Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Sept. 2012 - V ZB 73/12

bei uns veröffentlicht am19.09.2012
vorgehend
Amtsgericht Düsseldorf, XIV 18/12, 19.03.2012
Landgericht Düsseldorf, 25 T 160/12, 26.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 73/12
vom
19. September 2012
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2012 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und
Weinland

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 26. März 2012 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

1
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts stellt die Nichtbeachtung der Rechte aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK zwar einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (ständige Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 18. November 2010 - V ZB 165/10, FGPrax 2011, 99; vom 14. Juli 2011 - V ZB 275/10, FGPrax 2011, 257). Das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen ist aber hier nicht anwendbar, weil Afghanistan nicht Vertragsstaat ist; auch besteht keine vergleichbare völkerrechtliche Verpflichtung. Die in § 62 a Abs. 5 AufenthG vorgesehene Belehrungspflicht enthält kein Rechtmäßigkeitserfordernis für die Haftanordnung, sondern betrifft den Vollzug der Abschiebungshaft.
2
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland

Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 19.03.2012 - 152 A XIV 18/12 / B -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.03.2012 - 25 T 160/12 -

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Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

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Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juli 2011 - V ZB 275/10

bei uns veröffentlicht am 14.07.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 275/10 vom 14. Juli 2011 in der Freiheitsentziehungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Eine die Verpflichtungen der Behörde aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2010 - V ZB 165/10

bei uns veröffentlicht am 18.11.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 165/10 vom 18. November 2010 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Die Beachtung der Rechte, die einem Ausländer nach Art. 36 Abs. 1 Buchst.

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 165/10
vom
18. November 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b
Die Beachtung der Rechte, die einem Ausländer nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des
Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen zustehen, muss für das
Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar sein. Die Belehrung des Ausländers über
diese Rechte, seine Reaktion hierauf und, sofern verlangt, die unverzügliche Unterrichtung
der konsularischen Vertretung von der Inhaftierung sind daher aktenkundig
zu machen.
BGH, Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 165/10 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, die Richter
Dr. Czub und Dr. Roth und die Richterin Dr. Brückner

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. April 2010 und der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 27. Mai 2010 ihn in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden - auch hinsichtlich der Vorinstanzen - nicht erhoben. Der Beteiligte zu 2 trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen jedenfalls aufgrund des nach der Kostenentscheidung begründeten Erstattungsanspruchs nicht vorliegen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober oder November 2008 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde 2009 be- standskräftig zurückgewiesen. Trotz entsprechender Aufforderungen reiste der Betroffene nicht aus.
2
Am 14. April 2010 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 15. April 2010 gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko bis längstens 14. Juli 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Nach der Belehrung, dass das für ihn zuständige Konsulat bzw. die Botschaft von seiner Inhaftierung informiert werde, wenn er dies wünsche, bat der Betroffene um eine entsprechende Unterrichtung und um Benachrichtigung seiner Schwester.
3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der inzwischen aus der Haft entlassene Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

4
Die - ungeachtet der Erledigung der Hauptsache statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) und auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Rechte des Betroffenen aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK nicht gewahrt worden sind. Dies stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 f.; BVerfG, NJW 2007, 499, 500 f.).
5
Nach der genannten Vorschrift sind die konsularischen Vertretungen des Heimatstaates eines Betroffenen auf Verlangen unverzüglich von dessen Inhaftierung zu unterrichten (Satz 1); auf dieses Recht ist der Betroffene unverzüg- lich hinzuweisen (Satz 3). Das Gericht hat deshalb neben der Belehrung des Betroffenen sicherzustellen, dass eine von diesem verlangte Unterrichtung der konsularischen Vertretung unverzüglich erfolgt. Da es sich bei den Rechten aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen um Verfahrensgarantien handelt, muss deren Beachtung für die Rechtsmittelinstanzen nachvollziehbar sein und daher aktenkundig gemacht werden. Die Belehrung des Betroffenen, seine Reaktion hierauf und die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind zu dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag).
6
So verhält es sich hier. Ausweislich des Protokolls über die Anhörung des Betroffenen vom 15. April 2010 ist dieser von dem Amtsgericht zwar über sein Recht belehrt worden, die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen. Dass die von ihm verlangte Unterrichtung erfolgt ist, lässt sich der Verfahrensakte dagegen nicht entnehmen; diese enthält keinen Hinweis auf eine schriftliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit dem Konsulat. Lediglich hinsichtlich der Bitte des Betroffenen um Benachrichtigung seiner Schwester findet sich in einer Protokollabschrift ein Erledigungsvermerk; dass sich dieser auch auf die Benachrichtigung des Konsulats beziehen soll, ist nach seiner räumlichen Anordnung auszuschließen.
7
Der Verstoß gegen Art. 36 WÜK ist nicht dadurch geheilt worden, dass die marokkanische Botschaft im späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung des Betroffenen erhalten hat. Das Recht auf konsularische Hilfe kann nur dann effektiv in Anspruch genommen werden, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes, wie in Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK vor- geschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 aE).

III.

