nach seiner Vorsprache bei dem Ausländeramt am 15. Mai 2018 wurde er festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2018 Abschiebungshaft bis zum 7. August 2018 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft längstens bis zum 5. Juli 2018 angeordnet wird.
2
Der Senat hat die Vollziehung der Sicherungshaft durch Beschluss vom 20. Juni 2018 einstweilen ausgesetzt. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung feststellen lassen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.


3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegen die Voraussetzungen für eine Haftanordnung vor, insbesondere sei der Haftantrag zulässig. Nachdem ein Flug für den 3. Juli 2018 gebucht sei und damit ein konkreter Abschiebungstermin feststehe, sei die festgesetzte Haftdauer allerdings zu verkürzen.

III.


4
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht und deren Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
5
1. Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.
6
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, juris Rn. 6 mwN; Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 5; Beschluss vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, NVwZ 2017, 1231 Rn. 6). Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 6, jeweils mwN; Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224, Rn. 3).
7
b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag vom 15. Mai 2018 nicht gerecht. Zur Dauer der beantragten Haft führt die beteiligte Behörde darin aus, dass eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich sei. Ein gültiger türkischer Reisepass des Betroffenen liege vor. Auf telefonische Rückfrage bei der Zentralstelle für Flugabschiebungen sei mitgeteilt worden, dass ein Vorlauf von zwölf Wochen für eine Rückführung in die Türkei notwendig sei. Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 19. Mai 2002 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 20; Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130Rn. 15), unzureichend. Die Behörde hätte jedenfalls knapp erläutern müssen, welche organisatorischen Verfahrensschritte den beantragten Zeitraum von zwölf Wochen trotz des vorhandenen Reisepasses erforderlich machten und warum eine frühere Flugbuchung nicht erfolgen konnte (zu einem ähnlich gelagerten Fall: Senat, Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 6 f.). Eine solche Erläuterung war nicht deshalb entbehrlich, weil die Behörde sich auf die Auskunft der für die Flugbuchung zuständigen Behörde berufen hat (vgl. zur Darlegung des für die Buchung eines Flugs mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitraums : Senat, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, juris Rn. 11). Die Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebungen beschreibt nur die üblicherweise zu erwartende Dauer für Flugabschiebungen in die Türkei und bezieht sich nicht auf den konkreten Fall des Betroffenen. Diesen Zeitraum durfte die beteiligte Behörde nicht übernehmen, ohne nachvollziehbar darzulegen, warum er im konkreten Fall der kürzest möglichen Haftdauer entspricht.
8
c) Der Mangel des Haftantrages ist auch nicht nachträglich geheilt worden.
9
aa) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzungen für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2016 - V ZB 24/14, juris Rn. 9; Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8).
10
bb) Daran fehlt es hier. Die beteiligte Behörde hat im Beschwerdeverfahren zwar ergänzende Angaben gemacht und mitgeteilt, dass ein Flug für den 3. Juli 2018 gebucht sei. Das hat das Beschwerdegericht auch dazu veranlasst, die angeordnete Haft bis zum 5. Juli 2018 zu reduzieren. Mangels persönlicher Anhörung des Betroffenen hat das aber nicht zu einer Heilung geführt.
11
2. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist, hätte eine Nachholung der unterlassenen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkungen. Denn eine Heilung könnte nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.

IV.


12
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
AG Rheine, Entscheidung vom 15.05.2018 - 42 XIV 81/18 B -
LG Münster, Entscheidung vom 01.06.2018 - 5 T 316/18 -

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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 62 Abschiebungshaft


(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 417 Antrag


(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. (2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:1.die Identität des Betroffenen,2.den gewöhnlichen Aufent

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(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

6
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, vom 9. Oktober 2014 - V ZB 127/13, FGPrax 2015, 39 Rn. 6, vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, InfAuslR 2016, 108 Rn. 15 und vom 20. Oktober 2016 - V ZB 26/15, juris Rn. 6).
12
b) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 12 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbar- keit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8).
6
a) Sicherungshaft darf nur angeordnet werden, wenn der Haftantrag den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG nicht genügt. Denn ein diesen Anforderungen nicht entsprechender Haftantrag bietet keine Grundlage für die Anordnung von Abschiebungshaft (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 15). In dem Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG unter anderem die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung dargelegt werden. Die Darlegung darf knapp gehalten sein, muss aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 f. Rn. 9). Sie muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13).
3
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 6, jeweils mwN).

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 20/12
vom
31. Januar 2013
in der Zurückschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Hätte die Haft wegen Fehlens eines zulässigen Haftantrags nicht angeordnet werden
dürfen, ist der Antrag des Betroffenen, festzustellen, dass er durch die
Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist, auch dann begründet, wenn
der Mangel des Haftantrags im Beschwerdeverfahren behoben worden ist.
Auch bei den Haftanträgen zur Sicherung einer Zurückschiebung in einen Mitgliedstaat
der Europäischen Union auf der Grundlage eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens
nach Art. 16 ff. der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des
Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin-II-Verordnung) bedarf es konkreter Angaben
dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen in den betreffenden
Mitgliedstaat üblicherweise möglich sind (Fortführung von Senat, Beschluss vom
26. Januar 2012 - V ZB 235/11, Rn. 8, juris).
BGH, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12 - LG Potsdam
AG Königs Wusterhausen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Januar 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Lemke,
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Czub und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 5. Dezember 2011 und der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 11. Januar 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein liberianischer Staatsangehöriger, reiste am 4. Dezember 2011 auf dem Luftweg aus Neapel kommend in das Bundesgebiet ein. Bei einer Kontrolle durch Beamte der Bundespolizei (der beteiligten Behörde) legte er einen gültigen liberianischen Reisepass, eine in Italien ausgestellte Identitätskarte sowie einen gefälschten italienischen Aufenthaltstitel vor. Die auf die Erklärung des Betroffenen, in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben, erfolgte Nachfrage bei den italienischen Behörden ergab, dass dem Betroffenen dort ein bis zum 1. Januar 2010 gültiger Aufenthaltstitel ausgestellt worden war. Nach einer EURODAC-Recherche war der Betroffene im Jahr 2009 im Zusammenhang mit einer Asylantragstellung in Italien erkennungsdienstlich behandelt worden.
2
Die beteiligte Behörde erließ gegen den Betroffenen eine Zurückschiebungsverfügung nach § 57 AufenthG, vernahm ihn als Beschuldigten wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und der unerlaubten Einreise, ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) um die Übermittlung eines Wiederaufnahmeverfahrens an die Italienische Republik und beantragte die Anordnung von Zurückschiebungshaft für die Dauer von zwei Monaten.
3
Mit Beschluss vom 5. Dezember 2011 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis längstens zum 4. Februar 2012 angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Antrag festzustellen, dass die bisher vollzogene Haft rechtswidrig gewesen sei. Das Beschwerdegericht hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 11. Januar 2011 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet der Betroffene sich mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, dass das Amtsgericht zwar die Haft nicht hätte anordnen dürfen, da der Haftantrag nicht die erforderliche Angabe zu dem Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung des Betroffenen enthalten habe und überdies dem Betroffenen vor seiner Anhörung nicht ausgehändigt worden sei; diese Mängel seien aber in dem Beschwerdeverfahren behoben worden. Das Vorbringen der Behörde zur Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer von zwei Monaten mit den Hinweisen darauf, dass die Frist für die Beantwortung eines Übernahmeersuchens nach Art. 16 i.V.m. Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. Nr. L 50, S. 1 - im Folgenden Dublin-II-Verordnung) vier Wochen betrage und dass die zur Durchführung der Überstellung des Betroffenen nach Italien verbundenen Organisationstätigkeiten einen weiteren Monat beanspruche , habe dagegen den Begründungsanforderungen nach § 417 Abs. 2 Nr. 4 FamFG genügt. Da die Haftanordnung danach aufrechtzuerhalten gewesen sei, lägen auch die Voraussetzungen für die von dem Betroffenen beantragte Feststellung nicht vor, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt zu sein.

III.

