Bundesgerichtshof Beschluss, 23. März 2006 - 4 StR 584/05

bei uns veröffentlicht am23.03.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 584/05
vom
23. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. März 2006 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 17. August 2005 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Zu der Verfahrensrüge (§§ 249 Abs. 2, 261 StPO) bemerkt der Senat: Nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist die Feststellung über die Kenntnisnahme vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren zu lesenden Urkunden durch die, d.h. alle Richter und Schöffen in das Protokoll aufzunehmen (vgl. Gollwitzer in LoeweRosenberg StPO 25. Aufl. § 249 Rdn. 90; Schlüchter in SKStPO § 249 Rdn. 63). Da die Sitzungsniederschrift lediglich ausweist, dass die beiden Schöffen und die richterliche Beisitzerin dem Vorsitzenden mitgeteilt haben, dass sie die Telefonlisten gelesen haben, vertritt die Revision zu Recht die Auffassung , es müsse davon ausgegangen werden, dass der Vorsitzende der Strafkammer vom Wortlaut der Urkunden keine Kenntnis genommen hat (vgl. BGH NStZ 2000, 47; 2005, 160; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 249 Rdn. 31). Der Umstand, dass der Vorsitzende (und die Berichterstatterin) von den Urkunden bereits im Rahmen der Vorbereitung der Hauptverhandlung Kenntnis genommen haben werden, machte die Protokollierung entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht entbehrlich. Die Rüge hat dennoch keinen Erfolg, weil das Urteil nicht auf dem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO): Abgesehen davon , dass die Telefondaten - soweit sie überhaupt beweiserheblich sein konnten - durch Vorhalt an den Angeklagten und an Zeugen (vgl. etwa UA 46 [Zeugin Mechthild F. ]) in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein konnten, ist im Hinblick auf die sorgfältige Beweiswürdigung auszuschließen, dass die ergänzende (UA 46) Heranziehung der Gesprächsdaten das Beweisergebnis beeinflusst hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2001 - 1 StR 378/01; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 35, 38 [der Rechtsfehler bezieht sich nur auf ein zusätzlich bestätigendes Indiz]). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanović Sost-Scheible

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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. März 2006 - 4 StR 584/05 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

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Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2001 - 1 StR 378/01

bei uns veröffentlicht am 13.09.2001

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 378/01 vom 13. September 2001 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2001 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landg
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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2012 - 1 StR 137/12

bei uns veröffentlicht am 23.10.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 137/12 vom 23. Oktober 2012 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: Mordes u.a. zu 2.: Anstiftung zum Mord Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2012 beschlossen : Die Revisionen der A

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 378/01
vom
13. September 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2001 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Karlsruhe vom 9. März 2001 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Soweit der Beschwerdeführer als Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet
, das Landgericht habe den Zeugen H. betreffende Krankenakten des
Zentrums für Psychiatrie Nordbaden Wiesloch für seine Überzeugungsbildung
verwertet, ohne diese in zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt
zu haben, ist die Verfahrensrüge zulässig. Sie bleibt jedoch im Ergebnis erfolglos.
Die Sitzungsniederschrift weist zwar entgegen der Darstellung im Urteil
nicht aus, daß die Krankenakten Gegenstand der Hauptverhandlung waren.
Auf einem daraus sich ergebenden Verstoß gegen § 261 StPO kann das Urteil
jedoch nicht beruhen. Die Strafkammer hat sich in einer umfangreichen Beweiswürdigung
von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt und dabei insbesondere
zu Grunde gelegt, daß der Angeklagte bereits vor der Tat deren
Planung im Freundeskreis offengelegt hatte, zur Tatzeit am Tatort war und sich
später gegenüber zwei Zeugen der Tat berühmt hat. Die von der Kammer zum
Ausschluß der - eher fernliegenden - Täterschaft des Zeugen H. aus den
Krankenakten des Psychiatrischen Krankenhauses entnommene Erkenntnis,
daß der Zeuge bereits über mehrere Jahre psychisch auffällig war und bereits
einen fehlgeschlagenen Selbstmordversuch hinter sich hatte, diente ihr allein
als weitere Bestätigung dafür, daß der inzwischen vollzogene Selbstmord des
Zeugen auf psychische Ursachen - und nicht auf Verzweiflung über eine begangene
Straftat - zurückzuführen ist. Diese Erwägung der Strafkammer zeigt
nur ein zusätzliches, bestätigendes Indiz auf, von dem die Überzeugungsbildung
hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten nicht abhing, wie der Zusammenhang
der Urteilsgründe deutlich ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli
1981 - 4 StR 336/81 -; Kuckein in KK 4. Aufl., § 337 Rdn. 38).
Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier hat nach Beschlußfassung
Urlaub angetreten und ist
daher an der Unterschriftsleistung
verhindert.
Wahl Boetticher Wahl
Kolz Hebenstreit