Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Apr. 2000 - V ZB 48/99

published on 13/04/2000 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Apr. 2000 - V ZB 48/99
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 48/99
vom
13. April 2000
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 13. April 2000 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Dr. Lambert-Lang,
Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Lemke

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 3. November 1999 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 250.000 DM

Gründe:

I.

Die Ausfertigung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 21. Juni 1999 zugestellt. Darin waren auf Seite 7 die letzten Buchstaben jeder Zeile nicht lesbar. Deshalb sandte der Klägervertreter mit Schreiben vom 30. Juni 1999 die Ausfertigung an das Landgericht zurück und beantragte die erneute förmliche Zustellung einer "vollständigen Ausfertigung" des Urteils. Sie erfolgte am 5. Juli 1999. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts ging am 27. Juli 1999 bei dem Oberlandesgericht ein.
Die Klägerin hält die Berufungsfrist für gewahrt; hilfsweise begehrt sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist. Dazu hat sie vorgetragen:
Nach Auffassung ihres Prozeßbevollmächtigten und des Korrespondenzanwalts begann der Lauf der Berufungsfrist mit der zweiten Zustellung des landgerichtlichen Urteils am 5. Juli 1999. Sie habe die Wirkung gehabt, daß die erste Zustellung gegenstandslos geworden sei. Das Landgericht habe offensichtlich gewollt, daß die erste Zustellung für den Beginn des Laufs der Berufungsfrist nicht ausreichte. Ihr Prozeßbevollmächtigter und der Korrespondenzanwalt seien sich unmittelbar nach der ersten Zustellung darüber im klaren gewesen , daß für den Fall, daß die Beanstandung vom Landgericht nicht geteilt werden würde, auf jeden Fall rechtzeitig nach der ersten Zustellung Berufung eingelegt werden müsse, um ganz sicher zu gehen. Nach der zweiten Zustellung seien sie der Auffassung gewesen, daß die erste Zustellung gegenstandslos bzw. aufgehoben worden sei, so daß der Lauf der Berufungsfrist erneut in Gang gesetzt worden wäre. Das Landgericht habe die erste Urteilsausfertigung einbehalten und damit zweifelsfrei die Aufhebung der ersten Zustellung gewollt. Anderenfalls hätte es die zweite Ausfertigung formlos übersenden müssen. In diesem Fall hätte die erste bereits notierte Berufungsfrist zur Anfechtung des Urteils eingehalten werden können.
Mit Beschluß vom 3. November 1999 hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin , mit der sie ihre Rechtsansicht zur Wahrung der Berufungsfrist wiederholt
und zusätzlich meint, ihrem Prozeßbevollmächtigten falle kein Verschulden zur Last.

II.


Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin verworfen, weil sie verspätet eingelegt wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.
1. Mit der am 21. Juni 1999 erfolgten Zustellung der Urteilsausfertigung begann für die Klägerin die Berufungsfrist zu laufen.
Für die Wirksamkeit der Urteilszustellung als Voraussetzung des Beginns der Berufungsfrist kommt es entscheidend auf die äußere Form und den Inhalt der zugestellten Ausfertigung an; sie muß die Urschrift wortgetreu und vollständig wiedergeben, wobei kleine Fehler nicht schaden, wenn der Zustellungsempfänger aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und insbesondere den Umfang seiner Beschwer erkennen kann (BGH, Beschl. v. 23. April 1980, VIII ZB 6/80, VersR 1980, 771, 772; BGH, Beschl. v. 3. Februar 1987, VI ZB 17/86, BGHR ZPO § 170 Abs. 1 Urteilsausfertigung 1). Da hier, anders als in der in BGHZ 138, 166 ff abgedruckten Entscheidung des Bundesgerichtshofes , auf welche die Klägerin ihre sofortige Beschwerde auch stützt, eine alle Seiten der Urschrift enthaltende Ausfertigung zugestellt wurde, ist allein ihr Inhalt maßgeblich. Ihm muß ein mit dem Streitstoff Vertrauter die tragenden Entscheidungsgründe entnehmen können. Das ist hier ohne weiteres möglich. Die auf Seite 7 in jeder Zeile fehlenden Buchstaben führen nicht einmal dazu,
daß die nicht vollständig lesbaren Sätze unverständlich sind. Erst recht lassen sie keinen Zweifel an der gesamten Begründung des Urteils aufkommen.
Die Wirksamkeit der Zustellung vom 21. Juni 1999 entfällt nicht etwa wegen der Rückgabe der Ausfertigung an das Landgericht durch den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin. Er hat von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis genommen und seinen Willen, es als zugestellt anzusehen, durch Unterzeichnung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses zum Ausdruck gebracht. Damit war der Zustellungsvorgang abgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 5. Mai 1993, XII ZR 44/92, NJW-RR 1993, 1213, 1214) und ein Widerruf nicht mehr möglich.
Schließlich setzte die erneute Zustellung am 5. Juli 1999 auch keine neue Rechtsmittelfrist in Gang (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Dezember 1986, VIII ZB 47/86, VersR 1987, 680).
2. Der Gewährung von Wiedereinsetzung in den v origen Stand steht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ein der Klägerin zurechenbares Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten entgegen (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO). Er hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt den Lauf der Berufungsfrist nach dem Zeitpunkt der ersten Zustellung berechnen müssen. Anders als in den Fällen, in denen die erneute Urteilszustellung vom Gericht ohne Zutun der Parteivertreter als notwendig angesehen wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 7. Oktober 1986, VI ZB 8/86, VersR 1987, 258; Beschl. v. 26. Oktober 1994, IV ZB 12/94, VersR 1995, 680), konnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hier nicht ohne weiteres den Eindruck gewinnen, das Landgericht habe die erste Zustellung als unwirksam angesehen. Denn er selbst war es, der die Ur-
kundsbeamtin der Geschäftsstelle zu der - unnötigen - erneuten Zustellung veranlaßt hat. Sie ist kein Umstand, der ein Verschulden an der Fristversäumung ausschließt. Zumindest führte sie zu einer zweifelhaften Rechtslage, bei der der Prozeßbevollmächtigte den s ichersten zur Verfügung stehenden Weg wählen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Februar 1974, IV ZB 50/73, VersR 1974, 751, 752; Beschl. v. 17. Dezember 1986, VIII ZB 47/86, VersR 1987, 680; Beschl. v. 25. Januar 1989, VIII ZB 37/88, VersR 1989, 530, 531) und von der Wirksamkeit der ersten Zustellung ausgehen mußte.
Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Wenzel Lambert-Lang Krüger Klein Lemke
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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Annotations

(1) Bei nicht prozessfähigen Personen ist an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam.

(2) Ist der Zustellungsadressat keine natürliche Person, genügt die Zustellung an den Leiter.

(3) Bei mehreren gesetzlichen Vertretern oder Leitern genügt die Zustellung an einen von ihnen.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)