Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2012 - II ZB 9/11

bei uns veröffentlicht am24.01.2012
vorgehend
Landgericht Berlin, 4 O 244/09, 14.07.2010
Kammergericht, 23 U 170/10, 04.04.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 9/11
vom
24. Januar 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 233 Fd, Fe
Es begründet kein Anwaltsverschulden, wenn eine geschulte und zuverlässige Büroangestellte
aus einem der durch beschriftete Registrierkarten voneinander getrennten Fächer einer
Registrierbox mit vorgefertigten Adressaufklebern für Berliner Gerichte versehentlich
einen falschen Aufkleber entnimmt und damit einen Briefumschlag versieht, so dass der richtig
adressierte Berufungsbegründungsschriftsatz verspätet beim zuständigen Gericht eingeht.
BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - II ZB 9/11 - KG
LG Berlin
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Dr. Strohn, die Richterin
Dr. Reichart sowie die Richter Dr. Drescher und Born

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 4. April 2011 aufgehoben. Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. Juli 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Kammergericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 11.857,58 €

Gründe:


1
I. Der Kläger begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Er hat gegen das ihm am 23. Juli 2010 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin am 23. August 2010 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 23. September 2010 begründet. Der an das Kammergericht gerichtete Berufungsbegründungsschriftsatz ist in einem an das Landgericht adressierten Umschlag am 23. September 2010 bei diesem und erst am 27. September 2010 beim Kammergericht eingegangen.
2
Mit seinem am 13. Oktober 2010 beim Berufungsgericht eingegangenen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die Übersendung an das Landgericht beruhe auf dem Versehen einer erfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten. Diese habe aus einer Registrierbox mit Adressaufklebern für die verschiedenen Berliner Gerichte aus den hintereinander liegenden Fächern für das Landgericht Berlin und für das Kammergericht den falschen Aufkleber gegriffen.
3
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit der Begründung zurückgewiesen, die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers eingerichtete Ausgangskontrolle sei unzureichend gewesen, und hat die Berufung demgemäß wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
4
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
5
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), da der angefochtene Beschluss den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt.
6
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht dem Kläger die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung verworfen.
7
a) Der Kläger war ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Er hat glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Frist auf einem schlichten Versehen der Kanzleimit- arbeiterin seines Prozessbevollmächtigten beruht, das dem Kläger nicht zuzurechnen ist.
8
Nach der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Klägers wies dieser am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist persönlich die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte T. , die seit mehr als 15 Jahren in seinem Büro beschäftigt ist, an, die erforderlichen Kopien der Anlagen zur Berufungsbegründung zu fertigen und den mit der Adresse des Kammergerichts versehenen Schriftsatz gemäß dieser Adressierung und der darüber in Fettdruck geschriebenen, unterstrichenen Anweisung „Per Justizbo- te“ an das Kammergericht zu versenden. In der Kanzlei des Prozessbevoll- mächtigten des Klägers wird die Post an die Berliner Gerichte über den Zustelldienst „Justizbote“ abgewickelt. Für die Zustellung gibt es vorgefertigte Adressaufkleber. Diese werden nach den weiteren Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in einer Registrierbox im Sekretariat aufbewahrt. In der Box sind die Adressaufkleber der verschiedenen Berliner Gerichte durch beschriftete Registrierkarten voneinander getrennt. Die Adressaufkleber sind alphabetisch und dann nach Instanzen geordnet. Die mit dem Adressaufkleber versehenen Briefumschläge werden in einen der Kanzlei nahegelegenen Justizbotenbriefkasten geworfen.
9
Frau T. fertigte weisungsgemäß die Kopien, heftete das Original der Berufungsbegründung und die beglaubigte Abschrift zusammen und steckte sie in einen Briefumschlag. Dann versah sie versehentlich den Umschlag für den richtig adressierten Schriftsatz mit einem falschen Aufkleber. Den falsch adressierten Umschlag warf Frau T. persönlich in den Briefkasten. Da es sich um den letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist handelte, versicherte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers um 19.55 Uhr telefonisch, ob Frau T. seine Anweisung ausgeführt habe.
10
Nach der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Klägers handelt es sich bei Frau T. um eine gewissenhafte und regelmäßig überprüfte Mitarbeiterin mit umfassender Berufserfahrung. Sie hat nach ihrer eigenen eidesstattlichen Versicherung im gesamten Zeitraum ihrer beruflichen Tätigkeit noch nie eine gerichtliche Frist versäumt.
11
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin vor, das nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht, wenn diese den richtig adressierten Schriftsatz in eine falsch adressierte Versandtasche einlegt (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1993 - VI ZB 8/93, NJW-RR 1994, 510; Beschluss vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94, NJW 1994, 2958; Beschluss vom 20. Juli 2011 - XII ZB 139/11, NJW-RR 2011, 1686). Das versehentliche Aufkleben eines falschen Adressetiketts ist damit vergleichbar. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass der Anwalt bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, das Adressieren der Briefumschläge zu kontrollieren hat.
12
3. Auf die vom Berufungsgericht beanstandete Ausgangskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers und die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen der Rechtsbeschwerde kommt es nicht an. Ein - hier unterstelltes - Organisationsverschulden wäre für die Fristversäumung nicht kausal geworden. Auch eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende Ausgangskontrolle (vgl. hierzu Born, NJW 2011, 2022, 2025) hätte es nicht verhindert , dass die Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten des Klägers versehentlich den falschen Adressaufkleber auf dem für den Versand der Berufungsbegründungsschrift bestimmten Umschlag anbringt. Dieses Versehen war allein ursächlich für die Versäumung der Frist. Hätte die Mitarbeiterin die richtige Adresse angebracht, wäre die Frist gewahrt worden, zumal sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers noch vor Fristablauf telefonisch erkundigt hat, ob der Schriftsatz in den Briefkasten eingeworfen worden war. Damit hat er alles Erforderliche getan, um die Wahrung der Berufungsbegründungsfrist sicherzustellen. Das Verschulden der Büroangestellten ist dem Kläger nicht zuzurechnen.
Bergmann Strohn Reichart Drescher Born
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 14.07.2010 - 4 O 244/09 -
KG, Entscheidung vom 04.04.2011 - 23 U 170/10 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2011 - XII ZB 139/11

bei uns veröffentlicht am 20.07.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 139/11 vom 20. Juli 2011 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 Fd Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte ei

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 139/11
vom
20. Juli 2011
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte
einen postfertig zu machenden Schriftsatz in die korrekte Versandtasche
einlegt.
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011 - XII ZB 139/11 - OLG Düsseldorf
AG Kleve
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2011 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke sowie die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 3. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Kleve vom 24. August 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: 100.000 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das Familiengericht hat die Teilklage auf Zugewinnausgleich abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 26. August 2010 zuge- stellt worden. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. November 2010 verlängert worden. Die - zutreffend - an das Oberlandesgericht Düsseldorf adressierte Berufungsbegründungsschrift vom 23. November 2010 ist am 1. Dezember 2010 dort eingegangen , nachdem sie zuvor am 24. November 2010 an das Oberlandesgericht Celle gelangt und von dort weitergeleitet worden war.
2
Auf richterlichen Hinweis vom 6. Dezember 2010, zugestellt am 9. Dezember 2010, hat die Antragsgegnerin am 22. Dezember 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Berufungsbegründungsschriftsatz sei am 23. Oktober 2010 diktiert und gefertigt worden. Am gleichen Tag sei auch noch ein weiterer Schriftsatz an das Oberlandesgericht Celle diktiert und gefertigt worden. Die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte müsse wohl den an das Oberlandesgericht Düsseldorf gerichteten Schriftsatz versehentlich zusammen mit dem anderen Schriftsatz in den an das Oberlandesgericht Celle gerichteten Versandumschlag gelegt haben. Daher sei der Schriftsatz entgegen der erteilten Anweisung auch nicht vorab per Telefax an das Oberlandesgericht Düsseldorf versendet worden.
3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten es versäumt, für eine wirksame Postausgangskontrolle zu sorgen. Es fehle die Weisung, die notierte Frist erst dann zu löschen, wenn anhand des zu überprüfenden Sendeprotokolls feststehe, dass die Absendung des Telefaxes erfolgreich gewesen sei.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
5
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht der Klägerin die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und ihre Berufung verworfen.
6
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist (BGH Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10 - NJW 2011, 2501 Rn. 7 mwN). Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der fristwahrende Schriftsatz postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann (BGH Beschluss vom 9. September 1997 - IX ZB 80/97 - NJW 1997, 3446, 3447).
7
b) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin die Fristversäumung ausreichend entschuldigt. Denn durch die Umstände ist glaubhaft gemacht, dass der Berufungsbegründungsschriftsatz versehentlich mit einem anderen, an das Oberlandesgericht Celle gerichteten Schriftsatz in den Postversandumschlag gelangte. Darin liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin, welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, das Einlegen der Sendung in die korrekte Versandtasche zu kontrollieren habe.
8
In der Annahme, das Schriftstück sei in den korrekten Versandumschlag gelangt, durfte die Kanzleimitarbeiterin auch die Frist im Fristenkalender als erledigt kennzeichnen, so dass auch insoweit kein Anhaltspunkt für ein Anwaltsverschulden besteht.
9
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch nicht darin, keine Weisung erteilt zu haben, nach der - von ihm verfügten - Vorabübersendung per Telefax einen Einzelnachweis auszudrucken und auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen. Denn diese Kontrollmaßnahmen sind nur erforderlich , wenn die Vorabübersendung des Telefaxes aus der Warte des Absenders erforderlich scheint, um die Frist einzuhalten, weil eine Postsendung den Empfänger unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten nicht mehr rechtzeitig erreichte. Ist hingegen aus der Warte des Absenders alles Notwendige veranlasst , um den Eingang des fristgebundenen Schriftsatzes rechtzeitig auf normalem Postwege zu erreichen, bedarf es einer zusätzlichen Vorabübersendung per Telefax grundsätzlich nicht. Für eine - in dem Falle überobligatorische - Vorabfaxübersendung können keine besonderen Sorgfaltsanforderungen aufgestellt werden. Daran ändert nichts, wenn der rechtzeitige Posteingang tatsächlich aus Umständen unterbleibt, für die der Prozessbevollmächtigte - wie hier - kein eigenes Organisationsverschulden trägt.
10
Nach der Glaubhaftmachung der Klägerin hatte ihr Prozessbevollmächtigter alle in seiner anwaltlichen Organisationsverantwortung liegenden Vorkehrungen getroffen, um den fristwahrenden Schriftsatz rechtzeitig postfertig zu machen.
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Vorinstanzen:
AG Kleve, Entscheidung vom 24.08.2010 - 4 F 433/06 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.02.2011 - II-3 UF 191/10 -