Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Dez. 2010 - AK 19/10

bei uns veröffentlicht am22.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StE 4/10-3 geh
AK 19/10
vom
22. Dezember 2010
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 22. Dezember
2010 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Der Haftbefehl des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. November 2010 (Az. III-5 StS 5/10) wird aufgehoben. Der Angeklagte ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

Gründe:

1
1. Der Angeklagte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2010 (6 BGs 16/10) am 24. Februar 2010 festgenommen und befindet sich seit dem 25. Februar 2010 in Untersuchungshaft. Gegenstand dieses Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich durch seine Tätigkeit als Führungsfunktionär der DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei /-front) vom 5. November 2008 bis Ende März 2009 als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, sowie am 29. Januar und 5. Februar 2009 wiederholt einem Ausländer, der nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dazu Hilfe geleistet, dass er unerlaubt in das Bundesgebiet einreist. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 9. August 2010 Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Mit dieser wirft er dem Angeklagten vor, sich in der Zeit vom 7. Oktober 2002 bis zum 9. April 2009 als Mitglied an der DHKP-C beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB) und am 4., 5. und 29. Januar sowie am 5. Februar 2009 als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat, wiederholt einem Ausländer, der nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dazu Hilfe geleistet zu haben, dass er unerlaubt in das Bundesgebiet einreist (§ 95 Abs. 1 Nr. 3, § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Mit Beschluss vom 16. September 2010 (AK 12/10) hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat am 2. November 2010 die Anklage des Generalbundesanwalts zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Am 12. November 2010 hat es den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs aufgehoben und durch einen neuen Haftbefehl im Umfang des Anklagesatzes ersetzt; mit Beschluss vom 30. November 2010 hat es die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten. Der Beginn der Hauptverhandlung ist auf den 13. Januar 2011 terminiert worden.
2
2. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft sind jedenfalls deswegen nicht gegeben, weil deren weiterer Vollzug nicht mehr verhältnismäßig ist (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO). Der Haftbefehl ist deshalb aufzuheben (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Einzelnen:
3
Allerdings ist der Angeklagte aufgrund der in der Anklageschrift vom 9. August 2010 aufgeführten Beweismittel dringend verdächtig, die ihm dort und in dem Haftbefehl des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. November 2010 vorgeworfenen Taten objektiv verwirklicht zu haben. Bezüglich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Anklageschrift, den Haftbefehl sowie - auch was den Umfang der Vereinigung angeht - seinen Haftfortdauerbeschluss vom 16. September 2010 Bezug. Jedoch ist nach dem derzeitigen Verfahrensstand ebenfalls davon auszugehen, dass der Angeklagte seit Dezember 2002 für den Bun- desnachrichtendienst tätig war und diesem in bedeutendem Umfang Informationen über die DHKP-C geliefert hat.
4
Vor diesem Hintergrund muss sich der Senat im vorliegenden Haftprüfungsverfahren nicht mit der Frage befassen, ob aufgrund dieser Tätigkeit das objektiv tatbestandliche Handeln des Angeklagten ausnahmsweise - etwa nach den Grundsätzen des § 34 StGB - gerechtfertigt war oder er - etwa aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums nach § 17 Satz 1 StGB - ohne Schuld handelte. Ebenso wenig ist darauf einzugehen, ob hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Angeklagte – wie von ihm behauptet – gegenüber dem Bundesnachrichtendienst eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschrieben hat und er hierdurch – so dies der Fall wäre – in solchem Umfang in seinen Verteidigungsrechten beschränkt würde, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorläge (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 - 5 StR 383/06, NJW 2007, 3010). Auch kann dahinstehen, ob gegen den Angeklagten weiterhin ein Haftgrund vorliegt. Denn der weitere Vollzug der nunmehr bereits fast zehn Monate andauernden Untersuchungshaft verstößt jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
5
Der Senat hat schon in seinem Beschluss vom 16. September 2010 darauf hingewiesen, dass der Einfluss des Bundesnachrichtendienstes auf die Mitwirkung des Angeklagten in der DHKP-C sich gegebenenfalls - abhängig von der Art und Intensität - bei der Strafzumessung zu dessen Gunsten auswirken muss. Die in der Zwischenzeit durchgeführten weiteren Ermittlungen - insbesondere die Angaben des Bundesnachrichtendienstes in dem Schreiben vom 13. Dezember 2010 - belegen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und dem Bundesnachrichtendienst besonders intensiv war und die vom Angeklagten gelieferten Informationen einen hohen Wert hatten. Danach fand etwa die erste Begegnung bereits im Dezember 2002 und damit nur kurz nach Beginn des Tatzeitraums im Oktober 2002 statt. Insgesamt kam es zu 134 Treffen , die im 14tägigen Rhythmus durchgeführt wurden. Im Zusammenhang mit den nachrichtendienstlichen Tätigkeiten wurde im August 2008 ein Betrag in Höhe von 10.000 € auf einem Konto des Angeklagten gutgeschrieben. Dessen Einlassung, er habe darüber hinaus ein monatliches Entgelt in erheblicher Höhe erhalten, ist nach den bisherigen Angaben des Bundesnachrichtendienstes nicht zu widerlegen. Über die einzelnen aktuellen Tätigkeiten des Angeklagten für die DHKP-C einschließlich der Schleusungsfahrten war der Bundesnachrichtendienst teilweise sogar im Voraus, zumindest jedoch nach deren Durchführung unterrichtet. Aus den vom Angeklagten übermittelten Informationen wurde eine Vielzahl von Meldungen erstellt; seine Arbeit wurde vom Bundesnachrichtendienst als besonders wichtig und hochwertig eingestuft, um die Strukturen der DHKP-C aufdecken zu können.
6
Bei sachgerechter Berücksichtigung all dieser Umstände ergibt sich, dass die Straferwartung des Angeklagten deutlich reduziert ist. Deshalb muss trotz des kurz bevorstehenden Beginns der Hauptverhandlung das staatliche Interesse an der weiteren Sicherung des Verfahrens hinter dem überwiegenden Freiheitsinteresse des Angeklagten zurücktreten.

