Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Feb. 2010 - IV ZR 350/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 34.731,58 €
Gründe:
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- I. Das Oberlandesgericht hat der Beklagten einen auf Rückzahlung ihrer Versicherungsleistung in Höhe von 35.995,15 € gerichteten Bereicherungsanspruch versagt, mit dem die Beklagte gegen die im Übrigen unstreitige Klagforderung von 34.731,58 € aufrechnen möchte. Es hat dabei angenommen, die von verschiedenen Tankstellenpächtern, darunter dem Zeugen L. , und der Firma O.
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- II. Das Berufungsurteil verletzt dabei in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Senat hat deshalb ihre Revision zugelassen und die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Beschlusswege zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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- 1. Die Feststellung einer Gefahrerhöhung erfordert einen Vergleich des versicherten Risikos mit der nach einer Änderung möglicherweise risikorelevanter Umstände neuen Gefahrenlage. Das kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalles geschehen, denn die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes über Gefahrerhöhungen dienen dem Zweck, die im Versicherungsvertrag ausgehandelte Balance zwischen versichertem Risiko und Prämie zu wahren, oder den Vertrag anzupassen - und notfalls auch zu beenden - wenn dieses Gleichgewicht gestört ist.
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- Ausgangspunkt ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - die Auslegung des Vertrages zur Ermittlung des versicherten Risikos (vgl. dazu auch HK-VVG/Karczewski § 23 Rdn. 9, 10). Sodann muss dieses versicherte Risiko mit der Risikolage verglichen werden, wie sie sich nach Veränderung der Umstände darstellt. Dabei kommt es - wie in der Senatsrechtsprechung geklärt ist - nicht auf einzelne Gefahrumstände an; stattdessen ist zu fragen, wie sich die Gefahrenlage seit der Stellung des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrages im Ganzen entwickelt hat. Hierfür sind alle ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen. (Senatsurteil vom 23. Juni 2004 - IV ZR 219/03 - VersR 2005, 218 unter II 1 b (1); BGHZ 79, 156 [158] = VersR 1981, 245 [246]; Senatsurteil vom 5. Mai 2004 - IV ZR 183/03 - VersR 2004, 895 = juris unter II 2 a aa).
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- 2. Dem hat das Berufungsgericht nicht genügt. Es hat die besonderen Umstände des Einzelfalles weitgehend unberücksichtigt gelassen und insbesondere aus dem Blick verloren, dass die Beklagte vorgetragen und unter Beweis gestellt hatte, die Klägerin habe sich an der so genannten Pool-Vereinbarung zwischen mehreren Tankstellenpächtern und der Firma O. beteiligt. Diesem Vortrag wäre nachzugehen gewesen.
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- a) Schon die Auslegung des Warenkredit-Versicherungsvertrages betreffend Kraftstofflieferungen an den Pächter L. bleibt zur Frage , welches Risiko die Beklagte übernommen hatte, insoweit unvollständig , als sich das Berufungsgericht mit der allgemeinen Feststellung begnügt , der Versicherungsschutz habe sich auch auf so genannte "Streckengeschäfte" erstreckt. Es wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich das Leistungsversprechen auf jegliches Streckengeschäft bezog oder der Einschränkung unterlag, dass bei Abschluss solcher Streckengeschäfte keine besonderen Hinweise auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Zweitabnehmers vorliegen durften, die ihrerseits die Bonität des Bestellers gefährdete.
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- b) Im Weiteren wären die von der Beklagten vorgetragenen veränderten Umstände mit dem vertraglichen Soll-Zustand vergleichend zu würdigen gewesen. Das hat das Berufungsgericht weitgehend versäumt.
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- aa) Zwar mag sein Hinweis darauf, dass dem versicherten Besteller nach dem Warenkreditversicherungsvertrag auch Streckengeschäfte erlaubt waren, noch denjenigen Bedenken begegnen, die die Beklagte ganz allgemein gegen solche Streckengeschäfte erhebt. Das betrifft das Argument, dass ein Tankstellenpächter beim Kraftstoffkauf für die von ihm betriebene Tankstelle mit den nachfolgenden Barverkäufen an Endabnehmer das Risiko ausbleibender Bezahlung breit streue und deshalb größere Zahlungsausfälle in der Regel nicht zu besorgen seien, während man sich mit einem Streckengeschäft für einen einzelnen Lieferungsempfänger allein von dessen Zahlungsfähigkeit und -willigkeit abhängig mache und dadurch grundsätzlich das Risiko eines Totalausfalls erhöhe.
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- bb) Im Weiteren hat sich das Berufungsgericht aber nicht ausreichend mit der von der Beklagten vorgetragenen, teilweise auch unstreitigen besonderen Vorgeschichte der so genannten Pool-Vereinbarung und den konkreten Hinweisen auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Firma O. befasst.
- 10
- Danach waren zu Ende des Jahres 2000 weder die Klägerin als Verkäuferin von Kraftstoffen noch die Beklagte als Warenkreditversicherer mit Blick auf Zweifel an der Liquidität der Firma O. weiterhin bereit, das Zahlungsausfallrisiko künftiger Lieferungen an letztere zu tragen. Die Beklagte hatte eine von der Klägerin beantragte Erhöhung der Versicherungssumme in dem Kreditversicherungsvertrag betreffend Lieferungen an die Firma O. ausdrücklich abgelehnt, und die Klägerin hatte daraufhin der Firma O. mit einem Lieferstopp gedroht, weil deren versichertes Lieferkontingent längst überschritten war.
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- Die so genannte Pool-Vereinbarung mehrerer Tankstellenpächter mit der Firma O. zielte vor diesem Hintergrund darauf ab, die freien Versicherungskontingente dieser Pächter in der Weise für künftige Kraftstofflieferungen der Klägerin an die Firma O. nutzbar zu machen, dass fortan die Pächter in entsprechendem Umfang als Zwischenhändler auftraten. Die Gestaltung der neuen Lieferverträge lief darauf hinaus, dass in den - die Tankstellenpächter betreffenden - Versicherungsverträgen das Risiko eines Forderungsausfalls nicht mehr in erster Linie von der Zahlungsfähigkeit der Tankstellenpächter, sondern letztlich vorwiegend von der Zahlungsfähigkeit der Firma O. abhing, also einem Risiko, das die Beklagte ersichtlich nicht zu tragen bereit war.
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- Spricht damit bereits vieles dafür, dass die genannten Umstände zumindest objektiv eine Gefahrerhöhung bedeuteten, so durfte das Berufungsgericht den Beklagtenvortrag, die Klägerin habe sich an der so genannten Pool-Vereinbarung beteiligt, nicht übergehen. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, den dazu angebotenen Beweis zu erheben. Denn hiervon hängt es ab, ob eine subjektive Gefahrerhöhung vorlag, auf die die Beklagte ihre Leistungsfreiheit und mithin ihren zur Aufrechnung gestellten Bereicherungsanspruch stützt.
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 05.10.2005 - 418 O 86/05 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 03.04.2007 - 9 U 204/05 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.