Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2017 - 4 StR 382/17

bei uns veröffentlicht am26.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 382/17
vom
26. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Bedrohung
ECLI:DE:BGH:2017:260917B4STR382.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 5. April 2017 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an das Amtsgericht Essen-Steele – Strafrichter – zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Das weiter gehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Urteilsfeststellungen arbeiteten der mittelgradig geistig behinderte Angeklagte und der leicht bis mittel schwer geistig behinderte Geschädig- te im Zeitraum von November 2014 bis Mitte Januar 2016 zusammen mit ande- ren behinderten Menschen in der „W. K. “ in E. . In diesem Zeitraum führte der Geschädigte auf Aufforderung des Angeklagten bei diesem in einer Toilette der Einrichtung mehrmals den Oralverkehr aus. In einem dieser Fälle zog sich der Angeklagte nach dem Oralverkehr demonstrativ den rechten Zeigefinger von links nach rechts über den Hals und schlug sich dann mit der rechten Faust in die geöffnete linke Hand. Der Geschädigte verstand diese Gesten, wie vom Angeklagten beabsichtigt, dahin, dass der Angeklagte ihm in Aussicht stellte, er werde ihn töten, wenn er das Geschehen jemandem offenbaren würde. Für den Geschädigten erweckte diese Drohung den Eindruck der Ernstlichkeit , was der Angeklagte seinerseits erkannte. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war wegen herabgesetzter Impulskontrolle aufgrund seiner geistigen Behinderung erheblich vermindert, seine Einsichtsfähigkeit jedoch voll erhalten.
3
Das Landgericht hat sich von der Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten bei den sexuellen Handlungen nicht überzeugen können und den Angeklagten insoweit freigesprochen. Die demonstrativen Gesten des Angeklagten gegenüber dem Geschädigten hat es rechtlich als Bedrohung gewürdigt.

II.


4
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als Bedrohung im Sinne des § 241 StGB ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
5
2. Der Strafausspruch hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Das Landgericht hat die verhängte Freiheitsstrafe von fünf Monaten dem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 241 StGB entnommen und bei der Festsetzung der Höhe der Strafe „ganz erheblich strafschärfend“ gewertet, dass sich die Tat in einer Behindertenwerkstatt und damit in einem für besonders schutzwürdige Menschen eingerichteten Raum zugetragen habe, der dazu diene, diese vor einer Gesellschaft zu behüten, in der sie sich aufgrund ihrer Behinderung stets im Nachteil befinden. Der Angeklagte habe „diese Schutzfunktion ausgehebelt“ und damit „nachhaltig“ das Wohlbefinden des Geschädigten beeinträchtigt. „Etwas abgemildert“ werde dieser Vor- wurf durch den Umstand, dass sich der Vorfall unter zwei geistig behinderten Menschen abgespielt habe, der Angeklagte also nicht in diesen Schutzraum eingedrungen sei, sondern sich aufgrund seiner eigenen Schutzbedürftigkeit dort befunden habe.
7
b) Diese Erwägungen begegnen auch in der gebotenen Gesamtschau in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
aa) Die strafschärfende Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Schutzfunktion der Behindertenwerkstatt ausgehebelt, wird von den Feststellungen nicht getragen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt etwa unbefugt in den Räumlichkeiten der Werkstatt aufhielt, zur Tatausführung einrichtungsinterne Sicherungsmechanismen überwand oder dass ihm in besonderer Weise Verantwortung dafür übertragen war, von den anderen dort arbeitenden behinderten Menschen Schaden abzuwenden. Dies hat die Strafkammer zwar im Ansatz in den Blick genommen, indem sie unmittelbar im Anschluss an die vorstehend genannten, strafschärfenden Erwägungen zu Gunsten des Angeklagten den Umstand berücksichtigt, dass sich der Angeklagte selbst aufgrund seiner Schutzbedürftigkeit in der Behinder- tenwerkstatt befunden habe und nicht in die schützende Umgebung eingedrungen sei. Da sie die ganz erheblich strafschärfend herangezogene rechtsfehler- hafte Erwägung durch den strafmildernden Umstand aber nur als „etwas abgemildert“ bewertet, kann der Senat insoweit ein Beruhen nicht gänzlich aus- schließen.
9
bb) Das Landgericht hat ferner nicht hinreichend bedacht, dass einem Täter Tatmodalitäten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann strafschärfend, erst recht „ganz besonders strafschärfend“ zur Last ge- legt werden dürfen, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; vom 16. Juli 2003 – 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362, jeweils mwN). Zwar ist auch der – wie im vorliegenden Fall – im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich. Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität bleibt jedoch nur Raum nach dem Maß seiner geminderten Schuld. Dieses Umstandes muss sich der Tatrichter erkennbar bewusst sein (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 aaO). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe weder ausdrücklich noch in einer Gesamtschau. Dies ausdrücklich zu bedenken war im vorliegenden Fall umso mehr erforderlich, als die Strafkammer dem Angeklagten – erneut ohne Berücksichtigung seiner erheblich verminderten Schuldfähigkeit – außerdem zur Last gelegt hat, er sei dem Geschädigten wegen seines wesentlich dominanteren Auftre- tens „ganz deutlich“ überlegen gewesen und habe diesen mit einem Tötungs- delikt, also einem sehr schwerwiegenden Verbrechen, bedroht.
10
cc) Schließlich hat das Landgericht auf eine Einzelstrafe unter sechs Monaten erkannt, ohne sich mit der für diese Fälle maßgebenden Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung war hier unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls geboten. Zwar ist der Angeklagte wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorgeahndet. Diese einzige Vorstrafe liegt indessen bereits sieben Jahre zurück und war mit einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus verbunden. Auch die im angefochtenen Urteil abgeurteilte Tat beging der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit infolge seiner geistigen Behinderung. Das vorwerfbare Tatunrecht liegt nach den Feststellungen eher im unteren Bereich.
11
3. Der Senat verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über den Strafausspruch an das Amtsgericht Essen-Steele – Strafrichter – zurück, dessen Strafgewalt ausreicht.
Sost-Scheible RiBGH Cierniak ist im Urlaub Franke und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Bender Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafgesetzbuch - StGB | § 47 Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen


(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rech

Strafgesetzbuch - StGB | § 241 Bedrohung


(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutend

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 251/03 vom 16. Juli 2003 in der Strafsache gegen wegen Mordes u. a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juli 2003 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Re

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 223/00
vom
29. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2000 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 10. Februar 2000 im Strafausspruch aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat nur zum Strafausspruch Erfolg. 1. Folgendes ist festgestellt: Der Angeklagte hatte als Krankenpfleger im Bezirkskrankenhaus K., wo er seit langem "tadelsfrei" tätig war, in der Nacht vom 14./15. Februar 1999 Nachtdienst. Die Patientin H. hatte zu dieser Zeit eine manische Phase, die wegen einer zugleich vorliegenden Herzerkrankung nicht medikamentös behandelt werden konnte. Sie war daher, wie schon in den
Tagen zuvor - sie hatte z.B. Kot verschmiert, geschrieen und geschimpft - äußerst "umtriebig". Der Angeklagte fand sie letztlich in einer Urinlache sitzend vor. Er geriet in einen "hochgradigen Erregungszustand", faßte Frau H. unter den Armen und wollte sie ins Bett bringen. Diese wehrte sich und versuchte den Angeklagten "zu liebkosen und zu küssen", was diesem "zutiefst zuwider" war. "In seiner Rage" drückte er sie mit dem Bauch nach unten auf das Bett. Da sie sich weiter heftig wehrte und "strampelte", wollte sie der Angeklagte "endlich ruhig stellen". Daher kniete sich der 100 kg schwere Angeklagte so fest auf den Rücken von Frau H. , daß ein Leberriß eintrat. Gleichzeitig packte er sie am Nacken und drückte ihr Gesicht so stark in das Kissen, daß sie alsbald infolge Sauerstoffnot verstarb. 2. Der auf diese Feststellungen gestützte Schuldspruch ist frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO). 3. Der Strafausspruch kann dagegen keinen Bestand haben (§ 349 Abs. 4 StPO):
a) Sachverständig beraten hat die Strafkammer das Vorliegen der Voraussetzungen von § 21 StGB nicht ausschließen können. Bei der "völlig persönlichkeitsfremden" Tat habe ein hochgradiger Affekt im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung vorgelegen. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit eine Zyste, die auf die Luftröhre drückte und deshalb Schmerzen und Atemnot verursachte. Darüber hinaus befand er sich in erheblicher Sorge, da er Hautkrebs hatte und noch unklar war, ob sich Metastasen bilden würden. Damit verbunden war die Sorge um seinen psychotisch erkrankten, in ständiger Behandlung stehenden Sohn. In dieser Situation hätten das Auffinden der in einer Urinlache sitzenden Frau H. und deren "Annäherungsversuche" zu einem Anstei-
gen der Affektspannung geführt. Diese habe sich bei der Tatausführung entladen.
b) Im Rahmen der konkreten Strafzumessung innerhalb des (nur) im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 21 StGB und sonstige strafmildernde Umstände angenommenen Strafrahmens des § 227 Abs.2 StGB hat die Strafkammer "das Ausmaß der Gewaltanwendung" zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt. Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat festgestellt, daß die vom Angeklagten verursachten Verletzungen der Geschädigten - z.B. der durch das Aufknien verursachte Leberriß - mit dem psychischen Zustand des Angeklagten "korrespondieren". Tatmodalitäten dürfen einem Angeklagten nur strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der i.S.d. § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich , so daß für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dessen muß sich der Tatrichter erkennbar bewußt sein (vgl. BGH NJW 1993, 3210, 3211 f; BGH NStZ 1992, 538; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 257 a ff., jew. m.w.N.). Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe weder ausdrücklich noch in einer Gesamtschau. Dies wäre um so mehr erforderlich gewesen, als derartige Umstände vor allem bei insgesamt sinnlosen Taten nur geringes strafschärfendes Gewicht haben (vgl. BGH NStZ 1987,
321 f; G. Schäfer aaO Rdn. 257 c). Hinzu kommt, daß Strafzumessungserwägungen um so umfassender sein müssen, je knapper die verhängte Strafe eine grundsätzlich noch bewährungsfähige Strafe (§ 56 StGB) übersteigt (vgl. BGH StV 1992, 462, 463; G. Schäfer aaO Rdn. 618 a jew. m.w.N.). 4. Der aufgezeigte Mangel führt zwar zur Aufhebung des Strafausspruchs , berührt jedoch die der Strafzumessung zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht. Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind, bleiben sie aufrecht erhalten (§ 349 Abs. 2 StPO), so daß die gesamten Urteilsfeststellungen Bestand haben. Ergänzende, zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben jedoch zulässig. 5. Im Hinblick auf das durch den Fall erregte beträchtliche lokale Aufsehen erschien es dem Senat angemessen, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 (zweite Alternative) StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99 m.w.N.).
Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 251/03
vom
16. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juli 2003 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 28. Februar 2003 im Strafausspruch aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen Mordes in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er hat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) seine von ihm getrennt lebende Ehefrau auf offener Straße von hinten erschossen. Anschließend schoß er sich in Selbstmordabsicht in den Kopf und trug schwere Dauerfolgen - Persönlichkeitsveränderung, Sprachstörungen, Erblindung auf einem Auge - davon. Die Revision des Angeklagten ist auf die nur zum Strafausspruch näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie bleibt zum Schuldspruch erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO), führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Die nach sachverständiger Beratung getroffene Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit beruht im wesentlichen auf folgenden Feststellungen : Der Verlauf der Ehe des Angeklagten war von grundloser starker Eifersucht des Angeklagten (Eifersuchtswahn) gekennzeichnet, die letztlich auch dazu führte, daß die Ehefrau den Angeklagten verließ. Er war schon vor Jahren bewaffnet in ein Zimmer gestürmt, in dem er seine Ehefrau mit einem Liebhaber vermutete, tatsächlich hielt sie sich dort mit einem Sohn auf. Seine Annahme , seine Ehefrau sei in einen anderen Mann verliebt, stützte er etwa darauf, daß sie im Schlaf "ungewöhnlich atme". Immer wieder bedrohte er sie mit Gewalttätigkeiten bis zum Tode, wenn sie ihm ihren Liebhaber nicht nenne. Er war überzeugt, daß sie ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hatte. Er bot einem Sohn Geld und andere Belohnungen an, wenn er die Mutter zurückbringe , zeigte depressive Züge mit Selbstmorddrohungen und hatte auch noch einen "Dermatozoenwahn", glaubte also, er sei von Ungeziefer befallen. Schließlich kam auch noch vermehrter Alkoholkonsum hinzu. Von den genannten, fest umschriebenen Wahnvorstellungen abgesehen , kam es nicht zu einem Realitätsverlust, der Angeklagte ging seiner Arbeit als Richtmeister in einem Klärwerk kompetent und zuverlässig nach. Jedenfalls im Hinblick auf die Kombination der genannten Störungen und einen zur Tatzeit vorliegenden "leichtgradigen" Alkoholrausch konnte die Strafkammer eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausschließen und hat den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. 2. Im Rahmen der Strafzumessung hat die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten erwogen, daß sein Verhalten "eigensüchtig" gewesen sei. Er habe nicht verwinden können, daß seine Ehefrau "sich nach seiner Vorstellung
einem anderen Mann zugewandt" hatte. Diese Erwägung hält unter den hier gegebenen Umständen rechtlicher Überprüfung nicht stand: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen Tatmodalitäten einem Angeklagten nur strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. BGH StV 2001, 615 f.). Für Tatmotive kann nichts anderes gelten. Die Vorstellung, seine Frau habe sich einem anderen Mann zugewandt, ist Kern des Eifersuchtswahns, der wesentlich mit zur Annahme erheblich verminderter Schuld geführt hat. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so daß auch für eine strafschärfende Verwertung der Tatmotivation Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dessen muß sich der Tatrichter erkennbar bewußt sein (vgl. BGH aaO m.N.). Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe weder ausdrücklich noch in einer Gesamtschau. 3. Der aufgezeigte Wertungsmangel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Das weitere Vorbringen der Revision, mit dem zusätzliche Wertungsfehler geltend gemacht werden, kann daher auf sich beruhen. Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung der Revision, daß die gegen den Angeklagten wegen des von ihm begangenen Mordes verhängte Strafe schon allein wegen ihrer Höhe auf jeden Fall rechtsfehlerhaft sei. Die der Strafzumessung zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Mangel nicht berührt. Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind, bleiben sie aufrecht erhalten (§ 349 Abs. 2 StPO), so daß die gesamten Urteilsfeststellungen Bestand haben. Ergänzende,
zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben jedoch zulässig. Herr RiBGH Schluckebier befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Kolz Elf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.

(2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist. Droht das Gesetz ein erhöhtes Mindestmaß der Freiheitsstrafe an, so bestimmt sich das Mindestmaß der Geldstrafe in den Fällen des Satzes 1 nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe; dabei entsprechen dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe.