Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Mai 2011 - 4 StR 213/11

bei uns veröffentlicht am26.05.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 213/11
vom
26. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Mai 2011
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten R. wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 23. November 2010 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es diesen Angeklagten betrifft.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat nur zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
2
1. Die Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Dabei entnimmt der Senat der im Rahmen der Beweiswürdigung mitgeteilten Feststellung, wonach der Angeklagte sich, nachdem er seinem Opfer mit Tötungsvorsatz den lebensgefährlichen Schnitt am Hals beigebracht hatte, vom Tatort "ohne Sorge um das Wohl des Geschädigten" entfernt hat (UA 19), dass es sich - wie vom Landgericht ohne Begründung angenommen - um einen beendeten Versuch des Totschlags handelt. Denn ein solcher liegt schon dann vor, wenn sich der Täter nach der letzten Ausführungshandlung über den möglichen Tod des Opfers keine Gedanken macht (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 1 StR 537/10 mwN).
3
2. Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.
4
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 20. April 2011 ausgeführt: "Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Angeklagte seinen Alkoholkonsum bis hin zu einer Trinkmenge von täglich 20 Flaschen Bier und einer Flasche Schnaps gesteigert (UA S. 4). Auch vor der verfahrensgegenständlichen Tat hat er in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert (UA S. 14) und die Ablehnung einer verminderten Schuldfähigkeit beruht in erster Linie auf einer "extrem hohen Alkoholgewöhnung" (UA S. 21). Unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Angeklagten in dem nunmehr gemäß § 31 Abs. 2 JGG einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Rostock die Weisung erteilt worden war, sich einer Entgiftungsmaßnahme zu unterziehen (UA S. 5), stellt es einen Rechtsfehler dar, dass die Jugendkammer überhaupt nicht geprüft hat, ob beim Angeklagten eine Unterbringung nach § 64 StGB erforderlich ist. Zwar [hat] der Angeklagte die Entgiftung bis zum 18. Mai 2010 durchgeführt (UA S. 4), angesichts des von ihm nur wenige Tage später am 26. Mai 2010 vor der Tat konsumierten Alkohols hat diese Maßnahme über die reine Entgiftung hinaus aber keine weiteren suchtmindernden Auswirkungen gehabt.
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; Senat, Beschluss vom 22. Februar 2011, 4 StR 5/11 m.w.N.). Der Angeklagte hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Revisionsangriff ausgenommen. Über die Maßregelanordnung ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden. Obwohl die Bemessung der verhängten Jugendstrafe an sich keinen Rechtsfehler erkennen lässt, erfordert die Wechselbeziehung zwischen Strafe und Maßregel (§ 5 Abs. 3 JGG) eine Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs."
5
Dem schließt sich der Senat an (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 2 StR 227/09).
Ernemann Cierniak RiBGH Dr. Franke ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Mutzbauer Bender

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Mai 2011 - 4 StR 213/11 zitiert 6 §§.