8
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffenen zu verpflichten (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 f. Rn. 19). Krüger Stresemann Czub Roth Brückner
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 15.04.2010 - 44 XIV 3210 B -
LG Hannover, Entscheidung vom 27.05.2010 - 8 T 24/10 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 275/10
vom
14. Juli 2011
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b
Eine die Verpflichtungen der Behörde aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK auslösende
Freiheitsentziehung liegt bei der Anordnung des Aufenthalts nach § 15 Abs. 6 AufenthG
jedenfalls dann vor, wenn die Anordnung über den in Satz 2 der Regelung
genannten Zeitraum von 30 Tagen hinausreicht.
BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 275/10 - LG Frankfurt am Main
AG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2011 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth und
die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 15. September 2010 und der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein iranischer Staatsbürger, kam am 25. August 2010 mit dem Flugzeug aus Teheran auf dem Flughafen Frankfurt am Main an. Bei der grenzpolizeilichen Einreisekontrolle beantragte er unter Vorlage eines gültigen Passes und eines schwedischen Schengenvisums Asyl. Ihm wurde die Einreise mit der Begründung verweigert, nach Art. 9 Abs. 2 der Dublin II Verordnung sei Schweden für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig. Er wurde in der sogenannten Asylbewerberunterkunft auf dem Flughafengelände untergebracht.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 15. September 2010 hat das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom selben Tag den Aufenthalt in der Asylbewerberunterkunft zur Sicherung der Abreise bis einschließlich 15. November 2010 angeordnet. Vor der Entscheidung hatte das Amtsgericht die Akten der Beteiligten zu 2 beigezogen und "zum Gegenstand der Anhörung" gemacht. Aus diesen Akten ergibt sich, dass der Betroffene nach Art. 36 WÜK belehrt worden ist. Seine Reaktion hierauf ist jedoch nur insoweit dokumentiert, als in dem Protokoll über die Vernehmung des Betroffenen das Feld "Der Strafvorwurf ist nicht mitzuteilen" angekreuzt wurde. Bei den übrigen Feldern (Einverständnis mit der Unterrichtung; Versagung des Einverständnisses ; Verständigung der konsularischen Vertretung gegen den Willen des Betroffenen ) findet sich kein Kreuz.
3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Feststellung, dass er durch die genannten Entscheidungen in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

4
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Anordnung des Aufenthalts in der Asylbewerberunterkunft zur Sicherung der Abreise sei zu Recht ergangen. Zu Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen verhält sich die Beschwerdeentscheidung nicht.

III.

5
1. Die nach § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist ungeachtet der nach Erlass der Beschwerdeentscheidung eingetretenen Erledigung der angegriffenen Anordnung ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 i.V.m § 62 Abs. 1 FamFG). Das dafür erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen an der Feststellung, er sei in seinen Rechten verletzt worden, liegt vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass der richterlich angeordnete Aufenthalt eines Ausländers nach § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG einer Freiheitsentziehung im Sinne von § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG gleichsteht, wenn die richterliche Anordnung - wie hier - über den in § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG genannten Zeitraum von 30 Tagen hinausreicht (Senat, Beschluss vom 30. Juni 2010 - V ZB 274/10, zur Veröffentlichung vorgesehen ). Ebenso wie bei richterlichen Haftanordnungen (dazu etwa Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) ist daher auch in Fällen der vorliegenden Art ein berechtigtes Interesse des Betroffenen nach § 62 FamFG an der Klärung der Frage anzuerkennen, ob er durch die richterliche Anordnung in seinen Rechten verletzt worden ist (Senat, Beschluss vom 30. Juni 2010, aaO).
6
2. Begründet ist das Rechtsmittel schon deshalb, weil die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, dass die Rechte des Betroffenen nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK), dem der Iran beigetreten ist (BGBl. II 1975, S. 1121), nicht gewahrt worden sind.
7
a) Das genannten Übereinkommen ist hier anwendbar. Nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK ist die konsularische Vertretung des Heimatstaates eines Betroffenen auf Verlangen unverzüglich von dessen Inhaftierung zu unterrich- ten, wenn er festgenommen, inhaftiert, in Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen worden ist. Bei der Anordnung der Unterbringung zur Sicherung der Abreise handelt es sich um eine Freiheitsentziehung im Sinne der genannten - bewusst weit gefassten - Regelung, die jede nachhaltige Einschränkung der Bewegungsfreiheit umfasst (Wagner/Raasch/ Pröpstl, WÜK, Art. 36, S. 257). Eine solche liegt hier im Übrigen auch deshalb vor, weil die Anordnung einer über den in § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG genannten Zeitraum von 30 Tagen hinausreichenden Freiheitsbeschränkung jedenfalls wie eine Freiheitsentziehung zu behandeln ist (oben 1.).
8
b) Die Beachtung der Rechte, die einem Ausländer nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK zustehen, muss für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar sein. Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits entschieden, dass die Belehrung des Ausländers über diese Rechte, seine Reaktion hierauf und ggf. auch die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung von der Inhaftierung aktenkundig zu machen sind (Senat, Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 165/10, FGPrax 2011, 99 Rn. 5). Ob diese Dokumentation in dem die Freiheitsbeschränkung anordnenden Verfahren vorzunehmen ist oder ob es genügt, dass sie sich aus beigezogenen Verfahrensakten ergibt, die der Richter zum Gegenstand der Anhörung gemacht hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn Letzteres genügen sollte, läge eine ausreichende Dokumentation nicht vor. Zwar ist der Betroffene ausweislich des Protokolls über seine polizeiliche Vernehmung als Beschuldigter über sein Recht belehrt worden, die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen. Ob er von diesem Recht Gebrauch gemacht hat, ist jedoch nicht aktenkundig gemacht worden. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass sich jedenfalls aus dem genannten Protokoll nicht ergibt, ob die konsularische Vertretung verständigt worden ist oder nicht. http://www.juris.de/jportal/portal/t/s0a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE008400000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/s0a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE008600000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/s0a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE008600000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 -
9
c) Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Die Nichtbeachtung der Rechte aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 f.; Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 165/10, juris Rn. 4; BVerfG, NJW 2007, 499, 500 f.).

IV.

10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG und § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Krüger Stresemann Roth Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 15.09.2010 - 934 XIV 1436/10 -
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 28.09.2010 - 2-28 T 164/10 -

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.