Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2011 - 4 StR 196/11

bei uns veröffentlicht am08.06.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 196/11
vom
8. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Juni 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 9. Juli 2010 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Diese beträgt nach der Urteilsformel drei Jahre, während sie ausweislich der Urteilsgründe in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten tat- und schuldangemessen ist. Nachdem in der Revisionsbegründung auf die Divergenz zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen hingewiesen worden war, haben die Berufsrichter der Strafkammer in einem Vermerk niedergelegt, dass die Freiheitsstrafe von drei Jahren dem Ergebnis der Kammerberatung entspreche und es sich bei der Strafe in den Strafzumessungserwägungen um einen bloßen Schreibirrtum handele.
2
2. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat wegen des Widerspruchs zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen zum Strafausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
3
3. Die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe von drei Jahren kann nicht bestehen bleiben. Sie wird von den Erwägungen zur Strafzumessung nicht getragen, die - für sich betrachtet - rechtsfehlerfrei sind. Es liegt keine Fallgestaltung vor, bei der ohne Weiteres deutlich wird, dass der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die in den Urteilsgründen , sondern auf die in der Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und dass diese Strafe trotz der anders lautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 1988 – 4 StR 37/88 und vom 18. Juli 1989 – 5 StR 232/89, BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 1 und 2; BGH, Beschluss vom 26. Januar 2007 – 2 StR 582/06, StraFo 2007, 203; BGH, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 1 StR 223/07, StraFo 2007, 380, 381 jeweils m.w.N.).
4
Der Tatrichter muss die Strafe neu festsetzen. Es lässt sich auf der Grundlage des Urteils weder ausschließen, dass das Landgericht die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe von drei Jahren hat verhängen wollen, noch, dass es die in den Urteilsgründen bezeichnete Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten für angemessen gehalten hat.
5
4. Die Feststellungen zur Strafzumessung sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben deshalb bestehen.
6
5. Nach Wegfall des die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründenden Tatvorwurfs des versuchten Totschlags verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück. Ernemann Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Bender

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 260 Urteil


(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, gena

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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Mai 2007 - 1 StR 223/07

bei uns veröffentlicht am 25.05.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 223/07 vom 25. Mai 2007 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Mai 2007 beschlossen: 1. Au
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Bundesgerichtshof Urteil, 19. Okt. 2011 - 1 StR 336/11

bei uns veröffentlicht am 19.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 336/11 vom 19. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 18. Oktober 2011, in der Sitzung am 19. Oktober 2

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 223/07
vom
25. Mai 2007
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Mai 2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. November 2006, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen und des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Diese beträgt nach der Urteilsformel fünf Jahre, während sie ausweislich der Urteilsgründe in Höhe von vier Jahren tat- und schuldangemessen ist. Nachdem in der Revisionsbegründung auf die Divergenz zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen hingewiesen worden war, hat die Strafkammer einen Berichtigungsbeschluss dahingehend erlassen, dass in den Urteilsgründen die Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von fünf Jahren als tat- und schuldangemessen bezeichnet wird. Zur Begründung heißt es, es handle sich ersichtlich um ein Schreibversehen.
2
2. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat wegen des Widerspruchs zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen zum Gesamtstrafenausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
3
a) Die in der Urteilsformel genannte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren kann nicht bestehen bleiben. Sie wird von den Erwägungen zur Strafzumessung nicht getragen, die - für sich betrachtet - rechtsfehlerfrei sind. Es liegt keine Fallgestaltung vor, bei der ohne Weiteres deutlich wird, dass der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die in den Urteilsgründen, sondern auf die in der Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und dass diese Strafe trotz der anders lautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 1 und 2). Dies ergibt sich insbesondere nicht aus einem Vergleich mit den gegen die Mitangeklagten A. und B. verhängten Gesamtfreiheitsstrafen von drei und vier Jahren, denen, obwohl sie niedriger als fünf Jahre sind, sogar noch höhere Einsatzstrafen als bei dem Beschwerdeführer zugrunde liegen.
4
b) Der Berichtigungsbeschluss ist unwirksam, weil das vom Landgericht angeführte Schreibversehen nicht offensichtlich ist. Enthalten die Urteilsgründe - wie hier - für sich genommen rechtlich einwandfreie Strafzumessungserwägungen , kann ein die Strafhöhe betreffender Widerspruch zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen in der Regel nicht als offenkundiges Fassungsversehen aufgefasst werden, das einer nachträglichen Berichtigung zugänglich wäre (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 2).
5
c) Der Tatrichter muss die Strafe neu festsetzen. Es lässt sich auf der Grundlage des Urteils weder ausschließen, dass das Landgericht die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe von fünf Jahren hat verhängen wollen, noch, dass es die in den Urteilsgründen bezeichnete Freiheitsstrafe von vier Jahren für angemessen gehalten hat. Die Feststellungen zur Strafzumessung sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben deshalb bestehen. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.