vorgehend
Landgericht Trier, 6 O 23/04, 11.10.2004
Oberlandesgericht Koblenz, 12 U 1375/04, 12.05.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 76/05
vom
27. Oktober 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Glaubhaftmachung der unverschuldeten Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
durch eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten
, der die Aufgabe der Notierung, Überwachung und Erledigung
von Fristen nicht an Büroangestellte übertragen hat, sondern selbst vornimmt.
BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2005 - III ZB 76/05 - OLG Koblenz
LG Trier
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2005 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und
Dr. Herrmann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. Mai 2005 - 12 U 1375/04 - wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 14.500 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist der Kläge rin am 13. Oktober 2004 zugestellt worden. Hiergegen hat sie am 15. November 2004, einem Montag, fristgerecht Berufung eingelegt. Am 17. Dezember 2004 wies sie der Vorsitzende des Berufungssenats darauf hin, dass eine Berufungsbegründung noch nicht zu den Akten gelangt sei. Am 23. Dezember 2004 ging die auf den 9. Dezember 2004 datierte Berufungsbegründung ein. Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2004, eingegangen am 28. Dezember 2004, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorsorglich Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte die versäumte Prozesshandlung durch einen auf den 9. November 2004 datierten Schriftsatz nach. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führte er aus, er habe den Berufungsbegründungsschriftsatz am 9. Dezember 2004 in den Abendstunden in H. in einen bestimmten, für Autofahrer vorgesehenen Briefkasten eingeworfen. Der verspätete Eingang könne nur auf Beförderungsschwierigkeiten der Post in H. zurückgeführt werden, worüber auch in der örtlichen Presse berichtet worden sei.
2
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin al s unzulässig verworfen und ihren Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.


3
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
4
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründung nicht innerhalb der am 13. Dezember 2004 abgelaufenen Frist eingegangen ist. Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO), wobei der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis zulässig ist (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Klägerin hat zwar geltend gemacht, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung so rechtzeitig zur Beförderung gegeben, dass sie bei normalem Verlauf der Dinge fristgerecht bei Gericht hätte eingehen müssen. Angesichts des Umstands, dass der Eingangsstempel auf eine mindestens zehntägige Verspätung der Beförderung hinwies und keine Anhaltspunkte dafür sprechen, der Schriftsatz habe sich schon tagelang ohne Eingangsstempel im Bereich des Gerichts befunden, bestand zu der von der Beschwerde vermissten Vernehmung des Prozessbevollmächtigten als Zeugen kein hinreichender Anlass. Anders als in den Fällen, die den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni 1992 (IX ZB 10/92 - NJW-RR 1992, 1338, 1339), vom 27. November 1996 (XII ZB 177/96 - NJW 1997, 1312), vom 27. Februar 2002 (I ZB 23/01 - NJW-RR 2002, 1070), vom 21. Juni 2004 (II ZB 18/03 - NJW-RR 2005, 75, 76) und dem Urteil vom 14. Oktober 2004 (VII ZR 33/04 - NJW-RR 2005, 75) zugrunde lagen und in denen jeweils der im Widerspruch zum Eingangsstempel stehende fristgerechte Einwurf in den Gerichtsbriefkasten behauptet war, wäre hier eine Vernehmung des Prozessbevollmächtigten nicht geeignet gewesen, die Richtigkeit des Eingangsstempels zu widerlegen.
5
2. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der Klägerin die Erteilung von Wiedereinsetzung versagt hat.
6
Das Berufungsgericht stellt nicht den Grundsatz in Frage, dass einer Partei Wiedereinsetzung zu erteilen ist, wenn eine Fristversäumung nicht auf ihrem Verschulden oder demjenigen ihres Prozessbevollmächtigten beruht, sondern auf Unregelmäßigkeiten bei der Postbeförderung, die außerhalb ihrer Einflussnahme stehen. Das Letztere ist für das Berufungsgericht jedoch offen geblieben. Zwar steht dem die Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen, deren Richtigkeit er an Eides Statt versichert hat. Das Berufungsgericht hält sich aber im Rahmen fehlerfreier Würdigung, wenn es ein Verschulden des Anwalts für nicht ausgeräumt hält.
7
Die Zeitungsberichte über Zustellprobleme in H. betreffen den krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfall von Zustellbeamten vor Ort, die nicht darauf hinweisen, dass auch eingelieferte Postsendungen unbearbeitet liegen geblieben sind. Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, dass bereits ein weihnachtsbedingter Beförderungsstau bei dem behaupteten Einwurf der Sendung am 9. Dezember 2004 - anders als ein Zeitungsbericht vom 22. Dezember 2004 ausweist - vorgelegen habe, liege nicht nahe. Auch die vorgelegte Bestätigung der Post lässt Unregelmäßigkeiten in dieser Richtung nicht erkennen.
8
Was die Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeht, hat das Berufungsgericht eine Gesamtbewertung vorgenommen, die Besonderheiten seiner Praxisführung, Widersprüche im Vortrag und die ungewöhnliche Dauer der Verspätung berücksichtigt. Hervorzuheben ist vor allem der Umstand , dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Notierung von Fristen und deren Überwachung und Erledigung selbst vornimmt und nicht an Büroangestellte übertragen hat. Dabei wird weder ein Postausgangsbuch noch ein Fristenkalender im eigentlichen Sinn geführt. In dem vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin geführten Kalender werden Fristen nur "zumeist" eingetragen. Unter dem 9. Dezember 2004 findet sich zwar ein Hinweis auf die Beru- fungsbegründung in dieser Sache, hervorgehoben ist diese Eintragung jedoch nicht. Vor allem nutzt der Prozessbevollmächtigte in seinem Kalender vorgesehene gesonderte Eintragungsräume für Fristen und Wiedervorlagen nicht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht ein mögliches Versehen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch dessen eidesstattliche Versicherung nicht als ausgeräumt und sein Erinnern als nicht hinreichend verlässlich angesehen hat. Die Berufsausübungsfreiheit des Einzelanwalts gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verlangt nicht, wie die Beschwerde meint, dass das Gericht - ohne Rücksicht auf weitere Umstände - seiner eidesstattlich versicherten Darstellung der Abläufe folgen müsste, wenn andere büroorganisatorische Maßnahmen oder sonstige objektiven Umstände sie nicht zu belegen vermögen. Der Senat hätte zwar Bedenken, eine Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung in der Regel für nicht ausreichend zu halten, wenn hinsichtlich der Fristen keine objektiven Kontrolleinrichtungen vorhanden und auch Dritte nicht in die Aufgabe der Fristenwahrung eingebunden sind, wie das Berufungsgericht am Ende seiner Entscheidung ausführt. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung im Ganzen zeigt jedoch, dass sie nicht auf einem solchen Rechtssatz beruht, sondern auf der umfassenden tatrichterlichen Würdigung , die als solche nicht zu beanstanden ist.
Schlick Wurm Streck
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
LG Trier, Entscheidung vom 11.10.2004 - 6 O 23/04 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 12.05.2005 - 12 U 1375/04 -

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 418 Beweiskraft öffentlicher Urkunden mit anderem Inhalt


(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. (2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Lande

Zivilprozessordnung - ZPO | § 236 Wiedereinsetzungsantrag


(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragste

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(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.

(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.

(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 23/01
vom
27. Februar 2002
in der Beschwerdesache
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. Februar 2002
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter
Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Schaffert

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen - 1. Zivilsenat - vom 28. August 2001 aufgehoben.
Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Berufungsfrist gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 26. April 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.564,59 ? (= 50.000 DM) festgesetzt.

Gründe:


I. Die Klägerin nimmt, nachdem sie die Klage gegen die Beklagte zu 1 im ersten Rechtszug zurückgenommen hat, die Beklagte zu 2 auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch, weil sie meint, ihr Urheberrecht an einem Werbeprospekt, den sie für die Beklagte zu 2 im Jahr 1997 angefertigt hat, werde durch einen von dieser im Jahr 2000 herausgegebenen Werbeprospekt
verletzt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 2. Mai 2001 zugestellt worden. Die Klägerin hat gegen das Urteil mit vom 5. Juni 2001 - dem Dienstag nach Pfingsten - datierendem Schriftsatz Berufung eingelegt. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat die Klägerin mit Schreiben vom 21. Juni 2001 darauf hingewiesen, daß das Rechtsmittel erst am 8. Juni 2001 und damit verspätet beim Oberlandesgericht eingegangen sei. Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 4. Juli 2001, der beim Berufungsgericht am 5. Juli 2001 eingetroffen ist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zugleich hat sie erneut Berufung eingelegt und diese sachlich begründet.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin vorgebracht , die Berufungsschrift sei tatsächlich am 5. Juni 2001 kurz nach 16.00 Uhr von der seit Januar 2001 bei Rechtsanwalt S. , der bei der Vorbereitung der Berufungsbegründung zugearbeitet habe, beschäftigten Praktikantin M. W. in den Briefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen worden. Die Praktikantin W. habe sich im Anschluß daran in die Kanzlei des Rechtsanwalts S. begeben, dessen Frage, ob sie den Schriftsatz auftragsgemäß eingeworfen habe, bejaht und in der Handakte einen entsprechenden Vermerk angebracht. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt N. , habe auf seine am 5. Juni 2001 zwischen 16.00 Uhr und 17.00 Uhr erfolgte telefonische Nachfrage dementsprechend von Rechtsanwalt S. bestätigt bekommen , daß der Schriftsatz in den Briefkasten des Berufungsgerichts gelangt sei. Bei diesem Geschehensablauf sei es unerklärlich, wie die fristgerecht eingereichte Berufungsschrift den Eingangsstempel des Berufungsgerichts vom
8. Juni 2001 erhalten habe. Zumindest aber fehle es an einem Verschulden der Prozeûbevollmächtigten der Klägerin an der Fristversäumung.
Zum Nachweis für die Richtigkeit ihres Vorbringens hat die Klägerin u.a. eidesstattliche Versicherungen ihres Prozeûbevollmächtigten Rechtsanwalt N. , der in dessen Kanzlei als Mitarbeiterin tätigen Frau I. K. , des Rechtsanwalts S. und der PraktikantinW. sowie eine Kopie des von dieser unter dem 5. Juni 2001 gefertigten Aktenvermerks vorgelegt. Des weiteren hat sie die Mitarbeiterin K. , den Rechtsanwalt S. und die Praktikantin W. auch als Zeugen für die Richtigkeit ihres Sachvortrags benannt.
Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und deren Berufung als unzulässig verworfen.
II. Die dagegen gerichtete, gemäû § 519 b Abs. 2 2. Halbs., §§ 547, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte, formgerecht und innerhalb der Frist des § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet erachtet, weil die Klägerin nicht glaubhaft gemacht habe, daû ihren Prozeûbevollmächtigten Rechtsanwalt N. , dessen Verhalten sie sich zurechnen lassen müsse, kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist treffe. Die Darstellung in der eidesstattlichen Versicherung der Praktikantin W. , wonach diese die Berufungsschrift bereits am 5. Juni 2001 in den Briefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen habe, stelle sich nach den Umstän-
den und insbesondere unter Berücksichtigung der dienstlichen Stellungnahmen des in der Eingangsstelle des Gerichts tätig gewesenen Verwaltungsamtmanns B. nicht als überwiegend wahrscheinlich dar. An der damit anzunehmenden Fristversäumung treffe den Rechtsanwalt N. ein Verschulden, weil er den Botengang zum Oberlandesgericht unter den gegebenen Umständen der Praktikantin W. nicht hätte anvertrauen dürfen.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Der angefochtene Beschluû kann schon deshalb keinen Bestand haben , weil das Berufungsgericht keine hinreichenden Feststellungen zu den - von Amts wegen zu prüfenden - Voraussetzungen der Zulässigkeit der Berufung getroffen hat. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin, sie habe die Berufungsschrift am 5. Juni 2001 und damit noch rechtzeitig in den Briefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen, allein anhand des Eingangsstempels , der eingeholten dienstlichen Stellungnahmen und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen geprüft. Das war bei der gegebenen Sachlage verfahrensrechtlich nicht ausreichend. Zwar gilt für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels, auch soweit es um die Rechtzeitigkeit der Einlegung und in diesem Rahmen um die Entkräftung des aus einem Stempel ersichtlichen Eingangsdatums geht, der sogenannte Freibeweis. Dadurch werden die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung aber nicht herabgesetzt; zur Beweisführung hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist voller Beweis zu erbringen. Reichen dazu die auch im Rahmen des Freibeweises zu erbringenden eidesstattlichen Versicherungen nicht aus, so muû auf die Vernehmung der Beweispersonen als Zeugen zurückgegriffen werden (vgl. zu Vorstehendem BGH, Beschl. v. 4.6.1992 - IX ZB 10/92, NJW-
RR 1992, 1338, 1339; Beschl. v. 7.12.1999 - VI ZB 30/99, NJW 2000, 814; Urt. v. 24.4.2001 - VI ZR 258/00, NJW 2001, 2722, 2723, jeweils m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte das Berufungsgericht, da es die von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen für nicht ausreichend erachtet hat, zur Feststellung der Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung grundsätzlich den von der Klägerin insoweit angetretenen Zeugenbeweis erheben müssen.

b) Dem braucht in vorliegendem Fall jedoch ausnahmsweise nicht nachgegangen zu werden. Denn der Klägerin ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie glaubhaft gemacht hat, daû sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§§ 233, 236 Abs. 2 ZPO).
Der Umstand, daû die Klägerin an sich behauptet, die Frist zur Einlegung der Berufung gewahrt zu haben, steht der beantragten Wiedereinsetzung nicht grundsätzlich entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es zulässig, die Einhaltung der Frist zu behaupten und den Wiedereinsetzungsantrag für den Fall zu stellen, daû das Gericht den Beweis für die Fristwahrung nicht als geführt ansieht (BGH, Beschl. v. 27.11.1996 - XII ZB 177/96, NJW 1997, 1312); dementsprechend ist der Wiedereinsetzungsantrag auch als Hilfsantrag statthaft (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1338 f.; NJW 2000, 814 f.; NJW 2001, 2722 f.). Das muû aus Gründen der Verfahrensvereinfachung auch in den Fällen gelten, in denen es einerseits zur Feststellung der Rechtzeitigkeit der Berufung noch weiterer Beweiserhebungen bedarf, andererseits aber schon jetzt davon auszugehen ist, daû selbst dann, wenn
sich die Fristwahrung nicht mit der erforderlichen Überzeugung feststellen läût, jedenfalls Wiedereinsetzung zu gewähren wäre. So liegt es hier.
Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, wäre eine - unterstellte - Fristversäumung angesichts des glaubhaft gemachten Sachverhalts nicht auf ein Verschulden des Prozeûbevollmächtigten zurückzuführen, für das die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO einzustehen hätte. Das Berufungsgericht hat vorliegend die Anforderungen an die Anwaltspflichten überspannt.
Das Berufungsgericht ist im Ausgangspunkt allerdings zutreffend davon ausgegangen, daû sich ein Anwalt bei der Wahrung prozessualer Fristen für bloûe Hilfstätigkeiten, wie vor allem Botengänge, auch solcher Hilfskräfte bedienen kann, die nicht die Qualifikation besitzen, die für die selbständige Fristenberechnung und Fristenkontrolle verlangt wird (BGH, Beschl. v. 13.1.1988 - IVa ZB 13/87, NJW 1988, 2045; Beschl. v. 3.7.1992 - V ZB 11/92, BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 5). Wegen der geringen Anforderungen, die an einen Botengang gestellt werden, kann dieser nach der Rechtsprechung auch schon Auszubildenden im ersten Lehrjahr übertragen werden (BGH, Urt. v. 17.12.1997 - IV ZR 93/97, BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 12). Vorliegend hat die Klägerin glaubhaft gemacht, daû die mit dem Botengang betraute Praktikantin W. bereits vier Monate in einem Anwaltsbüro angestellt war; sie war von einem der in diesem Büro tätigen Rechtsanwälte damit betraut worden, die Handakte des streitgegenständlichen Verfahrens abzuholen, da dieser Anwalt aufgrund einer mit dem Prozeûbevollmächtigten der Klägerin getroffenen Vereinbarung eine gutachtliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Berufungsbegründung in dieser Sache fertigen wollte. Die Klägerin hat weiter glaubhaft gemacht , daû sich ihr Prozeûbevollmächtigter zuvor bei seinem Kollegen telefo-
nisch vergewissert hat, ob der Praktikantin die Berufungsschrift zum Einwurf in den Nachtbriefkasten anvertraut werden könne. Erst nachdem dies bestätigt und der Praktikantin der Weg zu dem nur wenige Minuten entfernten Oberlandesgericht , das sich ebenso wie die Kanzlei des Prozeûbevollmächtigten der Klägerin und des eingeschalteten Kollegen in der S. straûe in B. befindet, erläutert worden ist, sind ihr die Handakten mit der Berufungsschrift ausgehändigt worden. Angesichts dieses glaubhaft gemachten Sachverhalts hatte der Prozeûbevollmächtigte der Klägerin keine Veranlassung, an der Zuverlässigkeit der Praktikantin zur Erledigung des in Rede stehenden Botengangs zu zweifeln, zumal die Praktikantin ohnehin mit der Abholung der Handakten in dieser Sache betraut war. Ob die Praktikantin auch in der gebotenen Weise über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden war, kann vorliegend ausnahmsweise dahinstehen. Denn die Klägerin hat glaubhaft gemacht, daû sich ihr Prozeûbevollmächtigter noch am selben Tage telefonisch bei seinem Kollegen Gewiûheit über den Einwurf der Berufungsschrift in den Nachtbriefkasten verschafft hat; die Praktikantin hat den rechtzeitigen Einwurf gegenüber ihrem Vorgesetzten bestätigt und in dessen Gegenwart einen entsprechenden Vermerk auf dem in der Handakte befindlichen Exemplar der Berufungsschrift vom 5. Juni 2001 angebracht. Mehr kann an Kontrolle für eine Routinetätigkeit wie einen Botengang nicht verlangt und zugemutet werden (BGHR ZPO § 233 - Büropersonal 12).
III. Der angefochtene Beschluû war nach alledem aufzuheben und der Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher Schaffert

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 18/03
vom
21. Juni 2004
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. Juni 2004 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette,
Kraemer, Dr. Strohn und Caliebe

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 20. Mai 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:


I. Die Kläger sind die Erben des während des Berufungsverfahrens verstorbenen früheren Klägers D. H.. Sie begehren die Feststellung, daß der Beschluß des beklagten Sportvereins vom 21. Januar 2002 über den Ausschluß des Erblassers unwirksam war und dessen Mitgliedschaft beim Beklagten bis zu seinem Tode fortbestand.
Das Amtsgericht hat die gegen seinen Ausschluß und das ihm erteilte Hausverbot gerichtete Klage des Erblassers mit Urteil vom 22. November 2002 abgewiesen. Gegen diese ihm am 27. November 2002 zugestellte Entscheidung legte der frühere Kläger fristgerecht Berufung ein. Am Abend des 27. Januar 2003 warf sein Prozeßbevollmächtigter die an das zuständige Landgericht adressierte Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und Landgerichts Landau ein. Der Schriftsatz befand sich mit für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle bestimmter Post in einem Sammelumschlag, der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressiert war. Der Umschlag wurde am 28. Januar 2003 aus dem Nachtbriefkasten entnommen und ungeöffnet an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle übermittelt. Nachdem dort die für das Landgericht bestimmte Berufungsbegründung entdeckt worden war, wurde diese noch am gleichen Tag weitergeleitet.
Nachdem den Klägern der Eingang vom 28. Januar 2003 mitgeteilt worden war, haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, die Berufungsbegründung sei fristgerecht am 27. Januar 2003 in den Nachtbriefkasten der gemeinsamen Annahmestelle gelangt , jedenfalls treffe sie aber an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
II. 1. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig, weil die Siche-
rung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die den Klägern den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 69, 381, 385; 77, 275, 284; 88, 118, 123 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; aaO 1005; aaO 1007). Mit dem - fristgerechten - Einwurf der in dem Sammelbriefumschlag befindlichen Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und Landgerichts wurde zumindest Mitgewahrsam des Berufungsgerichts an dem Briefumschlag nebst Inhalt begründet. Ein zur Entgegennahme von Schriftstücken für alle beteiligten Gerichte bestellter Beamter hätte somit beim Öffnen des Umschlags den Schriftsatz sogleich für das Berufungsgericht entgegengenommen, auch wenn der Sammelumschlag vor seiner Öffnung nicht erkennen ließ, daß er die an das Berufungsgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift enthielt. Mit der Entgegennahme der Berufungsbegründung durch den Beamten der gemeinsamen Annahmestelle wäre aus dem Mitgewahrsam Alleingewahrsam des Berufungsgerichts geworden, mit der Folge , daß die Berufungsbegründungsfrist gewahrt gewesen wäre (BGH, Beschl. v. 21. Oktober 1960 - V ZB 11/60, NJW 1961, 361; BAG AnwBl. 2001, 72; s. auch Jauernig, ZZP 74, 199).
An der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründungsschrift durch die Einlegung in den Nachtbriefkasten ändert sich nicht etwa deshalb
etwas, weil hier innerhalb der Gerichtsverwaltung die Anweisung bestand, Eingänge der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle ungeöffnet dem Nachtbriefkasten zu entnehmen und der zuständigen Sachbearbeiterin zu übergeben.
Der Gesetzgeber hat in der Zivilprozeßordnung und in den dort in Bezug genommenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verbindlich festgelegt , wie und innerhalb welcher Zeit in einem Zivilprozeß Rechtsmittel eingelegt werden können. Daran sind die Gerichte gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Frage der Fristwahrung hängt allein von den im Gesetz genannten objektiven Voraussetzungen ab. Sie kann nicht von der jeweiligen, auf internen Anordnungen der Gerichtsverwaltung beruhenden Organisation der Behandlung der in den gemeinsamen Nachtbriefkasten gelangten Sendungen abhängig gemacht werden. Die Entscheidung, ob eine Rechtsmittelfrist gewahrt ist oder nicht, ergäbe sich dann nämlich nicht mehr aus dem Gesetz allein, sondern hinge zusätzlich von - der Partei regelmäßig unbekannten und bei einzelnen Gerichten teilweise unterschiedlichen - internen Anordnungen über die Behandlung der eingegangenen Postsendungen ab. Die an dem gemeinsamen Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte könnten, würde man den internen Anweisungen Beachtung schenken, den bereits mit dem Einwurf in den gemeinsamen Nachtbriefkasten begründeten (Mit-) Gewahrsam des zuständigen Gerichts dadurch vereiteln oder rückwirkend wieder beseitigen, daß sie die gemeinsame Annahmestelle "hinter" dem Nachtbriefkasten dergestalt organisieren , daß verschlossene Umschläge nicht zu öffnen sind (BAG aaO).
Eine Berechtigung oder gar eine Verpflichtung zu der hier gegebenen gerichtsinternen Anordnung über die Behandlung der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressierten Postsendungen folgt entgegen der Ansicht
des Berufungsgerichts auch nicht daraus, daß in § 35 Nr. 1 GVO geregelt ist, daß die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle den Zeitpunkt der Übergabe eines Auftrags auf dem Schriftstück zu vermerken hat. Damit wird lediglich eine Pflicht der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle begründet. Wird Post für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle in den Nachtbriefkasten eingeworfen, der, da die Verteilungsstelle bei dem Amtsgericht eingerichtet ist, auch für den Einwurf dieser Post bestimmt ist, läßt sich der Regelung in § 35 Nr. 1 GVO nicht entnehmen , daß allein die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle und nicht - auch - der Beamte, der zur Entgegennahme der Schriftstücke für alle an dem Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte zuständig ist, seinerseits diese Post entgegennehmen und ihren Eingang bestätigen darf. Insofern unterscheidet sich der Fall von den den Entscheidungen BGH NJW 1994 aaO und BGH, Urt. v. 5. April 1990 - VII ZR 215/89, NJW 1990, 2822 zugrundeliegenden Fällen, da dort jeweils die Befugnis des Beamten, den Briefumschlag zu öffnen, aufgrund der nicht das Gericht betreffenden Adressierung des Umschlags ersichtlich nicht gegeben war.
Röhricht Goette Kraemer
Strohn Caliebe

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 33/04 Verkündet am:
14. Oktober 2004
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur Notwendigkeit der Beweiserhebung über eine Behauptung, ein fristwahrender
Schriftsatz sei entgegen dem auf ihm angebrachten Eingangsstempel in den Nachtbriefkasten
des Gerichts rechtzeitig eingeworfen worden.
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04 - OLG Düsseldorf
LG Duisburg
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Dr. Haß, Dr. Wiebel, Prof. Dr. Kniffka und Bauner

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Januar 2000 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt eine Vergütung für Architekten- und Ingenieurleistungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 6. Mai 1999 zugestellt worden. Sein Berufungsschriftsatz trägt das Datum des 7. Juni 1999; er hat den Eingangsstempel der Briefannahmestelle des Oberlandesgerichts vom 8. Juni 1999 erhalten.
Der Kläger hat vorgetragen, sein Prozeßbevollmächtigter, Rechtsanwalt Dr. K., habe den Berufungsschriftsatz am 7. Juni 1999 (Montag) um 21.40 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Das Berufungsgericht hat dienstliche Äußerungen der für die Leerung zuständigen Beamten S. und L. herbeigeführt. Die Berufung des Klägers hat es als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Verfahrensrecht richtet sich nach den Regelungen der Zivilprozeßordnung in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufung nicht rechtzeitig eingelegt worden. Der Eingangsstempel vom 8. Juni 1999 beweise den Eingang der Berufungsschrift an diesem Tage. Der Vortrag des Klägers beschränke sich darauf, die Richtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels zu bestreiten und für die Einlegung der Berufung schon am 7. Juni 1999 Beweis durch Vernehmung seines Prozeßbevollmächtigten anzutreten. Es fehle hingegen ein Vortrag dazu, warum oder wie es zu der behaupteten Fehlstempelung der Berufungsschrift habe kommen können. Daher sei der Beweisantritt nicht in der erforderlichen Weise substantiiert, so daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht als Zeuge zu vernehmen sei.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Berufung verspätet eingelegt worden ist. 1. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, daß der Eingangsstempel des Gerichts nach § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis dafür erbringt, daß die Berufung des Klägers am 8. Juni 1999 eingegangen ist. Nach § 418 Abs. 2 ZPO ist indessen der Gegenbeweis zulässig. Die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufung muß zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden (BGH, Beschluß vom 14. Juli 1987 - III ZB 20/87, BGHR ZPO § 418 Abs. 2 - Eingangsstempel 1). 2. Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, daß ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden. Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872, 1873). Dem entspricht es, daß das Berufungsgericht dienstliche Äußerungen der für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständigen Beamten S. und L. eingeholt hat. 3. Das Berufungsgericht hätte indessen den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers gegen die Richtigkeit des Datumsstempels nicht als unsub-
stantiiert erachten dürfen. Es hat an die Darlegungslast des Klägers überzogene Anforderungen gestellt. Dieser ist nur dann nicht genügt, wenn es das Gericht auch bei Zugrundelegung des Vorbringens nicht als schlüssig erachten kann, daß die gesetzlichen Voraussetzungen der an die Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind. Die Wahrscheinlichkeit der Darstellung ist eine Frage der Beweiswürdigung, nicht der hinreichenden Substantiierung. 4. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigen die Überlegungen des Berufungsgerichts nicht die im Berufungsurteil gezogene Schlußfolgerung , der Kläger habe den rechtzeitigen Eingang seiner Berufung am 7. Juni 1999 nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Kläger hat vorgetragen , sein Prozeßbevollmächtigter Dr. K. habe den Berufungsschriftsatz persönlich am 7. Juni 1999 um 21.40 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Die fristgerechte Einreichung der Rechtsmittelschrift unter Angabe der Uhrzeit des Einwurfs in den Nachtbriefkasten habe Dr. K. am folgenden Morgen des 8. Juni 1999 in der Handakte vermerkt, die er auszugsweise in Fotokopie vorlege. Das Datum des gerichtlichen Eingangsstempels könne er sich nur dadurch erklären, daß die von ihm eingereichte Berufungsschrift im Nachtbriefkasten steckengeblieben oder bei der Entleerung versehentlich nicht aus dem Nachtbriefkasten entnommen worden sei. Eine weitergehende Konkretisierung seines Vorbringens war von dem Kläger nicht zu verlangen. Die Substantiierungslast findet ihre Grenze in dem subjektiven Wissen der Parteien
und der Zumutbarkeit weiterer Ausführungen. Auf der Grundlage dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht den angebotenen Beweis erheben müssen (§ 286 ZPO). Das wird es nachzuholen haben.
Dressler Haß Wiebel Kniffka Bauner

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.