Becker von Lienen Schäfer

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Referenzen - Gesetze

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Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Strafprozeßordnung - StPO | § 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe


(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 121 Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate


(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden

Strafgesetzbuch - StGB | § 129a Bildung terroristischer Vereinigungen


(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, 1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völ

Strafgesetzbuch - StGB | § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung


(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausg

Strafprozeßordnung - StPO | § 122 Besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht


(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es be

Strafprozeßordnung - StPO | § 120 Aufhebung des Haftbefehls


(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sich

Strafgesetzbuch - StGB | § 17 Verbotsirrtum


Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 34 Rechtfertigender Notstand


Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2007 - 5 StR 383/06

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Sept. 2010 - AK 12/10

bei uns veröffentlicht am 16.09.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS _____________ AK 12/10 vom 16. September 2010 in dem Strafverfahren gegen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun

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(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.

(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.

(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.

(2) Vor der Entscheidung sind der Beschuldigte und der Verteidiger zu hören. Das Oberlandesgericht kann über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung entscheiden; geschieht dies, so gilt § 118a entsprechend.

(3) Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an, so gilt § 114 Abs. 2 Nr. 4 entsprechend. Für die weitere Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) ist das Oberlandesgericht zuständig, bis ein Urteil ergeht, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. Es kann die Haftprüfung dem Gericht, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist, für die Zeit von jeweils höchstens drei Monaten übertragen. In den Fällen des § 118 Abs. 1 entscheidet das Oberlandesgericht über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach seinem Ermessen.

(4) Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 ist auch im weiteren Verfahren dem Oberlandesgericht vorbehalten. Die Prüfung muß jeweils spätestens nach drei Monaten wiederholt werden.

(5) Das Oberlandesgericht kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 aussetzen.

(6) Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, so kann das Oberlandesgericht über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es nach § 121 und den vorstehenden Vorschriften noch nicht zuständig wäre.

(7) Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung zuständig, so tritt dieser an die Stelle des Oberlandesgerichts.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 12/10
vom
16. September 2010
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 16. September
2010 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.

Gründe:

1
Der Angeschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2010 (6 BGs 16/10) am 24. Februar 2010 festgenommen und befindet sich seit dem 25. Februar 2010 in Untersuchungshaft.
2
1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich durch seine Tätigkeit als Führungsfunktionär der DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front) vom 5. November 2008 bis Ende März 2009 als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, sowie am 29. Januar und 5. Februar 2009 wiederholt einem Ausländer, der nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dazu Hilfe geleistet, dass er unerlaubt in das Bundesgebiet einreist. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 9. August 2010 Anklage gegen den Angeschuldigten zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Mit dieser wirft er dem Angeschuldigten vor, sich in der Zeit vom 7. Oktober 2002 bis zum 9. April 2009 als Mitglied an der DHKP-C beteiligt zu haben und am 4. und 5. Januar, am 29. Januar sowie am 5. Februar 2009 als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat, wiederholt einem Ausländer, der nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dazu Hilfe geleistet zu haben, dass er unerlaubt in das Bundesgebiet einreist. Das Oberlandesgericht hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und zur Begründung ausgeführt, es halte den Angeschuldigten der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Über den Antrag des Generalbundesanwalts, den bestehenden Haftbefehl aufzuheben und durch einen neuen Haftbefehl im Umfang der Anklage zu ersetzen, hat das Oberlandesgericht noch nicht entschieden.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen auf der - im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121 f. StPO maßgebenden - Grundlage des Vorwurfs, der dem Angeschuldigten in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2010 gemacht wird, vor.
4
2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
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Die marxistisch-leninistisch orientierte, hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung DHKP-C verfolgt das Ziel, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Sie hat sich seit dem Jahre 1994 zu zahlreichen Brand- und Sprengstoffanschlägen bekannt, die u. a. gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Mitglieder türkischer Justizbehörden und der türkischen Armee gerichtet waren. Hinsichtlich der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs Bezug genommen. Die DHKP-C ist auch außerhalb der Türkei, vor allem in Westeuropa, aktiv. Hier bestehen Organisationseinheiten , die von Parteifunktionären oder -komitees geleitet werden. Die Aufgabe dieser sog. Rückfront ist es insbesondere, finanzielle Mittel zu beschaffen und auf diese Weise die Begehung der terroristischen Anschläge in der Türkei zu unterstützen. Daneben werden in Europa Kämpfer rekrutiert; zudem wird für deren Ausstattung gesorgt sowie ein Rückzugsraum für Mitglieder der Organisation geschaffen.
6
Der Angeschuldigte arbeitete als professioneller Kader für die Vereinigung. Als Nachfolger der am 5. November 2008 festgenommenen E. übernahm er vorübergehend deren Aufgaben und war als Deutschlandverantwortlicher tätig. In dieser Funktion koordinierte er die Aktivitäten der Organisation in Deutschland. Er war vor allem auch in die Beschaffung von Geldern eingebunden. U. a. leitete er am 30. Januar 2009 ein Treffen verschiedener DHKP-C-Gebietsverantwortlicher in Köln, bei dem wesentliche Einzelheiten zur "Spendenkampagne" besprochen wurden. Bis Ende März 2009 arbeitete er den neuen Deutschlandverantwortlichen, den gesondert Verfolgten Ö. , in dessen Aufgaben ein und unterstützte ihn.
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3. Der dringende Verdacht, dass der Angeschuldigte sich als Mitglied an der DHKP-C beteiligt hat, ergibt sich insbesondere aus seiner Einlassung sowie Erkenntnissen, die im Rahmen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, etwa der Überwachung der Telekommunikation, gewonnen wurden. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug.
8
4. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte nach den § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Dabei kann hier dahinstehen, ob - was allerdings nahe liegt (vgl. etwa auch die uneingeschränkte Listung der DHKP-C als terroristische Vereinigung in den Ratsbeschlüssen 2002/460/EG vom 17. Juni 2002 und zuletzt vom 28. Juni 2007 - 2007/445/EG - zur Durchführung von Art. 2 Abs. 3 der VO (EG) 2580/2001 vom 27. Dezember 2001) - vor diesem Hintergrund die DHKP-C materiell -rechtlich insgesamt als ausländische terroristische Vereinigung anzusehen ist, oder ob - wie der Haftbefehl annimmt - sich lediglich innerhalb dieser Organisation eine terroristische Vereinigung gebildet hat, der neben bestimmten Funktionären und den mit der Ausführung der Anschläge betrauten Kadern in der Türkei jedenfalls auch solche Kader als Mitglieder angehören, die im europäischen Ausland in herausgehobenen Funktionen für die DHKP-C tätig sind und denen es obliegt, u. a. durch Spendensammlungen die für den bewaffneten Kampf erforderlichen finanziellen Mittel zu beschaffen (vgl. schon BGH, Beschluss vom 29. Mai 2009 - AK 8-10/09). Denn nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen gehörte der Angeschuldigte als Deutschlandverantwortlicher diesem engeren Funktionärskreis an.
9
Die erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und künftiger Taten in Deutschland, "die im Zusammenhang mit der terroristischen Vereinigung stehen, die sich innerhalb des Führungskaders der DHKP-C unter der Führung von Dursun KARATAS in der Türkei gebildet hat", hat das Bundesministerium der Justiz am 29. Juli 2003 erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 und 4 StGB). Dieser Zusammenhang ist hinsichtlich der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten unabhängig davon gegeben, wie der Umfang der Vereinigung materiell-rechtlich zu bestimmen ist.
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Der Strafbarkeit des Angeschuldigten steht nicht entgegen, dass er nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen seit spätestens Anfang des Jahres 2003 für eine Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst angeworben und verpflichtet wurde. Der Angeschuldigte hat auch vor diesem Hintergrund die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 129b, 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Sein Handeln könnte allenfalls in entsprechender Anwendung der für verdeckte Ermittler i.S.d. § 110a StPO und verdeckt operierende Polizeibeamte geltenden Grundsätze unter den engen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt sein (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 129 Rn. 37 mwN). Hierfür bestehen jedoch aufgrund der bisherigen Einlassung des Angeschuldigten und der sonstigen Ermittlungsergebnisse keine Anhaltspunkte.
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5. Da der Angeschuldigte der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Es ist aufgrund der in dem Haftbefehl näher dargelegten Umstände auch bei Berücksichtigung seiner langjährigen Mitarbeit beim Bundesnachrichtendienst nicht auszuschließen, dass er sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird.
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Mit Blick insbesondere auf die Kontakte, die der Angeschuldigte als langjähriges hochrangiges Mitglied einer international agierenden ausländischen terroristischen Vereinigung zu knüpfen in der Lage war, vermögen weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht die Erwartung zu begründen , dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann.
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6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Seit der Festnahme des Angeschuldigten wurden zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt. U. a. wurde der Angeschuldigte an insgesamt neun Terminen vernommen. Trotz des großen Umfangs der Ermittlungen ist die Anklage bereits erhoben worden.
14
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Angeschuldigten in dem Haftbefehl erhobenen Tatvorwürfen derzeit noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Umstand, dass der Angeklagte über einen langen Zeitraum als nachrichtendienstliche Quelle tätig war, darf jedoch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht aus dem Blick geraten. Dabei wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass dem Angeklagten gegebenenfalls kein Nachteil daraus erwachsen darf, dass der Bundesnachrichtendienst über die Behördenerklärung vom 14. Juli 2010 hinaus keine weiteren Angaben zu der Tätigkeit des Angeschuldigten machen und insbesondere die Führungsperson des Angeschuldigten als Zeuge im hiesigen Strafverfahren nicht zur Verfügung stehen wird (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 2004 - 3 StR 218/03, BGHSt 49, 112). Der Einfluss des Bundesnachrichtendienstes auf die Mitwirkung des Angeschuldigten in der DHKP-C wird sich gegebenenfalls - abhängig von der Art und Intensität - zu Gunsten des Angeschuldigten bei der Strafzumessung auszuwirken haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. November 1999 - 3 StR 435/99, BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 13; Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321; Beschluss vom 2. Dezember 1999 - 3 StR 479/99, NStZ 2000, 207; Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44). Mit Blick auf die nach derzeitigem Ermittlungsstand infolge des Einflusses des Bundesnachrichtendienstes auf das strafbare Verhalten des Angeschuldigten reduzierte Straferwartung und dem im Vergleich zur Anklageschrift deutlich geringeren Tatvorwurf in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wird das Oberlandesgericht indes zeitnah über die vom Generalbundesanwalt beantragte Erweiterung des Haftbefehls zu befinden haben. Becker von Lienen Schäfer

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.

(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.

(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
GG Art. 1; Art. 20 Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1;
BerlLBG § 27 Abs. 3
Zur Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen
Rechtsgüter bei der Beschränkung des Rechts auf umfassende
Verteidigung aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften.
BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 – 5 StR 383/06
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 5. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2007

beschlossen:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Januar 2006 werden nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat das Verfahren gegen die Angeklagten wegen eines Verfahrenshindernisses durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die – vertreten vom Generalbundesanwalt – die Aufhebung des Einstellungsurteils und Fortführung des Verfahrens erstrebt, sowie der Angeklagten, die ihre Freisprechung erreichen wollen, sind unzulässig.

I.


2
Mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage wurde den Angeklagten eine größere Zahl von Straftaten zur Last gelegt, die sie im Zeitraum von Juni 2001 bis zum 30. Juli 2004 im Zusammenhang mit ihrer bis Sommer 2003 andauernden Tätigkeit als Polizeibeamte bei der Berliner Polizei im Bereich der Fahndung, Aufklärung und Observation, insbesondere im Umgang mit Informanten bzw. bei der Führung von Vertrauenspersonen, begangen haben sollen.
3
Im Einzelnen handelt es sich um Tatvorwürfe der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einer Vielzahl von Fällen (alle Angeklagte), der versuchten Strafvereitelung im Amt (Angeklagter N. ), der Vorteilsannahme und der uneidlichen Falschaussage (Angeklagte N. und H. ) sowie des Meineides und der Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten (Angeklagter H.

).


II.


4
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte N. seit September 1999 in der Direktion 5 (FAO) der Berliner Polizei als Teamführer im Bereich der Führung von Vertrauenspersonen und Informanten eingesetzt. Seine Aufgabenstellung war die „Strukturerhellung“ von ethnischen Gruppen, insbesondere arabischen Großfamilien, im Bereich der Schwerstkriminalität. Der Angeklagte Hö. war seit 1999 im Team des Angeklagten N. mit der Führung von Informanten und Vertrauenspersonen betraut. Zur Tätigkeit des Angeklagten H. , der sich weder zu seinen persönlichen Verhältnissen noch zur Sache eingelassen hat, sind keine Feststellungen getroffen. Alle Angeklagten sind seit Sommer 2003 mit einem Verbot der Amtsausübung belegt.

III.


5
Der Verfahrenseinstellung ging nach den Feststellungen des Landgerichts folgendes Prozessgeschehen voraus:
6
1. Die Angeklagten N. und Hö. haben die gegen sie erhobenen Tatvorwürfe bestritten und durch ihre Verteidiger erklären lassen, sie sähen sich als Polizeibeamte wegen ihrer Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit daran gehindert, sich gegen die nicht zutreffenden und willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenen Anklagevorwürfe substantiiert zu verteidigen. Auch verbiete ihnen diese Pflicht, die Sach- und Rechtslage mit ihren Verteidigern zu erörtern. Insbesondere um Gesamtzusammenhänge und mögliche Interessen Dritter an ihrer Diskreditierung zu dokumentieren, seien Angaben zu Sachverhalten unabdingbar, die grundsätzlich der Geheimhaltung unterlägen. Dazu gehörten Kriminaltaktik – auch und gerade im Hinblick auf Einzelfälle –, Polizeiinterna wie der Aufbau der VP- und Informantenführung bei der Direktion 5 (FAO) und die spätere zentrale Organisation der VPFührung bei dem LKA 15 einschließlich der damit einhergehenden Kompetenzstreitigkeiten sowie nach dem 11. September 2001 geltende polizeiinterne Anweisungen und geheime dienstliche Vorschriften zur Führung von Quellen arabischer Herkunft.
7
2. Der Angeklagte N. hat beantragt, ihm eine „erweiterte“ Aussagegenehmigung zu erteilen, hilfsweise erst nach vorherigem Ausschluss der Öffentlichkeit und Verpflichtung der Prozessbeteiligten zur Verschwiegenheit. Auf diesen Antrag hin hat das Landgericht für die Dauer der von dem Angeklagten N. beabsichtigten Sacheinlassung und einer sich gegebenenfalls daran anschließenden Vernehmung zur Sache gemäß § 172 Nr. 1 GVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen, die Anfertigung von Mitschriften durch den Prozessbeobachter des Polizeipräsidenten untersagt (§ 175 Abs. 2 Satz 1 GVG) und alle nach Ausschluss der Öffentlichkeit anwesenden Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 174 Abs. 3 Satz 1 GVG).
8
3. Gleichwohl haben auf Anfragen von Verteidigern, Ersuchen des Strafkammervorsitzenden und schließlich eine Gegenvorstellung der Strafkammer , die den Hinweis auf ein andernfalls drohendes Prozesshindernis enthielt, der Polizeipräsident in Berlin und sodann auch die Senatsverwaltung für Inneres des Landes Berlin die Erteilung einer umfassenden Aussagegenehmigung an die Angeklagten für Angaben gegenüber dem Gericht und gegenüber ihren Verteidigern abgelehnt. Die Angeklagten könnten sich aufgrund ihnen erteilter eingeschränkter Aussagegenehmigungen zu allen Punkten der Anklage gegenüber dem Gericht und ihren Verteidigern äußern, soweit nicht bislang unbekannte Vertrauenspersonen oder Informanten oder geheimhaltungsbedürftige polizeiinterne Regelungen zu Kriminaltaktik und zur Führung von Vertrauenspersonen und Informanten betroffen seien. Die erteilten Aussagegenehmigungen umfassten sämtliche rechtlichen Grundlagen der Inanspruchnahme von Informanten und des Einsatzes von Vertrauenspersonen mit Ausnahme als Verschlusssache eingestufter polizeiinterner Geschäftsanweisungen. Für den Fall, dass sich bestimmte Regelungen hierin doch als verteidigungsrelevant erweisen sollten, bestehe die Möglichkeit, zu konkreten Fragen eine erweiterte Aussagegenehmigung zu erhalten. Auch könne ein als sachverständiger Zeuge benannter Mitarbeiter der Polizei zu diesen Angelegenheiten befragt werden. Da das vorliegende Verfahren wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln untrennbar mit der organisierten Betäubungsmittelszene der Region verbunden sei, komme indes eine umfassende Aussagegenehmigung nicht in Betracht. Die Belange der umfassenden gerichtlichen Wahrheitsfindung müssten in einem solchen Deliktsfeld zurückstehen, soweit dies der Einsatz der besonderen Ermittlungsmethoden des Einsatzes von Vertrauenspersonen und Informanten unbedingt erfordere. Denn diese Ermittlungsmethoden seien unverzichtbar und dürften nicht auf Dauer vereitelt werden.

IV.


9
Das Landgericht hat das Strafverfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der Begründung eingestellt, dass das Grundrecht der Angeklagten auf umfassende Verteidigung der Fortführung des Verfahrens entgegenstehe. Denn der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch der Angeklagten aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 MRK auf ein faires , rechtsstaatliches Verfahren sei durch die Versagung der unbeschränkten Aussagegenehmigungen durch die Senatsverwaltung für Inneres im Kernbe- reich tangiert. Dem könne hier nur durch die Annahme eines Verfahrenshindernisses von Verfassungs wegen Rechnung getragen werden.
10
1. Zwar dürfe das Recht auf Verteidigung, dem Verfassungsrang zukomme , dann eingeschränkt werden, wenn es nur in seinem Randbereich betroffen werde. Eine Beschränkung der Aussagegenehmigung, die das Recht auf Verteidigung in seinem Wesensgehalt antaste, könne dagegen nicht hingenommen werden. Der Inhalt und die Auslegung polizeiinterner Regelwerke beträfen hier den Schuldvorwurf gegen die Angeklagten im Kern und ließen allein die Beantwortung zentraler Fragestellungen zu. Den angeklagten Amtsträgern sei nicht zuzumuten, ihre Einlassung Satz für Satz danach abzutasten, ob sie im Einzelnen fremde Rechte verletzen könnte; sie müssten ihren Vortrag frei und im Zusammenhang halten und relevante Tatsachen mitteilen können. Ihnen sei auch nicht zuzumuten, das Risiko disziplinar - und strafrechtlicher Vorwürfe auf sich zu nehmen, wenn sie ohne eine umfassend erteilte Aussagegenehmigung Sachverhalte offenbarten, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen. Zudem sei es in Ansehung des verfassungsrechtlichen Stellenwerts des Äußerungsrechts der Angeklagten nicht hinzunehmen, dass diese vor der Beratung mit ihren Verteidigern mit der Senatsverwaltung für Inneres oder mit der Polizei Rücksprache zu nehmen hätten. Dies stelle eine externe Steuerung des Strafprozesses durch die Exekutive dar, die dem Rechtsstaat fremd sei. Auch würden den Angeklagten schwere Straftaten vorgeworfen, so dass ihnen Freiheitsstrafen sowie der Verlust ihres Amtes und ihrer beruflichen Reputation drohten.
11
2. Zwar würden die durch eine verweigerte Aussagegenehmigung eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten regelmäßig ein ausreichendes Regulativ durch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO und das Prinzip „im Zweifel für den Angeklagten“ erfahren. Dies gelte jedoch nur dann, wenn sich das Strafverfahren trotz der Verkürzung der Beweisgrundlage in seiner Gesamtheit als rechtsstaatlich und fair erweise. Das sei hier jedoch nicht mehr der Fall.

V.


12
Die gegen die Verfahrenseinstellung durch Urteil gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind als unzulässig zu verwerfen, weil die allein erhobene Verfahrensrüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.
13
1. Zur Begründung der Verfahrensrüge ist der Beschwerdeführer verpflichtet , „die den Mangel enthaltenden Tatsachen“ anzugeben. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit und so genau und vollständig zu geschehen, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7). Daran fehlt es hier.
14
a) Die Staatsanwaltschaft beanstandet allein, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Vernehmung von drei Polizeibeamten als Zeugen mit Unrecht als aus rechtlichen Gründen ohne Bedeutung (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) abgelehnt. Sie ist der Auffassung, die Strafkammer hätte die beantragte Beweiserhebung vornehmen müssen, da sich hieraus ergeben hätte, dass das vom Landgericht angenommene Prozesshindernis nicht bestanden habe.
15
b) Der Senat kann hier nicht allein aufgrund der Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen wahr wären. Denn die Staatsanwaltschaft hat an mehreren Stellen zur Darlegung des von ihr geltend gemachten Verfahrensfehlers auf bei den Akten befindliche Schriftstücke Bezug genommen, ohne diese in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Revisionsrechtfertigungsschrift mitzuteilen (vgl. BGHSt 40, 3, 5; BGH NStZ-RR 2006, 48, 49; BGH, Beschluss vom 30. September 2003 – 4 StR 315/03 – und vom 1. Juni 2006 – 4 StR 75/06, insoweit in NStZ-RR 2007, 107 nicht abgedruckt). Der Umstand, dass die Bezugnahme unter Benennung der Blattzahlen in den Strafakten erfolgt ist, ändert hieran nichts (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 48, 49).
16
Zwar steht eine Bezugnahme auf Aktenteile der Zulässigkeit einer Verfahrensrüge dann nicht entgegen, wenn die Bezugnahme ohne Bedeutung für den geltend gemachten Verfahrensverstoß ist (vgl. BGHSt 40, 3, 5). So verhält es sich hier indes nicht. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft erkennbar deswegen mehrfach auf die in den Strafakten befindliche, in der Revisionsrechtfertigungsschrift aber nicht mitgeteilte schriftliche Einlassung des Angeklagten N. Bezug genommen, um die nach ihrer Ansicht bestehende tatsächliche oder rechtliche Bedeutsamkeit bestimmter Umstände für die Frage zu untermauern, ob – entgegen der Annahme des Landgerichts bei Ablehnung des Beweisantrags – die Voraussetzungen für ein Verfahrenshindernis durch die begehrte Beweisaufnahme zu widerlegen sind. Insgesamt will die Staatsanwaltschaft mit ihren Bezugnahmen die Richtigkeit ihrer Auffassung belegen, „dass der Zusammenhang zwischen den in Rede stehenden Straftaten und den internen Regelungen über die Arbeit mit Quellen fehl(e)“ (Revisionsbegründungsschrift S. 30). Dafür war die vollständige Mitteilung der in Bezug genommenen Aktenstellen unverzichtbar.
17
2. Die Sachrüge ist nicht erhoben worden. Zwar genügt es, wenn sich aus den Einzelausführungen die den Inhalt der Sachrüge ausmachende schlüssige Behauptung ergibt, dass auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt materielles Recht falsch angewendet worden sei (BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 1 Revisionsbegründung 2). Dies ist hier indes nicht der Fall. Vielmehr rügt die Staatsanwaltschaft ausdrücklich nur die Verletzung formellen Rechts und macht lediglich geltend, das Landgericht wäre auf der Grundlage des von ihr gestellten Beweisantrags zu anderen Feststellungen gelangt , die die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht gerechtfertigt hätten. Hätte die Staatsanwaltschaft neben ihrer Verfahrensbeanstandung auch die Sachrüge erheben wollen, hätte sie diese Angriffsrichtung eindeutig zum Ausdruck bringen müssen (vgl. BGH NStE Nr. 9 zu § 344 StPO; vgl. auch zu unklarem Anfechtungsziel BGH NJW 2003, 839 und BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03).
18
3. Die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge führt bei Fehlen der Sachrüge zur Unzulässigkeit der Revision insgesamt (BGH NJW 1995, 2047; BGH, Beschluss vom 22. November 2005 – 1 StR 432/05 – und vom 17. Oktober 2000 – 1 StR 413/00). Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind daher gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Der Senat ist somit an der Prüfung gehindert, ob die Strafkammer zu Recht von einem Verfahrenshindernis ausgegangen ist.

VI.


19
Auch die Revisionen der Angeklagten sind, wie insoweit vom Generalbundesanwalt zutreffend beantragt, unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO). Die Angeklagten sind durch die Einstellung des Verfahrens durch Prozessurteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO nicht beschwert. Eine Beschwer wird durch ein das Verfahren einstellendes Urteil regelmäßig nicht bewirkt (vgl. BGHSt 23, 257, 259; vgl. auch BGHR StPO § 333 Beschwer 2 betreffend Nebenentscheidungen

).


20
Wollte man aus einer verminderten Rechtskraftwirkung – Verfahrenseinstellung durch Prozessurteil wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 260 Rdn. 48) – eine Beschwer der Angeklagten herleiten, wären die Revisionen aus den vom Generalbundesanwalt für die Unzulässigkeit angeführten Gründen – nach einstimmiger Auffassung des Senats – offensichtlich unbegründet. Ein Fall, in dem der Freispruch Vorrang vor der Einstellung des Verfahrens hat, liegt nicht vor. Der Sachverhalt ist infolge des angenommenen Verfahrenshindernisses gerade nicht abschließend im Sinne eines Freispruchs geklärt worden (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 44 m.w.N.).

