Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Dez. 2007 - IV ZR 178/06

published on 12/12/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Dez. 2007 - IV ZR 178/06
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Previous court decisions
Landgericht Düsseldorf, 11 O 566/02, 06/07/2005
Oberlandesgericht Düsseldorf, 4 U 163/05, 13/06/2006

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 178/06
vom
12. Dezember 2007
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke
am 12. Dezember 2007

beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Juni 2006 zugelassen.
Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 43.869,24 €

Gründe:


1
Dem Rechtsmittel des Klägers war nach § 544 Abs. 7 ZPO stattzugeben , weil das Berufungsgericht sich aufdrängende - und vom Kläger aufgezeigte - Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft und damit das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.
2
1. Nachdem er sich bei einem Sturz am 17. Oktober 2000 Verletzungen des linken Arms und der linken Schulter zugezogen hatte, die zu dauerhaften Bewegungseinschränkungen geführt haben, fordert der Kläger von seinem beklagten Unfallversicherer Invaliditätsleistungen. Dazu stützt er sich mit der Behauptung, sein linkes Schultergelenk sei komplett versteift, auf die Gliedertaxe in Nr. 2.1.2.2.1 der Versicherungsbedingungen (HM-AUB 2000), wonach bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit des Armes im Schultergelenk ausschließlich ein Invaliditätsgrad von 70% zugrunde zu legen ist. Die Beklagte hat vorgerichtlich Invaliditätsleistungen unter Zugrundelegung einer Gesamtinvalidität von lediglich 40% (das entspricht 4/7 Armwert) erbracht.
3
2. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Gutachtens abgewiesen, weil der Sachverständige eine volle Funktionsuntauglichkeit des Armes im linken Schultergelenk nicht bestätigt habe und selbst bei einer unterstellten vollständigen Versteifung des linken Schultergelenks die jedenfalls noch teilweise erhaltene Funktionsfähigkeit des linken Armes zu keinem höheren Invaliditätsgrad als 4/7 Armwert führe. Der Kläger könne noch den Unterarm drehen und seine Hand zum Teil einsetzen.
4
Das 3. Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend erkannt, dass nach der Rechtsprechung des Senats zur Auslegung der Gliedertaxe bereits eine vollständige Funktionsuntauglichkeit des linken Schultergelenks des Klägers ohne Rücksicht auf eine möglicherweise erhaltene teilweise Gebrauchsfähigkeit des Unterarmes oder der Hand eine Gesamtinvalidität von 70% ergäbe (Senatsurteil vom 24. Mai 2005 - IV ZR 203/03 - VersR 2006, 1117 unter II; vgl. auch Senatsurteile vom 17. Januar 2001 - IV ZR 32/00 - VersR 2001, 360 "Fuß im Fußgelenk" und 9. Juli 2003 - IV ZR 74/02 - VersR 2003, 1163 "Hand im Handgelenk" unter II 2). Dennoch hat es die Berufung des Klägers ohne weitere Beweisaufnahme zurückgewiesen, weil es weder dem in erster Instanz bestellten Sachverständigen noch dem von der Beklagten vorgerichtlich eingeschalteten medizinischen Gutachter möglich gewesen sei, zuverlässige Feststellungen zum Grad der Beeinträchtigung des Schultergelenks zu treffen. Ausreichende objektivierbare Befunde hätten sich nicht erheben lassen; ob der Kläger die von ihm behaupteten Schmerzen wirklich empfinde oder aggraviere, sei ungeklärt. Verschiedene Umstände gäben insoweit Anlass zu Zweifeln.
5
Das 4. Vorgehen des Berufungsgerichts verletzt das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör, weil weder seinem Antrag auf eine weitergehende Begutachtung unter den geänderten rechtlichen Prämissen stattgegeben worden ist, noch das Berufungsgericht den Sachverständigen von Amts wegen zur Erläuterung seines Gutachtens angehört hat.
6
a) Der bereits in erster Instanz gerichtlich bestellte Sachverständige hat - insoweit in Übereinstimmung mit dem vorgerichtlich von der Beklagten eingeschalteten Gutachter - aufgrund klinisch erhobener Befunde zunächst Bewegungseinschränkungen der linken Schulter des Klägers ermittelt, die einer vollständigen Einsteifung praktisch gleichkommen. Andererseits hat der Sachverständige zugleich Bedenken gegen die vom Kläger behauptete weitgehende Unbeweglichkeit des Schultergelenks geäußert und seine Zweifel auf das Fehlen auffälliger, etwa entzündlicher Hautveränderungen im Schulterbereich, das Fehlen einer ausreichend signifikanten Muskelminderung im linken Arm und den Entwicklungsstand des Kalksalzgehalts der knöchernen Strukturen des linken Arms im Vergleich zum rechten Arm gestützt.

7
Im Weiteren hat der Sachverständige in Unkenntnis der oben genannten , teilweise erst nach Erstellung des schriftlichen Gutachtens ergangenen Senatsentscheidungen die Auffassung vertreten, bei der Einstufung der Invalidität des Klägers sei auch auf die verbleibenden Restfunktionen des linken Armes abzustellen. Ausgehend davon hat er die genannten Bedenken gegen den klinischen Befund nicht weiterverfolgt, sondern diesen stattdessen als zutreffend unterstellt, weil auch bei vollständiger Versteifung der Schulter mit Blick auf die verbliebene Teilfunktionsfähigkeit des linken Armes insgesamt nur eine mit 4/7 des Armwertes zu bemessende Funktionsbeeinträchtigung vorliege, die dem von der Beklagten schon vorgerichtlich zugestandenen Invaliditätsgrad von 40% entspreche.
8
b) Für das Berufungsgericht kam es demgegenüber aufgrund des zutreffenden Verständnisses der Gliedertaxe gerade darauf an, ob die durch den klinischen Befund des Sachverständigen festgestellte Bewegungseinschränkung der linken Schulter des Klägers vorliegt. Es hätte deshalb, nachdem der Sachverständige dieser Frage bislang eine untergeordnete Bedeutung beigemessen hatte, weiter aufklären müssen, welches Gewicht der Sachverständige seinen Bedenken gegen den klinischen Befund beimaß und ob er sie letztlich für durchgreifend erachtete. Anlass zur Nachfrage bestand auch deshalb, weil dem bisherigen Gutachten nicht mit Sicherheit zu entnehmen war, inwieweit die Bedenken des Sachverständigen auch von der Annahme getragen waren, dass der Kläger jedenfalls im Bereich des linken Unterarmes und der linken Hand Anzeichen (geringe Muskelverschmächtigung, Kalksalzgehalt der knöchernen Strukturen) einer fortdauernden, jedenfalls teilweisen Funktionsfähigkeit aufwies.

9
Insoweit war das bisherige Gutachten, welches die fallentscheidende Frage gerade offen gelassen hatte, ohne weitere Aufklärungsbemühungen des Gerichts nicht mehr verwertbar. Andererseits konnte angesichts des dem Gutachten zugrunde gelegten klinischen Befundes noch nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden, dass dem Kläger der ihm obliegende Beweis eines Invaliditätsgrades von 70% gelingen könne. Das Berufungsgericht hätte - nachdem der Kläger eine neue Begutachtung beantragt hatte - zumindest den bisherigen Sachverständigen anhören müssen, damit er seine Bedenken gegen den eigenen klinischen Befund, auf die es nunmehr entscheidend ankam, erläutern konnte.
Terno Dr. Schlichting Wendt Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 06.07.2005 - 11 O 566/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.06.2006 - I-4 U 163/05 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur
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published on 12/05/2009 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR 275/08 vom 12. Mai 2009 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GG Art. 103 Abs. 1, ZPO § 544 Abs. 7 Wird ein Sachverständiger, ohne dass er vorher ein den Parteien zur kritische
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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.