Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Feb. 2009 - 4 StR 391/07

bei uns veröffentlicht am10.02.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 391/07
vom
10. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Februar 2009 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 4. April 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat gegen den Verurteilten die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO); das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Verurteilte, war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte in einem Rausch die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung, der versuchten Vergewaltigung und des versuchten Totschlags verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat am 14. November 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66 b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Saarbrücken gefolgt.

II.


6
Der Senat hat im Hinblick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 (= BGHSt 52, 31), nach der bei einem Verurteilten, der im Anschluss an die Erledigungserklärung nach § 67 d Abs. 6 StGB noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war, die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nach § 66 b Abs. 3 StGB, sondern regelmäßig nur unter den Voraussetzungen von § 66 b Abs. 1 StGB oder § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet werden kann, mit Beschluss vom 19. Juni 2008 (= NJW 2008, 2661) dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Steht es der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist?
7
Der Große Senat für Strafsachen hat in seinem Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - die Rechtsauffassung des 1. Strafsenats bestätigt. Für die Annahme neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 StGB genüge allerdings, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegt werde. Weiter hat der Große Senat für Strafsachen entschieden, dass nur die Vollstreckung des Restes derjenigen Strafe, die in der jeweiligen Anlassverurteilung ausgesprochen worden war, der Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB entgegenstehe. Werden - wie im vorliegenden Fall - zwei Maßregelanordnungen ge- mäß § 67 d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt und ist nur im Hinblick auf eines der beiden Urteile noch Freiheitsstrafe zu vollstrecken, so ist für die andere § 66 b Abs. 3 StGB anwendbar (BGH - GS - Rdn. 36).

III.


8
Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen steht der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 entgegen, dass der Verurteilte nach der Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war. Hier käme eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur unter den Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB in Betracht (vgl. hierzu den Senatsbeschluss vom 10. Februar 2009 - 4 StR 314/07). Im Hinblick auf die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - ohne Verhängung einer Strafe - durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 ist dagegen § 66 b Abs. 3 StGB anwendbar. Es bedarf einer erneuten Entscheidung des Landgerichts.
9
1. Der Senat erachtet den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB (Bd. V Bl. 1045 ff. d.A.) als Voraussetzung zur Durchführung des Verfahrens für ausreichend , weil in diesem Antrag beide Urteile genannt sind, auf die sich die Erledigungserklärung vom 28. November 2005 erstreckt hat (S. 2, 7 f. des Antrags ). Dass zwischen beiden Urteilen nicht differenziert wurde, macht den Antrag im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Trier nicht unzulässig, da erst durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen dieser Differenzie- rung Bedeutung zukommt. Das Landgericht Saarbrücken ist auch für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Trier zuständig (§ 74 f Abs. 3 Satz 1 GVG i.V.m. § 462 a Abs. 3 Satz 2 StPO).
10
2. Das Landgericht wird daher insbesondere zu prüfen haben, ob die Anordnung der nachträglichen Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 in Betracht kommt. Wegen der schwer wiegenden Folgen, die mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach einer - als formelle Voraussetzung für § 66 b Abs. 3 StGB erforderlichen - Erledigungserklärung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für den Verurteilten verbunden sind, muss - was bisher nur unzureichend geschehen ist (UA 30) - über das Beschlussverfahren der Strafvollstreckungskammer nach § 67 d Abs. 6 StGB hinaus auch im Verfahren nach § 66 b Abs. 3 StGB geprüft werden, ob die mögliche qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten (weiterhin) auf der (dauerhaften) psychischen Störung des Verurteilten im Sinne des § 20 StGB beruht, die in der Anlassverurteilung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hat (vgl. hierzu BGHSt 50, 373, 385 [Sachnähe des nach § 74 f GVG zuständigen Gerichts]). Ist dies der Fall, so kommt eine Unterbringung nach § 66 b StGB nicht in Betracht (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 66 b Rdn. 14). Für eine "Rückverweisung" des Verurteilten in den Maßregelvollzug nach § 63 StGB in einem solchen Falle gibt es keine Rechtsgrundlage (vgl. BGH StV 2006, 413; NStZ-RR 2007, 301, 303; BGH, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05 Rdn. 30, 31; Fischer aaO § 66 b Rdn. 46, § 67 a Rdn. 6).
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 1/08
vom
7. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
1. Hat der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe
zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt
worden ist, so steht dies der nachträglichen Anordnung der Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen
(Bestätigung von BGHSt 52, 31).
2. In diesen Fällen kommt indes die nachträgliche Anordnung der Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 oder
Abs. 2 StGB in Betracht. Insoweit genügt für die Annahme neuer Tatsachen
, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen
der Unterbringung nach § 63 StGB die qualifizierte Gefährlichkeit
des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegt wird.
3. Nur die Vollstreckung des Restes derjenigen Strafe, die in der Anlassverurteilung
ausgesprochen worden war, steht der Anwendung des
BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 7. Oktober 2008
- GSSt 1/08 - Landgerichte Bielefeld und Saarbrücken
1.
2.
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
Prof. Dr. Tolksdorf, die Vorsitzenden Richter Nack, Basdorf und Becker
sowie die Richter Maatz, Dr. Wahl, Prof. Dr. Kuckein, Pfister, Rothfuß,
Dr. Raum und Prof. Dr. Fischer am 7. Oktober 2008 beschlossen:
Hat der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist, so steht dies der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen.

Gründe:


I.

1
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegensteht , dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
2
1. Dem 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs liegen zwei Revisionssachen vor, deren Entscheidung nach dessen Auffassung jeweils von der Beantwortung dieser Frage abhängt.
3
a) Verfahren 4 StR 314/07 gegen J. W. :
4
Dem Verfahren liegt eine Verurteilung durch das Landgericht Bielefeld wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten zugrunde. Der vielfach und massiv vorbestrafte Verurteilte hatte sich - insoweit noch uneingeschränkt schuldfähig - vorsätzlich betrunken. Zu seinen Gunsten wurde eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von über vier Promille festgestellt; seine Schuldfähigkeit war jedenfalls erheblich vermindert, möglicherweise sogar völlig aufgehoben. In diesem Zustand beging er eine gefährliche Körperverletzung, durch die er dem Tatopfer schwere Verletzungen zufügte. Nachdem in einem ersten Revisionsverfahren die neben der Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung aufgehoben worden war, ordnete das Landgericht nach erneuter Verhandlung und Entscheidung über den Maßregelausspruch die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Dieser leide an einer schweren dissozialen Persönlichkeitsstörung, die zwar für sich betrachtet seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt habe. Wegen einer Wechselwirkung zwischen der Persönlichkeitsstörung und einer hierauf beruhenden Alkoholsucht sei der Verurteilte jedoch entweder gar nicht oder nur erheblich vermindert in der Lage gewesen, sein Verhalten im Hinblick auf die von ihm begangene gefährliche Körperverletzung zu steuern. Während er in Anwendung des Zweifelssatzes (nur) wegen Vollrausches schuldig gesprochen und bestraft worden sei, müsse in Befolgung der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich des Maßregelausspruchs der Zweifelssatz gewendet werden: Insoweit sei lediglich von einer gesicherten erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit durch den fortdauernden Zustand schwerer seelischer Abartigkeit (in Verbindung mit einer deutlichen Alkoholisierung) auszugehen ; in dessen Folge seien auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, die eine Gefahr für die Allgemeinheit begründeten. Auf dieser Grund- lage ordnete das Landgericht die Unterbringung des Verurteilten nach § 63 StGB an, da diese im Verhältnis zu § 66 Abs. 1 StGB die weniger beschwerende Maßregel darstelle. Das Urteil wurde am 11. August 2004 rechtskräftig.
5
Der Verurteilte befand sich ab 16. November 2004 im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 22. September 2006 erklärte eine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn die Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt, weil bei dem Verurteilten keine Persönlichkeitsstörung vorliege , so dass - obwohl er weiterhin gefährlich sei - die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorlägen. Die noch offene Restfreiheitsstrafe von knapp vier Monaten verbüßte der Verurteilte bis 25. Januar 2007. Seit 26. Januar 2007 wird der nach § 275a Abs. 5 StPO erlassene Unterbringungsbefehl des Landgerichts Bielefeld gegen ihn vollzogen.
6
Die Staatsanwaltschaft hat am 26. Oktober 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Bielefeld gefolgt. Gegen dessen Urteil wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
7
b) Verfahren 4 StR 391/07 gegen W. H. :
8
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte in einem Rausch die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung, der versuchten Vergewaltigung und des versuchten Totschlags verwirklicht. Die Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte aufgrund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige.
9
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
10
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte eine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB die Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis 22. Juni 2007 eine Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275a Abs. 5 StPO).
11
Die Staatsanwaltschaft hat am 14. November 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Saarbrücken gefolgt. Gegen dessen Urteil wendet sich die Revision des Verurteilten, der die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
12
2. Der 4. Strafsenat beabsichtigt, beide Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Hieran sieht er sich jedoch durch das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 (BGHSt 52, 31) gehindert.
13
a) Der 1. Strafsenat hat dort ausgesprochen, dass die Entscheidung nach § 67d Abs. 6 StGB, die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus sei erledigt, regelmäßig nur dann Grundlage für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB sein könne, wenn andernfalls der Betroffene in die Freiheit entlassen werden müsste. Habe er dagegen im Anschluss an die Erledigung noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden sei, so könne nachträgliche Sicherungsverwahrung regelmäßig nur unter den Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB angeordnet werden.
14
Für diese Auffassung hat sich der 1. Strafsenat maßgeblich auf den Willen des Gesetzgebers gestützt, wie er in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BTDrucks. 15/2887 S.14) Ausdruck gefunden habe. Bei seiner Entscheidung hat der 1. Strafsenat zwar eine Ausnahme für Fälle erwogen, in denen nach der Erledigungsentscheidung nur noch für sehr kurze Zeit Strafe zu vollstrecken wäre, er hat dies jedoch angesichts einer Restfreiheitsstrafe von mehr als zehn Monaten in dem entschiedenen Fall offen gelassen.
15
b) Dem will der 4. Strafsenat nicht folgen. Er hält die Gesetzesmaterialien für unklar, möchte ihnen aber jedenfalls nicht in dem vom 1. Senat befürworteten Verständnis ausschlaggebende Bedeutung für die Auslegung des § 66b StGB beimessen. Diese Auslegung hätte nämlich wegen des grundsätzlichen Vorwegvollzugs der Maßregel nach § 63 StGB67 Abs. 1 StGB) und deren Teilanrechnung lediglich bis zu zwei Dritteln der zugleich verhängten Strafe (§ 67 Abs. 4 StGB) zur Folge, dass der Anwendungsbereich des § 66b Abs. 3 StGB in unvertretbarer Weise verkürzt werde; denn hierdurch würden regelmäßig die von seinem Wortlaut eindeutig erfassten Fälle ausgenommen, in denen gleichzeitig auf Strafe und Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus erkannt worden war. Die Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB allein auf schuldlos handelnde Täter führe auch zu Wertungswidersprüchen. Abgesehen davon könnte es zu sachlich nicht gerechtfertigten Unterschieden aufgrund von Zufälligkeiten im Vollstreckungsverlauf kommen. Zudem sei eine Anordnung nach § 66b Abs. 3 StGB unter geringeren Anforderungen im Vergleich zu den Fällen des § 66b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB, namentlich ohne neue Tatsachen („Nova“) durchweg gerechtfertigt, weil in jenen Fällen eine im Erkenntnisverfahren nicht angeordnete freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer nachträglich hinzugefügt werde, während durch § 66b Abs. 3 StGB bei einem nach wie vor hochgefährlichen Täter eine bereits angeordnete, dann aber für erledigt erklärte freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer (§ 63 StGB) nur durch eine andere ersetzt werde. Die vom 1. Strafsenat erwogene Ausnahme für kurze Reststrafen führe mangels klarer Grenzziehung zu großer Rechtsunsicherheit in einem außerordentlich sensiblen Rechtskreis; dagegen würden die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, wenn der Bundesgerichtshof insoweit eine eindeutige Grenze festlegen wollte.
16
3. Auf Anfragebeschluss (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) des 4. Strafsenats vom 5. Februar 2008 (NStZ 2008, 333 m. Anm. Ullenbruch) hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 2. April 2008 - 1 ARs 3/08 (JR 2008, 255 m. Anm. Kudlich) an seiner Rechtsauffassung festgehalten. Daraufhin hat der 4. Strafsenat mit Beschluss vom 19. Juni 2008 (NJW 2008, 2661) dem Großen Senat gemäß § 132 Abs. 2 und Abs. 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Steht es der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist?
17
Da in beiden ihm vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB nicht vorlägen und - jedenfalls in der zweiten Sache - nach der Erledigungsentscheidung noch längere Freiheitsstrafe zu vollstrecken gewesen sei, sei die divergierend beurteilte Frage entscheidungserheblich.
18
4. Der Generalbundesanwalt folgt im Wesentlichen der Auffassung des 4. Strafsenats. Er beantragt zu beschließen: Der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.

II.

19
Die Vorlegungsvoraussetzungen sowohl für eine Divergenzvorlage (§ 132 Abs. 2 GVG) als auch für eine Grundsatzvorlage (§ 132 Abs. 4 GVG) sind gegeben. Die Divergenz zwischen den beteiligten Senaten in der vorgelegten Rechtsfrage ist offensichtlich. Deren zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung klärungsbedürftige grundsätzliche Bedeutung ergibt sich aus einer zunehmenden Praxisrelevanz in Verfahren mit überaus weit reichender und einschneidender Auswirkung für die betroffenen Verurteilten. Die Beurteilung des vorlegenden Senats im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage in den beiden der Vorlage zu Grunde liegenden Verfahren ist jedenfalls vertretbar und damit für den Großen Senat für Strafsachen bindend (vgl. BGHSt 41, 187, 194; 51, 298, 302).

III.

