Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2023 - 4 StR 81/23

published on 13/05/2024 11:48
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2023 - 4 StR 81/23
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

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Der Bundesgerichtshof macht im hiesigen Fall interessante Ausführungen zur Abgrenzung eines Tötungsdelikts in mittelbare Täterschaft und strafloser Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbsttötung.

Das Gericht führte ausführlich aus, dass der Angeklagte durch gezielte Demütigung und psychische Einwirkung auf das Opfer versucht habe, dieses zum Selbstmord zu treiben. Dabei nutzte er die emotionale Abhängigkeit des Opfers aus und übte überlegenen Druck aus. Das Opfer verletzte sich schließlich selbst, aber die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Opfers war aufgehoben, was den Tatbestand eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft erfüllte.

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 25. Okt. 2023

Az.: 4 StR 81/23

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 25. Oktober 2022 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags, Betrugs, Nötigung in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub, wegen Erpressung, (vorsätzlicher) Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, sowie wegen (unerlaubten) Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

A.

Die Revision des Angeklagten deckt zu den Schuld- und Strafaussprüchen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft zum Nachteil des Geschädigten      N.  (Fall II. A. 5. der Urteilsgründe) gemäß § 212 Abs. 1, § 22, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

I.

Nach den Feststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 2009 mit dem späteren Tatopfer      N.  befreundet. Dem mittellosen Angeklagten, der über Internetplattformen aus finanziellen Gründen gezielt Kontakte zu „finanziell unabhängigen, älteren Männern“ suchte, kam es darauf an, von dem rund 30 Jahre älteren, vermögenden Geschädigten regelmäßige Geldzuwendungen und großzügige Geschenke zu erhalten. Der seine sexuelle Orientierung vor seinem Umfeld verheimlichende und an einer schweren Depression leidende Geschädigte hoffte auf eine dauerhafte Lebenspartnerschaft und war daher bereit, große Summen seines Vermögens für den Angeklagten auszugeben. Im Verlaufe der Beziehung besserte sich die psychische Verfassung des Geschädigten und er überwand seine Depression. Nach einer Unterbrechung infolge der Inhaftierung des Angeklagten wegen eines zum Nachteil eines anderen Mannes begangenen Betrugs nahmen beide ihre Beziehung wieder auf. Diese intensivierte sich ab dem Jahr 2019 infolge einer schweren Erkrankung des Geschädigten. Der Angeklagte unterstützte den Geschädigten und wurde zu dessen wichtigster Bezugsperson. Im Verlaufe der Zeit entwickelte der Geschädigte eine emotionale Abhängigkeit von dem Angeklagten; er setzte ihn schließlich testamentarisch zu seinem Alleinerben ein. Im Sommer 2021 ‒ das Vermögen des Geschädigten war nahezu aufgebraucht und er konnte zwei Wohnungen nicht mehr finanzieren ‒ bezogen beide eine gemeinsame Wohnung in Norddeutschland. Dort verschlechterte sich die Beziehung zusehends und war rasch geprägt von anhaltendem Streit und zahlreichen Demütigungen von Seiten des Angeklagten. Dieser empfand den inzwischen 77 Jahre alten, erneut depressiven Geschädigten zunehmend als Belastung.

Spätestens ab Januar 2022 ergriff der Angeklagte zahlreiche Maßnahmen, um den Geschädigten N.  zu tyrannisieren. Dabei wusste er um das fragile Selbstwertgefühl und die emotionale Abhängigkeit des Geschädigten. Er vermittelte ihm bewusst das Gefühl, wertlos und für ihn ‒ den Angeklagten ‒ nur noch ein „Klotz am Bein“ zu sein. Neben regelmäßigen Beschimpfungen, Beleidigungen und körperlichen Übergriffen zwang er den Geschädigten etwa, Schriftstücke nach seinen Vorgaben zu verfassen; widersetzte dieser sich, setzte der Angeklagte ihn verbal und körperlich so lange unter Druck, bis er sich fügte. So forderte der Angeklagte den allein in der gemeinsamen Wohnung verbliebenen Geschädigten am Abend des 8. Februar 2022 telefonisch auf, ein Schriftstück zu erstellen, dessen Inhalt er ihm im Einzelnen vorgab, und kehrte, nachdem der Geschädigte sich geweigert hatte, schließlich wutentbrannt in die Wohnung zurück, weckte den bereits schlafenden Geschädigten und versetzte ihm in Verletzungsabsicht einen gezielten und äußerst schmerzhaften Kopfstoß gegen die Nase, der zu einer Schwellung und einem Hämatom am rechten Auge führte. Anschließend stieß er den Geschädigten die Treppe hinab nach draußen und trieb den verängstigten, mit der Situation gänzlich überforderten Geschädigten gegen seinen Willen durch die Straßen (Tat II. A. 4. der Urteilsgründe).

