Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2000 - 3 StR 367/00

bei uns veröffentlicht am24.11.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 367/00
vom
24. November 2000
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Menschenhandels u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. November
2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 20. März 2000 dahin abgeändert, daß der Angeklagte im Tatkomplex II. 6 der Urteilsgründe in fünf Fällen nicht der Vergewaltigung, sondern der sexuellen Nötigung schuldig ist und deshalb jeweils zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Zuhälterei in fünf Fällen, wegen Zuhälterei in zwei Fällen und wegen Vergewaltigung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat (auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 23. November 2000) nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen, geringen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie aus
den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte sieben Frauen bei der Prostitutionsausübung ausgebeutet und fünf von ihnen zugleich mit Gewalt und Drohungen mit einem empfindlichen Übel teils zur Aufnahme teils zur Fortsetzung der Prostitution bestimmt. Zutreffend hat das Landgericht im Tatkomplex II. 5 (Taten zum Nachteil der D. ) die vom Angeklagten begangene Vergewaltigung als dazu in Tatmehrheit stehend angesehen. Der Angeklagte zwang die Geschädigte, nachdem sie unter dem Eindruck massivster Gewaltanwendung jeglichen Widerstand aufgegeben und mit der Prostitutionsausübung begonnen hatte, an einem späteren Tag zum Geschlechtsverkehr. Er nutzte dabei aus, daß sie aufgrund der selbst erlittenen Verletzungen und der vom Angeklagten gegenüber anderen Frauen in ihrem Beisein verübten Gewalthandlungen sein Verlangen als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfand und nur deshalb den Geschlechtsverkehr erduldete (vgl. BGHR StGB § 177 I Drohung 2, 6 und Gewalt 1). Ein Überschneiden der Ausführungshandlungen, das zur Annahme von Tateinheit zwischen dem schweren Menschenhandel und der Vergewaltigung hätte führen müssen (vgl. Beschl. vom 29. März 1994 - 1 StR 103/94 - und 29. Juli 1998 - 1 StR 322/98), ist darin noch nicht zu sehen. Aus demselben Grund stehen auch im Tatkomplex II. 6 (Taten zum Nachteil der B. ) die in sechs Fällen erzwungenen sexuellen Handlungen jeweils in Tatmehrheit zum schweren Menschenhandel und der Zuhälterei.
Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht allerdings den Angeklagten im Tatkomplex II. 6 in den fünf Fällen, in denen er in der Zeit vom 14. bis
30. September 1995 die Geschädigte jeweils zwang, mit seinem Geschäftsfreund den Geschlechtsverkehr auszuüben, wegen Vergewaltigung verurteilt. Insoweit hat sich der Angeklagte nur wegen sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. In Abkehr von dem bis zum Inkrafttreten des 33. StrÄ ndG geltenden Rechtszustand kommt eine Begehung einer Vergewaltigung nach dem geltenden § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG dann nicht in Betracht, wenn der Täter nicht selbst den Beischlaf oder die ähnliche sexuelle Handlung ausführt. Das gesetzliche Regelbeispiel des besonders schweren Falles stellt nämlich darauf ab, daß der Täter selbst die erschwerende sexuelle Handlung ausführt (BGH NStZ 1999, 452; BGH, Beschl. vom 15. März 2000 - 2 StR 635/99). Dies war hier nicht der Fall. Der Senat hat insoweit den Schuldspruch abgeändert und auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 354 Abs. 1 StPO auf die nach den Umständen des Falles niedrigste in Betracht kommende Strafe (vgl. Kuckein in KK StPO 4. Aufl. § 354 Rdn. 10 m.w.Nachw.) von jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe erkannt.
Der Ausspruch über die Gesamtstrafe bleibt davon unberührt. Angesichts der Einsatzstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie der weiteren 13 Einzelstrafen, u.a. von einmal drei Jahren und drei Monaten, einmal zwei Jahren und sechs Monaten und dreimal zwei Jahren und drei Monaten, kann der Senat ausschließen, daß der Tatrichter eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte, wenn er in diesen fünf Fällen Einzelstrafen von jeweils einem Jahr zugrundegelegt hätte.
Im Hinblick auf die Ausführungen UA S. 48, 53 bemerkt der Senat: Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so kann der Tatrichter die gemäß § 2 Abs. 3 StPO zu treffende Entscheidung,
welches Recht zur Anwendung kommt, auch dann nicht dahinstehen lassen, wenn das alte und das neue Recht denselben Strafrahmen eröffnen. In einem solchen Fall ist das neue Recht nicht das mildere und deswegen das zum Zeitpunkt der Tat geltende Recht anzuwenden.
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafprozeßordnung - StPO | § 2 Verbindung und Trennung von Strafsachen


(1) Zusammenhängende Strafsachen, die einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können verbunden bei dem Gericht anhängig gemacht werden, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Zusammenhängende Strafsachen, von den

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Zusammenhängende Strafsachen, die einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können verbunden bei dem Gericht anhängig gemacht werden, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Zusammenhängende Strafsachen, von denen einzelne zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach § 74 Abs. 2 sowie den §§ 74a und 74c des Gerichtsverfassungsgesetzes gehören würden, können verbunden bei der Strafkammer anhängig gemacht werden, der nach § 74e des Gerichtsverfassungsgesetzes der Vorrang zukommt.

(2) Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann durch Beschluß dieses Gerichts die Trennung der verbundenen Strafsachen angeordnet werden.