Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2007 - IV ZR 207/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 83.705 €
Gründe:
- 1
- Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Dieser Verstoß führt zur Aufhebung und Zurückverweisung nach § 544 Abs. 7 ZPO.
- 2
- 1. Die Beklagte und der Erblasser lebten in Gütergemeinschaft, die im Wesentlichen aus einem landwirtschaftlichen Anwesen bestand. Der Kläger verlangt die Erfüllung eines im Ehe- und Erbvertrag seiner Eltern ausgesetzten Vermächtnisses in Höhe des Wertes von 1/9 des Gesamtguts. Der Kläger legt seiner Berechnung den Verkehrswert des landwirtschaftlichen Betriebs zugrunde. Demgegenüber beruft sich die Beklagte darauf, dass das Landgut nach dem Ertragswert zu berechnen sei (analog § 2312 Abs. 2 BGB).
- 3
- Landgericht Das hat der Klage stattgegeben, weil es an einer letztwilligen Anordnung fehle, dass das Landgut nach dem Ertragswert zu bewerten sei. Das Berufungsgericht geht dagegen aufgrund ergänzender Testamentsauslegung von einer letztwilligen Anordnung der Bewertung nach dem Ertragswert aus. Bezüglich der Eigenschaft des landwirtschaftlichen Betriebs als Landgut sei unstreitig, dass bis zum Erbfall die Beklagte für ihren Mann, den Erblasser, und ihren Stiefsohn den Haushalt geführt habe; der Erblasser habe sich um die Geschäfte der Landwirtschaft gekümmert und der Stiefsohn die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichtet. Außerdem habe der Kläger in erster Instanz vorgetragen , dass die Beklagte beim Erbfall über ein Barvermögen von 60.000 DM verfügt habe. Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen dahin gewertet, der Hof habe die drei darauf lebenden Personen unstreitig ernähren können; mithin habe ein Landgut im Sinne von § 2312 BGB vorgelegen.
- 4
- 2. Schon in der Klageschrift und in einem weiteren erstinstanzlichen Schriftsatz hatte der Kläger jedoch vorgetragen, dass die Viehhaltung , auf der ein Großteil des Ertrages beruht habe, schon Jahre vor dem Erbfall nicht mehr gewinnbringend habe betrieben werden können, weil die Stallungen hätten erneuert werden müssen. Die von der Beklagten aufgestellte Behauptung, die drei auf dem Hof lebenden Personen hätten bis zum Erbfall vom Ertrag des Hofes leben können, sei falsch. Vielmehr hätten die Beklagte und der Erblasser eine monatliche Rente von 1.100 DM für ihren Lebensunterhalt verbraucht. Der Kläger hatte sich auf ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür berufen, dass im Jahre des Erbfalls mit dem landwirtschaftlichen Anwesen ein nachhaltig erzielbarer Reinertrag zur Existenzsicherung nicht mehr möglich gewesen sei; das von der Beklagten vorgelegte Gutachten sei fehlerhaft; bei zutreffender Berechnung ergebe sich ein negativer Ertragswert, der Betrieb erwirtschafte also Verluste. Auf diese Schriftsätze aus erster Instanz hatte der Kläger in seiner Berufungserwiderung abschließend verwiesen.
- 5
- 3. Danach hätte das Berufungsgericht nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Eigenschaft des landwirtschaftlichen Anwesens als Landgut im Sinne von § 2312 BGB entscheiden dürfen. Ob das Barvermögen der Beklagten beim Erbfall in Höhe von 60.000 DM aus fortlaufenden, auch in Zukunft zu erwartenden Überschüssen stammte oder der Rest eines vor längerer Zeit zurückgelegten höheren Betrages war, ist nicht aufgeklärt. Dass bis zum Erbfall drei Personen auf dem Hof lebten und die Landwirtschaft betrieben haben, besagt insbesondere im Hinblick auf die Rente und das Sparguthaben noch nicht, dass ein erheblicher Teil des Lebensunterhalts der Eltern auch zur Zeit des Erbfalls noch aus der Landwirtschaft erwirtschaftet werden konnte, diese also dauerhaft weiter eine selbständige Nahrungsquelle darstellte (vgl. BGHZ 98, 375, 377 ff.; 98, 382, 388; Senatsurteil vom 11. März 1992 - IV ZR 62/91 - NJW-RR 1992, 770 unter 2 und 3). Vom Kläger, der nicht darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 1989 - IVb ZR 75/88 - FamRZ 1989, 1276 unter I 1 a.E.), kann nicht erwartet werden, dass er seine Behauptung, mit dem Anwesen sei ein nachhaltig erzielbarer Reinertrag zur Existenzsicherung nicht mehr zu erwirtschaften gewesen, über die von ihm gegebenen Hinweise auf unzureichende Stallungen und Fehler des von der Beklagten vorgelegten Ertragswertgutachtens hinaus substantiiert. Das würde besondere Sachkunde voraussetzen, für die sich der Kläger auf das Gutachten eines Sachverständigen berufen durfte (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2000 - IV ZR 222/98 - ZEV 2001, 116 unter 2 c). Da das Berufungsgericht , das sich mit den Einwänden des Klägers gegen das von der Beklagten vorgelegte Ertragswertgutachten nicht befasst hat, nicht darlegt, dass es über eigene Sachkunde verfüge, war es verfahrensfehlerhaft , ohne Einholung eines Gutachtens zu entscheiden. Damit ist das Recht des Klägers auf Gehör vor Gericht verletzt worden (vgl. BVerfG NJW 2003, 125, 127; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VI ZR 166/06 - VersR 2007, 1008 f.).
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Landshut, Entscheidung vom 23.01.2006 - 44 O 2596/05 -
OLG München, Entscheidung vom 21.06.2006 - 20 U 2160/06 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Hat der Erblasser angeordnet oder ist nach § 2049 anzunehmen, dass einer von mehreren Erben das Recht haben soll, ein zum Nachlass gehörendes Landgut zu dem Ertragswert zu übernehmen, so ist, wenn von dem Recht Gebrauch gemacht wird, der Ertragswert auch für die Berechnung des Pflichtteils maßgebend. Hat der Erblasser einen anderen Übernahmepreis bestimmt, so ist dieser maßgebend, wenn er den Ertragswert erreicht und den Schätzungswert nicht übersteigt.
(2) Hinterlässt der Erblasser nur einen Erben, so kann er anordnen, dass der Berechnung des Pflichtteils der Ertragswert oder ein nach Absatz 1 Satz 2 bestimmter Wert zugrunde gelegt werden soll.
(3) Diese Vorschriften finden nur Anwendung, wenn der Erbe, der das Landgut erwirbt, zu den in § 2303 bezeichneten pflichtteilsberechtigten Personen gehört.