In der Folgezeit isolierte der Angeklagte den Geschädigten gezielt von seinem sozialen Umfeld, um ihn vollständig unter seine Kontrolle zu bringen. Er verbot ihm jedwede Kommunikation mit seinen in der Schweiz lebenden Verwandten und überwachte sein Mobiltelefon. Weiterhin beschimpfte und bedrohte er ihn nahezu täglich, um sein ohnehin fragiles Selbstwertgefühl weiter zu destabilisieren. Schließlich erklärte er dem Geschädigten, dass er zu krank sei, um noch allein das Haus zu verlassen. Als dieser den Versuch unternahm, sich aus dieser von ihm als äußerst belastend empfundenen Situation zu befreien und die gemeinsame Wohnung zu verlassen, hielt der Angeklagte ihn gewaltsam zurück. Angesichts dieser Gesamtsituation entwickelte sich die depressive Symptomatik des Geschädigten zu einer schweren Depression. Dies erkannte der Angeklagte.

Der Angeklagte äußerte in seinem Umfeld wiederholt, dass der Geschädigte demnächst sterben werde. Spätestens am Abend des 22. Februar 2022 fasste der Angeklagte den Entschluss, den Geschädigten N.  zu töten; dabei wollte er die den Tod herbeiführende Handlung nicht selbst ausführen, sondern den depressiven, labilen und von ihm abhängigen Geschädigten in den Selbstmord treiben. In der Absicht, ihn zur Selbsttötung zu veranlassen, wollte er so lange auf den ersichtlich labilen Geschädigten einwirken, bis dieser sich seinem Willen unterwerfen und auf seine Anweisung hin Selbstmord begehen werde. Ihm war bewusst, dass sich der schwer depressive Geschädigte in einem tiefen emotionalen Abhängigkeitsverhältnis zu ihm befand, das er sich zur Tatbegehung zunutze machen wollte. Er beschloss daher, den Geschädigten psychisch so massiv unter Druck zu setzen und so lange zu demütigen, bis dieser seiner Aufforderung, sich selbst zu töten, schließlich Folge leisten würde.

In Umsetzung dieses Tatentschlusses rief der Angeklagte, der sich in einer Ferienwohnung in einem rund 60 km entfernten Ort aufhielt, am frühen Abend des 22. Februar 2022 den Geschädigten an und wirkte über einen Zeitraum von mehr als acht Stunden mit dem Ziel auf ihn ein, ihn psychisch zu zermürben und zum Suizid zu veranlassen. Zur Erreichung dieses Ziels beleidigte und demütigte er den Geschädigten fortwährend und forderte ihn schließlich mehrfach auf, sich umzubringen („Warum bringst du dich nicht um? Warum erschießt du dich nicht? Warum springst du nicht aus dem Fenster?“). Dabei verdeutlichte der Angeklagte dem Geschädigten erneut unmissverständlich, dass er kein Interesse mehr an einer Fortsetzung der Beziehung habe und den Geschädigten als „Klotz am Bein“ empfinde. Der Geschädigte war bereits gegen 18:00 Uhr nervlich derart angegriffen, dass er äußerlich wahrnehmbar zitterte und den Angeklagten erschöpft bat, aufzuhören. Dieser setzte die Einwirkung in Umsetzung seines Tatplans jedoch unvermindert fort und wirkte weiter auf ihn ein. Eine den Geschädigten N.  aufsuchende Nachbarin bezog der Angeklagte in das Telefongespräch ein und offenbarte ihr zusammenhanglos in dem Wissen, dass der Geschädigte seine sexuelle Orientierung bislang nie öffentlich gemacht hatte und sich hierdurch nicht nur aufs Äußerste belastet, sondern auch gedemütigt fühlen würde, dass dieser homosexuell sei. Wie vom Angeklagten erwartet und beabsichtigt, empfand der Geschädigte dies als Vertrauensbruch und fühlte sich hierdurch gedemütigt und erniedrigt. Spätestens ab 22:35 Uhr zwang er den Geschädigten erneut, ein Schriftstück nach seinen genauen Vorgaben aufzusetzen und ihm dieses mehrfach zur Kontrolle zu übersenden. Schließlich forderte er den Geschädigten auf, bis um 03:00 Uhr eine Verschwiegenheitserklärung aufzusetzen und drohte, in die Wohnung zurückzukehren und ihm die Zähne auszuschlagen, wenn er diese Forderung nicht erfülle.

Das letzte Telefonat zwischen den beiden Männern endete um 02:37 Uhr am 23. Februar 2022. Der Geschädigte war zu diesem Zeitpunkt – wie vom Angeklagten zielgerichtet herbeigeführt und beabsichtigt – verzweifelt und sah keine Perspektive für seine Zukunft. Die Androhung körperlicher Gewalt hatte in ihm ‒ wie vom Angeklagten beabsichtigt ‒ lebhafte Erinnerungen an den körperlichen Übergriff am 8. Februar 2022 (Tat II. A. 4. der Urteilsgründe) hervorgerufen. Diese Umstände führten zu einem Zustand kognitiver Überforderung und seelischer Zerrissenheit des Geschädigten, in welchem seine bereits infolge der Depression eingeengten Gedanken- und Handlungsspielräume derart beschnitten waren, dass ihm der vom Angeklagten geforderte Suizid als einziger Ausweg erschien.

Der Angeklagte erkannte gegen 02:37 Uhr, dass der Geschädigte – wie von ihm beabsichtigt – seinem Drängen nachgeben und sich selbst töten werde; ihm war klar, dass der Geschädigte zu einer freiverantwortlichen Willensbildung nicht in der Lage sein würde. Daraufhin beendete er das Telefonat. Der Geschädigte verfasste einen kurzen Abschiedsbrief, ergriff gegen 03:15 Uhr in Selbsttötungsabsicht ein Küchenmesser, führte mehrere gezielte Stichbewegungen gegen seinen Hals aus und fügte sich hierdurch blutende, letztlich jedoch nicht lebensgefährliche Verletzungen zu; anschließend verlor er das Bewusstsein. Bei diesem Suizidversuch war die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Geschädigten aufgehoben.

Der Angeklagte wartete geraume Zeit und rief den Geschädigten zwischen 03:32 Uhr und 03:55 Uhr 13 Mal an. Als dieser seine Anrufe nicht entgegennahm, ging der Angeklagte davon aus, dass der Geschädigte sich, wie von ihm beabsichtigt, selbst getötet hatte. Um sich auch weiterhin als aufopferungsvoller Freund darzustellen, alarmierte der Angeklagte die Polizei. Rettungskräfte fanden den bewusstlosen Geschädigten und verbrachten ihn in die Notaufnahme eines Krankenhauses; dort wurden die für sich genommen nicht lebensbedrohlichen Stichverletzungen versorgt.

II.

Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags (§ 212 Abs. 1, § 22, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) zum Nachteil des Geschädigten N.  begegnet auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen keinen rechtlichen Bedenken.

1. Das Landgericht ist in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass die aktive Mitwirkung an der gescheiterten Selbsttötung eines anderen ‒ insbesondere die Veranlassung des Suizids ‒ als ein in mittelbarer Täterschaft begangenes, versuchtes Tötungsdelikt strafbar sein kann. Dies setzt voraus, dass der Selbsttötungsentschluss aus Tätersicht nicht auf einem freiverantwortlichen Willensentschluss des Suizidenten beruht, und der Täter nach seiner Vorstellung Tatherrschaft über das zum Tod führende Geschehen haben will. Die bloße Anstiftung (§ 26 StGB) eines anderen zum Suizid ist demgegenüber straflos.

a) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts (BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 ‒ 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 17; Urteil vom 4. Juli 1984 ‒ 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 371). Daher ist auch die Veranlassung, Förderung oder Ermöglichung der Selbsttötung durch einen Dritten ohne Rücksicht auf die Lauterkeit seiner Motive grundsätzlich als strafloses Verhalten zu bewerten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 17; Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150 Rn. 71; Urteil vom 29. April 2009 ‒ 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 Rn. 5; Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 371; Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 263 f.; Urteil vom 16. Mai 1972 – 5 StR 56/72, BGHSt 24, 342, 343 f.; Beschluss vom 10. März 1954 ‒ GSSt 4/53, BGHSt 6, 147, 154; Urteil vom 12. Februar 1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150, 152; zum Recht auf Suizid vgl. auch BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182 Rn. 212 ff.).

Eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts kommt namentlich in Betracht, wenn dem Dritten die Selbsttötungshandlungen des Suizidenten nach den Grundsätzen mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) zuzurechnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 19; Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135 Rn. 15; Urteil vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; Urteil vom 20. März 1979 – 1 StR 632/78, WKRS 1979, 12135 Rn. 6; Urteil vom 12. Februar 1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150, 151 f.; vgl. auch Urteil vom 12. August 1997 ‒ 1 StR 234/97, BGHSt 43, 177, 180 [„der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur“] für Fälle, in denen der Täter dem Opfer eine Falle stellt und es zum „Tatmittler gegen sich selbst“ macht). In mittelbarer Täterschaft handelt, wer die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft innehat, das Geschehen also mit steuerndem Willen in den Händen hält (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. September 2023 ‒ 5 StR 200/23, NJW 2024, 604, 605). Zur Abgrenzung von Eigen- und Fremdverantwortung bei selbstschädigenden Handlungen des Opfers unter Beteiligung eines Dritten ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine normative Betrachtung geboten (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135 Rn. 12; Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150 Rn. 73; siehe auch Beschluss vom 28. Juni 2022 – 6 StR 68/21, BGHSt 67, 95 Rn. 15 mwN).

aa) Eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft setzt voraus, dass derjenige, der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich legt, nicht freiverantwortlich handelt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 ‒ 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 20 f.). Denn nur in Fällen, in denen der Suizidentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet ist, kann der sich selbst Tötende bei wertender Betrachtung als „Werkzeug gegen sich selbst“ angesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 ‒ 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 20 f.; Urteil vom 28. Januar 2014 ‒ 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150 Rn. 73; Urteil von 5. Juli 1983 ‒ 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 ‒ 1 StR 389/13 Rn. 19 f.).

Ob ein Suizidentschluss in diesem Sinne als freiverantwortlich zu bewerten ist, hängt ‒ ähnlich wie die im Rahmen des § 216 StGB zu beantwortende Frage der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens ‒ davon ab, ob der Suizident über die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und fähig ist, seine Entscheidung autonom und auf der Grundlage einer realitätsbezogenen Abwägung der für und gegen die Lebensbeendigung sprechenden Umstände zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 21; Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135 Rn. 17; BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182 Rn. 241). Der Rechtsgutsinhaber, der sein Leben beenden will, muss in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite dieses Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und eine abwägende Entscheidung zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 Rn. 12; Urteil vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NJW 2000, 2286, 2287; Urteil vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80 Rn. 5). Hieran kann es namentlich bei Vorliegen akuter psychischer Störungen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80 Rn. 5), intoxikationsbedingter Defizite (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13 Rn. 30 f.; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10 Rn. 8; Urteil vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82 Rn. 4 f.) oder bei fehlender Verstandesreife eines Minderjährigen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 21; Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135 Rn. 17; zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung in Fällen der Einwirkung auf ein schuldunfähiges Kind vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2023 ‒ 5 StR 200/23, NJW 2024, 604, 605 mit Anm. Franzke, JZ 2024, 204 ff.) fehlen. Des Weiteren müssen dem Betroffenen alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte tatsächlich bekannt sein, um ihm eine realitätsgerechte Abwägung des Für und Wider auf einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182 Rn. 242; s.a. BGH, Urteil vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 Rn. 7 f.).

An einer freiverantwortlichen Suizidentscheidung kann es daher auch infolge der Ausübung von Zwang, Drohung oder Täuschung und aufgrund sonstiger Formen unzulässiger Einflussnahme fehlen, sofern diese geeignet sind, eine reflektierende, abwägende Entscheidung orientiert am eigenen Selbstbild zu verhindern oder wesentlich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182 Rn. 243 u. 247; s.a. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 Rn. 14). Schließlich kann von einer Freiverantwortlichkeit eines Selbsttötungsentschlusses nur ausgegangen werden, wenn er eine gewisse „Dauerhaftigkeit“ und „innere Festigkeit“ aufweist und nicht lediglich einer depressiven Augenblicksstimmung entspringt (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182 Rn. 244; BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 21 a.E.; Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135 Rn. 17 a.E.; Urteil vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11 Rn. 6; Urteil vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 Rn. 16 f.).

bb) Das Fehlen eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses aus Tätersicht ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine Strafbarkeit wegen eines in mittelbarer Täterschaft begangenen versuchten Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts. Erforderlich ist weiterhin, dass dem die Selbsttötung Veranlassenden oder Fördernden eine vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft über das zum Suizid führende Geschehen zukommt; er muss ‒ im Falle des Versuchs nach seiner vorsatzgleichen Vorstellung ‒ das Geschehen mit steuerndem Willen in der Hand halten (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1988 ‒ 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 353). Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist in wertender Betrachtung unter Einbeziehung aller im Einzelfall insoweit maßgeblichen Umstände zu ermitteln (vgl. BGH, aaO, S. 353 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 ‒ 1 StR 389/13 Rn. 20; siehe auch Beschluss vom 13. September 2023 ‒ 5 StR 200/23 Rn. 13). In den Fällen, in denen der psychische Zustand des Suizidenten im spiegelbildlichen Fall eines strafbaren Verhaltens zur Annahme verminderter oder aufgehobener Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) führen würde, kann es bei wertender Betrachtung an der erforderlichen Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1988 – 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 353 f.; s.a. Urteil vom 26. Juli 1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 235 f.); zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche in dieser Konstellation wird regelmäßig Art und Tragweite des beim Geschädigten wirkenden Wissens- oder Willensdefizits von besonderer Bedeutung sein. Dabei ist im Wege einer Gesamtschau aller Umstände zu prüfen, ob und inwieweit der Hintermann den Geschädigten mit Hilfe des bei diesem wirksamen Defekts steuert und so das zum Suizid führende Geschehen bewusst und gewollt in den Händen hält (vgl. für Irrtumskonstellationen: BGH, Urteil vom 15. September 1988 – 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 353; Urteil vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85 Rn. 5; Urteil vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 42; bei psychischem Zwang: BGH, Urteil vom 20. März 1979 – 1 StR 632/78, WKRS 1979, 12135 Rn. 6 f.; s.a. LK-StGB/Rosenau, 13. Aufl., Vor § 211 Rn. 102). Neben der Intensität eines oder mehrerer, sich gegebenenfalls gegenseitig verstärkender Wissens- oder Willensdefizite, die beim Tatopfer wirksam werden, sind dabei auch Art und Ausmaß der steuernden Einwirkung des Hintermanns in den Blick zu nehmen.

cc) Die Annahme mittelbarer Täterschaft einer durch das Tatopfer vermittelten Tötung setzt nicht voraus, dass der Hintermann den die Freiverantwortlichkeit beeinträchtigenden Wissens- oder Willensmangel des Tatopfers hervorgerufen hat. Es genügt insoweit, wenn der Hintermann erkennt, dass der Selbsttötungsentschluss des Tatopfers mangelbehaftet ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121 Rn. 20 a.E.; Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135 Rn. 16 a.E.), und er diesen Umstand dazu nutzt, um den Geschädigten kraft überlegenen Wissens oder Willens zum Suizid zu veranlassen. In Fällen, in denen sich das Tatopfer aufgrund einer emotionalen Abhängigkeit oder wegen eines engen Vertrauensverhältnisses zum Täter als besonders empfänglich für dessen Suggestionen erweist, die es bei wertender Betrachtung zu einem „Werkzeug gegen sich selbst“ machen, entlastet dies den Täter nicht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43). Dies gilt losgelöst von der Motivation, mit der sich der Täter die Psyche seines Opfers erschlossen hat.

dd) Soweit in der Lehre die Auffassung vertreten wird, dass die Abgrenzung von Eigen- und Fremdverantwortung bei selbstschädigenden Handlungen des Opfers unter Beteiligung eines Dritten allein oder maßgeblich nach dem Verantwortungsprinzip zu erfolgen habe oder auf den Rechtsgedanken einer hypothetischen Einwilligung abgestellt werden sollte, bedarf dies vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn diese Positionen würden in dem hier zu beurteilenden Einzelfall nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

(1) Nach der „Exkulpationslösung“ ist die Abgrenzung zwischen strafloser Selbstschädigung und strafbarer Fremdschädigung nach den Regelungen über den strafrechtlichen Verantwortungsausschluss (§§ 19, 20 und 35 StGB; § 3 JGG) vorzunehmen (vgl. Roxin, Festschrift Dreher, 1977, S. 331, 346 ff.; ders., NStZ 1984, 71, 97; ders., GA 2013, 313, 319; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 11. Aufl., S. 175 ff., S. 262 f., S. 820 ff.; ders., AT, Band II, § 25 Rn. 54 ff.; siehe auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 4. Aufl., § 3 Rn. 28; Bottke, Suizid und Strafrecht, 1982, S. 247 ff.; Hirsch, JR 1979, 429, 432; Jakobs, AT 2. Aufl., 21. Abschnitt Rn. 97 f.; Koch, JuS 2008, 496; LK-StGB/Schünemann/Greco, 13. Aufl., § 25 Rn. 91 ff.; MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., Vorbem. § 211 Rn. 54 ff.; wohl auch SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl., § 25 Rn. 60 a.E.). Nur wenn der sich selbst Verletzende nach rechtlicher Wertung als ohne eigene Verantwortung Handelnder erscheine, könne er rechtlich als unfrei handelndes Werkzeug des Tatmittlers angesehen werden, so dass nach den Regeln der Teilnahmelehre mittelbare Täterschaft vorliege (vgl. Hirsch, JR 1979, 429, 432). In allen anderen Fällen müsse von einem eigenverantwortlichen Handeln des Suizidenten ausgegangen werden, wobei das Eigenrisiko des Freitodwilligen dem veranlassenden oder fördernden Hintermann mangels Tatherrschaft nicht zugerechnet werden könne (vgl. Bottke, Suizid und Strafrecht, 1982, S. 251). Dabei zeigt der innerhalb dieser Lehrmeinung geführte Meinungsstreit darüber, wie streng die Orientierung am Verantwortungsprinzip erfolgen soll (vgl. für Fälle des § 21 StGB: Roxin, GA 2013, 313, 319; Roxin, AT, Band II, § 25 Rn. 152; bei vermeidbarem Irrtum über eine Notstandslage i.S.v. § 35 Abs. 1 StGB: Bottke, Suizid und Strafrecht, 1982, S. 259 ff.; für Nötigungslagen unterhalb der Schwelle des § 35 StGB: Matt/Renzikowski-StGB/Safferling, 2. Aufl., § 212 Rn. 25 f.; für „Kurzschlusstaten“: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 4. Aufl., § 3 Rn. 27 f.; bei Manövrieren in eine dem § 20 StGB wertungsmäßig vergleichbare akute Paniksituation: MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., Vorbem. § 211 Rn. 44), dass die vermeintlich klare Grenzziehung nicht in allen Fällen eine schlüssige Lösung zu bieten vermag.

(2) Nach der „Einwilligungslösung“ (vgl. Geilen, JZ 1974, 145, 151 ff.; Herzberg, JuS 1974, 374, 378 f.; ders., JA 1985, 336, 340; ders., NJW 1986, 1635 ff.; siehe auch Kindhäuser/Zimmermann, AT, 11. Aufl., § 39 Rn. 50; Krey/Esser, AT, 7. Aufl., § 27 Rn. 913 ff.; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., Vorbem. §§ 211 bis 222 Rn. 13a; LK-StGB/Rosenau, 13. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 103; Maurach/Gössel/Zipf u.a., AT, Teilband 2, 8. Aufl., § 48 Rn. 102; NK-StGB/Neumann, 6. Aufl., Vorbem. zu § 211 - § 217 Rn. 65; Wessels/Beulke/Satzger, AT, 52. Aufl., Rn. 272 ff., 848; Wessels/Hettinger/Engländer, BT, 47. Aufl., Rn. 117 ff.) liegt trotz selbstschädigenden Verhaltens des Tatopfers eine Fremdschädigung vor, wenn es in einen entsprechenden Rechtsgutseingriff durch einen Dritten nicht wirksam hätte einwilligen können; der sich selbst schädigende Dritte sei als unfreies Werkzeug des Täters anzusehen, weil das Recht seinem Selbstschädigungswillen, hätte er sich als Einwilligung geäußert, jede Bedeutung abspräche (vgl. Herzberg, JuS 1974, 374, 378). In Fällen der Selbsttötung sei daher auf die Wertung des § 216 StGB zurückzugreifen, der die Anforderungen an ein rechtlich beachtliches Todesverlangen umschreibe. Neben natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit seien die Mangelfreiheit der Willensbildung und die Ernstlichkeit des Sterbewillens entscheidende Kriterien, wobei die konkrete Ausgestaltung des Abgrenzungsmaßstabs auch innerhalb der Gruppe von Vertretern der Einwilligungslösung unterschiedlich formuliert wird (z. B. zur Relevanz von Motivirrtümern – Begrenzung auf rechtsgutsbezogene Fehlvorstellungen bei Kühl, Jura 2010, 81, 82; weiter: Mitsch, JuS 1995, 888, 892; Wessels/Hettinger/Engländer, BT, 47. Aufl., Rn. 119).

2. Gemessen hieran begegnet der Schuldspruch in Fall II. A. 5. der Urteilsgründe wegen versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft zu Lasten des Geschädigten N.  keinen rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte den Geschädigten nicht nur zum Suizid veranlassen, sondern das zum Suizid führende Geschehen mit Täterwillen maßgeblich steuern.

a) Nach den beweiswürdigend tragfähig belegten Feststellungen beruhte der Suizidentschluss des Geschädigten N.  nach der insoweit allein maßgeblichen Vorstellung des Angeklagten nicht auf einem freiverantwortlichen Willensentschluss.

Der Geschädigte N.  verfügte infolge des Zusammenwirkens von schwerer Depression und des vom Angeklagten zielgerichtet auf die Herbeiführung des Suizidentschlusses gerichteten bereits seit einigen Wochen entfalteten und in dem über mehrere Stunden dauernden Telefonat gesteigerten psychischen Drucks und die hierdurch bewirkte emotionale Destabilisierung nicht über die erforderliche natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Auch die weitere tatgerichtliche Wertung, der Suizidentschluss sei mangelbehaftet, weil es an der erforderlichen „inneren Festigkeit“ bzw. „Dauerhaftigkeit“ fehle, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen handelte es sich ungeachtet des vom Geschädigten verfassten Abschiedsbriefs weder um einen sog. „Bilanzselbstmord“ noch um einen von ernsthaftem Sterbewillen getragenen Suizidversuch. Vielmehr hielt der Geschädigte – in der Tatsituation hochgradig überfordert und affektiv labilisiert – dem Einfluss des Angeklagten nicht stand und gab diesem letztlich nach.

b) Darüber hinaus ist das Landgericht auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Umstände auch zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte nach seiner vorsatzgleichen Vorstellung das in die Selbsttötung mündende Geschehen mit steuerndem Willen zielgerichtet dirigieren wollte. Denn er hat den Selbsttötungsentschluss des Geschädigten N.  nicht nur infolge der sich über mehrere Stunden erstreckenden fernmündlichen Einwirkung hervorgerufen, sondern das schließlich in die (versuchte) Selbsttötung mündende Geschehen kraft überlegener Willenssteuerung zielgerichtet lenken wollen.

Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte das Tatgeschehen mit Blick auf die massive, sich über mehrere Stunden erstreckende Einwirkung auf den Geschädigten ungeachtet des Umstands, dass er sich nicht vor Ort befand und ihm ein sofortiges Eingreifen nicht möglich gewesen wäre, steuernd in Händen halten wollte. Die mehrfach in Gestalt von suggestiv-rhetorischen Fragen wiederholte, explizite Aufforderung des Angeklagten an den Geschädigten, sich umzubringen, veranlasste diesen erst dazu, einen entsprechenden Selbsttötungsentschluss zu fassen und unmittelbar umzusetzen. Dass diese Aufforderung angesichts der emotionalen Abhängigkeit des Geschädigten letztlich zu dem von ihm erstrebten Ziel einer eigenhändigen Tötung führen würde, wusste und wollte der Angeklagte. Er hatte die ihm seit Jahren bekannte und sich in jüngerer Zeit vertiefende Depression in den Wochen vor der Tat durch verbale Erniedrigungen, lautstarke Beschimpfungen und willkürliche Bestrafungen einschließlich körperlicher Übergriffe gezielt gefördert in dem Bestreben, den Geschädigten psychisch vollständig zu beherrschen. Zur weiteren Steigerung der emotionalen Abhängigkeit war der Angeklagte im Vorfeld der Tat zudem bestrebt, den infolge seines fortgeschrittenen Alters und Erkrankung hilfsbedürftigen Geschädigten sozial vollständig zu isolieren und zu kontrollieren. In diesem Kontext war die vom Angeklagten planmäßig initiierte Zuspitzung und Verdichtung der emotionalen Belastungssituation in der Tatnacht – wie von diesem beabsichtigt – geeignet, den Geschädigten unfreiwillig in den Suizid zu treiben. Der Angeklagte lenkte das Geschehen aus der Ferne, indem er den psychischen Druck auf den Geschädigten immer weiter zuspitzte und ihn planmäßig in eine ihm ausweglos erscheinende Lage versetzte. Insbesondere seine Ankündigung, in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren und den Geschädigten erneut massiv körperlich zu verletzen, wenn er seinen Anweisungen nicht Folge leiste, führten ‒ auch wenn die Androhung von Gewalt nicht in einem Konnex zu dem ihm nahegelegten Suizid bezogen war ‒ nach der Vorstellung des Angeklagten geeignet, zu einer weiteren Labilisierung beizutragen und seine Bereitschaft zu erhöhen, sich dem Wunsch des Angeklagten entsprechend selbst zu töten. Durch die Beendigung des Telefonats um 02:37 Uhr und ein unter Androhung von Gewalt gesetztes Ultimatum für die Anfertigung eines Schriftstücks durch den Geschädigten bis 03:00 Uhr, bestimmte der Angeklagte weiterhin nach seiner Vorstellung den Zeitpunkt des Suizids. Infolgedessen war es ihm schließlich möglich, noch im Rahmen des Nachtatgeschehens die Entdeckung des Geschädigten durch Alarmierung der Rettungskräfte zu steuern und die Nachbarin dazu zu bewegen, zeitnah das Handy des Geschädigten an sich zu bringen und im Auftrag des Angeklagten nach einem Abschiedsbrief zu suchen. Da der Angeklagte somit die Herrschaft über den von ihm geplanten Geschehensablauf fest in den Händen behalten wollte und behalten hat, erscheint es unschädlich, dass er die Art der Durchführung des Suizids dem Geschädigten überließ.

3. Das Landgericht hat auch einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch mit tragfähiger Begründung verneint. Denn der Angeklagte handelte bei Verständigung der Rettungskräfte nicht mit dem Ziel, den Eintritt des Todes des Geschädigten N.  zu verhindern, sondern wollte die für erfolgreich gehaltene Tat verschleiern (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 26. Februar 2019 – 4 StR 514/18 Rn. 16 mwN).

III.

Das Absehen von der Maßregelanordnung des § 64 StGB hält ‒ entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts, der insoweit eine Aufhebung des Urteils beantragt hat ‒ einer rechtlichen Überprüfung stand. Jedenfalls gemessen an den nunmehr strengeren Anordnungsvoraussetzungen des § 64 StGB nF, der sowohl im Hinblick auf das Vorliegen eines Hanges als auch im Hinblick auf den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang strengere Anordnungsvoraussetzungen normiert, hat das Landgericht die Anordnungsvoraussetzungen im Ergebnis zu Recht verneint.

Der Senat ist nicht gehindert, gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Der Teil-Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts wirkt zu Lasten und nicht zu Gunsten des Angeklagten i.S.d. § 349 Abs. 4 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2023 ‒ 4 StR 206/23 Rn. 5; Beschluss vom 31. August 2022 ‒ 4 StR 153/22 Rn. 5; Beschluss vom 11. Mai 2022 ‒ 5 StR 475/21 Rn. 4).

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