Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2000 - 4 StR 377/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten "der gefährlichen Körperverletzung und des Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung" schuldig gesprochen. Es hat ihn unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis vom 20. April 1999 "zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei (2) Jahren und drei (3) Monaten und einer weiteren Freiheitsstrafe von drei (3) Jahren verurteilt".
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand, weil das Landgericht - wie die Revision zu Recht beanstandet - die nach den Feststellungen gebotene Prüfung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen hat.
Nach den Feststellungen begann der Angeklagte, der im Jahre 1991 nach Deutschland gekommen war und Sprach- und Eingewöhnungsschwierigkeiten hatte, Alkohol zu trinken, um seinen Problemen zu entfliehen:
"Sein Tagesablauf bestand überwiegend darin, sich mit Bekannten, die seiner Muttersprache mächtig sind, zu treffen und mit diesen gemeinsam Alkohol, vorwiegend Wodka, zu konsumieren. Diese, mit starkem Alkoholkonsum verbundene, Lebensweise dauerte bis zu seiner Verhaftung an".
Seit 1994 wurde der Angeklagte mehrfach u.a. wegen Eigentumsdelikten zu Geldstrafen verurteilt, wobei sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob der Angeklagte auch diese Taten unter Alkoholeinfluß beging. Am 24. Oktober 1996 wurde er durch das Amtsgericht Halle-Saalkreis u.a. wegen Vollrausches zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hinsichtlich der hier abgeurteilten beiden Taten ist das sachverständig beratene Landgericht mit Rücksicht auf den vorangegangenen Alkoholgenuß (BAK im Fall II 1 der Urteilsgründe : max. 4,12 g ‰) jeweils von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgegangen.
Bei dieser Sachlage stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, daß sich das Landgericht nicht mit der Frage des Vorliegens eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB auseinandergesetzt hat. Zwar muß zwischen dem in § 64 StGB vorausgesetzten Hang zu übermäßigem Alkoholgenuß und der
Tat sowie der zukünftigen Gefährlichkeit ein symptomatischer Zusammenhang bestehen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 231). Ein solcher Zusammenhang kann aber hier nicht schon deshalb in Frage gestellt werden, weil die gefährliche Körperverletzung (ein "Fall von Gruppendynamik") und die Raubtat – wie der Generalbundesanwalt meint - “ihre Wurzel (nicht) in übermäßigem Genuß von Alkohol, sondern in der sozialen Situation des Angeklagten als (einem) der deutschen Sprache kaum mächtigen, von Sozialhilfe lebenden Asylbewerber" gehabt haben. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den begangenen und den künftig zu befürchtenden Straftaten einerseits und dem Hang zum übermäßigen Alkoholgenuß andererseits ist nämlich auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum Alkoholgenuß neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, daß der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH aaO; BGH NStZ 2000, 25; BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1). Die bisherigen Feststellungen, insbesondere die lückenhaften Mitteilungen zu den Vorstrafen und den diesen zugrundeliegenden Taten, bilden keine ausreichende tatsächliche Grundlage für die sich hier aufdrängende Beurteilung, ob der evident gewordene Hang des Angeklagten zu übermäßigem Alkoholgenuß nicht wenigstens Einfluß auf die Art der bisher begangenen Straftaten hatte und ob ihm ein solcher Einfluß auch auf künftig zu befürchtende Straftaten zukommen kann. Den Urteilsgründen kann auch nicht entnommen werden, daß bei dem Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.).
Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs, da der Senat nicht mit Sicherheit ausschließen kann, daß die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich auch die Unterbringung
des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden wäre (vgl. BGHSt 28, 327, 330; BGHR StGB § 64 Ablehnung 6, 7).
2. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung auf folgendes hin:
a) Da hier mit Rücksicht auf die Zäsurwirkung der Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Halle-Saalkreis vom 20. April 1999 die Bildung einer Gesamtstrafe aus den beiden wegen der abzuurteilenden Taten zu verhängenden Einzelstrafen ausgeschlossen ist, wird ein sich dadurch für den Angeklagten möglicherweise ergebender Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafübels gegebenenfalls auszugleichen und dazu die nicht in die Gesamtstrafe einbeziehbare Einzelstrafe herabzusetzen sein, um eine insgesamt gerechte Bestrafung des Angeklagten zu erreichen (vgl. BGHSt 41, 310, 313; BGH NStZ-RR 1996, 344).
b) Ist neben einer Gesamtstrafe eine weitere Strafe zu verhängen, ist die Urteilsformel so zu fassen, daß sie erkennen läßt, welcher der Taten die jewei-
lige Rechtsfolge zuzuordnen ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 260 Rdn. 31).
Maatz Kuckein Athing
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.