Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - V ZB 42/17
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juni 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Am 10. November 2016 reiste der Betroffene ohne gültige Papiere und Einreisedokumente mit dem Zug aus Österreich nach Deutschland ein, wo er bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle festgenommen wurde. Er gab an, ägyptischer Staatsangehöriger zu sein. Die beteiligte Behörde ordnete am selben Tag die Zurückschiebung des Betroffenen nach Österreich an, befristete das Einreiseverbot auf den 10. November 2018 und schob ihn nach Österreich zurück. Am Abend desselben Tages reiste dieser erneut mit dem Zug aus Österreich ohne gültige Papiere in das Bundesgebiet ein. Er wurde wieder festgenommen und gab diesmal an, tunesischer Staatsangehöriger mit den eingangs dieses Beschlusses festgestellten Personalien zu sein. Die beteiligte Behörde ordnete mit Bescheid vom 11. November 2016 die Abschiebung des Betroffenen nach Tunesien an und beantragte die Anordnung von Haft für sechs Monate zur Sicherung dieser Abschiebung.
- 2
- Mit Beschluss vom 11. November 2016 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der verfügten Abschiebung für die Dauer von sechs Monaten angeordnet. Am 20. Dezember 2016 hat der Betroffene die Aufhebung der Haft beantragt. Das Amtsgericht hat diesen Antrag als Beschwerde gewertet und unter Nichtabhilfe dem Landgericht vorgelegt. Dieses wies die beteiligte Behörde zunächst darauf hin, dass die Ausführungen zur beantragten Dauer der Haft unzureichend sein könnten, gab die vermeintliche Beschwerde dann aber dem Amtsgericht zur Entscheidung über den Aufhebungsantrag zurück. Das Amtsgericht hat den Aufhebungsantrag mit Beschluss vom 11. Januar 2017 zurückgewiesen. Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der - am 8. März 2017 abgeschobene - Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der über den 20. Dezember 2016 hinausgehenden Haft erreichen.
II.
- 3
- Das Beschwerdegericht hält den Haftaufhebungsantrag für unbegründet. Ein solcher Antrag könne nur auf neue Umstände, nicht aber auf Einwände gegen die Anordnung der Haft gestützt werden. Der Bundesgerichtshof habe dies in früheren Entscheidungen zwar anders gesehen. Es erachte diese Rechtsprechung aber insbesondere wegen der Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 10. April 2014 (V ZB 110/13) und vom 15. September 2016 (V ZB 43/16) für überholt. Deshalb könne sich der Betroffene weder darauf stützen, dass die erforderliche Dauer der Haft in dem Haftantrag der beteiligten Behörde nicht ausreichend begründet worden sei, noch darauf, dass es an einer Unterrichtung der konsularischen Vertretung Tunesiens fehle. Beides betreffe die ursprüngli- che Haftanordnung und könne im Haftaufhebungsverfahren nicht mehr gerügt werden. Nach Erlass der Haftanordnung eingetretene Umstände, die ihre Aufhebung erforderten, lägen nicht vor.
III.
- 4
- Diese Erwägungen halten im entscheidenden Punkt einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
- 5
- 1. Die gegebene Begründung trägt die Zurückweisung des Haftaufhebungsantrags des Betroffenen nicht.
- 6
- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Haftaufhebungsantrag gemäß § 426 Abs. 1 FamFG nicht nur auf neue Umstände , sondern auch auf Einwände die Anordnung der Haft gestützt werden. Der Senat hat die unter Geltung des durch den heutigen § 426 FamFG abgelösten § 10 FreihEntzG umstrittene Frage mit Beschluss vom 18. September 2008 (V ZB 129/08, BGH-Report 2008, 1232) im beschriebenen Sinne entschieden und an der bisherigen Rechtsprechung auch unter Geltung von § 426 FamFG festgehalten (Beschlüsse vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 17, vom 26. Mai 2011 - V ZB 318/10, juris Rn. 16, vom 15. Dezember 2011 - V ZB 302/10, juris Rn. 13 und vom 29. November 2012 - V ZB 115/12, InfAuslR 2013, 158 Rn. 4). Er hat lediglich präzisiert, dass die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung nicht durch einen Antrag auf Haftaufhebung durchbrochen werden kann. Folge dessen ist, dass die Rechtswidrigkeit der Haft erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht festgestellt werden kann (Senat, Beschluss vom 29. November 2012 - V ZB 170/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 7); dies hat der Betroffene bei der Antragstellung beachtet.
- 7
- b) Diese Rechtsprechung hat der Senat nicht aufgegeben. Er ist von ihr auch nicht stillschweigend abgerückt. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch nicht aus den Beschlüssen des Senats vom 10. April 2014 (V ZB 110/13, juris) und vom 15. September 2016 (V ZB 43/16, NVwZ 2016, 1824). Dies hat der Senat in seinem Beschluss vom 1. Juni 2017 (V ZB 39/17 z. Veröff. best.) in einer gleich gelagerten Sache im Einzelnen erläutert; hierauf wird Bezug genommen.
- 8
- c) Von dieser Rechtsprechung abzuweichen geben die Erwägungen des Beschwerdegerichts keine Veranlassung.
- 9
- 2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als richtig (§ 74 Abs. 2 FamFG).
- 10
- a) Der Betroffene macht im Ansatz zu Recht geltend, dass die Haftanordnung nicht hätte ergehen dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
- 11
- b) Im Haftaufhebungsverfahren ist allerdings zu berücksichtigen, dass Fehler im Haftanordnungsverfahren für die Zukunft heilbar sind. Deshalb ist eine rechtskräftige, aber mangels zulässigen Haftantrags rechtswidrige (rechtskräftig gewordene) Haftanordnung nicht aufzuheben, wenn die beteiligte Behörde die fehlenden Angaben im Aufhebungsverfahren nachholt und das mit dem Aufhebungsverfahren befasste Gericht die erforderlichen Feststellungen nachholt ; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es in diesem Fall nicht (dazu Senat, Beschluss vom 1. Juni 2017 - V ZB 39/17, z. Veröff. best.).
- 12
- c) Die von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Zurückweisung des Haftaufhebungsantrags und des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung für den Zeitraum ab dem 20. Dezember 2016 nicht. Die Behörde hat allerdings die fehlenden Darlegungen zur erforderlichen Dauer der Haft nachgeholt. Der nachgeholte Vortrag ist auch ausreichend. Das Beschwerdegericht hat sich aber - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - mit diesem ergänzenden Vortrag nicht befasst und deshalb auch nicht festgestellt, ob die Haft auf dieser Grundlage und insbesondere auch im Hinblick auf die geänderte Einschätzung der beteiligten Behörde (fünf statt der beantragten und angeordneten sechs Monate) im Zeitpunkt seiner Entscheidung (noch) gerechtfertigt war.
IV.
- 13
- Die Sache ist deshalb nicht zur Endentscheidung reif. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Stresemann Schmidt-Räntsch Weinland Göbel Haberkamp
AG Rosenheim, Entscheidung vom 11.01.2017 - 1 XIV 155/16 -
LG Traunstein, Entscheidung vom 31.01.2017 - 4 T 296/17 -
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - V ZB 42/17
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - V ZB 42/17
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - V ZB 42/17 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).
Tenor
-
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Februar 2016 aufgehoben, soweit die Beschwerde für den Zeitraum ab dem 27. November 2015 zurückgewiesen worden ist.
-
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2015 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit Sicherungshaft für den Zeitraum vom 27. November 2015 bis 2. Dezember 2015 angeordnet wurde.
-
Von den gerichtlichen Kosten trägt der Betroffene 4/5. Weitere gerichtliche Kosten werden nicht erhoben. Der Kreis Siegen-Wittgenstein trägt 1/5 der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen. Im Übrigen trägt sie dieser selbst.
-
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
-
I.
- 1
-
Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste am 1. Oktober 2014 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde als unzulässig abgelehnt. Am 4. November 2015 wurde er in Frankfurt am Main festgenommen. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Italien bis zum 2. Dezember 2015 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt und beantragt, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen. Im Nichtabhilfeverfahren erfuhr der Amtsrichter am 27. November 2015, dass die für den 24. November 2015 geplante Rücküberstellung des Betroffenen an dessen passiven Widerstand gescheitert war. Nachfolgend hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, das Landgericht hat sie zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene, der am 2. Dezember 2015 aus der Haft entlassen worden ist, seinen Feststellungsantrag weiter.
