Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2004 - VII ZR 33/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt eine Vergütung für Architekten- und Ingenieurleistungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 6. Mai 1999 zugestellt worden. Sein Berufungsschriftsatz trägt das Datum des 7. Juni 1999; er hat den Eingangsstempel der Briefannahmestelle des Oberlandesgerichts vom 8. Juni 1999 erhalten.Der Kläger hat vorgetragen, sein Prozeßbevollmächtigter, Rechtsanwalt Dr. K., habe den Berufungsschriftsatz am 7. Juni 1999 (Montag) um 21.40 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Das Berufungsgericht hat dienstliche Äußerungen der für die Leerung zuständigen Beamten S. und L. herbeigeführt. Die Berufung des Klägers hat es als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Verfahrensrecht richtet sich nach den Regelungen der Zivilprozeßordnung in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung.I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufung nicht rechtzeitig eingelegt worden. Der Eingangsstempel vom 8. Juni 1999 beweise den Eingang der Berufungsschrift an diesem Tage. Der Vortrag des Klägers beschränke sich darauf, die Richtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels zu bestreiten und für die Einlegung der Berufung schon am 7. Juni 1999 Beweis durch Vernehmung seines Prozeßbevollmächtigten anzutreten. Es fehle hingegen ein Vortrag dazu, warum oder wie es zu der behaupteten Fehlstempelung der Berufungsschrift habe kommen können. Daher sei der Beweisantritt nicht in der erforderlichen Weise substantiiert, so daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht als Zeuge zu vernehmen sei.II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Berufung verspätet eingelegt worden ist. 1. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, daß der Eingangsstempel des Gerichts nach § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis dafür erbringt, daß die Berufung des Klägers am 8. Juni 1999 eingegangen ist. Nach § 418 Abs. 2 ZPO ist indessen der Gegenbeweis zulässig. Die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufung muß zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden (BGH, Beschluß vom 14. Juli 1987 - III ZB 20/87, BGHR ZPO § 418 Abs. 2 - Eingangsstempel 1). 2. Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, daß ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden. Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872, 1873). Dem entspricht es, daß das Berufungsgericht dienstliche Äußerungen der für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständigen Beamten S. und L. eingeholt hat. 3. Das Berufungsgericht hätte indessen den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers gegen die Richtigkeit des Datumsstempels nicht als unsub-stantiiert erachten dürfen. Es hat an die Darlegungslast des Klägers überzogene Anforderungen gestellt. Dieser ist nur dann nicht genügt, wenn es das Gericht auch bei Zugrundelegung des Vorbringens nicht als schlüssig erachten kann, daß die gesetzlichen Voraussetzungen der an die Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind. Die Wahrscheinlichkeit der Darstellung ist eine Frage der Beweiswürdigung, nicht der hinreichenden Substantiierung. 4. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigen die Überlegungen des Berufungsgerichts nicht die im Berufungsurteil gezogene Schlußfolgerung , der Kläger habe den rechtzeitigen Eingang seiner Berufung am 7. Juni 1999 nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Kläger hat vorgetragen , sein Prozeßbevollmächtigter Dr. K. habe den Berufungsschriftsatz persönlich am 7. Juni 1999 um 21.40 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Die fristgerechte Einreichung der Rechtsmittelschrift unter Angabe der Uhrzeit des Einwurfs in den Nachtbriefkasten habe Dr. K. am folgenden Morgen des 8. Juni 1999 in der Handakte vermerkt, die er auszugsweise in Fotokopie vorlege. Das Datum des gerichtlichen Eingangsstempels könne er sich nur dadurch erklären, daß die von ihm eingereichte Berufungsschrift im Nachtbriefkasten steckengeblieben oder bei der Entleerung versehentlich nicht aus dem Nachtbriefkasten entnommen worden sei. Eine weitergehende Konkretisierung seines Vorbringens war von dem Kläger nicht zu verlangen. Die Substantiierungslast findet ihre Grenze in dem subjektiven Wissen der Parteien
und der Zumutbarkeit weiterer Ausführungen. Auf der Grundlage dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht den angebotenen Beweis erheben müssen (§ 286 ZPO). Das wird es nachzuholen haben.
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(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.