5
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
6
1. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt worden. Der auf diesen Beschluss bezogene, bereits in der Beschwerdeinstanz gestellte Feststellungsantrag ist begründet.
7
a) Ein sich in Haft befindender Ausländer kann die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG verbinden, durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden zu sein (Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - V ZB 238/11 Rn. 6, juris). Ist das - wie hier - geschehen, muss das Beschwerdegericht über beide Anträge, die nicht dasselbe Rechtsschutzziel verfolgen, entscheiden (Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - V ZB 238/11, aaO).
8
b) Hätte die Haft wegen Fehlens eines zulässigen Haftantrags nicht angeordnet werden dürfen, ist der Antrag des Betroffenen, festzustellen, dass er durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist, auch dann begründet , wenn der Mangel des Haftantrags im Beschwerdeverfahren behoben worden ist. So ist es hier.
9
aa) Das Beschwerdegericht führt zutreffend aus, dass die Haftanordnung nicht hätte ergehen dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde fehlte. Seine Ausführungen, dass hier ein zur Unzulässigkeit des Haftantrags führender Begründungsmangel (Verstoß gegen § 417 Abs. 2 FamFG) vorgelegen habe, weil nach den dem Haftantrag beigefügten Unterlagen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet war, der Haftantrag sich aber nicht zu dem dann nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung des Betroffenen verhielt, entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9, vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 7 und vom 27. April 2011 - V ZB 71/11, Rn. 8, juris, jeweils mwN).
10
bb) Zu Unrecht nimmt das Beschwerdegericht jedoch an, dass der Feststellungsantrag gleichwohl unbegründet sei, weil die Beschwerde gegen die Haftanordnung keinen Erfolg habe, wenn der Mangel des Haftantrags im Beschwerdeverfahren behoben worden sei.
11
(1) Zutreffend ist allerdings, dass der Haftantrag zulässig wird, wenn jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung die zuständige Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Zurück- oder Abschiebung erteilt hat, die Behörde die Antragsbegründung um die Darlegung zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in seiner Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann (Senat, Beschlüsse vom 29. September 2011 - V ZB 61/11 Rn. 8 und vom 6. Oktober 2011 - V ZB 188/11 Rn. 12, beide in juris). Ergänzungen zu dem ursprünglichen, wenn auch unzureichenden und darum unzulässigen Haftantrag hat das Beschwerdegericht nach § 26, § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318, 319 Rn. 9). Unter diesen Voraussetzungen ist eine Beschwerde des Betroffenen gegen den Fortbestand der Haftanordnung - sofern ihr nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben ist - auf Grund des neuen Vorbringens der Behörde im Beschwerdeverfahren zurückzuweisen.
12
(2) Anders verhält es sich in Bezug auf den Feststellungsantrag. Hier muss zu Gunsten des Betroffenen berücksichtigt werden, dass ein Gericht eine Freiheitsentziehung ohne einen den Begründungsanforderungen nach § 417 Abs. 2 FamFG genügenden Antrag der Behörde weder anordnen noch verlängern darf (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10 Rn. 7, juris, mwN) und dass der Verstoß gegen diese Vorschrift in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann, weil es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG erfordert (BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn.19 und vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 14, juris). Die ohne einen ordnungsgemäßen Antrag der Behörde angeordnete und vollzogene Haft verletzt den Betroffenen daher bis zu der Behebung des Mangels in seinem Freiheitsgrundrecht.
13
2. Der Betroffene ist auch durch die Zurückweisung der Beschwerde in seinen Rechten verletzt worden, wobei der Antrag auf Aufhebung der Beschwerdeentscheidung im Hinblick auf die am Tage nach Einlegung der Rechtsbeschwerde durch Zeitablauf eingetretene Erledigung der Hauptsache dahin auszulegen ist, dass die von dem Betroffenen beantragte Feststellung der Rechtsverletzung sich nicht nur die Haftanordnung, sondern auch auf die Beschwerdeentscheidung erstreckt.
14
a) Der Haftantrag der beteiligten Behörde litt nämlich an einem weiteren, im Beschwerdeverfahrenen nicht behobenen Mangel, da es an einer auf den konkreten Fall bezogenen Darlegung der Erforderlichkeit einer Haftdauer von zwei Monaten fehlte.
15
aa) Die in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG vorgeschriebene Begründung der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung ist vor dem Hintergrund der Vorschrift in § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, nach der die Inhaftnahme des Ausländers auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225, 226 Rn. 10). Nach dieser Bestimmung darf die Haft von vorneherein nur für den Zeitraum angeordnet werden, der für die Durchführung der zur Zurück- oder Abschiebung notwendigen Maßnahmen unverzichtbar ist (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, aaO). Einer dies darlegenden Begründung bedarf es auch dann, wenn die Behörde - wie hier - eine Haftdauer von weniger als drei Monaten beantragt (Senat, Beschluss vom 26. Januar 2012 - V ZB 235/11 Rn. 8, juris).
16
bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts genügten die pauschalen Hinweise in dem Haftantrag auf eine Frist für die Beantwortung des Übernahmeersuchens von vier Wochen, die es in der zitierten Dublin-IIVerordnung im Übrigen nicht gibt (dazu unten (2a)), und auf eine für die Anfertigung und Übermittlung von Schriftstücken sowie für die Überstellung des Betroffenen (Ankündigung und Flugbuchung) angegebene Zeit von einem Monat den gesetzlichen Begründunganforderungen nicht. Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317, 318 Rn. 9). Daran fehlte es.
17