-
II.
- 2
-
Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nur zum Teil begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts in dem Zeitraum vom 27. November 2015 bis 2. Dezember 2015 in seinen Rechten verletzt. Bezogen auf den Zeitraum vom 4. November 2015 bis 26. November 2015 ist die Rechtsbeschwerde hingegen unbegründet.
- 3
-
1. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist rechtsfehlerhaft, soweit es die Haft für den Zeitraum vom 27. November 2015 bis 2. Dezember 2015 betrifft. Der Betroffene ist in seinen Rechten verletzt (§ 62 Abs. 1 FamFG), weil das Amtsgericht die Haft nicht aufgehoben hat, nachdem es Kenntnis von dem Scheitern der am 24. November 2015 vorgesehenen Rückführung erlangt hat.
- 4
-
a) Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Eine Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nicht aufrecht erhalten werden, wenn sich ergibt, dass eine Zurückschiebung innerhalb des angeordneten Haftzeitraums nicht mehr durchgeführt werden kann (Senat, Beschluss vom 10. April 2014 - V ZB 110/13, juris Rn. 7). Ein die Freiheitsentziehung anordnender Beschluss ist deshalb in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen darauf zu untersuchen, ob der Grund für die Freiheitsentziehung entfallen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 27).
- 5
-
b) Ergeben sich nach Anordnung der Haft für das Gericht hinreichende Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung möglicherweise nicht (mehr) vorliegen, hat es deshalb gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 426 Rn. 8). Das gilt auch für das Amtsgericht, das zu prüfen hat, ob es einer Beschwerde des Betroffenen abhilft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Unterlässt es das Gericht, in die gebotene Sachaufklärung einzutreten, verletzt die weitere Freiheitsentziehung den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 GG (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 69/13, Asylmagazin 2014, 138 Rn. 7; vgl. auch Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 27).
- 6
-
c) So ist es hier. Die beteiligte Behörde hat dem Amtsgericht am 27. November 2015 mitgeteilt, dass die Rücküberstellung des Betroffenen am 24. November 2015 gescheitert war. Das Amtsgericht hätte daraufhin die Grundlagen für die Fortdauer der Haft überprüfen müssen. Die Prognose am 27. November 2015 hätte ergeben, dass die Rücküberstellung des Betroffenen nicht mehr innerhalb der bis zum 2. Dezember 2015 befristeten Haftdauer erfolgen konnte. Da sich der Betroffene der Rücküberstellung entzogen hatte, war ein begleiteter Flug zu buchen. Es war abzusehen, dass das in der Kürze der Zeit nicht möglich sein würde. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts werden die Flugbuchungen in Nordrhein-Westfalen durch die Zentralstelle für Flugabschiebungen in Bielefeld durchgeführt. Zwischen Flugbuchung und Überstellungstermin ist eine Zeitspanne von zehn Werktagen einzurechnen, da das Bundesamt die italienischen Behörden von der anstehenden Rückführung in Kenntnis setzen muss.
- 7
-
d) Da die Haft nach Art. 28 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung der Sicherung der Rücküberstellung dient, darf sie nicht aufrechterhalten werden, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass eine Rückführung innerhalb des angeordneten Haftzeitraums nicht mehr durchgeführt werden kann. Eine mögliche, aber (noch) nicht angeordnete Haftverlängerung ist dabei nicht zu berücksichtigen. Die Aufrechterhaltung der angeordneten Sicherungshaft bis zu der Entscheidung über eine Haftverlängerung ist nämlich nicht zulässig. Sie dient dann nicht mehr unmittelbar der Sicherung der Rückführung. Eine nur mittelbare Sicherung dieses Zwecks sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Senat, Beschluss vom 10. April 2014 - V ZB 110/13, juris Rn. 7 zur Zurückschiebungshaft nach § 57 Abs. 2 AufenthG; Beschluss vom 21. März 2013 - V ZB 122/12, juris Rn. 9 zur Abschiebehaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG).
- 8
-
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
-
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Brückner
RiBGH Dr. Göbel ist infolge
Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
Karlsruhe, den 23. September 2016Die Vorsitzende
StresemannHaberkamp
(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 425 Abs. 1 festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Vor der Aufhebung hat das Gericht die zuständige Verwaltungsbehörde anzuhören.
(2) Die Beteiligten können die Aufhebung der Freiheitsentziehung beantragen. Das Gericht entscheidet über den Antrag durch Beschluss.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beteiligte zu 3 gab dem Betroffenen mit einem sofort vollziehbaren Bescheid vom 20. Februar 2008 auf, das Bundesgebiet bis zum Ablauf des 31. März 2008 zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung an. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lehnte das Verwaltungsgericht Münster mit Beschluss vom 22. April 2008 ab; ein paralleles Klageverfahren ist noch anhängig. Mit Schreiben vom 24. Juni 2008, das er in den Briefkasten der Wohnung der Eltern des Betroffenen einlegen ließ, teilte der Beteiligte zu 3 diesem mit, dass er ihn am 25. Juni 2008 abschieben wolle. Dies misslang, weil der Betroffene an diesem Tag in der Wohnung seiner Eltern nicht angetroffen wurde. Er wurde am 9. Juli 2008 in E. festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht Essen am selben Tag gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten an. Diesen Beschluss focht der Betroffene mit einem Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 31. Juli 2008 an und beantragte die Aufhebung des Beschlusses.
- 2
- Das Amtsgericht hat darin einen Aufhebungsantrag nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG gesehen, diesen als unbegründet zurückgewiesen und dem Betroffenen eine Rechtsmittelbelehrung erteilt, nach welcher gegen seine Entscheidung die sofortige Beschwerde gegeben sei. Die daraufhin von dem Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde, mit der er geltend macht, die Voraussetzungen für die Haftanordnung hätten nicht vorgelegen, hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen, der das Oberlandesgericht stattgeben möchte. Daran sieht es sich durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 15. Oktober 2007 (OLG-Report 2008, 193, 194) gehindert. Es hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
II.
- 3
- Die Vorlage ist statthaft (§ 28 Abs. 2 FGG i.V.m. § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2 FreihEntzG).
- 4
- Für den Erfolg oder Misserfolg des Rechtsmittels kommt es darauf an, ob die Zurückweisung eines Antrags auf Haftaufhebung nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann und ob ein Antrag auf Haftaufhebung auch darauf gestützt werden kann, die Anordnungsvoraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Beide Fragen möchte das vorlegende Oberlandesgericht bejahen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat sie in der angeführten Entscheidung verneint. Die Divergenz rechtfertigt die Vorlage.
III.
- 5
- Die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen ist begründet.
- 6
- 1. Die Vorinstanzen haben das Schreiben des Betroffenen zutreffend als Antrag nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG ausgelegt. Darin wendet sich der Betroffene zwar in erster Linie gegen den Beschluss vom 9. Juli 2008, durch den das Amtsgericht die Abschiebehaft angeordnet hat. Seinem Schreiben lässt sich aber entnehmen, dass er sich mit jedem dazu geeigneten Antrag gegen die Fortdauer der Haft wenden will. Dazu stand ihm nur der Antrag nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG zu Gebote.
- 7
- 2. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Zurückweisung des Antrags durch das Amtsgericht durfte nicht als unzulässig verworfen werden.
- 8
- a) Ob gegen die Zurückweisung eines Antrags nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG ein Rechtsmittel gegeben ist, wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Nach einer Meinung, der das Beschwerdegericht folgt, soll sich aus den Vorschriften der §§ 7 und 12 FreihEntzG ergeben, dass nur die Entscheidungen über die Anordnung und die Fortdauer der Haft mit der sofortigen Beschwerde angreifbar seien (OLG Saarbrücken OLG-Report 2008, 193, 194 unter Bezugnahme auf die aufgegebene Auffassung des OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25. September 2002, 3 Wx 296/02, juris, und v. 16. April 2003, 3 Wx 116/03, juris). Anträge auf Aufhebung der angeordneten Haft seien demgegenüber als Ausnahme von dem Abänderungsverbot des § 18 Abs. 2 FGG nicht beschwerdefähig , da sie in jedem Fall (erneut) zu prüfen seien. Nach der Gegenmeinung sind gegen Entscheidungen über die Zurückweisung der Haftaufhebung die allgemeinen Rechtsmittel gegeben (BayObLG, Beschl. v. 3. August 2004, 4Z BR 32/04; KG OLGZ 1977, 161, 162; OLG Stuttgart FGPrax 1996, 40; OLG Düs- seldorf, Beschl. v. 5. Oktober 2004, 3 Wx 255/04, juris; OLG Frankfurt/Main OLG-Report 2006, 83 [Ls], Volltext bei juris; OLG Köln OLG-Report 2007, 792, 793).
- 9
- b) Der Senat erachtet die zuletzt genannte Auffassung für zutreffend.
- 10
- aa) Aus den Vorschriften der §§ 7 Abs. 1, 12 FreihEntzG ergibt sich nur, dass jedenfalls die Anordnung der Haft nach § 6 FreihEntzG und ihre Verlängerung nach § 9 FreihEntzG der sofortigen Beschwerde unterliegen. Dass andere Entscheidungen nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (Freiheitsentziehungsverfahrensgesetz) nicht beschwerdefähig sein sollen, lässt sich weder den genannten noch anderen Vorschriften des Gesetzes entnehmen.
- 11
- bb) Dies folgt auch nicht aus der hierfür in Anspruch genommenen Systematik des Gesetzes. Sie ergibt das Gegenteil.
- 12
- (1) Es ist zwar richtig, dass die Möglichkeit der Haftaufhebung nach § 10 FreihEntzG systematisch eine Ausnahme von dem Grundsatz in § 18 Abs. 2 FGG bildet, dass eine der sofortigen Beschwerde unterliegende Entscheidung nicht von dem Ausgangsgericht abgeändert werden darf. Über die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Aufhebung der Haft besagt das aber nichts. Das zeigt die der Freiheitsentziehung insoweit vergleichbare Konstellation der Unterbringung. Sie unterliegt nach § 70m Abs. 1 FGG der sofortigen Beschwerde (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 70m Rdn. 3). Abweichend von § 18 Abs. 2 FGG ist sie – wie die Freiheitsentziehung – nach § 70i Abs. 1 Satz 1 FGG aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Das schließt die Anfechtbarkeit der Entscheidung nicht aus. Gegen sie findet die einfache Beschwerde statt (Bumiller, FGG, 8. Aufl., § 70m Rdn. 2; Kei- del/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 70m Rdn. 5; Sonnenfeld in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 70m Rdn. 14).
- 13
- (2) Die Haftaufhebung ist in § 10 FreihEntzG als selbständige Entscheidung ausgestaltet. Sie unterliegt nach § 3 Satz 2 FreihEntzG daher wie alle anderen Entscheidungen nach dem Freiheitsentziehungsverfahrensgesetz der Beschwerde. Die Anschlussfrage, ob es sich dabei um eine einfache oder eine sofortige Beschwerde handelt, ist nach den auch sonst geltenden Grundsätzen zu entscheiden. Diese ergeben sich aus § 7 Abs. 1 FreihEntzG und § 12 FreihEntzG in Verbindung mit jener Vorschrift. Dem wird entnommen, dass gegen Entscheidungen, die die Freiheitsentziehung selbst betreffen, die sofortige Beschwerde , für alle andere Entscheidungen die einfache Beschwerde gegeben ist (Marschner in Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringungen , 4. Aufl., § 7 FreihEntzG Rdn. 2). Danach ist gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Haftaufhebung die sofortige Beschwerde gegeben, weil ihr Gegenstand nicht die Modalitäten der Haft sind, sondern ihr (Fort-) Bestand.
- 14
- 3. Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif. Sie ist zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
- 15
- a) Der Betroffene trägt allerdings nicht vor, dass sich die Umstände nach seiner Inhaftierung geändert hätten. Er begründet seinen Antrag vielmehr damit, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft nicht vorgelegen hätten. Könnte er damit im Verfahren über einen Antrag nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG nicht gehört werden, wäre die Sache zur Entscheidung reif, seine sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
- 16
- b) Das ist indessen nicht der Fall.
- 17
- aa) Ob der Betroffene im Verfahren nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG mit Einwänden gegen die Haftanordnung ausgeschlossen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Nach einer von dem Beschwerdegericht geteilten Ansicht ist die Frage zu bejahen (KG OLGZ 1977, 161, 164; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25. September 2002, 3 Wx 296/02, juris, und v. 16. April 2003, 3 Wx 116/03, juris; OLG Saarbrücken, OLG-Report 2007, 193, 194). Nach anderer Ansicht, der das vorlegende Oberlandesgericht folgt, können nicht nur neue Tatsachen, sondern auch Einwände gegen die Anordnung der Haft zu ihrer Aufhebung nach § 10 FreihEntzG führen (BayObLG Beschl. v. 3. August 2004, 4Z BR 32/04; OLG Stuttgart, FGPrax 1996, 40; OLG Celle NdsRpfl 2004, 16; OLG Frankfurt/Main OLG-Report 2006, 83 [Ls], Volltext bei juris; Marschner in Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringungen, 4. Aufl., § 10 FreihEntzG Rdn. 2).
- 18
- bb) Dieser zweiten Meinung tritt der Senat bei. § 10 Abs. 1 FreihEntzG verpflichtet zu einer Aufhebung der angeordneten Haft nach seinem Wortlaut zwar nur, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Dem könnte entnommen werden, dass Voraussetzung dafür der Eintritt neuer Umstände ist. § 10 Abs. 2 FreihEntzG löst sich aber von dieser engen Begrifflichkeit und verpflichtet dazu, Anträge nach § 6 Abs. 2 FreihEntzG „in jedem Fall“ zu prüfen und zu bescheiden. Das lässt jedenfalls vom Wortsinn her eine Aufhebung auch dann zu, wenn sich die Sachlage zwar nicht verändert, ein Grund für die Anordnung der Haft aber nicht bestanden hat und auch weiterhin nicht besteht.
- 19
- Nur ein solches weites Verständnis wird dem Zweck des Aufhebungsverfahrens gerecht. Dieses zielt darauf, eine sachlich nicht gerechtfertigte Inhaftierung zur Verwirklichung der Freiheitsgarantien des Art. 104 GG umgehend zu beenden. Unter diesem Aspekt ist es unerheblich, ob sich die fehlende Berechtigung der Inhaftierung aus neuen Umständen oder daraus ergibt, dass sie nicht hätte angeordnet werden dürfen. Einer Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung bei der Prüfung der Haftaufhebung steht auch nicht entgegen , dass der Betroffene eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung schon mit den gegen diesen gegebenen Rechtsmitteln erreichen kann und in der Regel auch erreicht. Entscheidungen über die Anordnung der Haft sind nur der formellen, nicht der materiellen Rechtskraft fähig (Marschner, aaO). Die damit einhergehende mehrfache Prüfung ist bei einer Freiheitsentziehung nicht zu vermeiden. Ihre Fortdauer ist nicht nur unverhältnismäßig, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist, sondern in gleicher Weise, wenn eine erneute Prüfung ergibt, dass er (doch) nicht vorgelegen hat.
- 20
- c) Feststellungen dazu, ob die in Betracht kommenden Haftgründe nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 und 5 AufenthG gegeben waren, hat das Beschwerdegericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht getroffen, weil es die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Anordnung der Haft wegen Versäumung der Antragsfrist als unzulässig und eine sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Haftaufhebung als unstatthaft angesehen hat. Die Prüfung in der Sache ist nachzuholen. Klein Lemke Schmidt-Räntsch Czub Roth
LG Essen, Entscheidung vom 12.08.2008 - 7 T 425/08 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 11.09.2008 - I-15 Wx 254/08 -
(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 425 Abs. 1 festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Vor der Aufhebung hat das Gericht die zuständige Verwaltungsbehörde anzuhören.
(2) Die Beteiligten können die Aufhebung der Freiheitsentziehung beantragen. Das Gericht entscheidet über den Antrag durch Beschluss.
Tenor
-
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Februar 2016 aufgehoben, soweit die Beschwerde für den Zeitraum ab dem 27. November 2015 zurückgewiesen worden ist.
-
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2015 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit Sicherungshaft für den Zeitraum vom 27. November 2015 bis 2. Dezember 2015 angeordnet wurde.
-
Von den gerichtlichen Kosten trägt der Betroffene 4/5. Weitere gerichtliche Kosten werden nicht erhoben. Der Kreis Siegen-Wittgenstein trägt 1/5 der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen. Im Übrigen trägt sie dieser selbst.
-
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
-
I.
- 1
-
Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste am 1. Oktober 2014 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde als unzulässig abgelehnt. Am 4. November 2015 wurde er in Frankfurt am Main festgenommen. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Italien bis zum 2. Dezember 2015 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt und beantragt, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen. Im Nichtabhilfeverfahren erfuhr der Amtsrichter am 27. November 2015, dass die für den 24. November 2015 geplante Rücküberstellung des Betroffenen an dessen passiven Widerstand gescheitert war. Nachfolgend hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, das Landgericht hat sie zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene, der am 2. Dezember 2015 aus der Haft entlassen worden ist, seinen Feststellungsantrag weiter.
-
II.
- 2
-
Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nur zum Teil begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts in dem Zeitraum vom 27. November 2015 bis 2. Dezember 2015 in seinen Rechten verletzt. Bezogen auf den Zeitraum vom 4. November 2015 bis 26. November 2015 ist die Rechtsbeschwerde hingegen unbegründet.
- 3
-
1. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist rechtsfehlerhaft, soweit es die Haft für den Zeitraum vom 27. November 2015 bis 2. Dezember 2015 betrifft. Der Betroffene ist in seinen Rechten verletzt (§ 62 Abs. 1 FamFG), weil das Amtsgericht die Haft nicht aufgehoben hat, nachdem es Kenntnis von dem Scheitern der am 24. November 2015 vorgesehenen Rückführung erlangt hat.
- 4
-
a) Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Eine Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nicht aufrecht erhalten werden, wenn sich ergibt, dass eine Zurückschiebung innerhalb des angeordneten Haftzeitraums nicht mehr durchgeführt werden kann (Senat, Beschluss vom 10. April 2014 - V ZB 110/13, juris Rn. 7). Ein die Freiheitsentziehung anordnender Beschluss ist deshalb in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen darauf zu untersuchen, ob der Grund für die Freiheitsentziehung entfallen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 27).
- 5
-
b) Ergeben sich nach Anordnung der Haft für das Gericht hinreichende Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung möglicherweise nicht (mehr) vorliegen, hat es deshalb gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 426 Rn. 8). Das gilt auch für das Amtsgericht, das zu prüfen hat, ob es einer Beschwerde des Betroffenen abhilft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Unterlässt es das Gericht, in die gebotene Sachaufklärung einzutreten, verletzt die weitere Freiheitsentziehung den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 GG (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 69/13, Asylmagazin 2014, 138 Rn. 7; vgl. auch Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 27).
- 6
-
c) So ist es hier. Die beteiligte Behörde hat dem Amtsgericht am 27. November 2015 mitgeteilt, dass die Rücküberstellung des Betroffenen am 24. November 2015 gescheitert war. Das Amtsgericht hätte daraufhin die Grundlagen für die Fortdauer der Haft überprüfen müssen. Die Prognose am 27. November 2015 hätte ergeben, dass die Rücküberstellung des Betroffenen nicht mehr innerhalb der bis zum 2. Dezember 2015 befristeten Haftdauer erfolgen konnte. Da sich der Betroffene der Rücküberstellung entzogen hatte, war ein begleiteter Flug zu buchen. Es war abzusehen, dass das in der Kürze der Zeit nicht möglich sein würde. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts werden die Flugbuchungen in Nordrhein-Westfalen durch die Zentralstelle für Flugabschiebungen in Bielefeld durchgeführt. Zwischen Flugbuchung und Überstellungstermin ist eine Zeitspanne von zehn Werktagen einzurechnen, da das Bundesamt die italienischen Behörden von der anstehenden Rückführung in Kenntnis setzen muss.
- 7
-
d) Da die Haft nach Art. 28 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung der Sicherung der Rücküberstellung dient, darf sie nicht aufrechterhalten werden, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass eine Rückführung innerhalb des angeordneten Haftzeitraums nicht mehr durchgeführt werden kann. Eine mögliche, aber (noch) nicht angeordnete Haftverlängerung ist dabei nicht zu berücksichtigen. Die Aufrechterhaltung der angeordneten Sicherungshaft bis zu der Entscheidung über eine Haftverlängerung ist nämlich nicht zulässig. Sie dient dann nicht mehr unmittelbar der Sicherung der Rückführung. Eine nur mittelbare Sicherung dieses Zwecks sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Senat, Beschluss vom 10. April 2014 - V ZB 110/13, juris Rn. 7 zur Zurückschiebungshaft nach § 57 Abs. 2 AufenthG; Beschluss vom 21. März 2013 - V ZB 122/12, juris Rn. 9 zur Abschiebehaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG).
- 8
-
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
-
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Brückner
RiBGH Dr. Göbel ist infolge
Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
Karlsruhe, den 23. September 2016Die Vorsitzende
StresemannHaberkamp
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juni 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Am 10. November 2016 reiste der Betroffene ohne gültige Papiere und Einreisedokumente mit dem Zug aus Österreich nach Deutschland ein, wo er bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle festgenommen wurde. Er gab an, ägyptischer Staatsangehöriger zu sein, und nannte bei verschiedenen Vernehmungen unterschiedliche Personalien. Die beteiligte Behörde ordnete am selben Tag die Zurückschiebung des Betroffenen nach Österreich an, befristete das Einreiseverbot auf den 10. November 2018 und schob den Betroffenen nach Österreich zurück. Am Abend desselben Tages reiste dieser erneut mit dem Zug aus Österreich ohne gültige Papiere in das Bundesgebiet ein. Er wurde wieder festgenommen und gab diesmal an, tunesischer Staatsangehöriger mit den ein- gangs dieses Beschlusses festgestellten Personalien zu sein. Die beteiligte Behörde ordnete daraufhin die Abschiebung des Betroffenen nach Tunesien an und beantragte am 11. November 2016 die Anordnung von Haft zur Sicherung dieser Abschiebung.
- 2
- Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen , wie beantragt, Haft zur Sicherung der verfügten Abschiebung für die Dauer von sechs Monaten angeordnet. Am 20. Dezember 2016 hat der Betroffene die Aufhebung der Haft beantragt. Das Amtsgericht hat diesen Antrag als Beschwerde gewertet und unter Nichtabhilfe dem Landgericht vorgelegt. Dieses hat die beteiligte Behörde zunächst darauf hingewiesen, dass die Ausführungen zur beantragten Dauer der Haft unzureichend sein könnten, die vermeintliche Beschwerde dann aber dem Amtsgericht zur Entscheidung über den Aufhebungsantrag zurückgegeben. Diesen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2017 zurückgewiesen. Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der - am 20. Februar 2017 aus der Haft entlassene - Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der über den 20. Dezember 2016 hinausgehenden Haft erreichen.
II.
- 3
- Das Beschwerdegericht hält den Haftaufhebungsantrag für unbegründet. Ein solcher Antrag könne nur auf neue Umstände, nicht aber auf Einwände gegen die Anordnung der Haft gestützt werden. Der Bundesgerichtshof habe dies in früheren Entscheidungen zwar anders gesehen. Es erachte diese Rechtsprechung aber insbesondere wegen der Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 10. April 2014 (V ZB 110/13) und vom 15. September 2016 (V ZB 43/16) für überholt. Deshalb könne sich der Betroffene weder darauf stützen, dass die erforderliche Dauer der Haft in dem Haftantrag der beteiligten Behörde nicht ausreichend begründet worden sei, noch darauf, dass es an einer Unterrichtung der konsularischen Vertretung Tunesiens fehle. Beides betreffe die ursprüngliche Haftanordnung und könne im Haftaufhebungsverfahren nicht mehr gerügt werden. Nach Erlass der Haftanordnung eingetretene Umstände, die ihre Aufhebung erforderten, lägen nicht vor.
III.
- 4
- Diese Erwägungen halten im entscheidenden Punkt einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
- 5
- 1. Die gegebene Begründung trägt die Zurückweisung des Haftaufhebungsantrags des Betroffenen nicht.
- 6
- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Haftaufhebungsantrag gemäß § 426 Abs. 1 FamFG nicht nur auf neue Umstände , sondern auch auf Einwände gegen die Anordnung der Haft gestützt werden. Der Senat hat die unter Geltung des durch den heutigen § 426 FamFG abgelösten § 10 FreihEntzG umstrittene Frage mit Beschluss vom 18. September 2008 (V ZB 129/08, BGH-Report 2008, 1232) im beschriebenen Sinne entschieden und diese Entscheidung vor allem mit folgenden Erwägungen begründet (aaO Rn. 19): "Nur ein solches weites Verständnis wird dem Zweck des Aufhebungsverfahrens gerecht. Dieses zielt darauf, eine sachlich nicht gerechtfertigte Inhaftierung zur Verwirklichung der Freiheitsgarantien des Art. 104 GG umgehend zu beenden. Unter diesem Aspekt ist es unerheblich, ob sich die fehlende Berechtigung der Inhaftierung aus neuen Umständen oder daraus ergibt, dass sie nicht hätte angeordnet werden dürfen. Einer Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung bei der Prüfung der Haftaufhebung steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene nur eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung schon mit den gegen diese gegebenen Rechtsmitteln erreichen kann und in aller Regel auch erreicht. Entscheidungen über die Anordnung der Haft sind nur der formellen, nicht der materiellen Rechtskraft fähig (…). Die damit einhergehende mehrfache Prüfung ist bei einer Freiheitsentziehung nicht zu vermeiden. Ihre Fortdauer ist nicht nur unverhältnismäßig, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist, sondern in gleicher Weise , wenn eine erneute Prüfung ergibt, dass er (doch) nicht vorgelegen hat."
- 7
- Daran hat die Ersetzung des früheren § 10 FreihEntzG durch den heutigen § 426 FamFG nichts geändert. Der Gesetzgeber hat zwar das förmliche Antragsrecht des Betroffenen nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG, auf das der Senat seinerzeit auch abgestellt hatte (Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 129/08, BGH-Report 2008, 1232 Rn. 18), redaktionell abgeschwächt (BT-Drucks. 16/6308 S. 293), aber unverändert an den Aufhebungsgründen, an der Verpflichtung zur Aufhebung der Haftanordnung von Amts wegen bei Wegfall der Gründe (dazu Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 69/13, Asylmagazin 2014, 138 Rn. 7 f.) und auch daran festgehalten, dass die Beteiligten die Aufhebung beantragen können und darüber durch Beschluss zu entscheiden ist. Unverändert geblieben ist vor allem der Zweck der Vorschrift zu verhindern, dass der Betroffene auf Grund einer Haftanordnung inhaftiert bleibt, die jedenfalls objektiv nicht (mehr) gerechtfertigt ist. Deshalb hat der Senat an der bisherigen Rechtsprechung auch unter Geltung von § 426 FamFG festgehalten (Beschlüsse vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 17, vom 26. Mai 2011 - V ZB 318/10, juris Rn. 16, vom 15. Dezember 2011 - V ZB 302/10, juris Rn. 13 und vom 29. November 2012 - V ZB 115/12, InfAuslR 2013, 158 Rn. 4). Er hat lediglich präzisiert, dass die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung nicht durch einen Antrag auf Haftaufhebung durchbrochen werden kann. Folge dessen ist, dass die Rechtswidrigkeit der Haft erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht festgestellt werden kann (Senat, Beschluss vom 29. November 2012 - V ZB 170/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 7); dies hat der Betroffene bei der Antragstellung beachtet.
- 8
- b) Diese Rechtsprechung hat der Senat nicht aufgegeben. Er ist von ihr auch nicht stillschweigend abgerückt. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht aus den Beschlüssen des Senats vom 10. April 2014 (V ZB 110/13, juris) und vom 15. September 2016 (V ZB 43/16, NVwZ 2016, 1824). In den genannten Entscheidungen hatte sich der Senat nicht mit Haftaufhebungsverfahren, sondern mit der Frage zu befassen , ob das Beschwerdegericht die Haftanordnung des Amtsgerichts aufrechterhalten darf, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass die Haft in dem angeordneten Zeitraum nicht mehr durchführbar ist. Die Frage hat er zunächst gestützt auf den Zweck der Sicherungshaft (Beschluss vom 10. April 2014 - V ZB 110/13, juris Rn. 7), später zusätzlich gestützt auf § 426 FamFG (Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 43/16, NVwZ 2016, 1824 Rn. 4) verneint. Ebenfalls aus dem Grundgedanken des § 426 Abs. 1 FamFG hat der Senat abgeleitet, dass eine angeordnete Sicherungshaft auf den Zeitraum zu beschränken ist, der nach den von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen für die Durchführung der Abschiebung erforderlich ist, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass die Haft nicht mehr in dem von dem Amtsgericht angeordneten Umfang zu rechtfertigen ist (Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 13). Der Rückgriff auf § 426 FamFG beruht auf der Überlegung, dass die Haft, würde sie unverändert aufrechterhalten , sogleich von Amts wegen aufzuheben oder zu reduzieren wäre. Diese Folge ergibt sich gerade aus der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass im Haftaufhebungsverfahren nicht nur neue Umstände, sondern auch Einwände gegen die ursprüngliche Haftanordnung geltend gemacht werden können. Die genannten Entscheidungen stellen daher die Rechtsprechung des Senats zu § 426 FamFG nicht in Frage; diese bildet vielmehr ihre gedankliche Grundlage.
- 9
- c) Von dieser Rechtsprechung abzuweichen geben die Erwägungen des Beschwerdegerichts keine Veranlassung.
- 10
- 2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als richtig (§ 74 Abs. 2 FamFG).
- 11
- a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts war allerdings nicht, wie der Betroffene meint, deshalb rechtswidrig, weil dem Amtsgericht Fehler bei der Belehrung nach Art. 36 WÜK unterlaufen sind. Solche Fehler haben nämlich nur dann die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung zur Folge, wenn das Verfahren bei ordnungsgemäßer Belehrung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können und der Betroffene dies darlegt (Senat, Beschlüsse vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, NVwZ 2016, 711 Rn. 10 f. und vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, juris Rn. 16). Daran fehlt es.
- 12
- b) Der Betroffene macht aber im Ansatz zu Recht geltend, dass die Haftanordnung nicht hätte ergehen dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
- 13
- aa) Zulässig ist ein Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG nur, wenn er auch Darlegungen zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung enthält. Zwar dürfen die Ausführungen dazu knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 8, vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4 und vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 9, 15, jeweils mwN).
- 14
- bb) Danach war der Haftantrag der beteiligten Behörde unzulässig. Er beschränkte sich auf die Angabe, dass die Passbeschaffung, die Buchung von verfügbaren Flügen nach Tunesien und sonstige organisatorische Tätigkeiten mit zuständigen Behörden und Einrichtungen und die Außerlandesbringung des Betroffenen aufgrund neuer geänderter Verfahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tunesien bis zu sechs Monate dauern würden. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, InfAuslR 2014, 99 Rn. 9), unzureichend (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 - V ZB 8/15, juris Rn. 7 und vom 31. März 2017 - V ZB 74/17, juris Rn.2).
- 15
- c) Die Haftanordnung ist wegen Defiziten des Haftantrags, Verfahrensfehlern bei der Anordnung der Haft oder Fehlern der Haftanordnung nicht nach § 426 FamFG aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden ist. Einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es in diesem Fall grundsätzlich nicht.
- 16
- aa) Die Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung im Haftaufhebungsverfahren hat den Zweck zu verhindern, dass ein Betroffener weiter in Haft gehalten wird, obwohl sich die (rechtskräftig gewordene) Haftanordnung als rechtswidrig erweist (Senat, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZR 129/08, BGH-Report 2008, 1232 Rn. 19). Darin findet die Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung aber auch ihre Grenze. Im Haftaufhebungsverfahren ist deshalb zu berücksichtigen, dass die solchen Einwänden zugrunde liegenden Defizite des Haftantrags, Verfahrensfehler oder Fehler der Haftanordnung im Haftanordnungsverfahren (für die Zukunft) hätten geheilt werden können. Bliebe diese Möglichkeit unberücksichtigt, hätte der Betroffene im Haftaufhebungsverfahren weitergehende Rechte als bei einem Rechtsmittel gegen die Haftanordnung. Das stünde mit dem Zweck des Haftaufhebungsverfahrens und des weiten Verständnisses der Aufhebungsgründe nicht in Einklang und muss vermieden werden.
- 17
- bb) Durch eine förmliche Heilung solcher Mängel und Fehler istdieses Ziel allerdings nicht zu erreichen. Sie ist nur im laufenden Haftanordnungsverfahren möglich und ausgeschlossen, wenn dieses rechtskräftig abgeschlossen ist. Daraus folgt indessen nicht, dass die im Haftanordnungsverfahren gegebene Möglichkeit der Fehlerkorrektur im Haftaufhebungsverfahren keine Berücksichtigung finden könnte. Ihr ist vielmehr bei der Prüfung der von dem Betroffenen gegen die Haftanordnung erhobenen Einwände Rechnung zu tragen. Die beteiligte Behörde kann im Rahmen ihrer Stellungnahme zu solchen Einwänden ihren Haftantrag überprüfen und etwa fehlende Angaben nachholen. Das Gericht hat nicht nur zu prüfen, ob die Einwände des Betroffenen berechtigt waren, als die Haftanordnung rechtskräftig wurde, sondern auch bei der Haftanordnung etwa versäumte gerichtliche Feststellungen nachzuholen. Aufgrund von Einwänden gegen ihren Erlass darf es die Haftanordnung nur aufheben, wenn sie auch auf dieser ergänzten Grundlage weiterhin rechtswidrig ist.
- 18
- cc) Einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es im Haftaufhebungsverfahren, anders als bei einer Fehlerkorrektur im Haftanordnungsverfahren (dazu: Senat, Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff., vom 11. Februar 2016 - V ZB 24/14, juris Rn. 9, vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 9 und vom 31. März 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 3), nicht. Die persönliche Anhörung des Betroffenen wird in § 420 FamFG nur für die Haftanordnung und, wenn An- tragsmängel im Haftanordnungsverfahren nachträglich geheilt werden, mit § 68 Abs. 3 FamFG auch für ein Beschwerdeverfahren gegen die Haftanordnung vorgeschrieben. Eine entsprechende Vorgabe für das Haftaufhebungsverfahren hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen; er hat das Verfahren und damit auch die Durchführung einer persönlichen Anhörung vielmehr in das Ermessen des Gerichts gestellt (Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 426 Rn. 7 aE; MüKoFamFG/Wendtland, 2. Aufl., § 426 Rn. 6; für Reduktion des Ermessens auf persönliche Anhörung bei Ablehnung dagegen Grotkopp in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 426 Rn. 15; Lesting in Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 5. Aufl., § 420 FamFG Rn. 6). Der Betroffene müsste deshalb zu neuen Umständen, auf die der Haftaufhebungsantrag gestützt wird, nicht persönlich angehört werden. Weshalb das anders sein soll, wenn der Aufhebungsantrag - wie hier - auf Fehler bei der Haftanordnung gestützt wird, ist nicht ersichtlich. Zu dieser ist der Betroffene persönlich angehört worden; deren Fehler trägt er in aller Regel selbst vor. Der Verzicht des Gesetzgebers auf eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen ist deshalb auch im Hinblick auf Art. 104 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Etwas anderes gilt nur in dem extremen Ausnahmefall, dass der Einwand gegen die Haftanordnung gerade darin besteht, dass die vorgeschriebene persönliche Anhörung unterblieben ist. Dieser - hier nicht gegebene - Mangel könnte nur durch Nachholung der Anhörung im Haftaufhebungsverfahren geheilt werden.
- 19
- d) Die von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen rechtfertigten die Zurückweisung des Haftaufhebungsantrags und des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung für den Zeitraum ab dem 20. Dezember 2016 nicht.
- 20
- aa) Die Behörde hat allerdings die fehlenden Darlegungen zur erforderlichen Dauer der Haft nachgeholt. Dabei ist es unschädlich, dass diese Nachho- lung auf Aufforderung des Beschwerdegerichts und im Rahmen eines vermeintlichen , in Wirklichkeit aber nicht eingeleiteten Beschwerdeverfahrens erfolgt ist. Anlass für die Aufforderung des Beschwerdegerichts war der Aufhebungsantrag des Betroffenen. Der nachgeholte Vortrag ist auch ausreichend. Danach sind zwar bei der Beschaffung von Passersatzpapieren und der Vorbereitung von Abschiebungen nach Tunesien unterschiedliche Erfahrungen gemacht worden. Das hat sie aber im Einzelnen ausgeführt und auf dieser Grundlage eine eigene Einschätzung vorgetragen, nämlich, dass hier mit fünf Monaten zu rechnen sei. Mehr ist im Rahmen eines zulässigen Haftantrags nicht erforderlich.
- 21
- bb) Das Beschwerdegericht hat sich aber - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - mit diesem ergänzenden Vortrag nicht befasst und deshalb auch nicht festgestellt, ob die Haft auf dieser Grundlage und insbesondere auch im Hinblick auf die geänderte Einschätzung der beteiligten Behörde (fünf statt der beantragten und angeordneten sechs Monate) im Zeitpunkt seiner Entscheidung (noch) gerechtfertigt war.
IV.
- 22
- Die Sache ist daher nicht zur Endentscheidung reif. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Hierfür weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
- 23
- 1. Das Beschwerdegericht wird den nachgeholten Vortrag zu prüfen und festzustellen haben, ob die angeordnete Haft nach dem Ergebnis der ergänzenden Feststellungen noch sachlich gerechtfertigt war.
- 24
- 2. Diese Prüfung kann ergeben, dass die Haftanordnung - rückschauend betrachtet - nur für fünf, nicht für sechs Monate hätte angeordnet werden dür- fen. Im Beschwerdeverfahren hätte die Haft in einer solchen Situation um einen Monat gekürzt werden müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 13). Eine solche Möglichkeit besteht im Haftaufhebungsverfahren nicht. Es ist kein erweitertes Rechtsmittelverfahren und dient lediglich dazu, eine nicht mehr gerechtfertigte Haft zu beenden. Das Gericht hat im Haftaufhebungsverfahren nur die Möglichkeit, die Haft aufzuheben oder den Antrag auf Haftaufhebung zurückzuweisen. Die Haftaufhebung ist bei einer für einen zu langen Zeitraum angeordneten Sicherungshaft nur gerechtfertigt, dann aber auch geboten, wenn bei der Entscheidung über den Aufhebungsantrag feststeht, dass der Zweck der Haft nicht mehr erreicht werden kann. Andernfalls hat der Betroffene nur die Möglichkeit, die Aufhebung der Haft zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu beantragen. Stresemann Schmidt-Räntsch Weinland Göbel Haberkamp
AG Rosenheim, Entscheidung vom 11.01.2017 - 1 XIV 156/16 (B) -
LG Traunstein, Entscheidung vom 31.01.2017 - 4 T 295/17 -
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierüber durch nicht anfechtbaren Beschluss.
(2) Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.
(3) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten anzuhören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.
(4) Die Freiheitsentziehung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses darf nur nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen angeordnet werden. Die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat, soll ihrem Antrag ein ärztliches Gutachten beifügen.
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juni 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Am 10. November 2016 reiste der Betroffene ohne gültige Papiere und Einreisedokumente mit dem Zug aus Österreich nach Deutschland ein, wo er bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle festgenommen wurde. Er gab an, ägyptischer Staatsangehöriger zu sein, und nannte bei verschiedenen Vernehmungen unterschiedliche Personalien. Die beteiligte Behörde ordnete am selben Tag die Zurückschiebung des Betroffenen nach Österreich an, befristete das Einreiseverbot auf den 10. November 2018 und schob den Betroffenen nach Österreich zurück. Am Abend desselben Tages reiste dieser erneut mit dem Zug aus Österreich ohne gültige Papiere in das Bundesgebiet ein. Er wurde wieder festgenommen und gab diesmal an, tunesischer Staatsangehöriger mit den ein- gangs dieses Beschlusses festgestellten Personalien zu sein. Die beteiligte Behörde ordnete daraufhin die Abschiebung des Betroffenen nach Tunesien an und beantragte am 11. November 2016 die Anordnung von Haft zur Sicherung dieser Abschiebung.
- 2
- Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen , wie beantragt, Haft zur Sicherung der verfügten Abschiebung für die Dauer von sechs Monaten angeordnet. Am 20. Dezember 2016 hat der Betroffene die Aufhebung der Haft beantragt. Das Amtsgericht hat diesen Antrag als Beschwerde gewertet und unter Nichtabhilfe dem Landgericht vorgelegt. Dieses hat die beteiligte Behörde zunächst darauf hingewiesen, dass die Ausführungen zur beantragten Dauer der Haft unzureichend sein könnten, die vermeintliche Beschwerde dann aber dem Amtsgericht zur Entscheidung über den Aufhebungsantrag zurückgegeben. Diesen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2017 zurückgewiesen. Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der - am 20. Februar 2017 aus der Haft entlassene - Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der über den 20. Dezember 2016 hinausgehenden Haft erreichen.
II.
- 3
- Das Beschwerdegericht hält den Haftaufhebungsantrag für unbegründet. Ein solcher Antrag könne nur auf neue Umstände, nicht aber auf Einwände gegen die Anordnung der Haft gestützt werden. Der Bundesgerichtshof habe dies in früheren Entscheidungen zwar anders gesehen. Es erachte diese Rechtsprechung aber insbesondere wegen der Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 10. April 2014 (V ZB 110/13) und vom 15. September 2016 (V ZB 43/16) für überholt. Deshalb könne sich der Betroffene weder darauf stützen, dass die erforderliche Dauer der Haft in dem Haftantrag der beteiligten Behörde nicht ausreichend begründet worden sei, noch darauf, dass es an einer Unterrichtung der konsularischen Vertretung Tunesiens fehle. Beides betreffe die ursprüngliche Haftanordnung und könne im Haftaufhebungsverfahren nicht mehr gerügt werden. Nach Erlass der Haftanordnung eingetretene Umstände, die ihre Aufhebung erforderten, lägen nicht vor.
III.
- 4
- Diese Erwägungen halten im entscheidenden Punkt einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
- 5
- 1. Die gegebene Begründung trägt die Zurückweisung des Haftaufhebungsantrags des Betroffenen nicht.
- 6
- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Haftaufhebungsantrag gemäß § 426 Abs. 1 FamFG nicht nur auf neue Umstände , sondern auch auf Einwände gegen die Anordnung der Haft gestützt werden. Der Senat hat die unter Geltung des durch den heutigen § 426 FamFG abgelösten § 10 FreihEntzG umstrittene Frage mit Beschluss vom 18. September 2008 (V ZB 129/08, BGH-Report 2008, 1232) im beschriebenen Sinne entschieden und diese Entscheidung vor allem mit folgenden Erwägungen begründet (aaO Rn. 19): "Nur ein solches weites Verständnis wird dem Zweck des Aufhebungsverfahrens gerecht. Dieses zielt darauf, eine sachlich nicht gerechtfertigte Inhaftierung zur Verwirklichung der Freiheitsgarantien des Art. 104 GG umgehend zu beenden. Unter diesem Aspekt ist es unerheblich, ob sich die fehlende Berechtigung der Inhaftierung aus neuen Umständen oder daraus ergibt, dass sie nicht hätte angeordnet werden dürfen. Einer Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung bei der Prüfung der Haftaufhebung steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene nur eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung schon mit den gegen diese gegebenen Rechtsmitteln erreichen kann und in aller Regel auch erreicht. Entscheidungen über die Anordnung der Haft sind nur der formellen, nicht der materiellen Rechtskraft fähig (…). Die damit einhergehende mehrfache Prüfung ist bei einer Freiheitsentziehung nicht zu vermeiden. Ihre Fortdauer ist nicht nur unverhältnismäßig, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist, sondern in gleicher Weise , wenn eine erneute Prüfung ergibt, dass er (doch) nicht vorgelegen hat."
- 7
- Daran hat die Ersetzung des früheren § 10 FreihEntzG durch den heutigen § 426 FamFG nichts geändert. Der Gesetzgeber hat zwar das förmliche Antragsrecht des Betroffenen nach § 10 Abs. 2 FreihEntzG, auf das der Senat seinerzeit auch abgestellt hatte (Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 129/08, BGH-Report 2008, 1232 Rn. 18), redaktionell abgeschwächt (BT-Drucks. 16/6308 S. 293), aber unverändert an den Aufhebungsgründen, an der Verpflichtung zur Aufhebung der Haftanordnung von Amts wegen bei Wegfall der Gründe (dazu Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 69/13, Asylmagazin 2014, 138 Rn. 7 f.) und auch daran festgehalten, dass die Beteiligten die Aufhebung beantragen können und darüber durch Beschluss zu entscheiden ist. Unverändert geblieben ist vor allem der Zweck der Vorschrift zu verhindern, dass der Betroffene auf Grund einer Haftanordnung inhaftiert bleibt, die jedenfalls objektiv nicht (mehr) gerechtfertigt ist. Deshalb hat der Senat an der bisherigen Rechtsprechung auch unter Geltung von § 426 FamFG festgehalten (Beschlüsse vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 17, vom 26. Mai 2011 - V ZB 318/10, juris Rn. 16, vom 15. Dezember 2011 - V ZB 302/10, juris Rn. 13 und vom 29. November 2012 - V ZB 115/12, InfAuslR 2013, 158 Rn. 4). Er hat lediglich präzisiert, dass die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung nicht durch einen Antrag auf Haftaufhebung durchbrochen werden kann. Folge dessen ist, dass die Rechtswidrigkeit der Haft erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht festgestellt werden kann (Senat, Beschluss vom 29. November 2012 - V ZB 170/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 7); dies hat der Betroffene bei der Antragstellung beachtet.
- 8
- b) Diese Rechtsprechung hat der Senat nicht aufgegeben. Er ist von ihr auch nicht stillschweigend abgerückt. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht aus den Beschlüssen des Senats vom 10. April 2014 (V ZB 110/13, juris) und vom 15. September 2016 (V ZB 43/16, NVwZ 2016, 1824). In den genannten Entscheidungen hatte sich der Senat nicht mit Haftaufhebungsverfahren, sondern mit der Frage zu befassen , ob das Beschwerdegericht die Haftanordnung des Amtsgerichts aufrechterhalten darf, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass die Haft in dem angeordneten Zeitraum nicht mehr durchführbar ist. Die Frage hat er zunächst gestützt auf den Zweck der Sicherungshaft (Beschluss vom 10. April 2014 - V ZB 110/13, juris Rn. 7), später zusätzlich gestützt auf § 426 FamFG (Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 43/16, NVwZ 2016, 1824 Rn. 4) verneint. Ebenfalls aus dem Grundgedanken des § 426 Abs. 1 FamFG hat der Senat abgeleitet, dass eine angeordnete Sicherungshaft auf den Zeitraum zu beschränken ist, der nach den von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen für die Durchführung der Abschiebung erforderlich ist, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass die Haft nicht mehr in dem von dem Amtsgericht angeordneten Umfang zu rechtfertigen ist (Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 13). Der Rückgriff auf § 426 FamFG beruht auf der Überlegung, dass die Haft, würde sie unverändert aufrechterhalten , sogleich von Amts wegen aufzuheben oder zu reduzieren wäre. Diese Folge ergibt sich gerade aus der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass im Haftaufhebungsverfahren nicht nur neue Umstände, sondern auch Einwände gegen die ursprüngliche Haftanordnung geltend gemacht werden können. Die genannten Entscheidungen stellen daher die Rechtsprechung des Senats zu § 426 FamFG nicht in Frage; diese bildet vielmehr ihre gedankliche Grundlage.
- 9
- c) Von dieser Rechtsprechung abzuweichen geben die Erwägungen des Beschwerdegerichts keine Veranlassung.
- 10
- 2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als richtig (§ 74 Abs. 2 FamFG).
- 11
- a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts war allerdings nicht, wie der Betroffene meint, deshalb rechtswidrig, weil dem Amtsgericht Fehler bei der Belehrung nach Art. 36 WÜK unterlaufen sind. Solche Fehler haben nämlich nur dann die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung zur Folge, wenn das Verfahren bei ordnungsgemäßer Belehrung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können und der Betroffene dies darlegt (Senat, Beschlüsse vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, NVwZ 2016, 711 Rn. 10 f. und vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, juris Rn. 16). Daran fehlt es.
- 12
- b) Der Betroffene macht aber im Ansatz zu Recht geltend, dass die Haftanordnung nicht hätte ergehen dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
- 13
- aa) Zulässig ist ein Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG nur, wenn er auch Darlegungen zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung enthält. Zwar dürfen die Ausführungen dazu knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 8, vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4 und vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 9, 15, jeweils mwN).
- 14
- bb) Danach war der Haftantrag der beteiligten Behörde unzulässig. Er beschränkte sich auf die Angabe, dass die Passbeschaffung, die Buchung von verfügbaren Flügen nach Tunesien und sonstige organisatorische Tätigkeiten mit zuständigen Behörden und Einrichtungen und die Außerlandesbringung des Betroffenen aufgrund neuer geänderter Verfahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tunesien bis zu sechs Monate dauern würden. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, InfAuslR 2014, 99 Rn. 9), unzureichend (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 - V ZB 8/15, juris Rn. 7 und vom 31. März 2017 - V ZB 74/17, juris Rn.2).
- 15
- c) Die Haftanordnung ist wegen Defiziten des Haftantrags, Verfahrensfehlern bei der Anordnung der Haft oder Fehlern der Haftanordnung nicht nach § 426 FamFG aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden ist. Einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es in diesem Fall grundsätzlich nicht.
- 16
- aa) Die Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung im Haftaufhebungsverfahren hat den Zweck zu verhindern, dass ein Betroffener weiter in Haft gehalten wird, obwohl sich die (rechtskräftig gewordene) Haftanordnung als rechtswidrig erweist (Senat, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZR 129/08, BGH-Report 2008, 1232 Rn. 19). Darin findet die Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung aber auch ihre Grenze. Im Haftaufhebungsverfahren ist deshalb zu berücksichtigen, dass die solchen Einwänden zugrunde liegenden Defizite des Haftantrags, Verfahrensfehler oder Fehler der Haftanordnung im Haftanordnungsverfahren (für die Zukunft) hätten geheilt werden können. Bliebe diese Möglichkeit unberücksichtigt, hätte der Betroffene im Haftaufhebungsverfahren weitergehende Rechte als bei einem Rechtsmittel gegen die Haftanordnung. Das stünde mit dem Zweck des Haftaufhebungsverfahrens und des weiten Verständnisses der Aufhebungsgründe nicht in Einklang und muss vermieden werden.
- 17
- bb) Durch eine förmliche Heilung solcher Mängel und Fehler istdieses Ziel allerdings nicht zu erreichen. Sie ist nur im laufenden Haftanordnungsverfahren möglich und ausgeschlossen, wenn dieses rechtskräftig abgeschlossen ist. Daraus folgt indessen nicht, dass die im Haftanordnungsverfahren gegebene Möglichkeit der Fehlerkorrektur im Haftaufhebungsverfahren keine Berücksichtigung finden könnte. Ihr ist vielmehr bei der Prüfung der von dem Betroffenen gegen die Haftanordnung erhobenen Einwände Rechnung zu tragen. Die beteiligte Behörde kann im Rahmen ihrer Stellungnahme zu solchen Einwänden ihren Haftantrag überprüfen und etwa fehlende Angaben nachholen. Das Gericht hat nicht nur zu prüfen, ob die Einwände des Betroffenen berechtigt waren, als die Haftanordnung rechtskräftig wurde, sondern auch bei der Haftanordnung etwa versäumte gerichtliche Feststellungen nachzuholen. Aufgrund von Einwänden gegen ihren Erlass darf es die Haftanordnung nur aufheben, wenn sie auch auf dieser ergänzten Grundlage weiterhin rechtswidrig ist.
- 18
- cc) Einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es im Haftaufhebungsverfahren, anders als bei einer Fehlerkorrektur im Haftanordnungsverfahren (dazu: Senat, Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff., vom 11. Februar 2016 - V ZB 24/14, juris Rn. 9, vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 9 und vom 31. März 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 3), nicht. Die persönliche Anhörung des Betroffenen wird in § 420 FamFG nur für die Haftanordnung und, wenn An- tragsmängel im Haftanordnungsverfahren nachträglich geheilt werden, mit § 68 Abs. 3 FamFG auch für ein Beschwerdeverfahren gegen die Haftanordnung vorgeschrieben. Eine entsprechende Vorgabe für das Haftaufhebungsverfahren hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen; er hat das Verfahren und damit auch die Durchführung einer persönlichen Anhörung vielmehr in das Ermessen des Gerichts gestellt (Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 426 Rn. 7 aE; MüKoFamFG/Wendtland, 2. Aufl., § 426 Rn. 6; für Reduktion des Ermessens auf persönliche Anhörung bei Ablehnung dagegen Grotkopp in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 426 Rn. 15; Lesting in Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 5. Aufl., § 420 FamFG Rn. 6). Der Betroffene müsste deshalb zu neuen Umständen, auf die der Haftaufhebungsantrag gestützt wird, nicht persönlich angehört werden. Weshalb das anders sein soll, wenn der Aufhebungsantrag - wie hier - auf Fehler bei der Haftanordnung gestützt wird, ist nicht ersichtlich. Zu dieser ist der Betroffene persönlich angehört worden; deren Fehler trägt er in aller Regel selbst vor. Der Verzicht des Gesetzgebers auf eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen ist deshalb auch im Hinblick auf Art. 104 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Etwas anderes gilt nur in dem extremen Ausnahmefall, dass der Einwand gegen die Haftanordnung gerade darin besteht, dass die vorgeschriebene persönliche Anhörung unterblieben ist. Dieser - hier nicht gegebene - Mangel könnte nur durch Nachholung der Anhörung im Haftaufhebungsverfahren geheilt werden.
- 19
- d) Die von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen rechtfertigten die Zurückweisung des Haftaufhebungsantrags und des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung für den Zeitraum ab dem 20. Dezember 2016 nicht.
- 20
- aa) Die Behörde hat allerdings die fehlenden Darlegungen zur erforderlichen Dauer der Haft nachgeholt. Dabei ist es unschädlich, dass diese Nachho- lung auf Aufforderung des Beschwerdegerichts und im Rahmen eines vermeintlichen , in Wirklichkeit aber nicht eingeleiteten Beschwerdeverfahrens erfolgt ist. Anlass für die Aufforderung des Beschwerdegerichts war der Aufhebungsantrag des Betroffenen. Der nachgeholte Vortrag ist auch ausreichend. Danach sind zwar bei der Beschaffung von Passersatzpapieren und der Vorbereitung von Abschiebungen nach Tunesien unterschiedliche Erfahrungen gemacht worden. Das hat sie aber im Einzelnen ausgeführt und auf dieser Grundlage eine eigene Einschätzung vorgetragen, nämlich, dass hier mit fünf Monaten zu rechnen sei. Mehr ist im Rahmen eines zulässigen Haftantrags nicht erforderlich.
- 21
- bb) Das Beschwerdegericht hat sich aber - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - mit diesem ergänzenden Vortrag nicht befasst und deshalb auch nicht festgestellt, ob die Haft auf dieser Grundlage und insbesondere auch im Hinblick auf die geänderte Einschätzung der beteiligten Behörde (fünf statt der beantragten und angeordneten sechs Monate) im Zeitpunkt seiner Entscheidung (noch) gerechtfertigt war.
IV.
- 22
- Die Sache ist daher nicht zur Endentscheidung reif. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Hierfür weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
- 23
- 1. Das Beschwerdegericht wird den nachgeholten Vortrag zu prüfen und festzustellen haben, ob die angeordnete Haft nach dem Ergebnis der ergänzenden Feststellungen noch sachlich gerechtfertigt war.
- 24
- 2. Diese Prüfung kann ergeben, dass die Haftanordnung - rückschauend betrachtet - nur für fünf, nicht für sechs Monate hätte angeordnet werden dür- fen. Im Beschwerdeverfahren hätte die Haft in einer solchen Situation um einen Monat gekürzt werden müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 13). Eine solche Möglichkeit besteht im Haftaufhebungsverfahren nicht. Es ist kein erweitertes Rechtsmittelverfahren und dient lediglich dazu, eine nicht mehr gerechtfertigte Haft zu beenden. Das Gericht hat im Haftaufhebungsverfahren nur die Möglichkeit, die Haft aufzuheben oder den Antrag auf Haftaufhebung zurückzuweisen. Die Haftaufhebung ist bei einer für einen zu langen Zeitraum angeordneten Sicherungshaft nur gerechtfertigt, dann aber auch geboten, wenn bei der Entscheidung über den Aufhebungsantrag feststeht, dass der Zweck der Haft nicht mehr erreicht werden kann. Andernfalls hat der Betroffene nur die Möglichkeit, die Aufhebung der Haft zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu beantragen. Stresemann Schmidt-Räntsch Weinland Göbel Haberkamp
AG Rosenheim, Entscheidung vom 11.01.2017 - 1 XIV 156/16 (B) -
LG Traunstein, Entscheidung vom 31.01.2017 - 4 T 295/17 -