20
In der Sache hält der Große Senat für Strafsachen eine Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB für geboten, die von dessen Anwendung die Fälle ausnimmt, in denen im Zeitpunkt der Erledigungserklärung nach § 67d Abs. 6 StGB noch die Verbüßung von Freiheitsstrafe aussteht, auf die zugleich mit der Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war. Eine solche Einschränkung, welche stattdessen die Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB offen lässt, entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Sie widerstreitet dem Wortlaut der Norm nicht und steht im Einklang mit Systematik und Zweck des Gesetzes. Eine Ausnahme für den Fall ausstehender kurzer Reststrafe verwirft der Große Senat.
21
1. Nach dem zweifelsfreien Willen des Gesetzgebers soll in den Fällen, in denen der Verurteilte nach der Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB noch den Rest einer zugleich mit der Maßregelanordnung nach § 63 StGB verhängten Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, § 66b Abs. 3 StGB keine Anwendung finden; vielmehr soll zu gegebener Zeit geprüft werden, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB zu verhängen ist. Dies ergibt sich eindeutig aus der Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks. 15/2887 S. 14). Dort heißt es:
22
"Anwendung soll die Vorschrift (§ 66b Abs. 3 StGB) vor allem in denjenigen Fällen finden, in denen der Untergebrachte von dem erkennenden Gericht für schuldunfähig gehalten und deshalb nur die Unterbringung in einem psychi- atrischen Krankenhaus angeordnet wurde, ohne dass parallel eine Freiheitsstrafe verhängt werden konnte. Erfasst werden von der Vorschrift daneben aber auch die Fälle, in denen das Gericht unter Anwendung des § 21 StGB neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsstrafe verhängt hatte, in denen die Freiheitsstrafe aber in Umkehrung der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB) bereits vor dem Vollzug der Maßregel vollständig vollstreckt wurde und somit der Untergebrachte nunmehr aus der Maßregel in die Freiheit zu entlassen wäre. In Fällen, in denen nach Erledigung der Maßregel noch eine parallel verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ergibt sich demgegenüber zunächst kein Bedürfnis für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB - neu -. Hier kommt ggf. vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB - neu - in Betracht."
23
Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I 1838) ging im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu kompetenzwidrigen Landesunterbringungsgesetzen vom 10. Februar 2004 (BVerfGE 109, 190) auf ein notgedrungen überaus eilig durchgeführtes Gesetzgebungsverfahren zurück. Darin traten zwar Divergenzen und Unstimmigkeiten zu Einzelpunkten auf. All dies änderte indes für die hier in Rede stehende Frage letztlich nichts an der zitierten Auffassung, da die Bundesregierung gegenüber abweic henden Vorstellungen ausdrücklich am Gesetzentwurf und an seiner Begründung festgehalten hat (vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks. 15/2945 S. 2 f., 4 f.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 15/3346 S. 17). Dieser ist der Gesetzgeber gefolgt. Ihr kommt bei der Auslegung der erst vor relativ kurzer Zeit in Kraft getretenen Norm maßgebliche und ausschlaggebende Bedeutung zu.
24
2. Auf den ersten Blick deutet allerdings der Wortlaut des § 66b Abs. 3 StGB darauf hin, dass die Vorschrift auch dann Anwendung finden soll, wenn neben der Maßregel des § 63 StGB, weil die Schuldfähigkeit des Täters nicht ausgeschlossen, sondern nur erheblich vermindert war (§ 21 StGB), auch Strafe verhängt wurde. Gerade diese Fälle würden aber - aufgrund des Zusammenspiels der Regelungen zu Vorverbüßung und Anrechnung (§ 67 Abs. 1 und 4 StGB) - bei der dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB vom Anwendungsbereich der Norm regelmäßig ausgenommen. Es verblieben insoweit nur die eher seltenen Fälle der Vollstreckungsumkehr (in der Entwurfsbegründung ausdrücklich benannt) und der vollständigen Erledigung der verhängten Strafe durch Anrechnung nach § 51 StGB. Jedoch ist der Wortlaut des § 66b Abs. 3 StGB nicht in der Weise eindeutig, dass er einer restriktiven, dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragenden Auslegung zwingend entgegenstünde.
25
Hinzu kommt, dass sich im Gesamtwortlaut des § 66b StGB durchaus Hinweise finden, die das vom Gesetzgeber gewollte Verständnis des § 66b Abs. 3 StGB widerspiegeln. Während Absatz 1 und Absatz 2 der Vorschrift die Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug als ergänzendes Element der Gesamtwürdigung , auf welche die negative Wahrscheinlichkeitsprognose zu stützen ist, ausdrücklich bezeichnen, ist in Absatz 3 Nr. 2 ausdrücklich nur die Entwicklung des Verurteilten während des Vollzugs der Maßregel benannt. Dies lässt sich im Hinblick auf das Gebot einer sorgfältigen und auf umfassender Grundlage zu treffenden Prognoseentscheidung (vgl. BVerfGE 109, 190, 241), bei der auch das Vollzugsverhalten ein maßgebliches Entscheidungskriterium ist (vgl. dazu Bericht des Rechtsausschusses aaO S. 17), im Sinne des gesetzgeberischen Willens dahin deuten, dass die Vorschrift des § 66b Abs. 3 StGB bei noch offenem Strafvollzug nicht zur Anwendung gelangen soll.
26
3. Durch die vom Gesetzgeber gewollte restriktive Normenanwendung entstehen keine Wertungswidersprüche, die deren Beachtlichkeit entgegenstehen könnten. Insofern gilt:
27
a) Zwar werden ursprünglich als schuldlos beurteilte Täter bei der in Frage stehenden einschränkenden Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB im Ausgangspunkt scheinbar strenger behandelt als Täter, die mit, wenn auch erheblich verminderter, Schuld straffällig geworden sind; bei ihnen bestehen - abgesehen davon, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB nie nach der Begehung nur einer der dort in Nr. 1 benannten Taten angeordnet werden kann (s. demgegenüber § 66b Abs. 2 StGB) - grundsätzlich geringere formelle Voraussetzungen für die Anordnung als bei den von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB erfassten Tätern. Dies ist jedoch nicht von vornherein sachwidrig. Denn gegenüber dem Täter, auf den mit Mitteln des Strafvollzugs noch eingewirkt werden kann, steht hierdurch immerhin ein, wenn auch begrenztes , Mittel zur Eindämmung seiner Gemeingefährlichkeit zur Verfügung. Anders liegt es dagegen bei demjenigen, der wegen Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden konnte und daher allein der Maßregel nach § 63 StGB unterworfen wurde. Muss dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach einer maßgeblichen Veränderung seines psychischen Zustands oder besserer Erkenntnis hierüber gemäß § 67d Abs. 6 StGB beendet werden, so bleibt, wenn seine besondere Gefährlichkeit unvermindert fortbesteht, keine andere Möglichkeit als die Fortsetzung der die Allgemeinheit schützenden Unterbringung in der veränderten Form der Sicherungsverwahrung.
28
b) Auf Täter, die (nur) mit erheblich verminderter Schuld gehandelt hatten und daher sowohl zu Freiheitsstrafe verurteilt als auch nach § 63 StGB untergebracht wurden, wird § 66b Abs. 3 StGB bei der dem gesetzgeberischen Willen entsprechenden Norminterpretation - wie dargelegt - nur ausnahmsweise Anwendung finden. Dabei werden in der Praxis Ausnahmefälle um so eher in Betracht kommen, je kürzer die verhängte Freiheitsstrafe war; denn regelmäßig werden nur kurze Freiheitsstrafen, etwa durch Anrechnung nach § 51 StGB, im Zeitpunkt der Entscheidung nach § 67d Abs. 6 StGB bereits vollständig erledigt sein können. Darin könnte eine Besserstellung von Tätern gesehen werden, die zu höheren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und deshalb dem Anwendungsbereich des § 66b Abs. 3 StGB eher entzogen sind. Ein gegen die Beachtlichkeit der historischen Auslegung sprechender Wertungswiderspruch liegt indes auch hierin nicht:
29
Die für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung erforderliche besonders hohe Gemeingefährlichkeit wird bei jenen geringer Bestraften nicht so häufig vorkommen. Erfüllt ein solcher Verurteilter wegen ausnahmsweise bereits vollständiger Strafvollstreckung die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB, so wird bei ihm daher besonders sorgfältig zu prüfen sein, ob nicht bei Ausübung des tatrichterlichen Ermessens die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausscheidet. Die zu treffende Ermessensentscheidung wird bei der einschränkenden Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB weitgehend die Gefahr bannen können, dass nach der Zufälligkeit des Vollstreckungsablaufs unterschiedliche Entscheidungen über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung getroffen werden, je nachdem, ob § 66b Abs. 3 StGB oder später - nur - § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB zur Anwendung kommt.
30
4. Die Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB entsprechend den Aussagen der Gesetzesmaterialien führt auch nicht zu einer vom Gesetz nicht gewollten Einschränkung des Schutzes der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Tätern. Diese werden in aller Regel - trotz Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB - noch so hoch bestraft worden sein, dass dem Interesse der Allgemeinheit , gegen sie nach Erledigung ihrer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, nach dem anschließenden Strafvollzug durch Anwendung des § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB Rechnung getragen werden kann. Der Rückgriff auf diese Bestimmungen wäre freilich ausgeschlossen, wenn die Regelung des § 66b Abs. 3 StGB ihnen gegenüber Sperrwirkung entfaltete oder wenn ihrer Anwendung mit Blick auf die Notwendigkeit des Erkennbarwerdens neuer Tatsachen (vgl. § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB) regelmäßig unüberwindbare rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Beides ist indes nicht der Fall:
31
a) Eine Sperrwirkung des § 66b Abs. 3 StGB gegenüber § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; ihre Annahme würde dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen (vgl. auch insoweit die Begründung des Gesetzentwurfs aaO S. 14).
32
b) Auch die erforderlichen sog. Nova werden in aller Regel mit Blick auf die Besonderheiten der hier in Rede stehenden Konstellation zu bejahen sein. Allerdings trifft zu, dass im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot grundsätzlich strenge Anforderungen an die Annahme neu erkennbar werdender Tatsachen zu stellen sind. Nach der Rechtsprechung aller Senate darf deshalb die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht auf Umstände gestützt werden, die der Tatrichter des Anlassverfahrens erkannt hat oder hätte erkennen müssen; denn sie darf nicht der nachträglichen Korrektur eines Urteils dienen, in dem die originäre Anordnung der Sicherungs- verwahrung fehlerhaft abgelehnt worden war (etwa BGHSt 50, 121, 125 f.; 50, 275, 278; 51, 185, 187 f.; s. die weiteren Nachw. bei Fischer, StGB 55. Aufl. § 66b Rdn. 18).
33
Diese strengen Anforderungen, die auch nach Auffassung des Großen Senats grundsätzlich keine Aufweichungen vertragen, sind indes für die Fälle entwickelt worden, in denen gegen den Verurteilten in der Anlassentscheidung allein auf Strafe erkannt worden war. Der Täter, dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Ursprungsverfahren nicht erkannt worden ist, bei sorgfältiger Aufklärung der maßgeblichen Umstände aber hätte erkannt werden können, soll - so der Wortlaut und auch der Sinn und Zweck des § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB - nicht unter Durchbrechung der Rechtskraft nachträglich in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden dürfen.
34
