Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2005 - IV ZB 11/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Wert: 72.808,40 € (Feststellungsabschlag von 20%)
Gründe:
I. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass b ei ihm bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, und die Beklagte auf Zahlung rückständiger Versicherungsleistungen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger durch seine zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte rechtzeitig Berufung eingelegt; der Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels wurde in deren Büro - richtig - auf den 6. Dezember 2004 notiert. Auf Antrag der Prozessbevollmächtigten verlängerte der Vorsitzende des Berufungssenats die Frist zur Berufungsbegründung "auf insgesamt zwei Mo-
nate und vier Wochen"; sie endete nunmehr am 3. Januar 2005. Wegen Erkrankung ihrer Bürovorsteherin beauftragte die Prozessbevollmächtigte mit der Eintragung der neuen Frist eine Auszubildende im zweiten Lehrjahr. Diese löschte die bisherige Frist und trug den Ablauf der verlängerten Frist versehentlich auf den 10. Januar 2005 und die Vorfrist auf den 3. Januar 2005 ein. Vor Antritt ihres bis zum 4. Januar 2005 dauernden Weihnachtsurlaubs besprach die Prozessbevollmächtigte die anstehenden Fristen mit der Bürovorsteherin und ließ die auf den 3. Januar 2005 vermerkte Vorfrist im Kalender streichen, weil die Berufungsbegründung zum damaligen Zeitpunkt im Wesentlichen vorbereitet war. Nach Urlaubsrückkehr reichte die Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung mit Datum vom 7. Januar 2005 bei Gericht ein. Aufgrund eines Hinweises des Vorsitzenden vom 28. Januar 2005, es sei beabsichtigt, das Rechtsmittel wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, beantragte die Prozessbevollmächtigte mit einem am 8. Februar 2005 eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bei ihrer Auszubildenden handele es sich um eine zuverlässige Mitarbeiterin, die - stichprobenartig überprüft - regelmäßig mit der Berechnung und Eintragung von Fristen betraut sei, ohne dass ihr bis dahin ein Fehler unterlaufen sei.
Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel als unzu lässig verworfen und dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung versagt. Das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten liege jedenfalls darin, dass diese die auf den 3. Januar 2005 eingetragene Vorfrist im Hinblick auf ihre Urlaubsabwesenheit habe streichen lassen. Der Sinn einer Vorfrist bestehe darin, die Einhaltung
der Hauptfrist zu sichern; bei Vorlage der Akten sei der Rechtsanwalt zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung aufgefordert. Erst recht gelte dies, wenn zuvor eine Auszubildende mit der Notierung der Frist beauftragt worden sei. Hätte die Prozessbevollmächtigte vor Urlaubsantritt die Frist zum Zwecke der Eintragung einer geänderten Vorfrist geprüft, wäre ihr die unrichtige Berechnung der Frist zur Berufungsbegründung aufgefallen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbesch werde. Das Berufungsgericht habe die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei der Notierung und Streichung von Fristen verkannt. Der gebotene Kontrollaufwand sei gegenüber einer Bürovorsteherin und einer Auszubildenden gleich hoch, weil es sich in der Praxis eines Anwaltsbüros gar nicht vermeiden lasse, dass auch ein Auszubildender Fristen notiere. Habe sich dieser in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen, dürfe sich der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit der Fristeneintragung verlassen. Die Beibehaltung der Vorfrist sei entbehrlich gewesen, weil der fristgebundene Schriftsatz im Wesentlichen fertig gestellt gewesen sei. Die Vorfrist sei nicht Selbstzweck, sondern diene allein dazu, den Rechtsanwalt auf die anstehende - hier bereits vorbereitete - Prozesshandlung hinzuweisen.
II. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (Nr. 1), noch erfordert die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (Nr. 2).
Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung war dem Kläger schon deshalb zu versagen, weil er die dafür vorgesehene Wiedereinsetzungsfrist nicht gewahrt hat. Die damit verbundenen Rechtsfragen sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt; auf weiteres kommt es nicht an.
1. Die Wiedereinsetzung muss innerhalb eines Monat s beantragt werden, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts der Fall. Vielmehr ist das Hindernis behoben, sobald das Fortbestehen der Ursache der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1988 - III ZB 40/87 - BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Fristbeginn 1; vom 31. Januar 1990 - VIII ZB 44/89 - VersR 1990, 543 unter 1 a; vom 18. Oktober 2000 - XII ZB 163/00 - FamRZ 2001, 416 unter II 1 a; vom 16. September 2003 - X ZR 37/03 - BGH-Report 2004, 57 unter II 2 a). Die Frist zur Wiedereinsetzung läuft daher ab dem Zeitpunkt , zu dem der beauftragte Rechtsanwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1988 aaO; vom 31. Januar 1990 aaO). Das war bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers spätestens am 7. Januar 2005 der Fall. Die Frist zur Wiedereinsetzung endete somit am 7. Februar 2005; der die Wieder-
einsetzung beantragende Schriftsatz ist erst am 8. Februar 2005 - verspätet - bei Gericht eingegangen.
2. Ein Rechtsanwalt muss bei fristwahrenden Prozes shandlungen selbständig und in eigener Verantwortung prüfen, ob die betreffende Frist richtig ermittelt und eingetragen ist. Anlass dazu besteht jedenfalls dann, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der Rechtsmittelbegründung vorgelegt wird. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Urlaubsrückkehr geschehen , als sie ausweislich des Schriftsatzdatums der Berufungsbegründung die bereits zuvor im Wesentlichen entworfene Rechtsmittelbegründung am 7. Januar 2005 erneut bearbeitete. Sie hätte spätestens bei dieser Gelegenheit die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die beabsichtigte Prozesshandlung klären müssen; diese Aufgabe konnte sie - da über alltägliche, routinemäßige Büroarbeiten hinausgehend - nicht ihrem Personal übertragen (BGH, Beschlüsse vom 12. November 1986 - IVb ZB 93/86 - VersR 1987, 463; vom 14. Juli 1988 aaO; vom 31. Januar 1990 aaO unter 1 b; vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - VersR 1992, 1153; vom 16. September 2003 aaO unter II 2 b). Sie durfte sich daher nicht darauf verlassen, dass ihr Personal das Fristende richtig ermittelt und festgehalten hatte.
Hinzu treten die Umstände des Einzelfalles: Die Pr ozessbevollmächtigte hatte die Eintragung einer nicht auf einen bestimmten Tag, sondern auf "insgesamt zwei Monate und vier Wochen" verlängerten Frist einer Auszubildenden übertragen; eine spätere Kontrolle durch die Bürovorsteherin oder die Prozessbevollmächtigte selbst hat nicht stattgefunden. Die von der Auszubildenden - gleichfalls unrichtig - eingetragene
Vorfrist hatte die Prozessbevollmächtigte streichen lassen, ohne eine neue Vorfrist einzutragen oder sich zumindest zu vergewissern, dass die notierte Hauptfrist richtig berechnet war. Bei Vorlage der Akte bestand deshalb für die Prozessbevollmächtigte in besonderem Maße Veranlassung , die Berechnung und Eintragung der Hauptfrist - erstmals - auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Bei pflichtgemäßer Fristenkontrolle wäre ihr sodann aufgefallen, dass die Frist zur Berufungsbegründung bereits verstrichen war. Da sie die Fristenkontrolle - wie schon zuvor - unterlassen hat, war die Ursache für die Verhinderung spätestens seit dem 7. Januar 2005 nicht mehr unverschuldet.
3. Gründe, dem Kläger wegen Versäumung der Frist d es § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO), sind nicht gegeben.
Terno Seiffert Wendt Dr. Kessal-Wulf Felsch
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.