Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2016 - 2 StR 7/15

bei uns veröffentlicht am14.01.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 7/15
vom
14. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: besonders schweren Raubs u.a.
zu 2. und 3.: schweren Raubs
ECLI:DE:BGH:2016:140116B2STR7.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 14. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten M. wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von zwei früheren Urteilen und Einzelstrafen aus einem weiteren Urteil eine Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten verhängt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von fünf Monaten verhängt. Die Angeklagten H. und B. hat es jeweils wegen schweren Raubs verurteilt und gegen den Angeklagten H. unter Einbeziehung eines früheren Urteils und der Strafe aus einem früheren Strafbefehl eine Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, gegen den Angeklagten B. eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verhängt. Die Vollstreckung der gegen den Angeklagten H. verhängten Jugendstrafe und der gegen den An- geklagten B. verhängten Freiheitsstrafe hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte H. am 8. Juni 2012 aufgrund eines zuvor mit den Angeklagten M. und B. gefassten Tatentschlusses gegen 03.50 Uhr zugleich mit dem Zeugen Be. die Spielhalle in W. . Er spielte am Automaten. Um 04.05 Uhr betrat der Angeklagte M. maskiert und mit einer Pistole bewaffnet die Spielhalle. Er rief „Überfall“ und bedrohte die Angestellte S. mit der Pistole. Als sie ihn fragte: „Was willst du Spinner?“, schlug er ihr mit der Pistole sowie mit einer Faust gegen den Kopf und stieß sie gegen den Tresen. Dann entnahm er aus der Kasse ungefähr 340 Euro Bargeld und flüchtete zu dem bereitstehenden Fluchtfahrzeug, das von dem Angeklagten B. geführt wurde.
3
2. Die Angeklagten haben sich nicht zur Sache eingelassen. Das Landgericht hat sich vor allem auf die Aussage des Zeugen K. gestützt und die Anwesenheit des Angeklagten H. in der Spielhalle zur Tatzeit durch die Angaben der Zeugen S. und Be. bestätigt gesehen. Der ZeugeK. habe bekundet, der Angeklagte B. habe ihm am Morgen nach der Tat aufgeregt erzählt, er habe gemeinsam mit dem Angeklagten H. und einem „E. “ die Spielhalle überfallen. Dabei habe B. einenschwarzen Kasseneinsatz mit sich geführt. Nach seiner Schilderung habe er bei der Tatbegehung das Fluchtfahrzeug gefahren, während H. ein „Aufpasser“ und „E. “ der Haupttäter gewesen seien.
4
Das Landgericht hat unter anderem auch den in Betäubungsmittelverfahren ermittelnden Kriminaloberkommissar P. als Zeugen vernommen, der angegeben hat, der Zeuge K. habe ihn aus eigenem Antrieb um ein Gespräch gebeten. Er, der Zeuge P. , sei zunächst davon ausgegangen, dass es dabei „um Dinge der dienstlichen Zusammenarbeit“ gehen solle. Bei dem Gespräch habe ihm der Zeuge K. aber von den Äußerungen des Angeklagten B. zum Spielhallenüberfall berichtet.
5
Das Landgericht hat die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeuge K. erörtert und berücksichtigt, dass er in einzelnen Punkten unzutreffende Angaben gemacht habe. Diese hätten allerdings außerhalb des Kerngeschehens gelegen. Der Zeuge K. neige nach dem Eindruck des Gerichts in belastenden Situationen dazu, „auch falsche, leicht widerlegbare Begründungen abzu- geben“. Er sei jedoch „kein kaltschnäuziger Lügner“. Seine Angaben zum Kern- geschehen würden durch das übrige Beweisergebnis bestätigt. Schließlich sei „kein Motiv festzustellen, das den Zeugen K. veranlasst haben könnte, einen oder mehrere Angeklagte zu Unrecht zu belasten“.

II.