(1) Die Begründung des Haftantrags muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Nur dann entspricht der Haftantrag dem von dem Gesetzgeber mit dem Begründungszwang in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG verfolgten Zweck, dem Gericht schon durch den Antrag selbst eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen oder für die Entscheidung zugänglich zu machen (BT-Drucks. 16/9733, S. 299; Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83 Rn. 13).
18
In dem Haftantrag ist deshalb auch anzugeben, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 6). Diese Ausführungen sind nicht nur für die von dem Haftrichter nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG vorzunehmende Prognose, ob die Zurück- oder Abschiebung , zu deren Sicherung die Haft dient, innerhalb von drei Monaten überhaupt durchgeführt werden kann, erforderlich, sondern auch für die gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gebotene Prüfung, ob die beantragte Inhaftnahme auf die kürzest mögliche Dauer, also auf die unter Beachtung des Beschleunigungsgebots für die Zurück- oder Abschiebung erforderliche Zeit, beschränkt ist.
19
(2) Vor diesem Hintergrund bedarf es nicht nur bei Zurück- oder Abschiebungen in Drittstaaten, sondern auch bei den Haftanträgen zur Sicherung einer Zurückschiebung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf der Grundlage eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens nach Art. 16 ff. der Dublin-II-Verordnung konkreter Angaben dazu, in welchem Verfahren die Zurückschiebung erfolgt und innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen in den betreffenden Mitgliedstaat üblicherweise möglich sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. Januar 2012 - V ZB 235/11, Rn. 8 und vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, Rn. 5 - beide in juris). Pauschale Angaben zu den Fristen für die Beantwortung des Ersuchens und für die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat reichen nicht aus.
20
(a) Allein aus der Tatsache, dass die Dublin-II-Verordnung einschlägig ist, ergibt sich nämlich nicht der für die Zurückschiebung erforderliche Zeitraum. Die Verordnung bestimmt schon keine einheitliche Frist, sondern Fristen von zwei Monaten, von einem Monat und von zwei Wochen, in denen ein Mitgliedstaat ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen beantworten muss, andernfalls seine Zustimmung als erteilt gilt (Art. 18 Abs. 6, 7 und Art. 20 Abs. 1 Buchstaben b und c Dublin-II-Verordnung). Innerhalb welcher Zeit geantwortet werden muss, richtet sich nach dem jeweils anzuwendenden Verfahren. Die kürzeste Frist von zwei Wochen gilt für die auf Angaben aus dem EURODACSystem gestützten Wiederaufnahmeersuchen (Art. 20 Abs. 1 Buchstaben b und c Dublin-II-Verordnung). Für die tatsächliche Überstellung des Ausländers selbst ist keine Mindest-, sondern nur eine Höchstfrist von grundsätzlich sechs Monaten (Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung) für den ersuchen- den Mitgliedstaat bestimmt (Filzwieser/Sprung, Dublin-II-Verordnung, 3. Aufl., Art. 19 Anm. K27 und Art. 20 Anm. K11). Der ersuchte Mitgliedstaat kann nach Art. 8 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung (Verordnung [EG] Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, ABl. L 223/3) lediglich verlangen, dass er von der Überstellung drei Arbeitstage im Voraus unterrichtet wird.
21
(b) Der für die Zurückschiebung erforderliche Zeitraum hängt darüber hinaus nicht nur von den in den Verordnungen bestimmten Fristen ab. Zu berücksichtigen ist auch die Verwaltungspraxis der Behörden des um die Aufnahme - oder Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaats, selbst wenn diese den Vorgaben der oben genannten Verordnungen widerspricht, weil der ersuchende Mitgliedstaat keine Möglichkeit hat, die für die Überstellung des Betroffenen erforderliche Mitwirkung des ersuchten Mitgliedstaats zu erzwingen (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin-II-Verordnung, 3. Aufl., Art. 18 Anm. K14). Das ist bei der Bemessung der zur Durchführung der Zurückschiebung erforderlichen Haftdauer zu berücksichtigen.
22
(3) Den sich aus den Vorstehenden ergebenden Begründungsanforderungen entsprach der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht, da er keine Angabe dazu enthielt, innerhalb welchen Zeitraums Zurückschiebungen nach Italien bei einem auf Angaben aus dem EURODAC-System gestützten Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Abs. 1 Buchstabe b Dublin-II-Verordnung üblicherweise durchgeführt werden. Es fehlte jede Darstellung zu dem Verwaltungsablauf bei dem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylZBV für die Übermittlung des Wiederaufnahmeersuchens und die Festlegung der Modalitäten der Überstellung zuständigen Bundesamt und zu dem Zeitraum, der erforderlich ist, um die für die Überstellung des Ausländers notwendige Mitwirkung des um dessen Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaats (hier Italien) zu erlangen.
23
b) Dieser Begründungsmangel des Haftantrags ist nicht, was auch hier grundsätzlich möglich gewesen wäre (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317, 318 Rn. 15), im Beschwerdeverfahren behoben worden. In ihrer Beschwerdebegründung hat die beteiligte Behörde lediglich über den bisherigen Verfahrensablauf berichtet, jedoch zu der für Zurückschiebungen nach Italien notwendigen Zeit nichts ausgeführt. Da das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung ist, ohne den die Haft nicht angeordnet werden darf (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 8), hätte das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten dürfen. Der Betroffene ist daher auch durch die Zurückweisung der Beschwerde in seinen Rechten verletzt worden.
24
c) Ob - worauf die Rechtsbeschwerde ihre Angriffe gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts im Wesentlichen stützt - hier auch ein von dem Beschwerdegericht zu beachtender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVWZ 2010, 1172, 1173 Rn. 21 und vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, Rn. 18, juris) vorgelegen hat, bedarf nach dem Vorstehenden keiner Entscheidung mehr.

IV.

25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO. Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch Czub Kazele
Vorinstanzen:
AG Königs Wusterhausen, Entscheidung vom 05.12.2011 - 2.2 XIV 35/11 -
LG Potsdam, Entscheidung vom 11.01.2012 - 6 T 1/12 -
11
(1) In einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft ist allerdings eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. In diesen Fällen erschließt sich grundsätzlich ohne weiteres, dass der organisatorische Aufwand eine solche Zeit in Anspruch nimmt, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen. Im Hinblick auf die beschränkten Personalressourcen wird zwangsläufig ein zeitlicher Vorlauf benötigt, der bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen und als angemessen angesehen werden kann, sofern nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa Art des Fluges , Buchungslage der in Betracht kommenden Fluggesellschaften, Anzahl der Begleitpersonen, Personalsituation).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Lübeck, 7. Zivilkammer, vom 27. Mai 2013 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts Oldenburg in Holstein vom 26. September 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am 24. September 2012 ohne gültige Papiere mit einem Zugticket für eine Fahrt von A.      nach K.         in das Bundesgebiet ein. Er wurde erstmals von Beamten der Bundespolizei in B.       aufgegriffen. Eine EURODAC Anfrage ergab zwei Treffer für Großbritannien (aus dem Jahr 2006) und Italien (aus dem Jahr 2010). Der Betroffene gab an, dass er in den für seinen Schutzantrag zuständigen Mitgliedstaat zurückreisen werde. Die Beamten stellten für den Betroffenen eine Anlaufbescheinigung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Br.          aus und besorgten dem Betroffenen mit dessen Mitteln eine Bahnfahrkarte dorthin.

2

Der Betroffene setzte jedoch am Folgetag seine Bahnfahrt in Richtung D.      fort. Er wurde in P.       erneut von Beamten der Bundespolizei (der beteiligten Behörde) aufgegriffen. Die beteiligte Behörde beantragte bei dem Amtsgericht für die Dauer von zwei Monaten die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach Italien oder Großbritannien mit der Angabe, dass diese gemäß der VO (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-Verordnung) für dessen Schutzantrag zuständig seien.

3

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 26. September 2012 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 25. November 2012 angeordnet. Der Betroffene hat hiergegen Beschwerde eingelegt und nach seiner Überstellung nach Italien am 5. November 2012 beantragt, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung für die Haftzeit vom 26. September 2012 bis zum 5. November 2012 festzustellen. Das Beschwerdegericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

Das Beschwerdegericht meint, dass die Haftanordnung den Betroffenen nicht in seinem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Zwar sei der Haftantrag der beteiligten Behörde dem Betroffenen nicht ausgehändigt, sondern erst unmittelbar vor seiner Anhörung mündlich eröffnet worden. Das habe hier aber deshalb ausgereicht, weil der Betroffene auf Grund seiner am Tag zuvor erfolgten Festnahme in B.         zu den Haftvoraussetzungen im engeren Sinne auskunftsfähig gewesen sei. Der Betroffene habe nicht nur gewusst, dass er sich illegal im Bundesgebiet aufhalte; er habe zudem - da er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, sich freiwillig bei dem Bundesamt zu stellen - mit der Anordnung von Haft im Falle seines erneuten Aufgreifens im Bundesgebiet rechnen müssen.

5

Die Voraussetzungen für die Anordnung von Zurückschiebungshaft nach § 57 Abs. 2, § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG hätten vorgelegen. Ob sich eine andere Beurteilung nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auf Grund der Erklärung des Betroffenen in der Beschwerdebegründung ergeben hätte, er sei in der Haft zu der Überzeugung gelangt, dass er sich den Behörden zur Rückkehr nach Italien zur Verfügung halten müsse, könne dahinstehen, da das allenfalls für die Zukunft hätte berücksichtigt werden können.

III.

6

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

7

1. Im Ergebnis ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass gegen den Betroffenen Zurückschiebungshaft nach § 57 Abs. 2 i.V.m. § 62 AufenthG zur Überstellung nach Italien gemäß Art. 19, 20 Dublin-II-Verordnung (zur Übergangsvorschrift des Art. 49 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung - VO [EU] Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013, ABl. Nr. L 180, S. 31 - Senat, Beschluss vom 26. Juni 2014 - V ZB 31/14, zur Veröffentlichung vorgesehen) schon deshalb nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil dem Betroffenen vor dem Beginn seiner Anhörung nach § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Abschrift des Haftantrags der beteiligten Behörde nicht ausgehändigt worden war.