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen


(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtm

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 537/10
vom
11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 5. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe (D. ) bzw. zu einer Jugendstrafe (S. ) jeweils von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen drangen die beiden Angeklagten in der Tatnacht in das Haus des Geschädigten M. ein, um dort Geld und Drogen zu stehlen. Weil sie kein Bargeld finden konnten, misshandelten sie den bis dahin schlafenden Geschädigten. Während der Angeklagte S. ihn auf das Bett drückte, schlug der Angeklagte D. ihm mit einem Schlagstock wenigstens zwanzigmal auf Kopf und Oberkörper. Dabei handelten beide Angeklagten mit bedingtem Tötungsvorsatz. Anschließend fesselten sie den Geschädigten an Händen und Füßen und knebelten ihn. Als sie auch bei der wei- teren Durchsuchung der Wohnung kein Geld finden konnten, schlug der Angeklagte D. wieder mit dem Schlagstock auf den Geschädigten ein, bis dieser ihnen das Versteck preisgab, in dem er sein Geld aufbewahrte. Die Angeklagten fanden dort 1.000 €. Da sie in der Wohnung aber weiteres Geld vermuteten, versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten noch einen Schlag mit dem Schlagstock, woraufhin der Angeklagte S. zu ihm sagte: „Hör auf, du bringst ihn noch um.“ Weil sie den Geschädigten in den Keller sperren wollten, um zu verhindern, dass er nach ihrem Verlassen seines Hauses die Polizei ruft, brachten sie ihn zum Kellerabgang. Dort stieß ihn der Angeklagte S. , ohne dies zuvor mit dem Angeklagten D. abgesprochen zu haben, die aus steinernen Stufen bestehende Kellertreppe hinunter. Im Keller packte er den Geschädigten und zerrte ihn dann noch in einen Nebenraum. Anschließend verließen die beiden Angeklagten das Haus. Hierbei nahmen sie billigend in Kauf, dass der Geschädigte in dem Keller sterben könnte. Tatsächlich gelang es dem Geschädigten , der sich durch die Gewalthandlungen Platzwunden am Kopf sowie Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper zugezogen hatte, bereits nach kurzer Zeit, sich seiner Fesseln zu entledigen und Hilfe zu holen.
3
2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung der beiden Angeklagten wegen versuchten Mordes nicht, da sich das Landgericht nur unzureichend mit den Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts auseinandergesetzt hat.
4
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es, wovon auch das Landgericht insoweit zutreffend ausgegangen ist, für die Abgrenzung eines beendeten vom unbeendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts maßgeblich auf die Vorstellungen der Täter nach der letzten Ausführungshandlung („Rücktrittshorizont“) an. Dies gilt insbesondere auch bei einem mehraktigen Tatgeschehen, das - wie hier - als eine Tat im Rechtssinne gewertet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - 4 StR 233/08, StraFo 2009, 78 mwN). Halten die Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung aufgrund der tatsächlichen Umstände den Tod ihres Opfers für möglich oder machen sie sich über die Folgen ihres Handelns - namentlich bei besonders schweren Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Gedanken, so ist der Versuch beendet (st. Rspr.; vgl. jew. mwN BGH, Urteil vom 10. November 2005 - 4 StR 337/05 Rz. 8; BGH, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 2 StR 540/98 Rz. 4; BGH, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 1 StR 694/98 Rz. 4). Ein strafbefreiender Rücktritt ist in diesem Fall bei mehreren Tätern nur unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 StGB möglich. Liegt dagegen ein unbeendeter Versuch vor, kommt ein strafbefreiender Rücktritt nach dieser Vorschrift auch dann in Betracht, wenn die Täter einvernehmlich nicht weiterhandelten , obwohl sie dies hätten tun können (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2003 - 4 StR 410/02 Rz. 2, StraFo 2003, 207). Die äußeren Gegebenheiten sind bei der Abgrenzung eines beendeten von einem unbeendeten Versuch insoweit von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen (BGH, Beschluss vom 1. Juli 1993 - 1 StR 337/93 Rz. 6, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 22 mwN).
5
b) Das Landgericht ist bei seiner rechtlichen Würdigung des Tatgeschehens bei beiden Angeklagten von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat in Ermangelung von Rettungsbemühungen die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt jeweils verneint. Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die beiden Angeklagten die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben hätten, weil sie nach der letzten Ausführungshandlung, dem Zurücklassen des Geschädigten im Keller, dessen Tod - infolge der erlittenen Verletzungen (UA S. 15) bzw. wegen fehlender Befreiungsmöglichkeiten (UA S. 32) - gebilligt hätten. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand:
6
(1) Hinsichtlich des Angeklagten D. beschränken sich die Ausführungen des Landgerichts lediglich auf die Feststellung, dass dieser beim Zurücklassen des Geschädigten im Keller dessen Tod gebilligt habe. Diese Feststellung ist, soweit sie möglicherweise auch die Vorstellung des Angeklagten von einem möglichen Erfolgseintritt - hier dem Tod des Geschädigten - mitumfasst , in den Urteilsgründen nicht belegt. Der Angeklagte D. hat sich zu seinen Vorstellungen beim Zurücklassen des Geschädigten im Keller nicht eingelassen. Es ist im Urteil auch nicht dargetan, ob das Landgericht allein aus dem - insoweit rechtsfehlerfrei festgestellten - Umstand, dass der Angeklagte D. den Stoß durch den Angeklagten S. und den anschließenden Sturz des Geschädigten die Kellertreppe hinunter aus unmittelbarer Nähe beobachtet hat, auf dessen Vorstellungen von einem möglichen Todeseintritt beim Zurücklassen des Geschädigten geschlossen hat. Eine solche Schlussfolgerung wäre hier jedenfalls nicht ohne weiteres nahe liegend gewesen, da ein Treppensturz nicht unweigerlich zu lebensbedrohlichen Verletzungen führen muss und im vorliegenden Fall auch nicht zu solchen Verletzungen geführt hat.
7
(2) Hinsichtlich des Angeklagten S. hat das Landgericht seine Überzeugung , dass auch dieser den Tod des Geschädigten beim Verlassen des Tatorts für möglich gehalten habe, auf dessen spätere Äußerungen gegenüber Freunden gestützt, wonach er fürchte, „dass das Opfer versterben könnte.“ Zwar kann aus einer solchen Äußerung auf die Vorstellungen des Täters nach der letzten Ausführungshandlung geschlossen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die einer solchen Äußerung zugrunde liegende Vorstellung von einem möglichen Todeseintritt schon unmittelbar nach der letzten Tathandlung vorhanden war (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09 Rz. 2, NStZ 2010, 146) und nicht erst durch später hinzu tretende Umstände entstanden ist. Dies hat das Landgericht bei seiner Würdigung nicht in ausreichendem Maß bedacht.
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So hat es die Frage, ob der Angeklagte S. seine Befürchtung, der Geschädigte könne sterben, erst dann zum Ausdruck gebracht hat, nachdem ihm von einer Freundin mitgeteilt worden war, dass sich der Geschädigte im Krankenhaus befinde, ausdrücklich offen gelassen. Hiermit hätte sich das Landgericht aber auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte S. war unmittelbar nach dem Sturz des Geschädigten bei diesem im Keller und zerrte ihn in einen Nebenraum. Dies wäre, was das Landgericht nicht erörtert hat, jedoch nicht nötig gewesen, wenn er davon ausgegangen wäre, dass sich der Geschädigte bereits durch den Sturz lebensgefährliche Verletzungen zugezogen hätte. In diesem Fall hätte er ihn einfach am Fuß der Kellertreppe liegen lassen und die Kellertür verschließen können. Dies hätte ausgereicht, um eine baldige Entdeckung der Tat zu verhindern.
9
In diesem Zusammenhang sind die Feststellungen zu dem tatsächlichen Geschehen im unmittelbaren Anschluss an den Sturz des Geschädigten zudem unklar. Im Urteil wird nicht ausgeführt, welche Reaktionen der Geschädigte hierbei zeigte. Wäre er für einige Augenblicke bewusstlos gewesen, könnte dies bei dem Angeklagten S. für die Vorstellung von einem möglichen Tod des Geschädigten sprechen. Dagegen könnte eine solche Vorstellung zweifelhaft sein, wenn der Geschädigte auch nach dem Sturz noch deutliche Lebensanzeichen gezeigt hätte, wenn er etwa laut geschrieen oder sich gegen das Verbringen in den Kellerraum trotz seiner Fesselung im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Wehr gesetzt hätte. Auch hiermit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.
10
Hinzu kommt, dass die Feststellungen auch die Annahme nicht hinreichend nahe legen, der Angeklagte S. sei hinsichtlich der Folgen seiner Handlungen, insbesondere eines möglichen Todes des Geschädigten, gleichgültig gewesen. Denn der Angeklagte S. hatte noch wenige Augenblicke, bevor er den Geschädigten die Treppe hinunter stieß, weitere schwerwiegende Gewalthandlungen durch den Angeklagten D. noch mit den Worten „Hör auf, du bringst ihn noch um“ verhindert. Warum der Angeklagte S. nun innerhalb kurzer Zeit seine Meinung geändert haben und sich nach dem Stoß keine Gedanken mehr um das Überleben des Geschädigten gemacht haben sollte, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich. Angesichts der dargelegten Umstände kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die von dem Angeklagten S. geäußerte Befürchtung, der Geschädigte könne sterben, erst nachträglich durch die Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt des Geschädigten entstanden ist und nicht die Vorstellungen des Angeklagten unmittelbar nach der letzten Ausführungshandlung wiedergibt. Dies hätte das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigen müssen.

11
3. Die Verurteilung der beiden Angeklagten wegen versuchten Mordes hat demnach keinen Bestand. Der Senat kann den Schuldspruch nicht auf einen besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung umstellen. Es kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass aufgrund neuer Feststellungen ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch rechtsfehlerfrei verneint werden kann. Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 5/11
vom
22. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 29. Oktober 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung zur Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 11 Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen, diese jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln begangen", zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; ferner hat es eine Verfallsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich, dass das Landgericht keine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB getroffen hat. Die von der Strafkammer angekündigte Zustimmung zur Zurückstellung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2010 - 2 StR 34/10 m.w.N.). Hieran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) grundsätzlich nichts geändert (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 64 Rn. 26). Zwar ist die Maßregel nach der Neufassung der Vorschrift nicht mehr zwingend anzuordnen. Das Gericht muss jedoch das ihm nunmehr in § 64 Satz 1 StGB eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich machen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2007 - 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73 f., und vom 9. September 2008 - 3 StR 337/08). Daran fehlt es hier.
3
Es kommt hinzu, dass die Strafkammer selbst ausführt, in der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten liege jedenfalls eine Ursache für die abgeurteilten Taten; diese hätten auch dazu gedient, den Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten zu finanzieren beziehungsweise seinen eigenen Bedarf an Rauschgift zu decken (UA 12). Damit hat das Landgericht in der Sache den Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner Abhängigkeit und den begangenen Straftaten. Dass die weiteren Voraussetzun- gen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose; Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden.
4
Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.). Über die Maßregelanordnung ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden.
5
2. Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Der gesamte Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.