6
Die Revisionen der Angeklagten sind jeweils mit der Sachrüge begründet , sodass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt. Die Beweiserhebung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist lückenhaft.
7
1. Es ist zwar nicht von vornherein rechtlich zu beanstanden, dass sich das Landgericht auf die Angaben des Zeugen K. gestützt hat, der „Zeuge vom Hörensagen“ ist. Die Angaben eines „Zeugen vom Hörensagen“ bedürfen wegen der erhöhten Gefahr unsachlicher Einflüsse auf die Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedergabe von Informationen aus zweiter Hand sowie wegen der reduzierten Möglichkeiten für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten, die Informationen durch Rückfragen bei der primären Auskunftsperson zu hinterfragen , stets einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81, BVerfGE 57, 250, 292; BGH, Urteil vom 1. August 1962 - 3 StR 28/62, BGHSt 17, 382, 385 f.). Dazu müssen auch die Aussageentstehung und Aussagemotivation möglichst genau überprüft werden , weil sich daraus Fehlerquellen für den Aussageinhalt ergeben können. An einer derart erschöpfenden Beweiswürdigung fehlt es hier.
8
2. Nach den im Urteil mitgeteilten Umständen, vor allem der damaligen Loslösung des Zeugen K. aus der Betäubungsmittelszene, „der dienstlichen Zusammenarbeit“ mit dem Kriminaloberkommissar P. in Verbindung mit der „etwaigen“ Gewährung von Gegenleistungen für seine Aussage und der Erteilung einer Vertraulichkeitszusage durch den Kriminalhauptmeister A. aus Anlass einer Lichtbildvorlage zur Täteridentifizierung, erscheint es möglich, dass der Zeuge K. eine Vergünstigung gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB (in der vom 1. September 2009 bis zum 31. Juli 2013) geltenden Fassung erstrebt haben kann. Dies hätte ein Motiv dafür bilden können, sein Wissen anders oder umfangreicher darzustellen, als es tatsächlich vorhanden war. Auch könnten unbewusste Fehlvorstellungen bei dem Zeugen vom Hörensagen bei seiner nachträglichen Identifizierung der beteiligten Personen oder der Konfrontation mit den Angeklagten wirksam geworden sein; die „Schnellschüsse“ des Zeugen an anderer Stelle unterstreichen eine solche Gefahr für die Feststellung der Wahrheit. Deshalb ist die Mitteilung des Landgerichts, es sei „auch kein Mo- tiv festzustellen, das den Zeugen K. veranlasst haben könnte, einen oder mehrere Angeklagte zu Unrecht zu belasten“, nicht ausreichend.
9
Wegen der Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung zur Frage der Tatbegehung durch die Angeklagten ist das Urteil insgesamt aufzuheben. Das gilt auch hinsichtlich des Angeklagten H. , dessen Anwesenheit in der Spielhalle zur Zeit des Überfalls durch weitere Zeugenaussagen belegt ist, dessen Beteiligung an der Tat als „Aufpasser“ in der Rolle eines scheinbaren Spielhallenkunden jedoch nur aufgrund der Angaben des Zeugen K. festgestellt wurde.
10
3. Der neue Tatrichter wird, wenn er die Mitwirkung der Angeklagten an der Tat erneut bejahen sollte, bei seiner rechtlichen Würdigung die Art der Tatbeteiligung der einzelnen Angeklagten als Täterschaft oder Teilnahme genau in den Blick zu nehmen haben. Fischer Eschelbach Ott Zeng Bartel

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46b Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten


(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, 1. durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann,
kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wobei an die Stelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren tritt. Für die Einordnung als Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist, werden nur Schärfungen für besonders schwere Fälle und keine Milderungen berücksichtigt. War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nr. 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. Anstelle einer Milderung kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die Straftat ausschließlich mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat.

(2) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

1.
die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, sowie
2.
das Verhältnis der in Nummer 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat und Schuld des Täters.

(3) Eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 sind ausgeschlossen, wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 der Strafprozessordnung) gegen ihn beschlossen worden ist.