8

a) Das Vorgehen des Haftrichters verletzte allerdings den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Haftrichter darf - auch wenn der Betroffene zu den Angaben im Haftantrag auskunftsfähig ist - sich nicht darauf beschränken, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen. Dem Betroffenen ist in jedem Fall eine Ablichtung des Haftantrags zu übergeben, der erforderlichenfalls mündlich übersetzt werden muss; beides ist in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle zu vermerken (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, FGPrax 2012, 227 Rn. 9; Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rn. 5). Die Aushändigung des Haftantrags soll sicherstellen, dass sich der Betroffene zu sämtlichen (tatsächlichen und rechtlichen) Angaben der die Haft beantragenden Behörde äußern kann (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 Rn. 8; Beschluss vom 6. Dezember 2012 - V ZB 224/11, FGPrax 2013, 87 Rn. 13). Der Betroffene, der zumeist schon auf Grund der Situation nicht in der Lage sein wird, einen ihm nur mündlich übermittelten Haftantrag zu erfassen, muss im weiteren Verlauf der Anhörung in ein Exemplar des Haftantrags einsehen und dieses gegebenenfalls später einem Rechtsanwalt vorlegen können (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 281/11, FGPrax 2012, 227 Rn. 9; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 6/13, juris Rn. 5). Die Aushändigung des Haftantrags soll dem Betroffenen - insbesondere bei einem nicht einfach gelagerten Sachverhalt, von dessen Vorliegen hier auch das Beschwerdegericht ausgeht - ermöglichen, sich gegenüber dem Haftantrag der Behörde zu verteidigen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rn. 16; Beschluss vom 26. April 2012 - V ZB 17/12, juris Rn. 5).

9

b) Die unterbliebene Aushändigung des Haftantrags führt allerdings nur dann zu einer Aufhebung der Haftanordnung (bzw. nach einer Erledigung der Hauptsache zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit), wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Soweit der Senat dies bisher anders gesehen hat (u.a. Beschluss vom 30. März 2012 - V ZB 59/12, juris Rn. 10 ff.; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 9/13, FGPrax 2014, 43 Rn. 10 mwN), hält er daran nicht fest.

10

Ausschlaggebend dafür ist eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Fälle der Inhaftnahme zum Zweck der Abschiebung nach Art. 15 der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. Nr. L 348, S. 98). Nach dessen Urteil vom 10. September 2013 (C - 383/13 - PPU, veröffentlicht u.a. in BayVBl. 2014, 140 ff.) muss bei einer richterlichen Kontrolle der von dem Drittstaatsangehörigen gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Entscheidungen zur Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung nach Art. 15 der Rückführungsrichtlinie anhand der speziellen tatsächlichen und rechtlichen Umstände des jeweiligen Falles geprüft werden, ob der Verfahrensfehler dem Betroffenen tatsächlich die Möglichkeit genommen hat, sich in solchem Maß besser zu verteidigen, dass das Verfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (EuGH, aaO, Rn. 44). Ein nationales Gericht, das mit der Rechtmäßigkeit einer im Verwaltungsverfahren unter Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beschlossenen Verlängerung einer Haftmaßnahme betraut ist, darf die Haftmaßnahme nur dann aufheben, wenn es der Ansicht ist, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (EuGH, aaO, Rn. 45).

11

Die Entscheidung betrifft zwar einen Fall aus einem Mitgliedstaat (Niederlande), in dem die Abschiebungshaft nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie durch eine Verwaltungsbehörde angeordnet und danach durch ein Gericht überprüft wird, also nicht wie in Deutschland bereits durch das Gericht angeordnet wird. Gegenstand der Entscheidung des Gerichtshofs ist zudem die Haft zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung durch Abschiebung (Art. 3 Abs. 3, 5 der Rückführungsrichtlinie) und nicht - wie hier - die Anordnung von Zurückschiebungshaft zur Sicherung der Überstellung des Ausländers in einen anderen Mitgliedstaat nach Art. 16 ff. Dublin-II-Verordnung. Die von dem Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Grundsätze erlauben aber keine unterschiedliche Behandlung der Verletzung von Verteidigungsrechten, wenn es um eine Anordnung von Haft zur Beendigung eines illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union geht. Entscheidend ist, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs eine Verletzung von Verteidigungsrechten (insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör) nicht automatisch, sondern nur dann zur Beendigung der Haft führt, wenn das Verfahren auch zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

12

Die Wirkung, die der Senat der fehlenden Aushändigung des Haftantrags bislang beigemessen hat, lässt sich auch nicht mit Art. 4 Abs. 3 Rückführungsrichtlinie rechtfertigen. Danach dürfen die Mitgliedsstaaten Vorschriften beibehalten oder erlassen, die - wie das Erfordernis der Aushändigung des Haftantrags oder die Begründungsanforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG - für die Personen, auf die Richtlinie Anwendung findet, günstiger sind. Vorschriften der Mitgliedstaaten (hier über die Mitteilung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG) und ihre Auslegung müssen aber mit der Richtlinie in Einklang stehen und dürfen die effektive Durchführung von Rückführungen nicht gefährden. Das lässt sich jedoch nicht gewährleisten, wenn die unterbliebene Aushändigung des Haftantrags ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit und damit auch dann nach § 426 FamFG zur Aufhebung einer angeordneten Zurückschiebungshaft führt, wenn die Vermeidung dieses Fehlers nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

13

c) Dass der Betroffene - wenn ihm der Haftantrag bereits vor seiner Anhörung durch das Amtsgericht ausgehändigt worden wäre - tatsächliche oder rechtliche Umstände mit der Folge vorgebracht hätte, dass die Haftanordnung nicht ergangen oder von dem Beschwerdegericht aufgehoben worden wäre, wird von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Der Verstoß gegen den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör durch die Nichtaushändigung des Haftantrags führt danach hier nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung (vgl. EuGH, aaO Rn. 39).

14

2. a) Der Feststellungsantrag hat jedoch aus einem anderen Grund Erfolg. Die Zurückschiebungshaft gegen den Betroffenen nach § 57 Abs. 2 i.V.m. § 62 AufenthG und mit Art.19, 20 Dublin-II-Verordnung hätte nämlich deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

15

aa) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).

16

bb) In Haftanträgen zur Sicherung einer Zurückschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf der Grundlage eines Aufnahme oder Wiederaufnahmeersuchens nach Art. 16 ff. der Dublin-II-Verordnung muss ausgeführt werden, dass und weshalb der Zielstaat (hier Großbritannien oder Italien) nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132, 133 Rn. 10). Hierzu muss die Behörde auch angeben, in welchem Verfahren die Überstellung erfolgen und in welcher Reihenfolge bei den in Betracht kommenden Staaten nachgefragt werden soll. Dass die Entscheidung darüber nicht bei der beteiligten Behörde, sondern bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegt, macht solche Darlegungen nicht entbehrlich. Notfalls muss die Behörde zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 1 FamFG beantragen und den Antrag auf Anordnung ordentlicher Sicherungshaft bis zum Eingang der Unterrichtung durch das Bundesamt zurückstellen (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132 Rn. 11).

17

cc) Der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 25. September 2012 entspricht - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - diesen Anforderungen nicht. In ihm ist nur davon die Rede, dass auf Grund von zwei EURODAC-Treffern dem Betroffenen die Zurückschiebung nach Italien oder nach Großbritannien eröffnet worden sei. Ausführungen dazu, welcher Staat zunächst angefragt werden soll, und aus welchen Gründen dieser zur Zurücknahme des Betroffenen verpflichtet ist, fehlen jedoch.

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b) Mängel in der Antragsbegründung wegen fehlender Angaben zur erforderlichen Haftdauer und zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 FamFG) führen zur Rechtswidrigkeit der auf Grund eines solchen Antrags erlassenen Haftanordnung.

19

aa) Dies ist eine Folge dessen, dass das Begründungserfordernis als eine Verfahrensgarantie im Sinne des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ausgestaltet worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 19; Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 11). Diese Garantie dient nicht nur dem Zweck, dem Betroffenen eine bessere Verteidigung im Verfahren zu ermöglichen. Mit den besonderen Begründungsanforderungen will der Gesetzgeber vor allem erreichen, dass dem Gericht durch den Antrag selbst eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für seine Entscheidung zugänglich wird (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zum FGG-ReformG, BT-Drucks. 16/9733, S. 299; Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 9; Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13). Die Begründung des Haftantrags ist nach Auffassung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags eine unverzichtbare Voraussetzung für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für die Entscheidung des Richters über den Haftantrag. Unvollständige, auch nicht auf richterliche Aufforderung ergänzte Haftanträge sind von dem Haftrichter als unzulässig zurückzuweisen (BT-Drucks. 16/9733, S. 299).

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bb) Die in § 417 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und 5 FamFG bestimmten Anforderungen an die Begründung sollen gewährleisten, dass die Haft nach § 62 AufenthG nur angeordnet wird, wenn die antragstellende Behörde das Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführbarkeit einer Ab- oder Zurückschiebung und für das Betreiben des Verfahrens darlegt, zu deren Sicherung der Richter die Haft anordnen soll. Das Begründungserfordernis sichert damit die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 4 AufenthG sowie Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Rückführungsrichtlinie. Bedingung für die Inhaftnahme des Ausländers ist nach der Richtlinie nämlich nicht nur die Fluchtgefahr oder ein Umgehen oder eine Verhinderung der Abschiebung; die Haft muss zudem so kurz wie möglich sein und sich auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen beschränken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden. Das Vorliegen dieser Umstände ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme (Art. 15 Abs. 2 Satz 4 Rückführungsrichtlinie) und für die Aufrechterhaltung einer einmal angeordneten Haft (Art. 15 Abs. 3 und 4 Rückführungsrichtlinie).

21

c) Die Mängel des Haftantrags können allerdings in dem gerichtlichen Verfahren mit Wirkung für die Zukunft geheilt werden. Das ist hier jedoch nicht geschehen.

22

aa) Eine Behebung der Mängel des Haftantrags kann zunächst dadurch geschehen, dass die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt, dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt und der Betroffene dazu Stellung nehmen kann (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, Rn. 11 juris; Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 15).

23

Die Möglichkeiten zur Behebung des Mangels sind im Hinblick darauf, dass die Auslegung nationalstaatlicher Vorschriften die praktische Wirksamkeit der Rückführungsrichtlinie nicht infrage stellen darf (EuGH, Urteil vom 10. September 2013 - C-383/13 - PPU, Rn. 36, veröffentlicht u.a. in BayVBl. 2014, 140 ff.), dahin zu ergänzen, dass auch das Gericht das Vorliegen der an sich seitens der Behörde nach § 417 Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen auf Grund eigener Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG) in dem Beschluss feststellen kann. Damit wird dem Zweck des Begründungserfordernisses in § 417 Abs. 2 FamFG ebenfalls genügt. Die Begründung soll dem Haftrichter eine hinreichende Tatsachengrundlage verschaffen. Die Zurückweisung eines Haftantrags oder die Aufhebung einer bereits angeordneten Haft auch in den Fällen, in denen nach den eigenen Ermittlungen des Haftrichters die in § 417 Abs. 2 Nr. 4 und 5 FamFG von der Behörde darzulegenden Tatsachen vorliegen und sich danach die beantragte Haft als erforderlich und verhältnismäßig darstellt, ist dagegen nach dem Zweck des Begründungserfordernisses nicht gefordert und widerspricht dem bereits erwähnten Gebot (siehe oben 1. b)), die praktische Wirksamkeit der Rückführungsrichtlinie nicht durch eine zu enge Auslegung nationalstaatlicher Verfahrensvorschriften infrage zu stellen.

24

Die Behebung des Mangels durch den Haftrichter setzt jedoch voraus, dass dieser die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt. Nur dann ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben, unter denen die Haft angeordnet werden darf. Fehlt es an solchen Feststellungen, verletzt eine dennoch ergehende Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten.

25

bb) So verhält es sich hier, weil die Mängel des Haftantrags der beteiligten Behörde in dem gesamten Verfahren nicht behoben worden sind. Das Beschwerdegericht befasst sich in seiner Entscheidung nur mit der - seiner Meinung nach entbehrlichen - Aushändigung des Haftantrags, aber nicht mit dessen Inhalt. Das Amtsgericht hat lediglich ausgeführt, dass die Dauer der Haft deshalb nicht unverhältnismäßig sei, weil Abschiebungen nach Italien erfahrungsgemäß innerhalb von zwei Monaten vollzogen werden könnten. Feststellungen zu einer Verpflichtung Italiens, den Betroffenen wieder aufzunehmen, fehlen jedoch sowohl im Haftantrag als auch in dem die Haft anordnenden Beschluss.

26

cc) Die Haftanordnung stellt sich schließlich auch nicht deshalb im Nachhinein als rechtmäßig dar, weil die Zurückschiebung des Betroffenen innerhalb der von der beteiligten Behörde beantragten Frist durchgeführt wurde. Der Senat hat zwar entschieden, dass sich Prognosefehler des Gerichts nicht auswirken, wenn es in der angeordneten Haftzeit zu der Ab- oder Zurückschiebung kommt (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 19). Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf Mängel des Haftantrags übertragen werden. Die Ordnungsmäßigkeit des Haftantrags ist eine Verfahrensgarantie, deren Beachtung von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG gefordert ist (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 11; Beschluss vom 19. Januar 2012 - V ZB 70/11, juris Rn. 8; Beschluss vom 17. Oktober 2013 - V ZB 162/12, InfAuslR 2014, 51 Rn. 9). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, weil die Freiheitsentziehung nicht angeordnet werden darf, solange es an einer Darlegung der Behörde oder einer richterlichen Ermittlung der für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsentziehung erforderlichen Tatsachen fehlt.

IV.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128 Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO. Die Vorschriften der Kostenordnung sind hier auf Grund der Übergangsvorschrift in § 134 Abs. 1, 2 GNotKG noch anzuwenden.

Stresemann                        Lemke                        Schmidt-Räntsch

                       Czub                        Kazele

9
Eine solche Heilung des Mangels ist hier jedoch nicht eingetreten. Das Beschwerdegericht hat zwar die Feststellungen getroffen, dass inzwischen ein Pass für den Betroffenen ausgestellt worden sei und der Heimflug voraussichtlich in der siebten oder achten Kalenderwoche, also spätestens bis zum 23. Februar 2014, stattfinden werde. Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall aber, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird. Anderenfalls ist - weil der Betroffene zuvor (mangels zulässigen Haftantrags) keine Gelegenheit hatte, zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten Freiheitsentziehung Stellung zu nehmen - die nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachtende Verfahrensvorschrift des § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht gewahrt (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 284/10, juris Rn. 9; Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, juris Rn. 9; Beschluss vom 29. Oktober 2015 - V ZB 67/15, juris Rn. 6). Eine Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz hat jedoch nicht stattgefunden.
8
a) Mängel des Haftantrags können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt, oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (§ 26 FamFG, vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall aber, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 10 mwN).

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.