Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2009 - II ZB 1/09

bei uns veröffentlicht am06.07.2009
vorgehend
Landgericht Magdeburg, 5 O 323/02, 20.02.2004
Oberlandesgericht Naumburg, 9 U 39/04, 22.04.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 1/09
vom
6. Juli 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
War ein (Berufungs-)Anwalt aufgrund einer plötzlich auftretenden, nicht vorhersehbaren
Erkrankung an der fristgebundenen Begründung einer Berufung gehindert, kann
ihm ein Fehler im Verlängerungsantrag, der zu dessen Ablehnung führte, (hier: fehlende
Einholung der Einwilligung zur zweiten Fristverlängerung) nicht angelastet
werden. Es ist dann Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
zu gewähren.
BGH, Beschluss vom 6. Juli 2009 - II ZB 1/09 - OLG Naumburg
LG Magdeburg
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 6. Juli 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Caliebe,
Dr. Drescher und Dr. Löffler

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. April 2005 aufgehoben. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 20. Februar 2004 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 50.725,97 €

Gründe:

I.

1
Der Beklagte hat gegen das am 1. März 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts Magdeburg rechtzeitig Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 29. April 2004 hat er beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 1. Juni 2004 zu verlängern. Dem Antrag hat das Berufungsgericht stattgegeben. Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2004, per Fax am frühen Nachmittag desselben Tages bei Gericht eingegangen, beantragte die Prozessbevollmächtigte des Beklagten , die Berufungsbegründungsfrist erneut, nunmehr bis zum 3. Juni 2004, zu verlängern, und begründete dies mit ihrer aufgrund einer Erkrankung seit dem 28. Mai 2004 bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Sie wies zugleich darauf hin, dass sie die alleinige Sachbearbeiterin sei. Mit Fax vom selben Tag teilte der Vorsitzende der Prozessbevollmächtigten mit, dass nicht beabsichtigt sei, dem Fristverlängerungsantrag stattzugeben, da er nicht von einem beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt gestellt worden sei. Gleichzeitig gab er per Fax dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, ohne dies zugleich der Bevollmächtigten des Beklagten nachrichtlich mitzuteilen, Gelegenheit, bis zum 2. Juni 2004 zu dem Fristverlängerungsantrag Stellung zu nehmen. Bereits ca. 40 Minuten nach Eingang des Faxes bei der Prozessbevollmächtigten des Beklagten teilte diese per Fax mit, dass sie beim Oberlandesgericht zugelassen sei. Mit Fax vom 2. Juni 2004 verweigerte der Klägervertreter seine Zustimmung zu der Fristverlängerung. Daraufhin wies der Vorsitzende des Berufungsgerichts am selben Tag den Fristverlängerungsantrag zurück und begründete dies mit der mangelnden Einwilligung des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Diese Entscheidung wurde der Bevollmächtigten des Beklagten am Morgen des 3. Juni 2004 per Fax mitgeteilt. Ebenfalls am 3. Juni 2004 ging zunächst ein Fax des Klägervertreters beim Berufungsgericht ein, in dem er mitteilte , dass er nach einem Telefonat mit der Bevollmächtigten des Beklagten, in dem diese ihm ihre Notlage geschildert habe, nunmehr der Fristverlängerung zustimme. Ebenfalls am 3. Juni 2004 ging die Berufungsbegründung per Fax beim Berufungsgericht ein. Mit Schreiben vom 4. Juni 2004 teilte der Vorsitzende des Berufungsgerichts der Bevollmächtigten des Beklagten mit, dass trotz der Zustimmung des Klägervertreters die Berufungsbegründungsfrist nicht verlängert werde.
2
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2004 beantragte der Beklagte vorsorglich, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren unter Glaubhaftmachung der Erkrankung seiner Bevollmächtigten durch die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat im Wiedereinsetzungsgesuch die Ansicht vertreten, sie habe von einer Zustimmung des Gegners zur Fristverlängerung ausgehen dürfen, da der Vorsitzende sie lediglich darauf hingewiesen habe, dass eine Fristverlängerung nur wegen mangelnder Postulationsfähigkeit nicht in Betracht komme. Ihr Vertrauen auf die Fristverlängerung sei zudem gestärkt worden durch die gängige Gerichtspraxis beim Oberlandesgericht Naumburg, bei Krankheit auch ohne Zustimmung des Gegners einer beantragten zweiten Fristverlängerung stattzugeben, weil Arbeitsunfähigkeit sowieso einen Wiedereinsetzungsgrund bezüglich der versäumten Handlung begründe.
3
Erst mit Beschluss vom 22. April 2005 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde. Das Rechtsbeschwerdeverfahren war wegen des über das Vermögen des Klägers eröffneten Insolvenzverfahrens vom 29. Juli 2005 bis zum 11. Februar 2009 unterbrochen.

II.

4
1. Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdege- richts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es dessen zentrales Vorbringen im Wiedereinsetzungsgesuch unberücksichtigt gelassen hat, dass nämlich seine Prozessbevollmächtigte in der Zeit vom 28. Mai 2004 bis 7. Juni 2004 arbeitsunfähig erkrankt und daher wegen des unvorhersehbaren Eintritts der Erkrankung ohne Verschulden an der Einreichung der Berufungsbegründung innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bis zum 1. Juni 2004 gehindert gewesen sei.
5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Dem Beklagten ist unter Aufhebung des Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Damit sind der Beschluss über die Verwerfung der Berufung und die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Beklagten gegenstandslos (BGH, Beschl. v. 16. April 2009 - VII ZB 66/08 und - VII ZB 67/08, juris Tz. 13 m.w.Nachw. z.V.b.).
6
a) Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen, da er nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen sei. Das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, das er sich gemäß § 85 ZPO zurechnen lassen müsse , liege daran, dass sie keinen korrekten zweiten Fristverlängerungsantrag gestellt habe. Auch bei (unterstellter) Arbeitsunfähigkeit habe sie ohne Erklärung über das Vorliegen der Einwilligung des Gegners auf die zweite Fristverlängerung nicht vertrauen dürfen, da nach der Einführung von § 520 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, die über einen Monat hinausgehe, ohne Einwilligung des Gegners schon von Gesetzes wegen nicht in Betracht komme. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe nicht davon ausgehen dürfen, dass das Berufungsgericht sich über diese eindeutige Gesetzeslage hinwegsetzen werde. An dem Ergebnis ändere sich nichts durch die nachträglich erklärte Einwilligung des Gegners, denn die Einwilligung sei bedingungsfeindlich und grundsätzlich unwiderruflich. Für die einmal verweigerte Einwilligung könne nichts Abweichendes gelten, dies insbesondere dann nicht, wenn der Fristverlängerungsantrag bereits vor der Erklärung der Einwilligung zurückgewiesen worden sei.
7
b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht stellt verfehlt nur darauf ab, die Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe mangels Darlegung der Einwilligung des Gegners keinen korrekten Antrag hinsichtlich der zweiten Fristverlängerung gestellt. Ob die Erkrankung unabhängig vom Antrag auf erneute Fristverlängerung das Wiedereinsetzungsgesuch rechtfertigen kann, zieht das Berufungsgericht dagegen unter Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) überhaupt nicht in Erwägung.
8
aa) Noch zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die am 1. Juni 2004 ablaufende Berufungsbegründungsfrist versäumt hat. Die Berufungsbegründung ist erst am 3. Juni 2004 und damit nach Ablauf der nicht erneut verlängerten Frist eingegangen, ohne dass es darauf ankäme, ob die Verweigerung der zweiten Fristverlängerung zu Recht erfolgt ist.
9
bb) Das entscheidungserhebliche Übergehen des Vortrags des Beklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) und die darauf beruhende Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) durch Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs und Verwerfung der Berufung zwingen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist war unverschuldet.
10
Der Beklagte hat glaubhaft gemacht, dass seine Prozessbevollmächtigte aufgrund einer plötzlich aufgetretenen, unvorhersehbaren Erkrankung an der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist gehindert war. Die Bestellung eines Vertreters, der anstelle der allein sachbearbeitenden Bevollmächtigten des Beklagten die Berufungsbegründung hätte fertigen können, kam wegen der Unvorhersehbarkeit der Erkrankung ersichtlich nicht in Betracht (vgl. Sen.Beschl. v. 26. Februar 1996 - II ZB 7/95, NJW 1996, 1540, 1541; BGH, Beschl. v. 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571, 3572 m.w.Nachw.). Angesichts dieser Umstände hat sie mit dem Fristverlängerungsantrag eine Maßnahme getroffen, zu der sie im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand schon nicht verpflichtet war. Allein deshalb kann ihr der dabei nach der nicht hinreichend differenzierenden Meinung des Berufungsgerichts aufgetretene Fehler nicht angelastet werden (BGH, Beschl. v. 26. November 1997 - XII ZB 150/97, NJW-RR 1998, 639 m.w.Nachw.). Goette Kraemer Caliebe Drescher Löffler
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 20.02.2004 - 5 O 323/02 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 22.04.2005 - 9 U 39/04 -

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

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(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 66/08
VII ZB 67/08
vom
16. April 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 C, 234 Abs. 1 A, 236 Abs. 2 D
Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, weil ihr rechtzeitig gestellter
Verlängerungsantrag ohne ihr Verschulden dem Gericht nicht zur Kenntnis gelangt
ist, und hat das Gericht auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Begründungsfrist
hingewiesen, bevor die in dem Verlängerungsantrag genannte Frist abgelaufen war,
kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung versagt werden
, die Partei habe die von ihr selbst gesetzte Frist nicht eingehalten.
In diesem Fall steht ihr dann für die Begründung der Berufung die Monatsfrist des
§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Verfügung.
(Im Anschluss an BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW
1996, 1350).
BGH, Beschluss vom 16. April 2009 - VII ZB 66/08 und VII ZB 67/08 - OLG Köln
LG Bonn
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. April 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier
und Leupertz

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Mai 2008 aufgehoben. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 40.578,79 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger hat gegen das klageabweisende, am 17. Januar 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der am 17. März 2008 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen. Hierauf ist die Prozessbevollmächtigte des Klägers durch richterliche Verfügung vom 20. März 2008, zugestellt am 3. April 2008, hingewiesen worden. Sie hat mit Schriftsatz vom 18. April 2008, beim Berufungsgericht eingegangen am 21. April 2008, die Berufung begründet und wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie hat dazu vorgetragen, sie habe am 7. März 2008 einen Schriftsatz gefertigt, mit dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. April 2008 beantragt worden sei. In Absprache mit ihr habe ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät diesen Schriftsatz am 10. März 2008 auf der Poststelle des Gerichtsgebäudes in das Fach für das Oberlandesgericht gelegt. Da sie stichhaltige Gründe für die Verlängerung der Frist habe anführen können, sei sie ohne weiteres davon ausgegangen, dass dem Antrag stattgegeben werde, und habe insoweit auch beim Oberlandesgericht nicht nachgefragt. Zur Glaubhaftmachung hat sie eine eidesstattliche Versicherung ihrer Anwaltskollegin vorgelegt.
2
Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und mit Beschluss vom 20. Juni 2008 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3
1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht (siehe hierzu unter 2. b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvol- len Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
5
a) Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger sei an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen. Er habe zwar glaubhaft gemacht, dass der erstmalige und ausreichend begründete Fristverlängerungsantrag am 10. März 2008 in das OLG-Fach des Gerichtsgebäudes eingelegt worden sei. Er hätte aber den von ihm selbst beantragten Verlängerungszeitraum einhalten oder rechtzeitig einen neuen Verlängerungsantrag stellen müssen. Allerdings habe der Bundesgerichtshof die Überschreitung des vom Berufungskläger beantragten Verlängerungszeitraums mit der Begründung für unschädlich gehalten, dem Berufungskläger habe für die Berufungsbegründung als Mindestfrist diejenige des § 234 Abs. 1 ZPO a.F. zur Verfügung gestanden (Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350). Dies könne jedoch seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes jedenfalls insoweit nicht mehr gelten, als der erste, nicht beschiedene Verlängerungsantrag des Berufungsklägers die in § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestimmte Höchstfrist von einem Monat ausschöpfe. Dieser Regelung widerspräche es, wenn dem Berufungskläger ohne rechtzeitige Einholung einer Zustimmung des Berufungsbeklagten nur deshalb gestattet würde, die erste Verlängerungsfrist von einem Monat zu überschreiten, weil der Verlängerungsantrag entweder ohne sein Verschulden nicht bei Gericht eingegangen oder nicht beschieden worden sei. Eine über die Monatsfrist hinausgehende Verlängerung könne der Berufungskläger nicht erwarten.
6
b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.
7
aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Kläger ohne sein Verschulden verhindert war, die am 17. März 2008 endende ursprüngliche Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Er hat glaubhaft gemacht, rechtzeitig einen Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat eingereicht zu haben. Da es sich um den ersten Antrag handelte und er auf erhebliche Gründe gestützt war, konnte der Kläger auf die Bewilligung vertrauen und musste insoweit auch nicht bei Gericht nachfragen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 m.w.N.; st. Rspr.).
8
bb) Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung sind aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts rechtzeitig eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am 3. April 2008, als die Prozessbevollmächtigte des Klägers die gerichtliche Mitteilung erhielt, dass eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei. Von diesem Tag an lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen, § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat der Kläger gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Berufungsbegründung gingen am 21. April 2008 und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht ein. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor.
9
cc) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Kläger um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 17. April 2008 nachgesucht und diese sich selbst gesetzte Frist überschritten hatte.
10
Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem Berufungskläger Wiedereinsetzung nur gewährt werden kann, wenn sein Prozessbevollmächtigter die in einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrte Frist eingehalten hat (Beschlüsse vom 14. Oktober 1993 - LwZB 2/93, NJW 1994, 55 und vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742). Diese Entscheidungen betrafen jedoch Sachverhalte, in denen das Berufungsgericht innerhalb der jeweils beantragten Verlängerungsfrist weder über die Verlängerung entschieden noch sich sonst geäußert hatte. Dann entspricht es der Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahl des sichersten Weges, die durch den Antrag sich selbst gesetzte Frist einzuhalten. Dagegen hat hier das Berufungsgericht innerhalb der beantragten Verlängerungsfrist mitgeteilt, dass die Berufungsbegründung (und damit auch der Antrag auf Fristverlängerung) nicht eingegangen sei. Damit wurde die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Diese vom Gesetz vorgegebene Frist ist nicht von der zuvor vom Kläger beantragten Fristverlängerung abhängig. Sie wird durch den Antrag des Klägers nicht verkürzt, sondern steht dem Kläger in voller Länge zur Verfügung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350 zu § 234 ZPO a.F.; MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 233 Rdn. 62; Musielak/Grandel, ZPO, 6. Aufl., § 233 Rdn. 29; Wieczorek/Schütze/Uwe Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rdn. 66; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Stichwort Fristverlängerung unter b bb).
11
dd) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zwingt der Umstand, dass nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes die Berufungsbegründungsfrist ohne Einwilligung des Gegners nur um bis zu einem Monat verlängert werden kann, nicht zu einer anderen Beurteilung.
12
§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht überlagert. Beide Vorschriften verfolgen unterschiedliche Zwecke und sind unabhängig voneinander zu betrachten. Durch die Einführung der Monatsfrist in § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO sollte in erster Linie die Rechtsstellung unbemittelter Rechtsmittelführer bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbessert werden (vgl. BT-Drucks. 15/1508, S. 17). Die Vorschrift gilt darüber hinaus ohne Einschränkung für alle Fälle der Versäumung einer Frist zur Begründung eines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, NJW 2008, 1164). § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO dient der Beschleunigung des Berufungsverfahrens (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 95). Er sagt nichts darüber aus, unter welchen Umständen bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden soll. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Norm den Lauf der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO begrenzen wollte.
13
3. Dem Kläger war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom 20. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Damit sind der Beschluss des Berufungsgerichts vom 20. Juni 2008, mit dem die Berufung verworfen wurde, und die dagegen vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455 und vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, aaO).
Kniffka Bauner Eick Halfmeier Leupertz
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 09.01.2008 - 7 O 183/07 -
OLG Köln, Entscheidung vom 20.05.2008 - 24 U 38/08 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 66/08
VII ZB 67/08
vom
16. April 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 C, 234 Abs. 1 A, 236 Abs. 2 D
Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, weil ihr rechtzeitig gestellter
Verlängerungsantrag ohne ihr Verschulden dem Gericht nicht zur Kenntnis gelangt
ist, und hat das Gericht auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Begründungsfrist
hingewiesen, bevor die in dem Verlängerungsantrag genannte Frist abgelaufen war,
kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung versagt werden
, die Partei habe die von ihr selbst gesetzte Frist nicht eingehalten.
In diesem Fall steht ihr dann für die Begründung der Berufung die Monatsfrist des
§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Verfügung.
(Im Anschluss an BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW
1996, 1350).
BGH, Beschluss vom 16. April 2009 - VII ZB 66/08 und VII ZB 67/08 - OLG Köln
LG Bonn
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. April 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier
und Leupertz

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Mai 2008 aufgehoben. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 40.578,79 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger hat gegen das klageabweisende, am 17. Januar 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der am 17. März 2008 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen. Hierauf ist die Prozessbevollmächtigte des Klägers durch richterliche Verfügung vom 20. März 2008, zugestellt am 3. April 2008, hingewiesen worden. Sie hat mit Schriftsatz vom 18. April 2008, beim Berufungsgericht eingegangen am 21. April 2008, die Berufung begründet und wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie hat dazu vorgetragen, sie habe am 7. März 2008 einen Schriftsatz gefertigt, mit dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. April 2008 beantragt worden sei. In Absprache mit ihr habe ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät diesen Schriftsatz am 10. März 2008 auf der Poststelle des Gerichtsgebäudes in das Fach für das Oberlandesgericht gelegt. Da sie stichhaltige Gründe für die Verlängerung der Frist habe anführen können, sei sie ohne weiteres davon ausgegangen, dass dem Antrag stattgegeben werde, und habe insoweit auch beim Oberlandesgericht nicht nachgefragt. Zur Glaubhaftmachung hat sie eine eidesstattliche Versicherung ihrer Anwaltskollegin vorgelegt.
2
Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und mit Beschluss vom 20. Juni 2008 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

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1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht (siehe hierzu unter 2. b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvol- len Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
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a) Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger sei an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen. Er habe zwar glaubhaft gemacht, dass der erstmalige und ausreichend begründete Fristverlängerungsantrag am 10. März 2008 in das OLG-Fach des Gerichtsgebäudes eingelegt worden sei. Er hätte aber den von ihm selbst beantragten Verlängerungszeitraum einhalten oder rechtzeitig einen neuen Verlängerungsantrag stellen müssen. Allerdings habe der Bundesgerichtshof die Überschreitung des vom Berufungskläger beantragten Verlängerungszeitraums mit der Begründung für unschädlich gehalten, dem Berufungskläger habe für die Berufungsbegründung als Mindestfrist diejenige des § 234 Abs. 1 ZPO a.F. zur Verfügung gestanden (Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350). Dies könne jedoch seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes jedenfalls insoweit nicht mehr gelten, als der erste, nicht beschiedene Verlängerungsantrag des Berufungsklägers die in § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestimmte Höchstfrist von einem Monat ausschöpfe. Dieser Regelung widerspräche es, wenn dem Berufungskläger ohne rechtzeitige Einholung einer Zustimmung des Berufungsbeklagten nur deshalb gestattet würde, die erste Verlängerungsfrist von einem Monat zu überschreiten, weil der Verlängerungsantrag entweder ohne sein Verschulden nicht bei Gericht eingegangen oder nicht beschieden worden sei. Eine über die Monatsfrist hinausgehende Verlängerung könne der Berufungskläger nicht erwarten.
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b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.
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aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Kläger ohne sein Verschulden verhindert war, die am 17. März 2008 endende ursprüngliche Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Er hat glaubhaft gemacht, rechtzeitig einen Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat eingereicht zu haben. Da es sich um den ersten Antrag handelte und er auf erhebliche Gründe gestützt war, konnte der Kläger auf die Bewilligung vertrauen und musste insoweit auch nicht bei Gericht nachfragen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 m.w.N.; st. Rspr.).
8
bb) Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung sind aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts rechtzeitig eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am 3. April 2008, als die Prozessbevollmächtigte des Klägers die gerichtliche Mitteilung erhielt, dass eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei. Von diesem Tag an lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen, § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat der Kläger gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Berufungsbegründung gingen am 21. April 2008 und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht ein. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor.
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cc) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Kläger um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 17. April 2008 nachgesucht und diese sich selbst gesetzte Frist überschritten hatte.
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Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem Berufungskläger Wiedereinsetzung nur gewährt werden kann, wenn sein Prozessbevollmächtigter die in einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrte Frist eingehalten hat (Beschlüsse vom 14. Oktober 1993 - LwZB 2/93, NJW 1994, 55 und vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742). Diese Entscheidungen betrafen jedoch Sachverhalte, in denen das Berufungsgericht innerhalb der jeweils beantragten Verlängerungsfrist weder über die Verlängerung entschieden noch sich sonst geäußert hatte. Dann entspricht es der Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahl des sichersten Weges, die durch den Antrag sich selbst gesetzte Frist einzuhalten. Dagegen hat hier das Berufungsgericht innerhalb der beantragten Verlängerungsfrist mitgeteilt, dass die Berufungsbegründung (und damit auch der Antrag auf Fristverlängerung) nicht eingegangen sei. Damit wurde die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Diese vom Gesetz vorgegebene Frist ist nicht von der zuvor vom Kläger beantragten Fristverlängerung abhängig. Sie wird durch den Antrag des Klägers nicht verkürzt, sondern steht dem Kläger in voller Länge zur Verfügung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350 zu § 234 ZPO a.F.; MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 233 Rdn. 62; Musielak/Grandel, ZPO, 6. Aufl., § 233 Rdn. 29; Wieczorek/Schütze/Uwe Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rdn. 66; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Stichwort Fristverlängerung unter b bb).
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dd) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zwingt der Umstand, dass nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes die Berufungsbegründungsfrist ohne Einwilligung des Gegners nur um bis zu einem Monat verlängert werden kann, nicht zu einer anderen Beurteilung.
12
§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht überlagert. Beide Vorschriften verfolgen unterschiedliche Zwecke und sind unabhängig voneinander zu betrachten. Durch die Einführung der Monatsfrist in § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO sollte in erster Linie die Rechtsstellung unbemittelter Rechtsmittelführer bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbessert werden (vgl. BT-Drucks. 15/1508, S. 17). Die Vorschrift gilt darüber hinaus ohne Einschränkung für alle Fälle der Versäumung einer Frist zur Begründung eines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, NJW 2008, 1164). § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO dient der Beschleunigung des Berufungsverfahrens (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 95). Er sagt nichts darüber aus, unter welchen Umständen bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden soll. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Norm den Lauf der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO begrenzen wollte.
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3. Dem Kläger war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom 20. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Damit sind der Beschluss des Berufungsgerichts vom 20. Juni 2008, mit dem die Berufung verworfen wurde, und die dagegen vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455 und vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, aaO).
Kniffka Bauner Eick Halfmeier Leupertz
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 09.01.2008 - 7 O 183/07 -
OLG Köln, Entscheidung vom 20.05.2008 - 24 U 38/08 -

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.