Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2004 - 5 StR 53/04

bei uns veröffentlicht am01.03.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 53/04

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 1. März 2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. März 2004

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. September 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit seiner auf eine Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin, der als Zeugin vernommenen Stieftochter des Angeklagten, gestützt. Diese hatte den Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren vor der Polizei – nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 3 StPO – belastet. Die Zeugin hat sich dem Strafverfahren als Nebenklägerin angeschlossen.
Der Tatrichter hat seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben der Stieftochter auch auf die Angaben ihres als Zeugen vernommenen Bruders gestützt. Auch er war bei einer polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren gemäß § 52 Abs. 3 StPO belehrt worden und sagte dort aus.
Das Sitzungsprotokoll enthält hinsichtlich dieser beiden Zeugen keinen Hinweis auf eine Belehrung gemäß § 52 Abs. 3 StPO.
Im Anschluß an die Revisionsbegründung des Angeklagten reichten die berufsrichterlichen Mitglieder des Spruchkörpers dienstliche Äußerungen zur Akte, nach denen die mit unterschiedlicher Sicherheit erinnerte Belehrung der Zeugen nur versehentlich nicht protokolliert, gleichwohl aber erteilt worden sei. Der Sitzungsstaatsanwalt und die Nebenklagevertreterin haben ähnliche Erklärungen abgegeben.
2. Der Verfahrensfehler wird durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen. Da das Protokoll in seinem Beweiswert (§ 274 StPO) weder durch Lücken noch durch Widersprüche oder sonstige offensichtliche Mängel beeinträchtigt ist, steht für das Revisionsverfahren fest, daß die Zeugen entgegen § 52 Abs. 3 StPO nicht über das ihnen zustehende Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden sind. Die nachträglich zur Akte gereichten dienstlichen Äußerungen können der bereits erhobenen Verfahrensrüge aus Rechtsgründen auch nicht nachträglich die Grundlage entziehen (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 11 und 13 jeweils m.w.N.).
3. Auf diesem zur Unverwertbarkeit der Aussagen führenden Verstoß beruht das Urteil auch. Zwar ist anerkannt, daß das Verwertungsverbot entfällt , wenn feststeht, daß der über sein Zeugnisverweigerungsrecht prozeßordnungswidrig nicht belehrte Zeuge sein Weigerungsrecht gekannt hat und davon bei einer ordnungsgemäßen Belehrung keinen Gebrauch gemacht hätte (BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 3; BGH NStZ 1990, 549, 550 jeweils m.w.N.). Denn in einem solchen Fall beruht die Zeugenaussage nicht auf der unterlassenen Belehrung, das auf die Zeugenaussage gestützte Urteil mithin nicht auf einem Verstoß gegen § 52 Abs. 3 StPO.
Hier liegt es zwar auf der Hand, daß die Stieftochter des Angeklagten , nachdem sie im Ermittlungsverfahren nach entsprechender Belehrung den Angeklagten belastet und sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat, auch bei einer ordnungsgemäßen Belehrung durch den Vorsitzenden keinen Gebrauch von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemacht hätte. Indes kann der Senat hinsichtlich ihres Bruders nicht ausschließen, daß dieser bei ordnungsgemäßer Belehrung das Zeugnis verweigert hätte. Der Bruder war nach den Feststellungen des Landgerichts „sichtlich bestrebt, nicht zwischen die familiären Fronten zu geraten“ (UA S. 23). Eben diese, vom Tatrichter anschaulich umschriebene Zwangslage ist aber die ratio legis für das in § 52 StPO niedergelegte umfassende Zeugnisverweigerungsrecht. Ungeachtet seiner nach Belehrung im Ermittlungsverfahren erfolgten Bekundungen kann der Senat daher nicht ausschließen, daß dieser Zeuge unter dem Eindruck einer durch den Vorsitzenden des Gerichts erteilten erneuten Belehrung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte.
Die Unverwertbarkeit seiner Aussage bringt die Beweiswürdigung insgesamt zu Fall. Das Landgericht hat der Aussage des Bruders der Nebenklägerin indiziell bestätigenden Charakter beigemessen. Bei dieser Sachlage läßt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, daß der Tatrichter auch ohne die unverwertbare Aussage in einer für eine Verurteilung notwendigen Weise von der Glaubhaftigkeit der Aussage der Stieftochter überzeugt gewesen wäre.
Harms Häger Gerhardt Raum Brause

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 52 Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten


(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt 1. der Verlobte des Beschuldigten;2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteh

Strafprozeßordnung - StPO | § 274 Beweiskraft des Protokolls


Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.