VII.


21
Der Senat weist auf Folgendes hin:
22
1. Ungeachtet nicht eingetretenen Strafklageverbrauchs bewirkt die materielle Rechtskraft der Verfahrenseinstellung, dass die Angeklagten nicht verfolgt werden dürfen, solange sich die Umstände, die nach Auffassung des Landgerichts zur Annahme des Verfahrenshindernisses geführt haben, nicht verändert haben (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 142 ff., 172).
23
Hierfür bedürfte es der Erteilung noch weitergehender Aussagegenehmigungen für die Angeklagten gegenüber ihren Verteidigern und gegenüber dem Gericht. Für diesen Fall müsste das Gericht dann gegebenenfalls zur Wahrung staatlicher Geheimhaltungsinteressen die in der bisherigen Hauptverhandlung vorgesehenen Maßnahmen treffen (vgl. zum strafrechtlichen Schutz § 353d StGB). Die Verteidiger wären an einer Offenbarung des ihnen von ihren Mandanten Anvertrauten durch ihre berufliche Verschwiegenheitspflicht gehindert (vgl. zum strafrechtlichen Schutz § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB), von der die Angeklagten, soweit deren amtliche Verschwiegenheitspflicht reicht, sie nicht entbinden dürften (vgl. auch § 353b StGB).
24
2. Für die Beurteilung von Fällen der hier vorliegenden Art gilt allgemein Folgendes:
25
a) Die Einschränkung der einem Angeklagten erteilten Aussagegenehmigung aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften kann das Recht auf umfassende Verteidigung mehr oder weniger beeinträchtigen. Wie der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für seine strafrechtliche Verurteilung zu liefern, hat dieses Recht Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 56, 37, 49). Es gehört zu den fundamentalen Attributen menschlicher Würde und zu den grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats. Eine Beschränkung der Aussagegenehmigung, die das Recht auf Verteidigung in seinem Wesensgehalt antastet, kann als Verstoß gegen die Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen nicht hingenommen werden. Sie träfe einen obersten in seiner Substanz nicht zur Disposition stehenden Wert (vgl. BGHSt 36, 44, 48 m.w.N.). Daraus folgt, dass ein Strafverfahren nicht durchgeführt werden darf, wenn staatliche Geheimhaltungsinteressen von großem Gewicht nicht anders als durch die Beschneidung wesentlicher Verteidigungsmöglichkeiten gewahrt werden können. Die aufgrund dieser Alternative vom Tatgericht geforderte prospektive Betrachtung wird sich vor allem an dem bestehenden oder fehlenden argumentativen Zusammenhang zwischen der von der Aussagebeschränkung betroffenen Thematik und dem historischen Geschehen, das Gegenstand der Kognition ist, orientieren müssen (BGH aaO).
26
Dort, wo das Recht auf Verteidigung nur in seinem Randbereich betroffen wird, darf es indes eingeschränkt werden, wenn seine uneingeschränkte Ausübung die Wahrnehmung sehr gewichtiger, verfassungsmäßig legitimierter Aufgaben, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen, unmöglich machen oder erschweren könnte (vgl. BGHSt 36, 44, 48 f.). Hierzu gehört auch der Einsatz von Vertrauenspersonen zur Aufklärung von Bandenstrukturen im Bereich des Handels mit Betäubungsmitteln (vgl. BVerfGE 57, 250, 284). Erforderlich ist aber stets eine sorgfältige Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter unter Berücksichtigung des gesamten konkreten Sachverhalts (vgl. BVerwGE 66, 39, 44). Denn das Staatswohl und die Wahrung der öffentlichen Belange erfordern es, sowohl die Grundrechte Einzelner zu schützen und niemanden einer ungerechtfertigten Verurteilung auszuliefern als auch den Strafanspruch des Staates durchzusetzen (BVerfG aaO). Dabei darf nicht aus dem Blick geraten , dass die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten ein wesentlicher Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 109, 279, 336; 107, 299, 316; 100, 313, 389; 80, 367, 375; 77, 65, 76).
27
Die Pflicht zur Abwägung trifft auch und in erster Linie die Behörde, deren Erklärung oder Entscheidung zu einer Einschränkung des Rechts des Angeklagten auf umfassende Verteidigung führt. Sie hat nicht nur die von ihr wahrzunehmenden Aufgaben zu beachten, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen, sondern muss auch dem hohen Rang des Verteidigungsinteresses Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 57, 250, 283 f.). Diesen Anforderungen genügt § 27 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes (Berlin), der die Versagung der Aussagegenehmigung für beschuldigte Beamte nur in ganz engen Grenzen zulässt. Danach darf einem Beschuldigten die Genehmigung, in einem gerichtlichen Verfahren auszusagen, nur dann versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde und wenn die dienstlichen Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Aus diesem Grund müssen Staatsanwaltschaft und Tatgericht durch entsprechende Anträge an den Dienstherrn der Angeklagten und vorgesetzte Behörden sowie gegebenenfalls mit Gegenvorstellungen darauf hinwirken, dass die für eine umfassende Verteidigung erforderlichen Aussagegenehmigungen erteilt werden.
28
Bleibt solches erfolglos, kommt eine Klage des Angeklagten gegen den Dienstherrn im Verwaltungsrechtsweg auf Erteilung der Aussagegenehmigung in Betracht, wenn der Dienstherr auch auf die Gegenvorstellung des Gerichts hin die beantragte Aussagegenehmigung nicht erteilt. Um dem zur Klage bereiten Angeklagten hierzu Gelegenheit zu geben, kann im Einzelfall auch die Aussetzung des Strafverfahrens in Betracht kommen (vgl. dazu Senge in KK-StPO 5. Aufl. § 54 Rdn. 20 f.). Ob gegebenenfalls in solchen Fällen die Justizorgane als klagebefugt anzusehen wären (abl. Beulke, Strafprozessrecht 9. Aufl. Rdn. 190 sowie Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 96 Rdn. 4 und HK-Lemke, StPO 3. Aufl. § 96 Rdn. 16; abw. Ellbogen NStZ 2007, 310), ob sogar ein verteidigungs- und einlassungswilliger Angeklagter zu einer solchen Klage zu veranlassen wäre, erscheint höchst problematisch.
29
Jedenfalls gilt, dass eine Verweigerung der Aussagegenehmigung, wenn der Kernbereich der Verteidigung betroffen ist, angesichts auch strafrechtlicher Absicherungsmöglichkeiten gegen unbefugte Offenbarungen nur bei überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern in Betracht käme, so bei einer erheblichen Lebens- oder Gesundheitsgefährdung von Personen, etwa auch Vertrauensleuten der Ermittlungsbehörden. Halten Gericht und Staatsanwaltschaft die Versagung der Aussagegenehmigung für rechtswidrig, haben sie nach Ausschöpfung aller sonstigen Möglichkeiten zur Herbeiführung einer abweichenden Entscheidung die oberste Justizbehörde mit dem Ziel einzuschalten, an die oberste Innenbehörde eine Gegenvorstellung zu richten. Die oberste Justizbehörde wird nach dem Grundsatz, dass über Sperrungen , die eine ordnungsgemäße Durchführung von Strafverfahren gefährden , an höchster Stelle zu entscheiden ist (vgl. BVerfGE 57, 250, 289), bei fortdauernder Weigerung der Innenbehörde eine Entscheidung der Landesregierung durch Kabinettsbeschluss herbeizuführen haben.
30
Eine Einstellung des Strafverfahrens kommt jedenfalls vor Ausschöpfung dieser Möglichkeiten nicht in Betracht. Der Senat braucht nicht zu entscheiden , ob für den Fall, dass tatsächlich einmal überragend wichtige Gemeinschaftsgüter der skizzierten Qualität im Widerstreit zur unerlässlich gebotenen Durchführung eines Strafverfahrens stehen sollten, der Angeklagte eine schwer wiegende Einschränkung seiner Verteidigungsmöglichkeiten hinnehmen müsste und ihm als Schutz nur das Gebot zu außerordentlich zurückhaltender belastender Beweiswürdigung verbliebe (vgl. BGHSt 49, 112). Von einer derartigen Extremsituation ist das vorliegende Verfahren sowohl nach der Bedeutung der Tatvorwürfe als auch nach den in Frage stehenden Geheimhaltungsbelangen weit entfernt.
31
b) Zunächst hat der Tatrichter, wenn einem Angeklagten – wie auch im vorliegenden Fall – mehrere Straftaten zur Last liegen, die sich in Art und Schwere oder hinsichtlich der Beweislage unterscheiden, regelmäßig für jeden Tatvorwurf gesondert zu prüfen, ob die Versagung der Aussagegeneh- migung den Kernbereich oder lediglich den Randbereich des Rechts auf umfassende Verteidigung betrifft. Dasselbe gilt – wenn lediglich der Randbereich betroffen ist – für die gebotene Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter.
32
Vorliegend erscheint der pauschale Ansatz des Landgerichts, der nicht nach einzelnen Tatvorwürfen differenziert, zweifelhaft, weil es für die einzelnen Straftaten den bestehenden oder fehlenden argumentativen Zusammenhang zwischen der von der Aussagebeschränkung betroffenen Thematik und dem Tatvorwurf (vgl. BGHSt 36, 44, 48) nicht näher in den Blick nimmt. Besonders schwer nachvollziehbar ist, aus welchem Grund hier polizeiinterne Richtlinien für die Verteidigung gegen den Tatvorwurf der Anstiftung zur Manipulation eines privaten Premiere-Decoders von Bedeutung sein sollen. Jenseits davon liegt es zwar fern, dass polizeiinterne Dienstanweisungen einen Verstoß gegen die Strafgesetze und die Strafprozessordnung erlauben könnten. Gleichwohl erscheint es bei den übrigen gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfen jedenfalls im Ansatz nicht ausgeschlossen, dass der Kernbereich der Verteidigung betroffen sein könnte. Im Bereich von Betäubungsmitteldelikten – wie auch bei Strafvereitelung – ist zum wirkungsvollen Einsatz von Vertrauensleuten die Annahme eines weiten Handlungsspielraumes nicht undenkbar, wonach ein unmittelbar deliktisch anmutendes Verhalten in Ermangelung der tatbestandlich verlangten Zielsetzung – u. a. Betäubungsmittelumsatz – als nicht strafbar bewertet werden könnte. Bei Aus- sagedelikten kämen problematische Kollisionen zwischen der Verpflichtung zu vollständiger Aussage und Verschwiegenheitspflichten, bei Amtsdelikten relevante dienstliche Genehmigungen in Betracht.
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger