Bundesgerichtshof Urteil, 13. Nov. 2019 - 5 StR 466/19

bei uns veröffentlicht am13.11.2019
vorgehend
Landgericht Bremen, 280 , s 66498/17

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 466/19
vom
13. November 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:131119U5STR466.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. November 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwältin D.
als Verteidigerin des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt E.
als Vertreter des Nebenklägers I. ,
Rechtsanwalt S.
als Vertreter des Nebenklägers Sa. ,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Nebenklägers I. betreffend den Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 26. Februar 2019
a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, aa) soweit dieser Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, bb) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Aufrechterhalten bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen und zum Tötungsvorsatz , ausgenommen diejenigen zu einer vom Nebenkläger vor der Tat geäußerten Beleidigung , die aufgehoben werden.

b) Die weitergehende Revision betreffend diesen Angeklagten und die Revision betreffend den Angeklagten T. werden verworfen.

c) Der Nebenkläger hat die durch sein Rechtsmittel dem Angeklagten T. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

d) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten A. gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Er hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Totschlags und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Den Angeklagten

T.

hat es vom Vorwurf einer gemeinschaftlich mit A. begangenen gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers I. freigesprochen. Der Angeklagte A. wendet sich mit seiner Revision insgesamt gegen seine Verurteilung. Der Nebenkläger I. erstrebt mit seiner Revision die Verurteilung des Angeklagten A. wegen Mordversuchs und eine Verurteilung des Angeklagten T. wegen gefährlicher Kör-
perverletzung. Die Revision des Angeklagten A. bleibt erfolglos, während die Revision des Nebenklägers I. diesen Angeklagten betreffend überwiegend Erfolg hat und im Übrigen unbegründet ist.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte A. , der mit dem Mitangeklagten T. unterwegs war, traf am 2. November 2017 seine 17-jährige Freundin Mo. in Bremen. Nach einem gemeinsamen Essen ging Mo. in einem Supermarkt einkaufen. Dort machte der ihr unbekannte Nebenkläger I. anlässlich eines verse- hentlichen „Beinahe-Remplers“ ihr gegenüber die Bemerkung, sie sei schön. Mo. berichtete dies dem Angeklagten A. , der darüber in Wut geriet und die Sache mit dem Urheber dieser Äußerung „klären“ wollte. Zunächst sprach der Angeklagte einen anderen Kunden an. Als seine Freundin das Missverständnis aufklärte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem Angesprochenen höflich. Vor dem Geschäft zeigte Mo. schließlich auf I. , der bereits die Straße überquert hatte und auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz, dem gegenüber gelegenen Lokal „Z “, war.A. ging mit T. , der von der Vorgeschichte nichts mitbekommen hatte, über die Straße auf I. zu und fragte, was dieser gerade zu seiner Freundin gesagt habe. Dieser fragte zurück, „was los sei“. Als Mo. mit einem Kopfnicken I. nochmals identifiziert hatte, schlug A. ihm mit der Faust ins Gesicht. „Er war von dem Gedanken geleitet, seine Freundin vor solchen Ansprachen schützen zu müssen und demjenigen, der es wagte, seine Freundin anzusprechen und damit eine Grenze überschritt, diesen Grenzübertritt deutlich zu machen. Die Ansprache und das Kompliment stellten für den Angeklagten eine ausreichende Gefahr und vollständig ausreichenden Anlass für eine anzubahnende Auseinandersetzung dar.“ Nach Auffassung der Strafkammer konnte „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden, dass I. ihn zuvor mit den Worten: „Ich ficke deine Mutter, ich ficke deine Frau“ oder Ähnlichem beleidigt hatte.
4
Anschließend zog der Angeklagte A. ein Klappmesser mit 10 cm langer Klinge und stach mit bedingtem Tötungsvorsatz mehrfach auf I. s Oberkörper ein. Das Messer drang unterhalb der linken Brustwarze 4 cm und am Rücken links neben der Wirbelsäule 6 cm ein. Ein Stichversuch in den Oberbauch misslang. Am rechten Oberarm verursachte der Angeklagte A. eine Schnittverletzung. Andere wurden auf das Geschehen aufmerksam. Der Inhaber des Lokals „Z. “,der gerade mit Fensterputzen beschäftigt war, warf eine Flasche mit Putzmittel in T. s Richtung. Ein Passant nahm die zum Fensterputzen an das Lokal gestellte Aluminiumleiter, um sie gegen die Angeklagten einzusetzen. Diese ergriffen die Flucht. A. hatte erkannt, dass er seinen Angriff auf I. aufgrund des Eingreifens Dritter nicht weiter würde fortsetzen können (Fall 1 der Urteilsgründe).
5
Als die Angeklagten an einem nahe gelegenen Pizzageschäft vorbeiliefen , wurde der in dem Laden sitzende Sa. – einweiterer Angestellter des Lokals „Z. “ – aufdas Geschehen aufmerksam und begab sich nach draußen. Er versuchte, A. von hinten an die Schulter zu greifen und so an der Flucht zu hindern. Dieser stach mit dem noch in seiner Hand befindlichen Messer mit Wucht und bedingtem Tötungsvorsatz in Sa. Oberkörper ein. Der Stich traf das Herz. Sa. verstarb kurze Zeit später (Fall 2 der Urteilsgründe).
6
2. Die Schwurgerichtskammer hat den Angeklagten T. vom Vorwurf einer gemeinschaftlich mit A. begangenen gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers I. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Über die Anwesenheit von T. am Tatort hinaus habe sie keine weitergehenden Feststellungen treffen können. Belastende Angaben des Nebenklägers I. und eines Zeugen stünden mit früheren Angaben und dem objektiven Tatbild in Widerspruch. Detaillierte Angaben zum Verhalten von T. habe kein Zeuge machen können.
7
3. Die Tat zum Nachteil des Nebenklägers I. hat die Strafkammer nicht als versuchten Mord gewertet. Heimtücke liege nicht vor, weil trotz objektiv heimtückischen Handelns das Tatbild und die affektive Erregung des Angeklagten gegen das notwendige Ausnutzungsbewusstsein sprächen. Auch niedrige Beweggründen seien nicht gegeben.

II.


8
Die mit einer Verfahrens- und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten A. deckt keinen Rechtsfehler auf.
9
1. Die Verfahrensrüge betreffend die Befangenheit eines Dolmetschers ist unzulässig, weil entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht diejenigen Verfahrensumstände vorgetragen werden, die zur Prüfung des geltend gemachten Fehlers erforderlich wären.
10
2. Die Sachrüge ist unbegründet. Die Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen die Schuldsprüche. Die Strafzumessung ist ebenso wenig zu beanstanden. Die zweifelhafte Ablehnung von Mordmerkmalen im Fall 2 der Urteilsgründe (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts und BGH, Urteil vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 339 mwN) benachteiligt den Angeklagten nicht.

III.


11
Die Revision des Nebenklägers I. ist mit der Sachrüge – die nicht näher ausgeführte Verfahrensrüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) – teilweise erfolgreich.
12
1. Die Ablehnung der Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
13
a) Nach Bejahung der objektiven Merkmale der Heimtücke hat die Schwurgerichtskammer das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein mit nicht tragfähiger Begründung abgelehnt.
14
aa) Ausreichend ist, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 22. Mai 2019 – 2 StR 530/18, NStZ 2019, 520, und vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Gesche- hens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, aaO mwN). Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit (BGH, aaO mwN).
15
bb) Diesem Maßstab wird die Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins nur teilweise gerecht, da die zugrundeliegende Würdigung Lücken aufweist.
16
(1) Als Argumente gegen die Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins hat die Schwurgerichtskammer namentlich genannt, dass der aufgrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung affektiv labile Angeklagte, der in Krisensituationen Schwierigkeiten mit der Regulierung von Affekten habe und einen unflexiblen, unangepassten Denkstil pflege, aufgrund der von ihm als Provokation empfundenen Ansprache seiner Freundin und der möglicherweise nachfolgenden Beleidigung affektiv erregt gewesen sei und die Tat spontan begangen habe.
17
(2) Damit hat die Strafkammer ganz wesentlich auf Punkte abgestellt, die das Hemmungsvermögen des Angeklagten betreffen, ohne darzulegen, wes- halb diese unmittelbare Auswirkungen auf seine Fähigkeit gehabt haben sollen, die Tatsituation zu erkennen und realistisch einzuschätzen. Dies versteht sich bei einem einfach gelagerten Geschehen wie dem vorliegenden auch nicht von selbst. Die Ausführungen des Sachverständigen zu etwaigen psychischen Einschränkungen des Angeklagten bei der Tatbegehung enthalten keine Hinweise auf tatrelevante Defizite bei der Wahrnehmung oder Einschätzung der Tatsituation. Vor diesem Hintergrund hätte die Strafkammer näher darlegen müssen, weshalb trotz erhaltener Unrechtseinsicht ausnahmsweise die Fähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt war, die übersichtliche Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für sein Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen.
18
Hinzu kommt, dass der Angeklagte von Anfang an vorhatte, „dieSache … zu klären“, dazu zunächst – irrtümlich – den Zeugen B. angesprochen, sich nach Bemerken des Missverständnisses „höflich“ bei diesem entschuldigt hatte und er erst anschließend dem Geschädigten I. folgte, weil er „einen ausreichenden Anlass für eine anzubahnende Auseinandersetzung“ sah. All dies belegt die vom Landgericht angenommene Spontantat nicht.
19
cc) In diesem Zusammenhang können auch die Feststellungen bezüglich einer kurz vor der Tat vom Nebenkläger ausgesprochenen Beleidigung nicht bestehen bleiben.
20
Nach Auffassung des Landgerichts ist eine solche „nicht gänzlich ausgeschlossen“ , weil der in der Hauptverhandlung schweigende Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen Entsprechendes berichtet habe. Der Nebenkläger hat dies in seiner Zeugenvernehmung in Abrede gestellt. Der Zeuge As. hat nach seinen aus Sicht der Kammer glaubhaften Angaben ebenfalls keine Belei- digung gehört, obwohl er wegen seiner Nähe zum Geschehen eine solche hätte hören müssen. Weitere relevante Zeugen zu diesem Punkt gab es nicht.
21
(1) An die Würdigung der Einlassung des Angeklagten sind dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Das Tatgericht darf eine Einlassung, für deren Wahrheitsgehalt keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen, nicht ohne Weiteres als unwiderlegt seiner Entscheidung zu Grunde legen. Vielmehr muss es sich seine Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit auf Grund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme bilden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 – 3 StR 226/04, NStZ-RR 2005, 45, 46).
22
(2) Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit und Schlüssigkeit der Einlassung des Angeklagten hat die Strafkammer mehrere hierfür relevante Gesichtspunkte nicht oder nur lückenhaft erörtert.
23
Zum einen hat sie nicht bedacht, dass es ihr mangels Einlassung in der Hauptverhandlung nicht möglich war, die diesbezüglichen Angaben des Angeklagten kritisch zu hinterfragen, so dass ihnen ohnehin nur ein geminderter Beweiswert zukam (vgl. nur Miebach, NStZ 2019, 318, 322 mwN). Zum anderen hat die Schwurgerichtskammer die sonstigen umfangreichen Erklärungen des Angeklagten zum Tatgeschehen – seine Freundin habe ihm von einer Bedrohung durch den Nebenkläger berichtet, er habe sich acht bis zehn Männern gegenüber gesehen, die auf ihn eingeprügelt hätten, der Nebenkläger habe anschließend ein Messer gezogen, das er diesem habe entwinden können – aufgrund objektiver Umstände und Zeugenaussagen nahezu vollständig als widerlegt angesehen. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass ein glaubhafter Tatzeuge die gegenteiligen Angaben des Nebenklägers bestätigt hat, hätte es näherer Erörterung bedurft, aus welchem Grund der Nebenkläger trotz mangelnder Deutschkenntnisse den ihm völlig unbekannten Angeklagten derart hätte beleidigen sollen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei einer vollständigen Würdigung das von der Strafkammer ersichtlich als ausschlaggebend gewertete Argument relativiert würde, der pakistanische Nebenkläger habe während seiner Vernehmung durch die Ermittlungsrichterin dieser gegenüber auf Urdu eine Beleidigung geäußert, weshalb es nicht fernliege, dass er auch den Angeklagten beleidigt habe.
24
b) Auch die Ablehnung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe weist Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
25
aa) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18, NStZ 2019, 206 mwN).
26
In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände , die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmä- ßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 – 5 StR 399/19 mwN).
27
bb) Nach diesen Maßstäben ist die Prüfung des Mordmerkmals defizitär.
28
(1) Als maßgebliches Tötungsmotiv hat die Schwurgerichtskammer angesehen , dass der Angeklagte gedacht habe, seine Freundin vor Ansprachen fremder Männer schützen zu müssen. Er habe es nicht ertragen, wenn fremde junge Männer seine Freundin anschauten, geschweige denn ansprachen und ihr ein Kompliment machten. Hinzu komme sein Selbstbild. Er sehe sich als tschetschenischer Moslem, dessen Bild von einer Partnerschaft durch die Vorstellung geprägt sei, eine Ehefrau habe dem Mann zu gehorchen, insbesondere nicht ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen. Die Zulassung eines auch nur sehr kurzen Kontaktes zwischen seiner Freundin und einem unbekannten Mann habe vom Angeklagten als Provokation, aber auch als eigenes Versagen und schließlich als Kränkung empfunden werden müssen, die wiedergutzumachen es gegolten habe. Aufgrund seines Erregungszustandes, seiner geringen Frustrationstoleranz und der Spontaneität des Tatentschlusses sei auch nicht völlig auszuschließen, dass bei dem Angeklagten die subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmales fehlten.
29
(2) Das vom Schwurgericht rechtsfehlerfrei bestimmte Tötungsmotiv erweist sich nach den Rechtsmaßstäben der hiesigen Rechtsgemeinschaft entgegen der Auffassung des Landgerichts in objektiver Hinsicht als niedrig. Dem Menschenbild des Grundgesetzes ist ein Verständnis der Beziehungen von Mann und Frau, wie es der Angeklagte hat, fremd. Mit den Werten des durchweg auf Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts ist es unvereinbar, das Ansprechen einer Frau durch einen anderen Mann auf der Grundlage einer Art von „Besitzanspruch“ als schwere Provokation auszulegen. Für ein nach den Maßstäben der hiesigen Rechtsgemeinschaft harmloses Tun einen anderen Menschen zu töten, stellt vielmehr wegen des eklatanten Missverhältnisses zwischen Anlass und Tat (vgl. zu diesem Maßstab MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 73; Fischer, 66. Aufl., § 211 Rn. 18, je mwN) – vorbehaltlich der vorzunehmenden Gesamtwürdigung – grundsätzlich einen niedrigen Beweggrund dar.
30
Nicht rechtsfehlerfrei sind vor diesem Hintergrund auch die Ausführungen des Schwurgerichts zu den subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals. Denn das Landgericht hat die subjektive Verfassung des Angeklagten zu den genannten Beweggründen nicht konkret in Beziehung gesetzt. Insbesondere hätte es vor dem Hintergrund der objektiven Niedrigkeit des festgestellten Tötungsmotivs näherer Erläuterung bedurft, weshalb der Angeklagte nach dem längeren Vorlauf der Tatbegehung („Anzeige“ des Geschehens durch Mo. , zunächst Ansprache eines anderen, dann Identifizierung des Nebenklägers und Vergewisserung durch den Angeklagten, erst Faustschlag, dann Messerstiche) angesichts seines Weltbildes nicht in der Lage gewesen sein soll, dieses Motiv in seiner Bedeutung zu erkennen und gefühlsmäßig zu beherrschen.
31
c) Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags. Dies zieht die Aufhebung des an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen tateinheitlicher gefährlicher Körperverletzung nach sich. Da die Rechtsfehler nur die Bewertung des Tötungsmotivs und die subjektive Seite der Mordmerkmale sowie die Feststellungen zu einer etwaigen Beleidi- gung des Nebenklägers I. betreffen, können die Feststellungen zum objektiven Geschehen im Übrigen und zum Tötungsvorsatz bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
32
2. Soweit sich die Revision des Nebenklägers in zulässiger Weise gegen den Freispruch des Angeklagten T. richtet, bleibt sie erfolglos. Die Beweiswürdigung des Landgerichts (vgl. zum Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts BGH, Urteil vom 6. Juni 2018 – 2 StR 20/18, NStZ-RR 2018, 289 mwN) weist insoweit keinen Rechtsfehler auf.
Mutzbauer Sander Schneider
Berger Mosbacher

Vorinstanz:
Bremen, LG, 26.02.2019 – 280 Js 66498/17 22 Ks (7/18)

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Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
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Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
für die Nebenklägerin G. als Nebenklägervertreter,
Rechtsanwalt
für den Nebenkläger R. als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 25. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , verurteilt worden ist; insofern bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen jedoch aufrechterhalten ;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im verbleibenden Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit zwei Fällen der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Nebenkläger, an eine andere als Schwur- gericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren festgesetzt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und beide Nebenkläger Revision eingelegt. Der Angeklagte hat eine Verfahrens- und die allgemeine Sachrüge erhoben. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes an. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet. Die Revisionen der Nebenkläger haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
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I. Nach den Feststellungen unterhielt der Angeklagte über mehrere Jahre eine außereheliche Beziehung zu der in A. wohnenden Nebenklägerin G. . Aus der Beziehung sind drei Kinder hervorgegangen. Im Lauf des Jahres 2010 beendete G. die konfliktreich gewordene Beziehung. Der Angeklagte vermochte das Beziehungsende nicht zu akzeptieren und erschien regelmäßig in der Wohnung der Nebenklägerin, weil er sie noch immer als seine Lebensgefährtin ansah und davon ausging, dass sie zu ihm gehöre (UA 7). Nachdem er am 11. Dezember 2010 gegenüber G. tätlich geworden war, wurde er von der herbeigerufenen Polizei der Wohnung verwie- sen und ihm ein Rückkehrverbot auferlegt. Gleich nach der Abfahrt der Polizei suchte er G. wieder auf und drohte, ihr den Kopf abzuschlagen (UA 7). Da G. bei dem Angeklagten einige Zeit zuvor eine Schusswaffe gesehen hatte, bekam sie nun soviel Angst, dass sie sich von ihrem Onkel, dem Zeugen D. , abholen ließ und bei ihm das Wochenende verbrachte (UA 8). Nach den Weihnachtsfeiertagen bezog sie eine eigene Wohnung in B. , die ihr D. vermittelt hatte. Sie lebte noch immer in großer Angst vor dem Angeklagten, der zwar nicht wusste, wo sie wohnte, aber regelmäßig Kontakt zu D. aufnahm, um ihren Wohnort zu erfahren (UA 8).
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Im Januar 2011 kam es auf Veranlassung des Angeklagten zu einer Sitzung eines sog. Ältesten- oder Familienrates aus Mitgliedern der Familie des Angeklagten und der Familie von G. . Dabei erhob der Angeklagte den Vorwurf, dass D. seine Kinder entführt und ihm die Frau weggenommen habe. G. und die Kinder gehörten zu ihm und hätten zu tun, was er wünsche (UA 10). Nachdem G. vor dem Ältestenrat darauf bestanden hatte, von dem Angeklagten getrennt zu leben, entschied der Ältestenrat , dass D. nicht schuldhaft gehandelt habe und der Angeklagte die Trennung von G. akzeptieren müsse. Der Angeklagte reagierte hierauf mit einer Äußerung, die von der Nebenklägerin G. zutreffend so verstanden wurde, dass er etwas so Schlimmes mit ihr anstellen werde, dass er sich auch „gleich selbst wegmachen könne“ (UA 11).
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Für G. entwickelte sich nun eine Phase erheblicher Angst. Sie lebte in der Hoffnung, dass der Angeklagte nicht wusste, wo sie wohnte. Tatsächlich war dem Angeklagten lediglich bekannt, dass G. in der Nähe der Wohnung ihres Onkels D. in B. lebte. Er bestreifte daher mit seinem Pkw die Gegend um die Wohnung des D. und hielt Ausschau. Dabei fiel sein Fahrzeug Nachbarn und Angehörigen von G. auf (UA 12). Auch rief der Angeklagte regelmäßig bei D. an und ließ ihn von anderen Leuten in aggressiver Weise nach der Adresse von G. befragen. Dabei gelang es ihm nicht, die genaue Adresse zu erfahren (UA 12). Nachdem G. von den Nachstellungen des Angeklagten erfahren und von ihm eine SMS mit einer Todesdrohung erhalten hatte, rechnete sie stets damit, dass der Angeklagte sie „irgendwann einmal erwischen“ würde. Sie konnte deshalb nicht mehr angstfrei vor die Tür treten und schränkte ihre Lebensführung erheblich ein (UA 12).
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Im März 2011 kam der Bruder von G. , der Nebenkläger R. , aus Mazedonien nach Deutschland, weil er hier Asyl beantragen wollte. Dazu hielt er sich ab dem 1. April 2011 in der Wohnung von G. in B. auf.
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Am 2. April 2011 kauften G. und R. gegen 15 Uhr in einem Supermarkt gegenüber der Wohnung von G. für einen Kindergeburtstag ein. Der Angeklagte wartete zu diesem Zeitpunkt in seinem in der Nähe der Einfahrt zum Parkplatz des Supermarktes geparkten Fahrzeug, weil er mit einem Einkauf von G. rechnete. Als G. und R. mit dem beladenen Einkaufswagen den Parkplatz des Supermarktes über die Einfahrt verließen, nahmen sie den Angeklagten nicht wahr. G. war jedoch noch immer in erheblicher und konkreter Sorge, dass der Angeklagte jederzeit unvermittelt auftauchen und sie überfallen könnte. Diese Sorge war auch R. bekannt und wurde von ihm ernst genommen (UA 13). Als der Angeklagte G. und R. erblickte , fuhr er mit voller Beschleunigung los, um einen Zusammenstoß mit beiden oder wenigstens mit dem Einkaufswagen herbeizuführen. Dabei nahm er Verletzungen von G. und R. zumindest billigend in Kauf. Der Zusammenstoß sollte dazu dienen, G. „so außer Gefecht zu setzen“, dass sie sich gegen den anschließend geplanten Angriff mit einer mitgeführten Selbstladepistole nicht mehr wehren oder davonlaufen konnte. Wenige Sekunden vor dem Zusammenstoß bemerkte R. das rasch näher kommende Fahrzeug und erkannte den Angeklagten. Er warnte deshalb sofort seine Schwester. Eine Flucht war jedoch nicht mehr möglich. Der von dem Angeklagten gesteuerte Pkw stieß mit einer Geschwindigkeit von mindestens 35 km/h gegen den Einkaufswagen. G. und R. wurden durch den Zusammenprall mit dem Pkw zu Boden geschleudert, nachdem zunächst einer von beiden auf die Motorhaube des Fahrzeugs aufgeladen worden war (UA 14).
7
Der Angeklagte verließ sogleich sein Fahrzeug und lief mit der entsicherten Pistole auf G. zu, um sie zu töten. Die nur leicht verletzte Nebenklägerin sprang auf und versuchte laut schreiend zu flüchten. Als sich R. dem Angeklagten in den Weg stellte, wurde er von ihm mit der Pistole zu Boden geschlagen. Der Angeklagte lief G. nach, wobei er ihr zu verstehen gab, dass er sie jetzt töten werde. Als der Angeklagte die sich zwischen mehreren Fahrzeugen verbergende G. eingeholt hatte, schlug er ihr von hinten mit der Waffe auf den Kopf und drückte sie zu Boden. Anschließend richtete er die Pistole auf ihre rechte Halsseite und betätigte mit Tötungsabsicht „einer Hinrichtung gleich“ den Abzug (UA 15). Das Projektil drang tief in den Halsraum von G. ein, zerstörte den vierten Halswirbelkörper und blieb schließlich auf der linken Seite hinter der Halsschlagader stecken (UA 16). G. stürzte zu Boden und blieb wimmernd liegen.
8
Als der Angeklagte unmittelbar nach dem Schuss auf G. zu seinem Auto laufen wollte (UA 15), wurde er von dem seiner Schwester zu Hilfe eilenden R. in einen Zweikampf verwickelt, in dessen Verlauf der Angeklagte R. direkt unterhalb des rechten Auges in den Kopf schoss, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, auch ihn zu töten (UA 15). Das Projektil zerstörte das Mittelgesicht und verursachte unter anderem eine Orbitabodenfraktur, eine ausgedehnte und dislozierte Kieferhöhlenfraktur, eine klaffende Jochbeinfraktur sowie ein Netzhautödem. Nachdem R. den Angeklagten losgelassen hatte und dieser nun tatsächlich zu seinem Auto laufen konnte (UA 25), ergriff er mit seinem Auto die Flucht. Hierbei ging es ihm ausschließlich darum, den Tatort – wie von vorneherein geplant – so schnell wie möglich zu verlassen, um einer Festnahme durch die zahlreich vorhandenen Zeugen zu entgehen (UA 16). Er rechnete damit, dass beide Nebenkläger an den erlittenen Schusswunden versterben würden. Dies war ihm wenigstens gleichgültig (UA 17 und 25).
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II. Zur Revision der Nebenklägerin G.
10
Die Revision der Nebenklägerin G. hat Erfolg, weil die Erwägungen , mit denen das Landgericht einen versuchten Heimtückemord und einen versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
11
1. Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten nicht als heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet, weil die Nebenklägerin infolge der früheren Drohungen und Nachstellungen des Angeklagten jederzeit mit einem Übergriff rechnete. Dies habe dazu geführt, dass sie in der Tatsituation nicht mehr arglos gewesen sei (UA 30). Diese Ausführungen lassen besorgen , dass das Landgericht von einem zu engen Begriff der Heimtücke ausgegangen ist.
12
a) Heimtückisch handelt, wer die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Opfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, Rn. 20; Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 16; Urteil vom 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.). Heimtückisch tötet auch, wer sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (BGH, Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, Rn. 20; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 20; Beschluss vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; Urteil vom 9. Dezember 1986 – 1 StR 596/86, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Lauert der Täter seinem ahnungslosen Opfer auf, um an dieses heranzukommen, kommt es nicht mehr darauf an, ob und wann es die von dem ihm gegenübertretenden Täter ausgehende Gefahr erkennt (BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 – 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264). Eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers hebt seine Arglosigkeit erst dann auf, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (BGH, Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 16; Urteil vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368). Die Rechtsprechung hat daher auch bei Opfern, die aufgrund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, einen Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht gezogen, wenn für sie ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht (vgl.
BGH, Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15; Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450, 451).
13
b) Nach den Feststellungen hatte die Nebenklägerin G. den in seinem Pkw wartenden Angeklagten bis wenige Sekunden vor der Tat nicht bemerkt. Ihre Befürchtung, der Angeklagte werde sie „irgendwann einmal erwischen“ , beruhte auf vorangegangenen, zum Teil mehrere Monate zurückliegen- den Todesdrohungen und dem Wissen um Nachstellungen des Angeklagten im Umfeld ihrer Wohnung. Umstände, die zu einer auf die Tatsituation bezogenen Aktualisierung und Konkretisierung dieser Befürchtung geführt haben, lassen sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache, dass die Nebenklägerin von dem auf ihr Leben gerichteten Angriff getroffen wurde, als sie mit ihrem gefüllten Einkaufswagen das belebte Gelände eines Supermarktes verließ, legt die Annahme nahe, dass sie sich jedenfalls in diesem Moment keines konkreten Angriffs von Seiten des Angeklagten versah und in einer hilflosen Situation überrascht wurde. Nach dem mit Verletzungsvorsatz geführten überraschenden Angriff mit dem Pkw war der Nebenklägerin zwar noch eine kurze Flucht möglich , doch vermochte sie sich aufgrund der Kürze der ihr verbleibenden Reaktionszeit dem mit Tötungsvorsatz nachsetzenden Angeklagten nicht mehr zu entziehen oder wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
14
2. Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, dass der Angeklagte zwar vornehmlich aus Wut über das Verlassenwerden gehandelt habe, doch lasse sich nicht feststellen, dass die Tat aus schlechthin unverständlichen und verachtenswerten Motiven heraus begangen worden sei (UA 30 f.). Diese Ausführungen lassen eine sachlichrechtliche Überprüfung nicht zu und geben Anlass zu der Besorgnis, dass wichtige Umstände der Tat und zur Motivation des Angeklagten nicht berücksichtigt worden sind.
15
a) Aus niedrigen Beweggründen tötet, wer sich maßgeblich von einem oder mehreren Handlungsantrieben leiten lässt, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb verwerflich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1952 – 1 StR 272/52, BGHSt 3, 132; Urteil vom 24. Mai 2012 – 4 StR 62/12, Rn. 17). Ob dies der Fall ist, muss im Einzelfall auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren Faktoren beurteilt werden, die für die Motivbildung von Bedeutung waren (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2012 – 4 StR 62/12, Rn. 17; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 10; Urteil vom 14. Dezember 2000 – 4 StR 375/00, StV 2001, 228, 229). Beruht die Tötung auf Gefühlsregungen wie Wut, Zorn oder Verärgerung, denen jedermann mehr oder weniger stark erliegen kann, kommt es für die Beurteilung auf die zugrunde liegende Gesinnung des Täters an (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011; Urteil vom 14. Oktober 1987 – 3 StR 145/87, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8; MüKo-StGB/Schneider § 211 Rn. 71).
16
b) Das Landgericht hat sich mit der Grundhaltung des Angeklagten, die seiner Wut über das Verlassenwerden zugrunde lag, nicht erkennbar auseinandergesetzt. Auch im Übrigen fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung. Nach den Feststellungen ging der Angeklagte davon aus, dass die Nebenklägerin zu ihm gehöre und – wie auch die gemeinsamen Kinder – zu tun habe, was er wünsche. Ihren Trennungswunsch ignorierte er ebenso, wie ein polizeiliches Rückkehrverbot und die Entscheidung des seinem Kulturkreis angehörenden Ältestenrates, den er zuvor selbst als Autorität angerufen hatte. Der direkte Tötungsvorsatz und die „hinrichtungsgleiche“ Tatausführung deuten darauf hin, dass es dem Angeklagten vornehmlich darum ging, seine Wut in einer Bestrafung der Nebenklägerin abzureagieren. Bei dieser Sachlage hätte erörtert werden müssen, ob die tatauslösende Gefühlsregung des Angeklagten auf einer Grundhaltung beruhte, die durch eine ungehemmte Eigensucht, exklusive Besitzansprüche und eine unduldsame Selbstgerechtigkeit gekennzeichnet ist. Eine solche Grundhaltung steht nach allgemeiner sittlicher Bewertung auf tiefster Stufe (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1952 – 1 StR 272/52, BGHSt 3, 132, 133; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 11).
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III. Zur Revision des Nebenklägers R.
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1. Die Revision des Nebenklägers R. hat Erfolg, weil das Landgericht bei der Prüfung einer versuchten Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB ein nach den Feststellungen naheliegendes als niedrig zu bewertendes Tatmotiv nicht erörtert hat.
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a) Ein niedriger Beweggrund kann auch gegeben sein, wenn sich der Täter zur Tötung eines Menschen entschließt, um sich einer berechtigten Festnahme zu entziehen und ungehindert entkommen zu können. Dieser Tatantrieb muss in aller Regel ebenso beurteilt werden, wie die in § 211 Abs. 2 StGB ausdrücklich hervorgehobene Verdeckungsabsicht, weil es dem Täter in beiden Fällen darum geht, sich seiner Verantwortung für begangenes Unrecht unter Inkaufnahme des Todes eines Menschen zu entziehen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1970 – 1 StR 68/70, MDR 1971, 722 bei Dallinger; Urteil vom 14. Oktober 1987 – 3 StR 145/87, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8; vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 319/98, StV 2000, 74, 75; Urteil vom 14. Juli 1988 – 4 StR 210/88, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11; MüKo-StGB/Schneider, § 211 Rn. 78; LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 25).
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b) Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte nach dem Schuss auf die Nebenklägerin G. durch den Nebenkläger R. daran gehindert, unverzüglich mit seinem Auto zu fliehen. Als er sich aus dieser Lage mit dem Schuss in das Gesicht des Nebenklägers befreit hatte, verließ er – wie von vorneherein geplant – fluchtartig den Tatort. Danach hätte sich das Landgericht mit der Frage befassen müssen, ob sich der Angeklagte den Fluchtweg mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz freigeschossen und deshalb bei der Abgabe des zweiten Schusses aus einem niedrigen Beweggrund gehandelt hat.
21
2. Einen versuchten Heimtückemord hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend verneint. Der Nebenkläger R. war nach den Feststellungen im Zeitpunkt der Schussabgabe auf ihn weder arg- noch wehrlos. Der anfängliche Überraschungseffekt wirkte nicht mehr fort.
22
IV. Zur Revision des Angeklagten
23
Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 Satz 1 StPO) geltend macht, bleibt erfolglos. Dabei kann es dahinstehen, ob der von dem Beschwerdeführer behauptete Verfahrensfehler vorliegt, weil ein Beruhenszusammenhang (§ 337 Abs. 1 StPO) ausgeschlossen werden kann. Das Landgericht hat die Angaben des Ersthelfers Gö. , die in dem nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesenen polizeilichen Vermerk vom 2. April 2011 festgehalten worden sind, zur Stützung des Schuld- oder Strafausspruchs nicht herangezogen. Da sich diese Angaben lediglich auf ein Ereignis nach der Tat (Anfertigung von drei Lichtbildern des Pkw des flüchtenden Angeklagten) beziehen, handelte es sich bei Gö. auch nicht um einen „unmittelbaren Tatzeugen“, auf die sich die von dem Beschwerdeführer zur Begründung eines Beruhenszusammenhanges ins Feld geführte allgemeine Formulierung in den Urteilsgründen bezieht. Die Erwägungen , mit denen das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklag- ten verneint hat, haben keinen Bezug zu den von Gö. gefertigten Lichtbildern.
24
Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Jedoch war der Schuldspruch zu berichtigen, weil der Angeklagte durch den von ihm herbeigeführten Zusammenstoß beide Nebenkläger verletzt und sich dadurch der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat. § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1959 – 2 StR 291/59, BGHSt 14, 5, 7). Auch kann ausgeschlossen werden, dass es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, sich anders als geschehen zu verteidigen.
25
V. Die Aufhebung der Verurteilungen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Maßregelanordnung kann dagegen bestehen bleiben, weil sie allein an die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB anknüpft.
26
Soweit das Urteil auf die Revisionen der Nebenkläger aufgehoben worden ist, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben.
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Quentin Reiter

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 530/18
vom
22. Mai 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2019:220519U2STR530.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8. Mai 2019 in der Sitzung am 22. Mai 2019, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Eschelbach, Zeng, Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin in der Verhandlung als Vertreterin der Nebenkläger,
Amtsinspektorin in der Verhandlung, Amtsinspektorin bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. April 2018 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch ein erstes Urteil wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Senat hat dieses Urteil auf die Revision der Nebenkläger durch Urteil vom 7. Juni 2017 − 2 StR 474/16 (NStZ 2018, 93 f. mit Anm. Engländer) mit den Feststellungen aufgehoben. Durch Beschluss vom gleichen Tage (NStZ-RR 2017, 368 f.) hat er das genannte Urteil auf die Revision des Angeklagten im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Nach Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt. Dagegen richten sich die Revision des Angeklagten und die wirksam auf den Strafausspruch beschränk- te, zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Am 16. August 2015 trainierte der damals 22-jährige Angeklagte, der in den Tag hineinlebte und Arbeitslosengeld II bezog, in einem Fitnesscenter in M. . Anschließend trank er dort acht Flaschen Bier zu je 0,5 l und ließ die Zeche anschreiben, weil er kaum noch über Bargeld verfügte. Gegen 19.30 Uhr wollte er an einer Tankstelle einen Kasten Bier kaufen, konnte aber den Preis von 20,50 Euro nicht aufbringen. Sein Versuch, Geld an einem Automaten abzuheben , schlug mangels Deckung fehl. Daher erwarb er mit restlichem Bargeld fünf Flaschen Bier zu je 0,5 l, die er zuhause konsumierte. Im weiteren Verlauf des Abends entschloss er sich dazu, von seinem Wohnort in M. nach

W.

zu fahren, um dort Betäubungsmittel zu erwerben. Über den Nachrichtendienst WhatsApp versuchte er vergeblich, Bekannte zu kontaktieren, von denen er sich Hilfe bei der Drogenbeschaffung erhoffte.
4
Gegen 22.20 Uhr erschien auf Bestellung des Angeklagten das spätere Tatopfer Z. mit seinem Taxi. Der Angeklagte steckte sich ein Küchenmesser in den Hosenbund und stieg in das Taxi, obwohl er nur noch über 2,75 Euro Bargeld verfügte und wusste, dass er mit seiner Bankkarte kein Geld abheben konnte. Zu welchem Zweck er das Messer mitführte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
5
Kurz nach 23.00 Uhr kam das Taxi am Marktplatz in W. an, wo der Fahrer Z. den Fahrpreis in Höhe von 89,90 Euro verlangte. Der Angeklagte bot ihm an, die Forderung bargeldlos zu begleichen, was Z. jedoch ablehnte. Darauf begab sich der Angeklagte zu der K. am Marktplatz und fragte am Bankautomaten den Stand seines Kontos ab, das sich mit 2,94 Euro im Soll befand. Gleichwohl versuchte er erfolglos, 200 Euro abzuheben. Sodann setzte er sich wieder auf den Beifahrersitz des Taxis, berichtete dem Taxifahrer, in der Sparkasse kein Geld bekommen zu haben und bot diesem an, seinen Personalausweis zu hinterlassen und den Fahrpreis am nächsten Tag zu bezahlen. Dies lehnte Z. ab. In diesem Moment erschien der Taxifahrer O. am Marktplatz. Der Angeklagte winkte diesen heran und erkundigte sich, ob bei seinem Taxiunternehmen bargeldlos bezahlt werden könne , was O. verneinte. Der Angeklagte bat O. , einen weiteren ihm bekannten Taxifahrer zu kontaktieren, damit dieser für ihn bürge; der weitere Taxifahrer war aber nicht erreichbar. Schließlich empfahl O. seinem Kollegen Z. , mit dem Angeklagten zur Polizei zu fahren, um dessen Personalien feststellen zu lassen ; alternativ solle er mit dem Angeklagten zu einer Tankstelle fahren, wo dieser mit der Bankkarte Geld beschaffen solle. Dann entfernte sich O. . Z. fuhr los, hielt aber nach wenigen Metern wieder an, um die Situation erneut mit dem Angeklagten zu besprechen.
6
Der Angeklagte fasste nun spontan den Entschluss, den Taxifahrer mit dem bisher verborgenen Küchenmesser anzugreifen. Ein Motiv dafür vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Der Angeklagte zog das Messer aus dem Hosenbund und versetzte Z. eine Reihe von Stich- und Schnittverletzungen im Gesicht, am Hals und am Oberkörper, um diesen zu töten. Der Geschädigte hatte nicht mit einem Angriff auf sein Leben gerechnet. Er erlitt zwanzig Stich- und Schnittverletzungen, wobei ihm unter anderem die linke Schlüsselbeinschlagader durchtrennt wurde. Es gelang ihm zwar noch, die Fahrertür zu öffnen , aus dem Taxi auszusteigen und um Hilfe zu rufen; dann aber brach er zusammen und verstarb alsbald, während der Angeklagte zu Fuß floh.
7
2. Das Landgericht hat die Tat als heimtückisch begangenen Mord gewertet. Die Arg- und Wehrlosigkeit des Taxifahrers habe der Angeklagte bewusst zu der mit direktem Tötungsvorsatz begangenen Tat ausgenutzt. Zwar leide er nicht ausschließbar an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und habe spontan gehandelt. Jedoch habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers angesichts der Tatsituation derart auf der Hand gelegen, dass der Angeklagte sie auch in sein Bewusstsein aufgenommen habe. Weder seine Alkoholisierung , noch sein spontaner Tatentschluss oder die Persönlichkeitsstörung gäben Anlass zu einer anderen Bewertung des Ausnutzungsbewusstseins. Die Persönlichkeitsstörung habe jedoch im Zusammenwirken mit der Alkoholisierung bei einer Blutalkoholkonzentration von maximal 2,45 Promille zur Tatzeit nicht ausschließbar eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens zur Folge gehabt, welche die Anwendung von § 21 StGB rechtfertige.

II.

8
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Schuld- und Strafausspruch weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dies gilt auch für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Angeklagten bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt und daher das Tatopfer im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB heimtückisch getötet.
9
1. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 − 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26, 27). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, StraFo 2014, 433 f.; Urteil vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 393). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt. Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 117/14, NStZ 2014, 639).
10
2. Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage, die nur in eingeschränktem Maß der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 − 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Urteil vom 29. Januar 2015 − 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 393). Die Nachprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
11
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass auch die Beeinträchtigungen des Angeklagten durch eine Persönlichkeitsstörung und seine Alkoholisierung jedenfalls die kognitiven Fähigkeiten nicht erheblich beeinflusst hatten.
Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Die Strafkammer hat angesichts des Verhaltens des Angeklagten vor der Tat bei seinen verschiedenen Versuchen, das Zahlungsproblem auszuräumen, rechtsfehlerfrei angenommen, die Alkoholisierung des Angeklagten habe sich nicht auf seine Unrechtseinsicht ausgewirkt. Einen schwerwiegenden Affekt hat sie vor allem mangels charakteristischen Affektauf- und -abbaus verneint. Schließlich hat die Strafkammer festgestellt , die zur Tatzeit gegebene kombinierte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten habe sich nicht auf sein Bewusstsein, sondern nur auf das Hemmungsvermögen ausgewirkt.

III.

12
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls unbegründet. Die Anwendung des § 21 StGB durch das Landgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden.
13
1. Die Einordnung des psychischen Befundes beim Angeklagten zur Tatzeit als eine nicht ausschließbare schwere andere seelische Abartigkeit ist rechtsfehlerfrei.
14
a) Bei der „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff zu verschiedenen Varianten, die unterschiedliches Gewicht haben. Diese reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirkender Ausprägungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, deren Störungsgrad Krankheitswert zukommt. Gelangt der Sachverständige zur Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, ist dies noch nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfä- higkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52).
15
Das Landgericht ist der Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, bei dem Angeklagten habe sich das Bild einer emotionalinstabilen Persönlichkeitsstörung mit dominant paranoiden, schizoiden und dissozialen Wesenszügen sowie narzisstischen Merkmalen ergeben. Die Sachverständige hat weiter erläutert, der Angeklagte neige zu Jähzorn, wenn er auf Ablehnung , Versagung, Beleidigung oder Provokation stoße. Es bestehe eine ausgeprägte Störung der Affektregulation mit der Folge von kognitiven Verzerrungen , aus denen sich Impulshandlungen ergäben. Aus psychiatrischer Sicht sei von einem Grenzfall auszugehen, bei dem das Vorliegen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit jedenfalls nicht auszuschließen sei. Die Störung weise eine Beziehung zur Tat auf, weil diese vor dem Hintergrund eines neurotischen Konflikts infolge der Zurückweisung des Angeklagten durch die Personen begangen wurde, mit denen er Kontakt aufnehmen wollte, ferner, weil die Tat abrupt und ohne Sicherungstendenzen sowie in einer affektiven Erregung begangen worden sei. Die Alkoholisierung bei einem Blutalkoholgehalt von bis zu 2,45 Promille zur Tatzeit komme als konstellativer Faktor hinzu.
16
b) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auf dieser Grundlage das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB jedenfalls nicht sicher ausschließen konnte.
17
Im Anschluss an die psychiatrische Literatur nennt die Rechtsprechung verschiedene Voraussetzungen für eine schwere andere seelische Abartigkeit, unter anderem das Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten, eine konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat, ein abrupter Tatablauf, das Vorliegen konstellativer Faktoren, wie Alkoholisierung, Ermüdung und affektive Erregung. Als gegenläufige Indizien können im Einzelfall eine Tatvorbereitung, planmäßiges Vorgehen, die Fähigkeit zu warten, ein komplexer Handlungsablauf, eine Vorsorge gegen Entdeckung, die Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen oder das Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53). Die Kriterien müssen im Einzelfall nicht sämtlich vorliegen, sie können auch über längere Zeitspannen hinweg variieren. Zudem können sie sehr unterschiedliches Gewicht haben. Maßgebend ist daher eine Gesamtschau aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls.
18
Nach den Urteilsgründen hat das sachverständig beratene Landgericht eine solche Gesamtwürdigung anhand anerkannter Maßstäbe vorgenommen. So ist seine Annahme, festgestellte frühere Aggressionshandlungen des Angeklagten und die abzuurteilende Tat ließen prinzipiell ein durchgehendes Verhaltensmuster erkennen, rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat dabei nicht übersehen, dass die früheren Aggressionsdurchbrüche andere Ursachen hatten.
19
Wenn die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe nicht gewürdigt, dass der Angeklagte die Tat vorher konstelliert habe, weil das Mitführen des Messers keinem anderen Zweck gedient haben könne, als dem Einsatz gegen Menschen, setzt sie letztlich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts. Dieses konnte den Grund für das Mitführen des Messers durch den Angeklagten nicht feststellen und hat rechtsfehlerfrei erläutert, warum ihm eine solche sichere Feststellung nicht möglich war.
20
Auch dass der Angeklagte vor der Tat Krafttraining betrieben, danach in emotional unauffälliger Weise mit Bekannten Kontakt aufgenommen hatte, der Geschädigte ihm anschließend freundlich begegnete und der Zeuge O.
keine emotionalen Auffälligkeiten bemerkt hatte, steht der Annahme des Landgerichts , der stark alkoholisierte Angeklagte habe die Tat nach dem erneuten Anhalten des Taxis in einer dann plötzlich aufwallenden affektiven Erregung abrupt begangen, von Rechts wegen nicht entgegen. Der nach dem erneuten Anhalten des Taxis spontan getroffene Tatentschluss korrespondiert mit der festgestellten Neigung des Angeklagten zu irrational erscheinender, auf plötzlichem Jähzorn beruhender Aggressivität.
21
Das Ausbleiben von Gewalthandlungen des Angeklagten während der vorläufigen Unterbringung nach der Tat schließt, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 7. Juni 2017 – 2 StR 474/16 (NStZ-RR 2017, 368, 369) ausgeführt hat, das Vorliegen einer erheblichen Persönlichkeitsstörung bei der Tatbegehung nicht aus.
22
2. Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter in eigener Verantwortung unter wertender Betrachtung der Gesamtumstände zu beantworten hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53). Es ist kein „Zirkelschluss“, wenn das Landgericht dem Vorliegen einer „schweren“ anderenseelischen Abartigkeit einen Hinweis auf deren Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB entnommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 – 5 StR 3/01, StraFo 2001, 249 f.). Wird nämlich eine „schwere“ andere seelische Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB festgestellt, die nicht bei jeder Persönlichkeitsstörung vorliegt und nur in Betracht kommt, wenn Symptome von beträchtlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer belasten oder einengen, wie krankhafte seelische Störungen, liegt es nahe, der konkreten Ausprägung der Persönlichkeitsstörung im Einzelfall auch die Wirkung einer „erheblichen“ Verminderungder Schuldfähigkeit beizumessen (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1996 − 5 StR 524/95, NStZ 1996, 318; Beschluss vom 22. August 2001 − 1 StR 316/01, StV 2002, 17 f.).
Appl Eschelbach Zeng Grube Schmidt

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 299/19
vom
9. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:091019U5STR299.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander,
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Prof. Dr. Mosbacher,
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 2. Januar 2019 mit den Feststellungen – ausgenommen diejenigen zum objektiven Tatgeschehen – aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben. Seine weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die zur Aufhebung des Strafausspruchs führt. Die – vom Generalbundesanwalt vertretene und ebenfalls mit der Sachrüge begründete – Revision der Staatsanwaltschaft hat zu Lasten des Angeklagten die überwiegende Aufhebung des Urteils zur Folge.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte ist seit vielen Jahren alkoholabhängig und hat bereits mehrere Therapiemaßnahmen erfolglos durchlaufen. Seit 1985 musste er zahlreiche Haftstrafen u.a. wegen Nötigung, Diebstahls, räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und räuberischer Erpressung verbüßen. Zuletzt wurde im März 2018 eine sechsmonatige Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung und anderer Delikte gegen ihn verhängt.
4
In einer betreuten Wohneinrichtung für suchtkranke Menschen hatte er 2014 das spätere Tatopfer kennengelernt, die 18 Jahre jüngere K. ; auch sie war dem Alkohol verfallen und litt zudem an einer BorderlineStörung. Beide waren seitdem liiert, stritten sich aber immer wieder. Ein im Februar 2017 geborenes gemeinsames Kind wurde Anfang 2018 auf Drängen des Jugendamtes dauerhaft in eine Pflegefamilie gegeben. Der Angeklagte machte hierfür insbesondere seine Partnerin verantwortlich, weil diese durch ihre zahlreichen Alkoholrückfälle auch ihn wieder zu eigenem Alkoholkonsum verführt hätte. Er entwickelte schließlich, zumindest wenn er Alkohol getrunken hatte, Hassgefühle gegen sie.

5
Nach einem Gerichtstermin gab es erneut erheblichen Streit zwischen beiden. Die Gedanken des Angeklagten kreisten darum, dass er sich von seiner Partnerin ausgenutzt fühle, sie sein Leben zerstöre, sich an diesem Tag „un- möglich“ benommen habe und er sich eigentlich von ihr trennen wolle. In einer Grünanlage unmittelbar vor dem Polizeirevier gab es nach einer vorübergehenden räumlichen Trennung ein letztes Gespräch, bei dem der Angeklagte zunächst noch wünschte, hieraus die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wiedererlangen zu können. Das Gespräch verlief aber in eine andere Richtung. Während der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vorwarf, dass sie ihn nur „verarsche“ und benutze, brachte sie ihm gegenüber ihre Verachtung zum Aus- druck.
6
Der gekränkte und enttäuschte Angeklagte beschloss nunmehr unvermittelt , dass K. für das, was sie ihm angetan hatte, sterben müsse. Er führte im Hosenbund ein Küchenmesser mit 20 cm langer Klinge bei sich. Ohne dass sie zu einer Abwehrreaktion fähig war, stach er mit Tötungsabsicht zweimal in Richtung ihres Körpers. Dabei sagte er: „Jetzt bekommst du, was du verdienst!“. Er traf sie jedoch lediglich am linken Oberschenkel. Sie sprang schreiend auf und lief davon, wurde aber nach wenigen Metern vom Angeklagten eingeholt, der ihr unmittelbar nachgesetzt hatte. Er stach ihr – wiederum mit Tötungsabsicht – mit voller Wucht das Messer von hinten im Bereich der rechten Schulter in den Rücken. An der hierdurch verursachten schweren Verletzung starb K. kurze Zeit später. Der Angeklagte rief die Polizei und stellte sich, wobei er die Tat sogleich zugab.
7
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat der alkoholisierte, jedoch voll schuldfähige Angeklagte (maximal 2,1 Promille Blutalkoholkonzentration) zwar objektiv heimtückisch gehandelt. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass er sich bei seinem Angriff auf das Leben seines Opfers des Umstandes bewusst war, dass er es überraschte und seine Überraschung zur Überwindung der Gegenwehr ausnutzte.

II.


8
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision zu Recht die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke.
9
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Täter das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Auch ein offen feindseliger Angriff kann heimtückisch sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 mwN).
10
Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – 2 StR 530/18, NStZ 2019, 520). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet wer- den, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – 2 StR 530/18 aaO mwN). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, aaO mwN). Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit (BGH, aaO mwN). Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Frage (vgl. BGH, aaO mwN).
11
2. Auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes erweist sich die Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins als rechtsfehlerhaft. Die zugrundeliegende Würdigung weist Lücken auf und wird deshalb dem genannten Maßstab nur teilweise gerecht.
12
a) Das Landgericht hat folgende Gründe zur Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins angeführt: Der zu affektivem Verhalten neigende und nur eingeschränkt zur Impulskontrolle fähige Angeklagte sei emotional aufgewühlt und aufs Äußerste frustriert sowie alkoholisiert gewesen. Er habe sich Beleidigungen und Vorhalten des Tatopfers ausgesetzt gesehen. Unter Alkoholeinfluss baue er ein starkes Aggressionspotential auf und sei dann zu vernünftigen Problemlösungen nicht mehr in der Lage. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der stets fahrige Angeklagte sich des Umstandes, sein Opfer durch einen Angriff mit dem Messer zu überraschen und seine Abwehr dadurch zu beeinträchtigen , nicht bewusst gewesen sei. Tatgrund sei allein ein von ihm bilanzier- tes, rein subjektives „Jetzt reicht es“ und kein objektives „Die Gelegenheit passt“ gewesen. Die Tatsituation sei auch nicht so eindeutig, dass die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins „zwingend“ erscheine. Zudem sei der Angeklag- te ohne Tötungsgedanken in das Gespräch gegangen.
13
b) Damit hat die Strafkammer ganz wesentlich auf Punkte abgestellt, die das Hemmungsvermögen des Angeklagten betreffen, ohne darzulegen, weshalb diese unmittelbare Auswirkungen auf seine Fähigkeit gehabt haben sollen, die Tatsituation realistisch einzuschätzen. Dies versteht sich bei einem einfach gelagerten Geschehen wie dem vorliegenden auch nicht von allein. Nicht einmal der Angeklagte selbst hat angegeben, er sei sich nicht bewusst gewesen, sein Opfer mit dem Messerangriff zu überraschen, obwohl er ansonsten die Tatumstände detailliert und umfassend dargelegt hat. Die Ausführungen des Sachverständigen zu etwaigen psychischen Einschränkungen des Angeklagten bei der Tatbegehung enthalten auch keine Hinweise auf tat-relevante Defizite bei der Wahrnehmung oder Einschätzung der Tatsituation. Vor diesem Hintergrund hätte die Strafkammer näher darlegen müssen, weshalb trotz erhaltener Unrechtseinsicht ausnahmsweise die Fähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt war, die übersichtliche Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für sein Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen.
14
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen, die rechtsfehlerfrei getroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

III.


15
Die Revision des Angeklagten führt zu seinen Gunsten zur Aufhebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet.
16
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er sein Ziel energisch verfolgt habe, indem er nach den ersten beiden Stichen seinem Opfer nachgerannt sei und ihm den tödlichen dritten Stich versetzt habe. Damit lastet die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB an, dass er die Tat überhaupt vollendet hat und nicht vom Tötungsversuch zurückgetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 332/03, mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten bei der Strafzumessung ausgewirkt hat.
17
Soweit im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt wird, ob und gegebenenfalls wann die Verurteilung vom 21. März 2018 (Bewährungsstrafe von sechs Monaten) rechtskräftig geworden ist, wird dies in der neuen Entscheidung nachzuholen sein.
Sander Schneider König
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 580/17
vom
4. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR580.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Juli 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Dr. Berger. Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin A. als Verteidigerin,
Rechtsanwalt H. als Vertreter des Nebenklägers K. ,
Rechtsanwalt W. als Vertreter der Nebenklägerin Ha. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Mai 2017 mit Ausnahme der Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen betreffend Tat 1 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und die Neben- klägerin mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Der Angeklagte beanstandet zudem das Verfahren. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge im tenorierten Umfang Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wartete der Angeklagte am
2
Vormittag des 19. September 2016 vor der Dienstzimmertür der Nebenklägerin Ha. im Bezirksamt N. auf eine Gelegenheit, deren Zimmer zu betreten und die Nebenklägerin mit einem Kampfmesser zu töten, das er in einem Rucksack mitsichführte. Die Nebenklägerin, die deutsch mit russischem Akzent spricht, war die für den Angeklagten zuständige Mitarbeiterin der Abteilung Sozialangelegenheiten. Sie war mit Anträgen des Angeklagten auf Zuweisung eines Einzelzimmers in einer Wohnungsloseneinrichtung befasst. Einige Tage zuvor hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie bislang keinen Erfolg bei der Suche nach einem Einzelzimmer für ihn gehabt habe.
Als die Nebenklägerin ihre Zimmertür öffnete, trat der Angeklagte an sie
3
heran und führte mit dem Messer einen wuchtigen Hieb in Richtung ihres Halses aus. Er verfehlte sein Ziel jedoch, möglicherweise weil er nicht so schnell mit einer Gelegenheit zum Angriff auf die Nebenklägerin gerechnet und sich noch nicht vollständig auf die Tatausführung eingestellt hatte, und versetzte der Nebenklägerin stattdessen mit der Hand oder dem Messer lediglich einen kräftigen Stoß gegen die linke Schulter.
Verfolgt vom Angeklagten, der ihr tödliche Stiche zufügen wollte, floh die
4
Nebenklägerin in einen angrenzenden Büroraum. Dort stach der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Behördenmitarbeiter S. ein, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, und fügte ihm eine 3 cm tiefe und 7 cm lange Verletzung am Oberkörper zu. Da der Angeklagte die Nebenklägerin nicht mehr erblicken konnte, wandte er sich zur Flucht. Im Treppenhaus begegnete er zwei herbeieilenden Wachmännern. Dem spontanen Entschluss folgend, auch den Sicherheitsdienstmitarbeiter K. zu töten, schlug er mit dem Messer auf diesen ein und verletzte ihn am rechten Unterarm. K. flüchtete, ohne dass der Angeklagte ihm nachsetzte.
5
2. Bei diesen Taten handelte der Angeklagte nach Einschätzung des sachverständig beratenen Landgerichts infolge einer bei ihm bestehenden wahnhaften Störung jeweils im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit. Die Wahrnehmung des Angeklagten sei in krankheitswertiger, wahnhaft übersteigerter Weise durch eine Abneigung gegen Ausländer und dadurch stark eingeengt gewesen, dass er sich durch den Staat vernachlässigt und benachteiligt fühlte. Bei dem Angriff auf die Nebenklägerin habe er wahnhaft ange- nommen, diese sei „keine Deutsche und (habe) sich nicht genügend um seine Wohnsituation gekümmert“. Wahnbedingt habe sich der Angeklagte von der Nebenklägerin getäuscht und benachteiligt gefühlt und angenommen, sie als vermeintliche Ausländerin habe ihm schaden wollen. Daher sei er in seinem Wahnsystem davon ausgegangen, sie bestrafen zu müssen.
3. Das Landgericht hat die Taten zum Nachteil des Geschädigten
6
S. (Tat 2) und des Nebenklägers K. (Tat 3) rechtlich jeweils als gefährliche Körperverletzung und die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Ha. (Tat 1) als versuchten Totschlag gewürdigt. Die Mordmerkmale der sonstigen niedrigen Beweggründe und der Heimtücke hat es nicht als erfüllt angesehen. Ausländerhass sowie Wut und Verärgerung über seine Wohnsituation und die mangelnde Abhilfe durch die Nebenklägerin seien zwar aus objektiver Sicht als niedrig einzustufen, jedoch habe dem Angeklagten infolge der bei ihm bestehenden wahnhaften Störung die Fähigkeit gefehlt, diese Antriebe zutreffend zu bewerten. Für das Mordmerkmal der Heimtücke fehle es am erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein. Der Angeklagte sei von der sich ihm bietenden Gelegenheit zum Angriff auf die Nebenklägerin überrascht gewesen und habe deren Arg- und Wehrlosigkeit nicht in sein Bewusstsein aufgenommen.

II.


7
Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils im tenorierten Umfang.
8
1. Die erhobene Verfahrensbeanstandung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
2. Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), die den An9 geklagten im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB beschwert , hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten infolge einer wahnhaften Störung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war.

a) Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) setzt voraus,
10
dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten infolge eines den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zuzuordnenden psychischen Defekts erheblich vermindert war. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähig- keit – insbesondere das Einsichtsvermögen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2013 – 2 StR 534/13; vom 16. Mai 2012 – 3 StR 33/12) – auswirken ; standen Tatmotiv und -handlung aber nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema, ist allein aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten (BGH, Urteil vom 25. Februar 2015 – 2 StR 495/13).
11
Um die revisionsgerichtliche Nachprüfung dieser Voraussetzungen zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar selbst mit ihnen auseinanderzusetzen. Erforderlich ist insoweit insbesondere stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2017 – 1 StR 63/17; Beschluss vom 16. März 2017 – 4 StR 11/17).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilgründe nicht gerecht.
12
aa) Auf der Grundlage der Ausführungen der Schwurgerichtskammer
13
kann der Senat schon die Diagnose einer im Sinne des § 21 StGB relevanten wahnhaften Störung nicht nachvollziehen, da die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen unzureichend dargestellt sind.
So nimmt das Landgericht im Rahmen seiner Schuldfähigkeitsprüfung
14
bei der Schilderung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Bezug auf Konflikte des Angeklagten in der Vergangenheit, die auf eine wahnhafte Verarbeitung zwischenmenschlicher Interaktionen hindeuteten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Vorkommnissen, die das Landgericht – ohne hierzu Einzelheiten zu schildern – lediglich in den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen mitteilt, fehlt jedoch ebenso wie nähere Darlegungen zu der sachverständigen Wertung, hierin komme eine krankheitswertige Störung zum Ausdruck. Unabhängig von der Frage, unter welchen Umständen Ausländerhass als wahnhafte Störung gewertet oder zu einer solchen beitragen kann, sind weder die lediglich schlaglichthaft angeführte „negative Einstellung“ des Angeklagten zu „Ausländern“ noch die Gesichtspunkte, dass der Angeklagte in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung einen verwirrten Eindruck gemacht, sich verärgert über die Nebenklägerin Ha. gezeigt und die Verantwortung für seine Lebenssituation auf andere abgeschoben habe (UA S. 20) – selbst in der Zusammenschau – geeignet, die Diagnose einer wahnhaften Störung, der für die Beurteilung der Schuldfähigkeit Bedeutung zukommt, zu belegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. November 2015 – 5 StR 259/15).
bb) Die Urteilsgründe lassen auch nicht ausreichend erkennen, dass die
15
Begehung der drei Taten auch auf die beim Angeklagten festgestellte wahnhafte Störung zurückzuführen ist.
Schon für Tat 1 fehlt eine konkret auf die Tatsituation bezogene Begrün16 dung dafür, dass der Angeklagte der Nebenklägerin nicht lediglich aus Verärgerung über ihr Verhalten ihm gegenüber – ohne maßgeblichen Einfluss wahnhafter Vorstellungen – nach dem Leben trachtete. Die bloße Feststellung, der Angeklagte habe im Wahn gehandelt (UA S. 7 unten), in der Nebenklägerin seien „beide wahnbesetzten Themen zusammengekommen“ (UAS. 16 und 22) und
der Angeklagte sei der Auffassung gewesen, sie bestrafen zu „müssen“ (UA S. 22 oben), genügt den genannten Darstellungsanforderungen nicht. Für die Taten 2 und 3 mangelt es an jeglicher Erörterung dazu, inwiefern sich die angenommene Wahnstörung beim Vorgehen des Angeklagten gegen den weiteren Behördenmitarbeiter S. (Tat 2) und sodann gegen den Wachmann K. (Tat 3) auf dessen Schuldfähigkeit ausgewirkt hat. Hinweise auf psychotische Situationsverkennungen sind in den Urteilsfeststellungen zu diesen Geschehen nicht vorhanden.
17
3. Da der Senat nicht gänzlich ausschließen kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten belegen, hat auch der Schuldspruch keinen Bestand. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen. Von der Aufhebung nicht betroffen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO) sind indes die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen der Taten. Das neue Tatgericht kann – naheliegend unter Heranziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen treffen.

III.


18
Die Revision der Nebenklägerin hat ebenfalls Erfolg. Der Schuldspruch des Angeklagten wegen versuchten Totschlags (Tat 1) hält rechtlicher Prüfung nicht stand, da die Schwurgerichtskammer das Vorliegen von Mordmerkmalen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben. Die Revisionsbegründung der
19
Nebenklägerin lässt – trotz des irreführenden (Haupt-)Antrags dahin, das angefochtene Urteil „im Rechtsfolgenausspruch“ aufzuheben – insbesondere aufgrund der Sachausführungen eindeutig erkennen, dass mit der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes anstelle des für Tat 1 erfolgten Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags ein im Rahmen der durch § 400 Abs. 1 StPO beschränkten Rechtsmittelbefugnis der Nebenklage statthaftes Rechtsmittelziel verfolgt wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 mwN).
20
2. Die Schwurgerichtskammer hat das Vorliegen der Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
21
a) Ausgerichtet an den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 mwN) hat das Landgericht die festgestellten handlungsleitenden Tötungsmotive des Angeklagten bei der Begehung von Tat 1 – nämlich „Ausländerhass“ sowie „Wut und Verärgerung über seine Wohnsituation“ – in objektiver Hinsicht rechtsfehlerfrei als niedrig bewertet. Mit der Begründung, dem Angeklagten habe bei seinem Handeln aus wahnhaften Motiven – insbesondere habe er sich von der Nebenklägerin getäuscht und benachteiligt gefühlt – die Fähigkeit gefehlt, diese Tatantriebe zutreffend zu bewerten, hat es jedoch insoweit die subjektiven Voraussetzungen für nicht gegeben erachtet.
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die oben darge22 legten Fehler bei der Schuldfähigkeitsprüfung (vgl. oben II.2) wirken sich dahin
aus, dass die mit dem beim Angeklagten bestehenden „Wahnsystem“ begründete Verneinung eines Handelns aus niedrigen Beweggründen keinen Bestand haben kann.

b) Die Verneinung heimtückischer Tatbegehung ist ebenfalls nicht trag23 fähig begründet. Die Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hält – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. April 2018 – 4 StR 336/17 mwN) – rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie weist eine Lücke auf und ist widersprüchlich.
24
Für das Vorliegen von Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45, 47 mwN). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710).
25
Die Schwurgerichtskammer hat sich hier nicht vom Vorliegen eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten zu überzeugen vermocht, weil sie nicht hat ausschließen können, dass sich für den Angeklagten vor dem Dienstzimmer der Nebenklägerin früher, als von ihm erwartet, und damit überraschend die Gelegenheit zur Tat bot. Daher geht sie davon aus, dass der Angeklagte eine Erleichterung seines Angriffs durch die Arg- und Wehrlosigkeit der Nebenklägerin nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hatte. Hierfür spreche, dass der Angeklagte das Messer noch habe aus dem Rucksack nehmen müssen und der Angriff „wenig erfolgreich“ verlaufen sei.
26
aa) Diese Würdigung ist lückenhaft. Die Schwurgerichtskammer hat bei ihrer Beweiswürdigung die Planung der Tat durch den Angeklagten nicht erkennbar in den Blick genommen. Nach den Feststellungen betrat der Angeklagte am Tattag das Dienstgebäude des Bezirksamts N. bewaffnet mit einem Kampfmesser zu dem Zweck, der Nebenklägerin vor ihrem Dienstzimmer aufzulauern und sie bei einer sich bietenden Gelegenheit zu töten. Bestandteil dieses Vorhabens war ersichtlich, dass die Nebenklägerin in ihrer Arbeitsumgebung nicht mit einem Messerangriff auf ihr Leben rechnen würde und sich infolgedessen nicht effektiv hiergegen würde wehren können.
Zutreffend weist die Schwurgerichtskammer zwar darauf hin, dass Aus27 nutzungsbewusstsein weder längere Überlegung noch planvolles Vorgehen voraussetzt. Jedoch hätte die Erwägung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass sich ihm die Gelegenheit zur Tat gleichsam überraschend geboten habe, im Kontext des vom Angeklagten zuvor gefassten und sodann auch verwirklichten Tatplans gewürdigt werden müssen. Mit der von Beginn an auf ein heimtückisches Vorgehen abzielenden Tatplanung des Angeklagten und dem Umstand, dass er sodann entsprechend dieser Planung gegen die Nebenklägerin vorging, hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 Rn. 15 aE; vom 7. Juni 2017 – 2StR 474/16, NStZ 2018, 93, 94 f.). Der Umstand, dass der Angeklagte im
öffentlich zugänglichen Bereich des Bezirksamts nicht mit schon gezogenem Messer auf die Nebenklägerin wartete, sowie das Scheitern des Tötungsvorhabens sprechen nicht gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten bei Ausführung der Tat.
28
bb) Schließlich steht die Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein in Widerspruch zu der im Rahmen der Verneinung aufgehobener Schuldfähigkeit angeführten Erwägung, der Angeklagte sei bei den Taten in der Lage gewesen , situationsadäquat zu handeln und die „günstige Gelegenheit“ zu nutzen (UA S. 22, 3. Absatz). Denn „situationsadäquat“ im Sinne des vom Angeklagten gefassten Tatplans war der sofortige, für die Nebenklägerin überraschende Angriff. Die Gelegenheit hierzu war deshalb „günstig“, weil der Angeklagte den Angriff tatplangemäß unter Nutzung dieses Überraschungsmoments ausführen konnte.
3. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1
29
der Urteilsgründe und des Gesamtstrafenausspruchs. Die vom Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
Mutzbauer Sander Berger
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 299/19
vom
9. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:091019U5STR299.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander,
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Prof. Dr. Mosbacher,
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 2. Januar 2019 mit den Feststellungen – ausgenommen diejenigen zum objektiven Tatgeschehen – aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben. Seine weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die zur Aufhebung des Strafausspruchs führt. Die – vom Generalbundesanwalt vertretene und ebenfalls mit der Sachrüge begründete – Revision der Staatsanwaltschaft hat zu Lasten des Angeklagten die überwiegende Aufhebung des Urteils zur Folge.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte ist seit vielen Jahren alkoholabhängig und hat bereits mehrere Therapiemaßnahmen erfolglos durchlaufen. Seit 1985 musste er zahlreiche Haftstrafen u.a. wegen Nötigung, Diebstahls, räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und räuberischer Erpressung verbüßen. Zuletzt wurde im März 2018 eine sechsmonatige Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung und anderer Delikte gegen ihn verhängt.
4
In einer betreuten Wohneinrichtung für suchtkranke Menschen hatte er 2014 das spätere Tatopfer kennengelernt, die 18 Jahre jüngere K. ; auch sie war dem Alkohol verfallen und litt zudem an einer BorderlineStörung. Beide waren seitdem liiert, stritten sich aber immer wieder. Ein im Februar 2017 geborenes gemeinsames Kind wurde Anfang 2018 auf Drängen des Jugendamtes dauerhaft in eine Pflegefamilie gegeben. Der Angeklagte machte hierfür insbesondere seine Partnerin verantwortlich, weil diese durch ihre zahlreichen Alkoholrückfälle auch ihn wieder zu eigenem Alkoholkonsum verführt hätte. Er entwickelte schließlich, zumindest wenn er Alkohol getrunken hatte, Hassgefühle gegen sie.

5
Nach einem Gerichtstermin gab es erneut erheblichen Streit zwischen beiden. Die Gedanken des Angeklagten kreisten darum, dass er sich von seiner Partnerin ausgenutzt fühle, sie sein Leben zerstöre, sich an diesem Tag „un- möglich“ benommen habe und er sich eigentlich von ihr trennen wolle. In einer Grünanlage unmittelbar vor dem Polizeirevier gab es nach einer vorübergehenden räumlichen Trennung ein letztes Gespräch, bei dem der Angeklagte zunächst noch wünschte, hieraus die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wiedererlangen zu können. Das Gespräch verlief aber in eine andere Richtung. Während der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vorwarf, dass sie ihn nur „verarsche“ und benutze, brachte sie ihm gegenüber ihre Verachtung zum Aus- druck.
6
Der gekränkte und enttäuschte Angeklagte beschloss nunmehr unvermittelt , dass K. für das, was sie ihm angetan hatte, sterben müsse. Er führte im Hosenbund ein Küchenmesser mit 20 cm langer Klinge bei sich. Ohne dass sie zu einer Abwehrreaktion fähig war, stach er mit Tötungsabsicht zweimal in Richtung ihres Körpers. Dabei sagte er: „Jetzt bekommst du, was du verdienst!“. Er traf sie jedoch lediglich am linken Oberschenkel. Sie sprang schreiend auf und lief davon, wurde aber nach wenigen Metern vom Angeklagten eingeholt, der ihr unmittelbar nachgesetzt hatte. Er stach ihr – wiederum mit Tötungsabsicht – mit voller Wucht das Messer von hinten im Bereich der rechten Schulter in den Rücken. An der hierdurch verursachten schweren Verletzung starb K. kurze Zeit später. Der Angeklagte rief die Polizei und stellte sich, wobei er die Tat sogleich zugab.
7
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat der alkoholisierte, jedoch voll schuldfähige Angeklagte (maximal 2,1 Promille Blutalkoholkonzentration) zwar objektiv heimtückisch gehandelt. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass er sich bei seinem Angriff auf das Leben seines Opfers des Umstandes bewusst war, dass er es überraschte und seine Überraschung zur Überwindung der Gegenwehr ausnutzte.

II.


8
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision zu Recht die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke.
9
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Täter das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Auch ein offen feindseliger Angriff kann heimtückisch sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 mwN).
10
Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – 2 StR 530/18, NStZ 2019, 520). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet wer- den, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – 2 StR 530/18 aaO mwN). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, aaO mwN). Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit (BGH, aaO mwN). Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Frage (vgl. BGH, aaO mwN).
11
2. Auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes erweist sich die Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins als rechtsfehlerhaft. Die zugrundeliegende Würdigung weist Lücken auf und wird deshalb dem genannten Maßstab nur teilweise gerecht.
12
a) Das Landgericht hat folgende Gründe zur Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins angeführt: Der zu affektivem Verhalten neigende und nur eingeschränkt zur Impulskontrolle fähige Angeklagte sei emotional aufgewühlt und aufs Äußerste frustriert sowie alkoholisiert gewesen. Er habe sich Beleidigungen und Vorhalten des Tatopfers ausgesetzt gesehen. Unter Alkoholeinfluss baue er ein starkes Aggressionspotential auf und sei dann zu vernünftigen Problemlösungen nicht mehr in der Lage. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der stets fahrige Angeklagte sich des Umstandes, sein Opfer durch einen Angriff mit dem Messer zu überraschen und seine Abwehr dadurch zu beeinträchtigen , nicht bewusst gewesen sei. Tatgrund sei allein ein von ihm bilanzier- tes, rein subjektives „Jetzt reicht es“ und kein objektives „Die Gelegenheit passt“ gewesen. Die Tatsituation sei auch nicht so eindeutig, dass die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins „zwingend“ erscheine. Zudem sei der Angeklag- te ohne Tötungsgedanken in das Gespräch gegangen.
13
b) Damit hat die Strafkammer ganz wesentlich auf Punkte abgestellt, die das Hemmungsvermögen des Angeklagten betreffen, ohne darzulegen, weshalb diese unmittelbare Auswirkungen auf seine Fähigkeit gehabt haben sollen, die Tatsituation realistisch einzuschätzen. Dies versteht sich bei einem einfach gelagerten Geschehen wie dem vorliegenden auch nicht von allein. Nicht einmal der Angeklagte selbst hat angegeben, er sei sich nicht bewusst gewesen, sein Opfer mit dem Messerangriff zu überraschen, obwohl er ansonsten die Tatumstände detailliert und umfassend dargelegt hat. Die Ausführungen des Sachverständigen zu etwaigen psychischen Einschränkungen des Angeklagten bei der Tatbegehung enthalten auch keine Hinweise auf tat-relevante Defizite bei der Wahrnehmung oder Einschätzung der Tatsituation. Vor diesem Hintergrund hätte die Strafkammer näher darlegen müssen, weshalb trotz erhaltener Unrechtseinsicht ausnahmsweise die Fähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt war, die übersichtliche Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für sein Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen.
14
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen, die rechtsfehlerfrei getroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

III.


15
Die Revision des Angeklagten führt zu seinen Gunsten zur Aufhebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet.
16
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er sein Ziel energisch verfolgt habe, indem er nach den ersten beiden Stichen seinem Opfer nachgerannt sei und ihm den tödlichen dritten Stich versetzt habe. Damit lastet die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB an, dass er die Tat überhaupt vollendet hat und nicht vom Tötungsversuch zurückgetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 332/03, mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten bei der Strafzumessung ausgewirkt hat.
17
Soweit im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt wird, ob und gegebenenfalls wann die Verurteilung vom 21. März 2018 (Bewährungsstrafe von sechs Monaten) rechtskräftig geworden ist, wird dies in der neuen Entscheidung nachzuholen sein.
Sander Schneider König
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 226/04
vom
21. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Winkler
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 30. Oktober 2003, soweit es den Angeklagten S. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Dem Angeklagten liegt zur Last, zwei Menschen vorsätzlich erschossen und sich deshalb wegen Totschlags in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen strafbar gemacht zu haben. Das Landgericht hat die tödlichen Schüsse als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen und den Angeklagten wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revision, die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts die Beweiswürdigung beanstandet.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte sowie der frühere Mitangeklagte Sh. verabredeten mit J. und R. ein Treffen am Goetheplatz in Hannover. Da er zuvor vonJ. undR. beleidigt und mit dem Tode bedroht worden war, bewaffnete sich der Angeklagte aus Angst mit einer halbautomatischen Kurzwaffe. Am Treffpunkt zog J. beim Aussteigen aus einem Pkw Audi eine halbautomatische Selbstladepistole, richtete sie auf den Angeklagten und ging gemeinsam mitR. schnellen Schrittes auf diesen zu. Der Angeklagte, der die Waffe in der Hand des J. bemerkte und sah, daß R. in seine Kleidung griff, ging davon aus, diese würden sogleich auf ihn schießen. Er zog deshalb seine Schußwaffe, entsicherte sie und richtete sie auf J. und R. , die unbeeindruckt weitergingen. Als sie den vorausgehenden Sh. passiert und sich dem Angeklagten bis auf eine Entfernung von zwei Metern genähert hatten, gab dieser innerhalb von ca. zehn Sekunden in Verteidigungsabsicht sieben Schüsse ab, umJ. und R. zu töten. Der durch einen Rückenschuß verletzte J. flüchtete und warf seine Schußwaffe in der Nähe des Tatortes unter einen geparkten Pkw, bevor er kurz danach zusammenbrach. Der von zwei Schüssen in die Brust und den Unterbauch getroffene R. brach am Heck des Pkw Audi zusammen. Beide Tatopfer verstarben an den Folgen der erlittenen Schußverletzungen.
Der Angeklagte undSh. haben den Sachverhalt im wesentlichen so geschildert, wie er festgestellt worden ist. In der Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, die Einlassung, die sich durch die weiteren Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht widerlegen lasse, habe sich jedenfalls insoweit bestätigt , daß J. eine Schußwaffe bei sich gehabt habe. Daraus lasse sich der Schluß ziehen,J. habe - wie vom Angeklagten und Sh. geschildert - die Schußwaffe gezogen und damit den Angeklagten bedroht. Zur Abwehr dieses
Angriffs seien die mit direktem Tötungsvorsatz abgegebenen Schüsse auf R. und J. erforderlich und geboten gewesen.
2. Die von der Strafkammer angenommene Notwehrlage wird von den Feststellungen nicht getragen.

a) Ein tatsächlich bevorstehender lebensgefährlicher Angriff des R. auf den Angeklagten scheidet schon deshalb aus, weil dieser - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt - unbewaffnet war. Die Befürchtung des Angeklagten, R. werde sogleich aus seiner Kleidung eine Schußwaffe hervorholen und auf ihn schießen, begründet keine objektive Notwehrlage. Vielmehr kommt beim äußeren Anschein eines Angriffs lediglich Putativnotwehr in Betracht, zu deren Voraussetzungen und Folgen sich das Urteil nicht verhält.
Die Urteilsgründe belegen nicht, daß der Angeklagte bei der Schußabgabe - dem entscheidenden Zeitpunkt (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 2) - irrig von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff des R. auf sein Leben ausging und die lebensgefährlichen Schüsse zur Abwehr des Angriffs als letztes Mittel der Verteidigung für erforderlich und geboten hielt. Nach den Feststellungen gründete sich die Furcht des Angeklagten, R. werde sogleich eine Schußwaffe ziehen und auf ihn schießen, auf dessen Griff in die Kleidung in dem Moment, als er undJ. nach Verlassen des Pkw Audi begannen , schnellen Schrittes auf ihn zuzugehen. Das weitere Verhalten des R. bei der Annäherung an den Angeklagten, insbesondere ob er die Hand weiter in der Kleidung beließ oder - ohne eine Waffe zu ziehen - wieder herausnahm, wird nicht mitgeteilt. Damit bleibt offen, ob der Angeklagte auch
noch im Zeitpunkt der Schußabgabe mit einem bewaffneten Angriff des R. rechnen mußte.

b) Eine objektive Notwehrlage gegenüber J. ist wegen fehlender Feststellungen zum Ladezustand der von ihm geführten Pistole nicht belegt. Wenn die Waffe ungeladen gewesen sein sollte, hätte J. den Angeklagten tatsächlich nicht in lebensbedrohlicher Weise angegriffen. Dann käme auch insoweit lediglich Putativnotwehr in der Form eines Irrtums über das Maß der erforderlichen Verteidigung in Betracht, mit der sich die Urteilsgründe nicht befassen.
3. Darüber hinaus erweist sich die Beweiswürdigung zum festgestellten Tatgeschehen als rechtsfehlerhaft.
An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter darf eine Einlassung, für deren Wahrheitsgehalt keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen, nicht ohne weiteres als unwiderlegt seiner Entscheidung zugrunde legen. Vielmehr muß er sich seine Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme bilden (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6; Überzeugungsbildung 29; BGH NStZ 2002, 48). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit und Schlüssigkeit der Einlassung hat die Strafkammer mehrere Indizien, die auf einen von der Einlassung des
Angeklagten abweichenden Geschehensablauf hinweisen, nicht oder nur lückenhaft erörtert. aa) Den Rückenschuß desJ. hat die Strafkammer pauschal mit seinen möglichen Bewegungen im Rahmen des Tatablaufs erklärt. Dabei hat es die naheliegende Möglichkeit nicht ausreichend berücksichtigt, daß sich J. aufgrund der Bedrohung durch den Angeklagten mit der Schußwaffe oder nach vorausgegangenen Schüssen auf R. bereits zur Flucht gewendet haben könnte und deshalb im Rücken getroffen wurde. In diesem Fall hätte J. den vom Angeklagten zunächst befürchteten lebensgefährlichen Angriff erkennbar aufgegeben, so daß zum Zeitpunkt der Schußabgabe keine (Putativ-) Notwehrlage mehr bestanden hätte (vgl. BGH NJW 1979, 2053; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 32 Rdn. 16). Auf einen solchen Geschehensablauf könnte auch hindeuten, daßJ. nach den Feststellungen von seiner Schußwaffe keinen Gebrauch gemacht hat.
bb) Auch den Fundort der Leiche des R. , der gegen den vom Angeklagten geschilderten Geschehensablauf sprechen könnte, hat die Strafkammer nicht erkennbar in ihre Überlegungen einbezogen. Einerseits ist festgestellt , daß J. und R. nach dem Aussteigen aus dem Pkw Audi schnellen Schrittes - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt eine nicht unerhebliche Wegstrecke - auf den Angeklagten zugegangen waren, bevor dieser schoß. Andererseits brach R. , der nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr.G. infolge seiner Schußverletzungen sehr schnell handlungsunfähig war, am Heck des Fahrzeugs zusammen, wo er kurze Zeit später verstarb. Dies hätte Anlaß zur Erörterung geben müssen , ob R. noch in der Lage war, vom angenommenen Schußort zum Pkw zurückzugelangen und ob der Lageort der Leiche nicht eher mit einem
Geschehensablauf vereinbar ist, bei dem auf ihn geschossen wurde, als er sich in der Nähe des Pkw Audi befand. Dafür könnte auch die Zerstörung der hinteren rechten Seitenscheibe des Fahrzeugs durch einen Schuß sprechen. cc) Das Landgericht erörtert ferner nicht, ob sich Zweifel an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten aus der Position des Mitangeklagten Sh. zum Zeitpunkt der Schußabgabe ergeben. Danach ging der unbewaffnete Sh. - leicht versetzt vor dem Angeklagten laufend - auf J. und R. zu. Der Angeklagte schoß erst, nachdem Sh. diese passiert hatte und sich hinter den Tatopfern in deren Nähe befunden haben muß. Damit befand sich der mit dem Angeklagten befreundete Sh. im Schußfeld und war durch die in schneller Folge abgegebenen Schüsse im höchsten Maße gefährdet.
dd) Nach den Feststellungen flüchtete der im Rücken getroffene J. in Richtung Goetheplatz. Weil er dabei an dem Angeklagten, der zuvor auf ihn geschossen hatte, vorbeigehen mußte, hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, daß ein solcher Geschehensablauf wenig plausibel ist.

b) Die Strafkammer durfte sich bei ihrer Beweiswürdigung nicht darauf beschränken, einzelne Belastungsindizien nur gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu überprüfen. Denn Belastungsindizien, die für sich genommen nicht geeignet sind, die Einlassung des Angeklagten zu widerlegen , können doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die Überzeugung eines bestimmten, von der Einlassung abweichenden Geschehensablaufs vermitteln (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 6 und Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2000, 86). Deshalb bedarf es einer Gesamtschau aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände.
4. Da ein Tötungsdelikt zum Nachteil von J. und R. dem mit Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit stehen würde, war das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben.
Winkler Pfister von Lienen Becker Hubert

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 379/18
vom
28. November 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:281118U5STR379.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. November 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt B. als Verteidiger des Angeklagten F. R. ,
Rechtsanwalt S. , Rechtsanwalt St. als Verteidiger des Angeklagten R. –B. ,
Rechtsanwalt C. als Verteidiger des Angeklagten M. R. (geb. 1993),
Rechtsanwalt W. als Vertreter des Nebenklägers S. H. ,
Rechtsanwalt Wi. als Vertreter des Nebenklägers F. H. ,
Rechtsanwalt T. als Vertreter des Nebenklägers A. H. ,
Rechtsanwalt W. als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Rechtsanwalt H. als Vertreter der Nebenklägerin M. H. ,
Rechtsanwältin B. als Vertreterin der Nebenkläger D. , F. und R. K. , diese gesetzlich vertreten durch H. K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. September 2017 betreffend die Angeklagten F. R. , R. –B. und M. R. (geb. 1993) im Schuldspruch im Fall 3 der Urteilsgründe mit den Feststellungen zum Tatmotiv und betreffend den Angeklagten M. R. (geb. 1993) darüber hinaus im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
2. Die Revisionen der Angeklagten werden verworfen. Diese haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen , der Angeklagte R. –B. zudem die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Adhäsionskläger durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten F. R. , R. –B. und M. R. (geb. 1993, genannt „Mu. “) wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in drei Fällen, mit schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen jeweils zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt (13 Jahre, elf Jahre, sieben Jahre und sieben Monate), wobei der Angeklagte M. R. (geb. 1993) zusätzlich wegen eines weiteren Falls der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen worden ist. Zugunsten des Nebenklägers H. hat die Strafkammer zudem eine Adhäsionsentscheidung gegen den Angeklagten R. –B. getroffen.Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben ganz überwiegend Erfolg, während die Revisionen der Angeklagten unbegründet sind.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es zwischen den seit vielen Jahren befreundeten Familien R. und H. /H. zum Streit. Auslöser war die fahrlässige Zufügung einer erheblichen Schnittverletzung an der Hand des A. H. am 13. Dezember 2015 durch den alkoholisierten Mitangeklagten M. N. , den Bruder der Angeklagten F. R. und Zaim R. –B. und Onkel des Angeklagten M. „Mu. “ R. . N. hatte ohne Anlass zwei Glasflaschen auf den Geschädigten geworfen (Tat 1). Hierfür wurde er vom Landgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Noch aus der Klinik, in der die Schnittverletzung medizinisch versorgt wurde, machte der Geschädigte dem Angeklagten N. telefonisch Vorhaltungen, woraufhin dieser ihn auslachte und verhöhnte. Hierüber geriet H. in Wut und beleidigte N. mit den Wor- ten: „Ich ficke deine Toten! Ich ficke deinen toten Vater!“. Dies traf N. be- sonders, weil eine solche Beleidigung in der Volksgruppe der Roma, der beide Familien angehören, eine schwere Kränkung darstellt, er zudem früh seinen Vater verloren hatte und sich derartiges durch einen Jüngeren gegenüber einem Älteren in seinem Kulturkreis nicht geziemte. Nach einer Aussprache zwischen verschiedenen Mitgliedern der beiden Familien zwei bis drei Tage später kam man überein, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten.
3
Am späten Abend des 25. Dezember 2015 trafen „Mu. “ R. und der Mitangeklagte M. R. (geb. 1989) in einer Sportsbar auf Mitglieder der Familie H. /H. . Die beiden angetrunkenen Angeklagten stellten A. H. wegen seines Verhaltens zur Rede und misshandelten ihn durch eine Ohrfeige und einen Tritt gegen das Bein, so dass er hinfiel und erhebliche Schmerzen erlitt (Tat 2). In der Folge kam es zu Telefongesprächen zwischen Vater und Bruder des Geschädigten, den Nebenklägern S. H. und Z. , auf der einen Seite und F. R. und N. auf der anderen Seite, bei denen sie wechselseitig schwere Kränkungen austauschten und insbesondere immer wieder ankündigten, verstorbene Angehörige der jeweiligen Gegenseite „ficken“ zu wollen.
4
Am nächsten Tag hatte der Nebenkläger Z. den Plan gefasst, ein Treffen mit den Angeklagten in einem von beiden Familien häufig frequentierten Café herbeizuführen, um die Angelegenheit zu klären. Er unterrichtete hiervon die übrigen Geschädigten und weitere Familienmitglieder, die sich ebenfalls zum Café begaben. Vor Ort eingetroffen rief Z. gegen 13 Uhr den Mitangeklagten N. an. Nicht ausschließbar forderte Z. den Mitangeklagten N. – ohne dass neue Beleidigungen fielen – auf, gemeinsam mit seiner Familie zu dem Café zu kommen, um sich zu entschuldigen. Kurz nach diesem Anruf fuhren die Angeklagten mit weiteren Familienmitgliedern zum Treffpunkt. F. R. hatte eine scharfe Schusswaffe eingesteckt, der Angeklagte R. –B. undein weiterer (Mit-)Angeklagter jeweils ein Küchenmesser. Nach dem Eintreffen der Fahrzeuge vor Ort kamen ihnen die Nebenkläger Z. , A. H. und H. (mit einem Schlagring bewaffnet) und der später getötete D. H. (zu seiner Verteidigung mit einem Hammer bewaffnet) entgegen.
5
Kurz nach dem Aussteigen und einem allenfalls kurzen Wortwechsel erkannten F. R. und R. –B. sowieein weiterer (Mit-)Angeklagter, dass die anderen nicht zurückstecken wollten. Sie entschlossen sich, diese gemeinsam unter Einsatz ihrer Waffen anzugreifen und ihnen schwerste, auch tödliche Verletzungen zuzufügen, um sich für die vorangegangenen verbalen Kränkungen zu rächen (Tat 3). In Umsetzung dieses Plans stach oder hieb der Angeklagte R. –B. mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer wuchtig auf den Kopf des Nebenklägers H. und traf dessen zur Abwehr erhobenes Handgelenk. Zeitgleich drangen ein oder mehrere (Mit-)Angeklagte von hinten auf H. ein und versetzten ihm einen Stich zwischen die Schulterblätter und einen weiteren in das rechte Schulterblatt. Ebenfalls mit dem Messer attackiert wurden S. und D. H. , wobei S. H. Stichverletzungen an der rechten Flanke, im Bereich des rechten Schulterblattes sowie zwischen den Schulterblättern erlitt, D. H. einen Stich im linken oberen Rückenbereich.
6
„Spätestens kurz nach dem Beginn der Auseinandersetzung“, den er von seinem Fahrzeug aus beobachtet hatte, lief der Angeklagte „Mu. “ R. von hinten auf den Nebenkläger Z. zu, der etwas abseits der Kämpfen- den stand und auf diese schaute. Mit großer Wucht und mindestens bedingtem Tötungsvorsatz stach „Mu. “ R. dem geschädigtenZ. das Messer in Höhe des Übergangs der Hals- zur Brustwirbelsäule in den Rücken, woraufhin der Nebenkläger sofort zusammenbrach und nahezu bewegungsunfähig auf dem Bauch liegen blieb. F. R. gab mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz einen Schuss auf D. H. und einen aufgesetzten Bauchschuss auf S. H. ab. Anschließend richtete er die Waffe auf den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers Z. , um ihn zu erschießen; seine Waffe versagte allerdings, so dass er sein Vorhaben aufgeben musste. Als die vier Angegriffenen erkennbar schwer verletzt waren, fuhren die Angeklagten weg, während sich andere Mitglieder beider Familien um die Verletzten kümmerten. Von mehreren Anwohnern informiert, trafen bald auch Polizei und Feuerwehr ein.
7
Der Nebenkläger H. erlitt durch die Stiche und Hiebe einen Bruch des rechten Handgelenks mit Durchtrennung von zwei Strecksehnen, einen Bruch des rechten Schulterblatts sowie eine Öffnung der linken Brusthöhle mit Einblutung und einem Pneumothorax. Es bestand akute Lebensgefahr, der nur durch eine Notoperation begegnet werden konnte; diese führte zum Verlust eines Teils des Lungenoberlappens. Der Nebenkläger ist immer noch beeinträchtigt.
8
Der Nebenkläger S. H. erlitt einen Rumpfsteckschuss, der u.a. zur Perforation des Dickdarms mit Kotaustritt in die Bauchhöhle und Zerreißung des Wurmfortsatzes führte. Einer der Stiche eröffnete die Brusthöhle. Beide Verletzungen waren konkret lebensgefährlich. Noch heute leidet der Nebenkläger ganz erheblich unter den Folgen der Tat.
9
Der Nebenkläger Z. erlitt eine potentiell lebensgefährliche Verletzung des Rückenmarks in Höhe des sechsten Halswirbelkörpers, infolge des- sen es zu sensomotorischen und neurologischen Ausfällen kam. Trotz erheblicher Anstrengungen ist eine Lähmung des linken Armes und Beines und dadurch bedingt eine Störung der Motorik und Tiefensensibilität verblieben. Auch Blasenfunktion und Stuhlgang sind beeinträchtigt, die Erektionsfähigkeit verloren gegangen. Mit Hilfe eines Rollators kann er sich mühsam etwa 300 Meter aus eigener Kraft fortbewegen. Zudem hat er trotz entsprechender Medikation noch immer Schmerzen. Eine deutliche Besserung dieses Zustandes ist nicht zu erwarten.
10
D. H. erlitt neben der Schussverletzung im Unterbauch mit Verletzung von Leber, Darm, Magen und Niere eine 9 cm tiefe Stichverletzung im Bereich des linken Rückens, durch die es zur Eröffnung der Brusthöhle und zum Anstich der Aorta kam. Aufgrund des hierdurch verursachten großen Blutverlustes verstarb er trotz Wiederbelebungsmaßnahmen noch am Tatort.
11
2. Die Schwurgerichtskammer hat das Handeln der drei Angeklagten sowie eines weiteren unbekannt gebliebenen Mittäters aufgrund des Tatablaufs als von einem spätestens vor Ort spontan gefassten gemeinsamen Tatentschluss geleitet angesehen und sämtliche Tatbeiträge gegenseitig zugerechnet.
12
Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB hat das Landgericht nicht angenommen, sondern darauf abgestellt, dass die Wut der Angeklagten auf die Geschädigten aus der vorangegangenen heftigen verbalen Auseinandersetzung herrührte, in deren Verlauf sie schwerwiegenden Schmähungen durch die Nebenkläger S. H. und Z. ausgesetzt gewesen seien. Zwar hätten sich die Geschädigten H. und D. H. hieran nicht beteiligt; diese seien aber am Tattag zusammen mit den anderen beiden Nebenklägern den Angeklagten streitbereit gegenübergetreten und hätten sich damit auf deren Seite und hinter die ehrverletzenden Äußerungen gestellt.

II.


13
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.
14
1. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sind wirksam auf den Schuldund Strafausspruch im Fall 3 der Urteilsgründe (Geschehen am 26. Dezember 2015) beschränkt. Die Beschwerdeführerin greift das Urteil nur insoweit an, als sie in diesem Fall auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes statt wegen Totschlags und versuchten Totschlags erstrebt und die gegen den Ange- klagten „Mu. “R. für diesen Fall verhängte Strafe als unverhältnismäßig milde beanstandet. Diese Beschränkung ist zulässig. Zur Überprüfung steht damit der gesamte (tateinheitliche) Schuldspruch im Fall 3 (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 1967 – 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256, 258).
15
2. Die Ablehnung niedriger Beweggründe hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (vgl.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NStZ 2006, 286, 287 mwN). Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH, aaO und Beschluss vom 28. November 2017 – 5 StR 480/17, NStZ 2018, 92).
17
b) Daran gemessen erweist sich die Entscheidung des Landgerichts, die Angeklagten im Fall 3 gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft lediglich wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in drei Fällen zu verurteilen , als rechtsfehlerhaft.
18
aa) Es mangelt bereits an der gebotenen Gesamtwürdigung. Die überaus knappen Ausführungen des Landgerichts zu der Frage, ob die Angeklagten aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben, blenden hierfür relevante Umstände vollständig aus. Unberücksichtigt bleibt dabei insbesondere, dass letzter Auslöser der gegenseitigen Beschimpfungen das unberechtigte gewaltsame Vorgehen der Angeklagten „Mu. “ und M. R. gegen den schon zuvor vom Mitangeklagten N. verletzten Nebenkläger A. H. war. Zudem hat die Strafkammer nicht in Rechnung gestellt, dass die Auslöschung von Menschenleben und die Zufügung schwerster Verletzungen wegen verbaler Herabsetzung verstorbener Angehöriger nicht mehr als noch verständliche Reaktion auf erlittene Schmach erscheinen, sondern eine besonders verachtenswerte Form der Selbstjustiz darstellen können. Auch das jedenfalls bei dem hinrichtungsartigen Versuch der Tötung des Nebenklägers Z. von unbedingtem Vernichtungswillen geprägte und allen Angeklagten zurechenbare Tatbild hat die Strafkammer nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.
19
bb) Nicht tragfähig ist auch die in diesem Zusammenhang vom Landgericht angestellte Erwägung, das Vorgehen gegen die an den Beleidigungen in keiner Weise beteiligten Geschädigten H. und D. H. sei deshalb nicht von niedrigen Beweggründen getragen, weil sich diese auf die Seite der zwei anderen Geschädigten und damit hinter die ehrverletzenden Äußerungen gestellt hätten. Das gemeinsame Vorgehen lässt vor dem Hintergrund der Vorgeschichte nicht die Wertung zu, die an den gegenseitigen Beleidigungen unbeteiligten Geschädigten hätten sich die Schmähungen ihrer Familienmitglieder gleichsam zu eigen gemacht, weshalb ihre (versuchte) Tötung weniger verwerflich erscheine. Einen Grund, sich an diesen für vorangegangenes Unrecht zu rächen, gab es nicht. Vielmehr hätte das Landgericht in diesem Zusammenhang erwägen müssen, dass die Tötung von Personen lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Familie der im Vorfeld mit den Angeklagten in Streit geratenen Personen und aufgrund ihres gemeinsamen Auftretens mit diesen wegen der Inkonnexität von Anlass und Tat nach den Maßstäben der hiesigen Rechtsordnung besonders verwerflich sein kann (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011).
20
cc) Schließlich sind die Feststellungen zu den Tatmotiven der Angeklagten unklar. Während die Strafkammer einerseits feststellt, die Angeklagten F. R. und R. –B. hättengehandelt, um sich für die vorangegangenen verbalen Kränkungen zu rächen, wird bei der Prüfung niedriger Beweggründe als gemeinsames Tatmotiv aller Angeklagter ihre Wut auf die Geschädigten aufgrund der vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung angenommen. Zwischen beiden Handlungsantrieben können aber gerade im Kontext der Prüfung niedriger Beweggründe Unterschiede bestehen (vgl. näher MüKoStGB /Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 95 ff. einerseits und 100 ff. andererseits, jeweils mwN).
21
c) Vom Rechtsfehler sind demnach allein die Feststellungen des Schwurgerichts zu den Handlungsmotiven der Angeklagten betroffen; sie müssen deshalb aufgehoben werden (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die übrigen Feststellungen können hingegen bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.


22
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
23
1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten R. –B. deckt keinen Rechtsfehler auf.
24
Nach dem Vortrag der Revision hat der Verteidiger dieses ansonsten schweigenden Angeklagten in der Hauptverhandlung eine schriftlich vorformulierte Erklärung mit der Ankündigung verlesen, dass der Angeklagte sich diese zu Eigen mache. Im Anschluss an die Verlesung hat der Angeklagte ausdrücklich bestätigt, dass dies seine Einlassung sei. Damit hat sich der Angeklagte selbst zur Sache eingelassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 3 StR 176/05, NStZ-RR 2005, 353; vom 27. Februar 2007 – 3 StR 38/07, NStZ 2007, 349; vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, NStZ 2009, 282, 283; näher MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 66 mwN). Die Auffassung der Revision, es handele sich bei dieser Einlassung um ein unverwertbares prozessrechtli- ches „Nullum“, trifft nicht zu.
25
2. Die von allen drei Angeklagten erhobenen Sachrügen bleiben erfolglos.
26
a) Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Schuldsprüche. Dies gilt namentlich, soweit die Strafkammer im Fall 3 jedem Angeklagten die Handlungen der Mitangeklagten als mittäterschaftlich begangen zugerechnet hat. Der Schluss des Schwurgerichts, angesichts des schnellen und gleichzeitigen massiven Vorgehens gegen die Geschädigten eingedenk der Bewaffnung mit einer scharfen Schusswaffe und Messern hätten sich alle Beschwerdeführer und ein weiterer Mitangeklagter spätestens am Tatort spontan dazu entschlossen, unter billigender Inkaufnahme des Todes ihrer Opfer gemeinsam gegen die Geschädigten vorzugehen, ist lebensnah und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
27
b) Soweit die Strafkammer in den Urteilsgründen ausgeführt hat, die Angeklagten seien zusätzlich in Fall 3 einer tateinheitlich verwirklichten Schlägerei nach § 231 StGB schuldig, was versehentlich nicht in den Urteilstenor Eingang gefunden habe, beschwert dieser Rechtsfehler die Angeklagten nicht. Anders als die Revision des Angeklagten F. R. kann der Senat dem Urteil nicht entnehmen, dass die Strafkammer im Fall 3 den nicht tenorierten zusätzlich verwirklichten Straftatbestand bei der Strafzumessung zum Nachteil der Angeklagten verwertet hätte.
28
c) Die Strafzumessung weist auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
29
d) Die gegen den Angeklagten R. –B. getroffene Adhäsionsent- scheidung zugunsten des Neben- und Adhäsionsklägers H. ist rechtsfehlerfrei.

IV.


30
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das zur erneuten Verhandlung berufene Schwurgericht zu prüfen haben wird, ob sich die Angeklagten – wie das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt hat – im Fall 3 der Urteilsgründe zusätzlich einer tateinheitlich verwirklichten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310) Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht haben.
Mutzbauer König Berger
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 399/19
vom
12. September 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:120919B5STR399.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. September 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 10. April 2019, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen hiervon bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit Herbst 2017 mit der Zeugin H. liiert, die ab dem Jahreswechsel 2017/2018 überwiegend bei ihm wohnte. Die Zeugin war seit vielen Jahren mit dem später Geschädigten S. K. eng befreundet und stellte ihm in der Zeit ihrer Abwesenheit ihre Wohnung zur Verfügung. Auch der Angeklagte lernte so den Zeugen K. kennen. Beide kamen zunächst gut miteinander aus und absolvierten einen gemeinsamen Montageeinsatz in Frankreich. Zwischen beiden ergaben sich nicht näher aufklärbare finanzielle Verflechtungen, die zumindest ein wechselseitiges Sich-Aushelfen mit Geld und den Verkauf einer Play-Station zum Gegenstand hatten.
3
Ende Mai 2018 kühlte sich das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der Zeugin H. einerseits sowie andererseits dem Zeugen K. merklich ab. Gegenüber dem Zeugen K. schlug es schließlich in Verachtung und Feindseligkeit um. Grund hierfür war, dass der Angeklagte vom Zeugen 200 bis 500 Euro forderte, die dieser nicht bezahlte. Unabhängig von der objektiven Berechtigung dieser Forderung, lebte der Angeklagte jedenfalls in der Vorstellung, der Zeuge K. schulde ihm noch dieses Geld. Zudem nahm der Angeklagte an, der Zeuge habe eine sexuelle Beziehung zur Zeugin H. , zumal da er nach wie vor deren Wohnung nutzte. Der Angeklagte wurde zunehmend eifersüchtig und fand sich in seinem Verdacht bestätigt, als er in der Wohnung der Zeugin ein benutztes Kondom entdeckte. Als der Zeuge anfing , den Kontakt mit dem Angeklagten zu meiden und eine Nachfrage wegen des Geldes unbeantwortet zu lassen, gelangte der Angeklagte zur Auffassung, er werde von dem Zeugen „auf ganzer Linie für dumm verkauft“ und entschloss sich, sich dies auf keinen Fall gefallen zu lassen, sondern seine Interessen mit Nachdruck durchzusetzen.
4
Der Angeklagte bedrohte den Zeugen zwischen dem 21. Juni und 2. Juli 2018 mit acht, teilweise im Minutenabstand gesendeten Textnachrichten, damit dieser die finanziellen Forderungen doch noch erfülle. Der Zeuge reagierte auf die Drohnachrichten nicht und leistete insbesondere nicht die vom Angeklagten beanspruchte Zahlung. Der Angeklagte kam resignierend zu der Erkenntnis , dass es ihm mit dieser Methode nicht gelingen werde, den Zeugen zur Zahlung zu bringen; er nahm von weiteren Drohungen Abstand. An seiner Wut wegen der unerledigten finanziellen Forderungen und der vermuteten sexuellen Beziehung zwischen dem Zeugen und der Zeugin H. änderte sich nichts.
5
Am 1. September 2018 sah der unter dem Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln stehende Angeklagte, der mit dem Fahrrad unterwegs war, wie der Zeuge K. einkaufen ging und rief im die Worte „S. , du Rattenassi!“ zu. Der Zeuge, der nun einen Angriff des Angeklagten befürchtete, ging beschleunigten Schrittes zum Einkaufsmarkt. Spätestens in diesem Moment verdichtete sich die bei dem Angeklagten ohnehin bestehende Wut auf den Zeugen und seine latente Bereitschaft, dem Zeugen sein vermeintliches Fehlverhalten heimzuzahlen, zu dem Entschluss eines handgreiflichen Angriffs. Der Angeklagte klappte ein mitgeführtes Messer auf, fuhr hinter dem Zeugen her und stach ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz von hinten knapp unterhalb der Nieren in den Rücken. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war dabei durch das Zusammenwirken einer Impulskontrollstörung mit dem Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum nicht ausschließbar erheblich vermindert. Das Messer blieb stecken und der Zeuge ging durch die Wucht des Stiches zu Boden. Der vom Fahrrad gestiegene Angeklagte ging zu dem am Boden liegenden Zeugen. Als dieser sich plötzlich erhob und wegrannte, folgte ihm der Angeklagte zu Fuß, konnte ihn aber nicht einholen, weshalb er schließlich von der weiteren Verfolgung Abstand nahm. Durch den Stich kam es zu einer Verletzung des Dickdarms , die ohne die alsbald durchgeführte Notoperation konkret lebensgefährlich gewesen wäre.
6
2. Das Landgericht hat jede Textnachricht als eine Tat der Bedrohung angesehen und bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen. Motiv des Angeklagten sei seine Wut auf den Zeugen wegen der Nichterfüllung der finanziellen Forderungen und des vermuteten Verhältnisses mit der Zeugin H. gewesen. Die Tat stehe in einem krassen Missverhältnis hierzu, nachvollziehbar sei allenfalls eine Körperverletzung wie ein Schlag auf die Nase. An der Motivlage ändere sich auch nichts dadurch, dass die tatsächliche Begehung der Tat durch die beim Angeklagten bestehende Impulskontrollstörung maßgeblich begünstigt worden sei. Denn ob und inwieweit sich der Angeklagte letztlich zwischen Begehung und Nicht-Begehung der Tat frei habe entscheiden können , habe keine Auswirkungen auf die Gefühle und Motive, die ihn dazu veranlasst hätten, die Möglichkeit der Tatbegehung überhaupt in Erwägung zu ziehen.

II.


7
1. Das Landgericht hat die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe nicht tragfähig begründet.
8
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Die Beurteilung der Frage, ob ein Beweggrund „niedrig“ ist und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheint , hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18, NStZ 2019, 206 mwN). Wut oder Verärgerung sind als niedrig einzustufen , wenn sie unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Täter und Opfer eines beachtlichen Grundes entbehren (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 73 mwN). Entscheidungserheblich sind demnach die Gründe, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt oder ihn zur Tötung aus Hass oder Eifersucht gebracht haben. Anzustellen ist eine Gesamtbetrachtung, die sowohl die näheren Umstände der Tat sowie deren Entstehungsgeschichte als auch die Persönlichkeit des Täters und dessen Beziehung zum Opfer einschließt (MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 100 mwN).
9
In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände , die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (BGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018,

527).


10

b) Nach diesen Maßstäben sind die Ausführungen des Landgerichts zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe lückenhaft, denn es mangelt an der gebotenen Gesamtwürdigung.

11
aa) Die Schwurgerichtskammer hat nicht näher geprüft, ob die Wut des Angeklagten auf sein Opfer ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruht, sondern sogleich auf das Missverhältnis zwischen Tat und Anlass abgestellt. Damit hat sie die gebotene Prüfung wesentlich verkürzt. Insbesondere bleibt unberücksichtigt, dass der Zeuge dem Angeklagten – jedenfalls aus dessen Sicht – seit geraumer Zeit eine nicht unerhebliche Summe Geld schuldete und sich verschiedenen Rückzahlungsansinnen entzogen hatte. Auch hat das Landgericht nicht in den Blick genommen, dass die Eifersucht des Angeklagten, der die Zeugin H. bei sich wohnen ließ, aus seiner Sicht nicht jeden vernünftigen Grundes entbehrte. Ob all dies geeignet ist, die Beweggründe des Angeklagten als auf einer niedrigen Gesinnung beruhend anzusehen, bedarf umfassender tatgerichtlicher Bewertung.
12
bb) Die erforderliche neue Gesamtbetrachtung bei der Prüfung niedriger Beweggründe wird dazu Anlass geben, auch die subjektive Seite des Mordmerkmals genauer als bislang in den Blick zu nehmen.
13
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes und des an sich rechtsfehlerfrei getroffenen tateinheitlichen Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung.
14
3. Nicht bestehen bleiben können auch die Schuldsprüche wegen Bedrohung in acht Fällen. Zum einen hat der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass die konkurrenzrechtliche Bewertung bei denjenigen Textnachrichten zweifelhaft ist, die binnen weniger Minuten an einem Tag versandt wurden. Zum anderen liegt nach den Feststellungen des Landgerichts nahe, dass es sich ohnehin lediglich um eine Tat der (fehlgeschlagenen) versuchten Nötigung handelt, hinter der die Bedrohungstaten zurücktreten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 5 StR 20/14 mwN).
15
4. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zur Motivlage des Angeklagten zu ermöglichen, können lediglich die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht erhalten bleiben. Insoweit bleibt die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos.
Mutzbauer Schneider Berger
Mosbacher Köhler

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 20/18
vom
6. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: des Verdachts der schweren räuberischen Erpressung u.a.
zu 2.: des Verdachts der Verabredung zur schweren räuberischen Erpressung
ECLI:DE:BGH:2018:060618U2STR20.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. Juni 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Wimmer,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten O. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 26. Juni 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten K. und O. im Fall II. 5 der Urteilsgründe freigesprochen worden sind. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Diebstahls „im besonders schweren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung (als Mittäter eines am 12. Dezember 2013 verübten Banküberfalls, Fall II. 5 der Urteilsgründe) hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
2
Den Angeklagten O. hat das Landgericht unter anderem von dem Vorwurf der Verabredung zu einem schweren Raub (Banküberfall am 12. Dezember 2013, Fall II. 5 der Urteilsgründe) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

3
Gegen die Freisprüche im Fall II. 5 der Urteilsgründe wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

4
1. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten K. , seinerzeit Präsident des Hells Angels Charters E. , im Fall II. 5 der Urteilsgründe zur Last, dem gesondert verfolgten M. im Jahr 2013 zur Begehung eines Banküberfalls geraten zu haben, um mit der Tatbeute die Aufnahmegebühr für die Mitgliedschaft in dem Hells Angels MC bezahlen zu können. Dem Angeklagten O. wird vorgeworfen, sich an der Vorbereitung des Banküberfalls beteiligt zu haben.
5
Der mitangeklagte (und insoweit als Mittäter verurteilte) Bordellbetreiber W. habe M. eine Schreckschusswaffe sowie ein Fluchtfahrzeug zur Verfügung gestellt sowie den Angeklagten O. , ein Mitglied des Hells Angels Charter B. , als potentiellen Mittäter vermittelt. Beide, O. und M. , hätten in der Folge geeignete Objekte, darunter auch die später überfallene V. bank in R. , ausgekundschaftet. Am Tattag, dem 12. Dezember 2013, habe der Angeklagte K. den gesondert verfolgten M. jedoch angewiesen, den Raubüberfall – als eine Art Probe zur Aufnahme bei den Hells Angels – alleine auszuführen. Von den bei dem Überfall erbeuteten 17.000 € habe M. dem Angeklagten W. unmittelbar 7.000 € übergeben. Anschließend habe er gemeinsam mit dem Angeklagten O. die bei der Tat getragene Kleidung verbrannt. Zu einer Übergabe der Aufnahmegebühr an den Angeklagten K. sei es nicht mehr gekommen, da dieser, M. und W. zuvor in anderer Sache verhaftet wurden.
6
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der gesondert verfolgte M. Mitglied bei den Hells Angels werden und wandte sich deshalb an den Präsidenten des Charters E. , den Angeklagten K. , der die Zahlung einer Aufnahmegebühr forderte. Da M. das benötigte Geld fehlte, wandte er sich an den Angeklagten W. , den Betreiber des Bordells A. in E. , der ihm – wie auch schon zuvor K. – zu einem Banküberfall riet. W. besorgte M. eine Schreckschusswaffe und einen Mietwagen für den geplanten Überfall; im Gegenzug sollte er einen nicht unerheblichen Beuteanteil erhalten. Am frühen Nachmittag des 12. Dezember 2013 trafen sich der Zeuge M. und die Angeklagten W. , K. und O. auf dem Parkplatz des A. , wo es zu Gesprächen kam, deren Inhalt die Strafkammer nicht hat feststellen können.
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Gegen 15.30 Uhr verließ M. alleine den Parkplatz. Um 17.41 Uhr überfiel er unter Verwendung der ihm von W. ausgehändigten, ungeladenen Schreckschusspistole die V. bank in R. und erbeutete 16.550 €. Auf der Rückfahrt nach E. versteckte er die bei der Tat getragene Kleidung unter einer Brücke und wechselte das Fluchtfahrzeug, bevor er gegen 19.00 Uhr im A. eintraf, wo er bereits von W. erwartet wurde, dem er einen Beuteanteil von 7.000 € übergab.
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Gemeinsam mit W. fuhr M. zu dem abgestellten Fluchtfahrzeug. Beide desinfizierten den Innenraum des Pkw, um Spuren zu beseitigen, bevor sie den Mietwagen zurückbrachten. Anschließend fuhr M. mit einem anderen Mann – vermutlich dem Angeklagten O. – zum Ablageortder Kleidung und verbrannte diese in einem Metallfass, wobei sie von einem An- wohner, dem zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen Me. , beobachtet und angesprochen wurden. Später warf M. die bei dem Überfall verwendete Schreckschusspistole sowie das leere Magazin auf Geheiß W. s in einen See, wo beide Gegenstände aufgrund von M. s Angaben von der Polizei gefunden und sichergestellt wurden. Der Verbleib der restlichen Beute ist ungeklärt.
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3. Das Landgericht hat den Angeklagten W. im Fall II. 5 wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, die Angeklagten K. und O. hingegen insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
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a) Zwar habe der Zeuge M. bekundet, mit dem Angeklagten O. im Vorfeld der Tat Banken in G. , R. und Ka. ausgekundschaftet zu haben. Am Nachmittag des Tattages habe er sich mit W. , O. und K. im A. getroffen, letzterer habe mit O. unter vier Augen gesprochen und dann zu ihm, M. , gesagt, dass er den Banküberfall alleine machen solle. Am nächsten Tag habe er sich mit K. , der ihm zum Banküberfall gratuliert habe, an einer Tankstelle getroffen. Anschließend sei er mit O. zum Versteck der Tatkleidung gefahren und habe diese zusammen mit O. in einer Metalltonne verbrannt. Dabei seien sie von einem alten Mann beobachtet worden.
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b) Sämtliche den Feststellungen entsprechende Angaben des Zeugen M. zu seiner eigenen Täterschaft und zur Tatbeteiligung des Angeklagten W. seien nach Ansicht der Strafkammer zutreffend. Wahrscheinlich träfen seine Aussagen auch im Übrigen zu. Auch dass M. nach der Tat zusammen mit einem anderen Mann etwas in einem Metallfass verbrannt habe, stehe fest aufgrund der verlesenen Aussage des verstorbenen Zeugen Me.
. Gleichwohl könne die Strafkammer letzte Zweifel hinsichtlich der Tatbeteiligung des Angeklagten O. nicht ausräumen. Zwar treffe die Aussage des Zeugen M. wahrscheinlich auch insoweit zu, vermutlich habe sich der Angeklagte O. zum Banküberfall verabredet. Allerdings habe der verstorbene Zeuge Me. M. bei einer polizeilichen Lichtbildvorlage identifiziert , den Angeklagten O. hingegen nicht wiedererkannt. Durch Aufnahme einer Video-Kamera sei zwar erwiesen, dass O. , W. , K. und M. sich kurz vor dem Banküberfall auf dem Parkplatz des A. getroffen und unterhalten haben; jedoch ergäben die Aufnahmen keinen Aufschluss über den Inhalt des Gesprächs. Vor allem habe der Zeuge M. ein denkbares Motiv für eine Falschbelastung des Angeklagten O. , nämlich selbst in den Genuss einer Strafmilderung wegen Aufklärungshilfe nach § 46b StGB zu gelangen.
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Ebenso habe die Strafkammer trotz der belastenden Aussage M. s Zweifel an der Tatbeteiligung des Angeklagten K. . Zwar habe auch dieser an dem Treffen im A. unmittelbar vor dem Banküberfall teilgenommen, der Inhalt der Unterredung sei jedoch nicht bekannt. Auch insoweit sei ein denkbares Motiv für eine Falschbelastung, dass M. selbst in den Genuss einer Strafmilderung wegen Aufklärungshilfe nach § 46b StGB gelangen wolle.

II.

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Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge führt zur Aufhebung der Freisprüche der Angeklagten K. und O. im Fall II. 5 der Urteilsgründe. Die von der Staatsanwaltschaft insoweit beanstandete Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 10. Mai 2017 – 2 StR 258/16, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184; BGH, Urteile vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9 und vom 14. September 2017 – 4 StR 45/17, juris Rn. 7). Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (Senat , Urteil vom 21. Februar 2018 – 2 StR 431/17, NStZ-RR 2018, 151, 152). Er darf dabei keine überspannten Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit stellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 StR 607/15, juris Rn. 12).
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2. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist lückenhaft und verstößt in Teilen gegen Denkgesetze, zudem fehlt es an einer Gesamtschau der Indizien und Beweismittel.
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Im Einzelnen:
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a) Soweit die Strafkammer ausführt, die Aussagen M. s zur Tatbeteiligung der Angeklagten O. und K. träfen wahrscheinlich auch zu (UA 77), diese beiden jedoch gleichwohl freispricht, weil letzte Zweifel verblieben , ob M. nicht die Unwahrheit gesagt habe, um selbst gemäß § 46b StGB eine Strafmilderung wegen Aufklärungshilfe zu erlangen, ist dies nicht nachvollziehbar. Der gesondert verfolgte M. hatte sich eine Strafmilderung gemäß § 46b StGB bereits für seine zutreffenden Angaben zur Tatbeteiligung des deswegenVerurteilten W. „verdient“. Eine Falschbelastung weiterer – angeblicher – Mittäter wäre damit für ihn nur mit einem erhöhten, aber letztlich unnötigen Entdeckungsrisiko verbunden gewesen. Ein sonstiges Motiv, die Angeklagten O. und K. zu Unrecht zu belasten, hat auch das Landgericht nicht zu erkennen vermocht. Im Übrigen hat der Hauptbelastungszeuge M. im Laufe des Verfahrens zu verschiedensten Sachverhalten vollumfänglich wahrheitsgemäß ausgesagt, was jeweils zu Verurteilungen mehrerer Täter geführt hat. Auch im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist die Strafkammer der geständigen Einlassung des gesondert verfolgten M. sowie seinen Angaben zur Mittäterschaft des Angeklagten W. in jeder Hinsicht gefolgt.
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b) Es gibt darüber hinaus weitere Indizien für eine Tatbeteiligung der Angeklagten K. und O. , die das Landgericht nicht in eine Gesamtwürdigung eingestellt hat.
19
aa) So hatte der Angeklagte K. dem gesondert verfolgten M. bereits zu einem früheren Zeitpunkt zur Begehung eines Banküberfalls geraten, um so die Aufnahmegebühr für den Hells Angels MC zu beschaffen (UA 27). Auch wenn diese Feststellung zu unkonkret ist, um allein eine Anstiftung zu einer hinreichend bestimmten Straftat zu begründen, kommt ihr – was die Strafkammer nicht bedacht hat – eine nicht unerhebliche indizielle Bedeutung für eine spätere Tatbeteiligung des Angeklagten K. zu.
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bb) Schließlich hat sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt, wer der zweite Mann bei der Verbrennung der Tatkleidung war, wenn nicht der Angeklagte O. , zumal es nicht nachvollziehbar wäre, eine völligunbeteiligte Person, die nicht selbst in den vorangegangenen Banküberfall involviert war, zur Vernichtung von Täterkleidung mitzunehmen und damit zum Mitwisser zu machen.
21
3. Die Sache bedarf daher zu Fall II. 5 der Urteilsgründe einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.
Schäfer Appl Eschelbach Bartel Wimmer