Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 559/18
vom
24. Januar 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:240119B5STR559.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 27. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Dessen gegen das Urteil gerichtete Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
3
a) Tat 1:
4
Im November 2017 entzündete der aus Zentralafrika stammende Beschuldigte in seinem Zimmer in einer Asylbewerberunterkunft einen Koffer mit Kleidung und Papieren sowie das von ihm getragene T-Shirt. Er nahm zumindest billigend in Kauf, dass sich das Feuer auf das Zimmer ausbreiten und die Rauch- und Rußgase gesundheitliche Beeinträchtigungen der rund 150 Bewohner verursachen könnten. Sicherheitsbedienstete löschten den Brand. Der Beschuldigte hatte bei deren Eintreffen apathisch im Zimmer gestanden und etwas gemurmelt. Er stieg auf die Heizung und wollte nach dem Eindruck der Bediensteten aus dem Fenster springen, was diese verhinderten.
5
b) Tat 2:
6
Anfang Dezember 2017 schloss sich der Beschuldigte in seinem Zimmer in einer anderen Asylbewerberunterkunft ein und entzündete die Sitzfläche eines Stuhls sowie die Bettmatratze. Das Bett verbrannte bis auf das Metallgestell , der Stuhl wurde zerstört. Die hinzukommenden Bediensteten fragte der Beschuldigte, was sie hier wollten, und ging nicht beiseite. Ein Bediensteter besprühte ihn deshalb mit dem Feuerlöscher. Der Beschuldigte steckte sich eine Zigarette an und ging in die 2. Etage. Er bezeichnete Bedienstete als „Arschlöcher“ , die ihn in Ruhe lassen sollten.Später wurde er aufgrund einer Kohlenmonoxidvergiftung bewusstlos in der 2. Etage gefunden und ins Krankenhaus verbracht. Während der Fahrt war er apathisch, reagierte kaum auf Ansprache und murmelte Unverständliches. Im Krankenhaus machte er einen verwirrten Eindruck. Er behauptete, dass ihm etwas durch die Haare laufe. Dann sprang er plötzlich auf, tanzte auf dem Bett und rief „heute Disko“ und „heute bin ich glücklich“. Dem Arzt sagte er, dass er Hunde, Katzen und Löwen essen und mit der Straßenbahn nach China fahren wolle. Er versuchte, sich Kaffee über den Kopf zu schütten.
7
Am Gebäude entstand ein Sachschaden von 40.748,31 €. Der Wohn- raum des Beschuldigten war zur Zeit der Urteilsverkündung nicht wieder bewohnbar.
8
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Beschuldigte bei den Taten wegen einer paranoiden Schizophrenie nicht in der Lage gewesen sei, „das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Aufgrund des Defekts sei von einer Aufhebung der Steue- rungsfähigkeit auszugehen. Der Beschuldigte habe es offensichtlich nicht ver- mocht, „die Ereignisse am 06.11.2017 und 01.12.2017 sachgerecht zu erfassen und in adäquater Weise zu reagieren“. Die Taten seien Ausfluss seiner krank- heitsbedingten Angst vor jungen Männern, die ihm das Jugendamt zu dem Zweck geschickt habe, mit ihm „Sex zu machen“.
9
3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bereits das Vorliegen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie ist nicht hinreichend belegt.
10
a) Die beweiswürdigenden Ausführungen der Strafkammer zum Vorhandensein von Wahnsymptomen begegnen auch eingedenk des insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs durchgreifenden Rechtsbedenken.
11
aa) Zu Tat 2 hatte der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren angegeben, er habe eine Flasche Wodka getrunken und dann „den Kopf verloren“. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hat er bekundet, dass vor der Tat ein Deutscher und ein Araber gekommen seien, die „mit ihm Sex machen“ wollten. Eine Würdi- gung des Wechsels des Einlassungsverhaltens in diesem nach Auffassung des Landgerichts zentralen Punkt lässt das angefochtene Urteil vermissen. Eine solche wäre jedoch umso mehr geboten gewesen, als beim Beschuldigten nach den Taten weder eine Blut- noch eine Atemalkoholkontrolle durchgeführt worden ist. Dass der Polizeibeamte nach Tat 2 keinen Alkoholgeruch im Atem des Beschuldigten wahrgenommen hat, ist dabei kein sicheres Beweisanzeichen für eine nicht vorhandene Alkoholintoxikation. Denn das Fehlen einer „Alkoholfah- ne“ kann gerade bei Konsum von Wodka durch dessen geringen Eigengeruch bedingt sein (vgl. Dettmeyer/Schütz/Verhoff Rechtsmedizin, 2. Aufl., S. 167; siehe auch LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316 Rn. 122). Die Beweiswürdigung ist deshalb lückenhaft (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6; vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88; BGH, Urteil vom 21. November 2017 – 1 StR 261/17 Rn.

26).


12
bb) Der Senat versteht die Urteilsgründe ferner dahin, dass der Beschuldigte den nach Tat 1 hinzukommenden Polizeibeamten erklärt hat, er habe sich umbringen wollen, weil „er den Kopf verloren“ habe. In der Hauptverhandlung hat er geäußert, zuvor viel Alkohol getrunken zu haben. Es versteht sich danach nicht von selbst, dass er durch die Tat versucht haben könnte, seiner „ihn überflutenden Angst“ vor jungen Männern mit selbst- undfremdgefährdendem Verhalten zu begegnen.
13
b) Das Landgericht setzt sich darüber hinaus unzureichend mit dem Umstand auseinander, dass nach den Erzählungen des Beschuldigten bis zu seinem Eintreffen in Deutschland keinerlei Wahngedanken bei ihm aufgetreten sind. Die vom Sachverständigen hierfür gegebene und von der Strafkammer übernommene Begründung, dass „Psychosen üblicherweisenicht in Kriegsgebieten bei bestehendem Krieg ausbrechen, sondern erst zu einem Zeitpunkt, in dem sich die äußere Situation entspannt“ habe, vermag der Senat ohne nähere Erläuterungen nicht nachzuvollziehen.
14
c) Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte nach den Bekundungen der behandelnden Ärzte während der seit 6. Dezember 2017 andauernden einstweiligen Unterbringung völlig unauffällig verhalten hat, weswegen ihn diese als ungefährlich einstuften. Angesichts dessen hätte sich das Landgericht im Einzelnen mit dem Verlauf der einstweiligen Unterbringung und den in diesem Rahmen gewonnenen Erkenntnissen der behandelnden Ärzte auseinandersetzen müssen. Daran fehlt es. Der in den Urteilsgründen enthaltene bloße Hinweis auf die geschützte Umgebung und eine – im Urteil nicht näher beschriebene – Medikamentengabe genügen nicht, um den angesichts der Diagnose einer schweren Psychose ungewöhnlichen Befund zu erklären.
15
4. Die Sache bedarf nach alledem – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
16
5. Für die neue Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen:
17
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB und des § 63 StGB regelmäßig nicht offen bleiben , ob – wozu sich das angefochtene Urteil nicht eindeutig bzw. widersprüchlich verhält – ein Defekt die Unrechtseinsicht oder die Steuerungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt hat (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 356 ff.; vom 2. August 2016 – 2 StR 574/15, jeweils mwN).
18
b) Die vom Landgericht als wesentlich gewichteten mehrfachen Aussagen des Beschuldigten, er könne durch den Verzehr bestimmter Tiere (Löwen, Hunden oder Katzen) schneller und kräftiger werden, sind normalpsychologisch erklärbar und stellen deswegen kein aussagekräftiges Beweisanzeichen für eine Wahnsymptomatik dar.
19
c) Nach den bisherigen Feststellungen zu Tat 2 hat der Beschuldigte nur hinsichtlich des von ihm bewohnten Raums eine längere Unbewohnbarkeit herbeigeführt. Das Merkmal einer wenigstens partiellen Zerstörung eines Gebäudes gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB wäre danach entgegen dem im angefochtenen Urteil eingenommenen Standpunkt nicht erfüllt; jedoch wäre eine versuchte schwere Brandstiftung zu prüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli

2009

3 StR 276/09, NStZ 2010, 151, 152; vom 5. September 2017 – 3 StR 362/17 Rn. 27 f.).
20
Denselben unzutreffenden rechtlichen Maßstab hat das Landgericht bei Tat 1 angelegt. Der (bedingte) Vorsatz des Beschuldigten bezog sich ausweislich der Urteilsgründe lediglich auf eine Zerstörung seines Zimmers, was aus den genannten Gründen für die Annahme einer versuchten schweren Brandstiftung am Gebäude nicht ausreichen würde. Der Senat schließt aber nicht aus, dass insofern noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Versuchsstrafbarkeit ergeben.
21
d) Das neue Tatgericht wird für Tat 2 gegebenenfalls weitere Feststellungen zu der im angefochtenen Urteil ohne nähere Begründung angenommenen konkreten gesundheitlichen Gefährdung der anderen Bewohner der Unterkunft im Sinne von § 306a Abs. 2 StGB zu treffen haben. VRiBGH Dr. Mutzbauer ist Sander König urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Sander RiBGH Prof. Dr. Mosbacher Köhler ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Sander

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2019 - 5 StR 559/18 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 306a Schwere Brandstiftung


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,2. eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder3.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 270/03
vom
6. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 10. März 2003 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II 5 der Urteilsgründe,
b) im Gesamtstrafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (Fall II 5 der Urteilsgründe) und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen (Fälle II 1 bis 4 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung der Strafe aus einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; außerdem hat es eine Maßregelanordnung nach § 69 a StGB und eine Verfallsanordnung nach § 73 StGB getroffen sowie die sichergestellten Betäubungsmittel eingezogen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sie wendet sich gegen den Schuldspruch im Fall II 5 der Urteilsgründe und erstrebt insoweit eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jedenfalls aber wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; außerdem richtet sich der Revisionsangriff gegen den Strafausspruch und die Strafaussetzung zur Bewährung. Das vom Generalbundesanwalt nur zum Teil vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die erhobene Verfahrensbeschwerde bedarf es daher nicht.
1. Der Schuldspruch im Fall II 5 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen hatte sich der Angeklagte gegenüber dem in den Niederlanden tätigen Drogenhändler "Chris" bereit erklärt, Drogenkurierfahrten zu Abnehmern in Deutschland, vornehmlich in Hannover, Hamburg und Berlin, durchzuführen. Für jede Fahrt sollte er unabhängig von der zu transportierenden Rauschgiftmenge 1.000 Euro erhalten. Entsprechend dieser Abrede übernahm der Angeklagte am 7. Mai 2002 von einem Beauftragten des "Chris" - möglicherweise bereits in Deutschland - 24,891 kg Haschisch und 9,933 kg Marihuana, um es unter anderem nach Hannover zu bringen. Nach der Übernahme fuhr der Angeklagte, der - wie er wußte - nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, mit seinem Kraftfahrzeug zunächst nach Steinfurt. Gegen 22.45 Uhr wurde er von einer zivilen Polizeistreife , die in der Nähe seines Hauses auf ihn gewartet hatte, bemerkt und
nach einer Verfolgungsfahrt festgenommen. Die ihm um 23.58 Uhr entnommene Blutprobe wies Cocainmetabolite auf, da der Angeklagte etwa drei Stunden vor seiner Festnahme in den Niederlanden Kokain konsumiert hatte.

b) Mit Recht beanstandet die Revisionsführerin, daß das Landgericht den Angeklagten nur wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt hat.
Dieser Schuldspruch ist auf die Sachrüge aufzuheben, weil die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils in Bezug auf eine mögliche Einfuhr der Betäubungsmittel lückenhaft ist.
Die Strafkammer hat den Angeklagten nicht wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt, weil sie ihren Feststellungen die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung zugrundegelegt hat, die von denjenigen bei der polizeilichen Vernehmung nach seiner Festnahme abweichen. Damals hatte er - unter detaillierter Schilderung des Geschehensablaufs - angegeben, die in seinem Fahrzeug sichergestellten Betäubungsmittel in der Nähe von Enschede übernommen und nach Deutschland transportiert zu haben, und zwar aufgrund einer Vereinbarung mit einem Türken namens "G. ", den er in den Niederlanden kennengelernt habe. In der Hauptverhandlung hat er dagegen behauptet, die Betäubungsmittel nicht aus den Niederlanden eingeführt, sondern sie erst in Deutschland übernommen zu haben, um sie für seinen Auftraggeber, den niederländischen Drogenhändler "Chris", unter anderem nach Hannover zu bringen. Die Strafkammer hat diese Darstellung für "möglich" gehalten, weil der Angeklagte im Laufe des Ermitt-
lungsverfahrens durch Vermittlung seines Verteidigers an die Polizei herangetreten und umfangreiche Angaben zu seinem Auftraggeber "Chris" gemacht hat, die sich als zutreffend erwiesen haben.
An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6 m.w.N.). Eine solche Würdigung des Wechsels der Einlassung lassen die Urteilsgründe vermissen. Auch wenn der Angeklagte bei der ersten polizeilichen Vernehmung seinen wahren Auftraggeber "Chris" noch nicht nennen wollte, bestand keine Veranlassung, unrichtige Angaben zum Übernahmeort zu machen. Zudem hätte sich das Landgericht in den Urteilsgründen damit auseinandersetzen müssen, daß sich der Angeklagte nach den Feststellungen drei Stunden vor seiner Festnahme, die in der Umgebung von Steinfurt erfolgte, in den Niederlanden aufgehalten hatte. Da das Landgericht nicht mitteilt, ob und gegebenenfalls in welcher Weise der Angeklagte diesen Aufenthalt, der nach seiner Einlassung in der Hauptverhandlung nicht der Übernahme der Betäubungsmittel gedient hatte, erklärt hat, vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob das Landgericht die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannt hat.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II 5 der Urteilsgründe führt zum Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafe von einem Jahr und zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Erfolgt keine Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wird der Tatrichter aufgrund wertender Betrachtung zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als Täter oder Gehilfe schuldig gemacht hat (vgl. dazu BGHSt 34, 124, 125; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 54, 57 m.w.N.). Im Falle eines Schuldspruchs wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kommt auch eine tateinheitliche Verurteilung wegen (täterschaftlichen) unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht ; gegenüber täterschaftlichem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tritt der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dagegen als Auffangtatbestand zurück (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 47 und § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Besitz 1). Sollte der Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt werden, kann tateinheitlich unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (als Täter oder Gehilfe) vorliegen. Der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge tritt dagegen gegenüber der unerlaubten Einfuhr dieser Betäubungsmittel zurück (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 332; vgl. auch Körner BtMG 5. Aufl. § 29 a Rdn. 158). !#" $&% ' ( ) * + , - Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 261/17
vom
21. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:211117U1STR261.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Bellay und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Cirener, Dr. Fischer,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 21. November 2016 werden verworfen. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft einschließlich sämtlicher im Revisionsverfahren entstandener gerichtlicher Auslagen und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revision des Nebenklägers rügt die Verletzung materiellen Rechts. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 29. Januar 2016 gegen 21.40 Uhr nacheinander die Geschädigte H. und den Nebenkläger mit einem etwa 30 cm langen „Outdoor-Beil“ mit einer scharfen, spitz zulaufenden Klinge mit einer Länge von etwa 11 cm vorsätzlich verletzt zu haben.
3
Der erheblich alkoholisierte Angeklagte habe sich zunächst zur Wohnung der Geschädigten H. begeben, um eine Geldforderung von 50 Euro einzutreiben. Ihm sei jedoch nicht geöffnet worden. Als H. wenig später zum Zigarettenholen die Wohnung verlassen habe, sei ihr der Angeklagte in einem schmalen Verbindungsweg plötzlich und überraschend gegenübergetre- ten und habe sie angeschrien „ich mach dich weg“. Er habe sie am Arm ge- packt und gegen eine Wand gedrückt. Dann habe er mit dem Beil vor H. herumgefuchtelt, die ihre Hände schützend vor ihren Körper gehalten habe , und ihr dabei eine einen Zentimeter lange Schnittwunde zwischen dem zweiten und dritten Finger der rechten Hand zugefügt. Aufgrund der Hilfeschreie von H. sei der Nebenkläger hinzugeeilt und habe versucht, den Angeklagten wegzustoßen oder wegzuziehen. Der Angeklagte habe daraufhin mit dem Handbeil ausgeholt und habe von oben herab in Richtung des Kopfes des Nebenklägers geschlagen. Dabei habe er den Nebenkläger, der den Schlag abfangen wollte, erheblich an der linken Hand verletzt, so dass diese operativ habe versorgt werden müssen.

II.

4
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Bei dem vielfach vorbestraften Angeklagten bestehen mehrere psychopathologische Krankheitsbilder, nämlich eine ausgeprägte Polytoxikomanie und eine hirnorganische Wesensveränderung aufgrund durch exzessiven Alkoholkonsums hervorgerufenen Nervenzelluntergangs im Gehirn, begleitet von einer intellektuellen Minderbegabung. Die Störungen wirken sich dabei insbesondere so aus, dass der Angeklagte wichtige und unwichtige Dinge vermischt, völlig unreflektiert und im Übermaß Alkohol und Drogen konsumiert sowie persönlichkeitsbedingt eine hohe Kritiklosigkeit, Verführbarkeit, Unorganisiertheit, Impulshaftigkeit sowie fehlende Selbstkritik und fehlende Eigenreflexion zeigt. Aufgrund der psychopathologischen Krankheitsbilder und der intellektuellen Minderbegabung ist der Angeklagte zu kreativen Lügen nicht in der Lage. Eine erhöhte Aggressivität ist beim Angeklagten nicht vorhanden.
6
2. Am Abend des 29. Januar 2016 begab sich der Angeklagte in ein Wäldchen am Stadtrand von F. , um dort mit einem von ihm um den Hals hängend mitgeführten 30 cm langen „Outdoor-Beil“ mit einer etwa 11 cm langen scharfen Klinge und einem Gewicht von wenigen 100 Gramm Wurzeln auszugraben, die er später in Weihnachtskrippen einbauen wollte. Nachdem er in erheblichem Umfang Bier konsumiert, einen Joint mit synthetischen Drogen geraucht und eine Tablette Rohypnol eingenommen hatte, begab sich der Angeklagte am Abend zur Wohnung der H. , um sowohl gegenüber ihr als auch gegenüber dem Nebenkläger Geldforderungen von jeweils 50 Euro einzutreiben. Da beide auf sein Klingeln an der Wohnungstür nicht öffneten, warf er kleine Geldmünzen gegen das rückwärtige Fenster, was ebenfalls ignoriert wurde.
7
Gegen 21.30 Uhr verließen H. und der Nebenkläger die Wohnung , nachdem sie nach einem lauten Geräusch festgestellt hatten, dass ein Briefkasten beschädigt war, und sie den Angeklagten als Täter vermuteten. Im sog. Hexengässla trafen sie auf den Angeklagten, wobei es zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam, an der alle drei beteiligt waren. Der Angeklagte brachte dabei das von ihm mitgeführte „Outdoor-Beil“ zum Einsatz, wobei H. und der Nebenkläger durch dieses verletzt wurden. H. zog sich dabei eine etwa einen Zentimeter lange Schnittwunde an der rechten Hand sowie Unterblutungen an beiden Armen zu. Der Nebenkläger erlitt eine Schnittwunde am rechten Daumen mit Teildurchtrennung der langen Strecksehne des Daumens sowie eine Verletzung einer Arterie, die sofort zu einem spritzenden Blutaustritt führte. Der Angeklagte erlitt Unterblutungen am Auge und am rechten Knie sowie Hautdefekte und beklagte Prellungen am Rippenbogen. Die Auseinandersetzung endete damit, dass der Nebenkläger wegrannte und H. ihm auf Zuruf folgte. Der Angeklagte entfernte sich in Richtung seiner Unterkunft. Als er die dort bereits wartende Polizei bemerkte, warf er das Beil in einer Entfernung von wenigen hundert Metern in ein Gebüsch.
8
Aufgrund der Wirkungen des Alkohols und der vom Angeklagten zudem konsumierten Drogen sowie seiner hirnorganischen Wesensveränderung war zum Tatzeitpunkt bei erhaltener Einsicht in das Unrecht seines Tuns die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben.
9
3. Der nähere Ablauf der tätlichen Auseinandersetzung war für das Landgericht nicht aufklärbar. Ausgehend von einer Gesamtwürdigung aller bedeutsamen Umstände ist das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten von folgendem Tatgeschehen ausgegangen:
10
Unmittelbar nach dem Zusammentreffen attackierten H. und der Nebenkläger den Angeklagten mit Pfefferspray. Um sich gegen weitere An- griffe zu verteidigen, ergriff der Angeklagte das von ihm mitgeführte „OutdoorBeil“ und richtete es gegen die Angreifer. Verletzungen der Angreifer im Rah- men von mit Verteidigungswillen geführten Handlungen nahm er dabei billigend in Kauf. H. und der Nebenkläger schlugen sodann auf den Angeklag- ten ein, der sich u.a. durch Einsatz des „Outdoor-Beils“ zurWehr setzte. Die von H. erlittene Schnittwunde wurde nicht dadurch verursacht, dass der Angeklagte gezielt nach ihr schlug. Vielmehr griff sie selbst in die Schneide des Beils, mit dem der Angeklagte vor ihr in seitlicher Bewegung hin und her fuchtelte. Die Schnittwunde des Nebenklägers entstand dadurch, dass der Angeklagte mit dem Beil einen seitlich gegen den Körper des Nebenklägers gerichteten Schlag ausführte. Andere Mittel, den gemeinschaftlich von H. und dem Nebenkläger geführten Angriff effektiv abzuwehren, standen dem Angeklagten nicht zur Verfügung. Im Hinblick auf seine massiv blutende Verletzung verließ der Nebenkläger fluchtartig den Tatort, während H. noch weiter auf den Angeklagten einschlug und – als dieser aufgrund der Wirkungen des Pfeffersprays oder der Schläge schließlich zu Boden gegangen war – auch noch eintrat. Auf das Zurufen des Nebenklägers ließ auch sie vom Angeklagten ab und folgte dem Nebenkläger.
11
Auf dieser Grundlage hat das Landgericht angenommen, dass die vom Angeklagten der Geschädigten H. und dem Nebenkläger zugefügten Verletzungen auch im Rahmen einer durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigten Verteidigungshandlung entstanden sein konnten. Es hat daher den Angeklagten – der im Übrigen wegen seines Rausches nicht ausschließbar schuldunfähig gewesen sei – nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

III.

12
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
13
1. Die Aufklärungsrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die unterlassene Vernehmung zweier Polizeibeamter beanstandet, ist jedenfalls unbegründet.
14
Sie enthält zwar neben der Benennung der beiden Polizeibeamten als Beweismittel die konkrete Tatsachenbehauptung, diese Zeugen „hätten bekun- det, dass es am Abend nach der Festnahme des Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür gab, dieser könne zuvor mittels Pfefferspray attackiert worden sein“ (RB S. 11).Zu dieser Beweisaufnahme musste sich das Landgericht jedoch nicht gedrängt sehen. Denn das Landgericht ist von der Annahme, dass bei der Festnahme des Angeklagten keine Anzeichen für die Anwendung von Pfefferspray vorhanden waren, bereits aufgrund der Vernehmung von Polizeioberkommissar S. ausgegangen, der den Angeklagten nach Mitternacht der Tatnacht festgenommen hatte (UA S. 21). Dieser hatte bekundet, „dass er am Angeklagten keinen Pfefferspraygeruch wahrgenommen habe, wo- bei er den durchdringenden Geruch an einer Oberbekleidung, die (frisch) mit Pfefferspray in Kontakt gekommen sei, bestimmt erkannt hätte“ (UA S. 21).
Damit liegt kein Aufklärungsdefizit vor. Vielmehr hat das Landgericht lediglich aus dem Fehlen von Anhaltspunkten für einen Pfeffersprayeinsatz im Festnahmezeitpunkt nicht den von der Beschwerdeführerin erstrebten Schluss gezogen , dass im Rahmen des Tatgeschehens kein Pfefferspray eingesetzt worden sei (UA S. 16).
15
2. Auch die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.
16
a) Das Urteil genügt den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO.
17
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen zuerst den Anklagevorwurf aufgezeigt und sodann den festgestellten Sachverhalt geschildert, wobei es in einer geschlossenen Darstellung zunächst diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatbestand festgestellt hat, die es für erwiesen hält (vgl. zu den Darstellungsanforderungen BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110). Erst im Anschluss daran folgt die Beweiswürdigung, in der das Landgericht dargelegt hat, aus welchen Gründen es sich vom Tatvorwurf nicht überzeugen konnte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – 1 StR 722/13 mwN). Diese Darstellung ermöglichte dem Senat die Überprüfung, ob dem Landgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt worden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314).
18
b) Auch die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
19
aa) Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 10. Mai 2017 – 2 StR 258/16 und vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27 mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]).
20
Das Urteil muss zudem erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände , die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist. Denn es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 12. Juli 2017 – 1 StR 535/16, Rn. 7; vom 12. Januar 2017 – 1 StR 360/16, Rn. 10 und vom 11. Mai 2017 – 4 StR 554/16, Rn. 6; jeweils mwN). Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 27. September 2017 – 2 StR 146/17, NStZ-RR 2017, 383 und vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, jeweils mwN).
21
bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung stand.
22
(1) Der Senat besorgt nicht, das Landgericht könnte überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt haben. Dies gilt auch, soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass Teile der Einlassung des Angeklagten diesem „nicht zwingend zu widerlegen“ seien (UA S. 16). Das Landgericht hat dies angenommen für die Behauptungen des Angeklagten, der Nebenkläger habe zuerst die Auseinandersetzung mit ihm gesucht, H. oder der Nebenkläger hätten ein Pfefferspray eingesetzt, beide hätten auf ihn eingeschlagen sowie für die Einlassung des Angeklagten, er habe das mitgeführte „Outdoor-Beil“ zur Verteidigung eingesetzt (UA S. 16). Es hat hierdurch jedoch nicht gegen den Zweifelssatz verstoßen. Denn das Landgericht hat diese Behauptungen des Angeklagten nicht als unwiderlegbar seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Vielmehr hat es eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung aller festgestellten Indiztatsachen durchgeführt, bei der es den Umstand, dass es für diese Teile der Einlassung des Angeklagten keine Beweise gibt, berücksichtigt hat (UA S. 25 f.). Erst aufgrund dieser Gesamtwürdigung ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es Zweifel an der dem Angeklagten zur Last liegenden Tatbegehung nicht zu überwinden ver- mochte. Dies rechtfertigte die Freisprechung des Angeklagten aus tatsächlichen Gründen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“. Angesichts der vorgenomme- nen Gesamtwürdigung bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, das Landgericht könnte rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sein, dass für eine Verurteilung eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit erforderlich sei.
23
(2) Das Urteil lässt auch erkennen, dass das Landgericht all diejenigen Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
24
Insbesondere hat es ausdrücklich in den Blick genommen, dass H. und der Nebenkläger eine für sich plausibel erscheinende Schilderung des Geschehens abgegeben haben. Es hat aber rechtsfehlerfrei auch die „vielfälti- gen Unwägbarkeiten“ in Bezug auf das Vorgeschehen, darunter den Grund für das Verlassen der Wohnung, in die Gesamtwürdigung eingestellt. Ohne Rechtsfehler durfte das Landgericht angesichts der Feststellungen der Sachverständigen Fe. zum Vorhandensein von Antragungen von typischen Inhaltsstoffen von Pfeffersprays (UA S. 20) den Einsatz von Pfefferspray im Rahmen der Auseinandersetzung als naheliegend (UA S. 25) werten. Das Landgericht hat in seine Gesamtwürdigung auch eingestellt, dass die Einlas- sung des Angeklagten „massiv problembehaftet“ war und er nicht nur mehrfach wechselnde Tatschilderungen abgegeben, sondern anfangs auch jegliche Verwendung einer Waffe bestritten, die Waffe sogar versteckt und davon gespro- chen hatte, dass er dem Nebenkläger eine „Lektion erteilen“ wolle (UA S. 26).
25
Der Umstand, dass das Landgericht sich trotz dieser Unstimmigkeiten im Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Gesamtschau nicht mit hinreichender Sicherheit von einem dem Tatvorwurf entsprechenden Geschehen überzeugen konnte, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Es bestehen hier auch keine Anhaltspunkte dafür, das Landgericht könnte verkannt haben, dass für die Überzeugungsbildung ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht zulässt, ausreicht.
26
(3) Die Beweiswürdigung ist auch nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht die Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren nicht im Einzelnen dargestellt hat. Zwar kann ein Wechsel der Einlassung eines Beschuldigten im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit seiner Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder sogar ganz entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88 und vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Eine widerlegte Einlassung kann aber grundsätzlich nicht allein zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsdarstellung gemacht werden (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 11a). Vielmehr bedarf es einer Gesamtwürdigung aller Indizien, in die der Umstand, dass die Einlassung des Angeklagten widerlegt worden ist, einzubeziehen ist.
27
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil. Das Landgericht hat ausdrücklich berücksichtigt, dass der Angeklagte mehrfach wechselnde Tatschilderungen abgegeben und zunächst sogar jegliche Verwendung einer Waffe bestritten hatte (UA S. 26). Es hat rechtsfehlerfrei die in weiten Teilen widerlegte Einlassung des Angeklagten (UA S. 15) als „massiv problembehaf- tet“ in dieGesamtwürdigung im Rahmen der Beweisaufnahme eingestellt (UA S. 26). Auf die Einzelheiten seiner Einlassungen bei polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren kam es hier ersichtlich nicht an. Denn das Landgericht hat dargelegt, dass der Angeklagte an einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung leidet und sich aufgrund seines Alkohol- und Drogenkonsums zum Tatzeitpunkt in einem Zustand nicht ausschließbar vollständig aufgehobener Steuerungsfähigkeit befand, die sich dergestalt auf sein Einlassungsverhalten ausgewirkt haben konnte, dass er die Geschehensabläufe abweichend von der Realität erinnerte oder Erinnerungslücken konfabulatorisch ausfüllte (UA S.

26).


IV.

28
Die zuletzt nur noch auf die Sachrüge gestützte Revision des Nebenklägers ist ebenfalls unbegründet.
29
Die Beweiswürdigung hält aus den bereits zur Revision der Staatsanwaltschaft ausgeführten Gründen rechtlicher Nachprüfung stand. Der Erörterung eines möglichen Notwehrexzesses bedurfte es nicht, weil es an Anhaltspunkten für eine mögliche Überschreitung der Grenzen der Notwehr fehlt. Solche ergeben sich auch nicht aus der Art der vom Nebenkläger erlittenen Verlet- zungen. Zudem durfte das Landgericht unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten davon ausgehen, dass dieser mit dem Beil lediglich einen seitlich geführten Schlag gegen den Körper des Nebenklägers ausführte, nachdem er es vorher bereits drohend vor sich her geschwungen hatte, wobei ihm andere Mittel, um den gegen ihn geführten Angriff abzuwehren, nicht zur Verfügung standen (UA S. 9, 24).

V.

30
Wegen der Kostenentscheidung verweist der Senat auf BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1957 – 1 StR 33/57, BGHSt 11, 189 und BGH, Urteil vom 30. September 2004 – 5 StR 312/04 mwN. Angesichts des weitergehenden Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, das sich auch gegen den Freispruch vom Tatvorwurf einer gefährlichen Körperverletzung gegenüber H. richtet, erscheint es angemessen, hier von einer Belastung des Nebenklägers mit gerichtlichen Auslagen des Revisionsverfahrens neben der Staatskasse ganz abzusehen. Graf Jäger Bellay Cirener Frau RinBGH Dr. Fischer ist wegen urlaubsbedingter Abwesenheit an der Unterschrift gehindert. Graf

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 367/04
vom
12. November 2004
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (vor 1 bis 4)
Veröffentlichung: ja
Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten über
die Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Voraussetzungen seiner Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den Prüfungsanforderungen
an das Gericht bei Vorliegen eines methodenkritischen Gegengutachtens.
BGH, Beschluß vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04 - Landgericht -
Schwurgerichtskammer - Koblenz
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. November 2004 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die allein vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Das Landgericht hat festgestellt, daß der zur Tatzeit 21-jährige, bislang unauffällige Angeklagte im Januar 2002 seine Cousine, mit der zusammen er eine Wohnung im Haus seiner Großmutter bewohnte, ohne feststellbaren Grund durch Ersticken tötete. An einem unbekannten Ort außerhalb der Wohnung zerlegte er in der Folge die Leiche in aufwendiger Weise, wobei er namentlich auch die Haut abzog, die Brüste und das Geschlechtsteil gesondert abtrennte, die lange Rückenstrecker-Muskulatur vom Torso entfernte, einzelne
Knochen auslöste und innere Organe entnahm. Erhebliche Teile der Leiche erhitzte er im Backofen seiner Wohnung. Er verpackte die Leichenteile in Plastiktüten, die er zunächst in der Wohnung versteckte. Den Kopf und die Beckenknochen verbrachte er in einen Steinbruch, wo er den Kopf zusätzlich mit einem Beil zertrümmerte und vergrub. An den später in der Wohnung und in dem Steinbruch von der Polizei aufgefundenen Leichenteilen fanden sich eine Vielzahl von Reiskörnern. Wesentliche Teile der Leiche wurden nie aufgefunden. Daß der Angeklagte diese Teile verzehrt hat, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. 2. Das Landgericht hat, da es die Voraussetzungen eines Mordmerkmals im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB als nicht bewiesen angesehen hat, dieses Geschehen als tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verbrechen des Totschlags angesehen. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat es festgestellt, zur Tatzeit sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich vermindert , möglicherweise aufgehoben gewesen. Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei möglicherweise voll erhalten, möglicherweise gänzlich aufgehoben gewesen. Im Zweifel sei daher von der Schuldunfähigkeit des Angeklagten auszugehen. Das Landgericht hat den Angeklagten daher freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Landgericht hat sich bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen (Dr. B.) angeschlossen" und sie sich zu eigen gemacht (UA S. 37). Diese hat es im wesentlichen wie folgt wiedergegeben: "Insgesamt wirke der Angeklagte in seinem Gesamtverhalten hoch auffällig (…) Der Zustand des Angeklagten gehe über eine bloße Persönlichkeitsstörung deutlich hinaus. Für das Vorliegen einer Persönlich-
keitsstörung sprächen zwar eine emotionale Verflachung, die Nivellierung von Gefühlen und das Einzelgängertum des Angeklagten. Für die Annahme einer Persönlichkeitsstörung müßten sich diese Symptome jedoch bis in die Jugend verfolgen lassen. Schulbildung, Lehre und Beruf des Angeklagten seien jedoch unauffällig (…). Auch eine klassische schizophrene Psychose und mithin eine Geisteskrankheit im engeren Sinne liege … nicht vor. Bei der Störung des Angeklagten handle es sich um eine solche, welche zwar in seiner Persönlichkeitsstörung verankert sei, jedoch schizophrenietypische Züge trage. Hierfür spreche auch der erhebliche Konsum von Betäubungsmitteln (…). Ein Suchtmittelmißbrauch sei für das vorliegende Krankheitsbild symptomatisch. Es sei auch nicht auszuschließen, daß der Gebrauch von Haschisch die Entwicklung und Verschlimmerung des Krankheitsbildes befördert habe. Aufgrund der festgestellten Erkrankung des Angeklagten sei seine Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich vermindert, möglicherweise auch ausgeschlossen. Hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit sei von deren vollen Erhalt bis hin zu deren völligen Verlust alles denkbar" (UA S. 36, 37) … Die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung sei entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen (UA S. 38). Auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB ist das Landgericht "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. (gefolgt)", die das Urteil wie folgt wiedergibt : "Bei der festgestellten schizophrenen Psychose handle es sich um eine überdauerte Störung der Geistestätigkeit. Die Krankheit des Angeklag-
ten sei chronisch. Das Rückfallrisiko des Angeklagten sei extrem hoch. Krankheitstypisch sei die Begehung von Straftaten, welche sich durch ein Übermaß an Gewalt auszeichneten und auch zum Tode des Opfers führen könnten. Hierbei sei von einer Tatbegehung vornehmlich im Verwandten - und näheren Bekanntenkreis auszugehen. Insgesamt sei damit zu rechnen, daß der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere, der vorliegenden Tat vergleichbare Handlungen vornehmen werde" (UA S. 39). 3. In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigerin, nachdem der Sachverständige Dr. B. sein Gutachten erstattet hatte, den Beweisantrag, ein (weiteres ) medizinisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten unter anderem zum Beweis der Tatsachen einzuholen, daß der Angeklagte nicht, wie vom Sachverständigen Dr. B. angenommen, an einer Schizophrenia simplex oder einer schizotypen Persönlichkeitsstörung leide, vielmehr seelisch und geistig gesund sei. Sie stützte diesen Antrag auf ein von ihr vorgelegtes methodenkritisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W., der sich mit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. kritisch auseinandersetzte und sowohl formale Mängel rügte als auch "in inhaltlicher Hinsicht erhebliche Zweifel (formulierte ), ob die im Gutachten dargelegten Anknüpfungspunkte die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen tragen." Es seien kaum objektivierbare psychopathologische Anknüpfungspunkte dargelegt; eine Ableitung der Diagnose aus diagnostisch relevanten biographischen Besonderheiten fehle weitgehend ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem unauffälligen Verlaufsbericht über die vorläufige Unterbringung nach § 126 a StPO. In dem dem Landgericht vorgelegten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. waren diese inhaltlichen Zweifel im einzelnen ausgeführt. Es enthielt unter anderem auch folgende Hinweise:
"Psychodiagnostische Überlegungen dazu, wie sich die von Dr. B. angenommene - Störung in der vorgeworfenen Tatsituation konkret ausgewirkt haben soll, enthält das Gutachten nicht (…), was insoweit den gutachtlichen Ausführungen einen eigentümlich spekulativ-beliebigen Charakter verleiht". (…) "(Es besteht) eine nicht unerhebliche Gefahr eines logischen Zirkelschlusses: Ausgehend von den bizarr-erschreckenden Umständen des Leichenfundes, die die Mutmaßung nahe legen, daß es sich hier um einen schwer psychisch gestörten Täter gehandelt haben dürfte, könnte man versucht sein, den Tatverdächtigen zu 'psychopathologisieren' , um ihn für die ihm unterstellte Tat 'passend' zu machen - gewissermaßen nach dem Motto: Wer so etwas tut, der muß verrückt sein. Diese Gefahr sehe ich im vorliegenden Fall um so mehr, als die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen mir ausgesprochen schwach begründet erscheinen (…)." Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen. Die Sachkunde des Sachverständigen sei nicht zweifelhaft. Die gerügten Mängel beträfen lediglich das vorläufige schriftliche Gutachten; der Sachverständige habe sein Ergebnis jedoch mündlich vorgetragen. Er habe seinem Gutachten im Gegensatz zu dem Sachverständigen Dr. W. den Akteninhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde gelegt. 4. Mit der Ablehnung hat das Landgericht gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verstoßen, denn die Sachkunde des früheren Gutachters war nach Lage der Dinge zweifelhaft, sein Gutachten nicht ohne Widersprüche.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig nicht offen bleiben, welche der
Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorliegt. Das gilt gleichermaßen für die Anordnung des § 63 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232; BGH StraFo 2003, 282; Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04), denn dieser setzt einen länger dauernden psychischen Defektzustand des Betroffenen voraus, auf welchem dessen Gefährlichkeit beruht (vgl. etwa BGHSt 34, 24, 28; 42, 385, 388; BGH NStZ 1991, 528; BGH NStZ-RR 1997, 166; 2000, 298; Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 63 Rdn. 66; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 6 f., 12, jeweils m.w.N.). Selbst wenn im Einzelfall die Grenzen zwischen diagnostischen Zuordnungen nach einem der gängigen Klassifikationssysteme fließend und die Einordnung unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB schwierig sein mögen, weil z. B. mehrere Merkmale gleichzeitig vorliegen oder keines in "reiner" Form gegeben ist, ist das Tatgericht gehalten, zum einen konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zum Zeitpunkt der Tat (vgl. § 20 StGB) zu treffen und zum anderen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte , Lebensumständen und Verhalten des Angeklagten und der Anlaßtat in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der "Zustand" des Beschuldigten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach § 63 StGB gebieten. Die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-IV ersetzt weder die Feststellung eines der Merkmale des § 20 StGB noch belegt sie für sich schon das Vorliegen eines Zustands im Sinne des § 63 StGB (vgl. BGH, Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04 m.w.N.).
b) Das Gericht, das sich zur Prüfung der genannten Voraussetzungen der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat (§ 246 a StPO), muß dessen Tätigkeit überwachen und leiten. Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung, ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Gutachtens den anerkannten fachwis-
senschaftlichen Anforderungen genügen (zur Sachleitungs- und Prüfungspflicht des Gerichts vgl. Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 89, 92 f.; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 63, 64 a ff. mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Vorliegend hatte die Verteidigung mit dem Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zutreffend auf erhebliche Mängel jedenfalls des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. hingewiesen. Daß der Sachverständige diese im Beweisantrag und im Gutachten des Sachverständigen Dr. W. konkret angesprochenen Mängel in seinem mündlichen Gutachten behoben oder die Einwände ausgeräumt hat, hat das Landgericht in dem den Antrag zurückweisenden Beschluß nicht dargelegt. Die Urteilsgründe belegen eher das Gegenteil. Das Gutachten entsprach in formaler und inhaltlicher Hinsicht nicht den Anforderungen, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen wissenschaftlichen Literatur an entsprechende Gutachten gestellt werden (vgl. dazu im einzelnen etwa Foerster/Venzlaff, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004, S. 31 ff.; Foerster/Leonhardt, ebd. S. 43, 47 f.; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1996, S. 274, 282 ff.; Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999, S. 313 ff.; Heinz, Fehlerquellen forensischpsychiatrischer Gutachten, 1992; Venzlaff, Fehler und Irrtümer in psychiatrischen Gutachten, NStZ 1983, 199; Maisch, Fehlerquellen psychologischpsychiatrischer Begutachtung im Strafprozeß, StV 1985, 517; jeweils m.w.N.). aa) In formaler Hinsicht war auffällig, daß das schriftliche Gutachten weder eine Sexualanamnese noch eine detaillierte Beziehungsanamnese enthielt. Auch die bewertenden Darlegungen zur Biographie und zur psychiatrischen Entwicklung (Gutachten S. 36 ff.) erscheinen teilweise auf formale Aspekte beschränkt.
bb) Soweit der Sachverständige hier zu Bewertungen gelangte, sind diese teilweise auch im Zusammenhang nur schwer verständlich, etwa wenn von "einer gewissen magisch-mystischen Sicht- und Denkweise", von "umfassender Exzentrizität", "großen soziointegrativen Fähigkeiten" u.s.w. die Rede ist (ebd. S. 44 f.), ohne daß diese zusammenfassenden, stark subjektiv wertenden Beschreibungen hinlänglich konkretisiert werden. Die Zusammenfassung, wonach "man hier allenfalls an eine sogenannte vor sich hindümpelnde psychische Erkrankung denken (würde), die mit einer gewissen sozialen 'Unmöglichkeit', bizarr manirierten Verhaltensmustern und einer gewissen affektiven (…?) inadäquat vergesellschaftet als sogenannte schizophrenia simplex … in Erscheinung treten könnte" (ebd. S. 47), macht die Diagnose nach ICD-10, F 20.6, auf welche hingewiesen wird, kaum nachvollziehbar. cc) Hinzu kommt, daß das Gutachten im Zusammenhang mit der Wiedergabe der Explorationsgespräche eine Vielzahl abwertender Beschreibungen und Bewertungen der Person und des Verhaltens des Angeklagten enthält, die durch die Notwendigkeit diagnostisch-wertender Beschreibung nicht stets geboten erscheinen. Beispielhaft hierfür sind etwa die Beschreibungen, es hätten sich "immer wieder süffisante Grinseinlagen (gefunden)"; der Angeklagte habe "pathologische Witzelsüchtigkeit mit sarkastischer Unterlegung" (S. 29) und "ein von Theoretisierereien und persönlichen Interpretationen geprägtes Schildern der Tat" (S. 30) gezeigt; er habe sich "in läppisch distanzloser Art auf den Schreibtisch positioniert, eine Zigarette rauchend, den Rauch aus den Mundwinkeln ausblasend (…), sichtlich die Macht genießend, eine gewisse Hilflosigkeit bei Unterzeichner auszulösen …" (S. 28); er habe sich "in seiner Informationspolitik wenig durchsichtig" und "sich in der Verweigerung suhlend" gezeigt (S. 29).
In ihrer Häufung konnten diese Beschreibungen, welche die Grenze zwischen der Darstellung von Befundtatsachen und allgemein persönlichen Abwertungen teilweise überschritten, nicht nur die Objektivität des Gutachters in Frage stellen (vgl. Nedopil aaO S. 282). Sie konnten damit auch die Besorgnis begründen , daß der Sachverständige den Erfordernissen einer differentialdiagnostischen Befunderhebung möglicherweise nicht die gebotene Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen. Soweit von einem "Schildern der Tat" die Rede war, war dies schon mit dem Umstand nicht vereinbar, daß der Angeklagte die Tat stets - auch gegenüber dem Sachverständigen - bestritten hat. Das zur Frage der Schuldfähigkeit und zu den Voraussetzungen des § 63 StGB einzuholende Gutachten wird zwar, um die Diagnose rational nachvollziehbar und für das Gericht verständlich und überprüfbar zu machen, auf Verhaltensbeschreibungen, wertungsbehaftete Charakterisierungen und alltagssprachliche Umsetzungen klinischer Befunde nicht verzichten können. Dies ergibt sich auch aus den Merkmalsbeschreibungen der Klassifikationssysteme , so wenn etwa die Diagnose der "schizotypen Störung" (ICD-10, F 21) durch die Feststellung "eigentümlichen Verhaltens", "seltsamer Glaubensinhalte" , der Exzentrizität oder von gekünstelter Sprache getragen werden kann. Eine solche Darstellung ist aber kein Selbstzweck. dd) Inhaltliches Ziel des Gutachtens ist es, dem Gericht eine Beurteilung zu ermöglichen, ob zum Zeitpunkt der Tat eine der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen hat und ob, ggf. wie diese sich auf die Unrechtseinsicht des Beschuldigten oder auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Für die Frage einer möglichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist darüber hinaus zu klären, ob aufgrund der die Schuldfähigkeit bei der
Anlaßtat beeinträchtigenden psychischen Störung ein längerfristiger Zustand des Beschuldigten besteht, welcher dessen Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB begründet und daher die Unterbringung gebietet. Hierfür können in der Regel die Diagnose der psychischen Störung sowie ihre Einordnung unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB nicht offen bleiben. Vorliegend hatte der Sachverständige in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten offen gelassen, ob bei dem Angeklagten eine "schizotype Störung" (ICD-10, F 21) oder eine "schizophrenia simplex" (ICD-10, F 20.6) vorliege, die beide dem Merkmal "krankhafte seelische Störung" im Sinne von § 20 StGB zuzuordnen seien; eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" (SASA) liege nicht vor (Gutachten S. 47 ff., 51). In seinem in der Hauptverhandlung erstatteten mündlichen Gutachten kam er dagegen zu der Ansicht, es sei "die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen" (UA S. 38); eine schizophrene Psychose liege nicht vor (UA S. 37). Eine Persönlichkeitsstörung sei gleichfalls nicht gegeben (UA S. 36/37), vielmehr eine in der Persönlichkeit verankerte Störung mit schizophrenietypischen Zügen , für welche ein Suchtmittelmißbrauch symptomatisch sei (UA S. 37). Die letztgenannte Diagnose ist - gerade auch unter Heranziehung der Beschreibungen in den Klassifikationssystemen - schon aus sich heraus kaum nachvollziehbar. Sowohl im Ablehnungsbeschluß des Landgerichts als auch im Urteil fehlt jede Darlegung, aus welchen objektivierbaren Gründen der Sachverständige in der Hauptverhandlung von seinem vorbereitenden Gutachten abwich und ob diese Gründe mit ihm erörtert worden sind.
ee) Feststellung und Begründung der Diagnose einer Störung belegen nicht deren strafrechtliche Relevanz im Sinne von §§ 20, 21 StGB (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 = NJW 2004, 1810, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Beschluß vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl., § 20 Rdn. 44; Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 34 f.; jew. m.w.N.). Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist also - unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB - im einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster aaO, S. 51, 77 f.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 31). Nichts anderes gilt für die Beurteilung des "Zustands" im Sinne von § 63 StGB, denn es gibt weder eine abstrakte "Schuldunfähigkeit" ohne Bezug zu einem konkreten Delikt noch einen abstrakten "Zustand" ohne diesen Bezug , aus welchem sich symptomatisch die die Unterbringung erfordernde Gefährlichkeit des Beschuldigten ergibt. An einer Darlegung dieses Zusammenhangs fehlte es in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gänzlich; ein solcher Zusammenhang ergibt sich auch aus der Wiedergabe des mündlich erstatteten Gutachtens im angefochtenen Urteil nicht. Hier bleibt schon offen, in welchen forensisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschränkungen der Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte "chronische Krankheit" (UA S. 39) des Angeklagten sich überhaupt ausdrückt. Als "symptomatisch" wird insoweit allein der Suchtmittelmißbrauch genannt; Feststellungen zu Ausmaß oder
Auswirkungen des Konsums von Haschisch oder anderen Rauschmitteln am Tattag fehlen jedoch. Auch im übrigen ergibt sich weder aus dem schriftlichen Gutachten noch den Darlegungen im Urteil, in welcher konkreten Weise sich die beim Angeklagten festgestellten psychischen Auffälligkeiten bei der Tat ausgewirkt haben könnten. Zutreffend hat der Sachverständige Dr. W. in seinem von der Verteidigung zur Begründung des Beweisantrags vorgelegten Gutachten darauf hingewiesen, das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. zeige eine gewisse Zirkelschlüssigkeit und habe einen "eigentümlich spekulativ -beliebigen Charakter". ff) Eine kritische Beurteilung des Gutachtens und der Sachkunde des Gutachters lag jedenfalls unter Berücksichtigung der Begründung des Beweisantrags für den Tatrichter auch deshalb nahe, weil das Gutachten ausschließlich zu Diagnosen (entweder "schizophrenia simplex" oder "schizotype Störung" ) gelangte, von deren Verwendung im Klassifikationssystem ICD-10 ausdrücklich abgeraten wird. Überdies lagen wichtige Merkmale der festgestellten "schizotypen Störung", namentlich zeitlich überdauernde Auswirkungen auf Biographie, Verhalten oder Auffälligkeiten des Betroffenen, gerade nicht vor; das Gutachten befaßte sich damit nur vage und unklar. Darüber hinaus ließ das Gutachten eine hinreichende differenzialdiagnostische Erörterung vermissen ; die diagnostischen Schlußfolgerungen waren letztlich auf wenig mehr gestützt als die (unterstellte) Begehung der Tat selbst. gg) Auch die Schlußfolgerungen, die der Sachverständige aus diesen eher unklaren und unsicheren Feststellungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vom Tatzeitpunkt gezogen hatte, hätten dem Gericht Anlaß zur kritischen Überprüfung geben müssen. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, der Angeklagte sei
zwar "grundsätzlich als psychisch gestört und geisteskrank zu betrachten". Die Auffälligkeiten hätten aber mangels akuter paranoider Symptomatik und akuter Derealisation "eben nicht einen vollumfänglichen Verlust seiner Einsichtsfähigkeit nach sich gezogen" (Gutachten S. 52). Es sei jedoch festzustellen, daß der Angeklagte in seiner Wahrnehmung und Interpretation von Sicht- und Denkweisen des alltäglichen Lebens und seiner Beziehung zu dem Tatopfer "beeinträchtigt gewesen sein muß". Das habe "eine gewisse Verzerrung der Realität" nach sich gezogen, was wiederum "zu einer Uminterpretation von realen Begebenheiten führte"; dadurch seien "die Sicht- und Denkweisen beeinträchtigt" worden. Daher sei die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (ebd.). In seinem mündlichen Gutachten führte der Sachverständige ausweislich des Urteils dann im ausdrücklichen Gegensatz hierzu aus, hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei "von dessen vollem Erhalt bis hin zu dessen völligem Verlust alles denkbar" (UA S. 37). Für diesen grundlegenden Wechsel in der Beurteilung findet sich keine Begründung; aus der Wiedergabe des Gutachtens kann auch nicht nachvollzogen werden, wie die von dem Sachverständigen für möglich gehaltenen Alternativen der Unrechtseinsicht mit dem psychodiagnostischen Krankheitsbild des Angeklagten in Einklang zu bringen sein könnten. Die hypothetische Feststellung, entweder die Einsichtoder die Steuerungsfähigkeit habe gefehlt, würde voraussetzen, daß der psychische Defekt des Betroffenen sich tatsächlich in einer solchen alternativen Weise konkret auswirken konnte. Zur Begründung dieser Feststellung bedürfte es jedenfalls eingehender Darlegungen zur Diagnose der Störung und zu ihrer konkreten Auswirkung auf die Tatbegehung. Hieran fehlte es hier offensichtlich; die vage Aussage des Sachverständigen zur Auswirkung der Störung beruhte vielmehr gerade auf der Unschärfe der diagnostischen Zuordnung.

c) Angesichts dieser erheblichen Mängel und Unklarheiten des vorbereitenden schriftlichen und des mündlich erstatteten Gutachtens durfte das Landgericht den Beweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischpsychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht mit der Begründung ablehnen , das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen, und die Sachkunde des Sachverständigen Dr. B. sei nicht zweifelhaft, ohne sich eingehend mit den erhobenen Beanstandungen auseinanderzusetzen. Die gravierenden Einwände, welche das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. gegen Methodik und Ergebnisse des schriftlichen Gutachtens erhob, mußten Anlaß sein, die vom Sachverständigen mündlich vorgetragenen Ergebnisse sowie die Abweichungen und ggf. deren Begründung besonders kritisch zu prüfen. Dies hat das Landgericht nicht getan; vielmehr hat es die in vielfacher Hinsicht zweifelhaften Ausführungen des Sachverständigen allein dahingehend gewürdigt, sie seien "gut verständlich und nachvollziehbar" gewesen und die Kammer schließe sich ihnen an (UA S. 37, 40). Mit der im Ablehnungsbeschluß gegebenen Begründung hat sich das Landgericht daher seiner Aufgabe einer kritischen Überprüfung und Würdigung des Sachverständigengutachtens gerade entzogen, indem es die Mängel des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens mit dem Hinweis auf das mündliche Gutachten beiseite schob. Dies wäre nur dann tragfähig, wenn das mündlich erstattete Gutachten seinerseits fehlerfrei gewesen und wenn die Abweichungen zum schriftlichen Gutachten nachvollziehbar erklärt wären. Hieran fehlte es; nach der Wiedergabe des Gutachtens in den Urteilsgründen setzten sich die von dem Sachverständigen Dr. W. angesprochenen Fehler vielmehr im mündlichen Gutachten fort und führten darüber hinaus zu neuen Widersprüchen (vgl. BGHSt 23, 176, 185; BGH NStZ 1990, 244; 1991, 448; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 244 Rdn. 76 m.w.N.).

d) Danach war hier die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft; die Beweiserhebung war daher erforderlich. Eigene, unter Umständen durch das erste Gutachten vermittelte Sachkunde des Gerichts, welche die Ablehnung hätte tragen können, lag nicht vor. 5. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Daß die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angefochten hat und daß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO einer Bestrafung entgegenstünde, auch wenn der neue Tatrichter jedenfalls eine Aufhebung der Schuldfähigkeit ausschließen könnte, steht der Aufhebung nicht entgegen, denn wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB nicht vorlägen, so dürfte sie selbstverständlich auch dann nicht erfolgen, wenn die Verhängung einer Strafe aus Rechtsgründen ausschiede. Im Hinblick auf die überaus enge Verflechtung der Feststellungen zum Tathergang, zur Motivation des Angeklagten und zu seinem Nachtatverhalten mit denjenigen zu den Voraussetzungen des § 63 StGB scheidet eine Aufrechterhaltung von Feststellungen hier aus, auch wenn das Urteil insoweit rechtsfehlerfrei ist. Insoweit merkt der Senat an, daß die Rüge einer Verletzung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen jedenfalls unbegründet ist. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit zu umfassenden neuen Feststellungen haben. Es erscheint naheliegend, zur Frage der Schuldfähigkeit und der Maßregelanordnung (auch) einen anderen Sachverständigen mit der Gutach - tenerstattung zu beauftragen. Rissing-van Saan Detter Bode
Rothfuß Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 574/15
vom
2. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:020816B2STR574.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. August 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 28. Juli 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die unter II. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf - mit Ausnahme der Feststellungen im Fall II. 5 der Urteilsgründe - aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, Raubes, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und exhibitionistischer Handlung, wegen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung, versuchten Diebstahls und wegen exhibitionistischer Handlung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an- geordnet. Vom Vorwurf der fahrlässigen Brandstiftung hat die Strafkammer den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. März 2016 ohne Erfolg.
3
2. Die Schuldfähigkeitsprüfung ist nicht rechtsfehlerfrei.
4
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat zum Zustand des Angeklagten festgestellt, dass er an einer paranoiden Schizophrenie, an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und an einer Alkoholabhängigkeit leide. Insbesondere aufgrund der Schizophrenie des Angeklagten sei dessen Schuldfähigkeit in den Fällen II. 2 bis 5 der Urteilsgründe „zweifelsfrei“ erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB gewesen, „in den übrigen Fällen“ (Fälle II. 1, 6 bis 8 der Urteilsgründe) könne eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe könne zudem der Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden.
5
b) Diese Wertungen sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
6
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB schon regelmäßig nicht offen bleiben, welche der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB gegeben ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Der Tatrichter ist gehalten, konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zu treffen (vgl. § 20 StGB). Deswegen darf auch nicht offen bleiben, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert war (vgl. Senat, aaO, BGHSt 49, 347, 356 ff.). Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juli 2002 - 2 StR 198/02, NStZ-RR 2002, 328; BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6) während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15; NStZ-RR 2015, 273; Senat, Urteil vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 4 mwN). Im Gegensatz dazu führt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ohne Weiteres zur Anwendung des § 21 StGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Tatrichter sich deshalb Klarheit darüber zu verschaffen, welche Alternative des § 21 StGB vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15; NStZ-RR 2015, 273, 274; Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6). Das hat das Landgericht versäumt.
7
Es ist durchgängig von „zweifelsfrei“ feststehender oder nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit bzw. nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit ausgegangen, ohne sich festzulegen, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vermindert oder aufgehoben war.
Zudem hat das Landgericht offen gelassen, in welchen forensisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschränkungen der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte paranoide Schizophrenie des Angeklagten sich überhaupt ausdrückt.
8
Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten erheblich vermindert war oder er das Unrecht tatsächlich eingesehen hatte, aber auch nicht, dass er keine Einsichtsfähigkeit hatte und ob ihm das vorzuwerfen ist. Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB beim Angeklagten in sämtlichen Fällen vorlagen, wenn dies auch nicht naheliegt.
9
c) Dies führt zur Aufhebung des gesamten Urteils. Angesichts der gegen die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts bestehenden Bedenken sind auch die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt. Dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert deshalb nicht, auch den Freispruch im Fall II. 5 der Urteilsgründe aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
10
Von der Aufhebung ausgenommen sind allerdings die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf in den Fällen II. 1 bis 4, 6 bis 8 der Urteilsgründe. Lediglich im Fall II. 5 der Urteilsgründe sind auch die getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufzuheben. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe nicht festzustellen vermocht, durch welches Verhalten der Angeklagte das Feuer verursacht hat.
Damit lässt sich aber schon nicht beurteilen, ob und inwieweit das Verhalten des Angeklagten sorgfaltswidrig und damit fahrlässig war.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 276/09
vom
14. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 14. Juli 2009 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 25. Februar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "schwerer Brandstiftung in zwei Fällen, wobei es in einem Fall bei einem Versuch blieb", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen warf der Angeklagte in zwei Fällen jeweils einen entzündeten Feuerwerkskörper durch ein geöffnetes Wohnungsfenster. In dem Fall, in dem das Landgericht eine vollendete schwere Brandstiftung angenommen hat, entstand ein Brand, durch den das Kinderzimmer so stark beschädigt wurde, dass es wegen einer erforderlichen Renovierung vier Wochen lang nicht genutzt werden konnte. Alle Möbel und Gegenstände in der gesamten Wohnung mussten aufwendig gesäubert und renoviert werden.
3
Das Landgericht hat in beiden Fällen einen bedingten Brandstiftungsvorsatz mit der Begründung bejaht, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass die in die Wohnungen geworfenen, entzündeten Feuerwerkskörper einen Wohnungsbrand auslösen könnten.
4
2. Die Verurteilung des Angeklagten kann nicht bestehen bleiben.
5
a) Im zweiten Fall tragen die Feststellungen eine Verurteilung wegen vollendeter schwerer Brandstiftung (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) nicht, denn ihnen lässt sich nicht entnehmen, dass das Wohngebäude in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört wurde. Die erste Tatbestandsalternative ist nicht erfüllt, weil kein für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes wesentlicher Bestandteil derart vom Feuer erfasst wurde, dass dieser selbständig, d. h. ohne Fortwirken des Zündmittels, weiter brannte (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 306 Rdn. 14 f.). Das Tatbestandsmerkmal "teilweise zerstört" setzt bei einer Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus voraus, dass zumindest eine Wohnung für eine beträchtliche Zeit zu Wohnzwecken nicht mehr benutzbar war (vgl. BGHSt 48, 14, 20; BGH NStZ 2001, 252 und 2007, 270). Die festgestellte Unbenutzbarkeit des Kinderzimmers reicht somit nicht aus. Dass die gesamte Wohnung wegen einer starken Verrußung über längere Zeit nicht bewohnt werden konnte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.
6
b) In beiden Fällen genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht den Anforderungen, die an die Begründung eines bedingten Brandstiftungsvorsatzes zu stellen sind. Da bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes sowohl das Wissens- als auch das Willenselement sorgfältig geprüft werden. Insbesondere die Würdigung zum Willenselement muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinander setzen und alle für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände in Betracht ziehen. Geboten ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
7
Das Urteil enthält keine Ausführungen dazu, dass der Angeklagte das teilweise Zerstören der Wohnung oder ein Inbrandsetzen des Gebäudes billigend in Kauf genommen hat. Dies ergibt sich auch nicht von selbst aus den objektiven Feststellungen. Der nicht unerheblich alkoholisierte Angeklagte (Tatzeit -BAK: 1,4 bzw. 1,32 Promille) wollte die Inhaber der Wohnung nach seiner unwiderlegten Einlassung lediglich erschrecken. Er wusste nicht, ob die entzündeten Feuerwerkskörper, die nur kurze Zeit mit einem Feuerschweif abbrennen, auf leicht entflammbare Gegenstände fallen werden. Ein persönliches Interesse an einer Brandlegung hatte er nicht. Allein aus der Kenntnis von der allgemeinen Gefährlichkeit seines Handelns kann hier eine Billigung daher nicht abgeleitet werden (vgl. BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 2, 4, 9, 12).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Mayer
27
Ein Gebäude ist im Sinne des § 306a Abs. 1 StGB teilweise zerstört, wenn für eine nicht nur unerhebliche Zeit ein für das ganze Objekt zwecknötiger Teil oder dieses wenigstens für einzelne seiner wesentlichen Zweckbestimmungen unbrauchbar wird oder wenn einzelne seiner Bestandteile, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, vernichtet werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 20; Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 4 StR 344/11, BGHSt 57, 50, 51 f.; vom 6. März 2013- 1 StR 578/12, NStZ 2014, 647, 648; vom 16. August 2017 - 4 StR 320/17, juris Rn. 9). Das ist zum einen dann gegeben, wenn durch die Brandlegung das Gebäude im Ganzen zumindest einzelne von mehreren seiner Zweckbestimmungen nicht mehr erfüllen kann, etwa indem ein oder mehrere Zimmer eines Wohnhauses unbewohnbar werden und hierdurch dessen Nutzung zum Zweck des Aufenthalts, der Nahrungsversorgung und des Schlafens insgesamt in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - 3 StR 276/09, NStZ 2010, 151, 152). Zum anderen liegt eine teilweise Zerstörung auch dann vor, wenn ein wesentlicher, funktionell selbständiger Teil des Tatobjekts zerstört wird, etwa indem eine Wohnung als "Untereinheit" eines Mehrfamilienhauses für beträchtliche Zeit für Wohnzwecke ungeeignet wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2013 - 3 StR 336/13, aaO).

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.