In der hier zu beurteilenden Konstellation war aber nicht nur auf Strafe, sondern gleichzeitig auch auf die Maßregel nach § 63 StGB erkannt worden. Diese Maßregelanordnung beruhte auf der Prognose, dass von dem Verurteilten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Damit wird vielfach aber schon im Ausgangsurteil eine Gefährlichkeit des Verurteilten festgestellt worden sein, die auch den erhöhten Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB genügt; im Verfahren zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist daher insoweit allein die Frage zu beantworten, ob diese Gefahr fortbesteht. Dies hat notwendigerweise Auswirkungen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der nach der Anlassverurteilung erkennbar werdenden Tatsachen, die auf die Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hindeuten. Anders als in den von der dargestellten Rechtsprechung erfassten Fällen, in denen die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines Verurteilten zu prüfen ist, gegen den im Anlassurteil allein auf Strafe erkannt worden war, kann hier nicht darauf abgestellt werden, ob nachträglich neue Tatsachen erkennbar werden, die erstmals auf die besondere Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Vielmehr kann es nur darauf ankommen, ob die fortbestehende (qualifizierte) Gefährlichkeit aus anderen Tatsachen herzuleiten ist als denjenigen, die im Anlassurteil zur Begründung des länger andauernden Zustands herangezogen wurden, der zur positiven Feststellung erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei Tatbegehung (§ 21 StGB) und zur Anordnung nach § 63 StGB führte. Ob diese Tatsachen dem ursprünglichen Tatrichter bekannt waren oder bei pflichtgemäßer Beachtung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hätten bekannt sein müssen , ist demgegenüber ohne Bedeutung. Es genügt, dass sie vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegen und somit rechtlich in einem neuen Licht erscheinen (vgl. BVerfG - Kammer - JR 2006, 474, 476).
35
Waren etwa in der Lebensführung des Verurteilten bis zur Anlassverurteilung Tatsachen erkennbar, die einen Hang zur Begehung von Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB belegen konnten, wurde diesen aber deswegen im Ausgangsverfahren rechtlich keine eigenständige Beachtung geschenkt, weil sich der Tatrichter von einer dauerhaften psychischen Störung des Verurteilten überzeugte, die über die positive Feststellung der Voraussetzungen des § 21 StGB in Verbindung mit der lediglich indiziellen Bedeutung der früheren Straffälligkeit des Verurteilten für dessen zukünftige Gefährlichkeit zur Unterbringung nach § 63 StGB führte, so stellt es eine neue Tatsache im Sinne von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB dar, wenn nunmehr allein aus der Disposition des Verurteilten zur Begehung von schwerwiegenden Straftaten auch ohne das Hinzutreten einer dauerhaften psychischen Störung seine qualifizierte Gefähr- lichkeit für die Allgemeinheit rechtlich eigenständig herzuleiten ist. Ein derartiges Verständnis wird durch das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht gehindert. Denn hier steht nicht die erstmalige Anordnung einer zeitlich nicht begrenzten freiheitsentziehenden Maßregel in Rede, sondern im Kern - bei durchgängig angenommener Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit - die Überweisung von einer derartigen Maßregel in eine andere unter verschärften Anordnungsvoraussetzungen. Die Rückwirkungsproblematik stellt sich somit allenfalls in stark abgeschwächter Form. Das rechtfertigt in diesen Fällen die großzügigere Auslegung des Tatbestandsmerkmals der neu erkennbar werdenden Tatsachen.
36
5. Wegen des aus dem Normgefüge der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f GVG folgenden strikten Zusammenhangs der nachträglich anzuordnenden Maßregel mit der Anlassverurteilung steht nur die Vollstreckung des Restes der Strafe, die in der Anlassverurteilung ausgesprochen worden war, der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB entgegen. Dies ist - entsprechend der Formulierung der Ausgangsentscheidung des 1. Strafsenats und der Vorlage - ausdrücklich klarzustellen, und zwar mit Rücksicht auf Fälle, in denen gemäß § 67d Abs. 6 StGB zugleich mehrere Maßregelanordnungen für erledigt erklärt wurden (vgl. den zweiten Vorlagefall).
37
6. § 66b Abs. 3 StGB findet nach der Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB auch dann keine Anwendung, wenn nur noch ein kurzer Strafrest zur Vollstreckung ansteht. Zwar verblasst in diesen Fällen das Argument der unvollständigen Gesamtwürdigung, da von dem nur kurzfristigen Reststrafvollzug relevante Auswirkungen auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und Erkenntnisse hierzu im Allgemeinen nicht mehr ernstlich zu erwarten sind. Gleichwohl ist die insoweit vom 1. Strafsenat erwogene Ausnahme von der einschränkenden Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB nicht anzuerkennen. Ihr wi- derstreitet das vom vorlegenden Senat zutreffend benannte Anliegen der Rechtsklarheit, das in Fällen mit großer Eingriffsintensität besonders hohen Stellenwert hat. Der Große Senat verkennt nicht die praktischen Schwierigkeiten , die sich in diesen Fällen für die notwendig kurzfristige Antragstellung nach § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB stellen. Dieses Problem ist indes eine vom Gesetzgeber möglicherweise nicht bedachte Folge der von ihm gewollten restriktiven Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB und vom Rechtsanwender, dem die Festlegung von Fristen mangels vorgegebener Maßstäbe versagt ist, im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen. Prof. Dr. Tolksdorf Nack Basdorf Becker Maatz Dr. Wahl Prof. Dr. Kuckein Pfister Rothfuß Dr. Raum Prof. Dr. Fischer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 314/07
vom
10. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Februar 2009 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. Februar 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht Bielefeld hat gegen den Verurteilten die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Der jetzt 63jährige Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Zugleich wurde gegen ihn - zunächst - die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet. Nach den Feststellungen hatte er in erheblich alkoholisiertem Zustand (Tatzeit-BAK 4,02 Promille) einen Zechgenossen durch Schläge mit der Faust und einer Taschenlampe sowie durch Fußtritte misshandelt, so dass die- ser u.a. ein Schädelhirntrauma und mehrere Gesichtsfrakturen erlitt. Das Landgericht ging davon aus, dass der Verurteilte die Rauschtat (gefährliche Körperverletzung ) im Zustand erheblich verminderter, möglicherweise sogar völlig aufgehobener Schuldfähigkeit begangen hatte, während er bei Trinkbeginn (im Zeitpunkt des "Sichberauschens") voll schuldfähig war. Nach den Feststellungen des Landgerichts lag beim Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, die zwar seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hinsichtlich der Alkoholaufnahme beeinträchtigte, die jedoch nicht so erheblich war, dass sie in den Anwendungsbereich des § 21 StGB fiel. Deshalb lehnte das Landgericht eine Unterbringung gemäß § 63 StGB ab. Von der Unterbringung des Verurteilten nach § 64 StGB sah es wegen mangelnder Erfolgsaussichten ab.
3
Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil durch Beschluss vom 8. Januar 2004 (= NStZ 2004, 384) im Maßregelausspruch mit den Feststellungen auf und verwarf die Revision im Übrigen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen dürfe, dass er nicht wegen der Rauschtat (gefährliche Körperverletzung), sondern (weil seine Steuerungsfähigkeit möglicherweise aufgehoben war) in Anwendung des Zweifelssatzes wegen Vollrausches verurteilt worden sei. In erneuter Anwendung des Zweifelssatzes (diesmal zum Rechtsfolgenausspruch) habe das Landgericht die Voraussetzungen des § 63 StGB prüfen und nach § 72 Abs. 1 StGB der Maßregel den Vorzug geben müssen, die den Angeklagten am wenigsten beschwere.
4
Durch Urteil des Landgerichts vom 17. Juni 2004, rechtskräftig seit 11. August 2004, wurde gegen den Verurteilten - neben der bereits rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe - die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Nach den Feststellungen in diesem Urteil litt der Verurteilte an einer schweren dissozialen Persönlichkeitsstörung. Diese habe zwar für sich betrachtet seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt. Jedoch habe zwischen der dissozialen Persönlichkeitsstörung und der Alkoholsucht des Verurteilten eine Wechselwirkung bestanden; die Persönlichkeitsstörung sei für das Fortbestehen der Alkoholsucht kausal. Zur Tatzeit sei der Verurteilte entweder gar nicht oder nur erheblich vermindert in der Lage gewesen, sein Verhalten im Hinblick auf die von ihm begangene gefährliche Körperverletzung zu steuern. Von ihm seien infolge seines weiter andauernden Zustandes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten; von ihm gehe deshalb eine Gefahr für die Allgemeinheit aus.
5
Ab dem 16. November 2004 wurde die Maßregel vollzogen. Durch Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 22. September 2006, rechtskräftig seit dem 17. Oktober 2006, wurde die Unterbringung gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt erklärt, weil bei dem Verurteilten eine Persönlichkeitsstörung nicht vorliege, so dass - obwohl er weiterhin gefährlich sei - die Voraussetzung für den weiteren Vollzug der Maßregel entfalle. Die noch offene Restfreiheitsstrafe von 116 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte verbüßte die Restfreiheitsstrafe in der Zeit vom 18. Oktober 2006 bis zum 25. Januar 2007. Seit dem 26. Januar 2007 wird der nach § 275 a Abs. 5 StPO erlassene Unterbringungsbefehl des Landgerichts Bielefeld gegen ihn vollzogen.
6
Die Staatsanwaltschaft hat am 26. Oktober 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66 b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Bielefeld gefolgt.
7
Nach den Feststellungen des nunmehr angefochtenen Urteils ist der Verurteilte seit nahezu 45 Jahren alkoholabhängig. Außerdem bestehe bei ihm eine Persönlichkeitsfehlentwicklung mit dissozialen und narzisstischen Strukturen, die lediglich als eine Persönlichkeitsakzentuierung zu werten sei und daher nicht die Kriterien einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erfülle. Das Landgericht nimmt an, dass der Verurteilte wegen seiner therapieresistenten Alkoholabhängigkeit und seiner Persönlichkeitsfehlentwicklung mit dissozialen und narzisstischen Anteilen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Freiheit sehr rasch wieder alkoholrückfällig und unter alkoholischer Beeinflussung erneut Straftaten begehen werde, wobei Delikte zu erwarten seien, die zumindest schwere körperliche Schäden der davon betroffenen Personen zur Folge haben werden (UA 29).
8
Das Landgericht stützt seine Prognose insbesondere auf zwei - der insgesamt 19 im Urteil näher ausgeführten - Vorverurteilungen: Zum einen war gegen den Verurteilten am 5. Februar 1986 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verhängt worden. Unter Einbeziehung von Strafen aus einem vorangegangenen Urteil war eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren festgesetzt, ferner war die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Die zu Grunde liegende Tat hatte der Verurteilte während eines mehrtägigen Zechgelages am 25. Januar 1985 begangen. Er wurde am 25. Juni 1993 - ohne Therapieerfolg - aus Haft und Unterbringung entlassen. Zum anderen war der Verurteilte am 21. März 1997 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Zugleich war abermals die Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet worden. Der Verurteilte hatte am 5. April 1996 einen Zechgenossen durch Schläge gegen den Kopf mit einem Hammer oder Brech- eisen getötet. Der Vollzug von Strafe und Maßregel endete am 15. März 2001, wobei die Unterbringung im Jahre 1999 nicht weiter vollzogen wurde, weil nicht zu erwarten war, dass das Maßregelziel erreicht werden konnte.

II.


9
Der Senat hat im Hinblick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 (= BGHSt 52, 31), nach der bei einem Verurteilten, der - wie hier - im Anschluss an die Erledigungserklärung nach § 67 d Abs. 6 StGB noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war, die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nach § 66 b Abs. 3 StGB, sondern regelmäßig nur unter den Voraussetzungen von § 66 b Abs. 1 StGB oder § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet werden kann, mit Beschluss vom 19. Juni 2008 (= NJW 2008, 2661) dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Steht es der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist?
10
Der Große Senat für Strafsachen hat in seinem Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - die Rechtsauffassung des 1. Strafsenats bestätigt. Für die Annahme neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 StGB genüge allerdings, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vor- handenen Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegt werde.

III.


11
Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen steht der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Verurteilte nach der Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Da nach den Feststellungen jedoch eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung unter den Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB in Betracht kommt, ist die Sache unter Aufhebung der Feststellungen an das Landgericht zurückzuverweisen.
12
1. Der Senat erachtet den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB (Bd. II Bl. 303 f. d.A.) als Voraussetzung zur Durchführung des Verfahrens für noch genügend, weil der Verfahrensgegenstand hinreichend genau bestimmt und dem Verurteilten nach der Antragstellung ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist (Bd. II Bl. 308, 323, 325, 331, 351 ff. d.A.). Das Fehlen einer Begründung des Antrags dahin, dass die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB vorliegen, macht den Antrag ausnahmsweise nicht unzulässig, da erst durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen dieser Vorschrift Bedeutung zukommt. Insoweit ist hinzunehmen, dass dem Verurteilten die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB, insbesondere die konkreten neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB, erst in der neuen Hauptverhandlung mitgeteilt werden (vgl. BGHSt 50, 284, 292; 50, 373, 376).
13
2. Eines näheren Eingehens auf die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen bedarf es nicht, da die Sachrüge durchgreift. Soweit die Revision geltend macht, § 66 b StGB verstoße gegen europäisches Recht, teilt der Senat diese Auffassung nicht (vgl. BGHSt 50, 373, 377 ff.; s. auch BVerfG [Kammer] JR 2006, 474, 475 ff.; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 749/08; BGHSt 50, 284, 295; BGH StV 2008, 304, 306 [zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift]).
14
3. In dem angefochtenen Urteil sind die Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB nicht im Einzelnen dargetan. Damit musste sich das Landgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch nicht befassen.
15
a) Nach den bisherigen Feststellungen liegen allerdings die formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 StGB vor (vgl. hierzu BGH NStZ 2006, 178, 179). Der Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wegen einer vorsätzlichen Straftat im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB323 a i.V.m. § 224 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Vor dieser Tat wurde bereits zweimal jeweils eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr gegen ihn verhängt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Das Landgericht Bielefeld erkannte mit Urteil vom 5. Februar 1986 wegen sexueller Nötigung u.a. auf eine Einzelstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und mit Urteil vom 21. März 1997 wegen vorsätzlichen Vollrausches auf eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Wegen dieser Taten befand sich der Verurteilte mehr als zwei Jahre sowohl in Strafhaft als auch im Maßregelvollzug (§ 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Rückfallverjährung (§ 66 Abs. 4 Sätze 3 und 4 StGB) ist - soweit ersichtlich - nicht eingetreten.
16
b) Das Landgericht Bielefeld hat in seinem Urteil vom 20. Dezember 2002, in dem es gegen den Verurteilten - zunächst - die Sicherungsverwahrung angeordnet hatte, festgestellt, dass der Verurteilte einen Hang zu erheblichen Straftaten hat (UA 22). Die materielle Voraussetzung des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB wird der nunmehr entscheidende Tatrichter neu zu prüfen haben (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 a.E. StGB). Festzustellen wird er auch haben, ob vor Ende des Vollzugs der (Rest-)Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar waren, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 1. HS StGB). Hierbei wird er mit sachverständiger Hilfe Folgendes zu berücksichtigen haben:
17
aa) Wegen der schwer wiegenden Folgen, die mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach einer Erledigungserklärung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für den Verurteilten verbunden sind, muss über das Beschlussverfahren der Strafvollstreckungskammer nach § 67 d Abs. 6 StGB hinaus in der Hauptverhandlung nach § 66 b StGB geprüft werden, ob die (mögliche) qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten (weiterhin) auf der (dauerhaften) psychischen Störung des Verurteilten beruht, die in der Anlassverurteilung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hat (vgl. hierzu BGHSt 50, 373, 385 [Sachnähe des nach § 74 f GVG zuständigen Gerichts]). Ist dies der Fall, so kommt - für § 66 b Abs. 1 und 2 StGB schon mangels neuer Erkenntnisse - eine Unterbringung nach § 66 b StGB nicht in Betracht (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 66 b Rdn. 14). Für eine etwaige "Rückverweisung" des Verurteilten in den Maßregelvollzug nach § 63 StGB gibt es keine Rechtsgrundlage (vgl. BGH StV 2006, 413; NStZ-RR 2007, 301, 303; BGH, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05 Rdn. 30, 31; Fischer aaO § 66 b Rdn. 46, § 67 a Rdn. 6).
18
bb) Im Hinblick auf die erforderlichen neuen Tatsachen ("Nova"), die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen müssen (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB), wird die nunmehr entscheidende Strafkammer unter Beachtung der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zu prüfen haben, ob die möglicherweise fortbestehende (qualifizierte) Gefährlichkeit des Verurteilten aus anderen Tatsachen herzuleiten ist als denjenigen, die im Anlassurteil zur Begründung des länger andauernden Zustands herangezogen wurden, die zur positiven Feststellung mindestens erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei der Tatbegehung und zur Anordnung nach § 63 StGB geführt haben (BGH - GS - Rdn. 34). Die neuen Tatsachen dürfen sich nicht darin erschöpfen, dass die der Persönlichkeitsstörung bzw. -akzentuierung des Verurteilten zu Grunde liegenden Tatsachen lediglich neu beschrieben oder umbewertet werden. Sie können sich etwa aus dem - bisher nicht näher erörterten - Vollzugsverhalten des Verurteilten ergeben. Die strafrechtlichen Vorbelastungen des Verurteilten können zur Stützung neuer Tatsachen Berücksichtigung finden (vgl. BGH - GS - Rdn. 35). Soweit zur Gefährlichkeitsbeurteilung Tests herangezogen werden (vgl. UA 26, 28), wird zu beachten sein, dass eine bloß abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung nicht ausreichend ist (vgl. BVerfG NStZ 2007, 87, 88; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 749/08; BGHSt 50, 121, 130 f.; BGH NStZ 2007, 464, 465; s. auch BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 3 StR 350/08).
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 476/05
vom
23. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. März 2006 in der Sitzung am 23. März 2006, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 10. Juni 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Betroffenen die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn sogleich in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Betroffenen, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der im Jahr 1934 geborene Betroffene erlitt 1955 bei einem Motorradunfall eine Schädelbasisfraktur, in deren Folge es bei ihm zu einer organischen Persönlichkeitsstörung kam. Ein schon damals festgestellter frontaler Hirnsubstanzdefekt führte zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau. 1994 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, im selben Jahr auch wegen dreier Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte ein Kind jeweils auf den Arm genommen, ihm unter dem T-Shirt an die Brust und über der Kleidung an die Scheide gefasst und ihm schließlich Zungenküsse gegeben. Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach Verlängerung der Bewährungszeit wurde die Freiheitsstrafe Ende 1997 erlassen.
