Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 3 StR 193/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten und der Mitangeklagte H. der gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig sind,
b) im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten sowie den Angeklagten D. wegen desselben Tatvorwurfs unter Einbeziehung der durch ein früheres Urteil verhängten Einzelstrafen nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gegen den Mitangeklagten H. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
- 2
- Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten Revision eingelegt, die der Angeklagte K. auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts und der Angeklagte D. auf die Verletzung materiellen Rechts stützen. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 3
- Nach den Feststellungen verletzten alle drei Angeklagten anlässlich einer tätlichen Auseinandersetzung gemäß einem gemeinschaftlich gefassten Tatplan zwei junge Männer, wobei sie sich eines gefährlichen Werkzeugs bedienten und die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begingen.
- 4
- 1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten und der Mitangeklagte H. seien der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen schuldig, beruht auf einem Rechtsfehler.
- 5
- Der Generalbundesanwalt hat hierzu unter Anderem ausgeführt: "Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Kammer, wonach materiellrechtlich zwei Taten vorliegen sollen, jeweils eine zu Lasten jedes der beiden Geschädigten (UA S. 47), hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Ablehnung einer Handlungseinheit allein deshalb, weil die Angeklagten zwei Personen angegriffen und verletzt haben, ist vorliegend nicht zutreffend. Zwar sind höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Menschen einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit zu Grunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Deshalb können Handlungen, die sich nacheinander gegen höchstpersönliche Rechtsgüter mehrerer Menschen richten, grundsätzlich weder durch einheitlichen Tatentschluss noch durch engen und situativen Zusammenhang zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden. Etwas anderes gilt aber dann, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene (st. Rspr., vgl. BGH NJW 1985, 1565; NStZ-RR 1998, 233; NStZ 2003, 366 [Rn. 5]; 2005, 262 f.; Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 87/09 [BGHR StGB § 232 Konkurrenzen 1]). So liegt es hier. Der Mitangeklagte D. schlug zunächst den Zeugen M. nieder, unmittelbar darauf den Zeugen U. . Von diesem wechselte er zurück zu M. und trat diesem ins Gesicht, während der Angeklagte [K. ] die entsprechende Verletzungshandlung (Tritt ins Gesicht) gegen den Zeugen U. ausführte (UA S. 23). Beide Zeugen durch Schläge und Tritte zu verletzen, war von vorneherein ihr Vorhaben gewesen (UA S. 22). Bei einem derartigen zeitgleichen und wechselweisen Vorgehen, bei dem die Tatbeiträge sich gegenseitig ergänzen, wäre eine Aufspaltung des eng zusammengehörenden Geschehens mit den genannten Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. BGH NStZ 1985, 217; StV 1990, 544; 1998, 72; NStZ-RR 1998, 233). […] Die Schuldspruchberichtigungist gemäß § 357 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten H. zu erstrecken, da die unzutreffende konkurrenzrechtliche Bewertung seinen Tatbeitrag gleichermaßen betrifft."
- 6
- Dem schließt sich der Senat an. Der Schuldspruch war dementsprechend zu ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten und der Mitangeklagte H. gegen den geänderten Vorwurf nicht anders als geschehen hätten verteidigen können.
- 7
- 2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zu einer Aufhebung des jeweiligen Strafausspruchs. Das Landgericht hat bei allen Angeklagten - auch bei den zu einer Jugendstrafe verurteilten Angeklagten K. und H. - zu ihrem Nachteil auf die Begehung zweier Taten abgestellt. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass es bei einer richtigen Bewertung des Konkurrenzverhältnisses zu den Angeklagten günstigeren Sanktionen gelangt wäre.
- 8
- 3. Da die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen sind, erhält sie der Senat aufrecht (§ 353 Abs. 2 StPO). Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen allerdings nicht widersprechen dürfen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn
- 1.
diese Person ausgebeutet werden soll - a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person, - b)
durch eine Beschäftigung, - c)
bei der Ausübung der Bettelei oder - d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
- 2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder - 3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,
- 1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder - 2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn
- 1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist, - 2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder - 3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.