4
Das Landgericht Passau verurteilte den Betroffenen schließlich am 16. März 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen jeweils zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe; sog. Anlassverurteilung in dieser Sache). Er hatte im Sommer 1986 von der damals 12-jährigen Tochter einer Frau, deren Liebhaber er war, den Geschlechtsverkehr erzwungen, indem er dem Kind drohte, sonst seine Schwester "zu gebrauchen". Da sich das Mädchen nicht einschüchtern ließ und sich wehrte, packte er es, riss ihm die Hose herunter und warf es auf eine Couch. Er drückte es an den Schultern nieder und führte den ungeschützten Verkehr bis zum Samenerguss durch. Zwei Wochen nach diesem Vorkommnis wiederholte sich der Vorgang. Wegen zweier ähnlich liegender Taten zum Nachteil der Schwester des Opfers stellte das Landgericht das Verfahren wegen Verjährung ein.
5
Der Betroffene verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Für die Zeit nach der Vollstreckung der Strafe ordnete das Landgericht Bayreuth mit Beschluss vom 6. Februar 2002 für die Dauer von fünf Jahren Führungsaufsicht an und brachte den Betroffenen darüber hinaus mit Beschluss vom 10. April 2002 nach dem Bayerischen Gesetz zur Unterbringung besonders rückfallgefährdeter hochgefährlicher Straftäter (BayStrUBG) unbefristet in einer Justiz- vollzugsanstalt unter. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2003 wurde der Vollzug dieser Anordnung für die Dauer eines Jahres ausgesetzt und dem Betroffenen auferlegt, in einem Seniorenhaus Aufenthalt zu nehmen. Da es dort im Januar und Februar 2004 zu sexuellen Übergriffen auf demente Mitbewohnerinnen kam, widerrief die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. März 2004 die Aussetzung. Der Betroffene wurde wieder in den Unterbringungsvollzug genommen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Bundesländern mit Urteil vom 10. Februar 2004 die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass landesrechtlicher sicherungsverwahrender Vorschriften aus verfassungsrechtlichen Gründen abgesprochen und die Geltung solcher Bestimmungen bis zum 30. September 2004 befristet hatte (BVerfGE 109, 190), überwies die Strafvollstreckungskammer den Betroffenen nach § 67a Abs. 2 StGB in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dort befindet er sich seither, mittlerweile aufgrund Unterbringungsbeschlusses nach § 275a Abs. 5 StPO.
6
2. Unter der Zwischenüberschrift "Neuere Entwicklung des Betroffenen" hat die Strafkammer sodann weiter festgestellt:
7
Der Betroffene unterzog sich während des Strafvollzugs nach seiner Verurteilung im Jahr 1999 wegen der beiden 1986 begangenen Vergewaltigungstaten keinerlei psychotherapeutischen Maßnahmen. Eine Sexualtherapie lehnte er stets ab. Ebenso stritt er auch in der Haft die Taten ab und entzog somit möglichen therapeutischen Maßnahmen jegliche Grundlage. Aufgrund bestehender Störungen im kognitiven Bereich und im Hinblick auf die während der Haftzeit fortgeschrittene hirnorganische Persönlichkeitsstörung vermag er die Grenzen zu sexuell deviantem Verhalten nicht zu erkennen und nicht zu reflektieren.
8
Dies führte dazu, dass er sich während seines Aufenthalts in dem Seniorenhaus wiederholt an Mitbewohnerinnen heranmachte, diese an Orte verbrachte , welche vom Pflegepersonal nicht beobachtet wurden, dort deren Unterkörper entkleidete und ihnen die Windelhose öffnete oder die Unterhose auszog , um sich daran sexuell zu ergötzen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Vorfälle:
9
- Am 14. Januar 2004 fand eine Pflegekraft die an ausgeprägter Demenzerkrankung leidende Heimbewohnerin B. im Zimmer des Betroffenen mit völlig entkleidetem Unterkörper vor, während sich der Betroffene im Badezimmer aufhielt und gerade dabei war seine Hose hochzuziehen.
10
- Am 2. Februar 2004 öffnete der Betroffene im Zimmer der ausgeprägt demenzkranken Bä. deren Windelhose und fasste sie am Intimbereich an. Dabei wurde er von einer Pflegerin angetroffen, die "ihn schimpfte" und fortschickte.
11
- Am 14. Februar 2004 kam eine Pflegekraft hinzu, als er Frau Bä. eine "doppelte Windelhose" machte, indem er ihr die Unterhose auszog und über der Windel eine grüne Windel anzog.
12
- An einem weiteren nicht näher bestimmbaren Tag im Januar oder Februar 2004 traf eine Pflegekraft den Betroffenen dabei an, wie er Frau Bä. auf dem Gang vor den Zimmern von oben in das T-Shirt langte und an ihrer Brust manipulierte.
13
3. Bei seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht angenommen, dass vom Betroffenen eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung Anderer ausgehe. Krankheitsbedingt sei bei ihm keine Reflektionsfähigkeit mehr vorhanden. Aufgrund seiner organischen Persönlichkeitsstörung sei er nicht mehr in der Lage, im Sexualbereich Grenzen zu erkennen. Wegen seiner erstmals in der Haft aufgetretenen Erektionsstörungen sei auch nach Auffassung der beiden gehörten Sachverständigen erfahrungsgemäß mit der Zuwendung zu immer jüngeren Kindern als Ersatzobjekten zu rechnen, von denen kein unüberwindbarer Widerstand zu erwarten sei, ebenso aber auch mit Ersatzhandlungen und impulsiven Übersprungshandlungen. Diese Entwicklung des Betroffenen spiegele sich in seinen Taten im Seniorenheim wider, wo er sich zwar nicht mehr an Kindern, aber doch an widerstandsunfähigen Personen vergangen habe. Bei ihm liege eine sexuelle Störung mit Steigerung der sexuellen Appetenz vor. Auch wenn man Handlungen wie beispielsweise das "Begrabschen" nicht als erheblich einstufen wolle, so gehe vom Betroffenen gleichwohl eine erhebliche Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung Anderer aus. Angesichts der kognitiven Defizite und der mangelnden Reflektionsfähigkeit des Betroffenen bestehe situationsbedingt immer die konkrete Gefahr, dass sich - ausgehend von den Reaktionen des Opfers - auch gravierende Straftaten entwickeln könnten.
14
4. Das Landgericht geht bei seiner rechtlichen Würdigung vom Vorliegen der Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung aus und knüpft an die Verurteilung durch das Landgericht Passau vom 16. März 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen an (§ 66b Abs. 1 StGB). Der Hang des Betroffenen, erhebliche Straftaten zu begehen, werde durch die Vorstrafen wegen der Vergewaltigung junger Mädchen belegt. Dieser Hang habe weder während der Haft noch wegen des fortgeschrittenen Alters des Betroffenen ein Ende gefunden. Aufgrund der organischen Persönlichkeitsstörung wirke sich das zunehmende Alter vielmehr sogar gefahrerhöhend aus.
15
Vor Ende der Haftzeit seien Tatsachen erkennbar geworden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinwiesen. Er habe während der Haftzeit jegliche Sexualtherapie verweigert und sei nicht therapiefähig , weil er die begangenen Taten immer geleugnet habe. Krankheitsbedingt fehle ihm die Reflektionsfähigkeit über ein mögliches sexualdeviantes Verhalten. Das beruhe auf der organischen Persönlichkeitsstörung als Nachwirkung eines unfallbedingten Hirnsubstanzdefekts, der zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau führe. Bei den genannten Gesichtspunkten handele es sich "allesamt um Umstände, die erst in der Haft aufgetreten bzw. - wie der hirnorganische Abbau - fortgeschritten" seien. Die Vorfälle im Seniorenheim belegten die geschilderten Tatsachen bezüglich der Entwicklung des Betroffenen , deren Ursachen und Fortschritt erst in der Haft erkennbar geworden seien.
16
5. Die mit dem Urteil ausgesprochene Überweisung des Betroffenen in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begründet die Strafkammer damit, dass diese von beiden Sachverständigen ausdrücklich empfohlen worden sei. Die organische Persönlichkeitsstörung des Betroffenen und die Auffälligkeiten unterstrichen das Erfordernis einer hochqualifizierten therapeutischen und pflegerischen Betreuung. Dort könne auch erprobt werden, ob durch eine etwaige medikamentöse Intervention die Verhaltensauffälligkeiten gebessert werden könnten. Deshalb halte auch die Kammer die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus für sachgemäß. Dafür biete das Gesetz aber gegenwärtig keine ausdrückliche Möglichkeit. Zwar sei parallel zum gegenständlichen Verfahren betreffend die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung ein objektives Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff. StPO beim Landgericht Hof anhängig. Dessen Gegenstand sei der sexuelle Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, nämlich der demenzkranken Frau Bä. (Manipulation an der Brust; vgl. oben, vierter Vorfall). Der Ausgang jenes Verfahrens sei für die Kammer jedoch nicht absehbar und nicht beeinflussbar. Die unmittelbare Anwendung des § 67a Abs. 2 StGB sei nicht möglich. Der Fall zeige jedoch, dass hier ein Bedürfnis für eine gleichzeitige resozialisie- rungsfördernde Überweisung in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bestehe, obgleich die Anordnungsvoraussetzungen für diese Maßnahme (§ 63 StGB) nicht vorlägen.

II.


17
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es läßt besorgen , das Landgericht könne Umstände als "neue Tatsachen" im Sinne der gesetzlichen Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 StGB) behandelt haben, die von Rechts wegen nicht berücksichtigungsfähig sind oder bei denen dies nach den Urteilsgründen zumindest zweifelhaft ist und unklar bleibt. Das erweist sich als Darlegungs- und Erörterungsmangel , der zur Aufhebung des Urteils führt.
18
1. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt voraus, dass vor Ende des Vollzuges der Freiheitsstrafe aus der Anlassverurteilung Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66b Abs. 1 StGB). "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Anlassverurteilung) und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; NJW 2006, 531, 535). Aber auch Umstände, die für einen sorgfältigen Tatrichter bei der Anlassverurteilung erkennbar oder aufklärungsbedürftig waren, sind nicht neu im Sinne des § 66b StGB (BGH NStZ 2006, 155, 156). Darüber hinaus müssen die neuen Tatsachen eine "gewisse Erheblichkeitsschwelle" überschreiten (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 12). Sie müssen schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdi- gung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens , der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer durch den Betroffenen hindeuten (BGH NJW 2006, 531, 535).
19
2. Die vom Landgericht angeführte "neuere Entwicklung" des Betroffenen weist Tatsachen aus, die die Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen vermögen.
20
Die Strafkammer hat in einem eigenständigen Abschnitt der Urteilsgründe die "neuere Entwicklung" des Betroffenen dargestellt. Dabei hat sie seine fehlende Therapiebereitschaft und sein Bestreiten der Anlasstaten auch in der Strafhaft, den fortschreitenden hirnorganischen Abbau sowie die sexualbezogenen Verhaltensweisen im Umgang mit demenzkranken pflegebedürftigen Frauen während seines Aufenthaltes in einem Seniorenheim angeführt. Diese Gesichtspunkte hat sie auch in der abschließenden rechtlichen Bewertung aufgegriffen , aber nicht verdeutlicht, ob sie in bestimmten Umständen etwa keine neuen Tatsachen gesehen und diese lediglich bei der Gesamtwürdigung und Prognose herangezogen hat. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe spricht eher dafür, dass sie in allen Umständen, die sie unter der "neueren Entwicklung" des Betroffenen aufgeführt hat, neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB gesehen hat. Insoweit gilt:
21
a) Die sexualbezogenen Vorfälle im Seniorenheim haben hier als "neue Tatsachen" von vornherein außer Betracht zu bleiben, weil sie sich nicht während des Vollzuges der Freiheitsstrafe ereignet haben. Vielmehr befand sich der Betroffene in dem in Rede stehenden Zeitraum in einer nachträglichen landes- rechtlichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die ausgesetzt war. Für diese sog. Übergangsfälle hat der Gesetzgeber nochmals ausdrücklich das bestätigt, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 66b Abs. 1 StGB ergibt: Umstände aus der landesrechtlichen Unterbringung (nach BayStrUBG) sind keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66b StGB (Art. 1a Satz 2 EGStGB; so auch die Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 20). Sie können allenfalls bei der anzustellenden Gefährlichkeitsprognose mit berücksichtigt werden (vgl. Gesetzesbegründung aaO).
22
b) Hinsichtlich der danach verbleibenden Umstände, die als "neue Tatsachen" im Sinne des Gesetzes nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht eindeutig entnehmen, ob sie bereits für den früheren Tatrichter erkennbar oder ihm sogar bekannt waren. Die Strafkammer hat sich damit nicht in nachprüfbarer Weise auseinandergesetzt. In den Urteilsgründen klingt jedoch an, dass der Betroffene die Anlasstaten auch schon im Erkenntnisverfahren bestritten hat. Dies ist dem Senat auch aufgrund seiner Befassung mit der seinerzeitigen Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 16. März 1999 bekannt (1 StR 547/99). Damit liegt nahe, dass auch in der Therapieverweigerung des Betroffenen keine neue Tatsache gesehen werden kann; das wäre nur dann der Fall, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt der Verurteilung davon hätte ausgehen können, der Betroffene werde sich im Strafvollzug einer Erfolg versprechenden Therapie unterziehen (BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 = NStZ 2006, 155; Beschluss vom 19. Januar 2006 - 4 StR 393/05 - Umdruck S. 12; vgl. zur eingeschränkten Bedeutung fehlender Therapiebereitschaft weiter BVerfGE 109, 190, 241; BGH NJW 2005, 2022, 2024; Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 15/3346, S. 17).
23
c) Ähnlich liegt es für den vom Landgericht festgestellten frontalen Hirnsubstanzdefekt, der sich in der Folge eines schweren Motorradunfalls entwickelt hat, den der Betroffene bereits im Jahr 1955 erlitt. Schon in früherer Zeit war bei ihm ersichtlich in dessen Folge bei strafbaren Handlungen eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen. Das Landgericht hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit es sich bei dieser Entwicklung um eine schon für den Tatrichter der Anlasstat erkennbare neue Tatsache gehandelt hat und, wenn ja, ob gegebenenfalls allein das Fortschreiten des Hirnsubstanzdefekts als einzig verbleibende neue Tatsache die Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnte (vgl. für einen erstmals festgestellten frontal betonten Hirnsubstanzdefekt als "neue Tatsache" BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - Umdruck S. 6 = NStZ 2006, 155, 156). Das Revisionsgericht vermag diese Bewertung, die tatrichterliche Aufgabe ist, grundsätzlich nicht zu ersetzen.
24
3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann mithin keinen Bestand haben. Schon deshalb entfällt auch die zugleich ausgesprochene Überweisung des Betroffenen in den Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB. Diese rechtliche Bewertung entspricht insoweit auch dem vom Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung gestellten Antrag, der von seiner Antragsschrift abweicht.

III.


25
Der Senat sieht im Blick auf die erforderliche Neuverhandlung der Sache Anlass zu den nachfolgenden Hinweisen:
26
1. Das Landgericht, dem die durch den Bundesgerichtshof herausgebildeten Maßstäbe zur Auslegung des § 66b StGB zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht bekannt sein konnten, wird nunmehr zu prüfen haben, ob neue, erstmals in der Strafhaft des Betroffenen hervorgetretene erhebliche Tatsachen feststellbar sind, die bei Aburteilung der Anlasstaten nicht erkennbar waren. Auf dieser Grundlage wird die Frage eines Hanges des Betroffenen zur Begehung von Sexualstraftaten und seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB erneut zu beurteilen sein. Bei der Gefährlichkeitsprognose allerdings kann seine gesamte Entwicklung in den Blick genommen werden (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 20). Im Einzelnen wird das Landgericht auch Folgendes zu bedenken haben:
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Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist die schwerste Unrechtsfolge , die zum Strafrecht im weiteren Sinne gehört (BVerfGE 109, 190, 211 ff.; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - Umdruck S. 7). Sie ist als letztes Mittel in seltenen Fällen für extrem gefährliche Täterpersönlichkeiten gerechtfertigt (BVerfGE 109, 190, 242). Ihre Anwendung ist nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv zu handhaben (Gesetzesbegründung, aaO, S. 10, 12 f.; BVerfGE aaO, S. 236; BGH aaO, S. 8 m.w.N.). Daran hat sich die Auslegung der Vorschrift zu orientieren.
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Die neue Strafkammer wird weiter im Auge zu behalten haben, dass "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit , der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer durch den Betroffenen hindeuten müssen (BGH NJW 2006, 531, 535). Soweit hier letztlich allein das Fortschreiten des Hirnabbaus des Betroffenen infrage stehen sollte, wird zudem zu verlangen sein, dass dieser sich nach außen während der Strafhaft in irgendeiner Form manifestiert und ausgedrückt hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit einer Rücknahme des Antrags der Staatsanwaltschaft hin (vgl. dazu BGH NJW 2006, 852, 853 Rdn. 10 f.).
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2. Zudem wird es nahe liegen, dem objektiven Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO, § 63 StGB) beim Landgericht Hof Fortgang zu geben und gegebenenfalls dort einstweilige Maßnahmen zu treffen, mag in jenem Verfahren auch die Erheblichkeit der rechtswidrigen Tat besonders prüfungsbedürftig erscheinen (§ 184f Nr. 1 StGB; vgl. zur daneben bestehenden Möglichkeit der landesrechtlichen Unterbringung auch § 1 Abs. 1 BayUntbrG). Dem anhängigen Sicherungsverfahren kommt allerdings hier kein Vorrang zu, weil die dort gegenständlichen Vorfälle sich nach der Entlassung des Betroffenen aus der Strafhaft ereignet haben. Wäre dies anders und erwiesen sie sich zugleich als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB, so wäre das Sicherungsverfahren , das ebenfalls den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, vorrangig zu betreiben (vgl. zum Vorrang des Erkenntnisverfahrens, wenn dort die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung besteht: BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - Umdruck S. 10 f.).
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3. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass die vom Landgericht sogleich ("uno actu") mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erfolgte Überweisung des Betroffenen in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (nach § 67a Abs. 2 StGB i. V. m. § 63 StGB) dem Zustand des Betroffenen zwar in praktischer Hinsicht Rechnung trägt, aber rechtlichen Bedenken begegnet. Diese hat das Landgericht gesehen, indes an- genommen, sie aus Gründen praktischer Bedürfnisse vernachlässigen zu dürfen.
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Die Überweisung in die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus darf nicht zugleich mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ausgesprochen werden. Der Gesetzgeber hat wohl im Grundsatz für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel offen halten wollen. Darauf deuten die Materialien hin, denen zufolge die Überweisungsvorschrift des § 67a Abs. 2 StGB auch bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung anwendbar sein soll (Gesetzesbegründung BTDrucks. 15/2887, S. 14; in diese Richtung auch BVerfGE 109, 190, 242 f.). Für die Überweisung ist jedoch die Strafvollstreckungskammer zuständig. Bei einer Entscheidung durch die Strafkammer würde nicht der gesetzliche Richter tätig (so schon BGH, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06 - Umdruck S. 10). Angesichts des Gewichts des Eingriffs einer nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in das Freiheitsgrundrecht hält es der Senat zudem ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für nicht statthaft, durch eine "uno actu" ausgesprochene Überweisung in die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gewissermaßen auf diesem Umwege die nachträgliche Unterbringung in der Maßregel des § 63 StGB einzuführen. Hätte der Gesetzgeber diese Möglichkeit schaffen wollen, so hätte das ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung bedurft.
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Hält man die Überweisungsvorschrift für anwendbar, so ist sie demzufolge ihrem Wortlaut gemäß auszulegen: Die Überweisung ist "nachträglich" möglich , wenn dadurch die Resozialisierung des Betroffenen besser gefördert werden kann (§ 67a Abs. 2 StGB), insbesondere die dort mögliche Behandlung oder auch nur Betreuung seinem Zustand am ehesten gerecht zu werden vermag.
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Das Landgericht hat all dies im rechtlichen Ansatz selbst so gesehen, sich jedoch zur Schließung der von ihm angenommenen Gesetzeslücke berechtigt erachtet. Der Senat vermag dem nicht beizupflichten. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit